Schlüsselwörter
BNT162b2 - mRNA-1273 - Anaphylaxie - Allergie - Impfreaktion
Key words
NT162b2 - mRNA-1273 - anaphylaxis - allergy - post-vaccination adverse events
Einleitung
Am 09.12.2020 informierte die britische Arzneimittelbehörde Medicines and Healthcare products Regulatory Agency (MHRA) über schwere allergische Reaktionen bei 2 Mitarbeitern des englischen Gesundheitssystems
National Health Service (NHS) nach der Verabreichung des Impfstoffs BNT162b2 der Firmen
BioNTech und Pfizer gegen COVID-19 [1].
Bei beiden Patienten waren in der Vorgeschichte Anaphylaxien beschrieben, beide erholten
sich rasch und, soweit derzeit bekannt ist, vollständig von diesen schweren allergischen
Reaktionen. Da nicht klar ist, auf welche Komponente des Impfstoffs sie reagierten,
wurde eine Untersuchung eingeleitet, um die beiden Vorfälle und ihre Ursachen vollständig
zu verstehen. Inzwischen wurden mehrere weitere Fälle von Anaphylaxien nach BNT162b2-Impfung
im Vereinigten Königreich (UK) beschrieben [1]
[2].
Am 11.12.2020 erteilte die US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA) eine
Notfallzulassung (EUA) für BNT162b2, am 18.12.2020 auch für den COVID-19-Impfstoff
von Moderna. In den USA werden derzeit sehr rasch große Impfzahlen erreicht, aktuell
werden täglich ca. 100 000 Personen geimpft. Auch dort traten Fälle von Anaphylaxien
auf COVID-19-Impfungen auf [3]. Insgesamt wurden bisher in den USA mehr als 2 Millionen Impfdosen verimpft, hierbei
kam es in 11,1 Fällen pro 1000 000 Dosen zu Anaphylaxien, welche zu 70 % innerhalb
der ersten 15 Minuten und 86 % innerhalb von 30 Minuten auftraten [4].
Aktuell sind schwere allergische Reaktionen die wichtigste unerwünschte Wirkung der
in westlichen Ländern zugelassenen COVID-19-Impfstoffe. Die britische Fachinformation
(SmPC) für den Impfstoff BNT162b2 beinhaltet auch bereits den Hinweis auf eine Kontraindikation
für die Verwendung bei Personen, die eine allergische Reaktion auf den Impfstoff oder
einen der Bestandteile des Impfstoffs gezeigt haben [5]. Als Vorsichtsmaßnahme hat die MHRA eine vorläufige Anweisung an den NHS herausgegeben,
grundsätzlich bei „Patienten mit schweren Allergien“ nicht zu impfen. Dies hat auch
in Deutschland zu einer großen Verunsicherung geführt, welche Patienten nun tatsächlich
geimpft werden sollten und bei welchen Risiken bestehen.
Nach einem beschleunigten Zulassungsverfahren hat auch der Ausschuss für Humanarzneimittel
(Committee for Medicinal Products for Human Use, CHMP) bei der EMA am 21.12.2020 an
die Europäische Kommission die Empfehlung ausgesprochen, den COVID-19-Impfstoff BNT162b2
in Form einer bedingten Zulassung (conditional marketing authorisation, CMA) zu genehmigen.
Diese Zulassung erfolgte am 27.12.2020. Eine bedingte Zulassung ist eine beschleunigte
Zulassung, die an Auflagen geknüpft ist. Eine solche Zulassung wurde nach Bewertung
durch den CHMP am 06.01.2021 auch für den mRNA-Impfstoff der Firma Moderna erteilt.
Die aktuelle Empfehlung der EMA und des PEI [6] lauten, dass Patienten, die eine bekannte Allergie gegen einen der Inhaltsstoffe
des Impfstoffs haben, nicht geimpft werden sollten [1]
[3]. Weiterhin wird darauf hingewiesen, dass die Impfungen grundsätzlich unter medizinischer
Supervision so erfolgen sollen, dass eine Notfallbehandlung möglich ist. Individuen,
die eine schwere allergische Reaktion nach der ersten Impfung erfahren haben, sollten
die zweite Dosis des Impfstoffs nicht erhalten.
