Verbreitung und Implementierung
Die Leitlinie wird neben der Zeitschrift für Gastroenterologie bei AMBOSS und auf
den Homepages der DGVS (www.dgvs.de ) und der AWMF (www.awmf.de ) veröffentlicht.
Gültigkeitsdauer und Aktualisierungsverfahren
Die Gültigkeit wird auf 5 Jahre geschätzt (2026). Die Überarbeitung wird durch den
Leitlinienbeauftragten der DGVS initiiert werden.
Ein Addendum zu den 2020 zugelassenen Medikamenten zur Therapie der Hepatitis D ist
derzeit in Vorbereitung. Die Steuergruppe der Leitlinie prüft jährlich den Aktualisierungbedarf
der Leitlinie. Als Ansprechpartner steht Ihnen Frau van Leeuwen (vanleeuwen@dgvs.de ) von der DGVS-Geschäftsstelle zur Verfügung.
1. Diagnostik der Hepatitis-B-Virusinfektion
U. Protzer, C. Niederau , S. Böhm, S. Ciesek, J. Timm, V. Knop, P. Schirmacher, C. Schüttler
1.1 Wie und bei wem soll eine Diagnostik auf eine HBV-Infektion erfolgen?
Zur initialen Diagnostik einer HBV-Infektion soll HBsAg und in der Regel Anti-HBc
bestimmt werden [2, A].
Konsens: 100 % (Konsensuskonferenz)
Geprüft 2020
Kommentar:
Für das initiale Screening ist die Bestimmung von HBsAg und Anti-HBc erforderlich.
HBsAg wird durch Immunoassays mit hoher Sensitivität und Spezifität bestimmt. Obwohl
das HBsAg ein exzellenter Parameter für das Screening ist, können falsch negative
und falsch positive Befunde die Diagnostik erschweren. In der Frühphase der Infektion
kann die Menge an HBsAg so gering sein, dass auch empfindliche Tests es nicht nachweisen.
Diese Phase kann mehrere Wochen dauern. Zu geringe Mengen an HBsAg unter der Nachweisgrenze
werden auch bei gering ausgeprägter akuter oder persistierender okkulter HBV-Infektion
beobachtet. Ein Nachweis der Infektion ist in diesen Fällen durch eine hochempfindliche
Bestimmung der HBV-DNA möglich. Für das initiale Screening ist die Bestimmung von
HBsAg und Anti-HBc ausreichend.
Ein falsch negativer HBsAg-Test kann durch Escape-Variationen in den HBsAg-Epitopen
bedingt sein, da solche Varianten u. U. nicht oder nur schlecht an die zur Detektion
benutzten Antikörper binden (Evidenz 2b). [16 ]
Da unterschiedliche HBsAg-Tests verschiedene Antikörper zum Nachweis verwenden, können
diskrepante Ergebnisse entstehen (Evidenz 4). Eine Klärung kann durch den HBV-DNA-Nachweis
mittels PCR erfolgen [17 ]
[18 ].
Ein falsch positives HBsAg-Testergebnis (gehäuft beobachtet bei Dialysepatienten oder
post mortem bei Organspendern) kann in der Regel durch Neutralisation mit Anti-HBs
(vom Hersteller empfohlener Bestätigungstest/Neutralisationstest) ausgeschlossen werden.
Die Einbeziehung des Anti-HBc-Antikörper-Befundes und unter Umständen ein Nachweis
von HBV-DNA können notwendig und sinnvoll sein.
Während ein positives HBsAg eine Viruspersistenz oder eine Integration von HBV-DNA
in Hepatozyten anzeigt, findet man Anti-HBc-Antikörper nach fast jedem Viruskontakt.
Der Nachweis von Anti-HBc IgG erlaubt keine Aussage, ob eine Infektion persistiert
oder ausgeheilt ist.
Bei allen Schwangeren soll ein HBsAg-Screening erfolgen [2, A].
Konsens: 100 % (Konsensuskonferenz)
Modifiziert 2020
Evidenztabelle siehe Leitlinienreport Anhang III
NKLM
Kommentar:
Da auch in Niedrig-Endemie-Gebieten 0,4 bis 1,5 % der Schwangeren HBsAg-Träger sind
und damit ein Risiko der Übertragung der HBV-Infektion auf das Kind besteht, ist ein
generelles HBsAg-Screening in der Schwangerschaft in Deutschland seit 1994 vorgeschrieben.
Dieses Screening sollte so früh wie möglich durchgeführt werden, um mit der Therapie
– falls erforderlich – nach dem ersten Trimester, aber idealerweise vor der 28. Schwangerschaftswoche
beginnen zu können (siehe 3.12). Die aktuelle Mutterschaftsrichtlinie sieht abweichend
hiervon vor, bei allen Schwangeren nach der 32. Schwangerschaftswoche, möglichst nahe
am Geburtstermin, einen Test auf eine Hepatitis-B-Virus(HBV)-Infektion der Mutter
durchzuführen (HBsAg-Test) (https://www.g-ba.de/downloads/62-492-2130/Mu-RL_2020-02-20_iK_2020-04-28.pdf ).
Ist die Mutter HBsAg-positiv, soll das Neugeborene unmittelbar (innerhalb der ersten
12 Stunden) post partum gegen Hepatitis B aktiv und passiv immunisiert werden, um
eine Mutter-Kind-Übertragung des HBV zu verhindern (siehe 5.9).
Eine vertikale HBV-Transmission (Mutter-Kind-Übertragung) kann trotz adäquat durchgeführter
aktiv-passiver Impfung des Neugeborenen allerdings nicht komplett verhindert werden
[19 ]
[20 ]
[21 ]
[22 ].
In verschiedenen Kohorten betrug das Übertragungsrisiko bis zu 32 %, wenn die Mütter
eine sehr hohe HBV-Viruslast hatten (≥ 107 –108 IU/ml). Durch eine Reduktion der Viruslast (< 200 000 IU/ml) mittels antiviraler
Therapie (z. B. Tenofovir, TDF) lässt sich dieses Risiko reduzieren (siehe 3.12).
Bislang gibt es keine Evidenz, dass bei einer HBV-DNA < 200 000 IU/ml eine vertikale
Transmission auftritt [19 ]
[20 ]
[22 ].
Daher empfehlen aktuelle internationale Leitlinien (EASL, AASLD, WHO), dass bei Vorliegen
einer HBV-DNA-Konzentration > 200 000 IU/ml eine antivirale Therapie mit Tenofovir
(TDF) erfolgen sollte, um das Risiko einer vertikalen Transmission (Mutter-Kind-Übertragung)
zu reduzieren. [6 ]
[7 ]
[23 ] (siehe 3.12).
Wird eine Therapie zur Reduzierung des vertikalen Transmissionsrisikos durchgeführt,
sollte die Therapie möglichst frühzeitig begonnen werden, um die HBV-DNA zum Zeitpunkt
der Geburt auf < 200 000 IU/ml zu reduzieren. In den meisten Studien wurde die Therapie
vor der 28. bis 32. Schwangerschaftswoche gestartet. [19 ]
[20 ]
[21 ]
[22 ]
[24 ]
[25 ] Die WHO-Leitlinie empfiehlt, die Therapie – wenn erforderlich – vor der 28. Schwangerschaftswoche
zu beginnen [23 ].
Erfolgt das Screening auf HBsAg gemäß der Mutterschaftsrichtlinie erst nach der 32.
Schwangerschaftswoche, werden Mütter mit einer Indikation für eine antivirale Therapie
jedoch viel zu spät diagnostiziert. Deshalb wird ein früheres Screening empfohlen.
Durch eine Bestimmung des HBsAg zu Beginn der Schwangerschaft kann die infizierte
Mutter rechtzeitig einem Experten zugewiesen, therapiert und eine Infektion des Neugeborenen
verhindert werden.
Anmerkung zu den Neugeborenen HBsAg-positiver Mütter: Um Impfversagen bzw. Virusdurchbrüche
bei Neugeborenen HBV-infizierter Mütter zu erkennen, sollen Anti-HBs plus HBsAg/Anti-HBc
4–8 Wochen nach der Grundimmunisierung, also 1–2 Monate nach insgesamt 6 Monaten der
Grundimmunisierung (bei Reifgeborenen) getestet werden. Bei Frühgeborenen gilt ein
etwas anderes Impfschema bis Monat 12 (Details siehe 5.9.1).
In Ausnahmefällen kann auch eine HBsAg-negative, isoliert Anti-HBc-positive Mutter
das Virus auf ihre Kinder (wenn nicht geimpft) übertragen. Da hieraus aber im Regelfall
keine chronischen Infektionen resultierten, entstehen keine Konsequenzen für das Schwangeren-Screening
[26 ].
Eine HBV-Diagnostik soll erfolgen bei [2, A]:
Personen mit erhöhten Leberwerten und/oder klinischen Zeichen einer Hepatitis
allen Personen mit vorbestehender Erkrankung oder Immunsuppression, bei denen ein
schwerer Verlauf einer Hepatitis B zu erwarten ist.
Patienten mit Leberzirrhose/-fibrose
Patienten mit Hepatozellulärem Karzinom
Dialysepatienten
HIV- und/oder HCV-Infizierten
Patienten vor bzw. während einer immunsuppressiven Therapie, einer Therapie mit B-Zell
depletierenden Antikörpern (Rituximab) oder Chemotherapie
Patienten mit einer angeborenen Immunschwäche
allen Personen mit erhöhtem Expositionsrisiko für eine Hepatitis B
Personen mit Migrationshintergrund aus Regionen mit erhöhter HBsAg-Prävalenz
Familien- oder Haushaltsangehörige, insbesondere Kinder von HBsAg-positiven Müttern
und Geschwister sowie Eltern von (aktuell oder ehemals) HBV-Infizierten
Sexualpartner von HBV-Infizierten
medizinisches Personal
Patienten oder Personen in psychiatrischen Einrichtungen, Fürsorgeeinrichtungen für
Zerebralgeschädigte oder Verhaltensgestörte, Justizvollzugsanstalten
Personen mit häufig wechselnden Sexualkontakten
aktive und ehemalige i. v. Drogenbenutzer
Screening zur Vermeidung einer Transmission auf gesunde Empfänger von Knochenmark-
oder Organtransplantaten vor und nach Transplantation
Blut-, Gewebe-, Samen- und Organspender
Schwangere (siehe 1.1.2)
Konsens: 100 % (Delphi-Runde)
Geprüft 2020
NKLM
Kommentar:
Aufgrund der Prävalenz einer persistierenden, HBsAg-positiven HBV-Infektion von 0,4–0,8 %
und einer Prävalenz von Anti-HBc von ca. 7 % in Deutschland und der schwerwiegenden
Folgen einer chronischen HBV-Infektion (Evidenz 2a) ist es gerechtfertigt, die Indikation
zur HBV-Diagnostik großzügig zu stellen [27 ]
[28 ]
[29 ].
Obwohl das Hepatitis-B-Virus weltweit vorkommt, gibt es Hochendemie-Gebiete (> 50 %
der Bevölkerung Anti-HBc-positiv) in Asien, dem Südpazifik, in Afrika südlich der
Sahara, in Südamerika und im Mittleren Osten. Gebiete mit mittlerer Prävalenz (10–50 %
Anti-HBc-positiv) sind der Mittelmeerraum und Osteuropa. Personen, die in diesen Gebieten
geboren sind oder deren Mütter aus diesen Regionen stammen, haben ein erhöhtes Risiko,
HBV-Träger zu sein.
Das Screening von Migranten aus diesen Regionen hilft, die Infektion früh genug zu
diagnostizieren, um eine Progression von Lebererkrankungen zu vermindern, und ist
kosteneffizient (Evidenz 2b) [30 ].
Das HBV wird perinatal, perkutan durch Blut-zu-Blut-Kontakt oder durch Sexualkontakte
übertragen. Da bereits geringste Mengen des Virus für eine Infektion ausreichen, kann
es auch zur Übertragung bei engem Kontakt, z. B. innerhalb einer Familie, kommen.
Ein weiterer, wichtiger Risikofaktor sind Handlungen oder Maßnahmen mit potenziellem
Blutkontakt (z. B. Drogenkonsum, Doping, Piercing, Blutprodukte, Hämodialyse etc.).
Auch Übertragungen bei operativen medizinischen oder zahnmedizinischen Eingriffen
sind beschrieben [5 ].
Da viele HBV-Infektionen inapparent verlaufen und eine HBV-Infektion den Verlauf und
die Prognose einer nicht HBV-bedingten Lebererkrankung erheblich beeinflussen kann,
soll bei Patienten mit einer Lebererkrankung grundsätzlich eine HBV-Diagnostik erfolgen
[5 ].
Unter Immunsuppression verlaufen HBV-Infektionen gehäuft chronisch, und es kann zu
einer Reaktivierung durchgemachter HBV-Infektionen kommen (siehe auch 3.13).
1.2 Wie ist das weitere Vorgehen nach initialer HBV-Diagnostik (HBsAg/Anti-HBc)?
Bei Personen der oben genannten Risikogruppen, die HBsAg- und Anti-HBc-negativ sind
und über keinen ausreichenden Impfschutz verfügen, soll eine Impfung angeboten werden
(siehe 5.1) [EK].
Konsens: 100 % (Konsensuskonferenz)
Geprüft 2020
NKLM
Kommentar:
Für den unter 1.1.3 genannten Personenkreis besteht gemäß den Empfehlungen der Ständigen
Impfkommission am Robert Koch-Institut eine eindeutige Indikation zur Impfung (siehe
auch 5.1.4). Diese soll daher bei negativem HBsAg und Anti-HBc umgehend eingeleitet
werden. Eine Impfindikation während der Schwangerschaft muss streng geprüft werden.
Bei HBsAg-positiven Personen soll die Diagnostik komplettiert und das Ausmaß der Leberkrankung
bestimmt werden, um eine Therapieindikation abzuklären [EK].
Konsens: 100 % (Konsensuskonferenz)
Geprüft 2020
NKLM
Kommentar:
Wird HBsAg-positiv getestet, kann eine akute oder eine chronische HBV-Infektion vorliegen.
Die klinische Untersuchung und die Bestimmung biochemischer Parameter (Aminotransferasen
[AST und ALT], Gamma-Glutamyl-Transpeptidase [GGT], alkalische Phosphatase [AP], Bilirubin
und Serumalbumin und Gammaglobulin, Vollblutbild und Prothrombinzeit) sind wichtig,
um das Ausmaß der Leberkrankung zu bestimmen [6 ].
Bei Verdacht auf eine akute Hepatitis B sollten zusätzlich zu HBsAg und Anti-HBc der
Nachweis von Anti-HBc-IgM erfolgen, die HBV-DNA bestimmt sowie die ALT und die Leberfunktion
im Verlauf kontrolliert werden [3, B]. (siehe Stufenschema 1.2.3).
Konsens: 100 % (Konsensuskonferenz)
Geprüft 2020
NKLM
Kommentar:
Nach einer kürzlich stattgehabten HBV-Infektion und während einer akuten Hepatitis
B kann man Anti-HBc-IgM in hoher Konzentration nachweisen. Es fällt mit der Ausheilung
ab. Allerdings kann ein positives Anti-HBc-IgM in niedrigerer Konzentration auch bei
Exazerbation einer chronischen Hepatitis B nachgewiesen werden (Evidenz 3b) [31 ].
Der alleinige Nachweis von Anti-HBc-IgM hat daher eine begrenzte Aussagekraft und
eine Quantifizierung des Anti-HBc-IgM zur Differenzierung einer akuten von einer chronischen
Hepatitis B mit akutem Schub kann sinnvoll sein.
Anti-HBs-Antikörper zeigen eine Immunität nach Impfung oder nach durchgemachter Infektion
an. Bei einer frischen HBV-Infektion im Jugendlichen- oder Erwachsenenalter ist in
den meisten Fällen eine funktionale Ausheilung zu erwarten. Um diese nachzuweisen,
sollen Anti-HBs-Antikörper bestimmt werden (s. Stufenschema 1.2.3). Die Bestimmung
der Anti-HBs-Antikörper sollte ggf. alle 3 bis 12 Monate wiederholt werden, bis der
Titer > 10 IU/l ist [5 ].
Stufenschema 1.2.3: Serologische Diagnostik bei V. a. akute HBV-Infektion:
Initial: HBsAg und Anti-HBc;
falls HBsAg bestätigt : HBeAg, Anti-HBe; Anti-HBc IgM; ggf. HBV-DNA quantitativ
falls HBsAg isoliert positiv : HBsAg-Bestätigungstest (Ausschluss einer falsch positiven Reaktion);
falls nur Anti-HBc positiv : Anti-HBs
falls Anti-HBs positiv: durchgemachte HBV-Infektion mit klinischer Ausheilung; evtl.
Kontrolle im Verlauf bis Anti-HBs ≥ 10 IU/l
falls Anti-HBs negativ oder ALT erhöht: Anti-HBc-IgM; HBV-DNA quantitativ (DD: frische HBV-Infektion/HBV-Escape-Variante/„Anti-HBc only“);
Bei Verdacht auf eine chronische Hepatitis B:
sollen die HBV-Viruslast (HBV-DNA) und der HBeAg/Anti-HBe-Status bestimmt werden [EK]
(siehe Stufenschema 1.2.4).
kann quantitatives HBsAg zur besseren Differenzierung der Phase und zur Beurteilung
der Prognose der HBV-Infektion bestimmt werden [EK] (siehe 3.5.3).
Konsens: 96,7 % (Konsensuskonferenz)
Modifiziert 2020
NKLM
Kommentar:
Als Marker einer HBV-Virämie wird die HBV-DNA-Konzentration im Serum angesehen. Diese
wird in der Regel mittels PCR nachgewiesen. Die meisten auf dem Markt verfügbaren
Tests erlauben einen quantitativen Nachweis der HBV-DNA. Da dies keine wesentlichen
Mehrkosten verursacht, das Ausmaß der HBV-Virämie aber große prognostische Bedeutung
hat, ist der quantitative HBV-DNA-Nachweis (standardisiert in IU/ml) der Goldstandard
[5 ]
[6 ]
[32 ]
[33 ]
[34 ].
Das HBeAg ist als prognostischer Marker etabliert und ist (bei HBeAg-positiven HBV-Stämmen)
ein Surrogat-Marker für die Aktivität der viralen RNA-Transkription in Hepatozyten
[35 ].
Die Bestimmung des HBeAg/Anti-HBe-Serostatus ist sinnvoll, um die Prognose des weiteren
Erkrankungsverlaufs sowie des Therapieansprechens eines Patienten abzuschätzen (Evidenz
3a) [5 ].
Die quantitative Bestimmung des HBsAg kann die Quantifizierung der HBV-DNA nicht ersetzen,
kann aber z. B. bei der Differenzierung zwischen einer akuten versus chronischen Hepatitis
B zusätzliche Hilfestellung leisten und die Differenzierung der unterschiedlichen
Phasen einer chronischen HBV-Infektion unterstützen. Die quantitative Bestimmung des
HBsAg kann insbesondere helfen, die niedrig virämische Phase der HBeAg-negativen chronischen
HBV-Infektion gegenüber der HBeAg-negativen chronischen Hepatitis besser abzugrenzen.
Bei einer HBV-Viruslast < 2000 IU/ml und einem HBsAg > 1000 IU/ml liegt ein höheres
Risiko einer Reaktivierung vor [6 ]
[36 ].
Eine asiatische Studie berichtete bei Patienten mit einer Viruslast < 2000 IU/ml über
ein 2 %iges HCC-Risiko nach 20 Jahren, wenn das HBsAg < 1000 IU/ml ist, aber ein 8 %iges
Risiko bei einem HBsAg > 1000 IU/ml [37 ].
Um die Prognose zu beurteilen und eine Therapieindikation zu überprüfen, ist eine
ergänzende Diagnostik notwendig (s. unten).
Stufenschema 1.2.4: Serologische Diagnostik bei V. a. chronische HBV-Infektion:
Initial: HBsAg und Anti-HBc;
falls beide positiv : HBeAg, Anti-HBe; Anti-HBc-IgM (bei Differenzialdiagnose akute Hepatitis B); HBV-DNA quantitativ; Anti-HDV
falls HBsAg isoliert positiv : HBsAg-Bestätigungstest (Ausschluss einer falsch positiven Reaktion); ggf. HBV-DNA (bei Differenzialdiagnose akute/okkulte HBV-Infektion) nach 2–4 Wochen: Kontrolle Anti-HBc
falls nur Anti-HBc positiv : Anti-HBs
falls positiv: ausgeheilte Hepatitis B,
falls negativ: Anti-HBc bestätigen,
wenn bestätigt: „Anti-HBc only“-Status, bei klinischen Symptomen oder Frage der Infektiosität:
HBV-DNA quantitativ
wenn HBV-DNA positiv: okkulte HBV-Infektion
1.3 Welche ergänzende Diagnostik ist bei Erstdiagnose einer HBV-Infektion erforderlich?
Bei Erstdiagnose einer HBV-Infektion sollen zusätzlich folgende Maßnahmen durchgeführt
werden [EK]:
Anamnese (inkl. Risikofaktoren, Familien-, Partneranamnese), körperliche Untersuchung
Ausschluss einer Koinfektion mit HCV, HDV und HIV
Hepatitis-A-Immunstatus (Frage Impfung)
Ausschluss einer Hepatitis-E-Virusinfektion
Klinisch-chemische Labortests
Ultraschall des Abdomens
Konsens: 96,7 % (Konsensuskonferenz)
Modifiziert 2020
NKLM
Kommentar:
Um das Ausmaß der entzündlichen Veränderungen sowie eine mögliche Einschränkung der
Leberfunktion einschätzen zu können, sind verschiedene klinisch-biochemische Labortests
(z. B. Leberentzündungs- und Lebersynthese-Parameter, Gesamtbilirubin), ein Vollblutbild
sowie ein Gerinnungsstatus erforderlich. Bei Verdacht auf eine fortgeschrittene Lebererkrankung
sollten zur Bestimmung der Syntheseleistung der Leber zusätzliche Tests (Prothrombinzeit
[Quick-Wert], Albumin) durchgeführt werden. Ein Ultraschall des Abdomens soll erfolgen,
um evtl. Raumforderungen in der Leber und Begleiterkrankungen (z. B. Gallensteine,
Fettleber) zu entdecken und ggf. Anhaltspunkte für Umbauprozesse des Lebergewebes
zu gewinnen [6 ].
Um eine weitere Schädigung der Leber zu vermeiden, soll der Hepatitis-A-Immunstatus
erhoben und eine Impfung erwogen werden. Aufgrund der hohen Verbreitung der Hepatitis-E-Infektion
muss bei einem unklaren Anstieg der Transaminasen eine HEV-Koinfektion ausgeschlossen
werden.
Ebenso sollen Koinfektionen mit dem Hepatitis-C-Virus und dem Hepatitis-D-Virus (s.
unten) sowie bei Risikopatienten auch eine Infektion mit HIV ausgeschlossen werden
[6 ].
Familienmitgliedern bzw. Partnern sowie engen Kontaktpersonen HBV-Infizierter sollen
eine HBV-Diagnostik und eine Impfung angeboten werden (siehe 5.1.4).
1.4 Wann ist eine Hepatitis-Delta-Virus-Diagnostik indiziert? Wie wird eine Hepatitis
Delta diagnostiziert?
Eine Hepatitis-Delta-Virus(HDV)-Diagnostik soll bei allen Hepatitis-B-Patienten sowohl
bei neu diagnostizierter HBV-Infektion als auch bei fehlender HDV-Testung bei bekannter
HBV-Infektion durchgeführt werden. Insbesondere bei Exazerbation einer chronischen
Hepatitis B soll eine HDV-Superinfektion ausgeschlossen werden [EK].
Konsens: 97,9 % (Delphi-Runde)
Modifiziert 2020
NKLM
Kommentar:
Das HDV ist ein natürliches Satelliten-Virus des HBV, das weltweit vorkommt. Die Übertragung
des HDV erfolgt parenteral. Freisetzung und Weitergabe des HDV hängen vom HBV ab,
da HBV die Hüllproteine des HDV liefert. Eine HDV-Infektion kann somit nicht isoliert
auftreten, sie kann nur bei HBsAg-positiven Patienten vorkommen.
Eine chronische HDV-Infektion ist durch die Persistenz der HDV-RNA über mindestens
6 Monate definiert. Die Quantifizierung der HDV-RNA dient der Therapieüberwachung
der chronischen Hepatitis D. Es gibt 2 Formen der HDV-Infektion: die simultane Infektion
mit HBV und HDV sowie die HDV-Superinfektion von HBsAg-Trägern. Beide Formen können
sowohl akut als auch chronisch verlaufen. Eine Koinfektion mit dem HDV findet man
in Ost- und Westeuropa bei 5–12 % der Patienten mit einer chronischen Hepatitis B.
Die HBV-Richtlinien der AASLD 2016 empfehlen die Testung auf HDV (Anti-HDV) von HBsAg-positiven
Personen, die einem Risiko für HDV ausgesetzt sind, einschließlich HIV-Infizierter,
Personen, die Drogen injizieren, Männern, die Sex mit Männern haben, und Immigranten
aus Gebieten mit hoher HDV-Prävalenz. Darüber hinaus empfiehlt die AASLD-Leitlinie,
dass HBsAg-positive Patienten mit niedriger oder nicht nachweisbarer HBV-DNA, aber
hohem ALT-Werten auf HDV getestet werden sollten [7 ].
Die Empfehlungen der AASLD-Leitlinie sind sehr komplex und können zu Fehlinterpretationen
führen. Aufgrund der hohen Morbidität und Mortalität sollte keine HDV-Koinfektion
übersehen werden [38 ].
Daher wurde mit einem starken Konsens die Testung aller HBsAg-positiven Patienten
in Deutschland empfohlen.
Im Screening-Test werden Anti-HDV-Antikörper bestimmt. Da der Nachweis von Anti-HDV
nicht zwischen einer persistierenden und einer ausgeheilten Hepatitis D unterscheiden
kann, soll bei positivem Anti-HDV ein Virusnachweis im Blut mittels HDV-RNA erfolgen
[EK].
Konsens: 95,7 % (Delphi-Runde)
Modifiziert 2020
NKLM
Kommentar:
Der Nachweis von Anti-HDV-Antikörpern erfolgt durch Immunoassays (keine Änderung zu
[5 ]).
Der Virusnachweis und damit der Nachweis der Infektiosität erfolgen durch den Nachweis
von HDV-RNA (keine Änderung zu [5 ]).
Vor und während der Therapie einer HDV-Infektion z. B. mit Interferon alfa sollte
ein Monitoring der HDV-RNA erfolgen (keine Änderung zu [5 ]).
Es sollte ein CE-zertifizierter HDV-RNA-Nachweistest nach Angaben des Herstellers
verwendet werden (Expertenmeinung). Wichtig ist die Beachtung der Extraktionsmethode,
die bei inkorrekter Anwendung zu Schwankungen der Nachweisgrenze führen kann (Evidenz
3b) [39 ].
Tab. 5
Diagnostische Kriterien einzelner Verlaufsformen der Hepatitis B/D.
Akute Hepatitis B:
Chronische Hepatitis B:
HBeAg-positive chronische Hepatitis B
HBeAg-negative chronische Hepatitis B
HBsAg positiv > 6 Monate
HBeAg positiv oder HBeAg negativ
persistierend oder intermittierend erhöhte ALT/GPT-Werte
HBV-DNA initial > 2000 IU/ml
wenn vorhanden: Leberhistologie mit Zeichen der chronischen Hepatitis
HBsAg-Träger-Status:
HBeAg-positive chronische HBV-Infektion
HBeAg-negative chronische HBV-Infektion
HBsAg positiv > 6 Monate
persistierend normale ALT/GPT-Werte
Leberbiopsie (optional) ohne wesentliche Hepatitis (Grading 0–1 nach Desmet)
hochvirämisch : HBeAg positiv; HBV-DNA > 2000 IU/ml (selten: HBeAg negativ bei HBeAg-negativen HBV-Varianten)
inaktiv : HBeAg negativ; HBV-DNA ≤ 2000 IU/ml
Ausgeheilte Hepatitis B:
Sonderfall: „Anti-HBc only“
Okkulte HBV-Infektion
Hepatitis Delta:
* in Ausnahmefällen kann auch bei HBsAg-negativen Patienten mittels PCR noch HBV in
minimalen Mengen nachweisbar sein (d. h. < 20 IU/ml).
1.5 Wie soll die Verlaufsdiagnostik von Patienten ohne antivirale Therapie erfolgen?
Eine akute HBV-Infektion soll überwacht werden, bis ein HBsAg-Verlust erreicht ist
[EK] (s. Algorithmus, [Tab. 6 ]).
Konsens: 100 % (Konsensuskonferenz)
Modifiziert 2020
NKLM
Tab. 6
Algorithmus zur Verlaufskontrolle einer akuten HBV-Infektion.
Transaminasenaktivität und Prothrombinzeit nach klinischem Bedarf und Verlauf (cave:
fulminantes Leberversagen!) wiederholen bis zur Normalisierung
HBsAg/Anti-HBs alle 3–12 Monate bis zur Anti-HBs-Serokonversion
Immunität kann bei Anti-HBs > 10 IU/l angenommen werden, wenn HBsAg negativ ist
bei HBsAg negativ/Anti-HBs < 10 IU/l: HBV-DNA; Kontrolle nach 12 Monaten
Kommentar:
Die Ausheilung einer Hepatitis B wird serologisch diagnostiziert, eine Bestimmung
der HBV- DNA ist nur bei gezielten Fragestellungen erforderlich (z. B. unklare serologische
Befundkonstellation, Infektiosität) (s. [Tab. 6 ]).
Bei Ausheilung einer akuten Hepatitis B kommt es häufig erst verzögert zum Auftreten
von Anti-HBs-Antikörpern, in ca. 25 % der Patienten sind diese auch nach 24 Monaten
noch nicht nachweisbar (keine Änderung zu [5 ]).
Daher kann nach Negativierung des HBsAg je nach klinischem Bild die Verlaufskontrolle
in großen Intervallen erfolgen (keine Änderung zu [5 ]).
Patienten mit chronischer HBV-Infektion ohne antivirale Therapie sollen regelmäßige
Verlaufskontrollen erhalten [EK]. Diese umfasst die Bestimmung der ALT-Aktivität im
Serum, die Bestimmung der HBV-Viruslast, einen Ultraschall des Abdomens und ggf. Fibrosediagnostik.
Die Frequenz sollte sich nach dem klinischen Verlauf richten [EK] (s. Algorithmus,
[Tab. 7 ]).
Konsens: 100 % (Konsensuskonferenz)
Modifiziert 2020
NKLM
Tab. 7
Algorithmus zur Verlaufskontrolle einer chronischen HBV-Infektion.
