Schlüsselwörter
Delegation - Anordnungsverantwortung - Durchführungsverantwortung - Remonstration
- Beweislastverteilung
Key words
health care law - delegation - doctor’s core responsibilities - burdon of proof
Abkürzungen
Az.:
Aktenzeichen
BGB:
Bürgerliches Gesetzbuch
CME:
Continuing Medical Education
MFA:
medizinische Fachangestellte
MTA:
medizinisch-technische Assistentin
MTAG:
Gesetz über technische Assistenten in der Medizin[
*]
MTRA:
medizinisch-technische Radiologieassistentin
PflBG:
Pflegeberufsgesetz
QM:
Qualitätsmanagement
SG:
Sozialgericht
SGB V:
5. Sozialgesetzbuch
TFG:
Transfusionsgesetz
VERAH:
Versorgungsassistentin in der Hausarztpraxis
Einleitung
Die Fülle der Anforderungen, die sowohl in einer Arztpraxis als auch in einer Klinik
an die handelnden Ärzte gestellt werden, geht weit über das medizinische Handlungsfeld
hinaus. Neben dem Erwerb der so wichtigen CME-Weiterbildungspunkte, um nachzuweisen,
dass man sein Wissen auf dem anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft gehalten
hat, kommen Strahlenschutzkurse oder andere Eignungskurse, Nachweise für neue Techniken,
Kontrolle der Weiterbildungen der Mitarbeiter sowie die Förderung und Aktualisierung
von deren Wissens- und Kenntnisstand.
Das leidige Thema Praxis-Qualitätsmanagement (QM) mit all den Verfahrensanordnungen,
Ausführungsanweisungen, hinterlegten Leitlinien etc. wird gern delegiert, wobei diese
„Delegation“ nicht die ist, auf die sich der aktuelle Beitrag bezieht. Tatsächlich
ist das QM die Niederschrift des Selbstverständlichen.
Im Rahmen des Qualitätsmanagements werden Arbeits- und Verfahrensanweisungen hinterlegt,
sodass der Ablauf einer delegierbaren Leistung nachvollziehbar ist.
Wenn jeder „nach Vorschrift“, „nach Leitlinie“ oder „nach Ausbildungsstandard“ arbeitet,
sollte alles rund laufen. Leider ist das nicht so selbstverständlich. Mithin kommt
es immer wieder zu Zwischenfällen und Schädigungen des Patienten. In einem solchen
Fall trägt allerdings der Kläger in der Regel die Beweislast, d. h. der klagende Patient
muss sowohl die schuldhafte Sorgfaltspflichtverletzung – sprich den Behandlungsfehler
– als auch den Ursachenzusammenhang zwischen Fehler und Schaden beweisen.
Beweiserleichterungen im Arzthaftungsprozess
Beweiserleichterungen im Arzthaftungsprozess
Kritisch für den beklagten Arzt oder die beklagte Gesundheitseinrichtung wird es jedoch
immer dann, wenn Beweislasterleichterungen zugunsten des klagenden Patienten oder
der klagenden Krankenkasse greifen. Zu den Beweiserleichterungen gemäß § 630 h BGB
zählen Rechtsgutverletzungen, die sich im voll beherrschbaren Herrschafts- und Organisationsbereich
verwirklicht haben, Aufklärungsversäumnisse, Dokumentationsmängel, Einsatz nicht hinreichend
qualifizierten Personals, grobe Behandlungsfehler sowie grobe Befunderhebungsfehler.
§ 630 h Abs. 4 BGB – Beweislast bei Haftungs- und Aufklärungsfehler
-
(1) Ein Fehler des Behandelnden wird vermutet, wenn sich ein allgemeines Behandlungsrisiko
verwirklicht hat, das für den Behandelnden voll beherrschbar war und das zur Verletzung
des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit des Patienten geführt hat.
-
(2) Der Behandelnde hat zu beweisen, dass er eine Einwilligung gemäß § 630 d eingeholt
und entsprechend den Anforderungen des § 630e aufgeklärt hat. Genügt die Aufklärung
nicht den Anforderungen des § 630e, kann der Behandelnde sich darauf berufen, dass
der Patient auch im Fall einer ordnungsgemäßen Aufklärung in die Maßnahme eingewilligt
hätte.
-
(3) Hat der Behandelnde eine medizinisch gebotene wesentliche Maßnahme und ihr Ergebnis
entgegen § 630f Abs. 1 oder Abs. 2 nicht in der Patientenakte aufgezeichnet oder hat
er die Patientenakte entgegen § 630f Abs. 3 nicht aufbewahrt, wird vermutet, dass
er diese Maßnahme nicht getroffen hat.
-
(4) War ein Behandelnder für die von ihm vorgenommene Behandlung nicht befähigt, wird
vermutet, dass die mangelnde Befähigung für den Eintritt der Verletzung des Lebens,
des Körpers oder der Gesundheit ursächlich war.
-
(5) Liegt ein grober Behandlungsfehler vor und ist dieser grundsätzlich geeignet,
eine Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit der tatsächlich eingetretenen
Art herbeizuführen, wird vermutet, dass der Behandlungsfehler für diese Verletzung
ursächlich war. Dies gilt auch dann, wenn es der Behandelnde unterlassen hat, einen
medizinisch gebotenen Befund rechtzeitig zu erheben oder zu sichern, soweit der Befund
mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Ergebnis erbracht hätte, das Anlass zu weiteren
Maßnahmen gegeben hätte, und wenn das Unterlassen solcher Maßnahmen grob fehlerhaft
gewesen wäre.
Eine Delegation ärztlicher Aufgaben auf nicht hinreichend qualifiziertes Personal
stellt hierbei eine große Haftungsfalle für den Praxisbetreiber dar. Denn eine solch
fehlerhafte Delegation führt dazu, dass sie als Sorgfaltspflichtverletzung eingestuft
wird.