Seit dem 27.12.2020 wurde auch in Deutschland mit den seit langem vorbereiteten Impfungen
begonnen. Es ist anzunehmen, dass in den nächsten Monaten in großem Ausmaß Anfragen
an allergologisch tätige Ärzte gestellt werden, wie mit möglichen allergischen Reaktionen
durch die COVID-19-Impfungen umzugehen ist. Auch HNO-Ärzte sollten sich daher mit
diesen Fragen auseinandersetzen und entsprechende Expertise erwerben.
Zahlreiche Berichte in Publikumspresse und sozialen Medien über die allergischen Reaktionen
haben bereits für Unruhe gesorgt. Patienten mit schweren Allergien machen sich Sorgen,
ob sie vielleicht nicht geimpft werden können oder werden umgekehrt verunsichert und
lehnen die Impfung ab [1]
[3].
Mit dem Ziel, die Impfung möglichst großen Teilen der Bevölkerung zugänglich zu machen,
möchten wir aus allergologischer Sicht den aktuellen Kenntnisstand zum Anaphylaxie-Risiko
bei COVID-19-Impfungen aufarbeiten und auf die Grundlagen zur Prävention und Therapie
anaphylaktischer Reaktionen hinweisen.
Hierbei werden die voraussichtlich zunächst verfügbaren mRNA-Impfstoffe BNT162b2 und
mRNA-1273 analysiert, die aufgetretenen Reaktionen in den Kontext des immunologischen
Wissens hierzu gestellt und basierend hierauf Maßnahmen zum praktischen Management
im Zuge der Impfung gegen SARS-CoV-2 vorgeschlagen.
Allergische Reaktionen auf Impfstoffe
Allergische Reaktionen auf Impfstoffe
Allergische Reaktionen auf Impfstoffe sind sehr selten und treten bei 1 pro 1000 000
bis zu 30 pro 100 000 auf [5]
[7]
[8]
[9]
[10].
Impfstoffbestandteile, von denen bekannt ist, dass sie allergische Reaktionen hervorrufen
können, sind z. B. Reste von tierischen Proteinen, antimikrobielle Wirkstoffe, Konservierungsmittel,
Stabilisatoren und Adjuvanzien neben der aktiven Komponente des Impfstoffs (dem eigentlichen
Antigen), die die Immunantwort auslösen [5]
[7]
[8]
[9]
[10]. Zu den einzelnen Impfstoffbestandteilen, die mit der Verursachung von Impfstoffanaphylaxie
in Verbindung gebracht werden, gehören Hühnereiprotein, Gelatine, Kuhmilchproteine
und andere Zusatzstoffe und Spurenverbindungen, die beim Herstellungsprozess zurückbleiben,
zudem Latex-Bestandteile aus den Verschlussstopfen bei Mehrfach-Impfstoffampullen
[5]
[8]
[9]
[10].
Allgemeine Aspekte von Allergien auf Impfstoffe
Allgemeine Aspekte von Allergien auf Impfstoffe
Dokumentierte allergische Reaktionen wurden für alle Impfstoffe berichtet, machen
aber nur eine Minderheit aller unerwünschten Ereignisse nach einer Immunisierung aus.
Zusätzlich zu den mikrobiellen Antigenen können Impfstoffe Stabilisatoren, Adjuvanzien,
Konservierungsmittel und Verunreinigungen aus dem Produktionsprozess enthalten [11]
[12].
Obwohl mikrobielle Antigene nur selten allergische Reaktionen hervorrufen, wurden
sie in neueren Veröffentlichungen zur Anaphylaxie auf Grippeimpfstoffe und für ein
mutiertes Diphtherietoxin (CRM197) in konjugiertem Pneumokokken-Impfstoff (PCV) beschrieben
[13]
[14].
Die Kenntnis aller Bestandteile eines Impfstoffs ist entscheidend für die Identifizierung
des auslösenden Allergens. Die wichtigsten Allergene in Impfstoffen sind im Folgenden
aufgeführt.
Gelatine
als Impfstoffstabilisator bovinen oder porcinen Ursprungs, wurde für Anaphylaxien
bei einigen Masern-, Mumps- und Rötelnimpfstoffen (MMR) und Varizellen-Impfstoffen
sowie früher auch bei Influenza-Impfstoffen verantwortlich gemacht.