Kontrollintervall: Bei allen Patienten im ersten Jahr mind. 3 ×, anschließend je nach
klinischer Aktivität der Erkrankung alle 3–12 Monate Transaminasenaktivität und HBV-DNA
quantitativ bestimmen
Bei Patienten mit chronischer Hepatitis B alle 6 Monate:
Klinische Chemie (Leberentzündungs- und Lebersynthese-Parameter, Blutbild, Prothrombinzeit)
HBV-DNA (quantitativ)
HBeAg (sofern initial positiv), wenn negativ: Anti-HBe
HBsAg (ggf. quantitativ), wenn negativ: Anti-HBs (Frage: Ausheilung?)
Bei Patienten mit chronischer HBV-Infektion
Kommentar:
Die Intervalle der Verlaufsuntersuchungen einer chronischen HBV-Infektion, für die
keine Therapieindikation vorliegt, hängen vom klinischen Verlauf ab und müssen individuell
festgelegt werden (entzündliche Aktivität? Höhe der Virämie? Vorliegen einer Leberzirrhose?
Risiko für die Entwicklung eines HCC?) (siehe [Tab. 7 ]). Wichtig ist eine Regelmäßigkeit der ärztlichen Kontrolle, um eine evtl. Zunahme
der entzündlichen Aktivität bzw. ein Fortschreiten der Lebererkrankung rechtzeitig
zu diagnostizieren (keine Änderung zu [5 ]).
Eine einmalige quantitative Bestimmung des HBsAg in Kombination mit der Virämie (HBV-DNA
< 2000 IU/ml und HBsAg < 1000 IU/ml) kann mit einem prädiktiven Wert von 90 % einen
inaktiven HBsAg-Träger identifizieren (siehe 1.2.4). Eine quantitative HBsAg-Bestimmung
kann daher in bestimmten Situationen sinnvoll sein. [6 ]
1.6 Wie sollte das Therapiemonitoring bei chronischer Hepatitis B aussehen?
Bei Therapie mit direkt wirksamen antiviralen Medikamenten (z. B. Nukleos(t)idanaloga)
werden vor Therapie bzw. zum Therapiemonitoring folgende Untersuchungen empfohlen
[EK]:
Vor Therapie:
Während der Therapie (s. auch 3.5 und 3.6):
HBV-DNA quantitativ:
Resistenzvarianten bei nicht ausreichendem Therapieansprechen oder Verdacht auf Resistenzentwicklung
HBeAg (falls positiv) alle 6–12 Monate, bei Verlust Anti-HBe.
HBsAg quantitativ.
klinisch-chemische Labortests alle 3 Monate
Konsens: 97,6 % (Delphi-Runde 2)
Modifiziert 2020
Bei Therapie mit Interferon oder Immunmodulatoren werden vor Therapie bzw. zum Therapiemonitoring
folgende Untersuchungen empfohlen [EK]:
Vor Therapie:
Während der Therapie (siehe auch 3.3):
HBV-DNA quantitativ alle 3 Monate
klinisch-chemische Labortests alle 3 Monate
quantitative Bestimmung des HBsAg nach 12 und 24 Wochen
Anti-HBs bei HBsAg-Verlust
HBeAg (falls positiv) alle 3 Monate, bei Verlust Anti-HBe
Konsens: 100 % (Delphi-Runde)
Modifiziert 2020
Kommentar:
Vor Einleitung einer antiviralen Therapie ist v. a. die Bestimmung der HBV-DNA und
der Transaminasen wichtig, um den Therapieerfolg zu beurteilen. So zeigt z. B. ein
erneuter Anstieg der HBV-DNA nach initialem Abfall ein Therapieversagen während einer
NA-Therapie an. Hier sollte sichergestellt werden, dass die Medikamente regelmäßig
eingenommen wurden, bevor ein Therapieversagen diagnostiziert wird. In zahlreichen
Studien ist belegt, dass ein Jahr nach Beginn einer Therapie mit Lamivudin 15–30 %
der Patienten Mutationen im Polymerase-Gen des HBV, vorwiegend im YMDD-Motiv, aufweisen
(siehe 3.5). Auch für Adefovir, Entecavir und Telbivudin sind Resistenzmutationen
beschrieben, die evtl. bereits vor Therapie vorliegen können. Sie vermitteln zum Teil
Kreuzresistenzen gegenüber mehreren Nukleosid-/Nukleotidanaloga. Für Tenofovir stellt
die Entstehung von Resistenzvarianten klinisch bislang kein klinisch relevantes Problem
dar (siehe 3.5). Sowohl bei Versagen einer laufenden Therapie als auch bei primärem
Nichtansprechen sollte daher eine Resistenzbestimmung des HBV erfolgen (i. d. Regel
genotypisch), um einen gezielten Therapiewechsel vornehmen zu können [6 ].
HBeAg/Anti-HBe vor und während (alle 3–6 Monate) der Therapie sind wichtig, um bei
initial HBeAg-positiven Patienten im Verlauf der Therapie eine Anti-HBe-Serokonversion
zu dokumentieren. Das ist wichtig für die Beurteilung des Therapieerfolgs einer Interferontherapie
oder zur Entscheidung der Therapiedauer (Therapiebeendigung) einer NA-Therapie (siehe
3.3).
Die HBsAg-Serumkonzentration kann als Surrogatmarker für die Menge an intrahepatischer
cccDNA dienen (siehe 1.2.4). Die quantitative Bestimmung erfolgt in IU/ml mittels
geeichter Immunassays (1 IU/ml entspricht etwa 0,88 ± 0,20 ng/ml nativem HBsAg-Protein
je nach HBV-Genotyp). Ein kontinuierlicher Abfall der HBsAg-Konzentration kann als
prädiktiver Marker für ein Ansprechen auf eine Interferon-alfa-Therapie (siehe 3.3)
oder eine HBsAg-Elimination unter Nukleos(t)idanaloga (NA) dienen [6 ].
Da das Therapieansprechen auf Interferon alfa u. a. vom HBV-Genotyp abhängig sein
kann, kann vor Einleitung einer solchen Therapie die Bestimmung des Genotyps sinnvoll
sein. (keine Änderung zu [5 ]).
1.7 Welche Patienten mit chronischer Hepatitis B sollten in ein HCC-Früherkennungsprogramm
aufgenommen werden, und wie sollte dieses durchgeführt werden?
Bei erhöhtem HCC-Risiko sollte mindestens alle 6 Monate ein abdomineller Ultraschall
durch einen erfahrenen Untersucher durchgeführt werden. Dieses soll insbesondere bei
Patienten mit Leberzirrhose erfolgen [EK].
Konsens: 100 % (Konsensuskonferenz)
Modifiziert 2020
Leitlinienadaptation DGVS HCC Leitlinie
NKLM
Kommentar:
Ein hohes HCC-Risiko (s. auch [Tab. 8 ]) haben Patienten mit fortgeschrittener Leberfibrose oder Leberzirrhose, Patienten
mit langjähriger, hoher Virämie (> 2000 IU/ml), Patienten mit erhöhten Transaminasen
und Patienten mit positivem HBeAg und/oder HBV-Genotyp-C-Virusinfektion (Evidenz 2b,
(keine Änderung zu [5 ]). Weitere Risikofaktoren sind männliches Geschlecht, Alter > 40 Jahre, positive
HCC-Familienanamnese, Migrationshintergrund aus hyperendemischen Gebieten, Alkoholkonsum
oder Aflatoxinexposition (keine Änderung zu [5 ]).
Tab. 8
HCC-Inzidenz/100 Personen-Jahre bei Subgruppen von Patienten mit chronischer HBV-Infektion
(adaptiert und modifiziert nach [50 ].
Variable (therapienaive Patienten)
HCC-Inzidenz/100 Personen-Jahre
95 %-Konfidenzintervall
alle
0,88
0,76–0,99
Zirrhose
3,16
2,58–3,74
keine Zirrhose
0,10
0,02–0,18
HBeAg positiv
1,47
0,40–2,55
HBeAg negativ
0,72
0,21–1,23
HCV-Koinfektion
3,73
1,59–5,86
Männer
0,63
0,40–0,86
Frauen
0,29
0,04–0,53
≥ 50 Jahre
3,92
2,72–5,11
< 50 Jahre
0,82
0,69–0,95
Studien mit > 50 % Patienten mit erhöhter ALT
1,86
1,30–2,42
Studies mit > 50 % Patienten mit normaler ALT
0,32
0,21–0,43
Die EASL- und DGVS-Leitlinien zum HCC empfehlen, dass die sonografische Früherkennung
durch einen qualifizierten Untersucher erfolgen sollte. Die deutschen S3-Leilinien
zum HCC empfehlen zudem den Gebrauch der Geräteklasse DEGUM Stufe II durch Ärzte mit
einer Qualifikation der DEGUM-Stufe II (oder höher) [9 ].
Die DEGUM-Einstufung der Untersucherqualität wird begründet mit einer unkontrollierten
Studie, die zeigt, dass Ärzte der DEGUM-III-Qualifikation eine bessere HCC-Erkennungsrate
hatten als die mit einer DEGUM-I- und -II-Qualifikation. Diese Studie hat erhebliche
methodische Mängel (Evidenzgrad IIIb) und untersucht zudem auch nicht, ob Ärzte mit
DEGUM-II-Qualifikation eine höhere HCC-Erkennungsrate haben als die mit einer DEGUM-I-Qualifikation
oder Ärzte ohne DEGUM-Qualifikation [40 ].
Die DEGUM-Qualifikation wird deshalb nicht in die Leitlinienempfehlung aufgenommen.
Ursprünglich wurde ein Vorsorgeintervall von 6 Monaten empfohlen, da die Verdopplungszeit
des HCC im Mittel zwischen 140 und 200 Tagen liegt [41 ]
[42 ]
[43 ].
Eine Studie aus Taiwan verglich den Wert einer Sonografie alle 4 versus alle 12 Monate
bei Patienten mit chronischer Hepatitis B oder C. Obwohl in der 4-Monats-Gruppe mehr
Frühkarzinome erkannt wurden als in der 12-Monatsgruppe, waren die Überlebensraten
über 4 Jahre nicht unterschiedlich [44 ].
Die NICE-Leitlinie enthält ein systematisches Review und eine Metaanalyse zur Häufigkeit
der Vorsorge (in diesem Fall mit Ultraschall + AFP-Messung); nach diesen Analysen
kommt NICE zu dem Schluss, dass das auch in den anderen 3 Leitlinien empfohlene Intervall
von 6 Monaten optimal ist (Evidenzgrad IIa); ein kürzeres Intervall von 3–4 Monaten
hatte keine Vorteile, und längere Intervalle von 9–12 Monaten hatten eher Nachteile
für die Früherkennung [45 ].
Eine weitere Metaanalyse zeigte, dass die Sensitivität der 6-monatlichen Untersuchung
um 20 % besser war als die der 12-monatlichen [46 ].
In asiatischen Leitlinien wird für Hochrisikogruppen eine Verkürzung des Untersuchungsintervalls
auf 3–4 Monate empfohlen, auch dies aufgrund der Evidenz der Expertenmeinung [47 ]
[48 ]
[49 ].
Das Kontrollintervall kann je nach Risikoabschätzung ([Tab. 9 ]) auf 12 Monate verlängert werden. Optional kann zusätzlich zum Ultraschall eine
AFP-Bestimmung zur Früherkennung eines HCC durchgeführt werden [EK].
Konsens: 100 % (Konsensuskonferenz)
Modifiziert 2020
Leitlinienadaptation DGVS HCC Leitlinie
Tab. 9
Früherkennungsempfehlungen in tabellarischer Form.
Ultraschall alle 6 Monate durch einen erfahrenen Untersucher (A) – optional zusätzlich
AFP-Bestimmung (0)
dringend empfohlen (A): HCC-Risiko hoch
empfohlen (B): HCC-Risiko mäßig hoch
nicht notwendig (B): HCC-Risiko niedrig
Zirrhose
ausgeprägte Fibrose (Metavir F2–F3)
keine/wenig Fibrose (Metavir F0–F1)
erhöhte ALT/GPT
normale ALT/GPT
HBV-DNA > 2000 IU/ml
HBV-DNA < 2000 IU/ml
positive HCC-Familienanamnese
negative HCC-Familienanamnese
Männer, ≥ 40 Jahre
Frauen, < 40 Jahre
Genotyp C
kein Genotyp C
zusätzliche hepatotoxische Faktoren:
Fettleber, Diabetes mellitus Typ 2, hohe Aufnahme an Aflatoxin oder Alkohol, Koinfektion
mit HDV, HIV und HCV
keine zusätzlichen hepatotoxischen Faktoren (s. Spalte links)
Kommentar:
Patientengruppen mit relativ niedrigem HCC-Risiko ([Tab. 9 ]) kann man auch eine Sonografie nur alle 12 Monate anbieten; dies entspricht in der
aktuellen Leitlinie einer Expertenmeinung. Ein kombiniertes HCC-Screening mittels
Ultraschalls des Abdomens und Bestimmung des Alpha-Fetoproteins (AFP) kann aufgrund
der begrenzten Sensitivität und Spezifität der einzelnen Untersuchungen gerechtfertigt
sein.
Als ergänzendes Verfahren ist die Bestimmung des AFP-Spiegels zwar etabliert, eine
Empfehlung zur Durchführung im Rahmen der Früherkennung wird allerdings von aktuellen
Leitlinien nicht mehr gegeben. Die Bestimmung der AFP-Konzentration im Serum hat für
die Früherkennung eine schlechte Spezifität [9 ]
[51 ].
Dennoch hatte sich die Expertengruppe für eine „kann“-Empfehlung für die ergänzende
AFP-Bestimmung ausgesprochen, da die Kombination Ultraschall plus Serum-AFP-Bestimmung
die Sensitivität erhöhen kann (in einer Studie z. B. von 63 % auf 69 %). Ein Effekt
auf die Mortalität konnte bislang nicht klar gezeigt werden [9 ]
[52 ].
Nur bei nachgewiesener Raumforderung hat das AFP eine konkrete diagnostische Relevanz;
es hilft die Prognose des HCC einzuschätzen und kann für die Verlaufsbeobachtung sinnvoll
sein [9 ].
Sowohl im Screening als auch im Rahmen der Diagnostik ist eine Reihe von weiteren
Serummarkern für das HCC in der Evaluierung, z. B. Des-Gamma-Carboxyprothrombin (DCP),
α-Fukosidase, Glypikan 3 sowie das Verhältnis zwischen glykosiliertem AFP und Gesamt-AFP.
Bislang gibt es zum Einsatz dieser Marker aber keine Empfehlung [9 ].
Patienten sollen während und nach einer antiviralen Therapie weiterhin eine HCC-Vorsorge
erhalten, da das HCC-Risiko reduziert, aber nicht eliminiert wird. Das Untersuchungsintervall
kann während bzw. nach erfolgreicher Therapie der Hepatitis B individuell angepasst
werden [EK].
Konsens: 100 % (Konsensuskonferenz)
Modifiziert 2020
Kommentar:
Eine nachhaltige HBV-DNA-Suppression mit Interferon alfa oder dauerhafte HBV-DNA-Suppression
mit Nukleosidanaloga bzw. Nukleotidanaloga (NA) ist mit einer Reduktion des HCC-Risikos
(Evidenz 1a, siehe 3.1.1) assoziiert. Allerdings bleibt ein Restrisiko bestehen, was
abhängig von verschiedenen virologischen und klinischen Faktoren ist. Patienten mit
kompensierter Zirrhose und niedriger, aber quantifizierbarer HBV-DNA < 2000 IU/ml
haben ein höheres HCC-Risiko als Patienten mit nicht nachweisbarer bzw. nicht quantifizierbarer
HBV-DNA (siehe 3.1.1). Risikoscores zu Einschätzung des HCC-Risikos unter NA-Therapie
können hilfreich sein, um die Überwachungsintervalle festzulegen. Bei asiatischen
Patienten wurden folgende Risikoscores validiert: GAG-HCC, CU-HCC, REACH-B. Bei europäischen
Patienten scheint nur der PAGE-B-Score einen ausreichenden prädiktiven Wert zu besitzen.
In den asiatischen Risikoscores spielen das Alter und die Viruslast sowie das Vorhandensein
einer Zirrhose eine Rolle (siehe 3.1). Beim PAGE-B-Score sind neben dem Alter das
männliche Geschlecht und die Thrombozyten gewichtet [6 ]
[53 ].
1.8 Bei welchen Patienten ist eine Leberbiopsie indiziert, bei welchen Patienten eine
nichtinvasive Fibrosediagnostik?
Die Leberbiopsie ist eine hilfreiche Maßnahme zur Einstufung der entzündlichen Aktivität,
der Leberfibrose und von Komorbiditäten. Sie kann bei Patienten mit chronischer HBV-Infektion
durchgeführt werden, wenn sich daraus Konsequenzen für Diagnose, Verlaufsbeurteilung
und/oder Therapie ableiten lassen [EK].
Konsens: 100 % (Konsensuskonferenz)
Modifiziert 2020
NKLM
Kommentar:
Maßgebliche Grundlage der Entscheidung für eine Leberbiopsie ist die Frage, ob das
diagnostische Ergebnis der Biopsie für das therapeutische Vorgehen von Bedeutung ist.
Die histopathologische Diagnostik dient zur Klärung folgender Fragen:
Bestimmung der entzündlichen Aktivität (Grading);
Bestimmung des Fibroseausmaßes (Staging);
Aussagen zur Ätiologie (insbes. Komorbidität).
Da alle o. g. Parameter Einfluss auf die Prognose und Therapie(-entscheidung) bei
einer Hepatitis B haben können, ist zu jedem Punkt pathologisch-diagnostisch explizit
Stellung zu beziehen (keine Änderung zu [5 ]).
Bei jeder chronischen Hepatitis dient die Leberbiopsie in erster Linie der Bestimmung
der entzündlichen Aktivität (Grading) und des Fibroseausmaßes (Staging) und ist in
der Beurteilung dieser Parameter nach wie vor der „Goldstandard“ (keine Änderung zu
[5 ]).
Bei fortgeschrittener Leberzirrhose muss eine sorgfältige Risiko-Nutzen-Abwägung erfolgen,
da ein erhöhtes Blutungsrisiko besteht und die Therapieindikation bereits aus dem
klinischen Befund der Leberzirrhose abgeleitet werden kann. Es sollten nichtinvasive
Parameter ausgeschöpft werden, um das Risiko abschätzen zu können.
Die Beurteilung der Ätiologie ist insbesondere bei unklaren oder negativen serologischen
Parametern und in Bezug auf relevante Begleiterkrankungen von Bedeutung. Bei unklarer
Anamnese und fehlenden biochemischen und serologischen Vorbefunden kann die Leberbiopsie
auch dazu dienen, die Chronizität einer Lebererkrankung zu beurteilen. Untersuchungen
an Biopsien, die ausschließlich zum Grading/Staging gewonnen wurden, zeigen eine relevante
Komorbidität in etwa 20 % der Fälle (keine Änderung zu [5 ]).
Für die Beurteilung der Leberfibrose zur Therapieindikationsstellung können nichtinvasive
Verfahren zum Einsatz kommen [EK].
Konsens: 100 % (Konsensuskonferenz)
Neu 2020
NKLM
Kommentar:
Nichtinvasive Verfahren für die Beurteilung der Leberfibrose werden von anderen Leitlinien
empfohlen (Evidenz 2b) [6 ]
[10 ].
Allerdings sind die nichtinvasiven Verfahren bei der Hepatitis B weniger gut evaluiert
als bei der Hepatitis C. Insbesondere kann die Interpretation nichtinvasiver Verfahren
(Elastografie) bei hohen Transaminasen (z. B. bei Flares) erschwert sein [6 ]
[10 ].
Für die Beurteilung der Leberfibrose sollte die transiente Elastografie anderen nichtinvasiven
Verfahren vorgezogen werden [EK].
Konsens: 85,7 % (Konsensuskonferenz)
Modifiziert
Leitlinienadaptation EASL Clinical Practice Guideline Non-invasive Tests
NKLM
Kommentar:
Sowohl für die fortgeschrittene Fibrose/Zirrhose als auch für fehlende Fibrose hat
die transiente Elastografie (TE) eine höhere Prädiktionsgenauigkeit als Serumbiomarker.
So kann bei Patienten mit normwertiger ALT und einer Lebersteifigkeit von 9 kPa und
Patienten mit erhöhter ALT (aber < 5 × ULN) und einer Lebersteifigkeit von 12 kPa
von einer fortgeschrittenen Leberfibrose oder -zirrhose ausgegangen werden (Evidenz
3b) [10 ]
[54 ]
[55 ].
Eine nichtinvasive Fibrosebestimmung zur Erfassung einer Fibroseverbesserung während
oder nach einer antiviralen Therapie kann erfolgen. Komorbidität und Transaminasenverlauf
sollen bei der Interpretation berücksichtigt werden [EK].
Konsens: 100 % (Konsensuskonferenz)
Modifiziert 2020
Leitlinienadaptation EASL Clinical Practice Guideline Non-invasive Tests
Kommentar:
Bei Patienten mit erhöhten Transaminasen ist die Interpretation der Steifigkeit oftmals
nicht eindeutig. Nach akuter Exazerbation können bis 3–6 Monate nach Normalisierung
der Leberwerte die Steifigkeitswerte fehlgedeutet werden (Evidenz 3b) [10 ]
[56 ].
Die nichtinvasive Fibrosemessung (statt Leberpunktion) bei HBeAg-negativen Patienten
empfiehlt sich bei einer HBV-DNA < 20 000 U/l und normalen ALT-Werten, da das Risiko
einer fortgeschrittenen Fibrose/Zirrhose bei dieser Konstellation < 10 % beträgt (Evidenz
3a) [10 ]
[57 ].
2 Indikationsstellung zur Therapie der Hepatitis-B-Virusinfektion
J. Petersen, C. Jochum, H. Hinrichsen, A. Kautz (Leberhilfe), K.H. Peiffer, C. Sarrazin, E. Schott
2.1 Akute Hepatitis B: Kann die klinische Heilungsrate durch eine antivirale Therapie
erhöht werden? Kann durch eine antivirale Therapie die Krankheitsdauer verkürzt und
die Schwere der Erkrankung reduziert werden?
Aufgrund der hohen Spontanheilungsrate der akuten Hepatitis B beim Erwachsenen besteht
in der Regel keine Therapieindikation für die aktuell verfügbaren antiviralen Medikamente.
Konsens: 97,9 % (Delphi-Runde)
Geprüft 2020
NKLM
Kommentar:
Die akute Hepatitis B heilt bei Erwachsenen in 95–99 % der Fälle spontan aus (Evidenz
3a). (keine Änderung zu [5 ]).
Eine Verbesserung der Ausheilung durch eine antivirale Therapie wird kaum nachweisbar
sein. Die Therapie der akuten Hepatitis B mit antiviralen Medikamenten bleibt daher
umstritten. Eine randomisierte, placebokontrollierte Studie aus Indien hat keinen
Vorteil einer Lamivudintherapie der akuten Hepatitis B gegenüber einer Placebobehandlung
gezeigt (Evidenz 2b) [58 ].
Eine weitere Studie aus Asien ergibt Hinweise für eine verbesserte klinische Response
unter Lamivudintherapie bei schwereren, aber nicht fulminanten Verläufen mit bereits
eingeschränkter Spontangerinnung (Evidenz 2b) [59 ].
Eine placebokontrollierte Studie aus Europa (GAHB-Studie) konnte aufgrund unzureichender
Patientenrekrutierung nicht beendet werden (Evidenz 2b). Hier deutete sich bei jedoch
niedrigen Fallzahlen kein Vorteil hinsichtlich Überleben oder Transplantationsfreiheit
an [60 ].
Auch auf der Basis einer Metaanalyse, die Studien bei Patienten mit verschiedenen
Schweregraden einer akuten HBV-Infektion eingeschlossen hat, kann generell eine antivirale
Therapie bei akuter HBV-Infektion derzeit nicht empfohlen werden (Evidenz 3a) [61 ].
Sonderfälle sind Patienten mit schwerer akuter oder fulminanter Hepatitis B. Bei Anzeichen
einer eingeschränkten Lebersynthese sollten diese Patienten mit einem Nukleos(t)idanalogon
behandelt und frühzeitig in einem Transplantationszentrum betreut werden [3, B].
Konsens: 100 % (Delphi-Runde)
Geprüft 2020
NKLM
Kommentar:
Mehrere Fallberichte und Fallserien haben dagegen gezeigt, dass Patienten mit fulminanter
Hepatitis B (0,1–0,5 % der Fälle bei Erwachsenen), die frühzeitig antiviral behandelt
werden, in der Regel keine Transplantation mehr benötigen, im Vergleich zu 50–80 %
der unbehandelten Patienten aus historischen Kontrollen (Evidenz 3b) [62 ]
[63 ]
[64 ].
Es gibt allerdings Hinweise dafür, dass die Therapie frühzeitig erfolgen muss, da
bei Patienten mit schon weit fortgeschrittenem Leberversagen eine Lebertransplantation
oder der Tod mit einer antiviralen Therapie nicht mehr verhindert werden kann (Evidenz
3b) [63 ].
Bei Anzeichen einer Einschränkung der Lebersynthese im Rahmen der akuten Hepatitis
B (Verlängerung der Prothrombinzeit, Quick-Wert < 50 %) erscheint daher eine sofortige
orale antivirale Therapie gerechtfertigt, um einem fulminanten Leberversagen vorzubeugen.
Patienten mit einer symptomatischen Hepatitis B sollten hinsichtlich der Lebersynthese
engmaschig beobachtet werden, um eine Therapie frühzeitig einzuleiten. Die Ergebnisse
einer asiatischen Studie zeigen allerdings, dass eine antivirale Therapie der akuten
Hepatitis B die Serokonversionsrate möglicherweise reduziert (Evidenz 2b) [59 ].
Diese Beobachtung konnte in anderen Studien nicht bestätigt werden (Evidenz 2b) [60 ]
[63 ].
Das Risiko-Nutzen-Verhältnis für die Behandlung der akuten fulminanten Hepatitis B
mit Nukleos(t)idanaloga (NA) spricht in Zusammenschau der Evidenz für die Behandlung.
Patienten mit fulminanter Hepatitis B waren außerdem nicht ausreichend in der Metaanaylse
von Mantzoukis repräsentiert [61 ].
Eine antivirale Therapie sollte bis zur HBsAg-Serokonversion oder bei fehlender Anti-HBs-Entwicklung
bis 6 Monate nach HBsAg-Verlust fortgeführt werden. Auch wenn die meisten Untersuchungen
mit Lamivudin durchgeführt worden sind, legen neuere Daten nahe, dass auch die neuen
antiviralen Medikamente Entecavir und Tenofovir gleich effektiv und sicher sind (Evidenz
3b) [63 ].
Bei der Auswahl von NA sollen Komorbiditäten (v. a. Niereninsuffizienz und Knochendichteminderung)
und Begleitumstände berücksichtigt werden (siehe 3.2.2).
2.2 Chronische Hepatitis-B-Virusinfektion (Monoinfektion): Welche Patienten sollen
therapiert werden?
Alle Patienten mit chronischer Hepatitis B sind grundsätzlich Kandidaten für eine
antivirale Therapie. Die Indikationsstellung berücksichtigt in erster Linie die ALT-Aktivität
im Serum (wiederholt erhöht), die Höhe der Virusreplikation (Grenzwert 2000 IU/ml)
und den Entzündungs- und Fibrosestatus in der Biopsie oder den Fibrosestatus in der
nichtinvasiven Leberelastografie (siehe [Abb. 2 ]).
Konsens: 97,9 % (Delphi-Runde)
Geprüft 2020
NKLM
Abb. 2 Algorithmus zur Therapieindikation der chronischen HBV-Infektion. [rerif]
Kommentar:
Eine sichere Indikation zur antiviralen Behandlung besteht bei Patienten mit chronischer
Hepatitis B, HBeAg-positiv oder HBeAg-negativ, die
eine Virusreplikation von ≥ 2000 IU/ml zeigen und
eine entzündliche Aktivität mit wiederholt erhöhter Transaminasenaktivität im Serum
aufweisen und
unter Berücksichtigung von Lebensalter und Begleiterkrankungen ein Risiko haben, eine
Leberzirrhose und deren Komplikationen wie insbesondere ein HCC zu entwickeln.
Die Empfehlung entspricht auch den internationalen Leitlinien der EASL und AASLD [6 ]
[7 ]
[8 ].
Die Höhe der Transaminasen allein ist kein zuverlässiger Parameter für die Abschätzung
der Krankheitsaktivität, insbesondere bei HBeAg-negativen Patienten, und ist daher
für die Indikation zur Therapie nur eingeschränkt verwertbar (Evidenz 2b) [65 ].
Bei zunächst nicht eindeutiger Indikation sollten Viruslast und Transaminasen wiederholt
in dreimonatigen Abständen kontrolliert werden. In unklaren Situationen (z. B. HBV-DNA
im Serum > 2000 IU/ml und normalen oder nur minimal erhöhten bzw. fluktuierenden Transaminasen)
kann eine Leberbiopsie erfolgen, um das Lebergewebe histologisch zu beurteilen (siehe
auch 1.8.1 und 2.4). Das Ergebnis der Histologie kann in die Indikationsstellung mit
einbezogen werden. Dies gilt insbesondere für Patienten jenseits des 30. Lebensjahres.
Auch bei normalen oder nur minimal erhöhten Transaminasen im Serum kann eine Entzündung
und/oder eine signifikante Fibrose (> minimale Fibrose) in der Leber vorliegen, die
dann eine Therapieindikation begründen können (Evidenz 2b) [66 ]
[67 ]
[68 ]
[69 ]
[70 ].
Bei Patienten, die histologisch nur Minimalveränderungen aufweisen und deshalb zunächst
nicht behandelt werden, kann die Histologie nach 3–5 Jahren kontrolliert werden. Alternativ
können nichtinvasive sonografische Elastografieverfahren Informationen bezüglich einer
bereits vorliegenden Zirrhose liefern oder für Verlaufsbeurteilungen herangezogen
werden (siehe 1.8.2). Patienten mit einer Virämie ≥ 2000 IU/ml und wiederholt erhöhten
Transaminasen sollten therapiert werden, auch ohne Vorliegen einer Leberbiopsie. Einige
Studien zeigen allerdings auch für Patienten mit normalen Transaminasen in Abhängigkeit
von der Viruslast ab etwa 2000 IU/ ml ein signifikant erhöhtes Zirrhose- und Karzinomrisiko
(Evidenz 2b) [32 ]
[33 ]
[71 ].