Mithin muss der klagende Patient nicht mehr das tatsächliche Fehlverhalten der handelnden
Personen beweisen, sondern es reicht der Beweis aus, dass die handelnde Person, z. B.
die MFA, nicht hinreichend qualifiziert war (vgl. hierzu § 630a Abs. 2 BGB).
§ 630a Abs. 2 BGB – Vertragstypische Pflichten beim Behandlungsvertrag (Auszug)
Dass der Einsatz nicht hinreichend qualifizierten Personals als Sorgfaltspflichtverletzung
gewertet wird, ergibt sich aus der Tatsache, dass der in § 630a Abs. 2 BGB erwähnte
„Standard“ auch den Anspruch des Patienten umfasst, von hinreichend qualifiziertem
Personal behandelt zu werden.
Bei einer fehlerhaften Delegation kommt es hinsichtlich des Kausalitätsbeweises auch
noch zu einer Beweislastumkehr zulasten der beklagten Arztpraxis oder des beklagten
Arztes. Dies bedeutet, dass nunmehr der beklagte Arzt oder die beklage Arztpraxis
die Beweislast dafür trägt, dass die Rechtsgutverletzung auch beim Einsatz von entsprechend
qualifiziertem Personal mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ebenfalls
eingetreten wäre. Aufgrund des im Kausalitätsbeweis innewohnenden „Alles-oder-Nichts“-Prinzips
– „Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ – wird es der beklagten Arztpraxis
oder dem beklagten Arzt nur in den seltensten Fällen gelingen, einen solchen „Entlastungsbeweis“
zu führen (vgl. hierzu § 630 h Abs. 4 BGB),
§ 630 h Abs. 4 BGB – Beweislast bei Haftungs- und Aufklärungsfehler (Auszug)
-
(4) War ein Behandelnder für die von ihm vorgenommene Behandlung nicht befähigt, wird
vermutet, dass die mangelnde Befähigung für den Eintritt der Verletzung des Lebens,
des Körpers oder der Gesundheit ursächlich war.
Aufgrund des Vorgesagten und der prozessualen Brisanz ist bei der Delegation von Aufgaben
auf medizinisches Assistenzpersonal größte Sorgfalt geboten!
Eine Arztpraxis ohne „Arzthelferin“ oder medizinische Fachangestellte (MFA) ist kaum
vorstellbar. Die heute möglichen Qualifikationen der MFAs tragen der Situation Rechnung,
dass viele MFAs willens und in der Lage sind, mehr Verantwortung und delegierte Aufgaben
sachadäquat zu übernehmen ([Abb. 1]).
Abb. 1 Die Blutdruckmessung ist eine typische delegierbare Leistung, ein Grundbestandteil
des Handelns einer MFA. Quelle: Arrien GmbH.
In den Hausarztpraxen hat es sich inzwischen weitestgehend etabliert, dass VERAHs
(Versorgungsassistentinnen in der Hausarztpraxis) dem Arzt Routine-Hausbesuche abnehmen
oder die komplette Betreuung der Wundversorgung in Altenheimen oder in der Häuslichkeit
vornehmen. In den phlebologischen Praxen wurde durch die Einführung eines Kurses zur
Phlebologieassistentin ein Betätigungsfeld für die MFAs eröffnet, das in diesem speziellen
medizinischen Bereich deutlich mehr Verantwortung auf das Assistenzpersonal überträgt.
Wichtig in diesem Zusammenhang ist jedoch, dass eine VERAH oder eine Phlebologieassistentin
immer als „Delegierte“ des Arztes unterwegs ist. Sie handelt auf Anordnung und unter
der Verantwortung des sie anweisenden Arztes. Hierzu ein einführendes Fallbeispiel.
Fall 1
Die Mitarbeiterinnen einer Arztpraxis beschließen Mittwoch nach Abschluss der Sprechstunde,
bei den Kolleginnen die Hepatitis-B-Impfung aufzufrischen. Die Praxisleitung (Ärztin)
war bereits nach Hause gefahren.
Kollegin A wird geimpft und entwickelt wenige Minuten danach schwere Luftnot mit Zuschwellen
der oberen Atemwege. Sie ist vorübergehend nicht ansprechbar, atmet schwer, allerdings
selbstständig.
Kollegin B ruft sofort die Praxisleitung an, Kollegin C legt parallel dazu bereits
einen intravenösen Zugang und verabreicht hierüber eine NaCl 0,9 %-Infusionslösung.
Kollegin D holt den Notfallkoffer. Unter telefonischer Anleitung der Praxisleitung
wird der Ambu-Beutel bereitgelegt und Dexamethason unter dem Verdacht einer akuten
allergischen Reaktion intravenös verabreicht. Die Ärztin trifft ca. 10 Minuten nach
dem Vorfall in der Praxis ein. Die betroffene MFA atmet weiterhin selbstständig, ferner
wird sie langsam ansprechbar, Puls- und Blutdruck sind stabil.
Ein Rettungswagen wird gerufen, die Patientin wird sodann ins nächstgelegene Klinikum
gebracht, wo sie mit V. a. Anaphylaxie noch 2 Tage stationär behandelt wird.
Fragen zum Fallbeispiel
Ist eine Hepatitis-B-Impfung delegierbar?
Die Impfung als solche ist eine leicht durchzuführende Tätigkeit. Zur Ausbildung medizinischer
Fachangestellte gehört die Verimpfung von entsprechenden Substanzen. Die Praxisleitung
muss sich jedoch davon überzeugen, ob die angewiesene Person die Maßnahmen zur Durchführung
der Aufgabe beherrscht. Selbstverständlich sollte dieses Befähigungsprofil dokumentiert
werden. Dies war in dem obigen Fallbeispiel geschehen.