Ovalbumin
aus Hühnereiern kann in Gelbfieber-, Influenza-, MMR-, FSME- und einigen Tollwutimpfstoffen
in unterschiedlichen Konzentrationen vorhanden sein.
Andere
Hühnereiproteine
wurden in mehreren Impfstoffen nachgewiesen und lösten in seltenen Fällen bei Empfängern
mit Hühnereiweißallergie teils schwerwiegende allergische Reaktionen aus [9].
Kuhmilchproteine
wurden in niedrigen Konzentrationen in einigen Diphtherie-, Tetanus- und Keuchhustenimpfstoffen
(DTP) und oralem Polioimpfstoff (OPV) nachgewiesen [15].
Thiomersal, Aluminium und Phenoxyethanol
können lokale Reaktionen hervorrufen (meist Überempfindlichkeitsreaktionen vom verzögerten
Typ, wie Kontaktallergie und makulopapulöser Ausschlag), wurden aber nicht als Ursache
für nachgewiesene Anaphylaxie berichtet. Heutzutage wird Thiomersal nur noch selten
als Präparat in Impfstoffen verwendet, und seine klinische Bedeutung als Allergen
ist zweifelhaft [16].
Lokale Reaktionen können jedoch bei sensibilisierten Empfängern häufiger auftreten
[17].
Formaldehyd wird nach wie vor in der Impfstoffpräparation verwendet [18], es wurden jedoch keine IgE-vermittelten Reaktionen auf Formaldehyd beschrieben
[19].
Spuren von antimikrobiellen Substanzen
könnten eine Anaphylaxie bei sensibilisierten Patienten verursachen; in der Literatur
finden sich jedoch nur wenige Berichte. Eine Anaphylaxie gegen Neomycin in der Vorgeschichte
gilt als Kontraindikation für die Immunisierung mit Neomycin-haltigen Impfstoffen
[20].
Die Verschlussstöpsel von Impfstoffampullen oder Spritzenkolben können Naturlatex
enthalten und stellen ein theoretisches Risiko für Latexallergiker dar [21], schwerwiegende Reaktionen kommen jedoch wohl nur selten vor.
Humane Papillomavirus-Impfstoffe (HPVs) können Reste von
Hefeprotein (Saccharomyces cerevisiae)
aus dem Produktionsprozess enthalten. In seltenen Fällen kann es bei Hefeallergikern
zu einer Sofortreaktion nach der Impfung kommen [22].
Hefe wird auch bei der Herstellung des Trägers CRM197 verwendet und kann in PCV-13
und einigen Meningokokken- und oralen Typhusimpfstoffen enthalten sein.
Dextran
wurde mit allergischen Reaktionen auf einige Impfstoffe in Verbindung gebracht, die
vom Markt genommen wurden [11].
Eine Anaphylaxie wenige Minuten nach der Immunisierung mit dem Zoster-Impfstoff (OKA
VZV) wurde kürzlich bei einem Patienten mit einer dokumentierten Allergie gegen rotes
Fleisch in der Vorgeschichte vermutet. Es wurde postuliert, dass der Patient auf
alpha-gal
aus Schweinegelatine oder bovines Kälberserum im Impfstoff reagiert hat [11]
[23].
Immunologische Mechanismen auf Impfstoffe bei Allergikern
Immunologische Mechanismen auf Impfstoffe bei Allergikern
Spezifische IgE-Antworten auf Impfstoffantigene können häufig neben IgG-Antworten
beobachtet werden [24]
[25]. Nach der Grundimmunisierung weisen etwa 50 % der Säuglinge nachweisbares IgE gegen
D- und T-Toxoide auf. Nach der Auffrischungsimpfung ist bei mehr als 90 % zumindest
transient IgE gegen die Impfstoffantigene nachweisbar; diese führen aber nicht zu
allergischen Symptomen [26]. Allergische Patienten entwickeln nach Impfung im Rahmen der Serokonversion eine
stärkere Th2-Immunantwort und IgE-Bildung auf Impfstoffantigene als nicht atopische
Personen [24]. Dennoch sind relevante allergische Reaktionen auf mikrobielle Antigene in Impfstoffen
relativ selten beschrieben worden [13]
[14]. Selbst Provokationstestungen mit Impfstoffen in Risikokollektiven mit anamnestischer
Impfreaktion in der Vorgeschichte zeigen in 92 % der Fälle keine systemischen Reaktionen
[27]. Weshalb die Reaktionen unterschiedlich ausfallen, lässt sich derzeit nicht abschließend
bewerten.