Diese Studien sind an asiatischen Patienten (Patienten waren alle über 25 Jahre, mehrheitlich
HBeAg-negativ) mit den Genotypen B und C nach mehrheitlich vertikaler Transmission
erhoben worden. Obwohl die Daten nicht direkt auf kaukasische Patienten mit Genotypen
A und D und häufigerer horizontaler Transmission übertragbar sind, sollten diese Studienergebnisse
in therapeutische Überlegungen mit einfließen, zumal ein nicht unerheblicher Anteil
von HBV-Patienten in Deutschland aus asiatischen Ländern stammt. So sollten Patienten,
die bei anhaltend normalen Transaminasen eine höhere Viruslast zeigen (> 2000 IU/ml),
regelmäßig überwacht (Kontrollen alle 6 Monate) und bei Hinweisen für eine Aktivierung
der Erkrankung antiviral behandelt werden (siehe 2.4) [6 ].
Patienten mit Leberzirrhose sollen bei HBV-DNA-Nachweis unabhängig von der Höhe der
Virämie antiviral behandelt werden [2, A].
Konsens: 100 % (Konsensuskonferenz)
Modifiziert 2020
Leitlinienadaption EASL Clinical Practice Guideline HBV 2017, AASLD Practice Guideline
HBV 2016
NKLM
(siehe auch 3.9.1)
Kommentar:
Zu den besonders therapiebedürftigen Patienten zählen Patienten mit deutlicher oder
fortschreitender Leberfibrose oder -zirrhose. Letztere sind bereits durch relativ
milde Schübe („Flares“) der chronischen Hepatitis bei mangelnder Leberreserve z. T.
vital gefährdet. Zudem sind selbst niedrige HBV-DNA-Level (< 2000 IU/ml) in dieser
Patientengruppe mit einem erhöhten HCC-Risiko assoziiert (Evidenz 2b) [72 ]
[73 ]
[74 ].
Eine nachhaltige bzw. dauerhafte HBV-DNA-Suppression durch eine antivirale Therapie
ist mit der Verhinderung von Leberzirrhose, hepatischen Dekompensationen, HCC (Evidenz
1a), Lebertransplantation und Tod (Evidenz 2a) assoziiert (siehe 3.1) [75 ]
[76 ].
Analog zu den internationalen Leitlinien von EASL und AASLD sollen daher Patienten
mit Leberzirrhose bei Nachweis jeglicher Virämie (über der Nachweisgrenze sensitiver
Testsysteme) antiviral therapiert werden [6 ]
[7 ]
[8 ]. Die EASL-Leitlinie gibt hier einen stärkeren Empfehlungsgrad, ohne Primärquellen
anzugeben. Die AASLD-Leitlinie unterscheidet zwischen kompensierter Leberzirrhose
(geringere Evidenz, offene Empfehlung) und dekompensierter Leberzirrhose (moderate
Evidenz, starker Empfehhlungsgrad). Zur Vereinfachung haben wir analog der EASL-Leitline
in unserer Empfehlungsstärke nicht zwischen kompensierter und dekompensierter Leberzirrhose
unterschieden.
Patienten mit HCC und positiver HBV-DNA sollten mit Nukleos(t)idanaloga behandelt
werden [2, B].
Konsens: 100 % (Konsensuskonferenz)
Neu 2020
Evidenztabelle siehe Leitlinienreport Anhang III
Kommentar:
Mehrere Studien belegen einen Nutzen einer antiviralen Therapie bei Patienten mit
HBV-Infektion und hepatozellulärem Karzinom (HCC). Durch eine antivirale Therapie
bei Patienten nach kurativer HCC-Resektion wird die Rate von HCC-Rezidiven vermindert
sowie das Gesamtüberleben verbessert (Evidenz 2a). Auch bei Patienten mit primär nicht
resezierbarem HCC zeigt sich ein Überlebensvorteil sowie eine verlangsamte Progression
der Tumorerkrankung, wenn diese antiviral behandelt wird (Evidenz 2a) [77 ]
[78 ]
[79 ]
[80 ]
[81 ]
[82 ]
[83 ]
[84 ]
[85 ].
Reaktivierungen der Hepatitis-B-Virusreplikation durch Immunsuppression sollen verhindert
werden, da sie das Risiko von akuter Dekompensation und Zirrhose erhöhen (siehe 3.13).
Konsens: 95,7 % (Delphi-Runde)
Modifiziert 2020
Kommentar:
Die HBV-Infektion kann reaktivieren, sowohl bei inaktiven HBsAg-Trägern als auch nach
klinisch durchgemachter Hepatitis B mit Verlust von HBsAg oder Ausbildung von Anti-HBs
und/oder Anti-HBc-Antikörpern. Reaktivierungen der Hepatitis B erhöhen das Risiko
von Zirrhose und HCC. Das Risiko der Reaktivierung der HBV-Infektion mit Gefahr der
klinischen Dekompensation wird durch eine Immunsuppression (Chemotherapie, Transplantation
u. a.) deutlich erhöht (siehe 3.13). (keine Änderung zu [5 ]).
Gemäß internationalen Leitlinien ist eine prophylaktische Therapie mit NA bei HBsAg-positiven
Patienten, die immunsuppressiv behandelt werden, empfohlen, um Reaktivierungen zu
verhindern (siehe 3.13) [6 ]
[86 ]
[87 ].
Aber auch bei lediglich Anti-HBc-positiven Patienten und auch in Einzelfällen bei
Anti-HBs-positiven Personen kann eine präventive Therapie mit Nukleos(t)idanaloga
notwendig sein (Einzelheiten siehe 3.13).
Eine Schwangerschaft stellt keine Kontraindikation für eine Therapie mit Tenofovir
(TDF), Lamivudin oder Telbivudin dar. Die medizinische Indikation sowie die Verhinderung
der Mutter-Kind-Übertragung sollen berücksichtigt werden (siehe 3.12).
Konsens: 100 % (Konsensuskonferenz)
Neu 2020
Evidenztabelle siehe Leitlinienreport Anhang III
Kommentar:
Aus Tierversuchen lässt sich kein Hinweis auf eine Beeinträchtigung des Fötus durch
Tenofovir oder Telbivudin ableiten. Ausreichende klinische Daten aus großen Schwangerschaftsregistern
liegen aktuell für Lamivudin, Tenofovir (TDF) und Telbivudin vor. Hierbei zeigte sich
für diese Substanzen kein erhöhtes Risiko für fötale Missbildungen, auch wenn die
Substanzen bereits im ersten Trimenon eingesetzt wurden (Evidenz 2a) [19 ].
Die Empfehlungen zum Behandlungsbeginn richten sich nach den allgemeinen Therapieempfehlungen
(siehe 3.12). Eine Therapieindikation zur Verhinderung der Mutter-Kind-Übertragung
soll geprüft werden, da eine antivirale Therapie mit Tenofovir (TDF), Telbivudin oder
Lamivudin bei Schwangeren mit hoher Viruslast (> 200 000 IU/ml) das Risiko der vertikalen
Übertragung senkt (siehe 3.12) (Evidenz 1b) [19 ]
[20 ]
[21 ]
[22 ]
[24 ]
[25 ]
[88 ].
Die Empfehlungen entsprechen den internationalen Leitlinien von AASLD, EASL und WHO
[6 ]
[7 ]
[23 ].
Berufliche und soziale Aspekte können eine antivirale Therapie begründen, insbesondere
mit dem Ziel, die Transmission an Dritte zu verhindern (siehe 2.3, 3.12).
Konsens: 100 % (Delphi-Runde)
Geprüft 2020
Kommentar:
Eine antivirale Therapie kann im Einzelfall erwogen werden, um z. B. einem HBV-Infizierten
die weitere Berufsausübung zu ermöglichen, falls ihm aufgrund einer replikativen HBV-Infektion
ein Berufsverbot droht. Die Übertragung von HBV an Dritte durch z. B. im Gesundheitswesen
tätige Personen ist ab einer Virämie von < 200 IU/ml nicht bekannt, aber denkbar.
Übertragungen sind bisher vorwiegend bei verletzungsträchtigen Prozeduren berichtet
worden (z. B. bei Thoraxchirurgen, Kieferchirurgen und Gynäkologen) und sind fast
immer von HBV-Infizierten mit > 20 000 IU/ml ausgegangen [89 ].
Auch soziale Aspekte wie eine Stigmatisierung des Infizierten oder sexuelle Praktiken
(u. a. häufig wechselnde Sexualpartner), die mit einem erhöhten Übertragungsrisiko
einhergehen, können eine Therapie begründen.
Patienten mit extrahepatischen Komplikationen sollten behandelt werden [3, B] (siehe
3.10).
Konsens: 97,9 % (Delphi-Runde)
Modifiziert 2020
Leitlinienadaption EASL Clinical Practice Guideline HBV 2017
Kommentar:
Zu den extrahepatischen Komplikationen einer HBV-Infektion zählen z. B. eine HBV-assoziierte
Polyarteriitis nodosa und eine HBV-assoziierte Nephropathie (v. a. membranöse Glomerulonephritis).
Einzelne Fallberichte und Fallserien berichten, dass eine antivirale Therapie die
Progression der extrahepatischen Komplikationen stoppen und ggf. zu einer Regression
führen kann. So wurde z. B. in einer Fallserie von 17 Patienten mit HBV-assoziierter
Vaskulitis bei Kryglobulinämie mittels antiviraler NA-Therapie in allen behandelten
Patienten sowohl eine weitere Progression der Vaskulitis verhindert als auch in den
überwiegenden Fällen eine Besserung der Symptomatik erreicht (Evidenz 3b) [90 ].
Mehrere Metaanalysen berichten zudem von einem Nutzen einer antiviralen Therapie bei
HBV-assoziierter Nephropathie hinsichtlich einer verminderten Proteinausscheidung,
einer stabilisierten Nierenfunktion sowie einer erhöhten Remissionsrate (Evidenz 3a)
[91 ]
[92 ].
Alkohol- oder Drogenkonsum stellt keine Kontraindikation gegen eine Therapie mit Nukleos(t)idanaloga
dar.
Konsens: 95,7 % (Delphi-Runde)
Geprüft 2020
Kommentar:
Die Abstinenz vor Therapiebeginn stellt keine absolute Voraussetzung zur Indikationsstellung
dar. Die zu erwartende Compliance sollte vor Therapiebeginn abgeschätzt und während
der Therapie klinisch überprüft werden. Therapieindikation, -dauer und -überwachung
sind abhängig von der Höhe der Transaminasen, der HBV-DNA, ggf. histologischen Veränderungen
in der Leber und dem HBeAg/Anti-HBe-Status und sind daher nicht grundsätzlich anders
als bei Patienten ohne Alkohol- bzw. Drogenabhängigkeit. Aufgrund des Nebenwirkungsprofils
einer Therapie mit (PEG-) Interferon alfa wird als Primärtherapie eine orale antivirale
Therapie empfohlen (keine Änderung zu [5 ]).
2.3 Sollen Patienten mit hochvirämischer chronischer HBV-Infektion (früher als „immuntolerante“
Patienten bezeichnet) behandelt werden?
Bei hochvirämischer chronischer HBV-Infektion mit wiederholt normaler ALT besteht
keine dringende medizinische Indikation für eine antivirale Behandlung.
Konsens: 92,9 % (Konsensuskonferenz)
Neu 2020
Da die Höhe der HBV-DNA als unabhängiger Risikofaktor für die Entwicklung einer Leberzirrhose
und/oder eines HCC identifiziert wurde (u. a. in der REVEAL-Studie), liegt die Überlegung
nahe, dass auch Patienten mit einer HBeAg-positiven chronischen HBV-Infektion (früher
„immuntolerante“ Patienten) von einer antiviralen Therapie profitieren könnten. Bis
dato gibt es jedoch keine Evidenz, dass eine antivirale Therapie in dieser Patientengruppe
die Inzidenz einer Leberzirrhose und/oder eines HCCs vermindert bzw. einen Überlebensvorteil
bringt. Die Studienkohorte in der REVEAL-Studie war nicht repräsentativ für die HBeAg-positive
chronische HBV-Infektion. Alle Patienten waren älter als 30 Jahre, 67 % sogar älter
als 40 Jahre und 95 % der Patienten waren HBeAg-negativ (Evidenz 2b) [32 ]
[33 ].
Histologische Untersuchungen von jungen Patienten mit einer HBeAg-positiven chronischen
HBV-Infektion mit niedrig normaler ALT zeigen zudem, dass nur in einer Minderheit
dieser Patienten signifikante histologische Veränderungen bestehen (Evidenz 3b) [67 ]
[93 ]
[94 ].
Daher empfehlen die internationalen Leitlinien der EASL und AASLD, dass keine medizinische
Therapieindikation für diese Patienten vorliegt [6 ]
[7 ].
Patienten > 30 Jahre oder Patienten mit hoch normalen ALT-Werten (Männer > 30 U/l,
Frauen > 19 U/l) können antiviral behandelt werden [3, 0].
Konsens: 96,6 % (Konsensuskonferenz)
Neu 2020
Leitlinienadaption EASL Clinical Practice Guideline HBV 2017, AASLD Practice Guideline
HBV 2016
Kommentar:
Patienten mit einer HBeAg-positiven chronischen Infektion können eine spontane HBeAg-Serokonversion
erreichen. Im Alter von ca. 31 Jahren hatten 85 % aller Studienteilnehmer (in einer
prospektiven Studie mit 240 Teilnehmern) Anti-HBe entwickelt. Bei 15 % dieser Patienten
kam es im weiteren Verlauf allerdings zu einer HBeAg-negativen chronischen Hepatitis
B (Evidenz 2b) [95 ].
Ältere Patienten (> 30 Jahre) mit fortbestehender, chronischer HBeAg-positiver Infektion
(irrtümlich in Studien oft als „immuntolerante“ Patienten bezeichnet) weisen vermehrt
signifikante histologische Veränderungen auf und zeigen im Vergleich zu HBeAg-negativen
Patienten ein deutlich erhöhtes Risiko für die Entwicklung eines HCC (Evidenz 3b).
Subgruppenanalysen belegen zudem, dass auch HBeAg-positive Patienten mit hoch normaler
ALT (Männer > 30 U/l, Frauen > 19 U/l) bereits häufiger signifikante histologische
Veränderungen aufweisen, die eine antivirale Therapie begründen können [66 ]
[93 ]
[96 ].
Aus diesem Grund empfehlen auch die AASLD-Leitlinien bei HBeAg-positiver Infektion
eine antivirale Therapie bei älteren Patienten (> 40 Jahre) sowie bei hoch normalen
ALT-Werten (Frauen > 19 IU/l, Männer > 30 IU/l). [7 ] Die EASL-Leitlinien haben hier die Altersgrenze bei > 30 Jahren gesetzt [6 ].
Eine antivirale Therapie zur Verhinderung einer Transmission an Dritte kann erfolgen
[EK].
Konsens: 100 % (Delphi-Runde)
Neu 2020
Kommentar:
Da das Transmissionsrisiko von der Höhe der Viruslast abhängt, kann eine antivirale
Therapie zur Verhinderung der Transmission v. a. bei Schwangeren und Berufstätigen
im Gesundheitswesen erfolgen. Details siehe 2.2.6 und 3.12.
2.4 Sollen Patienten mit niedrig virämischer chronischer HBV-Infektion (früher als
„inaktive Träger“ bezeichnet) behandelt werden?
Bei niedrig virämischer chronischer HBV-Infektion (HBeAg negativ, HBV-DNA < 2000 IU/ml,
wiederholt normale ALT, kein Hinweis für eine moderate bis fortgeschrittene Leberfibrose)
braucht i. d. R. keine antivirale Behandlung zu erfolgen [3, 0].
Konsens: 96,6 % (Konsensuskonferenz)
Neu 2020
Leitlinienadaption EASL Clinical Practice Guideline HBV 2017, AASLD Practice Guideline
HBV 2016
Kommentar:
Diese Empfehlung entspricht den Empfehlungen von EASL und AASLD [6 ]
[7 ].
Zu den Patienten, die in der Regel nicht behandelt werden sollten, zählen Patienten
mit niedrig virämischer chronischer HBV-Infektion (früher: inaktive HBsAg-Träger;
anhaltend niedrige Virämie < 2000 IU/ml und anhaltend normale ALT), da diese Personen
eine geringe HBV-assoziierte Morbidität und Sterblichkeit aufweisen (Evidenz 3b) [97 ].
Niedrig virämische HBsAg-Träger (mit normalen ALT-Werten) aus Asien haben im Vergleich
zu HBsAg-negativen Patienten ein erhöhtes HCC-Risiko (Evidenz 2b). Das Risiko kann
durch die Bestimmung von HBsAg stratifiziert werden. Ein HBsAg-Wert > 1000 IU/ml war
bei HBeAg-negativen Patienten mit HBV-DNA < 2000 IU/ml sowie bei Patienten mit HBV-DNA-Werten
von 2000–20 000 IU/ml mit einem höheren HCC-Risko assoziiert. Dabei ist allerdings
nicht klar, ob diese Patienten wiederholt normale Transaminasen aufweisen (siehe unten)
(Evidenz 2b) [71 ]
[98 ]
[99 ].
Zudem wurde diese Assoziation bislang nicht bei europäischen Patienten dokumentiert
(Evidenz 3b) [97 ].
HBeAg-negative Patienten mit einer HBV-DNA zwischen 2000 und 20 000 IU/ml, die wiederholt
normale ALT aufweisen (Zeitraum von mindestens 3 Jahren), haben i. d. R. keinen Hinweis
auf einen signifikanten Leberschaden (Fibrose) (Evidenz 3a) [57 ].
Patienten, die diese Kriterien erfüllen, brauchen zunächst nicht antiviral behandelt
zu werden. Die Kontrollen (HBV-DNA, ALT) sollten aber häufiger als bei Patienten mit
HBV-DNA < 2000 IU/ml erfolgen (siehe 1.2.4).
HBeAg-negative Patienten mit HBV-DNA > 20 000 IU/ml und normaler ALT können behandelt
werden. Die Daten der REVEAL-Studie aus Asien belegen die Assoziation von HBV-DNA
und HCC bzw. Zirrhoserisiko, insbesondere bei HBeAg-negativen Patienten mit einer
HBV-DNA > 20 000 IU/ml (Evidenz 2b) [32 ]
[33 ].
In unklaren Situationen (fluktuierende ALT- oder HBV-DNA-Werte) kann eine Leberbiopsie
sinnvoll sein, um die entzündliche Aktivität und das Ausmaß der Leberfibrose histologisch
zu beurteilen (siehe 1.8.1).
Eine antivirale Therapie zur Verhinderung einer Transmission an Dritte kann erwogen
werden [EK].
Konsens: 96,6 % (Konsensuskonferenz)
Neu 2020
Kommentar:
Auch in dieser Patientengruppe kann eine antivirale Therapie zur Verhinderung der
Transmission an Dritte erwogen werden. Details siehe 2.2.6.
3 Therapie der chronischen Hepatitis-B-Virusinfektion
M. Cornberg, F. Tacke , N. Dikopoulos, C. Höner zu Siederdissen, D. Kroy, M. Sprinzl, F. van Bömmel, I.
van Thiel, J. Vermehren, K. Wursthorn, S. Zeuzem
3.1 Was sind die Ziele der Therapie der chronischen Hepatitis B?
Ziele der Therapie der chronischen Hepatitis B sind, die Morbidität (Leberzirrhose,
Leberdekompensation, hepatozelluläres Karzinom, extrahepatische Manifestationen) und
Mortalität der HBV-Infektion zu senken. Ein weiteres Ziel ist die Verbesserung und,
idealerweise, die Reversion einer Leberfibrose oder Zirrhose. Um diese Ziele zu erreichen,
werden Surrogatmarker während und nach der Behandlung zur Überprüfung des Therapieerfolgs
herangezogen:
Langfristiges Therapieziel ist der Verlust des HBsAg. Idealerweise kommt es zu einer
Serokonversion von HBs-Antigen zu Anti-HBs-Antikörpern.
Bei Patienten ohne Leberzirrhose soll eine dauerhafte Suppression der HBV-DNA (mindestens
< 2000 IU/ml, idealerweise unterhalb der Nachweisgrenze bzw. nicht quantifizierbar)
erreicht werden. Bei Patienten mit Leberzirrhose soll die HBV-DNA unterhalb der Nachweisgrenze
bzw. nicht quantifizierbar sein.
Ein HBeAg-Verlust und eine Serokonversion zu Anti-HBe kann ein Therapieendpunkt sein,
wenn die HBV-DNA dauerhaft supprimiert ist (mindestens < 2000 IU/ml, idealerweise
unterhalb der Nachweisgrenze bzw. nicht quantifizierbar).
Die Normalisierung der ALT kann ein zusätzlicher Endpunkt sein.
Konsens: 93,8 % (Delphi-Runde)
Modifiziert 2020
NKLM
Kommentar:
Analog zu den Daten im natürlichen Verlauf ist der HBsAg-Verlust der optimale Therapieendpunkt,
da er mit einer funktionellen Heilung gleichzusetzen ist [6 ]
[7 ]
[8 ]
[100 ].
Eine NA-Therapie kann nach HBsAg-Verlust beendet werden (siehe 3.8). Ein HBsAg-Verlust
während einer NA-Therapie ist meist dauerhaft und war in asiatischen Studien mit einem
geringeren HCC-Risiko assoziiert (Evidenz 3b) [101 ]
[102 ]
[103 ].
Eine HBV-DNA > 2000 IU/ml ist mit dem Risiko für die Entstehung einer Leberzirrhose
und eines hepatozellulären Karzinoms (HCC) assoziiert (Evidenz 2b) [32 ]
[33 ]
[100 ].
Eine nachhaltige HBV-DNA-Suppression mit Interferon alfa (IFN) oder dauerhafte HBV-DNA-Suppression
mit Nukleosidanaloga bzw. Nukleotidanaloga (NA) ist mit der Verhinderung von Leberzirrhose,
hepatischen Dekompensationen, HCC (Evidenz 1a), Lebertransplantation und Tod (Evidenz
2a) assoziiert. Die stärkste Evidenz für die Verhinderung von HCC und Tod durch eine
effektive NA-Behandlung liegt bei Patienten mit Leberzirrhose vor [75 ]
[76 ].
Für Patienten ohne Leberzirrhose waren die Nachbeobachtungszeiten (5 Jahre) vermutlich
zu kurz, und es wurden zu wenige Patienten untersucht, um die Verhinderung von HCC
und Tod nachzuweisen [104 ].
Aufgrund der Datenlage, die einen positiven Effekt der antiviralen Therapie bei Patienten
mit einer Viruslast > 2000 IU/ml zeigt, sind placebokontrollierte Studien als unethisch
zu betrachten und nicht mehr durchführbar. Der Nutzen einer antiviralen Therapie kann
anhand von Surrogatparametern (HBV-DNA, Anti-HBe-Serokonversion, HBsAg-Verlust, ALT-Normalisierung
und Fibroseverbesserung) beurteilt werden [6 ].
Ein bestimmter HBV-DNA-Grenzwert, der im Verlauf der Therapie unterschritten werden
sollte, ist allerdings nicht genau definiert. Bei einer Therapie mit IFN bzw. PEG-IFN
wurde eine HBV-DNA < 2000 IU/ml (meist 6 Monate nach Ende der Therapie) als Endpunkt
definiert [6 ]
[7 ]
[8 ]
[100 ].
Analog zu den Daten im natürlichen Verlauf sollte daher die HBV-DNA auch mit NA auf
jeden Fall < 2000 IU/ml abfallen. Ideal ist in jedem Fall ein Abfall der HBV-DNA unterhalb
der Nachweisgrenze bzw. Quantifizierungsgrenze hochsensitiver Assays (< 20 IU/ml)
(Expertenmeinung). Denn bei nur partieller Unterdrückung der HBV-DNA (aufgrund von
Nichtansprechen oder von Resistenzen) steigt das Risiko für die Entwicklung eines
HCC (Evidenz 2a) [105 ]
[106 ].
Vor allem bei Patienten mit Leberzirrhose ist eine komplette virologische Kontrolle
(Suppression der HBV-DNA unter die Nachweisgrenze bzw. in den nicht quantifizierbaren
Bereich eines hochsensitiven Assays) wichtig. Patienten mit kompensierter Zirrhose
und quantifizierbarer HBV-DNA < 2000 IU/ml haben ein höheres HCC-Risiko als Patienten
mit nicht nachweisbarer bzw. nicht quantifizierbarer HBV-DNA. Dies gilt auch für Patienten
unter antiviraler Therapie (Evidenz 2b) [72 ]
[73 ]
[74 ].
Das frühe Erreichen des kompletten virologischen Ansprechens (nicht quantifizierbar)
nach 1 Jahr Therapie ist ebenfalls für das HCC-Risiko bedeutsam. Dies bestätigt sich
auch in einer anderen Studie, in der eine nachweisbare HBV-DNA (> 20 IU/ml) nach 1 Jahr
Therapie mit ETV mit einem höheren HCC-Risiko bei Patienten mit dekompensierter Zirrhose
verbunden war (Evidenz 2b) [107 ].
Eine dauerhafte Suppression der HBV-DNA ist mit einer Verbesserung der Leberhistologie
assoziiert. Nach 5 Jahren Therapie mit Entecavir bzw. Tenofovir wurde bei den meisten
Patienten eine Verbesserung der Leberfibrose und bei einigen Patienten sogar eine
Reversion einer F6-Fibrose nach Ishak (= Zirrhose) dokumentiert (Evidenz 2b) [108 ]
[109 ].
Der Endpunkt „Verbesserung der Leberfibrose oder Leberzirrhose“ kann mit der nichtinvasiven
transienten Elastografie bestimmt werden (siehe 1.8.2).
Ein HBeAg-Verlust und eine Anti-HBe-Serokonversion bei initial HBeAg-positiven Patienten
(ohne das Vorliegen von Pre-Core oder BCP (basal-core-promoter)-Mutanten) sind mit
einer Immunkontrolle gleichzusetzen. Eine dauerhafte HBeAg-Serokonversion nach PEG-IFN-Behandlung
kann mit einer guten Prognose assoziiert sein, vergleichbar mit der von inaktiven
HBsAg-Trägern (bzw. HBeAg-negativer chronischer Infektion) (Evidenz 2b) [110 ].
In einer asiatischen Kohortenstudie mit einer Langzeitbeobachtung von 15 Jahren zeigte
sich eine geringere Inzidenz von Zirrhose und HCC nach IFN-induzierter HBeAg-Serokonversion
sowohl im Vergleich zu Patienten, die keine HBeAg-Serokonversion unter IFN-Behandlung
erreicht hatten, als auch im Vergleich zu nicht therapierten Kontrollen (Evidenz 3b)
[111 ].
Allerdings gibt es auch Studien, in denen eine HBeAg-Serokonversion nach IFN-Behandlung
nicht mit einem verbesserten Verlauf gegenüber unbehandelten Kontrollen assoziiert
war. In einer dieser Studien waren 89 % der Patienten nach HBeAg-Serokonversion noch
HBV-DNA-positiv. Die HBV-DNA wurde allerdings nicht quantifiziert und Precore/BCP-Mutationen
wurden nicht analysiert (Evidenz 3b) [112 ].
Um dem Grenzwert gerecht zu werden, ab dem im natürlichen Verlauf der HBV-Infektion
die Rate von Komplikationen ansteigt, sollte die HBV-DNA nach HBeAg-Serokonversion
dauerhaft auf < 2000 IU/ml, bei Patienten mit Leberzirrhose auf < 20 IU/ml supprimiert
sein. Die HBeAg-Serokonversion während einer NA-Behandlung kann analog zur IFN-Behandlung
ein Kriterium für einen Therapiestopp darstellen (siehe 3.8). Analog zu internationalen
Leitlinien von EASL und AASLD sollte nach einer HBeAg-Serokonversion, die während
der Behandlung mit NA entstanden ist, die Behandlung für weitere 12 Monate fortgeführt
werden [6 ]
[7 ]
[8 ].
Im Fall einer dauerhaften virologischen Response wird in der Regel auch eine dauerhafte
ALT-Normalisierung erreicht. Falls die ALT weiterhin erhöht bleibt, sollten andere
Ursachen hierfür ausgeschlossen werden (z. B. Fettleberhepatitis). Bei Patienten mit
virologischer Response, bei denen die Leberwerte jedoch weiterhin erhöht sind, ist
die Wahrscheinlichkeit einer Fibroseregression geringer (Evidenz 2b) [113 ].
Weitere Ziele der Therapie sind die Senkung der Infektiosität des Patienten bzw. die
Senkung der Transmissionsrate (z. B. Mutter-Kind-Übertragung), die Verhinderung einer
HBV-Reaktivierung und/oder die Verbesserung von extrahepatischen Manifestationen.
Konsens: 97,9 % (Delphi-Runde)
Neu 2020
NKLM
Kommentar:
Bei Personen, die im medizinischen Bereich arbeiten, soll eine Suppression der HBV-DNA
< 2000 IU/ml und bei Personen, die verletzungsträchtigen Tätigkeiten nachgehen, < 200 IU/ml
erreicht werden (siehe 5.12). Um die vertikale Transmission (Mutter-Kind-Übertragung)
zu verhindern, soll die HBV-DNA zum Zeitpunkt der Geburt < 200 000 IU/ml liegen (siehe
3.12). Es sind keine Grenzwerte für HBV-Marker bekannt, die mit einer Verbesserung
von extrahepatischen Manifestationen assoziiert sind. Ideal ist die Suppression der
HBV-DNA unter die Nachweisgrenze (Expertenmeinung).
3.2 Welche grundsätzlichen Fragen sind bei der Therapieplanung der Hepatitis B in
der Primärtherapie zu berücksichtigen?
Für die Therapie der chronischen HBV-Infektion stehen mit pegyliertem Interferon alfa
(PEG-IFN) und Nukleosid- bzw. Nukleotidanaloga zwei unterschiedliche Therapiekonzepte
zur Verfügung ([Tab. 10 ]).