War die impfende Person befugt?
Die Praxisleitung hatte den MFAs die Fähigkeit zu impfen zugesprochen. Die Praxisleitung
hat sich von der formellen und materiellen Qualifikation der Angewiesenen überzeugt.
Eine Remonstration durch die Angewiesenen lag nicht vor.
Wie hoch ist die Komplikationsdichte?
Bei Impfungen sind unmittelbar auftretende Komplikationen äußerst selten, sodass sie
bedenkenlos delegiert werden können. Es ist allgemein anerkannte Praxis, dass das
Impfen auf eine MFA delegiert werden kann. Nach Anweisung der Praxisleitung müssen
geimpfte Patienten 30 min in der Praxis verweilen, bevor sie wieder nach Hause dürfen.
Dies war in einer Arbeitsanweisung im Rahmen des QM festgelegt. Verzögert auftretende
Komplikationen von Impfungen wie Fieber, Schmerz etc. sind im Rahmen der Aufklärung
erklärt worden und werden in der Häuslichkeit behandelt.
Wie schnell muss im Fall einer Komplikation der Arzt eingreifen können?
Bei einem anaphylaktischen Schock muss der Arzt sofort eingreifen, d. h. es darf nur
geimpft werden, wenn der Arzt im Hause ist (so auch die Arbeitsanweisung). Auch Mitarbeiter
untereinander werden zu Patienten, wenn sie die Empfänger der Impfung sind, daher
gilt auch für sie: Bei einer Impfung muss der Arzt anwesend sein, um bei Komplikationen
sofort eingreifen zu können.
Erfreulicherweise ist durch die Abwesenheit des Arztes kein Schaden entstanden.
Weil die anwesenden Mitarbeiter unmittelbar und beherzt korrekt gehandelt und nach
Rücksprache sowie telefonischer Anweisung durch die Ärztin die notwendigen Maßnahmen
ergriffen haben, ist kein Schaden für die Patientin entstanden.
Juristische Konsequenz bezogen auf das Fallbeispiel
Wäre es in diesem Fall zu einem schädigenden Ereignis gekommen, wäre die Frage der
Verantwortung zu klären. Da im Praxis-QM klar definiert ist, dass die Impfung nur
stattfinden darf, wenn der Arzt im Hause verweilt, wäre die MFA in der vorliegenden
Fallkonstellation alleinig verantwortlich gewesen, da sie gegen die ausdrücklich im
Praxis-QM hinterlegte Anweisung der Ärztin verstoßen hat.
Take Home Message
Kommen solche Verstöße gegen schriftliche Anweisungen des Arztes allerdings öfter
vor und erlangt der Arzt hiervon Kenntnis, ist es zwingend geboten, diesem Verhalten
Einhalt zu gebieten. Im Rahmen der ärztlichen Aufsichtspflicht und im Rahmen des Direktionsrechts
des Arbeitgebers sind entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, um anweisungswidriges
Verhalten zu unterbinden. Neben Ermahnungen können – abhängig von der Fallkonstellationen
– auch arbeitsrechtliche Abmahnungen als Sanktionen herangezogen werden.
Beispiel einer schriftlichen Anweisung, welche im Praxis-QM hinterlegt werden sollte
Die medizinischen Fachangestellten dürfen folgende Aufgaben im Rahmen der Delegation
nach ausdrücklicher Anweisung durch den behandelnden Arzt eigenständig wahrnehmen:
-
Blutdruckmessen,
-
Verbandswechsel,
-
Blutentnahme,
-
subkutane Injektionen folgender Wirkstoffe: … (Wirkstoffe aufführen) und
-
Ausführen weiterer Aufgaben, die einer Delegation zugeführt werden können.
Aufgabenzuordnung
Jährlich werden rund 11 000 Behandlungen, bei denen Behandlungsfehler vermutet werden,
durch die Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen bei den Ärztekammern im Hinblick
auf die Arzthaftung bewertet [1]. Gegenstand der Auseinandersetzung ist immer wieder der Vorwurf der fehlerhaften
Strukturierung der Arbeitsabläufe. Daher ist die klare Abgrenzung von Zuständigkeitsbereichen
in einem arbeitsteiligen ärztlich/pflegerischen Behandlungsprozess von eminenter Bedeutung.
Dies ist maßgeblicher Bestandteil des gesetzlich vorgeschriebenen Praxis-Qualitätsmanagements
(QM). Die Organisation und die fachlich-strukturelle Gliederung der Dienste müssen
sicherstellen, dass die ärztliche Gesamtverantwortung von den Aufgaben des nichtärztlichen
Personals deutlich abgegrenzt wird.
In der Vergangenheit orientierte sich die Abgrenzung der Kompetenzbereiche an Grundsätzen
der Rechtsprechung, da der bundesdeutsche Gesetzgeber keine eindeutige Abgrenzung
der Verantwortungssphären zwischen Ärzten und anderen Gesundheitsberufen vorgesehen
hatte. Wenngleich durch das Pflege-Weiterentwicklungsgesetz seit dem 1.07.2008 Pflegefachkräfte
in speziellen Modellprojekten gemäß § 63 SGB V als eigenständige Leistungserbringer
im Gesundheitswesen anerkannt werden können, die selbstständig zur Ausübung der Heilkunde
berechtigt sind (vgl. hierzu § 63b u. § 63c SGB V), hat diese Entwicklung keine unmittelbare
Auswirkung auf das herkömmliche Verantwortungsgeflecht zwischen Ärzten und Pflegefachkräften.