Systemische und lokale Reaktionen
Systemische und lokale Reaktionen
Die Klassifizierung von Überempfindlichkeitsreaktionen auf Impfstoffe ist eine Herausforderung,
da die zugrunde liegenden Mechanismen nur unzureichend verstanden sind und in der
Literatur kein Konsens besteht. Es wurden mehrere Klassifizierungen vorgeschlagen,
die sich auf das Ausmaß, den Schweregrad und den Zeitpunkt der Reaktion stützen [25].
Wir empfehlen die Einteilung allergischer Impfreaktionen gemäß der WHO-Empfehlungen
in systemische und lokale Reaktionen [28]. Diese sollten analog dem US-amerikanischen VAERS (Vaccine Adverse Event Reporting
System) über das Paul-Ehrlich-Institut (Online-Meldung für Nebenwirkungen) gemeldet
werden; dies können Patienten selbst oder mithilfe des behandelnden Arztes vornehmen.
Systemische Reaktionen
Die schwerste Form einer systemischen allergischen Reaktion ist die Anaphylaxie als
akuter schwerer, potenziell lebensbedrohlicher Notfall [29]. Die Symptome treten in der Regel innerhalb der ersten Stunde nach der Impfung auf
[9]
[25].
Nichtallergische systemische Reaktionen sollten von systemischen IgE-vermittelten
Reaktionen unterschieden werden. Fieber und unspezifische systemische Symptome wie
Hautausschlag, Reizbarkeit, Unwohlsein, Durchfall, Kopf- und Muskelschmerzen sowie
Synkopen sind die häufigsten systemischen Ereignisse nach einer Impfung. Hautausschläge,
verzögerte Urtikaria und/oder Angioödeme oder makulopapulöser Hautausschlag treten
oft wenige Stunden nach der Impfstoffverabreichung auf. Eine unspezifische Aktivierung
des Immunsystems und eine unspezifische Degranulation von Mastzellen können die Ursache
sein [9]
[25].
Lokale Reaktionen
Als lokale Reaktionen treten Schmerzen, Rötung und/oder Schwellung an der Injektionsstelle
auf. Leichte Lokalreaktionen werden auf unspezifische Entzündungen durch die Injektion
selbst und das Einbringen von Fremdkörpern zurückgeführt [9]
[25]. Größere Lokalreaktionen sind seltener und treten in der Regel innerhalb von 24–72
Stunden nach der Impfstoffverabreichung auf [9]
[25].
Immunmechanismen der Anaphylaxien auf die COVID-19-Impfstoffe
Immunmechanismen der Anaphylaxien auf die COVID-19-Impfstoffe
Die aktuell in westlichen Industrieländern zugelassenen COVID-19-Impfstoffe mRNA-1273
(Fa. Moderna) und BNT162b2 (Fa. BioNTech/Pfizer) enthalten keine der „klassischen“
auslösenden Komponenten von Impfstoff-Anaphylaxien. Weder Gelatine, Ovalbumin oder
andere Hühnereiproteine, Kuhmilchproteine, Thiomersal, Aluminium und Phenoxyethanol,
noch Formaldehyd, Reste von zur Züchtung benötigten antimikrobiellen Substanzen wie
Neomycin, Latex, Hefen oder Dextran sind hierin enthalten. Auch Konservierungsmittel
oder sonstige Zusatzstoffe werden nicht benötigt.
Daher ist zunächst zu klären, welche Bestandteile von mRNA-1273 und BNT162b2 ([Tab. 1]) generell Anaphylaxien auslösen können.