Tab. 10a
Antivirale Wirksamkeit der zugelassenen Substanzen zur Therapie der chronischen Hepatitis
B bei HBeAg-positiven Patienten nach 48 Wochen [6 ]
[76 ]
[137 ]. b Antivirale Wirksamkeit der zugelassenen Substanzen zur Therapie der chronischen Hepatitis
B bei HBeAg-negativen Patienten nach 48 Wochen [6 ]
[76 ]
[136 ]. c Antivirale Wirksamkeit von TDF und ETV im Langzeitverlauf. d Kumulative Inzidenz von Resistenzentwicklung gegen verschiedenen NA [6 ]
[135 ].
a
Peg-IFNa-2a
LAM
TBV
ETV
ADV
TDF
TAF
Dosis*
180 µg
100 mg
600 mg
0,5 mg
10 mg
245 mg
25 mg
Anti-HBe-Serokonversion
32 %
16–18 %
22 %
21 %
12–18 %
21 %
10 %
HBV-DNA
< 29–80 IU/ml
14 %
36–44 %
60 %
67 %
13–21 %
76 %
64 %
ALT normal#
41 %
41–72 %
77 %
68 %
48–54 %
68 %
72 %
HBsAg Verlust
3 %
0–1 %
0,5 %
2 %
0 %
3 %
1 %
*PEG-IFN wird einmal pro Woche subkutan als Injektion verabreicht; NA täglich oral
als Tablette. # Die Definition „ALT normal“ variiert zwischen verschiedenen Studien
[z. B. Abfall der ALT ≤ 1,25-fach der Norm in ETV-Studien oder ≤ 1,3-fach der Norm
in TDF-Studien]. Die untere Nachweisgrenze der HBV-DNA-Assays variiert zwischen verschiedenen
Studien: z. B. < 29 IU/ml für TAF-Studien.
b
Peg-IFNa-2a
LAM
TBV
ETV
ADV
TDF
TAF
Dosis*
180 µg
100 mg
600 mg
0,5 mg
10 mg
245 mg
25 mg
HBV-DNA
< 29–80 IU/ml
19 %
72–73 %
88 %
90 %
51–63 %
93 %
94 %
ALT normal#
59 %
71–79 %
74 %
78 %
72–77 %
76 %
83 %
HBsAg Verlust
4 %
0 %
0 %
0 %
0 %
0 %
0 %
*PEG-IFNa-2a wird einmal pro Woche subkutan als Injektion verabreicht; NA täglich
oral als Tablette. # Die Definition „ALT normal“ variiert zwischen verschiedenen Studien
[z. B. Abfall der ALT ≤ 1,25-fach der Norm in ETV-Studien oder ≤ 1,3-fach der Norm
in TDF Studien]. Die Nachweisgrenze der HBV-DNA-Assays variiert zwischen verschiedenen
Studien: z. B. < 29 IU/ml für TAF-Studien.
c
ETV (5 Jahre)
TDF (5 Jahre)
Dosis*
0,5/1,0 mg
245 mg
HBV-DNA
< 300 (ETV) bzw. < 69 (TDF) IU/ml
93 %
98,3 %
ALT normal#
80 %*
81,3 %
HBsAg Verlust
5 %**
9,8 %
HBeAg Verlust
31 %**
49,7 %
TDF: cirrhosis and no cirrhosis [142 ]; ETV: [143 ]
[144 ] *HBeAg-positive **HBeAg-positive; 5 % after 2 years.
d
LAM
TBV
ETV
ADV
TDF
TAF
Jahr 1
24 %
4 %
0,2 %
0 %
0 %
0 %
Jahr 2
38 %
17 %
0,5 %
3 %
0 %
0 %
Jahr 3
49 %
1,2 %
11 %
0 %
Jahr 4
67 %
1,2 %
18 %
0 %
Jahr 5
70 %
1,2 %
29 %
0 %
Bei der Therapieauswahl sollte geprüft werden, ob eine Therapie mit PEG-IFN möglich
und sinnvoll ist [EK].
Konsens: 89,7 %[* ] (Konsensuskonferenz)
Modifiziert 2020
NKLM
Kommentar:
Die Therapie mit pegyliertem Interferon alfa (IFN) ist für HBV-Infektionen zeitlich
begrenzt (siehe 3.3). Für die Therapie sowohl der HBeAg-positiven als auch der HBeAg-negativen
chronischen Hepatitis B mit IFN konnte in einer Metaanalyse bzw. in mehreren Langzeitverlaufsstudien
eine Verbesserung klinischer Endpunkte, der Leberwerte, der HBV-DNA-Konzentration
und der Leberhistologie sowie der Häufigkeit des Leberzellkarzinoms im Vergleich zu
nicht therapierten Patienten dokumentiert werden (Evidenz 1a) (keine Änderung zu [5 ]).
In einer aktuellen retrospektive Kohortenstudie aus einem einzelnen Studienzentrum
in Asien war während eines Beobachtungszeitraums von 5 Jahren die kumulative Rate
an HCC bei Patienten, die eine Therapie mit PEG-IFN erhielten, signifikant geringer
als bei Patienten, die eine Therapie mit NAs erhielten, insbesondere im Vergleich
zu Patienten mit einer Entecavir-Therapie. Die Studie hat allerdings Limitationen,
da es sich um asiatische Patienten handelt und wichtige Informationen zur Nachbeobachtungszeit
und zum Stadium der Leberzirrhose nicht sehr detailliert dargestellt sind (Evidenz
2b) [114 ].
Die serologischen Surrogatparameter HBeAg-Serokonversion und HBsAg-Verlust (auch bei
HBeAg-negativen Patienten) werden mit einer IFN- bzw. PEG-IFN-basierten Therapie häufiger
erreicht als mit einer gleich langen (meist 48-wöchigen) NA-Therapie (Evidenz 1b)
[115 ]
[116 ]
[117 ].
Allerdings ist die Rate an HBsAg-Verlusten insgesamt sehr gering ([Tab. 10 ]). Bei Langzeittherapie mit NAs können kumulative HBeAg-Serokonversionsraten erreicht
werden, die mit der HBeAg-Serokonversionsrate von zeitlich begrenzter PEG-IFN-Therapie
vergleichbar sind. Die HBeAg-Serokonversionsrate unter einer IFN-Therapie scheint
im Vergleich zu einer zeitlich begrenzen Lamivudintherapie aber nachhaltiger zu sein
(Evidenz 3b) [118 ].
Aufgrund der Nebenwirkungen der IFN- bzw. PEG-IFN-Therapie sollen Patienten über die
Vor- und Nachteile der Therapie besonders aufgeklärt werden. Kontraindikationen gegen
eine PEG-IFN-Therapie sollen berücksichtigt werden. Positiv prädiktive Faktoren für
ein Therapieansprechen auf PEG-IFN wie eine hohe ALT, mäßig hohe HBV-DNA und ein Genotyp
A können berücksichtigt werden. Bei der Durchführung einer IFN enthaltenden Therapie
sollten die definierten (vgl. Abschnitt 3.3.1) STOP-Kriterien (HBV-DNA-Abfall, HBsAg-Abfall)
zur Therapiesteuerung angewendet werden, um bei abzusehendem Nichtansprechen die Therapie
vorzeitig beenden zu können (siehe 3.3).
Die Herstellerfirma des PEG-Interferon alfa-2a hat im Juli 2020 angekündigt, dieses
weltweit vom Markt zu nehmen. Aktuelle Projektionen gehen von einer Verfügbarkeit
in Deutschland bis zum Jahresende 2022 aus. Der Marktrückzug betrifft alle Handelsformen;
es besteht kein Zusammenhang mit der Sicherheit oder Wirksamkeit des Produktes. Bis
zur letzten Lieferung ist die bekannte Qualität gewährleistet. Der aktuelle Bestand
des Arzneimittels wird abverkauft, eine Produktion findet nicht mehr statt (https://www.roche.de/medien/meldungen/Mittelfristig-laeuft-Pegasys-aus-Alle-1-5163.html ).
Wir werden rechtzeitig ein Addendum veröffentlichen.
Bei der Therapie mit Nukleos(t)idanaloga sollen Entecavir (ETV) oder Tenofovir (TDF
oder TAF) bevorzugt werden [1, A]. Bei der Auswahl von NA sollen das Stadium der Lebererkrankung,
Komorbiditäten (v. a. Niereninsuffizienz und Knochendichteminderung) und Begleitumstände
(z. B. Schwangerschaft, Kinderwunsch, Transplantation), die Höhe der HBV-DNA sowie
eventuelle Vortherapien berücksichtigt werden [EK].
Konsens: 100 % (Konsensuskonferenz)
Neu 2020
Leitlinienadaption EASL Clinical Practice Guideline HBV 2017, AASLD Practice Guideline
HBV 2016
NKLM
Kommentar:
Die antivirale Wirksamkeit von NA wurde in Phase-III-Studien belegt (Evidenz 1a) [76 ].
Mittlerweile liegen auch Langzeitdaten über 5 Jahre für Entecavir und Tenofovir (TDF)
vor ([Tab. 10 ]). Das virologische Ansprechen bei naiven Patienten liegt mit Entecavir oder Tenofovir
(TDF) bei > 92–100 % (Evidenz 1a) ([Tab. 10 ]).
Im Langzeitverlauf sind die Ansprechraten für Entecavir u. a. aufgrund des Auftretens
von Resistenzen, v. a. bei mit Lamivudin vorbehandelten bzw. gegen Lamivudin resistenten
Patienten, graduell schlechter als für Tenofovir. Die HBsAg-Verlust- bzw. Serokonversionsrate
ist gering ([Tab. 10 ]) und steigt im Verlauf nur mäßig an (5 % bzw. 9,8 % nach 5 Jahren Therapie mit ETV
und TDF).
NA haben keinen wesentlichen direkten Effekt auf die Menge der cccDNA im Zellkern
der Leberzellen, von der das HBsAg unabhängig von der HBV-DNA-Polymerase exprimiert
wird. In einer kürzlich publizierten Studie wurde nach einjähriger NA-Therapie ein
geringer Rückgang der cccDNA beobachtet, der unabhängig vom eingesetzten NA ist und
somit auf einen NA-unabhängigen Mechanismus schließen lässt. Infrage kommt hier die
(allmähliche) Verdünnung des cccDNA-Pools durch Zellteilung. Umgekehrt eignet sich
das Serum-HBsAg nicht als Surrogatparameter für die Menge der cccDNA in den Leberzellkernen,
da die Produktion des HBsAg nicht nur von der Menge der cccDNA, sondern auch von deren
transkriptioneller Aktivität oder der Produktion von HBsAg aus in die Wirts-DNA integrierter
viraler HBV-DNA abhängt. Eine HBsAg-Reduktion unter NA-Therapie ist deshalb mit Ausnahme
des frühen Abfalls (bis Monat 6 nach Start der NA-Therapie) wenig prädiktiv [36 ].
Die Langzeitsuppression der HBV-DNA durch die Therapie mit NA führt zu einer Verbesserung
von wichtigen Endpunkten:
Risiko der HCC-Entstehung: Vor allem bei Patienten mit Leberzirrhose sinkt unter NA-Behandlung das Risiko der
Entwicklung eines HCC. Dieser Effekt wird ab einer Dauer der Suppression der HBV-DNA
von einem Jahr deutlich (Evidenz 1a) [75 ]
[76 ]
[119 ].
Der Einfluss der langfristigen Virussuppression mit NA bei Patienten ohne Leberzirrhose
auf die Entstehung eines HCC ist ebenfalls messbar, aber geringer als bei Patienten
mit Zirrhose. Frühere Untersuchungen bei Patienten mit nur partieller Suppression
der HBV-DNA aufgrund von Resistenzen zeigten eine Assoziation zwischen dem Auftreten
von HCC und dem Auftreten von Resistenzen bzw. dem Einsatz von NA mit niedriger Resistenzschwelle
(siehe 3.1). Ein HBsAg-Verlust ist ebenfalls mit einem geringeren HCC-Risiko assoziiert
(Evidenz 3b) [100 ]
[101 ].
In jüngster Zeit gab es Metaanalysen mit adjustierten Risikoanalysen, die einen möglichen
Unterschied zwischen ETV und TDF in Bezug auf das HCC-Risiko bzw. die Effektivität
einer Reduktion des HCC-Risikos untersucht haben. Hier wurde in 2 Metaanalysen, in
die 14 Studien (mit 263 947 Personenjahre) bzw. 15 Studien (mit 61 787 Patienten)
vor allem aus asiatischen Kohorten eingegangen sind, eine statistisch signifikant
geringere Rate von HCC bei Patienten mit TDF- gegenüber ETV-Langzeittherapie dokumentiert.
[120 ]
[121 ] Bislang ergibt sich aus diesen Daten allerdings keine Konsequenz für die Therapie
in Deutschland bzw. bei europäischen Patienten. Eine große multizentrische europäische
Kohortenanalyse (unter Einbezug deutscher Patienten) zeigte eine gleich niedrige HCC-Rate
unter Langzeitbehandlung mit TDF oder ETV [122 ].
Risikoscores zu Einschätzung des HCC-Risikos unter NA-Therapie können hilfreich sein,
um die Überwachungsintervalle festzulegen (siehe 1.7). Bei asiatischen Patienten wurden
folgende Risikoscores validiert: GAG-HCC, CU-HCC, REACH-B. Bei europäischen Patienten
scheint nur der PAGE-B-Score einen ausreichenden prädiktiven Wert zu besitzen. Aktuelle
Daten stützen die Anwendung des CAGE-B- und SAGE-B-Scores in europäischen Patienten;
diese Arbeit wurde jedoch nicht im Rahmen der Konsenuskonferenz bewertet, da sie zu
einem späteren Zeitpunkt erschien. In den asiatischen Risikoscores spielen das Alter
und die Viruslast sowie das Vorhandensein einer Zirrhose eine Rolle (siehe 3.1). Beim
PAGE-B-Score sind neben dem Alter das männliche Geschlecht und die Thrombozyten gewichtet
[53 ]
[123 ].
Histologische Verbesserung: Eine Reversion einer histologisch nachgewiesenen Leberzirrhose kann mit längerfristiger
(3–5 Jahre) NA-Therapie (z. B. ETV oder TDF) erreicht werden (Evidenz 2b) [108 ]
[109 ].
Rekompensation: Die Therapie bei Patienten mit dekompensierter Leberzirrhose kann zu einer deutlichen
klinischen Verbesserung und Reduktion des HCC-Risikos führen. Eine Reduktion des MELD-Scores
bzw. des CHILD-Pugh-Scores und eine Verbesserung des Überlebens sind gezeigt worden
(Evidenz 1b) [124 ]
[125 ]
[126 ].
Verbesserung des Überlebens: Mehrere Studien (zusammengefasst in einer Metaanalyse) konnten für Patienten mit
einer Leberzirrhose eine Reduktion der Mortalität zeigen. Die durchschnittliche Risikoreduktion
in dieser Population lag bei 50 % (Evidenz 2a) [76 ].
Bei der Therapie mit NA soll die Entwicklung von Resistenzen des HBV vermieden werden,
da insbesondere bei Patienten mit fortgeschrittener Fibrose oder Zirrhose eine Resistenzentwicklung
mit erhöhter Morbidität und Mortalität assoziiert ist (Evidenz 1b) [127 ]
[128 ].
Die Resistenz des HBV gegen NA beruht auf der Selektion von HBV-Varianten und ist
bei Patienten mit inkomplettem Ansprechen auf eine NA-Behandlung wahrscheinlicher
als bei Patienten mit raschem und komplettem Ansprechen. Die Art des Resistenzmechanismus
sowie eine bereits stattgehabte Resistenzentwicklung gegen andere NA sind ebenfalls
entscheidend für die Häufigkeit und Ausprägung der Resistenz [129 ]
[130 ].
Entecavir und Tenofovir besitzen gegenüber den anderen NA die günstigsten Eigenschaften
gegen Resistenzentwicklung. Resistenzvarianten gegen Tenofovir scheinen mit Resistenzvarianten
gegen Adefovir identisch zu sein, bewirken aber (anders als bei Adefovir) keinen Durchbruch
der HBV-DNA unter Behandlung mit Tenofovir [131 ]
[132 ].
Entecavir hat eine hohe genetische Resistenzbarriere, d. h., das Vorhandensein nicht
nur einer, sondern einer Vielzahl von Resistenzvarianten, einschließlich Varianten
mit Resistenz gegen Lamivudin, ist Voraussetzung für einen Durchbruch der HBV-DNA
unter Behandlung mit ETV ([Tab. 10 ]) [133 ].
Die Seltenheit von Resistenzen gegen Entecavir sowie die starke antivirale Aktivität
von Entecavir und Tenofovir sind der Grund für die höchste Rate an virologischer Response
beider Substanzen im Langzeitverlauf im Vergleich mit den übrigen NA ([Tab. 10 ]). Im Detail liegt die Resistenzentwicklung nach 5 Jahren Therapie bei 0 % für TDF
und bei 1,2 % für ETV.
Für Tenofovir Alafenamid (TAF) liegen bezüglich einer möglichen Resistenzentwicklung
Daten über 96 Wochen vor, wo auch bei Patienten mit quantifizierbarer HBV-DNA keine
genotypische Resistenz gefunden wurde (Evidenz 1b) [134 ]
[135 ].
Die Suppression der HBV-DNA war nicht unterschiedlich bei Patienten, die über 48 bzw.
96 Wochen entweder mit TDF oder mit TAF behandelt wurden. Die Rate an ALT-Normalisierung
war nach 48 und 96 Wochen mit TAF höher als mit TDF. Welche Bedeutung dieses offenbar
stärkere biochemische Ansprechen für die Langzeitmorbidität der Patienten hat, ist
unklar. Die Reduktion der glomerulären Filtrationsrate (GFR) war signifikant geringer
unter TAF als unter TDF. Auch die Knochendichte fiel während 48 bzw. 96 Wochen Behandlung
signifikant geringer unter TAF als unter TDF ab (Evidenz 1b) [135 ]
[136 ]
[137 ].
Die klinische Bedeutung dieser Beobachtungen ist allerdings nicht belegt. Aufgrund
der vorliegenden Daten empfiehlt die EASL-Leitlinie, dass TAF (oder ETV, wenn möglich)
bei Patienten mit Osteopenie/Osteoporose sowie bei Niereninsuffizienz gegenüber TDF
bevorzugt eingesetzt werden kann. Risikofaktoren für Nephrotoxizät in der Behandlung
von Tenofovir (TDF) sind dekompensierte Zirrhose, GFR < 60 ml/min, schlecht kontrollierter
arterieller Hypertonus, Proteinurie, schlecht kontrollierter Diabetes mellitus, Glomerulonephritis,
nephrotoxische Begleittherapie sowie Organtransplantation [6 ].
Ein systematisches Review, das ETV und TDF in Bezug auf Nephrotoxizität verglich,
konnte in kontrollierten, randomisierten Studien keinen Unterschied zwischen den Substanzen
feststellen. Die Beobachtungszeit in den randomisierten Studien ist allerdings relativ
kurz. In Kohortenstudien traten Nierenschäden unter TDF-Therapie jedoch häufiger auf.
Im Regelfall waren dann auch Kofaktoren entsprechend den o. g. vorhanden (Evidenz
2a) [138 ].
Entecavir kann bei Patienten mit den o. g. Risikofaktoren ebenso bevorzugt gegenüber
TDF eingesetzt werden. Beim Einsatz von Entecavir ist zu berücksichtigen, dass bei
einer stattgehabten Vorbehandlung mit Lamivudin die Wahrscheinlichkeit des Auftretens
von Resistenzen gegen Entecavir erhöht ist ([Tab. 10 ]). Entecavir soll nicht in der Schwangerschaft eingesetzt werden (siehe 3.12) [6 ].
Eine andere wichtige, aber seltene Nebenwirkung einer NA-Therapie bei Patienten mit
fortgeschrittener Leberzirrhose sind Laktatazidosen. Ab einem MELD von > 20 Punkten
ist empfohlen, hierauf zu achten (Evidenz 3b) [5 ]
[138 ].
Die Verwendung von Entecavir bzw. Tenofovir in der Primärbehandlung ist eine wichtige
Maßnahme zur Vorbeugung einer Resistenzentwicklung. Aufgrund der Resistenzdatenlagen
([Tab. 10 ]) und der nunmehr zahlreichen Langzeitdaten zu TDF und ETV gibt es prinzipiell keine
medizinischen Gründe mehr, Lamivudin, Telbivudin oder Adefovir in der Primärtherapie
einzusetzen. Die Empfehlung entspricht den Empfehlungen der EASL- und AASLD-Leitlinien.
Generika für ETV und TDF sind verfügbar. Randomisierte Studien zur Effektivität und
Sicherheit der Generika liegen nicht vor [6 ]
[7 ]
[8 ].
Ein möglicher Vorteil von Telbivudin[* ] gegenüber anderen NA kann ein positiver Effekt auf die glomeruläre Filtrationsrate
sein (Evidenz 2b) [139 ]
[140 ].
Eine Therapie mit Lamivudin braucht daher bei Patienten mit Therapieansprechen, bei
bestehender Möglichkeit einer engmaschigen Kontrolle der HBV-DNA (mindestens alle
6 Monate), der Möglichkeit einer resistenzadaptierten Therapieumstellung und ohne
fortgeschrittene Leberfibrose beim zu behandelnden Patienten (um im Falle einer Resistenz
die Wahrscheinlichkeit eines Leberversagens zu vermindern) nicht umgestellt zu werden.
Adefovir soll nicht mehr eingesetzt werden[* ] [EK].
Konsens: 100 % (Konsensuskonferenz)
Neu 2020
Kommentar:
Adefovir hat eine geringere antivirale Wirksamkeit nach 48 Wochen Therapie im Vergleich
zu Entecavir oder Tenofovir ([Tab. 10 ]). Die Wahrscheinlichkeit der Resistenzentwicklung im Langzeitverlauf ist höher als
bei Entecavir oder Tenofovir ([Tab. 10 ]). Die Therapie mit Adefovir ist mit einer höheren Rate an Nephrotoxizität und Knochendichteminderung
verbunden als bei Tenofovir (Evidenz 3b) (siehe 3.11) [141 ].
Daher soll Adefovir generell nicht mehr eingesetzt werden.
3.3 Wie soll eine Therapie mit pegyliertem Interferon alfa durchgeführt werden?
Die Therapie mit pegyliertem Interferon alfa (PEG-IFN) sollte gegenüber Interferon
alfa bevorzugt werden [EK].
Konsens: 100 % (Delphi-Runde)
Modifiziert 2020
Kommentar:
Die Therapie mit PEG-IFN ist seit vielen Jahren Standard. Eine bessere antivirale
Wirksamkeit gegenüber nicht pegyliertem Interferon alfa konnte allerdings nicht gezeigt
werden. Dauer und Dosis der PEG-IFN (PEG-IFN a-2a) sind mittlerweile aber besser definiert
als die Therapie mit Standardinterferon alfa (Evidenz 1a) [145 ]
[146 ].
Stoppregeln (siehe 3.3.3) sind nur für die Therapie mit PEG-IFN untersucht worden.
Neben der günstigeren Pharmakokinetik von PEG-IFN (Injektion nur einmal pro Woche
im Vergleich zu 3-mal pro Woche bei nicht pegylierten Interferonen) ist damit auch
eine Optimierung der Therapie (Individualisierung) möglich.
* Der Repräsentant der Patientenvertreter hat sich für eine stärkere Empfehlung [soll]
pro PEG-IFN versus Alfa-Interferon ausgesprochen.
Die Therapiedauer mit PEG-IFN sollte i. d. R. 48 Wochen betragen [1, B].
Konsens: 100 % (Delphi-Runde)
Neu 2020
Leitlinienadaption EASL Clinical Practice Guideline HBV 2017, AASLD Practice Guideline
HBV 2016
Kommentar:
Daten einer prospektiven, randomisierten Studie zeigen, dass eine 48-wöchige Therapie
mit 180 µg PEG-IFN alfa-2a einmal pro Woche (zugelassene Therapiedauer und -dosis)
einer kürzeren Therapie (24 Wochen) oder einer niedrigeren Dosierung (90 µg einmal
pro Woche) in Bezug auf eine dauerhafte Anti-HBe-Serokonversion überlegen war (Evidenz
1b) [146 ].
Diese Studie hatte allerdings nur wenige Patienten aus Europa eingeschlossen.
Diese Empfehlung entspricht auch den EASL- und AASLD-Leitlinien [6 ]
[7 ].
Für HBeAg-negative Patienten ist die optimale Therapiedauer nicht gut untersucht.
Bei HBeAg-negativen Patienten scheint eine längere Therapiedauer (z. B. 72 Wochen)
mit höheren langfristigen Ansprechraten assoziiert zu sein (Evidenz 2a) (keine Änderung
zu [5 ]).
Prädiktive Faktoren sollten als Entscheidungshilfe für die vorzeitige Beendigung einer
PEG-IFN-Therapie herangezogen werden [EK]. Die quantitativen Bestimmungen der HBV-DNA
und des HBsAg als Prädiktoren für das Therapieansprechen sollten bei Therapiestart,
Woche 12 und Woche 24 bestimmt werden [EK]. In den Entscheidungsprozess, die Therapie
mit PEG-IFN vorzeitig zu beenden, soll zusätzlich die Beurteilung der mit PEG-IFN
assoziierten Nebenwirkungen und der Therapiewunsch des Patienten berücksichtig werden
[EK].
Konsens: 97,9 % (Delphi-Runde)
Neu 2020
Kommentar:
Nachfolgend wird zwischen HBeAg-positiven und HBeAg-negativen Patienten unterschieden:
HBeAg-positive chronische Hepatitis B: Eine kombinierte retrospektive Kohorte von HBeAg-positiven Hepatitis-B-Patienten
(n = 803) identifizierte HBsAg-Serumkonzentrationen > 20 000 IU/ml bzw. einen fehlenden
Abfall des HBsAg-Spiegels nach 12 bzw. 24 Wochen PEG-IFN-Therapie als robusten negativen
Prädiktor für ein Therapieansprechen (Evidenzgrad IIb) ([Tab. 11 ]) [147 ].
Tab. 11
Prädiktoren des Therapieansprechens unter PEG-IFN.
Intervention
n
Endpunkt
Prädiktor
HBVGT
PPV
NPV
Reference
Gesamtkohorte
803
HBeAg Verlust
+ HBV-DNA < 10 000 Kopien/mL zur Woche 78
HBsAg ≥ 20 000 IU/ml zur Therapiewoche 12
A
83 %
[147 ]
104
100
B
92 %
C
99 %
361
D
96 %
238
HBsAg ≥ 20 000 IU/ml zur Therapiewoche 24
A
94 %
B
100 %
C
100 %
D
97 %
Subkohorte (PEG-IFN mono)
465
Kein HBsAg-Abfall zur Therapiewoche 12
A
100 %
104
361
HBsAg ≥ 20 000 IU/ml zur Therapiewoche 12
B
92 %
C
98 %
Kein HBsAg-Abfall zur Therapiewoche 12
D
97 %
HBsAg ≥ 20 000 IU/ml zur Therapiewoche 24
A
96 %
B
100 %
C
100 %
D
100 %
HBeAg-negative Hepatitis B
Testkohorte
HBV-DNA < 2000 IU/ml und normale
GPT 24 Wochen nach Therapieende
HBsAg-Abfall und HBV-DNA-Abfall > 2log zur Therapiewoche 12
Alle
30 %
100 %
[149 ]
102
Validierungskohorte
160
Alle
41 %
95 %
85
75
Subkohorte (HBV GT D)
D
36 %
100 %
81
Subkohorte (HBV GT D)
91
D
34 %
100 %
21
70
Validierungskohorte
37
HBV-DNA < 2000 IU/ml und normale
GPT 48 Wochen nach Therapieende
HBsAg-Abfall und HBV-DNA-Abfall > 2log zur Therapiewoche 12
Alle
16 %
83 %
d, Tag, LAM, Lamivudin; NPW, negativer prädiktiver Wert; HBV GT, Hepatitis-B-Virus-Genotyp;
PEG-IFN alfa-2a, pegyliertes Interferon alpha 2a; PEG-IFN alfa-2b, pegyliertes Interferon
alpha 2b; PPW, positiv prädiktiver Wert; Wo, Wochen.
In der Studie wurde das Ansprechen als kombinierter Endpunkt aus HBeAg-Serokonversion
und HBV-DNA < 10 000 Kopien/ml (entspricht < 2000 IU/ml) 24 Wochen nach dem Ende der
PEG-IFN-Behandlung definiert. Diese Ergebnisse wurden sowohl für Patienten mit PEG-IFN-Monotherapie
als auch für Patienten mit einer Kombination aus PEG-IFN und NA bestätigt. Durch den
Einschluss vorwiegend kaukasischer und asiatischer HBV-Kohorten konnte der identifizierte
Prädiktor auf Patientensubgruppen mit einem HBV-Genotyp A, B, C und D erfolgreich
angewendet werden. Für den Entscheidungsprozess sollten die Evaluation der mit PEG-IFN
assoziierten Nebenwirkungen und der Patientenwunsch berücksichtigt werden. Ebenfalls
kann das „Baseline Prediciton Tool“ zur Abschätzung eines Therapieerfolgs genutzt
werden, das allerdings nur bei asiatischen Patienten mit Genotyp B/C evaluiert wurde.
Ein Alter < 40 Jahre, weibliches Geschlecht, eine ALT > 4 × oberhalb der Norm, ein
HBsAg < 25 000 IUI/ml und eine HBV-DNA < 6 log IU/ml sind prädiktiv für ein Therapieansprechen
[148 ].
HBeAg-negative chronische Hepatitis B: Die aktuellen Studien zur Evaluation von Prädiktoren des Therapieansprechens bestätigten
einen hohen negativen prädiktiven Wert (> 95 %) für das Therapieansprechen. In der
größten retrospektiven Studie (n = 262) wurde das Therapieansprechen als kombinierter
Endpunkt aus Normalisierung der Transaminasen (ALT) und HBV-Viruslast < 2000 IU/ml
24 Wochen nach dem Ende der PEG-IFN-Behandlung definiert. Der NPV für fehlenden Abfall
der HBV-DNA > 2 log und fehlenden Abfall des HBsAg nach 12 Wochen Therapie war in
Patienten mit HBV-Genotyp D mit 100 % am höchsten ausgefallen (Evidenzgrad IIb) [149 ].
Der einzige Patient, der trotz Erreichens der Stopp-Regel ein Therapieansprechen erzielte,
war mit HBV-Genotyp A infiziert. Daher sind die identifizierten Prädiktoren besonders
bei Patienten mit HBV-Genotyp-D-Infektion als Entscheidungskriterium für die vorzeitige
Beendigung einer PEG-IFN-Therapie zur Woche 24 empfohlen [6 ].
Für den Entscheidungsprozess sollten die Evaluation der aktuellen mit IFN assoziierten
Nebenwirkungen und der Patientenwunsch berücksichtigt werden.
Während und nach der Therapie mit PEG-IFN sollen regelmäßige sicherheitsrelevante
Blutuntersuchungen durchgeführt sowie interferontypische Nebenwirkungen eruiert werden
[EK].
Konsens: 97,9 % (Delphi-Runde)
Neu 2020
NKLM
Kommentar:
Ein Abfall der Leukozyten und Thrombozyten ist während einer IFN-basierten Therapie
häufig [150 ].
Eine Kontrolle des Blutbildes und eine Dosisanpassung der IFN-Dosis sollten gemäß
Fachinformation erfolgen. Eine IFN-Therapie kann eine autoimmune Thyreopathie induzieren.
Dies ist insbesondere bei Patienten mit chronischer Hepatitis C gezeigt worden (Evidenz
2a) [151 ].
Es sollte daher eine Kontrolle des TSH vor und während der Therapie (alle 8 Wochen)
erfolgen. Während der Therapie kann es auch trotz Suppression der HBV-DNA zu ALT-Flares
kommen, insbesondere in der frühen Behandlungsphase (Evidenz 2b) [152 ].