Delegation auf praxisexterne Dienstleister
Delegation auf praxisexterne Dienstleister
Gemäß dem Vorgesagten entsteht bei der Delegation von Aufgaben auf praxisexterne Dienstleister
ein besonderes Verantwortungsgeflecht. Bezüglich der Übertragung von Aufgaben auf
Dritte sind z. B. folgende Handlungen betroffen:
-
das Verabreichen von Medikamenten durch die häusliche Krankenpflege,
-
das Vornehmen von Verbandswechseln und
-
das Bandagieren von Beinen etc. [2]
[3].
Zunächst ist festzustellen, dass die Handlung auf Anweisung des Arztes erfolgt, der
grundsätzlich im Rahmen seiner Anordnungsverantwortung die subjektive Fähigkeit des
Angewiesenen zu überprüfen hat. Soweit die Delegation der Aufgaben sich im Rahmen
des Ausbildungsprofils des Angewiesenen bewegt, kann der delegierende Arzt davon ausgehen,
dass die angewiesene Maßnahme, z. B. das Bandagieren des Beines, von der angewiesenen
Person sachgerecht durchgeführt wird ([Abb. 2]).
Abb. 2 Das Bandagieren der Wade bei Ödem ist eine delegierbare Leistung. Abgesehen von den
während der Ausbildung vermittelten Fertigkeiten muss die ausführende Person aber
Kenntnisse über das verwendete Material sowie dessen Handhabung und über die Wickeltechniken
bei verschiedenen Sorten von Ödem (z. B. Lymphödem ab Zehenspitzen, Wadenödem wie
hier ab Vorfuß) besitzen. Diese Kenntnisse sollten ständig aktualisiert werden und
in Weiterbildungen wie auch praktisch geübt werden. Quelle: Arrien GmbH.
Es ist nicht möglich, dass der Arzt sich von jedem Mitarbeiter des Pflegedienstes
zeigen lässt, dass er entsprechend der Ausbildung die Maßnahmen auch tatsächlich technisch
korrekt beherrscht bzw. auch das Material kennt, welches der Arzt zum Bandagieren
verordnet hat. Der Arzt haftet daher bei der Delegation von Maßnahmen an externe Dienstleister
im Rahmen seiner Durchführungsverantwortung nur für die Verordnung des korrekten Materials
und die korrekte Therapieanordnung – z. B. darf bei akutem Erysipel keine Bandagierung
verordnet werden. Sind sowohl die Indikation und das verordnete Material korrekt als
auch die Anordnung auf der Verordnung ausreichend klar formuliert, trifft im Schadensfall
die haftungsrechtliche Verantwortung den externen Dienstleister, beispielsweise beim
Auftreten eines Druckulkus, weil die Bandage zu festgezogen wurde.
Delegation innerhalb der Arztpraxis
Delegation innerhalb der Arztpraxis
Abseits der eigenverantwortlichen Ausübung von heilkundlichen Aufgaben durch Pflegefachkräfte
(Allokation) gilt in einem zivilgerichtlichen Haftungsprozess wegen eines Behandlungsfehlers,
der im Zuge der Ausführung einer delegierten Maßnahme verursacht worden ist, nach
wie vor das Anordnungsmonopol der Ärzte. Der delegierende Arzt muss also genau festlegen,
welche Aufgaben delegierbar sind und ob diese tatsächlich innerhalb der konkreten
Praxissituation übertragen werden können und wer als „Delegat“ (sprich: Person, die
die Leistung ausführt) ausreichend qualifiziert ist. Das bedeutet:
Bestimmte Aufgaben dürfen keineswegs und andere nur unter gewissen Voraussetzungen
an nichtärztliches Personal übertragen werden.
Vertikale Arbeitsteilung
Betroffen von dem Aufgabentransfer sind zahlreiche Aufgabenfelder, da eine Vielzahl
von medizinischen Behandlungsmaßnahmen (z. B. subkutane Injektionen, das Wechseln
eines Wundverbandes oder die Gabe von Medikamenten) nicht direkt von Ärzten, sondern
im Rahmen der vertikalen Arbeitsteilung durch nichtärztliches Personal erbracht wird.
Diese sogenannte vertikale Arbeitsteilung ist durch ein Unter- und Überordnungsverhältnis gekennzeichnet, welches auf der jeweiligen Fachqualifikation und/oder Weisungsgebundenheit
des angewiesenen Personals gründet [4]. Horizontale Arbeitsteilung hingegen meint die Aufteilung von Aufgaben innerhalb einer Berufsgruppe.
Die vertikale Arbeitsteilung beinhaltet die komplette Praxisorganisation beginnend
mit der Terminvergabe am Telefon, der Annahme des Patienten in der Praxis, der Eingabe
der Daten mit Anamneseerhebung bis hin zur Ausführung der technischen Untersuchungen.
Ferner werden die Durchführung von Verbandswechsel, Injektionen oder komplexe Vorgänge
wie das Führen von eigenen Sprechstunden (Ernährungsberatung, Betreuung von chronischen
Wunden) vom medizinischen Assistenzpersonal übernommen.
Das Stellen einer Diagnose ist dabei eine Aufgabe, die niemals delegiert werden darf,
auch wenn alle Schritte, die zur Diagnose führen, von MFAs durchgeführt werden können
und sie mit der entsprechenden Erfahrung die Diagnose am Ende auch kennen.
Zum besseren Verständnis ein Beispiel:
Verantwortungsbereich von Phlebologieassistenten bei der Notfallvorstellung eines
Patienten zum Ausschluss einer Thrombose
Phlebologieassistent*innen sind qualifiziert
-
zur Umfangsmessung von Beinen,
-
zur Palpation,
-
zur Inspektion,
-
zur Erhebung der einschlägigen Anamnese (Wells-Score) sowie
-
zur Durchführung eines D-Dimers bei positivem Wells-Score.
In einigen Fällen sind sie sogar ausgebildet, Sonografiebefunde zu erheben und zu
dokumentieren.