Tab. 1
In BNT162b2 und mRNA-1273 aufgeführte Inhaltsstoffe (nach [30]
[31]).
|
BNT162b2
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mRNA-1273
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|
Nukleosid-modifizierte mRNA, die für das virale Spike (S)-Glykoprotein von SARS-CoV-2
kodiert
|
Nukleosid-modifizierte mRNA, die für das virale Spike (S)-Glykoprotein von SARS-CoV-2
kodiert
|
|
2[(Polyethylenglycol)-2000-N,N-ditetradecylacetamid
|
Polyethylenglycol (PEG) 2000 dimyristoyl glycerol (DMG)
|
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1,2-distearoyl-sn-glycero-3-phosphocholin
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1,2-distearoyl-sn-glycero-3-phosphocholin
|
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Cholesterin
|
Cholesterin
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(4-hydroxybutyl)azanediyl)bis(hexan-6,1-diyl)bis(2-hexyldecanoat)
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SM-102 (Patent von Moderna)
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Kaliumchlorid
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Tromethamin
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monobasisches Kaliumphosphat
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Tromethamin-Hydrochlorid
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Natriumchlorid
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Essigsäure
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dibasisches Natriumphosphat-Dihydrat
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Natriumacetat
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Saccharose
|
Saccharose
|
Polyethylenglykol (PEG) ist in beiden Impfstoffen enthalten und bekannt dafür, derartige
anaphylaktische Reaktionen auszulösen [1]
[3]
[32], wenngleich solche Reaktionen selten sind.
PEG wurde noch nie in einem zugelassenen Impfstoff verwendet, aber es ist in vielen
Medikamenten und Alltagsprodukten enthalten. Patienten, die zuvor mit PEG in Berührung
gekommen sind, können hohe Mengen an Antikörpern gegen PEG aufweisen, was sie dem
Risiko einer anaphylaktischen Reaktion auf den Impfstoff aussetzt [1]
[3].
Das U.S. National Institute of Allergy and Infectious Diseases (NIAID) hat gemeinsam
mit der US-amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) eine Studie initiiert,
die Reaktionen auf beide COVID-19-Impfstoffe untersuchen soll in Abhängigkeit von
zuvor vorhandenen anti-PEG-Antikörpern [1]
[3].
Beide Impfstoffe bestehen aus Nukleosid-modifizierter mRNA, die für das virale Spike
(S)-Glykoprotein von SARS-CoV-2 kodiert. Diese SARS-CoV-2-Virus-mRNA ist in Lipid-Nanopartikel
(LNPs) eingewickelt, die helfen, die mRNA zu den humanen Zellen zu transportieren.
Die LNPs wirken gleichzeitig als immunverstärkendes Adjuvans. Die LNPs sind „PEGyliert“
– chemisch an PEG-Moleküle gebunden, die die Außenseite der Partikel bedecken und
ihre Stabilität und Lebensdauer erhöhen.
PEGs werden auch in alltäglichen Produkten wie Zahnpasta und Shampoo als Verdickungsmittel,
Lösungsmittel, Weichmacher und Feuchtigkeitsträger verwendet, und sie werden seit
Jahrzehnten als Abführmittel eingesetzt. Viele Antihistaminika und Depotsteroide enthalten
in ihren Formulierungen PEGs. Auch eine zunehmende Anzahl von Biopharmazeutika und
Biologika enthält PEGylierte Verbindungen.
PEGs sind hydrophile Polyether-Verbindungen, die zahlreiche Synonyme haben (z. B.
Macrogol). Das Molekulargewicht der verschiedenen PEGs variiert von 300 g/mol bis
10 000 g/mol, und Überempfindlichkeitsreaktionen können auf PEGs aller Molekulargewichte
auftreten, wobei die Reaktionsrate auf Molekulargewichte von 3350–6000 g/mol am höchsten
ist [3]. Kreuzreaktivität zwischen PEGs und ihren Derivaten, d. h. strukturell verwandten
Polymeren wie Polysorbaten, besteht aufgrund gemeinsamer Moleküleinheiten [21]. PEGs galten lange Zeit als biologisch inert, aber immer mehr Hinweise deuten darauf
hin, dass sie es nicht sind, und verschiedene anti-PEG-Antikörper wurden bei bis zu
72 % einer Population gefunden [1]
[3], vermutlich als Folge der Exposition gegenüber Kosmetika und Arzneimitteln.