ALT-Bestimmungen sollten alle 4 Wochen durchgeführt werden.
3.4 Wie ist der Stellenwert einer Kombinationstherapie mit pegyliertem Interferon
alfa und einem Nukleos(t)idanalogon?
Eine primäre Kombinationstherapie mit pegyliertem Interferon alfa (PEG-IFN) und einem
Nukleos(t)idanalogon (NA) kann derzeit nicht empfohlen werden [EK]. Eine zusätzliche
Therapie mit PEG-IFN zu einer NA-Therapie („Add-on“) oder eine Umstellung einer NA-Therapie
auf PEG-IFN („Switch“) kann nicht empfohlen werden [EK].
Konsens: 100 % (Delphi-Runde)
Neu 2020
Kommentar:
Die bisher gültige DGVS-Leitlinie sah keinen Vorteil einer Kombinationstherapie mit
IFN bzw. PEG-IFN und Nukleos(t)idanaloga (NA) im Vergleich zu einer PEG-IFN-Monotherapie
und empfahl daher, außerhalb von klinischen Studien keine Kombinationstherapie durchzuführen
[5 ].
Auch die aktuelle AASLD-Leitlinie zur Therapie der chronischen Hepatitis B empfiehlt
keine Kombinationstherapie mit PEG-IFN und NA und beruft sich auf eine systematische
Übersichtsarbeit, die keine signifikanten Vorteile der PEG-IFN/NA-Kombinationstherapie
gegenüber einer PEG-IFN-Monotherapie zeigen konnte (Evidenz 1a) [7 ]
[153 ].
Allerdings wurden die meisten Studien mit Lamivudin durchgeführt. Die aktuellste randomisierte,
kontrollierte Studie bei HBeAg-positiven und HBeAg-negativen Patienten untersuchte
die primäre Kombinationstherapie mit PEG-IFN-2a und Tenofovir (TDF) für 48 Wochen
gegen eine PEG-IFN-2a-Monotherapie für 48 oder eine Therapie mit TDF für 120 Wochen.
Der primäre Endpunkt der Studie war ein HBsAg-Verlust zur Woche 72 und wurde insgesamt
bei relativ wenigen Patienten erreicht. In der PEG-IFN/TDF-Kombinationsgruppe war
die Rate an HBsAg-Verlust nach 48 Wochen signifikant höher als in der PEG-IFN Monotherapie
(9,1 vs. 2,8 %, p = 0,003). Der Unterschied war auch in dieser Studie bei HBV-Genotyp-A-Patienten
und HBeAg-positiven Patienten am höchsten, allerdings waren die Patientenzahlen in
den jeweiligen Subgruppen sehr klein (Evidenz 1b) [154 ].
Basierend auf dieser Studie kann daher keine generelle Empfehlung für eine De-novo-Kombinationstherapie
ausgesprochen werden. In Einzelfällen kann bei HBeAg-positiven Patienten, bei denen
eine Therapie mit PEG-IFN sinnvoll erscheint (Genotyp A, Vorliegen weiterer für ein
PEG-IFN-Ansprechen günstiger prädiktiver Faktoren, vgl. 3.2 und 3.3), eine primäre
Kombinationstherapie mit PEG-IFN und TDF für 48 Wochen diskutiert werden, mit dem
Ziel, die Rate eines HBsAg-Verlustes und damit einer dauerhaften immunologischen Kontrolle
der HBV-Infektion zu erhöhen. Da eine Zulassung für die primäre Kombinationstherapie
nicht vorliegt, sollte basierend auf der o. g. randomisierten, kontrollierten Studie
[154 ] und der aktuellen Leitlinie in diesen speziellen Einzelfällen vorher eine Kostenanfrage
über einen „Off-Label-Use“ der Kombinationstherapie erfolgen.
Zahlreiche Studien untersuchen die Frage nach der Effektivität einer Umstellung („Switch“)
einer laufenden Therapie mit NA auf PEG-IFN für 48–52 Wochen oder einer zusätzlichen
(„Add-on“) Therapie mit PEG-IFN (meist für 24 Wochen) zu einer laufenden Therapie
mit NA vs. einer fortgeführten NA-Monotherapie. Die HBsAg-Verlustraten können durch
die PEG-IFN-Therapie verbessert werden. Allerdings liegen die HBsAg-Verlustraten nur
bei 8 % für die „Add-on“-Therapie und bei 14 % für die „Switch“-Therapie. Höhere HBsAg-Verlustraten
in den „Switch“-Studien können durch Selektion von Patienten mit günstigeren Voraussetzungen
zu erklären sein, sodass ein Vergleich der Therapiekonzepte schwierig ist (Evidenz
2a) [155 ].
Momentan reicht die Evidenz nicht aus, um eine Empfehlung auszusprechen. Weitere Studienergebnisse
zu diesem Thema werden erwartet. Eine Aktualisierung der Empfehlung wird bei Änderung
der Evidenz zeitnah vorgenommen.
3.5 Wie sind Therapieansprechen und Resistenz bei NA-Therapie definiert und wie wird
das Therapieansprechen einer NA-Therapie überprüft?
Definition Therapieansprechen:
Ein optimales virologisches Ansprechen auf NA liegt vor, wenn die HBV-DNA unterhalb
der Nachweisgrenze liegt oder nicht quantifizierbar ist.
Ein partielles Therapieansprechen auf NA liegt vor, wenn die HBV-DNA nicht kontinuierlich
abfällt und ein Plateau > 2000 IU/ml nach 96 Wochen vorliegt.
Eine Nichtansprechen (Nonresponse) ist definiert durch einen fehlenden Abfall > 1
log nach 6 Monaten antiviraler Therapie.
Von einer Resistenz gegen NA wird ausgegangen, wenn nach primärem Ansprechen unter
laufender Behandlung mit NA ein bestätigter Anstieg der HBV-DNA ≥ 1 log-Stufe über
dem Nadir auftritt.
Die quantitative Bestimmung der HBV-DNA sollte im ersten Jahr der Therapie alle 3
Monate erfolgen [EK]. Nach dem ersten Jahr und bei virologischem Ansprechen kann das
Kontrollintervall bei Therapie mit Entecavir oder Tenofovir (TDF oder TAF) auf 6 Monate
verlängert werden [EK].
Konsens: 97,9 % (Delphi-Runde)
Geprüft 2020
Kommentar:
Unabhängig vom Stadium der Lebererkrankung und vom verabreichtem NA sollte die HBV-DNA
im ersten Jahr der Therapie alle 3 Monate kontrolliert werden, um die Therapieadhärenz
des Patienten zu überprüfen und im Fall einer Therapie mit Lamivudin, Telbivudin oder
Zweitlinientherapie mit Entecavir das Risiko einer Resistenzentwicklung zu überprüfen.
(keine Änderung zu [5 ])
Eine engmaschigere Kontrolle, beispielsweise nach 4–6 Wochen, kann bei Patienten mit
Leberzirrhose oder Leberversagen sinnvoll sein, um die Compliance zu prüfen und das
Therapiemanagement gegebenenfalls anzupassen. In klinischen Kohorten waren bis zu
40 % aller virologischen Durchbrüche mutmaßlich nicht auf Resistenzen, sondern auf
unregelmäßige Medikamenteneinnahmen zurückzuführen (Evidenz 3b) [156 ].
Bei guter Therapieadhärenz mit Entecavir und Tenofovir können die Kontrollintervalle
verlängert werden, da eine Resistenzentwicklung in dieser Situation unwahrscheinlich
ist ([Tab. 10 d ]). Beim Einsatz von NA mit geringer Resistenzbarriere sollte das Kontrollintervall
immer mindestens 3 Monate betragen, da die frühe Identifikation einer viralen Resistenz
mit einer entsprechenden frühzeitigen Therapieanpassung notwendig ist (keine Änderung
zu [5 ]).
Bei Patienten mit Leberzirrhose sollte die HBV-DNA nach 48 Wochen unterhalb der Nachweisgrenze
liegen oder nicht quantifizierbar sein.
Konsens: 100 % (Konsensuskonferenz)
Neu 2020
Kommentar:
Das Ziel der Therapie mit NA ist die Suppression der HBV-DNA unter die Nachweisgrenze
bzw. unter die Grenze der Quantifizierung. Bei Patienten mit einer Leberzirrhose sollte
dies nach 12 Monaten erreicht sein, da sich hieraus ein vermindertes Risiko der HCC-Entwicklung
ergibt (siehe 3.1). Bei Patienten ohne Leberzirrhose und Therapie mit Entecavir und
Tenofovir gibt es allerdings keinen definierten HBV-DNA-Grenzwert unterhalb 2000 IU/ml,
der mit Morbidität oder Mortalität assoziiert ist. Bei sehr hoher Ausgangsviruslast
kann es beim Einsatz von Entecavir und Tenofovir 2–3 Jahre dauern, bis eine komplette
HBV-DNA-Suppression erreicht wird (HBV-DNA unterhalb der Nachweisgrenze). In diesen
Fällen ist das Therapieansprechen nicht ausreichend, wenn sich ein Plateau ohne fortgesetzten
Abfall der HBV-DNA einstellt. Bei Therapie mit NA mit geringer Resistenzbarriere (Lamivudin,
Telbivudin) ist ein langsamer Virusabfall mit der Entwicklung von Resistenzen assoziiert
und sollte zu einem Wechsel der Therapie führen (keine Änderung zu [5 ]).
Die quantitative Bestimmung des HBsAg kann zur Vorhersage eines HBsAg-Verlustes sinnvoll
sein [EK].
Konsens: 100 % (Delphi-Runde)
Neu 2020
Kommentar:
Da die NA keinen direkten Effekt auf die cccDNA haben und HBsAg zusätzlich aus integrierter
HBV-DNA produziert werden kann, fällt das HBsAg im Verlauf einer NA-Therapie i. d. R.
nicht oder nur sehr langsam ab. Die jährliche Rate an HBsAg-Verlust liegt bei ca.
1 %. [157 ].
Die Kinetik des HBsAg hat primär keinen Einfluss auf Kontrollintervalle oder Umstellung
der Therapie. Ein deutlicher Abfall des HBsAg-Werts im Verlauf der Therapie kann aber
ein Indiz für einen späteren HBsAg-Verlust sein. Bislang ist die Evidenz für die Vorhersage
basierend auf der Kinetik nicht ausreichend. Ein absoluter Wert < 100 IU/ml war bei
asiatischen Patienten allerdings prädiktiv für eine funktionelle Heilung (HBsAg-Verlust)
in den folgenden Jahren [36 ].
Die Kenntnis des quantitativen HBsAg kann daher hilfreich sein, um Patienten über
die mögliche Therapiedauer aufzuklären oder über einen möglichen Therapiestopp nachzudenken
(siehe 3.8). Ein Kontrollintervall ist bislang nicht etabliert. Eine Bestimmung einmal
pro Jahr kann sinnvoll sein.
3.6 Wie ist das Vorgehen bei nicht ausreichendem Therapieansprechen oder Resistenzentwicklung?
Bei persistierender HBV-DNA < 2000 IU/ml unter Behandlung mit Tenofovir (TDF oder
TAF) oder ETV braucht keine Anpassung der Behandlung zu erfolgen, wenn keine Zirrhose
und kein Anhalt für Resistenz oder Nichtansprechen vorliegt [EK]. Bei partiellem Therapieansprechen
oder Nonresponse soll zunächst die Therapieadhärenz des Patienten überprüft werden
[EK].
Konsens: 100 % (Delphi-Runde)
Modifiziert 2020
Kommentar:
In klinischen Kohorten waren bis zu 30–40 % aller virologischen Durchbrüche mutmaßlich
auf unregelmäßige Medikamenteneinnahme zurückzuführen. Bisher bekannte Risikofaktoren
sind Vergessen der Medikamenteneinnahme länger als 1 Tag am Stück, kürzerer Zeitraum
nach Diagnosestellung und jüngeres Patientenalter [156 ]
[158 ]
[159 ].
Bei Patienten ohne Leberzirrhose und Therapie mit Entecavir und Tenofovir gibt es
keinen definierten HBV-DNA-Grenzwert unterhalb 2000 IU/ml, der mit Morbidität oder
Mortalität assoziiert ist (siehe 3.5.2).
Eine Testung auf HBV-Varianten, die mit einer Nukleos(t)idanaloga-Resistenz assoziiert
sind, kann erfolgen [4, 0].
Konsens: 95,8 % (Delphi-Runde)
Geprüft 2020
Kommentar:
Die Bestimmung von Polymerase-Gen-Mutationen des HBV, die mit Resistenzen assoziiert
sind, kann für die Therapieplanung mit einem Nukleosidanalogon erwogen werden, insbesondere
bei Unklarheiten über eventuelle Vortherapien. Bei Vorliegen von gegen Lamivudin oder
von bestimmten gegen Telbivudin resistenten Varianten ist z. B. das Risiko für eine
Entecavir-Resistenz erhöht (keine Änderung zu [5 ]).
Der Durchbruch der HBV-DNA im Rahmen der Resistenzentwicklung des HBV tritt in der
Regel einige Monate vor dem biochemischen Rückfall mit Anstieg der Transaminasen auf.
Die Therapieanpassungen sind aber möglichst bereits bei Sicherung des virologischen
Rückfalls durchzuführen (keine Änderung zu [5 ]).
Wird die Monotherapie trotz Resistenz des HBV fortgesetzt, können sich weitere, kompensatorische
Mutationen ausbilden, die wiederum den Einsatz anderer Substanzen aufgrund von Kreuzresistenzen
einschränken. Das Warten auf das Ergebnis der Resistenztestung sollte die Therapieumstellung
allerdings nicht unnötig verzögern. Tenofovir ist auch bei komplexen Vortherapien
i. d. R. effektiv [160 ].
Sollte die HBV-DNA unter Tenofovir und optimaler Therapieadhärenz dennoch wiederholt
erhöht sein, können besondere HBV-Mutationen selektioniert worden sein, die mit einer
verringerten Wirksamkeit der hochpotenten NA einhergehen können [161 ]
[162 ].
Bei partiellem Therapieansprechen oder Nichtansprechen (Nonresponse) oder Resistenz
soll eine Therapieanpassung geprüft werden [1, A]:
Wurde ein Nukleosidanalogon (Lamivudin, Entecavir, Telbivudin) eingesetzt, soll eine
Therapieumstellung auf Tenofovir (TDF oder TAF) erfolgen [1, A].
Wurde Adefovir eingesetzt, soll eine Therapieumstellung auf Entecavir oder Tenofovir
(TDF oder TAF) erfolgen [EK, modifiziert 2020].
Wurde Tenofovir (TDF oder TAF) eingesetzt, kann eine Therapieumstellung auf Entecavir
erfolgen oder ein Nukleosidanalogon (vorzugsweise ETV) zusätzlich gegeben werden [4,
0].
Konsens: 100 % (Konsensuskonferenz)
Geprüft 2020
Kommentar:
Bei primärem Nichtansprechen oder Resistenz während der Therapie mit Nukleosidanaloga
(Lamivudin, Telbivudin, Entecavir) soll die Behandlung auf Tenofovir (TDF oder TAF)
umgestellt werden (keine Änderung zu [5 ]).
Eine Monotherapie mit Tenofovir (TDF oder TAF) reicht i. d. R. aus (Evidenz 1b) [160 ].
Gegen Entecavir resistente Virusvarianten sollten primär mit Tenofovir (TDF oder TAF)
behandelt werden. Diese Entscheidung gründet sich auf In-vitro-Daten und klinische
Erfahrung mit dem antiviral schwächeren Nukleotidanalogon Adefovir (keine Änderung
zu [5 ]).
Eine Therapie mit Entecavir bei Lamivudin-Resistenz ist zwar häufig mit einem biochemischen
Ansprechen assoziiert, birgt jedoch ein relativ hohes Risiko des Auftretens einer
Entecavir-Resistenz mit mehr als 50 % nach 5 Jahren (Evidenz 1b) (keine Änderung zu
[5 ]).
Daher ist der Einsatz von Entecavir bei Patienten mit gesicherter Lamivudin-Resistenz
nicht sinnvoll. Im Falle eines nicht ausreichenden primären Ansprechens von Lamivudin
oder Telbivudin kann jedoch Entecavir eingesetzt werden, wenn das Vorhandensein von
Varianten, die mit einer Resistenz gegen Nukleosidanaloga assoziiert sind, ausgeschlossen
wurde und Tenofovir (TDF oder TAF) aus anderen Gründen nicht eingesetzt werden kann
(Expertenmeinung).
Adefovir wird nicht mehr als Primärtherapie empfohlen (siehe 3.2). Sollte ein Patient
dennoch mit Adefovir behandelt sein und nicht ausreichend auf die Therapie ansprechen,
ist ein Wechsel auf Entecavir oder Tenofovir (TDF oder TAF) möglich. Die Daten zu
Entecavir basieren auf Kohortenstudien von hoher Qualität (Evidenz 2b), während für
Tenofovir Daten aus einer prospektiven, randomisierten Studie vorliegen (Evidenz 1b)
(keine Änderung zu [5 ]).
Bei einer möglichen Vorbehandlung mit Lamivudin ist zu berücksichtigen, dass diese
eine Resistenzentwicklung gegen Entecavir begünstigen kann (siehe oben). Liegt eine
gesicherte Resistenz gegen Adefovir vor, so können ebenfalls verschiedene andere Nukleosidanaloga
(Evidenz 2b) und Tenofovir eingesetzt werden (TDF, Evidenz 1b). Allerdings war in
2 Kohorten das Vorliegen von Adefovir-Resistenzen mit einem langsameren TDF-Ansprechen
assoziiert (Evidenz 2b), während in anderen Fällen dennoch ein normales Ansprechen
auf eine TDF-Monotherapie beschrieben wurde (Evidenz 3b) (keine Änderung zu [5 ]).
Die Selektion von Mutationen, die mit einer reduzierten antiviralen Wirksamkeit von
Tenofovir assoziiert sind, ist beschrieben, aber selten [161 ]
[162 ].
Sollten im Langzeitverlauf jedoch Resistenzen auftreten, so ist aufgrund von In-vitro-Daten
zu erwarten, dass Nukleosidanaloga, insbesondere Entecavir, weiterhin wirksam sein
sollten (Expertenmeinung).
Im Falle eines nicht ausreichenden Ansprechens auf eine Behandlung mit Tenofovir kann
eine Umstellung auf Entecavir erfolgen (Expertenmeinung), wobei eine alleinige Umstellung
nicht im Fall einer Lamivudin-Resistenz erfolgen sollte. Alternativ kann ein Nukleosidanalogon
unter Beibehaltung von Tenofovir gegeben werden, womit sowohl in Fallserien und einer
Kohortenstudie als auch bei einigen Patienten der Tenofovir-Zulassungsstudien (Evidenz
2b für die Aussage) eine Suppression der HBV-DNA unter die Nachweisgrenze erreicht
wurde. (keine Änderung zu [5 ]).
3.7 Was ist bei Langzeittherapie mit Nukleosid- oder Nukleotidanaloga zu beachten?
Bei der Auswahl der antiviralen Therapie sowie der Überwachungsintervalle sollen Komorbiditäten
berücksichtigt werden [2, A].
Konsens: 100 % (Delphi-Runde)
Geprüft 2020
NKLM
Kommentar:
Da die Therapie der Hepatitis B in vielen Fällen eine Langzeittherapie darstellt,
sind Komorbiditäten zu berücksichtigen. Ein gleichzeitig bestehender Diabetes mellitus
kann das Risiko für die Entstehung eines hepatozellulären Karzinoms (HCC) bei Patienten
mit Virushepatitis erhöhen (Evidenz 2b) (keine Änderung zu [5 ]).
Eine HBV-Infektion ist mit einem höheren Risiko für die Entwicklung einer terminalen
Niereninsuffizienz bei Patienten mit Diabetes mellitus assoziiert (Evidenz 2b) (keine
Änderung zu [5 ]).
Ältere Patienten über 60 Jahre mit chronischen Lebererkrankungen haben eine verringerte
Knochendichte, was insbesondere Frauen betrifft (Evidenz 3b) (keine Änderung zu [5 ]).
Eine Knochendichtemessung ist daher bei postmenopausalen Frauen mit chronischer Hepatitis
B sinnvoll, insbesondere wenn eine Langzeittherapie mit potenziell nephrotoxischen
antiviralen Substanzen durchgeführt wird, die einen renalen Phosphatverlust induzieren
können. Die NA zur Behandlung der chronischen Hepatitis B haben unterschiedliche Eigenschaften,
die in bestimmten Situationen beachtet werden müssen. Bei einer Behandlung mit Adefovir
und Tenofovir (TDF) ist zu beachten, dass die Substanzen zu Nierenfunktionseinschränkungen
führen können [138 ].
Entecavir wird nicht für die Behandlung schwangerer Frauen empfohlen.
Die Nierenfunktion soll vor Therapie und regelmäßig während der Therapie überwacht
werden [I, A].
Konsens: 97,8 % (Delphi-Runde)
Geprüft 2020
NKLM
Kommentar:
Alle zur Therapie der HBV-Infektion zugelassenen NA werden renal ausgeschieden. Die
Messung des Kreatininspiegels im Serum vor und während einer Behandlung mit Nukleos(t)idanaloga
ist eine Voraussetzung für den sicheren Gebrauch dieser Substanzen, um ggf. eine Dosisanpassung
gemäß der aktuellen Nierenfunktion durchzuführen ([Tab. 12 ]). Grundsätzlich ist zu beachten, dass Serumkreatininveränderungen nur eingeschränkt
Nierenfunktionseinschränkungen anzeigen können. Frühe tubuläre Schäden können durch
eine Proteinurie, normoglykämische Glukosurie bzw. eine verminderte Phosphat-Reabsorption
angezeigt werden (keine Änderung zu [5 ]).
Tab. 12
Dosisanpassung von antiviralen Substanzen (LAM, ETV, TDF, TAF) in der Therapie der
Hepatitis B bei eingeschränkter Nierenfunktion gemäß Fachinformation.
Substanz
Standarddosis
Kreatininclearance ml/min
Bemerkung
Lamivudin
30–50
15–30
5–15
< 5
Lösung (5 mg/ml) verfügbar zur Dosisanpassung
100 mg
50 mg
25 mg
15 mg
10 mg
Entecavir
Unbehandelte Patienten
30–49
10–29
< 10/Dialyse
Lösung (0,05 mg/ml) verfügbar zur Dosisanpassung.
Bei Dialyse Einnahme nach der Dialyse
0,5 mg
0,25 mg oder 0,5 mg alle 48 Stunden
0,15 mg
oder 0,5 mg alle 72 Stunden
0,05 mg oder 0,5 mg alle 5–7 Tage
Mit Lamivudin vorbehandelte Patienten
1 mg
0,5 mg
0,3 mg
oder 0,5 mg alle 48 Stunden
0,1 mg oder 0,5 mg alle 72 Stunden
Tenofovir disoproxil-fumarat
30–49
10–29
Dialyse
Bei Dialyse Einnahme nach der Dialyse
245 mg
alle 48 h
alle 72–96 h
alle 7 Tage
Tenofovir alafenamid hemifumarat
Dialyse
* Keine Dosierungsempf. für Pat. mit einer CrCl < 15 ml/min ohne Hämodialyse
25 mg
* (Einnahme nach Dialyse)
Eine Therapie mit Lamivudin oder Telbivudin (NA mit geringer Resistenzbarriere) kann
bei optimalem Therapieansprechen fortgesetzt werden [EK].
Konsens: 97,8 % (Delphi-Runde)
Neu 2020
Kommentar:
Für Lamivudin und Telbivudin sind keine Studien bekannt, die über eine Einschränkung
der Nierenfunktion durch die Therapie berichten. Telbivudin scheint sogar einen günstigen
Effekt auf Kreatininwerte bzw. die Glomerulofiltrationsrate (GFR) zu haben (Evidenz
2b) [139 ]
[140 ].
Es gibt allerdings keine Evidenz, die zeigt, ob es sich hierbei um Laborkosmetik handelt
oder ob ein klinischer Nutzen besteht. Eine Telbivudin-Therapie führte in den Zulassungsstudien
in 7,5 % der Fälle zu deutlichen CK-Erhöhungen, die im Verlauf in der Regel reversibel
und nicht mit klinischen Zeichen einer Myopathie assoziiert waren (Evidenz 2b) (keine
Änderung zu [5 ]).
Patienten, die bereits mit Lamivudin oder Telbivudin erfolgreich behandelt werden
(HBV-DNA negativ unter Therapie), brauchen nicht umgestellt zu werden (keine Änderung
zu [5 ]).
* Anmerkung zu Telbivudin: Das Medikament ist in Deutschland mittlerweile vom Markt
genommen worden.
Wie bereits unter 3.2 aufgeführt, soll Adefovir nicht mehr eingesetzt werden. Adefovir
ist dosisabhängig nephrotoxisch. Für Adefovir sind Kreatininanstiege im Verlauf einer
Behandlung in mehreren Studien und Real-World Kohorten beschrieben worden (Evidenz
2b), wobei ein Alter von über 50 Jahren und eine bereits bestehende verminderte Nierenfunktion
bei Therapiebeginn prädiktive Parameter für das Auftreten einer renalen Dysfunktion
waren. Eine tubuläre Dysfunktion (Fanconi-Syndrom) wurde bei Patienten mit ADV-Langzeittherapie
beschrieben (Evidenz 4). [5 ]
[141 ]
[163 ]
Aufgrund der Alternativen ETV und TAF soll daher eine Therapieumstellung angeboten
werden.
Eine Therapie mit TDF sollte bei einem Abfall der glomerulären Filtrationsrate (GFR),
beim Auftreten einer Tubulopathie, bei einer Hypophosphatämie < 1 mg/dl und bei Frakturrisiko
auf ein anderes NA umgesetzt werden [2, B]. Vortherapien und Resistenzen sollen bei
der Wahl des NA beachtet werden [EK].
Konsens: 97,8 % (Delphi-Runde)
Neu 2020
Leitlinienadaption EASL Clinical Practice Guideline HBV 2017
Kommentar:
In den Phase-III-Zulassungsstudien für Tenofovir (TDF) wurde kein Anstieg des Kreatinins
im Serum um mehr als ≥ 0,5 mg/dl und kein Rückgang der GFR auf < 50 ml/min während
der TDF-Therapie von 144 Wochen beobachtet (Evidenz 1b) (keine Änderung zu [5 ]).
Bei Patienten mit einer TDF-Langzeittherapie und vorausgegangenem Therapieversagen
anderer Nukleos(t)idanaloga wurde in einer retrospektiven Analyse über einen mittleren
Zeitraum von ca. 30 Monaten ein mittlerer Rückgang der GFR von 5 % beobachtet, der
sich allerdings nicht von einer Kontrollgruppe mit unbehandelten HBV-Infizierten unterschied
(Evidenz 2b). In einer prospektiven Studie führte die TDF-Therapie zu einem signifikanten
Abfall der GFR um 3,2 mL/min/1,73 m2 nach 240 Monaten. Ebenso kam es in diesem Zeitraum zu einem signifikanten Abfall
der Knochendichte am Femur um 2,5 %. Frauen waren häufiger von den Veränderungen betroffen
als Männer (Evidenz 2b). In den TAF-Zulassungsstudien hatten Patienten, die mit TAF
behandelt wurden, nach 96 Wochen einen geringeren Abfall der Knochendichte (Hüfte
und Lendenwirbelsäule) und einen geringeren Abfall der GFR im Vergleich zu mit TDF
behandelten Patienten (Evidenz 1b). Eine weitere randomisierte Studie bestätigte den
geringeren Abfall der Knochendichte unter TAF. Eine Umstellung von TDF auf TAF führte
in weiteren Kohorten zu einer Verbesserung der Knochendichtewerte.
Allerdings ist bislang nicht dokumentiert, dass klinische Endpunkte (Nierenversagen,
Knochenbrüche) signifikant weniger mit TAF als mit TDF auftreten. [5 ]
[135 ]
[160 ]
[164 ]
[165 ]
Tubuläre Dysfunktionen sind im Zusammenhang von antiviralen Langzeittherapien der
HIV-Infektion mit TDF beschrieben worden, die allerdings in den meisten Fällen reversibel
waren, nachdem Tenofovir abgesetzt wurde (Evidenz 2b) (keine Änderung zu [5 ]).
Auch bei Patienten mit HBV-Infektion sind unter TDF Fanconi-Syndrome beschrieben.
Eine erfolgreiche und sichere Fortführung der Therapie mit TAF ist beschrieben (Evidenz
4). [166 ]
3.8 Wann kann eine antivirale Therapie der Hepatitis B mit Nukleosid- oder Nukleotidanaloga
beendet werden?
Eine antivirale Therapie mit Nukleosid- oder Nukleotidanaloga soll nur nach Rücksprache
mit einem in der Therapie der Hepatitis B erfahrenen Arzt und unter engmaschigen Kontrollen
beendet werden [EK]. Dabei sollten HBsAg-, HBeAg-Statuts, Komorbidität (Immunsuppression),
Dauer der HBV-DNA-Suppression und Stadium der Leberfibrose berücksichtigt werden [EK].
Konsens: 97,9 % (Delphi-Runde)
Neu 2020
Kommentar:
Die Therapie mit Nukleosid- oder Nukleotidanaloga (NA) führt zu einer HBV-DNA-Suppression,
die nicht mit einer Heilung bzw. funktionalen Heilung gleichzusetzen ist. Daher kommt
es bei Absetzen der Therapie i. d. R. zu einem Wiederanstieg der HBV-DNA und mit zeitlichem
Abstand ggf. zu einem Anstieg der ALT und möglicherweise zu einer klinisch relevanten
Reaktivierung der Hepatitis. Einzelne Fälle von fulminanten Reaktivierungen wurden
beschrieben (Evidenz 4) [167 ].
Das Risiko für eine Reaktivierung hängt von verschiedenen Faktoren ab: HBsAg-Menge,
HBeAg-Status, Immunsuppression, Dauer der Therapie bzw. der HBV-DNA-Suppression. Stadium
der Leberfibrose, Alter (Evidenz 2a) [168 ]
[169 ].
Eine antivirale Therapie mit Nukleosid- oder Nukleotidanaloga kann beendet werden,
wenn ein HBsAg-Verlust erreicht ist [EK].
Konsens: 100 % (Delphi-Runde)
Neu 2020
NKLM
Kommentar:
Der Verlust des HBsAg entspricht einer immunologischen Kontrolle der Hepatitis-B-Virusinfektion
mit der langfristig besten Prognose (siehe 3.1) [6 ]
[7 ]
[8 ]
[100 ].
Zu beachten ist, dass es aufgrund der Persistenz der cccDNA in der Leber trotz HBsAg-Verlusts
prinzipiell zu einer Reaktivierung kommen kann (siehe 3.13) [170 ]
[171 ].