Die Diagnose „Thrombose“, die dann möglicherweise schon offensichtlich ist und sich
dem Delegaten auch erschließt, darf aber nur der Arzt in der Gesamtschau der erhobenen
Befunde und unter persönlichem Betätigen des Schallkopfes auf der Thrombose selbst
stellen.
Tatsächlich wird das in anderen Ländern anders gehandhabt: Dort gibt es sogenannte
„Technicians“, die die komplette technische Diagnostik inklusive des Ultraschalls
durchführen und die Diagnosen selbst stellen. In Deutschland ist dies jedoch derzeit
so nicht vorgesehen.
Auch die auf der Diagnose fußende Therapie ist dem alleinigen Verantwortungsbereich
des Arztes zuzuordnen. Nur die der Therapie zugrunde liegenden Behandlungsmaßnahmen
können unter den unten aufgezeigten Voraussetzungen einer Delegation zugeführt werden.
Wenngleich die Effektivität und der ökonomische Nutzen einer Aufgabenteilung generell
unbestritten sind, werden zugleich die Reichweite bzw. die Grenzen einer zulässigen
Delegation seit Jahrzehnten unter Gesundheitsrechtlern diskutiert. Nur wenige Rechtsnormen
schreiben ausdrücklich das Tätigwerden des Arztes vor. Das ist abgesehen von der Diagnosestellung
z. B. der Fall bei der Anwendung von Blutprodukten, geregelt in z. B. § 13 Transfusionsgesetz
(TFG) [5]:
§ 13 TFG – Anforderungen an die Durchführung (Auszug)
Hier gilt als „gesetzt“ der Ausbildungsstandard des jeweiligen Berufes (insbesondere
medizinische Fachangestellte für die Arztpraxis). Aus dem Ausbildungsziel des neuen
Pflegeberufsgesetzes (PflBG) leitet sich die Befähigung der Pflegefachfrau oder des
Pflegefachmanns zur eigenständigen Durchführung ärztlich angeordneter Maßnahmen ab
(vgl. § 5 Abs. 3 Nr. 2 PflBG) – eine Beschreibung, welche Maßnahmen darunter fallen,
findet sich allerdings weder an dieser noch an anderer Stelle des Gesetzes. Mögliche
Anhaltspunkte zur Definition der Kompetenzbereiche können deshalb nur der juristischen
Literatur, den Stellungnahmen der Berufs- und Fachverbände und nicht zuletzt der Rechtsprechung
entnommen werden.
§ 5 Abs. 3 Nr. 2 PflBG – Ausbildungsziel (Auszug)
Take Home Message
Aus Sicht der Arztpraxis ist es häufig prozessentscheidend, dass das eingesetzte Personal
in einem Haftungsprozess als hinreichend befähigt eingestuft wird. Insbesondere ist
es erforderlich, die materielle Qualifikation des zum Einsatz gebrachten Personals
gerichtsfest darstellen zu können. Die tatsächlichen Fähigkeiten des eingesetzten
Personals sollten insoweit durch strukturierte Fort- und Weiterbildungspläne und entsprechende
Befähigungsnachweise transparent und nachvollziehbar sein.
Eine entsprechende Dokumentation ist zwingend erforderlich. Nur so kann der Gefahr
begegnet werden, dass vonseiten des Gerichts die materielle Qualifikation verneint
wird. Impulse für die Beantwortung der Fragestellung nach der Reichweite der Delegation
von Maßnahmen an Assistenzpersonal sowie angelernte Kräfte folgen aus einer Entscheidung
des SG Speyer [7].
Aus der haftungsrechtlichen Diskussion haben sich folgende Kriterien, die bei einer
Übertragung von Aufgaben berücksichtigt werden müssen, herausgebildet:
Die objektive Gefährlichkeit der angewiesenen Maßnahme umfasst z. B. den Risikograd des Eingriffs, die Häufigkeit
der möglicherweise auftretenden Komplikationen sowie die Gefährdungsnähe der angewandten
Technik. Je höher das Risiko und je häufiger die Möglichkeit der Komplikation, desto
höher ist die Gefährlichkeit einzuschätzen. Diese Maßnahmen sind dann eher nicht delegierbar.
Die subjektiven Fähigkeiten des Angewiesenen bezieht sich auf die Fähigkeit des Angewiesenen sowohl in materieller
als auch formeller Hinsicht.
-
Die formelle Qualifikation umfasst die Fähigkeiten, welche durch die Ausbildung und die Weiterbildungen erworben
werden. Mithin stellen die Ausbildungs- und Prüfungsordnungen der einzelnen Fachberufe
eine wesentliche Erkenntnisquelle dafür dar, was überhaupt übertragen werden kann.
-
Selbstverständlich muss der Angewiesene das Erlernte auch fehlerfrei in der Praxis
zur Anwendung bringen können. Hierunter ist die materielle Qualifikation zu verstehen. Daher muss der delegierende Praxisinhaber sich immer davon überzeugen,
dass der Angewiesene die übertragende Aufgabe auch tatsächlich beherrscht. Dieser
Vorgang sollte dann im Rahmen des QM oder der Personalakte hinterlegt werden.
Bei der Verabreichung einer Impfung gehören zur Beherrschung der Aufgabe
-
die ordnungsgemäße Beherrschung der Impftechnik,
-
Informationen über Wirkungen und Nebenwirkungen des verabreichten Wirkstoffs sowie
-
die Fähigkeit der ausführenden Fachkraft, die Reaktion des Patienten richtig deuten
zu können.
Delegationsmodell am Beispiel einer Injektion
Die zu prüfenden Delegationsvoraussetzungen sollen am Beispiel der Delegation der
Verabreichung eines Wirkstoffs durch Injektion dargestellt werden: Bei der Prüfung
der objektiven Gefährlichkeit ist im Rahmen der Komplikationsdichte und Gefährdungsnähe
auch der Zustand des Patienten zu berücksichtigen. Ferner sollten Negativkataloge
bezüglich der zu verabreichenden Wirkstoffe praxisbezogen festgelegt werden.