Es ist nicht geklärt, ob die PEG-assoziierten Anaphylaxien durch antigenspezifisches
Immunglobulin E (IgE) ausgelöst werden, da diagnostische Testsysteme zur Detektion
von PEG-spezifischem IgE nicht verfügbar sind und bisherige experimentelle Testsysteme
kontroverse Resultate liefern [33]
[34]. PEGs induzieren allerdings anti-PEG-Antikörper vom Typ IgM und IgG [1]
[3]
[33]. Diese können ebenfalls an einer arzneimittelinduzierten Reaktion beteiligt sein,
die als komplementaktivierungsbedingte Pseudoallergie (CARPA) bezeichnet wird. CARPA
wird vor allem durch Medikamente auf Nanopartikelbasis ausgelöst (die oft PEGyliert
sind) und vom Immunsystem z. B. fälschlicherweise als Viren erkannt werden. Es wird
vermutet, dass hohe Titer von Anti-PEG-IgG Anaphylaxien auslösen [1]
[3]. CARPA wird in Aktualisierungen des Schemas von Gell und Coombs für Hypersensitivitätsreaktionen
(HSRs) vom Typ I-IV als eigenständige Kategorie innerhalb der Typ-I-Reaktionen betrachtet,
welche durch „rezeptorvermittelte“ Mastzellaktivierungen repräsentiert ist [3]
[35]. Bindungen von Anti-PEG-IgG und -IgM an die Liposomen mit anschließender Komplementaktivierung
wurden beschrieben [3]
[35]
[38]. Unabhängig von der PEGylierung haben Liposomen das Potenzial, Komplement unspezifisch
zu aktivieren, abhängig von ihrer unterschiedlichen Oberflächenstruktur und Ladung.
Als besonders wichtige Mediatoren gelten die Komplementprodukte C3a, C4a und C5a (Anaphylatoxine)
[38] und auf zellulärer Ebene neben den Basophilen auch Neutrophile und Makrophagen als
relevante Effektorzellen, die über Immunkomplexrezeptoren (CD16, CD32 bzw. CD64) aktiviert
werden können [29]. Diese Anaphylatoxine werden bei der Komplementaktivierung unkontrolliert im Blut
freigesetzt und fungieren als effiziente niedermolekulare Regulatoren kardiovaskulärer
und vegetativer Organfunktionen [35].
Allerdings ist anzumerken, dass die Menge an PEG in den beiden COVID-19-mRNA-Impfstoffen
um Größenordnungen geringer ist als in den meisten PEGylierten Medikamenten und diese
Medikamente sogar oft intravenös verabreicht werden, während die beiden COVID-19-Impfstoffe
intramuskulär injiziert werden [1]
[3].
Zusätzlich und im Gegensatz zum Impfstoff BNT162b2 enthält mRNA-1273 Tromethamin,
auch Trometamol genannt (Summenformel: C4H11NO3) [35], ein organisches Amin, das in verschiedenen Medikamenten zur topischen, enteralen
oder parenteralen Verabreichung weit verbreitet ist [3]
[35]. Tromethamin/Trometamol wird auch in kosmetischen Produkten als Emulgator verwendet,
und es wurden Kontaktsensibilisierungen und Allergien gegen diese Verbindung beschrieben
[35] und auch Anaphylaxien bei Verwendung von Tromethamin/Trometamol als Hilfsstoff in
Röntgenkontrastmitteln auf Gadoliniumbasis oder jodierten Kontrastmitteln [35].
Diskussion
Die durch SARS-COV-2 ausgelöste Pandemie ist eine beispiellose medizinische, ökonomische
und gesellschaftliche Herausforderung, die ohne eine umfassende und kluge Vakzinierungsstrategie
nicht zu bewältigen sein wird. Deutschland hat mit Stand 08.01.2021 über 530 000 Menschen
geimpft; dies entspricht einer Quote von 6,4 Impfungen je 1000 Einwohner [36]. Aus umfangreichen Untersuchungen aus den USA wissen wir, dass auf 1000 000 verimpfte
Dosierungen mit den neuen RNA-Impfstoffen 11,1 anaphylaktische Reaktionen auftraten,
hiervon 86 % innerhalb der ersten 30 Minuten. Die Daten sind öffentlich zugänglich
und zeigen Reaktionen im Spektrum einer Grad-1/2-Reaktion nach Ring und Meßmer, die
ein leitliniengerechtes Handeln für systemische allergische Reaktionen erfordern.
Bei diesen Patienten sollte aus Sicherheitsgründen kein Impfstoff mit PEG erneut verimpft
werden. Bei leichten lokalen Reaktionen nach der Impfstoffgabe empfiehlt die britische
Allergiegesellschaft (BSACI), auch die zweite Gabe zu impfen [37].