Der Verlust des HBsAg unter Therapie mit Nukleo(t)sidanaloga ist selten ([Tab. 10 ]). Im Falle eines HBsAg-Verlustes (2-mal bestätigt innerhalb von 6 Monaten) scheint
das Risiko einer HBsAg-Reversion sehr niedrig zu sein. In der größten asiatischen
Studie mit 4080 Patienten blieben > 95 % HBsAg-negativ (2,9 % der mit NA behandelten
Patienten), obwohl nur 38 % der HBsAg-negativen Patienten einen nachweisbaren Anti-HBs-Titer
hatten. Eine Anti-HBs-Serokonversion war auch in anderen Studien nicht bedeutend für
einen dauerhaften HBsAg-Verlust (Evidenz 3b) [101 ]
[172 ]
[173 ].
Die EASL-Leitlinie empfiehlt sogar, dass eine Therapie bei bestätigtem HBsAg-Verlust
beendet werden sollte [6 ].
Wir haben die Empfehlungsstärke der EASL-Leitlinie zum Therapieende bei HBsAg-Verlust,
die für alle Patienten gilt, herabgestuft, da für Subgruppen (Zirrhose, immunsupprimierte
Patienten) die Datenlage unzureichend ist.
So sollte bei Patienten mit einer Leberzirrhose aus Sicherheitsgründen eine Therapiebeendigung
erst mit Nachweis des Anti-HBs erfolgen, wobei ein sensitiver Test verwendet werden
sollte, oder nach einer Konsoliderungstherapie von 6–12 Monaten nach Therapieende
und HBsAg-Verlust. Es gibt bislang allerdings sehr wenig Evidenz, ob eine Konsolidierungstherapie
einen Nutzen hat. Bei Yip et al. hatte kein Patient eine HBs-Seroreversion, der eine
12-monatige Konsoliderungstherapie erhielt. Aufgrund von Sicherheitsaspekten und der
geringen Risiken einer längeren NA-Therapie besteht hier eine starke Expertenempfehlung
für die Konsolidierungstherapie bzw. die Therapie bis zur Anti-HBs-Serokonversion
bei Patienten mit Zirrhose. Zu beachten ist, dass der Zeitraum bis zur Anti-HBs-Serokonversion
nach HBsAg-Verlust mehrere Jahre in Anspruch nehmen kann (58 % Anti-HBs-Serokonversion
nach 5 Jahren) [172 ]
[174 ].
Daten zum Langzeitverlauf nach Verlust des HBsAg unter antiviraler Therapie fehlen.
Im ersten Jahr nach Absetzen der antiviralen Therapie erscheinen Kontrollen (HBV-DNA
und ALT) in 3-monatigen Abständen sinnvoll. Im weiteren Verlauf sollten Kontrollen
in 6- bis 12-monatigen Abständen unter Berücksichtigung von Komorbiditäten, Alter,
Geschlecht und Fibrosegrad der Leber erfolgen, insbesondere im Hinblick auf das Risiko
der Entwicklung eines hepatozellulären Karzinoms (HCC). Wichtig ist, dass ein Absetzen
der Therapie nicht bei Patienten erfolgt, bei denen aufgrund einer Immunsuppression
die Indikation zur prophylaktischen Therapie besteht (siehe 3.13). Wir haben die Empfehlungsstärke
der EASL-Leitlinie zum Therapieende bei HBsAg-Verlust, die für alle Patienten gilt,
herabgestuft, da für Subgruppen (Zirrhose, immunsupprimierte Patienten) die Datenlage
unzureichend ist.
Bei HBeAg-positiven Patienten kann eine antivirale Therapie mit Nukleosid- oder Nukleotidanaloga
12 Monate nach HBeAg-Verlust und Anti-HBe-Serokonversion beendet werden [3, 0*]. Vor
Beendigung der Therapie sollte die HBV-DNA negativ bzw. nicht quantifizierbar sein
[3, B**]. Eine Leberzirrhose sollte ausgeschlossen sein [EK].
Konsens: 97,8 % (Delphi-Runde)
* Neu 2020; Leitlinienadaptation AASLD Practice Guideline HBV 2016.
** Geprüft 2020.
Kommentar:
Die umfangreichsten Daten zur Therapiebeendigung in initial HBeAg-positiven Patienten
nach HBeAg-Verlust und Anti-HBe-Serokonversion sind in einer Metaanalyse mit insgesamt
1.217 HBeAg-positiven Patienten erhoben worden. Die eingeschlossenen Studien weisen
jedoch eine große Heterogenität auf und wurden nahezu ausschließlich in Asien durchgeführt,
sodass die Übertragbarkeit auf Deutschland eingeschränkt ist (Evidenz 3a) [168 ].
Insgesamt zeigten 71,2 % der Patienten eine virologische Remission (HBV-DNA < 2000 IU/ml)
ein Jahr nach Beendigung einer antiviralen Therapie. Eine biochemische Remission wurde
in 66,5 % von 403 Patienten, zu denen entsprechende Daten vorlagen, erreicht. Die
HBeAg-Serokonversion blieb in 91,9 % der Patienten ein Jahr nach Therapiebeendigung
stabil. Nach 2 Jahren sank die Zahl der Patienten mit virologischer Remission auf
53,4 %, die Anti-HBe-Serokonversion zeigte sich stabil bei 88 % der Patienten. Bei
heterogener Datenlage zeigte sich eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für eine dauerhafte
Remission in jüngeren Patienten und Patienten mit niedrigerem HBsAg. Eine fortgeführte
antivirale Therapie zeigte in vergleichenden Studien eine höhere Rate an virologischer
und biochemischer Remission; eine HBeAg-Reversion trat unter antiviraler Therapie
nicht auf (Evidenz 3a) [168 ].
Daten zum langfristigen Verlauf hinsichtlich Mortalität, Progress der Lebererkrankung
und Risiko für ein hepatozelluläres Karzinom (HCC) oder hepatische Dekompensation
im Vergleich zu einer fortgeführten Therapie liegen nicht vor.
Die Wahrscheinlichkeit einer virologischen Remission war in einigen Studien niedriger,
wenn eine Suppression der HBV-DNA unter antiviraler Therapie kürzer als 12 Monate
bestand, sodass eine Suppression der HBV-DNA unterhalb der Quantifizierungsgrenze
für mindestens 12 Monate bestehen sollte, bevor eine Therapiebeendigung diskutiert
wird [175 ]
[176 ].
Im Einklang mit internationalen Leitlinien und der Praxis in den bisher durchgeführten
Studien sollte eine Konsolidierungstherapie von mindestens 12 Monaten nach Anti-HBe-Serokonversion
erfolgen, bevor die Therapie beendet wird [7 ].
In der systematischen Analyse konnte allerdings keine signifikante Unterlegenheit
einer Konsolidierungstherapie < 12 Monate nach Anti-HBe-Serokonversion belegt werden,
bei allerdings sehr kleinen Fallzahlen [168 ].
In den bisherigen Studien, in denen überwiegend der HBV Genotyp B und C vorlag, konnte
kein Einfluss des Genotyps auf die Wahrscheinlichkeit einer dauerhaften Remission
belegt werden. Weiterhin ergab sich kein Hinweis, dass bestimmte Nukleo(t)sidanaloga
mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für eine dauerhafte Remission assoziiert sind.
Ein niedrigeres HBsAg-Level (< 2,5 log IU/ml) ist mit einer dauerhaften Remission
(bei asiatischen Patienten) assoziiert. Allerdings ist hier die Evidenz geringer als
für HBeAg-negative Patienten (Evidenz 3b) [177 ].
Ein virologischer und biochemischer Relapse tritt in der Regel innerhalb des ersten
Jahres auf, sodass nach Therapiebeendigung nach Anti-HBe-Serokonversion mindestens
alle 3 Monate eine Kontrolle eines virologischen und biochemischen Rückfalls (HBV-DNA
und ALT) erfolgen sollte.
Die optimalen Kontrollintervalle nach Therapiebeendigung sind bislang nicht gut definiert
und sollten bei fortgeschrittener Fibrose engmaschiger sein. Es sollte auf klinische
Zeichen einer hepatischen Dekompensation geachtet werden. Aufgrund der Unsicherheit,
welche Patienten für einen Therapiestopp geeignet sind, ist eine Fortführung der Therapie
bis zum Erreichen eines HBsAg-Verlusts als Alternative in der AASLD-Leitlinie empfohlen,
insbesondere bei Patienten mit Leberzirrhose [7 ].
Bei HBeAg-negativen Patienten ohne fortgeschrittene Leberfibrose kann eine Therapie
mit Nukleosid- oder Nukleotidanaloga vor HBsAg-Verlust beendet werden, wenn die HBV-DNA
mindestens 3 Jahre negativ bzw. nicht quantifizierbar war und eine engmaschige Kontrolle
nach Therapiestopp gewährleistet ist [3, 0].
Konsens: 90,3 % (Konsensuskonferenz)
Neu 2020
Leitlinienadaption EASL Clinical Practice Guideline HBV 2017
Kommentar:
Die Empfehlung entspricht den EASl-Leitinien [6 ].
Erfahrungen zum Beenden einer antiviralen Therapie bei HBeAg-negativen Patienten wurden
in 2 systematischen Reviews mit 1732 und 1115 Patienten zusammengefasst. Die untersuchten
Studien überschneiden sich dabei zu großen Teilen und wurden überwiegend im asiatischen
Raum durchgeführt, sodass die Übertragbarkeit auf Deutschland eingeschränkt ist (Evidenz
3a) [168 ]
[169 ].
Die Wahrscheinlichkeit für eine virologische Remission ein Jahr nach Absetzen der
antiviralen Therapie lag bei HBeAg-negativen Patienten bei 48 %. Eine stabile biochemische
Remission bestand nach einem Jahr bei 57,4 % von 687 Patienten, bei denen entsprechende
Ergebnisse vorlagen. Die Wahrscheinlichkeit einer dauerhaften virologischen Remission
nach Absetzen war deutlich erhöht, wenn zuvor eine virologische Remission unter antiviraler
Therapie für mindestens 24 Monate bestanden hatte. Eine Studie mit längerer Verlaufsbeobachtung
zeigte eine weiter reduzierte Rückfallquote bei einer antiviralen Therapie von mindestens
3 Jahren gegenüber 2 Jahren in 59 Patienten (25 % vs. 54 %) (Evidenz 3b) [178 ].
In einzelnen Studien wurden weitere Parameter mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit
für eine dauerhafte virologische Remission assoziiert. Hierzu zählen niedrigere Ausgangsviruslast
bei Therapiebeginn (< 200 000 IU/ml), niedrigere ALT, jüngeres Alter (< 40 Jahre),
weibliches Geschlecht und Fehlen einer Leberzirrhose. Ebenfalls war ein niedrigeres
HBsAg zum Zeitpunkt des Absetzens mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für eine dauerhafte
Remission assoziiert (Evidenz 3a) [168 ]
[169 ].
In der systematischen Analyse von Chang et al. zeigte sich ein niedriges HBsAg (< 200 IU/ml)
mit einer höheren Rate an dauerhafter Remission verknüpft (Evidenz 3a) [169 ].
Es liegen bislang nur wenige Langzeitdaten hinsichtlich klinischer Endpunkte nach
Absetzen der Therapie im Vergleich zu einer fortgesetzten Therapie vor. Asiatische
Studien dokumentierten keine höheren Raten an klinischen Endpunkten, inklusive HCC,
nach Absetzen der Therapie gemäß APASL-Stoppregeln. Der Beobachtungszeitraum lag bei
12–60 Monaten. Eine Studie hatte sogar Patienten mit kompensierter Leberzirrhose untersucht
(Evidenz 3b). [47 ]
[179 ]
[180 ] Weitere Langzeitdaten sind aber erforderlich.
Ein Relapse (HBV-DNA-Anstieg) erfolgt üblicherweise innerhalb der ersten 1–12 Monate
Dabei scheint es aber nach Beendigung von TDF einen schnelleren Virusrückfall zu geben
(70 % innerhalb der ersten 12 Wochen) im Vergleich zu ETV (< 10 % innerhalb der ersten
12 Wochen) (Evidenz 2b). Initial (in den ersten 6 Monaten nach Absetzen der Therapie)
sollten Kontrollen in mindestens 4-wöchentlichen Abständen erfolgen, danach alle 3 Monate
(Expertenmeinung). Im Fall eines Rückfalls kommt es typischerweise erst zum Anstieg
der HBV-DNA nach 4–24 Wochen (Evidenz 2b) und im Anschluss zu einem Anstieg der ALT.
Entsprechend sollten HBV-DNA und ALT kontrolliert werden. Ebenfalls muss auf klinische
Zeichen einer hepatischen Dekompensation geachtet werden [168 ]
[169 ]
[181 ]
[182 ]
[183 ]
[184 ]
[185 ]
[186 ].
Patienten mit weiteren Lebererkrankungen oder immunsuppressiv behandelte Patienten
waren in den Studien regelhaft ausgeschlossen, sodass zu diesen Patienten keine belastbaren
Daten vorlegen. Bei ausgeprägten Komorbiditäten oder Immunsuppression ist aufgrund
der hohen Gefahr einer Reaktivierung ein Absetzen einer HBV-Therapie nicht zu empfehlen
(siehe 3.13). Der Anteil an Patienten mit Leberzirrhose lag in den Studien, die in
den systematischen Reviews erfasst wurden, bei 9,3 und 16,1 %. Insgesamt wurden in
den Studien keine gehäuften schweren Nebenwirkungen einer Therapiebeendigung beschrieben.
Allerdings kam es in Einzelfällen in Patienten mit Leberzirrhose zu einer hepatischen
Dekompensation nach Beendigung einer antiviralen Therapie (Evidenz 4), die nicht in
jedem Fall durch eine Re-Therapie erfolgreich behandelt werden konnten [182 ].
Deshalb soll unter Sicherheitsaspekten eine Therapiebeendigung bei Patienten mit Leberzirrhose
vor Erreichen eines HBsAg-Verlusts bzw. Anti-HBs-Serokonversion nicht erfolgen [6 ].
Eine ggf. erforderliche Re-Therapie sollte nach Empfehlungen zur Einleitung einer
viralen Therapie der Hepatitis B erfolgen (siehe 2.2). Im Falle einer Re-Therapie
konnte in den durchgeführten Studien unter Verwendung von Entecavir und Tenofovir
(TDF) eine erneute virale Suppression erreicht werden (Evidenz 2b) [186 ].
In den zur Verfügung stehenden Daten ergeben sich keine Hinweise für ein schlechteres
Ansprechen auf eine erneute antivirale Therapie bzw. Resistenzentwicklungen, allerdings
liegen keine Daten zum langfristigen Verlauf vor. Eine Re-Therapie sollte nur mit
Entecavir (unter Beachtung der Resistenzproblematik) oder Tenofovir (TDF oder TAF)
erfolgen.
Interessant ist, dass nach Beendigung einer NA-Therapie eine relativ hohe Rate an
HBsAg-Verlust in der Langzeitbeobachtung festgestellt wurde. In europäischen Studien
lag der HBsAg-Verlust bei 19–39 % (Evidenz 2b) [181 ]
[186 ]
[187 ]
[188 ]. In der bis zu diesem Zeitpunkt größten randomisierten STOP-NUC-Studie, die in Deutschland
durchgeführt wurde, lag die HBsAg-Verlustrate 2 Jahre nach Therapieende bei 10 % und
bei den Patienten mit einem HBsAg-Wert < 1000 IE/ml zum Zeitpunkt des Therapieabbruchs
bei 28 %. Kein Patient, der die NA-Therapie fortführte, hat in dieser Zeit einen HBsAg-Verlust
erreicht [189 ].
Die durch den HBV-DNA-Rückfall ausgelösten ALT-Flares können möglicherweise ein Indiz
für eine induzierte Immunantwort sein und die ungewöhnlich hohe Rate an HBsAg-Verlusten
nach Therapiestopp erklären [186 ]
[190 ]
[191 ]. Weitere Studien sind allerdings notwendig, um dieses Konzept als Behandlungsstrategie
zu empfehlen.
3.9 Wie sollen HBV-Patienten mit Leberzirrhose antiviral behandelt werden?
Alle Patienten mit Leberzirrhose und nachweisbarer HBV-DNA sollen antiviral behandelt
werden [1, A].
Konsens: 100 % (Delphi-Runde)
Geprüft 2020
NKLM
Kommentar:
Eine antivirale Therapie bei Patienten mit Leberzirrhose verringert das Risiko einer
Dekompensation und für die Entstehung eines hepatozellulären Karzinoms (Evidenz 1a)
[76 ].
Gelingt es, mit einer antiviralen Therapie die Virusreplikation dauerhaft zu supprimieren,
ist das Überleben von Patienten mit Leberzirrhose verbessert (Evidenz 2a) [76 ].
Eine retrospektive Studie hat Patienten mit Zirrhose und einer nachweisbaren HBV-DNA
< 2000 IU/ml mit und ohne Therapie analysiert und zeigte ein geringeres HCC-Risiko
bei Patienten mit Therapie. Allerdings hatten die therapierten Patienten andere Eigenschaften
und höhere HBV-DNA-Werte als die nicht behandelten Patienten (Evidenz 3b) [73 ].
Patienten mit Leberzirrhose, die nach 11–32 Monaten Therapie mit ETV weiterhin eine
HBV-DNA > 80 IU/ml aufwiesen, hatten im weiteren Verlauf ein höheres Risiko für die
Entwicklung eines HCC, Dekompensation oder Tod (Evidenz 3b) [74 ].
Bei Patienten mit dekompensierter Zirrhose war eine nachweisbare HBV-DNA (> 20 IU/ml)
nach einem Jahr Therapie mit ETV mit einem höheren HCC-Risiko verbunden. Eine „low
level viremia“ (> 12, aber < 2000 IU/ml) während einer Therapie mit Entecavir über
1–8,7 Jahre war in einer großen asiatischen Studie auch bei Patienten mit kompensierter
Leberzirrhose mit einem höheren HCC-Risiko assoziiert (Evidenz 2b) [72 ]
[107 ].
Auf der Basis dieser Daten empfehlen auch die EASL- und die AASLD-Leitlinien, dass
Patienten mit Leberzirrhose bei positiver HBV-DNA, unabhängig von einem Grenzwert
und unabhängig von der ALT, antiviral behandelt werden sollen, wobei die AASLD-Leitlinien
einen höheren Empfehlungsgrad bei Patienten mit dekompensierter Lebverzirrhose aussprechen
(siehe 2.2.2) [6 ]
[7 ]
[8 ].
Als Nukleosid- oder Nukleotidanaloga sollen Entecavir oder Tenofovir (TDF oder TAF)
eingesetzt werden [1, A*]. Bei der Auswahl der Nukleosid- oder Nukleotidanaloga sollen
Vortherapien und Komorbidität (MELD-Score, Niereninsuffizienz, Osteopenie, Osteoporose)
berücksichtigt werden [EK].
Eine PEG-IFN-Therapie kann bei Patienten mit Child-A-Zirrhose eingesetzt werden [EK].
Bei dekompensierter Zirrhose (Child-Pugh B und C) sollen Nukleosid- oder Nukleotidanaloga
eingesetzt werden [1, A**]. (PEG-)Interferon alfa ist kontraindiziert [Statement].
Konsens: 97,9 % (Delphi-Runde)
* Neu 2020; Leitlinienadaption AASLD Practice Guideline HBV 2016.
** Geprüft 2020.
Kommentar:
Bei Patienten mit Leberzirrhose war das Auftreten einer antiviralen Resistenz gegen
die NA-Therapie in einer asiatischen Studie mit einer höheren Rate klinischer Komplikationen
(Evidenz 1b) und in einer italienischen Studie mit einem verminderten Gesamtüberleben
assoziiert (Evidenz 2b) (keine Änderung zu [5 ]).
Daher soll gemäß intrenationalen Leitlinien das Risiko einer Resistenz durch die primäre
Auswahl einer Substanz mit einer hohen Resistenzbarriere minimiert werden. [7 ] Die Auswahl von ETV, TDF oder TAF richtet sich nach Vortherapien und Komorbidität
wie unter 3.2.2 beschrieben.
Die Therapie mit PEG-IFN ist bei Patienten mit F4–6-Fibrose (fortgeschrittene Fibrose
und kompensierte Leberzirrhose) möglich und nicht weniger effektiv als bei Patienten
ohne fortgeschrittene Fibrose. Eine europäische Studie hatte sogar eine etwas bessere
Ansprechrate bei HBeAg-positiven Patienten beobachtet (Evidenz 2b) [192 ]
[193 ].
Bei Patienten mit dekompensierter Leberzirrhose im Stadium Child-Pugh B und C kann
die Behandlung mit Interferon alfa zu einer weiteren Verschlechterung der Leberfunktion
führen (keine Änderung zu [5 ]).
Der Nutzen der Therapie mit NA bei Patienten mit dekompensierter Leberzirrhose ist
unter 3.2.2 beschrieben.
3.10 Wie sollen Patienten mit extrahepatischen Manifestationen behandelt werden?
Patienten mit extrahepatischen Manifestationen einer Hepatitis-B-Virusinfektion sollten
mit Nukleosid- oder Nukleotidanaloga behandelt werden [4, B].
Konsens: 100 % (Delphi-Runde)
Geprüft 2020
Kommentar:
Kontrollierte Studien zur Therapie von extrahepatischen Manifestationen einer Hepatitis-B-Virusinfektion
sind nicht durchgeführt worden. Es gibt allerdings zahlreiche Fallberichte, die eine
Besserung der Symptomatik durch eine erfolgreiche Therapie beschrieben haben (Evidenz
4) (keine Änderung zu [5 ]).
Da IFN bzw. PEG-IFN potenziell Autoimmunerkrankungen auch verschlechtern kann, wird
primär der Einsatz von Nukleosidanaloga oder Nukleotidanaloga (NA) empfohlen (Evidenz
4) (keine Änderung zu [5 ]).
Die Therapie sollte in diesem Fall mindestens bis 12 Monate nach Abklingen der Symptome
fortgesetzt werden [4, B]. Generell sollen die Regeln zur Therapiebeendigung wie unter
3.8 angewendet werden.
Konsens: 100 % (Konsensuskonferenz)
Geprüft 2020
Kommentar:
Die Behandlungsdauer mit NA ist nicht in klinischen Studien untersucht worden. Aufgrund
von Erfahrungen der Experten wird aber eine Fortsetzung der Behandlung für mindestens
12 Monate nach Abklingen der Symptome empfohlen, wobei vielfach eine Dauertherapie
notwendig ist (Evidenz 4) (keine Änderung zu [5 ]).
3.11 Wie sollen Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion und Dialysepatienten
behandelt werden?
Eine Therapie einer chronischen Hepatitis-B-Virusinfektion mit pegyliertem Interferon
alfa bei Hämodialysepatienten soll aufgrund der erhöhten Nebenwirkungsrate und der
geringen Studiendaten und verfügbarer Alternativen nicht erfolgen [EK].
Konsens: 100 % (Delphi-Runde)
Modifiziert 2020
Kommentar:
Eine Therapie mit PEG-IFNa-2a ist prinzipiell möglich bei Patienten mit Niereninsuffizienz
oder Dialyse. Allerdings liegen hier nur wenige Daten insbesondere bei Patienten mit
chronischer Hepatitis C vor, und die Therapie war in diesen meist multimorbiden Kollektiven
mit deutlich mehr Nebenwirkungen verbunden (Evidenz 4) [194 ]
[195 ].
Aufgrund der häufigen Komorbiditäten von Dialysepatienten soll eine antivirale Therapie
mit Nukleosid- oder Nukleotidanaloga bevorzugt werden [3, A]. Bei allen NA soll konsequent
die Dosisanpassung an die Nierenfunktion beachtet werden [3, A].
Konsens: 100 % (Delphi-Runde)
Geprüft 2020
Kommentar:
Bisher liegen keine größeren kontrollierten Studien zur Therapie der chronischen HBV-Infektion
mit NA bei Patienten mit Niereninsuffizienz oder Dialysepatienten vor. Alle NA werden
renal eliminiert. Dennoch ist ein Einsatz bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion
entsprechend den jeweils angegebenen Dosisanpassungen als sicher einzustufen (Evidenz
3a) [138 ]
[196 ].
Eine Therapie mit Adefovir führte in einigen Studien zu einem Abfall der GFR und zu
proximaler tubulärer Dysfunktion, die eine Hypophosphatämie zur Folge hatte (Evidenz
3b) [141 ].
Ebenso wurden Fälle von Osteomalazie beschrieben (vermehrt bei der höheren Dosis von
30 mg). Wie unter 3.2.3 empfohlen, soll Adefovir überhaupt nicht mehr zur Therapie
der chronischen Hepatitis B eingesetzt werden, da Alternativen verfügbar sind.
Auch die Behandlung mit Tenofovir (TDF) war in einigen Kohorten mit einem Abfall der
GFR assoziiert, und einige Fälle von Fanconi-Syndromen wurden beschrieben (siehe 3.7).
Meist wurden die schweren renalen Nebenwirkungen bei HIV-koinfizierten Patienten beschrieben.
Ein möglicher Grund können Komorbidität und Komedikation in diesen Kohorten sein,
die möglichweise zu erhöhten TDF-Wirkstoffspiegeln geführt haben. In größeren Real-World-Kohorten
waren die renalen Nebenwirkungen von TDF jedoch gering (auch bei HIV-Kohorten). Aufgrund
von Alternativen sollte TDF aber bei Patienten mit bereits bestehender Niereninsuffizienz
(GFR < 60 ml/min) oder Hypophosphatämie < 2 mg/dl nicht mehr eingesetzt werden. Mit
Tenofovir Alafenamid (TAF) steht seit 2017 eine Alternative zur Verfügung, wenn Lamivudin,
Telbivudin, Entecavir aufgrund der Resistenzlage nicht möglich sind. In den Phase-III-Zulassungsstudien
kam es zu keiner Verschlechterung der GFR während 96 Wochen TAF-Therapie, während
die GFR mit TDF leicht, aber signifikant stärker abgefallen war (Evidenz 1b) [135 ]. Es gibt Daten (v. a. aus der HIV-Behandlung), die die Sicherheit bei Patienten
mit Niereninsuffizienz belegen. Eine Dosisanpassung ist erst bei einer GFR < 15 ml/min
erforderlich ([Tab. 12 ]).
Entecavir führt nicht oder nur minimal zu einer Reduktion der GFR. Eine Dosisreduktion
sollte bei einer GFR < 50 ml/min vorgenommen werden. Es gibt keine Daten, ob die auch
bei einer GFR < 50 ml/min weiterhin empfohlene doppelte ETV-Dosis bei Lamivudin-Resistenz
([Tab. 12 ]) zu vermehrten Nebenwirkungen führt.
Für Lamivudin liegen die längsten Erfahrungen bei Patienten mit Niereninsuffizienz
vor. Wie unter 3.3.2 diskutiert, sollte Lamivudin aufgrund der Resistenzentwicklung
nicht mehr oder nur noch bei sehr niedriger Ausgangsviruslast eingesetzt werden.
Prinzipiell gilt die gleiche Empfehlung für Telbivudin. Allerdings ist Telbivudin
die einzige Substanz, die zu einer Verbesserung der GFR (nach Cockroft-Gault) während
der Therapie geführt hat [139 ]
[140 ] (siehe auch 3.2.2). Der Mechanismus der potenziell nephroprotektiven Wirkung und
der klinische Nutzen sind bislang unklar. Daher kann Telbivudin bei Niereninsuffizienz
nicht generell als Therapiekonzept empfohlen werden.
Anmerkung: Telbivudin ist mittlerweile in Deutschland vom Markt genommen und daher
nicht mehr in [Tab. 12 ] aufgeführt.
3.12 Welche Behandlungsempfehlungen werden für schwangere HBsAg-positive Patientinnen
gegeben?
Bei HBsAg-positiven Patientinnen soll eine regelmäßige (mindestens alle 3 Monate)
Bestimmung von ALT und HBV-DNA während der Schwangerschaft und mindestens bis 6 Monate
nach Entbindung durchgeführt werden [3, A].
Konsens: 97,9 % (Delphi-Runde)
Geprüft 2020
NKLM
Kommentar:
In seltenen Fällen sind Aktivierungen der Hepatitis B während einer Schwangerschaft
beschrieben worden, die in einzelnen Fällen zum akuten Leberversagen führten (Evidenz
3b) (keine Änderung zu [5 ]).
In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle normalisieren sich hingegen die Transaminasen
während einer Schwangerschaft (Evidenz 3a) (keine Änderung zu [5 ]).
Allerdings sind Schübe der Hepatitis in den ersten 3–6 Monaten nach der Entbindung
nicht ungewöhnlich (Evdienz 3b) (keine Änderung zu [5 ]).
Eine neuere Studie hat festgestellt, dass die ALT-Flares postpartum mit der Höhe der
HBV-DNA zu Beginn der Schwangerschaft korrelieren (Evidenz 2b) [197 ].
Sollte eine Patientin während einer antiviralen Therapie schwanger werden, soll die
Behandlungsindikation überprüft werden [1, A]. Eine bestehende Therapie mit Lamivudin
(LAM), Telbivudin (TVD) oder Tenofovir (TDF) kann fortgesetzt werden [0, 2]. Eine
bestehende Therapie mit pegyliertem Interferon alfa soll abgesetzt bzw. umgestellt
werden [1, A]. Eine bestehende Therapie mit Entecavir oder Adefovir soll umgestellt
werden [EK*]. Eine Umstellung sollte auf Tenofovir (TDF) erfolgen [EK*].
Konsens: 100 % (Delphi-Runde)
Geprüft 2020
* Modifiziert 2020.
Kommentar:
Bei der Abwägung von Nutzen und Risiken einer antiviralen Therapie während der Schwangerschaft
sind potenzielle Gefährdungen für das Neugeborene und mögliche Risiken für die schwangere
Patientin zu unterscheiden. In jedem Fall ist bei bereits bekannter oder neu diagnostizierter
Hepatitis-B-Virusinfektion die Behandlungsindikation für die Schwangere zu überprüfen.
Lamivudin, Entecavir und Adefovir sind als sog. „C“-Drugs von der FDA klassifiziert,
in Deutschland wird eine strenge Indikation zum Einsatz in der Schwangerschaft der
Gruppe 6 angegeben. Demgegenüber werden Tenofovir und Telbivudin als „B“-Drug bzw.
„Gruppe-4-Medikament“ klassifiziert. Die Klassifizierung als „B-Substanz/Klasse-4-Medikament“
bedeutet, dass sich aus Tierversuchen keine Hinweise auf eine Beeinträchtigung des
Fötus ableiten ließen, ohne dass jedoch geeignete, kontrollierte Studien beim Menschen
vorliegen. Die Klassifizierung als „C-Substanz/Klasse-6-Medikament“ bedeutet, dass
sich in Tierversuchen Nebenwirkungen gezeigt haben. Ausreichende klinische Daten aus
klinischen Studien und großen Schwangerschaftsregistern liegen bisher für Lamivudin,
Telbivudin und Tenofovir (TDF) vor. Hierbei zeigte sich für diese Substanzen kein
erhöhtes Risiko für fötale Missbildungen, auch wenn die Substanzen bereits im ersten
Trimenon eingesetzt wurden (Evidenz 2a) [19 ]
[20 ]
[198 ].