Im Rahmen der subjektiven Fähigkeit des Angewiesenen muss neben der formellen Qualifikation
auch die materielle Qualifikation zwingend beachtet werden. Neben der Beherrschung
der Injektionstechnik müssen grobe Kenntnisse über die Wirkungen und Nebenwirkungen
des verabreichten Wirkstoffs beim Angewiesenen vorliegen. Sowohl die Krankenbeobachtung
als auch Erste-Hilfe-Maßnahmen müssen vom Angewiesenen beherrscht werden. Die materiellen
Fähigkeiten können durch einen Befähigungsnachweis schriftlich hinterlegt und der
Dokumentation zugeführt werden.
Bedeutung für die Praxis
Eine Delegation ärztlicher Aufgaben verbietet sich immer dann, wenn mit der Maßnahme
eine derart hohe Komplikationsdichte verbunden ist, dass diese nur durch ärztliches
Fachwissen und -können zu beherrschen wäre. Umgekehrt gilt jedoch: Je geringer die
Komplikationsdichte und Gefährdungsnähe, desto eher kann die Maßnahme auch delegiert
werden [8].
Wird die Zulässigkeit der Delegation einer Maßnahme nun grundsätzlich bejaht und ist
der richtige Adressat ausgewählt, stehen den positiven Effekten des arbeitsteiligen
Vorgehens die bekannten Gefahren wie beispielsweise Koordinations- und Kommunikationsfehler,
Organisations- und Kontrollfehler gegenüber. In diesem Zusammenhang ist fraglich,
welche Sorgfaltspflichten für den Delegierenden erwachsen und wie diese ausgefüllt
werden müssen.
Anordnungsverantwortung
Steht die Delegationsfähigkeit einer Maßnahme außer Frage und ist auch der richtige,
also der zur Übernahme entsprechend qualifizierte Delegationsadressat ausgewählt worden,
so ist der Arzt für eine ordnungsgemäße Anordnung der Maßnahme verantwortlich. Anordnungsverantwortung,
Instruktions- und Überwachungspflicht sind dabei Bestandteil der ärztlichen Gesamtverantwortung,
die trotz arbeitsteiligem Vorgehen beim Arzt verbleibt.
Fall 2
Einer Entscheidung des OLG Dresden (s. RDG 2008, S. 240 ff. [9]) liegt die Behauptung der Delegation an nicht hinreichend qualifiziertes Personal
zugrunde. Eine Patientin hat die Ärzte einer radiologischen Gemeinschaftspraxis als
Gesamtschuldner auf Schmerzensgeld und Feststellung der Ersatzpflicht für die Folgen
einer Technetium-Lösung in die Vene ihrer rechten Ellenbeuge in Anspruch genommen.
Die Injektion wurde von der leitenden medizinisch-technischen Radiologieassistentin
(MTRA) vorgenommen. Die Patientin behauptete unter anderem, dass diese nicht über
das erforderliche Qualifikationsprofil verfüge und derartige Injektionen generell
dem Arzt vorbehalten seien.
Das Landgericht Dresden hat die Klage abgewiesen (Az.: 6 O 3070/03). Auch die Berufung
der Patientin war nicht erfolgreich. Das Oberlandesgericht Dresden urteilte, dass
die Delegation der Injektion auf die MTA nicht behandlungsfehlerhaft gewesen sei.
Es handelte sich einerseits um eine erfahrene und fachgerecht ausgebildete Kraft (materielle
und technische Qualifikation), und andererseits war sie zur Verabreichung auch befugt
(Arbeitsanweisung).
Wie alle Arbeiten einer ärztlichen Praxis werden zwar derartige Injektionen dem ärztlichen
Verantwortungsbereich zugerechnet. Es handelt sich hierbei aber nicht um eine Tätigkeit,
die aufgrund ihrer Schwierigkeit, Gefährlichkeit oder Unvorhersehbarkeit zwingend
von einem Arzt erbracht werden muss, und daher ist die Aufgabe delegierbar. Die Risiken
der Technetium-Injektion wurden mit denen einer Blutentnahme verglichen, die ebenfalls
regelmäßig auf nichtärztliche Fachkräfte übertragen werden kann ([Abb. 3]). Hinzu trat, dass im Rahmen der Berufsausbildung zur MTA die für die Verabreichung
einer Injektion erforderlichen medizinischen Grundlagenkenntnisse vermittelt werden
(§ 3 Nr. 2 MTAG).
Abb. 3 Die Blutentnahme ist eine für Arzthelferinnen übliche Aufgabe, die zu den klassischen
delegierbaren Leistungen gehört. Allerdings ist der Schwierigkeitsgrad höher als der
einer Blutdruckmessung. Quelle: Arrien GmbH.
Da die behaupteten Irritationen (Verletzung der A. brachialis mit Ausbildung eines
Hämatoms in der Ellenbogenbeuge) auch bei größter Sorgfalt nicht immer vermeidbar
sind, wurde die Berufung zurückgewiesen [9].
Aus dem vorbezeichneten Fallbeispiel 2 lassen sich folgende Delegationsgrundsätze
herausarbeiten (die nachfolgende Checkliste kann für delegierbare Leistungen herangezogen
werden; dabei ist es wichtig, dass im Rahmen der Beurteilung der objektiven Gefährlichkeit
jeweils eine Begründung angeführt werden sollte, wieso die Aufgabe nicht dem Kernbereich
ärztlichen Handelns zuzurechnen ist):
Checkliste
-
Übertragbarkeit der Aufgabe (objektive Gefährlichkeit)
-
Gehört die zu übertragende Aufgabe zum Kernbereich medizinischer (und daher nicht
delegierbarer) Behandlung? Dies ist abhängig von:
-
Sind die Schwierigkeit und das Risiko nicht hoch und die etwaigen Reaktionen vorhersehbar, ist die Aufgabe grundsätzlich
übertragbar. Im vorliegenden Fall kann die bei sachgerechter Durchführung sehr selten
auftretende Verletzung eines benachbarten Gefäßes in Kauf genommen werden, zumal die
Folgen (Hämatom) gering sind.
-
Beherrschung durch Delegaten (subjektive Fähigkeit)
-
Formelle Qualifikation (Ausbildungsnachweise, die auf eine bundes- oder landesrechtliche Ausbildungsregelung
fußen): Die MTA war durch ihre Ausbildung zu der Anlage eines Zugangs in der Armbeuge
und zur Infusion eines Kontrastmittels auf Anweisung des verantwortlichen Arztes qualifiziert.
-
Materielle Qualifikation (persönliche Überzeugung der Fähigkeiten des Mitarbeiters): Der verantwortliche Arzt
hat sich im Rahmen der Probezeit der MTA sowie danach im täglichen gemeinsamen Arbeiten
wiederholt davon überzeugen können, dass die MTA die Anlage der Infusion beherrscht.
Im besten Fall ist dies auch im QM oder in der Personalakte hinterlegt (Beispiel in
[Abb. 4]).
-
Anordnung des Arztes (in der Regel schriftlich) oder in Abläufen festgelegt – im vorliegenden
Fall gibt es eine Arbeitsanweisung, dass bei Magnetresonanztomografie mit Anwendung
einer Infusion die MTA diese Infusion anlegt; in anderen Fällen z. B. auch die generelle
Untersuchung z. B. von Puls und Blutdruck bei neuen Patienten.
-
Remonstrationsrecht: Dies regelt das Recht des Delegaten (sprich der Person, die die Aufgabe übertragen
bekommt), diese abzulehnen und dazu auch ausreichend Gelegenheit zu bekommen (→ allgemeines
Remonstrationsrecht des Delegaten immer beachten!).
-
Ärztliche Dichte (Wie schnell kann der anordnende Arzt im Komplikationsfall einschreiten?) Für das
erste Fallbeispiel (Impfung), bei der die Komplikation sofort eintreten kann, muss
der Arzt im Hause sein. Für das Beispiel mit der Anlage der Infusion bei Magnetresonanztomografie
ist der Arzt ohnehin im Haus, da sonst die Untersuchung nicht durchgeführt würde.
Die Komplikation trat ohnehin zeitverzögert auf (Hämatombildung) und hätte im ersten
Moment nicht beobachtet oder vermieden werden können durch die Anwesenheit eines Arztes.
Abb. 4 Messung des Knöchel-Arm-Index: Der Blutdruck am Knöchel und am Fußrücken wird mit
einer Doppler-Stiftsonde (hier: korrekte Haltung der Stiftsonde nicht senkrecht zur
Haut, sondern in Richtung der Arterie) und einem Blutdruckmessgerät abgeleitet. Quelle:
Arrien GmbH.
Beispiel: Messung des Knöchel-Arm-Index
Die Messung des Knöchel-Arm-Index zur Diagnostik bei Verdacht auf arterielle Verschlusskrankheit
ist eine delegierbare Leistung. Dabei wird der Blutdruck am Knöchel und am Fußrücken
mit einer Doppler-Stiftsonde und einem Blutdruckmessgerät abgeleitet ([Abb. 4]). Allein die korrekte Haltung der Stiftsonde (nicht senkrecht zur Haut, sondern
in Richtung der Arterie, wie hier im Bild zu sehen) ist Übungssache und erfordert
umfangreiche spezifische Kenntnisse. Das Ergebnis ist sehr stark von der korrekten
Durchführung abhängig. Die reine Ausbildung zur medizinischen Fachangestellten reicht
nicht aus. Die Mitarbeiter müssen vom Praxisinhaber speziell geschult werden bzw.
diese Schulung muss sichergestellt werden. Der Arzt muss sich persönlich versichern,
dass die Untersuchung beherrscht wird.
Take Home Message
Hat die Überprüfung des Sachverständigen ergeben, dass die übertragene Aufgabe bereits
wegen objektiver Gefährlichkeit nicht übertragbar ist, so ist die mit der Aufgabenwahrnehmung
beauftragte MFA nicht hinreichend qualifiziert, was sich zugunsten der klagenden Partei
auf der Sorgfaltspflichtverletzungs- und Kausalitätsebene beweiserleichternd auswirkt.
Fall 3 – Beispiel für fehlende Qualifikation
Die Klägerin begab sich zur Vornahme eines plastischen Eingriffs, der unter Vollnarkose
durchgeführt werden sollte, in die Klinik des Beklagten. Nach erfolgtem Eingriff wurde
die Klägerin zur postoperativen Betreuung auf ein Patientenzimmer verbracht. Die Versorgung
zur Nacht übernahm eine (ebenfalls beklagte) Medizinstudentin im 10. Semester; sie
war als einzige Nachtwache vorgesehen. Bei der Übergabe durch den Anästhesisten schrieb
dieser eine Medikamentenliste, die u. a. auch den Eintrag „Infusionsrest aus OP i. v.“
enthielt. Nachdem die Klägerin sich in der Nacht mehrfach hat übergeben müssen, infundierte
die Medizinstudentin den zuvor aus dem OP geholten Tropf. Die Infusionsflasche, die
mit „NaCl“ beschriftet war, enthielt aber außer Kochsalzlösung auch das Medikament
Propofol, womit der Anästhesist die Narkose durchgeführt hatte. Die Klägerin geriet
in einen reanimationspflichtigen Zustand und verblieb – nach notärztlicher Versorgung
– im Zustand des Wachkomas.