Für TAF ist die Datenlage bislang noch unzureichend [199 ].
Bestehende Therapien mit Lamivudin, Telbivudin oder Tenofovir (TDF) brauchen bei eindeutiger
Therapieindikation (fortgeschrittene Fibrose oder Zirrhose) nicht unterbrochen zu
werden, da das potenzielle Risiko für den Fötus durch die Medikamentengabe nicht im
Verhältnis zu dem Risiko eines Hepatitis-Flares nach Absetzen einer antiviralen Therapie
steht. Therapien mit Adefovir und Entecavir sollten auf Tenofovir (TDF) umgestellt
werden.
Wurde bisher keine antivirale Therapie durchgeführt, soll eine Therapie während der
Schwangerschaft angeboten werden bei:
aktiver Hepatitis, gemäß den Empfehlungen für nicht schwangere Frauen [EK],
Vorliegen einer HBV-DNA-Konzentration > 200 000 IU/ml, um das Risiko einer vertikalen
Transmission (Mutter-Kind-Übertragung) zu reduzieren [1, A[* ]].
Konsens: 77,4 %* (Konsensuskonferenz)
Modifiziert 2020
Evidenztabelle siehe Leitlinienreport Anhang III
NKLM
Klug Entscheiden
Kommentar:
Eine vertikale HBV-Transmission (Mutter-Kind-Übertragung) ist trotz adäquat durchgeführter
aktiv-passiver Simultanimpfung des Neugeborenen (siehe 5.9) bei hochvirämischen Müttern
möglich. In verschiedenen Kohorten betrug das Übertragungsrisiko bei Müttern mit einer
HBV-Viruslast > 107 –108 IU/ml bis zu 32 % (Evidenz 2b) (keine Änderung zu [5 ]).
Durch eine Reduktion der Viruslast (< 200 000 IU/ml) mittels antiviraler Therapie
lässt sich dieses Risiko reduzieren (Evidenz 1a) [19 ]
[20 ]
[22 ]
[25 ].
Bislang gibt es keine Evidenz, dass bei einer HBV-DNA < 200 000 IU/ml eine vertikale
Transmission auftritt (Evidenz 2a) [19 ].
Daher sollte bei einer HBV-DNA < 200 000 IU/ml auch keine antivirale Therapie mit
dem Ziel der perinatalen Transmissionsverhinderung begonnen werden [7 ].
Eine placebokontrollierte Studie mit jeweils 147 Patienten in jeder Gruppe (Placebo
versus Tenofovir (TDF)) zeigte allerdings keinen signifikanten Unterschied bzgl. des
Transmissionsrisikos. Allerdings ist bei keiner der mit Tenofovir (TDF) behandelten
Mütter eine Infektion des Kindes aufgetreten. Alle (drei) Mutter-zu-Kind-Übertragungen
traten in der Placebogruppe auf [24 ].
Kontrovers ist die Antwort auf die Frage, ob eine Sectio das Risiko einer vertikalen
Transmission reduzieren kann. Ein systematisches Review von 30 Datensätzen (9906 Fälle),
mit allerdings sehr heterogener Datenlage, kam zum Schluss, dass das relative Risiko
für die Entwicklung einer HBV-Infektion nach (elektiver) Sectio gegenüber einer vaginalen
Geburt verringert ist (OR 0,51) (Evidenz 3a) [200 ].
Ein anderes systemisches Review (18 Studien, 11 446 Fälle) konnte die Ergebnisse nicht
bestätigen, wobei die Autoren darauf hinweisen, dass bei einer hohen HBV-DNA (> 200 000 IU/ml)
die Ergebnisse vorsichtig zu interpretieren sind (Evidenz 3a) [201 ].
In der Tat deutet eine Studie mit 1409 Fällen darauf hin, dass die Sectio bei einer
HBV-DNA > 200 000 IU/ml einen Nutzen hat (Evidenz 3b) [202 ].
Die analysierten Studien waren meist aus China. Der Zeitpunkt der aktiven und passiven
Impfung des Neugeborenen nach der Geburt spielt hier eine wichtige Rolle (optimal
innerhalb der ersten 4–6 Stunden, siehe 5.9). Inwiefern die Ergebnisse daher auf Deutschland
übertragen werden können, ist unklar.
Eine generelle Empfehlung zur Sectio kann daher nicht gegeben werden. Sollte die HBV-DNA
zum Zeitpunkt der Geburt > 200 000 IU/ml liegen, kann eine Sectio mit der Schwangeren
(Nutzen/Risikoabwägung) besprochen werden.
Eine Therapie zur Verhinderung der Mutter-Kind-Übertragung sollte möglichst früh,
idealerweise vor der 32. Schwangerschaftswoche, aber nach dem 1. Trimenon begonnen
werden [2, B*].
Die Nukleos(t)idanaloga, die bei Schwangeren untersucht wurden, sind Lamivudin, Telbivudin
und Tenofovir (TDF). Tenofovir (TDF) sollte bevorzugt eingesetzt werden [1b, B*].
Die Schwangere soll über die Vorteile und möglichen Risiken der NA-Therapie aufgeklärt
werden [EK].
Konsens: 100 % (2. Delphi-Runde)
Modifiziert 2020
* Evidenztabelle siehe Leitlinienreport Anhang III
Kommentar:
Wird eine Therapie nur zur Reduzierung des vertikalen Transmissionsrisikos durchgeführt,
kann die Therapie prinzipiell in allen Phasen der Schwangerschaft (auch im 1. Trimenon)
begonnen werden (Evidenz 2a) [19 ].
In den meisten Studien wurde die Therapie allerdings in der 28.–32. Schwangerschaftswoche
gestartet (Evidenz 1b/2a) [19 ]
[20 ]
[22 ]
[25 ].
In der Studie von Pan et al., wurde die Therapie in der 30.–32. Woche begonnen; bei
31 von 97 behandelten Müttern war die HBV-DNA bei Geburt noch ≥ 200 000 IU/ml und
es gab 5 Fälle von HBV-Mutter-auf-Kind-Übertragungen. [22 ] Daher ist ein Beginn zwischen 1. Trimenon und 28. Schwangerschaftswoche ideal, wie
in der WHO-Leitlinie empfohlen ist [23 ].
In Deutschland erfolgt gemäß den Mutterschaftsrichtlinien das Screening auf HBsAg
allerdings erst nach der 32. Schwangerschaftswoche (https://www.g-ba.de/downloads/62-492-2130/Mu-RL_2020-02-20_iK_2020-04-28.pdf ), sodass eine Therapie erst frühestens nach diesem Zeitpunkt aufgenommen werden könnte.
Der Erfolg einer späten Therapieeinleitung (Reduktion der HBV-DNA auf < 200 000 IU/ml
bis zur Geburt), insbesondere bei Patienten mit hoher Virämie, ist allerdings nicht
bekannt. Daher sollte unbedingt die Mutterschaftsrichtlinie geändert werden. Die Untersuchung
auf HBsAg sollte möglichst in der 12. Schwangerschaftswoche oder vorher erfolgen.
Real-World-Daten bestätigen den Erfolg und die Sicherheit von Tenofovir (TDF) zur
Verhinderung der vertikalen Transmission [203 ].
Die Dauer der Therapie bei Schwangeren bzw. nach der Geburt ist bislang nicht gut
definiert. Eine klare Empfehlung zur Therapiedauer kann nicht ausgesprochen werden.
Die begonnene Therapie kann fortgeführt und entsprechend den Empfehlungen 3.8 beendet
werden. Eine Beendigung kurz nach der Geburt kann ebenso erfolgen, wenn engmaschige
Kontrollen gewährleistet sind. Das wird z. B. von der „Chinese Medical Association“
empfohlen [204 ].
In den Studien wurde die Therapie meist bis 4–12 Wochen post partum fortgeführt. Nach
Abbruch der Therapie kam es in einigen Fällen zu ALT-Flares. Die Rate der Flares war
etwas höher in den Behandlungsgruppen als in den unbehandelten Kontrollen. Die Flares
waren meist mild und haben nicht zu einer fulminanten Hepatitis geführt (Evidenz 2a)
[19 ]
[20 ]
[205 ].
Ein Argument für einen schnellen Abbruch der Therapie nach der Schwangerschaft kann
die zuvor fehlende medizinische Indikation sein oder die Sorge der Mutter, dass beim
Stillen potenziell für das Kind toxische Medikamente übertragen werden.
Während der antiviralen Therapie mit den empfohlenen Nukleos(t)idanaloga kann das
Kind gestillt werden [EK]. Die Mutter soll über die bislang wenig bekannten Risiken
einer geringen Nukleos(t)idanaloga-Exposition der Kinder aufgeklärt werden [EK].
Konsens: 95,7 % (Delphi-Runde
Neu 2020
Kommentar:
Die Konzentrationen von Lamivudin oder Tenofovir (TDF) scheinen in der Muttermilch
sehr gering zu sein. Die TDF-Exposition des Kindes beim Stillen wird im Vergleich
zur Exposition in utero als niedriger erachtet (Evidenz 4) [206 ]
[207 ].
Es gibt mittlerweile Daten zum Einsatz von TDF als HIV-Therapie bzw. Präexpositionsprophylaxe
bei stillenden Frauen. Bislang gibt es keine Sicherheitsbedenken (Evidenz 3a) [208 ]
[209 ].
Aufgrund der Datenlage sollte im Fall einer Fortführung der TDF-Therapie nicht vom
Stillen abgeraten werden.
Sollte die Therapie direkt nach der Geburt dennoch abgesetzt werden, besteht vermutlich
kein erhöhtes Risiko der Übertragung des HBV auf das Neugeborene durch das Stillen,
sofern die Simultanimpfung des Neugeborenen lege artis (siehe 5.9) erfolgt ist. [203 ]
Unterstützt werden diese Daten durch die Ergebnisse eines systematischen Reviews.
Die Auswertung von 10 Studien konnte bei direkt nach der Geburt geimpften Kindern
keine Unterschiede hinsichtlich des HBsAg-Status der Kinder von HBsAg-positiven Müttern
feststellen, unabhängig davon, ob sie gestillt wurden oder nicht. Die Autoren geben
aber den Hinweis, dass das Stillen bei blutigen Verletzungen der Brustwarze pausiert
werden sollte (Evidenz 3a) [210 ].
3.13 Wie kann eine Hepatitis-B-Reaktivierung unter Immunsuppression verhindert werden?
Bei malignen Grunderkrankungen mit geplanter Chemotherapie oder vor Beginn einer immunsuppressiven
Therapie sollen HBsAg und Anti-HBc bestimmt werden [1, A].
Konsens: 100 % (Delphi-Runde)
Modifiziert 2020
Leitlinienadaption EASL Clinical Practice Guideline HBV 2017
NKLM
Klug Entscheiden
Kommentar:
Die Reaktivierung einer HBV-Infektion ist eine potenziell lebensbedrohliche Komplikation
einer Chemotherapie oder einer immunsuppressiven Therapie. Die Inzidenz einer Hepatitis-B-Reaktivierung
während bzw. nach Chemotherapie beträgt bei HBsAg-positiven Trägern 15–50 % (Evidenz
2b), nach Knochenmarktransplantation über 75 %, wobei auch fulminante Verläufe und
Todesfälle beschrieben wurden (Evidenz 3b) (keine Änderung zu [5 ]).
Bei HBsAg-negativen/Anti-HBc-positiven Patienten ist die Reaktivierung insgesamt seltener,
jedoch kann in bestimmten Situationen das Reaktivierungsrisiko über 10 % betragen
(Evidenz 2a) (Evidenz 3b) (keine Änderung zu [5 ]).
Daher sollen alle Patienten, die eine immunsuppressive Therapie erhalten sollen, auf
Anti-HBc und HBsAg getestet werden, idealerweise wird auch Anti-HBs bestimmt. Das
entspricht internationalen Leitlinienempfehlungen. [6 ]
[86 ]
[87 ].
Bei Anti-HBc-positiven Patienten (unabhängig vom HBsAg-Status) sollte zusätzlich die
HBV-DNA bestimmt werden, um eine okkulte HBV-Infektion auszuschließen (keine Änderung
zu [5 ]).
Die Einschätzung über die Notwendigkeit einer antiviralen Therapie zur Prophylaxe
einer HBV-Reaktivierung soll abhängig von der vorliegenden Serologie (HBsAg+/Anti-HBc+
oder HBsAg-/Anti-HBc+) und der geplanten medikamentösen Therapie (Risikollasse) erfolgen
([Abb. 3 ])
HBsAg+-Patienten mit hohem Risiko (Reaktivierungsrate > 10 %) sollen mit Nukleos(t)idanaloga
antiviral behandelt werden [1, A], Patienten mit moderatem Risiko (Reaktivierungsrate
1–10 %) sollten behandelt werden [2, B]; HBsAg+-Patienten mit niedrigem Risiko (< 1 %)
sollen mindestens alle 8 Wochen kontrolliert werden [1, A] und können ggfs. auch prophylaktisch
antiviral behandelt werden [0, 3].
HBsAg- und Anti-HBc+-Patienten sollten bei geplanter B-Zell depletierender Immunsuppression
oder Stammzell-/Knochenmarktransplantation antiviral behandelt werden [2, B]; bei
Immunsuppression mit moderatem oder niedrigem Reaktivierungsrisiko sollen engmaschige
Kontrollen erfolgen [2, A], oder es kann eine prophylaktische antivirale Therapie
eingesetzt werden [0, 3].
HBsAg- und Anti-HBc+-Patienten mit geplanter lokaler HCC-Therapie (TACE, perkutan/lokal
ablative Verfahren, Resektion) sollten antiviral zur Prophylaxe einer HBV-Reaktivierung
behandelt werden [2, B].
Konsens: 95,7 % (Delphi-Runde)
Modifiziert 2020
Leitlinienadaption EASL Clinical Practice Guideline HBV 2017
Abb. 3 Algorithmus zur Prävention der Hepatitis-B-Reaktivierung. Sonderfall HBV/HCV-koinfizierte
Patienten (siehe auch AG6). Bei HBV/HCV-koinfizierten Patienten besteht das Risiko
einer HBV-Reaktivierung nach erfolgreicher Behandlung der HCV-Infektion (siehe 6.2.2
und 6.2.3). [rerif]
Kommentar:
Das Risiko einer HBV-Reaktivierung hängt vom serologischen Status des Patienten und
von der eingesetzten immunsuppressiven Therapie ab und kann grob in hohes (> 10 %),
moderates (1–10 %) oder niedriges Risiko (< 1 %) eingeteilt werden [86 ]
[171 ].
Prinzipiell gilt, dass HBsAg-positive Patienten ein erheblich höheres Reaktivierungsrisiko
verglichen mit HBsAg-negativen/Anti-HBc-positiven Patienten aufweisen (keine Änderung
zu [5 ]).
Selbstverständlich ist, dass neben dieser groben Einordnung auch individuelle Faktoren
(Alter, Art der Grunderkrankung bzw. des Tumors, Komorbiditäten, Kombination von Immunsuppressiva,
Dauer der Immunsuppression, eventuelle begleitende Lebererkrankung etc.) in der Risikoabschätzung
berücksichtigt werden müssen.
Zur Einschätzung des Reaktivierungsrisikos in Abhängigkeit vom serologischen Status
des Patienten und der Stärke der immunsuppressiven Therapie gibt es zahlreiche systematische
Übersichtsarbeiten und Metaanalysen (Evidenz 1a) [171 ]
[211 ]
[212 ]
[213 ].
Diese Übersichtsarbeiten bilden die Grundlage der in [Abb. 3 ] dargestellten Risikoklassen und werden in ähnlicher Form auch in internationalen
Leitlinienempfehlungen verwendet [86 ]
[214 ].
Dennoch muss darauf hingewiesen werden, dass für viele der teils neueren immunmodulierenden
Therapien (z. B. Vedolizumab, Natalizumab, Nivolumab) teils noch sehr wenig Evidenz
für das tatsächliche Reaktivierungsrisiko vorliegt. In anderen Fällen gibt es Hinweise,
dass das tatsächliche Reaktivierungsrisiko in der Vergangenheit überschätzt wurde.
Aus einer großen prospektiv beobachteten Real-World-Kohorte von Patienten mit rheumatologischen
Erkrankungen und langfristiger Biologika-Therapie wird berichtet, dass bei 179 HBsAg-/Anti-HBc+-Patienten
trotz verschiedener immunsuppressiver Substanzen (u. a. 146 Patienten erhielten Anti-TNF-Therapie)
keine einzige HBV-Reaktivierung aufgetreten ist (Evidenz 3b) [215 ].
Im Fall von Methotrexat stuft eine hämatologisch-infektiologische Leitlinie das Reaktivierungsrisiko
als „moderat“ ein, basierend auf einer einzelnen retrospektiven Arbeit mit bis zu
5 % Reaktivierungen unter Methotrexat bei HBsAg-positiven Patienten [214 ].
Eine Metaanalyse ordnet Methotrexat allerdings recht klar der „niedrigen“ Risikostufe
zu (Evidenz 2a) [171 ].
Schwierigkeiten bereitet auch die korrekte Zuordnung des Reaktivierungsrisikos für
moderne personalisierte Krebstherapien. Eine Übersichtsarbeit konnte trotz Analyse
aller verfügbaren Studien neuere Substanzen wie mTOR-Inhibitoren oder Multikinase-Inhibitoren
nicht evidenzbasiert einordnen (Evidenz 2a) [213 ].
Für sehr neue Substanzklassen wie JAK1/2-Inhibitoren (Ruxolitinib) liegen bislang
nur Einzelfallberichte vor (Evidenz 4) [216 ]
[217 ].
Daher erscheint es aus Sicherheitsgründen sinnvoll, diese Substanzen zunächst als
„mittlere Risikosubstanz“ sowohl für HBsAg+- als auch HBsAg-/Anti-HBc+-Patienten einzuordnen.
Das höchste Reaktivierungsrisiko besteht für HBsAg+- oder HBsAg-/Anti-HBc+-Patienten,
die eine B-Zell depletierende Therapie (z. B. Rituximab) oder eine Knochenmark- bzw.
Stammzelltransplantation erhalten (Evidenz 2a) (keine Änderung zu [5 ]).
In diesen Situationen soll vor Einleitung der Immunsuppression eine antivirale Therapie
begonnen werden, weil dadurch effektiv patientenrelevante Endpunkte (Hepatitis, Dekompensation,
Unterbrechung der Chemotherapie, Todesfälle) verhindert werden können (Evidenz 1a)
(keine Änderung zu [5 ]).
Das entspricht auch den Empfehlungen internationaler Leitlinien [6 ]
[86 ].
Für die neuen Immuncheckpointinhibitor(ICI)-Therapien (z. B. Nivolumab, Pembrolizumab,
Atezolizumab, Ipilimumab u. a.) gibt es bislang nur Einzelfallberichte. Hier gibt
es in einstelliger Patientenzahl Berichte über Fälle von HBV-Reaktivierungen, aber
auch von HBV-Suppression unter dieser Immuntherapie. [218 ]
[219 ]
[220 ]
[221 ] Es wird sogar überlegt, die Immuncheckpointinhibitoren in Zukunft zur Behandlung
der chronischen Hepatitis B einzusetzen bzw. mit anderen neuen Medikamenten zu kombinieren,
um Hepatitis-B-spezifische Immunantworten zu verbessern und somit die HBsAg-Verlustraten
zu erhöhen [100 ]
[221 ].
Eine prophylaktische HBV-Therapie sollte analog auch bei HBsAg-positiven Patienten
mit moderatem Reaktivierungsrisiko durchgeführt werden (siehe Abbildung) (Evidenz
2a).
In HBsAg-/Anti-HBc+-Patienten ist das Reaktivierungsrisiko, abgesehen von den genannten
Hochrisikosituationen (B-Zell-Depletion, Stammzelltransplantation), sehr viel niedriger.
Daher ist in diesen Konstellationen eine engmaschige Kontrolle (HBsAg, HBV-DNA und
ALT alle 1–3 Monate) und „präemptive Therapie“, d. h. bei Auftreten von HBsAg oder
HBV-DNA (vor Auftreten einer Hepatitis), gerechtfertigt (Evidenz 2a) (keine Änderung
zu [5 ]).
In Sonderfällen, z. B. sehr langfristige Immunsuppression, unzureichende Adhärenz
zur engmaschigen Kontrolle oder ungünstige Risikofaktoren (Alter, Tumorentität, begleitende
Lebererkrankung o. Ä.), kann eine prophylaktische antivirale Therapie durchgeführt
werden.
HCC-Therapie: Aktuelle lokale Therapiemodalitäten für das hepatozelluläre Karzinom (HCC) scheinen
ein besonderes Risiko für HBV-Reaktivierungen darzustellen (Evidenz 2b). Retrospektive
Analysen aus großen asiatischen Kohorten legen nahe, dass sowohl transarterielle Chemoembolisation
(vor allem in Kombination mit Radiotherapie oder bei wiederholter Anwendung) als auch
chirurgische Resektion ein erhebliches (> 10 %) Risiko für HBV-Reaktivierung haben,
auch bei HBsAg-negativen (Anti-HBc-positiven) Patienten (Evidenz 2b). In diesen retrospektiven
Analysen zeigten HCC-Patienten, die eine antivirale Therapie erhielten, weniger Reaktivierungen,
weniger Dekompensationen und teilweise auch ein verbessertes Überleben (Evidenz 2b)
[222 ]
[223 ]
[224 ]
[225 ]-
Daher ist bei Patienten mit (geplanter) ablativer HCC-Therapie (transarterielle Chemoembolisation,
Radiofrequenzablation, Radiotherapie, Resektion) eine prophylaktische antivirale Therapie
gerechtfertigt.
Zur Prophylaxe einer HBV-Reaktivierung sollten vorzugsweise hochpotente Nukleos(t)idanaloga
(Entecavir oder Tenofovir (TAF oder TDF)) eingesetzt werden [EK]. Die antivirale Therapie
sollte mindestens 6–12 Monate, bei B-Zell depletierenden Medikamenten mindestens 18
Monate nach Beendigung der immunsuppressiven Therapie fortgeführt werden [EK].
Konsens: 95,7 % (Delphi-Runde)
Neu 2020
Kommentar:
Prinzipiell ist eine prophylaktische antivirale Therapie auch mit Lamivudin möglich,
wie es in vielen Kohorten erfolgreich beschrieben wurde (Evidenz 2a) [171 ]
[211 ].
Allerdings ist aus der Primärtherapie mit Lamivudin bekannt, dass häufig Resistenzen
auftreten, und zudem ist Lamivudin in Hochrisko-Reaktivierungssituationen Entecavir
unterlegen (s. o., Evidenz 1b), sodass zur Prophylaxe der HBV-Reaktivierung eine hochpotente
antivirale Substanz (Entecavir, Tenofovir) eingesetzt werden sollte. Ein systematisches
Review kommt ebenso zu dem Ergebnis, dass Entevacir oder Tenofovir die effektivste
Therapieoption zur Verhinderung der HBV-Reaktivierung darstellen [226 ]
[227 ].
Auch bei HBsAg-/Anti-HBc+-Patienten gibt es Fallberichte von Lamivudin-Resistenzen,
die zu einem Versagen der Therapie geführt haben (Evidenz 4) [228 ].
Daher sollte auch zur prophylaktischen und präemptiven Therapie ausschließlich Entecavir
oder Tenofovir (TDF oder TAF) eingesetzt werden. Falls keine Therapie durchgeführt
wird, sollen die Kontrollen der HBV-DNA alle 2–3 Monate erfolgen. Eine prospektive,
randomisierte Studie zeigte, dass ein Kontrollintervall alle 8 Wochen alle HBV-Reaktivierungen
bei HBsAg-negativen/Anti-HBc-positiven Patienten, die mit Rituximab behandelt wurden,
rechtzeitig identifizieren konnte. Die präemptive Therapie mit TDF wurde im Anschluss
durchgeführt, und kein Patient hatte eine HBsAg-Seroreversion (Evidenz 1b) [229 ].
Zur Dauer einer prophylaktischen antiviralen Therapie (für die oben geschilderten
Indikationen) gibt es keine randomisierten, prospektiven Studien, sodass die aktuellen
Leitlinien empfehlen, die Therapie 6–12 Monate nach Beendigung der immunsuppressiven
Therapie fortzuführen [6 ]
[86 ].
Es gibt allerdings Berichte, dass unter B-Zell depletierender Therapie (Rituximab
und ähnliche Substanzen) auch noch nach etwas länger als einem Jahr nach Ende der
Chemotherapie eine HBV-Reaktivierung auftreten kann (Evidenz 4) [230 ].
Da die antivirale Therapie sicher und gut verträglich ist, sollte bei B-Zell depletierender
Chemotherapie und Hochrisikokonstellation aus Sicherheitsgründen die prophylaktische
Therapie mindestens 18 Monate nach Abschluss der B-Zell-Depletion fortgeführt werden.
4 Infektionen mit Hepatitis-B-Viren im Zusammenhang mit Organtransplantationen
T. Berg, K. Herzer, C. Berg, M. Sterneck, B. Maasoumy, N. Aehling, E. Trowe (Selbsthilfe
Lebertransplantierter), C. Strassburg, Bonn (DTG)
4.1 Wie ist das Management von Patienten mit HBV-Infektion vor LTx?
Patienten mit HBV-induzierter Leberzirrhose und/oder HCC und nachweisbarer HBV-DNA
sollen umgehend und dauerhaft mit einem hochpotenten NA (ETV, TDF, TAF) behandelt
werden [1, A].
Konsens: 100 % (Delphi-Runde)
Geprüft 2020 (siehe 2.2.2, 2.2.3, 3.9.1)
Kommentar:
Die Prinzipien der antiviralen Therapie bei HBV-infizierten Patienten vor LTx unterscheiden
sich nicht grundsätzlich von denen bei Patienten ohne Transplantationsindikation (siehe
Empfehlungen und Kommentare der AG3) und entsprechen den Empfehlungen internationaler
Leitlinien der EASL und der AASLD [6 ]
[7 ]
[8 ].
Sicherheit und Effektivität der Therapie mit potenten NA (Entecavir und Tenofovir)
sind auch im Stadium der dekompensierten Erkrankung hoch. Eine Anpassung an die Nierenfunktion
ist erforderlich ([Tab. 12 ]), und bei Patienten mit einem MELD Score von > 22 steigt das Risiko für die Entwicklung
einer Laktatazidose unter NA. Aufgrund seines günstigen Nebenwirkungsprofils stellt
TAF eine interessante Therapieoption für diese Patientengruppe dar. Allerdings liegen
noch keine Daten zum Einsatz von TAF bei dekompensierter Zirrhose vor [6 ]
[7 ]
[8 ]
[75 ]
[76 ]
[124 ]
[125 ]
[231 ].
HBsAg-positive Patienten mit negativer HBV-DNA sollen engmaschige HBV-DNA-Kontrollen
(ca. alle 3 Monate) erhalten [EK], eine antivirale Therapie ist in der Regel nicht
erforderlich [EK].
Konsens: 95,6 % (Delphi-Runde)
Geprüft 2020
Kommentar:
Eine regelmäßige Kontrolle ist wichtig, um Fluktuationen und Reaktivierungen der HBV-DNA
rechtzeitig zu identifizieren (siehe 1.5.2).
Kommt es bei Patienten auf der Transplantationswarteliste im Verlauf der antiviralen
Therapie zu einer Rekompensation der HBV-induzierten Leberzirrhose ins Stadium Child
A und liegt kein hepatozelluläres Karzinom (HCC) vor, soll die Indikation zur LTx
erneut überprüft werden [1, A].
Konsens: 100 % (Delphi-Runde)
Geprüft 2020
Kommentar:
Die Zahl der Patienten, die jedoch aufgrund einer HBV-induzierten dekompensierten
Leberzirrhose zur Lebertransplantation gelistet werden, ist als Folge der effektiven
antiviralen Therapie in den letzten Jahrzehnten deutlich rückläufig (keine Änderung
zu [5 ]).
Selbst bei dekompensierter Leberzirrhose führt die antivirale Therapie mit NA meist
zu einer Stabilisierung des klinischen Verlaufs. Das transplantatfreie Überleben lag
bei behandelten Patienten bei über 80 %. In bis zu einem Drittel der Fälle mit initial
dekompensierter Zirrhose geht die Krankheit unter Therapie in ein kompensiertes Stadium
über (Stadium Child A) (Evidenzgrad Ia) [75 ]
[76 ]
[232 ]
[233 ].
Es soll dann im Einzelfall entschieden werden, ob weiterhin die Indikation zur LTx
gegeben ist (keine Änderung zu [5 ]).
Ein HCC-Screening soll mindestens alle 6 Monate durchgeführt werden [EK].
Konsens: 100 % (Delphi-Runde)
Modifiziert 2020
Kommentar:
Obwohl die Rate neudiagnostizierter hepatozellulärer Karzinome durch die antivirale
Therapie gesenkt werden kann, besteht gerade bei Patienten mit initial dekompensierter
Zirrhose auch nach Rekompensation unter antiviraler Therapie ein signifikantes Risiko
für die HCC-Entwicklung, sodass regelmäßige HCC-Screeninguntersuchungen erfolgen sollen
(siehe AG 1) (keine Änderung zu [5 ]).
4.2 Was versteht man unter einer HBV-Reinfektion?
Die HBV-Reinfektion des Lebertransplantats wird durch die Persistenz oder das Wiederauftreten
von HBsAg im Serum angezeigt.
Konsens: 95,7 % (Delphi-Runde)
Geprüft 2020
Kommentar:
Bei Patienten mit replikativer, chronischer HBV-Infektion kommt es nach LTx ohne Prophylaxe
regelhaft zur HBV-Reinfektion der transplantierten Leber (keine Änderung zu [5 ]).
Die HBV-Reinfektion ist durch die Persistenz oder das Wiederauftreten von HBsAg im
Serum definiert. Meist findet sich in dieser Konstellation auch eine signifikante
HBV-Replikation (HBV-DNA positiv).
Die HBV-Reinfektion geht in aller Regel mit einer histologisch nachweisbaren Transplantathepatitis
einher.
Konsens: 100 % (Konsensuskonferenz)
Geprüft 2020
Kommentar:
Die Reinfektionshepatitis verläuft unbehandelt in aller Regel schwer. Sie führt in
der Mehrzahl der Patienten zum Verlust des Organs und ist mit einer hohen Letalität
assoziiert (keine Änderung zu [5 ]).