Das LG Mainz stellte später fest, dass die Medizinstudentin für die alleinige postoperative
Überwachung medizinisch nicht geeignet war. Ein Medizinstudent im 10. Semester hat
ganz überwiegend theoretische Kenntnisse erworben. Es fehlt ihm aber regelmäßig an
der praktischen Ausbildung für den Dienst am Patienten, so die Richter. Schon mit
der eigentlich geringfügigen Komplikation einer Übelkeit war die Medizinstudentin
hoffnungslos überfordert.
Mithin ist der Fall zu Lasten der Gesundheitseinrichtung entschieden worden.
Durchführungsverantwortung
Das angewiesene Personal trägt bezüglich der Aufgabenerledigung immer die sogenannte
Durchführungsverantwortung. Hierbei handelt es sich um die Verantwortung, die angewiesene
Maßnahme sach- und fachgerecht zu erledigen. Mithin ist es aus Sicht des Ausführenden
von Bedeutung, dass im Rahmen einer Eigenkontrolle festgestellt wird, ob der Ausführende
aufgrund seiner formellen und materiellen Qualifikation in der Lage ist, die angewiesene
Maßnahme ordnungsgemäß durchzuführen. Kommt es bei der Durchführung einer Maßnahme
zu einer Schädigung des Patienten und ist diese Schädigung auf ein Fehlverhalten des
Durchführenden zurückzuführen, so ist der Handelnde für den entstandenen Schaden zur
Verantwortung zu ziehen [10]. In diesem Fall ist tatsächlich der Arzt von der Haftung befreit.
Zu beachten
Das angewiesene Personal sollte wissen, dass es die Ausführung einer Aufgabe verweigern
darf, wenn es sich z. B. nicht ausreichend auf diese Aufgabe vorbereitet fühlt oder
wenn die angewiesene Person die Situation anders einschätzt als der Beauftragende
und sich daher der Situation nicht gewachsen fühlt. Das bedeutet „fehlende Durchführungskompetenz“
(real oder vom Ausführenden so empfunden): Im Falle der fehlenden Durchführungskompetenz
sollte jeder von seinem Recht Gebrauch machen dürfen, die Übernahme der Aufgabe zu
verweigern. Mitarbeiter sollten von dem Praxisleiter bestärkt und unterstützt werden,
bei fehlender eigener Kompetenz dies auch gegenüber dem Anweisenden zum Ausdruck bringen
zu dürfen ohne mit negativen Konsequenzen rechnen zu müssen.
Das Recht, eine delegierte Aufgabe zu verweigern, heißt Remonstrationsrecht.
Schlussfolgerung
Delegierbare Leistungen sind keine Selbstverständlichkeit, auch wenn es sich oft so
anfühlt. Arzthelferinnen oder MFAs „sind dazu da“, subkutane Injektionen zu verabreichen
oder geschwollene Beine zu wickeln. Die Anordnungen zur korrekten Durchführung (Indikation,
Material, Ausführung, Erläuterungen an den Patienten) müssen im Rahmen des QM der
Praxis hinterlegt werden.
Tipp
Ob diese Fähigkeiten von jedem Mitarbeiter in der Ausbildung erlernt und in der Praxis
korrekt angewandt werden können, muss vom verantwortlichen Arzt festgestellt und nachvollziehbar
dokumentiert werden. Es ist sinnvoll, ein solches Befähigungsprofil für jeden Mitarbeiter
zu führen. Nur so ist man in einem Haftungsprozess gegen mögliche Ansprüche klagender
Patienten gewappnet.
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Bei der Delegation ärztlicher Aufgaben auf nichtärztliches Personal muss zunächst
festgestellt werden, ob die Aufgabe überhaupt delegierbar ist oder dem Kernbereich
ärztlichen Handelns zugewiesen werden muss. Bei der Beurteilung der Delegierbarkeit
einer Aufgabe sind die Komplikationsdichte und die Gefährdungsnähe einer Aufgabe einer
kritischen Beurteilung durch den Anweisenden zuzuführen.
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Ist eine ärztliche Tätigkeit als delegierbar eingestuft worden, muss der Delegationsempfänger
hinreichend qualifiziert sein. Es ist mithin die formelle und materielle Qualifikation
zu überprüfen.
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Die formelle Qualifikation beschreibt die erlernten Fähigkeiten des Delegaten, die
auf einer bundes- oder landesrechtlichen Ausbildungsregelung fußen.
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Die materielle Qualifikation beschreibt die tatsächlichen Kenntnisse und Fähigkeiten
des Delegaten.
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Bei der Delegation ärztlicher Aufgaben trägt der Anweisende die Anordnungsverantwortung,
welche die Auswahlverantwortung (Auswahl des richtigen Anordnungsadressaten), die
Handlungsverantwortung (Auswahl der richtigen Maßnahme) und die Kontrollverantwortung
(Kontrolle des Anordnungsadressaten) umfasst.
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Neben der Anordnungsverantwortung des Angewiesenen trägt das durchführende Personal
die sogenannte Durchführungsverantwortung. Die Durchführungsverantwortung umschreibt
die Sorgfaltsverantwortung (die Verantwortung zur sachadäquaten Ausführung der übertragenen
Aufgabe) und die Übernahmeverantwortung (Selbstprüfung des Durchführenden, ob er in
der Lage ist, die Maßnahme ordnungsgemäß zu erledigen).
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Sollte der Angewiesene sich nicht imstande fühlen, die angewiesene Aufgabe sachadäquat
zu erfüllen, hat er das Recht zu remonstrieren. Remonstration bedeutet, dass der Angewiesene
das Recht hat, die ihm übertragene Aufgabe zurückzuweisen.
Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen
Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen für diesen Beitrag
ist Dr. med. Erika Mendoza, Wunstorf.