Eine besonders rasch progrediente Verlaufsform ist die fibrosierend cholestatische
Hepatitis B, die als Sonderfall auftreten kann (keine Änderung zu [5 ]).
Seit der Einführung der kombinierten HBV-Reinfektionsprophylaxe mit potenten NA plus
Hepatitis-B-Immunglobulinen (HBIG) ist im Fall einer adäquaten Therapieadhärenz die
HBV-Reinfektion jedoch eine Rarität geworden. [234 ]
4.3 Wie ist das Management von Patienten mit HBV-Infektion nach LTx? Wie erfolgt die
Reinfektionsprophylaxe?
Eine Reinfektionsprophylaxe ist bei Patienten mit HBV-Infektion obligat und soll initial
mit einer Kombination aus einem hochpotenten Nukleos(t)idanalogon (NA) plus Hepatitis-B-Immunglobulin
(HBIG) erfolgen [2, A].
Konsens: 97,8 % (Delphi-Runde)
Geprüft 2020
Leitlinienadaption EASL Clinical Practice Guideline HBV 2017
Kommentar:
Primäres Ziel der Prophylaxe ist das Verhindern einer Reaktivierung der HBV-Replikation
(Wiederauftreten von HBsAg und HBV-DNA im Serum). Mit Einführung der Kombinationsprophylaxe
konnten die Überlebensraten von Patienten mit HBV-Infektion deutlich gesteigert werden.
HBV-infizierte Patienten erreichen heute ein 10-Jahres-Überleben nach LTx von bis
zu 80 % (keine Änderung zu [5 ]).
Die Kombinationsprophylaxe, bestehend aus Hepatitis-B-Immunglobulin (HBIG) plus NA,
führte im Vergleich zur früher eingesetzten HBIG-Monoprophylaxe zu einer deutlichen
Senkung der Reinfektionsraten (keine Änderung zu [5 ]).
Diese Empfehlung entspricht den internationalen Leitlinien der EASL.
Die Prophylaxe soll in der anhepatischen Phase der LTx beginnen und die HBIG-Dosierung
anhand der Anti-HBs-Konzentrationen titriert werden. Ein Anti-HBs-Spiegel von 100 IU/l
sollte nicht unterschritten werden [2, B].
Konsens: 95,6 % (Delphi-Runde)
Geprüft 2020
Kommentar:
Die HBIG-Prophylaxe beginnt in der anhepatischen Phase der Transplantation und wird
nach Erreichen der HBsAg-Negativität mit einer Anti-HBs-Zielkonzentration von ≥ 100 U/l
fortgesetzt. Das Standardschema umfasst die i. v. Applikation von 10 000 Einheiten
(IE) HBIG in der anhepatischen Phase, gefolgt von ca. 2000 IE HBIG an den Folgetagen
bis zum Nachweis eines negativen HBsAg. Anschließend werden die Anti-HBs-Konzentrationen
durch regelmäßige Gaben von 1000 bis 2000 IE HBIG i. v. etwa alle 4 Wochen auf einem
Wert von > 100 U/l gehalten. Alternativ ist im Verlauf auch eine niedrig dosierte
HBIG-Prophylaxe (z. B. 400–800 IE/Monat) bzw. die Applikation in größeren Intervallen
(2000 IE alle 3 Monate i. v.) in Kombination mit einem NA für die meisten Patienten
ausreichend (keine Änderung zu [5 ]).
Bei ausreichender Compliance sollte nach initialer i. v. Applikation die subkutane
(s. c.) Applikation von HBIG zur HBV-Reinfektionsprophylaxe angestrebt werden. Die
Dosierung erfolgt KG-adaptiert (< 75 kg 500 IE s. c. 1 × wöchentlich, ≥ 75 kg 1000 IE
s. c.). Neuere Daten belegen, dass nach initialer i. v. Applikation und Erreichen
einer stabilen Anti-HBs-Konzentration von > 100 U/l eine Umstellung auf wöchentliche
Gaben der s. c. Formulierung zu jedem Zeitpunkt, auch bereits früh nach OLT, möglich
ist (Evidenz 2b) [235 ].
Bei Patienten mit NA-Resistenz zum Zeitpunkt der LTx soll die Prophylaxe mit einem
gegen die resistente HBV-Variante wirksamen NA in Kombination mit HBIG durchgeführt
werden [EK].
Konsens: 100 % (Konsensuskonferenz)
Modifiziert 2020
Kommentar:
Die Wahl des NA erfolgt anhand individueller Faktoren wie der antiviralen Vorbehandlung,
Resistenzsituation und Höhe der präoperativen Virusreplikation. Mittlerweile belegen
zahlreiche Daten, dass unter Einsatz eines hochpotenten NA (Entecavir und Tenofovir)
das Risiko einer HBV-Reaktivierung auf bis zu 0 % reduziert werden kann. Die bisherigen
Studien mit limitierter Fallzahl schätzen hierbei Entecavir und Tenofovir im direkten
Vergleich als gleichwertig ein [236 ]
[237 ]
[238 ]
[239 ]
[240 ].
Seit Januar 2017 ist Tenofovir alafenamide (TAF) zur Behandlung der chronischen Hepatitis
B zugelassen. Im Gegensatz zu TDF muss beim Einsatz von TAF die Dosis nicht an die
Nierenfunktion angepasst werden, und die Substanz hat auch keine signifikanten Effekte
auf den Knochenstoffwechsel. In der 2017 veröffentlichten Leitlinie der EASL werden
Indikationen definiert, in denen TAF oder ETV gegenüber TDF bevorzugt eingesetzt werden
sollte. Diese Indikationen sind: Patienten älter als 60 Jahre, Erkrankungen des Knochenstoffwechsels
(chronischer Steroidgebrauch oder anderer Medikamente, die die Knochendichte beeinträchtigen;
Fragilitätsfrakturen in der Anamnese; Osteoporose), Einschränkung der Nierenfunktion
(siehe 3.2.2) [6 ].
Patienten nach Transplantation haben durch die gleichzeitige Gabe von Calcineurininhibitoren
und Steroiden ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer Niereninsuffizienz und
Osteopenie bzw. Osteoporose. Somit ist es rational, TDF nicht primär für die Reinfektionsprohylaxe
bzw. Therapie der HBV-Reinfektion einzusetzen, sondern hier primär mit ETV oder TAF
zu behandeln, wenngleich bisher nur wenige Daten zum Einsatz von TAF nach Transplantation
vorliegen [241 ].
Die bei Niereninsuffizienz bestehenden Unsicherheiten in der Dosierung aller anderen
NAs, um einen sicheren Wirkspiegel aufrechtzuhalten und das Risiko der HBV-Rekurrenz
so gering wie möglich zu halten, können als ein weiteres Argument für den primären
Einsatz von TAF in dieser Konstellation angesehen werden. Lamivudin, aber auch Adefovir
und Telbivudin können aufgrund der deutlich höheren Rezidivraten nicht mehr empfohlen
werden, weder als Monoprophylaxe noch in Kombination mit HBIG [6 ].
Eine Umstellung auf eine alleinige orale Prophylaxe mit einem potenten NA unter Verzicht
auf HBIG kann im Verlauf nach LTx bei ausreichender Adhärenz und stabil HBsAg-negativen
Patienten mit niedrigem Rezidivrisiko (siehe Kommentar*) erfolgen [0, 2] ([Tab. 13 ]).
* Voraussetzungen für eine alleinige NA Reinfektionsprophylaxe: keine hohe HBV-Replikation
zum Zeitpunkt der LTx, keine HIV- oder HDV-Koinfektion und kein HCC vor Transplantation.
Konsens: 95,6 % (Delphi-Runde)
Modifiziert 2020
Leitlinienadaption EASL Clinical Practice Guideline HBV 2017
Tab. 13
Empfehlung zur Prophylaxe der HBV-Reinfektion nach OLT.
Vor LT
HBV-DNA positiv
Vor LT
Antivirale Vorbehandlung mit NA mit hoher Resistenzbarriere (ETV, TDF, TAF[* ])
Nach LT
Anhepatische Phase
Tag der LT
HBIG i. v. 10 000 IU
Woche 1 nach LT
Tag 1–7 post LT
HBIG i. v. 2000 IU Tag 1–7
plus NA (ETV, TDF, TAF[* ])
Ziel: Anti-HBs > 100 IU/l
Erhaltungsphase
Bis Monat 12 post LT
HBIG i. v. 1000–2000 IU monatlich oder 500 IU s. c. pro Woche bei KG < 75 kg bzw.
1000 IU s. c. pro Woche bei KG > 75 kg
plus NA (ETV, TDF, TAF[* ])
Ziel: Anti-HBs > 100 IU/l
Nach Monat 12 post LT, individuelle Entscheidung zur Beendigung der HBIG-Therapie
Niedriges HBV-Reaktivierungsrisiko[** ]
Monoprophylaxe mit NA (ETV, TDF, TAF[* ])
Hohes HBV-Reaktivierungsrisiko[** ] oder eingeschränkte Therapieadhärenz
HBIG i. v. oder s. c. weiterführen plus NA (ETV, TDF, TAF[* ])
LT = Lebertransplantation.
* TAF: begrenzte Erfahrung bei dekompensierter Zirrhose.
** Riskofaktoren für Reaktivierung: hohe HBV-Replikation zum Zeitpunkt der LT, HIV-
oder HDV-Koinfektion, HCC vor Transplantation.
Kommentar:
Die Kombinationsprophylaxe mit HBIG plus NA wird zeitlich nicht mehr zwingend unbegrenzt
empfohlen, da inzwischen belastbare Daten aus prospektiven Studien vorliegen, die
belegen, dass nach initialer effektiver Kombinationsprophylaxe (HBsAg negativ, Anti-HBs
positiv, HBV-DNA negativ) die Prophylaxe mit einer alleinigen oralen Therapie mit
einem potenten NA ebenso effektiv ist wie die bisher etablierte lebenslange Kombinationsprophylaxe
(Evidenz 2b) [242 ]
[243 ]
[244 ]
[245 ]
[246 ]
[247 ].
Allerdings scheint die initiale zusätzliche HBIG-Gabe notwendig zu bleiben, wenn bei
den Patienten zum Zeitpunkt der Transplantation noch ein positiver HBV-DNA-Status
vorliegt, während sich bei negativer HBV-DNA zum LTx-Zeitpunkt kein Vorteil einer
kombinierten Prophylaxe ableiten lässt [236 ]
[240 ]
[246 ].
Risikofaktoren für eine HBV-Reinfektion nach Absetzen der HBIG-Therapie mit Fortführen
einer alleinigen NA-Therapie sind nach aktueller Datenlage vor allem eine hohe HBV-DNA
zum Zeitpunkt der Transplantation (> 100 000 IU/ml), die HBV-HDV-Koinfektion, eine
reduzierte NA-Dosierung bei eingeschränkter Nierenfunktion, ein HCC vor LTx mit erhöhtem
HCC-Rekurrenzrisiko sowie eine verminderte Therapietreue (Adhärenz) [244 ]
[248 ]
[249 ]
[250 ]
[251 ].
Bei Vorliegen dieser Risikofaktoren sollte man derzeit von einem Absetzen der HBIG-Therapie
Abstand nehmen. Diese Empfehlungen stützen sich unter anderem auf retrospektive Analysen
von 338 Patienten, bei denen sowohl eine präoperative Lamivudin-Resistenz als auch
ein HCC signifikant mit einem erhöhten HBV-Rekurrenzrisiko nach Beenden der kombinierten
Prophylaxe assoziiert waren [247 ].
Eine Rekurrenz der Hepatitis Delta ist aufgrund des aggressiven Verlaufs der Infektion
nach Transplantation unter Immunsuppression und der bisher fehlenden therapeutischen
Optionen unbedingt zu vermeiden, sodass die alleinige Monoprophylaxe mit einem NA
bei der HDV-Koinfektion nicht erfolgen soll, wenngleich zur Notwendigkeit einer lebenslangen
kombinierten Prophylaxe widersprüchliche Daten existieren. Bis zum Vorliegen größerer
prospektiver Fallserien bei Hepatitis Delta soll die Kombinationsprophylaxe nicht
beendet werden [252 ].
Die kombinierte Prophylaxe hat sich in einer Studie auch gegenüber der Monoprophylaxe
als überlegen erwiesen [249 ].
Wenn Patienten seit vielen Jahren stabil auf eine Kombinationstherapie mit Lamivudin
plus HBIG eingestellt sind, muss bei Fortführung der Kombinationsprophylaxe nicht
zwingend eine Umstellung auf ein potentes NA (ETV, TDF, TAF) erfolgen. Eine Beendigung
der HBIG-Therapie soll aber nur unter Fortführung einer Monoprophylaxe mit einem potenten
NA durchgeführt werden.
Eine ausreichende Adhärenz und regelmäßige Kontrollen (Abstand: inital alle 4–8 Wochen,
dann alle 3 Monate, später alle 6 Monate) von HBsAg und HBV-DNA sind Voraussetzungen
für den Verzicht auf eine kombinierte Immunprophylaxe.
Die AASLD-Empfehlungen empfehlen eine Fortführung der kombinierten Prophylaxe zusätzlich
bei HIV-koinfizierten Patienten [8 ].
Begleiterkrankungen, insbesondere das Vorliegen einer Niereninsuffizienz, müssen bei
der Dosierung der Substanzen berücksichtigt werden, und die Nierenfunktion sollte
im Verlauf kontrolliert werden. Es ist bisher nicht ausreichend untersucht, ob der
Wechsel auf eine Monoprophylaxe mit hochpotenten NA (Entecavir oder Tenofovir) auch
bei Patienten mit Niereninsuffizienz im Stadium IV und V und reduzierter ETV- oder
TDF-Dosis ausreichend sicher ist. Es muss in Studien geprüft werden, ob in dieser
Konstellation der Einsatz von TAF ohne notwendige Dosisreduktion primär zu empfehlen
ist.
Über den optimalen Zeitpunkt des Absetzens von HBIG (wenn keine Risikokonstellation
vorliegt) gibt es unterschiedliche Daten. In vielen Studien wurde HBIG 12 Monate nach
LTx abgesetzt. Es liegen aber auch Daten vor, die das erfolgreiche und sichere Absetzen
von HBIG bereits 1 Woche oder 3 Monate nach LTx zeigen. Einige retrospektive Studien
zeigten zudem die Sicherheit einer alleinigen NA-Prophylaxe vom Zeitpunkt der LTx
an, unter vollständigem Verzicht auf HBIG [244 ]
[253 ]
[254 ]
[255 ].
Die AASLD empfiehlt daher sogar eine sehr kurzfristige HBIG-Gabe für 5–7 Tage bzw.
auch den kompletten Verzicht auf eine HBIG-Prophylaxe bei Patienten mit geringem Risiko.
[8 ]
Hierzu fehlen nach unserer Einschätzung bislang jedoch belastbare, prospektive Langzeitdaten,
sodass zurzeit auch bei Patienten mit günstigen prognostischen Faktoren, zumindest
eine initiale Kombinationstherapie für mindestens 6–12 Monate weiterhin empfohlen
wird.
Eine aktive HBV-Impfung kann unter Fortführung der Prophylaxe im Langzeitverlauf nach
LTx versucht werden [3, 0].
Konsens: 95.6 % (Delphi-Runde)
Geprüft 2020
Kommentar:
Eine aktive Hepatitis-B-Impfung nach LTx mit dem Ziel, eine dauerhafte Anti-HBs-Antwort
zu induzieren, ist nur bei wenigen Patienten erfolgreich, kann aber unter Fortführung
der Reinfektionsprohylaxe versucht werden (Evidenz 3b) [256 ]
[257 ]
[258 ].
Bei für mindestens 12 Monate stabilen Anti-HBs-Konzentrationen > 100 U/l nach letzter
HBIG-Gabe kann eine Beendigung der oralen Prophylaxe mit NA erwogen werden. Engmaschige
Kontrollen der Anti-HBs-Spiegel und des HBsAg sind dann im Verlauf notwendig. Bei
Rückgang der Anti-HBs-Konzentrationen sollte erneut die orale Prophylaxe mit NA begonnen
werden. Neue Hepatitis-B-Impfstoffe mit höherer Immunogenität befinden sich in der
Entwicklung und könnten zu einer Steigerung des Impfansprechens bei Patienten nach
LTx beitragen.
Patienten mit Zustand nach HBV-Infektion (Anti-HBc-positiv) sollen auf HBV-DNA untersucht
werden. Bei negativer HBV-DNA soll keine prophylaktische Therapie erfolgen. Eine HBV-Impfung
sollte durchgeführt werden, sofern die Anti-HBs-Konzentrationen < 100 IU betragen
[EK].
Konsens: 100 % (Konsensuskonferenz)
Kommentar:
Die Empfehlungen entsprechen den Empfehlungen in 3.13 und 5.8.3.
4.4 Wie ist das therapeutische Vorgehen bei nachgewiesener HBV-Reinfektion?
Bei bestätigter HBV-Reinfektion soll die HBIG-Therapie beendet und eine dauerhafte
antivirale Therapie mit einem potenten NA (ETV, TDF, TAF) durchgeführt werden [1,
A].
Konsens: 97,8 % (Delphi-Runde)
Geprüft 2020
Kommentar:
Aufgrund des hohen Risikos des Transplantatverlusts und der signifikanten Letalität
besteht bei allen Patienten mit HBV-Reinfektion eine Behandlungsindikation unabhängig
vom histologischen Fibrosestadium und der inflammatorischen Aktivität, der Höhe der
Viruslast und der Transaminasen (keine Änderung zu [5 ]).
Da heutzutage die überwiegende Mehrzahl der Patienten eine Kombinationsprohylaxe aus
HBIG plus NA erhält, sollte bei Rekurrenz von HBsAg ohne nachweisbare HBV-DNA HBIG
beendet und die Therapie mit dem bisher verwendeten NA unter regelmäßigen HBV-DNA-Kontrollen
alle 3 Monate fortgeführt werden. Bei Anstieg der HBV-DNA unter NA-Monoprophylaxe
oder Kombinationsprophylaxe ist entweder von einer Nichtadhärenz zur Therapie oder
einer Resistenzentwicklung auszugehen. Eine Resistenztestung kann erfolgen, wenn die
Medikamentenadhärenz gesichert ist.
Bei fehlendem Therapieansprechen oder Resistenzentwicklung soll eine Modifikation
der Therapie entsprechend den Empfehlungen der AG3 erfolgen [1, A].
Konsens: 97,8 % (Delphi-Runde)
Geprüft 2020
Kommentar:
Heutzutage ist die HBV-Reinfektion mehrheitlich Folge von Resistenzentwicklungen gegenüber
den verwendeten NA und seltener die Folge von HBIG-induzierten Selektionen von Resistenzmutationen
im HBV-Surface-Gen (keine Änderung zu [5 ]).
Das Risiko ist insbesondere dann hoch, wenn bereits vor LTx eine Resistenz gegenüber
dem zur Prophylaxe verwendeten NA vorhanden war. Die Wahl der antiviralen Therapie
erfolgt in Abhängigkeit von der Vortherapie bzw. der Resistenzsituation. Der Einsatz
hochpotenter nicht kreuzresistenter HBV-Polymerase-Inhibitoren (ETV, TAF bzw. TDF)
wird empfohlen (siehe AG3).
4.5 Wie ist das Management von HBV-infizierten Patienten mit kombinierter Organtransplantation
(z. B. Leber plus Niere)?
Das Management vor und nach Leber-Nieren-Transplantation unterscheidet sich nicht
von dem Vorgehen bei Patienten mit alleiniger LTx.
Konsens: 100 % (Delphi-Runde)
Geprüft 2020
Kommentar:
Die 1985 erstmals durchgeführte kombinierte Leber-Nieren-Transplantation [259 ] ist eine selten angewandte, aber etablierte Behandlungsmethode zur Therapie von
Patienten mit irreversibler terminaler Leber- und Niereninsuffizienz [260 ]
[261 ]
[262 ].
Die Dosierung überwiegend renal eliminierter Medikamente soll an die Nierentransplantat-Funktion
angepasst werden [1, A].
Konsens: 100 % (Delphi-Runde)
Geprüft 2020
Kommentar:
Zur Berechnung der Dosierung von Medikamenten, die an die Nierentransplantat-Funktion
angepasst werden muss, sollte zumindest die Cockroft-und-Gault-Formel oder besser
eine der MDRD-Formeln herangezogen werden. Mit der MDRD6-Formel ist die genaueste
Berechnung der Nierentransplantat-Funktion möglich; allerdings ist in diesem Fall
(im Gegensatz zur Cockroft-und-Gault- und zu anderen MDRD-Formeln) auch eine Untersuchung
des Urins erforderlich, was die Prozedur erschwert [263 ].
Die Dosierung der NA sollte gemäß der Fachinformation an die Nierenfunktion angepasst
werden (siehe auch AG3, [Tab. 12 ]). Besondere Vorsicht ist generell bei zusätzlicher Applikation von nephrotoxischen
Substanzen geboten. Zur Nephroprotektion und Prävention einer Osteoporose kann TAF
gegenüber TDF bevorzugt werden (siehe auch 3.2.2) [6 ].
Häufig sind einer kombinierten Leber- und Nieren-Transplantation schon eine oder mehrere
alleinige Nierentransplantationen vorausgegangen. Die hiermit in Einzelfällen verbundene
starke Immunisierung des Patienten kann dazu führen, dass eine erneute alleinige Nierentransplantation
nicht mehr oder nur unter einer sehr intensiven Immunsuppression möglich ist. Bei
kombinierter Leber-Nieren-Transplantation wird das Nierentransplantat in der Regel
durch das Lebertransplantat vor Abstoßungsreaktionen „geschützt“, sodass meist eine
geringere immunsuppressive Therapie als bei alleiniger Nierentransplantation verabreicht
werden kann und sollte [264 ]
[265 ].
4.6 Wie ist das Management von Patienten, die für eine Transplantation anderer solider
Organe (nicht Leber) evaluiert werden?
Vor einer geplanten Organtransplantation sollen alle Patienten auf das Vorliegen einer
aktuellen oder zurückliegenden HBV-Infektion untersucht werden [1, A].
Konsens: 100 % (Delphi-Runde)
Geprüft 2020
Kommentar:
Unbehandelt zeigt die chronische HBV-Infektion nach Transplantation aufgrund der notwendigen
immunsuppressiven Therapie meist einen progredienten Verlauf und ist mit einer signifikanten
Letalität assoziiert. Das Risiko einer fulminanten Reaktivierung der HBV-Infektion
unter Immunsuppression ist erhöht. Dieses Risiko besteht auch bei niedrig replikativer
HBeAg-negativer HBV-Infektion (sogenannte HBsAg-Träger (siehe auch 3.13) (keine Änderung
zu [5 ]).
Die HBV-Infektion stellt bei entsprechender Prophylaxe bzw. antiviraler Therapie keine
Kontraindikation für eine Organtransplantation dar.
Konsens: 97,8 % (Delphi-Runde)
Geprüft 2020
Kommentar:
Vor Einführung der NA-Therapie hatten HBV-infizierte Organtransplantationsempfänger
im Vergleich zu HBV-negativen Patienten ein signifikant reduziertes Transplantat-
und Gesamtüberleben (keine Änderung zu [5 ]).
Die chronische HBV-Infektion stellte damals bei potenziellen Organempfängern (nicht
Leber) eine relative bzw. absolute Kontraindikation zur Transplantation dar. Seit
Einführung einer konsequenten Therapie bzw. Prophylaxe mit hochpotenten NA bei HBsAg-positiven
Organempfängern lassen sich keine wesentlichen Unterschiede mehr zwischen HBV-infizierten
und HBV-naiven Organempfängern in Bezug auf das Transplantat- und Gesamtüberleben
feststellen.
Das Vorliegen einer HBV-induzierten Leberzirrhose stellt jedoch einen potenziellen
Risikofaktor für die leberbezogene Sterblichkeit nach der Transplantation dar. Bei
Patienten mit Leberzirrhose sollte daher die Indikation zu einer kombinierten Organtransplantation
geprüft werden bzw. bei dekompensierter Zirrhose eine kombinierte Transplantation
erfolgen (keine Änderung zu [5 ]).
Patienten mit isoliert positivem Anti-HBc-Antikörperstatus sollten auf HBV-DNA untersucht
werden [EK].
Konsens: 97,9 % (Delphi-Runde)
Neu 2020
Kommentar:
Eine okkulte HBV-Infektion, definiert durch den Nachweis einer meist geringen HBV-Replikation
(HBV-DNA positiv) bei gleichzeitig negativem HBsAg-Status, sollte ausgeschlossen werden,
da unter dieser Konstellation ein signifikantes Risiko besteht, dass es unter der
immunsuppressiven Therapie nach der Transplantation zu einer Reaktivierung der HBV-Infektion
kommt (siehe 3.13).
Bei Nachweis einer HBV-Infektion soll eine weitere Diagnostik entsprechend den üblichen
diagnostischen Empfehlungen bei HBV-Infektion durchgeführt werden [EK].
Konsens: 100 % (Delphi-Runde)
Neu 2020
Kommentar:
Die HBV-Diagnostik wird analog zu den Empfehlungen in AG1 durchgeführt.
Patienten mit chronischer Hepatitis B sollen entsprechend den aktuellen Empfehlungen
antiviral behandelt werden [EK].
Konsens: 100 % (Delphi-Runde)
Modifiziert 2020
Kommentar:
Die Therapieempfehlungen unterscheiden sich nicht von denen bei anderen Patienten
mit HBV-Infektion. Komorbiditäten sollten für die Auswahl der antiviralen Therapie
analog zu den Empfehlungen in AG3 berücksichtigt werden.
4.7 Wie ist das Management von Patienten mit positiver HBV-Serologie nach Transplantation
anderer solider Organe (nicht Leber)? Wann, wie und bei wem wird eine Prophylaxe durchgeführt?
Unabhängig vom Stadium und der Aktivität der HBV-Infektion sollen alle HBsAg- bzw.
HBV-DNA-positiven Patienten eine dauerhafte antivirale Therapie mit hoch-potenten
NA (ETV, TDF, TAF) erhalten. Der Beginn der Therapie erfolgt spätestens zum Zeitpunkt
der Transplantation [2, A].
Konsens: 100 % (Delphi-Runde)
Modifiziert 2020
Leitlinienadaption EASL Clinical Practice Guideline HBV 2017
Kommentar:
Ziel der antiviralen Therapie ist die rasche Suppression der HBV-Replikation unter
die Nachweisgrenze sensitiver HBV-DNA-Tests bzw. bei Patienten mit nicht replikativer,
inaktiver HBV-Infektion (inaktiver HBsAg-Träger) die Prophylaxe der Hepatitis-B-Reaktivierung
unter der immunsuppressiven Therapie. Bei allen HBsAg-positiven Patienten, die eine
immunsuppressive Therapie erhalten, soll daher eine Prophylaxe bzw. Therapie mit einem
hochpotenten NA durchgeführt werden. Bei niedrig virämischen HBsAg-Trägern kann die
prophylaktische Therapie mit Lamivudin zwar häufig ausreichend sein, ETV und TDF bzw.
TAF zeichnen sich jedoch durch eine höhere Effektivität und Resistenzbarriere aus
und sollten daher bevorzugt werden, wie auch in den internationalen Leitlinien der
EASL und AASLD empfohlen [6 ]
[8 ].
Das Management erfolgt analog zu den Empfehlungen in AG3.
Bei isoliert Anti-HBc-positiven bzw. Anti-HBc- plus Anti-HBs-positiven Patienten (Zustand
nach HBV-Infektion) soll ein regelmäßiges Monitoring auf HBsAg und HBV-DNA erfolgen.
Eine prophylaktische antivirale Therapie braucht nicht regelhaft durchgeführt zu werden
[EK].
Konsens: 100 % (Delphi-Runde)
Modifiziert 2020
Kommentar:
Das Risiko einer Hepatitis-B-Reaktivierung bei isoliert Anti-HBc-positiven (± Anti-HBs)
Patienten (HBsAg negativ und HBV-DNA negativ) liegt unter einer immunsuppressiven
Therapie (z. B. Chemotherapie) bei ca. 0,9–5 % [266 ] (keine Änderung zu [5 ]).
Bei Anti-HBc/Anti-HBs-positiven Empfängern (Z. n. HBV-Infektion) ist das Risiko niedriger
[267 ].
Bei Anti-HBc-positiven und HBV-DNA negativen Organempfängern (nicht Leber) wird aufgrund
dieses geringen Reaktivierungsrisikos keine generelle prophylaktische antivirale Therapie
empfohlen, sofern keine B-Zell-Antikörper zur Immunsuppression eingesetzt werden [268 ].
Bei diesen Patienten sollten jedoch im Verlauf nach der Transplantation regelmäßig
(im ersten Jahr alle 3 Monate, danach alle 3–6 Monate) HBV-DNA-Kontrollen durchgeführt
und eine präemptive Behandlung begonnen werden, sobald die HBV-DNA positiv wird. Bei
bestimmten Konstellationen, die mit einem erhöhten Risiko für eine Reaktivierung assoziiert
sind, kann eine prophylaktische Therapie durchgeführt werden. Das sind z. B. HBsAg-negative/Anti-HBc-positive
Patienten mit nachweisbarer HBV-DNA (okkulte HBV-Infektion) oder einer Behandlung
mit Immunsuppressiva mit hohem Risiko für eine HBV-Reaktivierung (z. B. Behandlung
mit einem B-Zell-Antikörper, siehe auch 3.13). Das entspricht auch den internationalen
Leitlinien der EASL [6 ].
Die AASLD-Leitlinien empfehlen ebenfalls, HBsAg-negative, Anti-HBc-positive Nicht-Leberempfänger
auf eine HBV-Reaktivierung regelmäßig zu untersuchen, jedoch keine generelle prophylaktische
Therapie. Alternativ kann eine antivirale Therapie für die ersten 6–12 Monate, die
Zeitspanne maximaler Immunsuppression, in Betracht gezogen werden [8 ].
4.8 Wie ist das Management von Patienten vor und nach Stammzelltransplantation (SZT)?
Wann, wie und bei wem wird eine antivirale Therapie bzw. Prophylaxe durchgeführt?
Vor einer geplanten SZT sollen alle Patienten auf das Vorliegen einer HBV-Infektion
mittels HBsAg-, Anti-HBc- und Anti-HBs-Testung untersucht werden. Bei Nachweis einer
HBV-Infektion (HBsAg-positiv) soll eine weitere Diagnostik entsprechend den Empfehlungen
(siehe AG1) durchgeführt werden [2, A].
Konsens: 100 % (Delphi-Runde)
Geprüft 2020
Kommentar:
Eine virale Hepatitis stellt mit 7–15 % die dritthäufigste Leberkomplikation bei Patienten
nach SZ-Transplantation dar (Graft-versus-host-Reaktion 33–40 %, medikamentös-toxischer
Schaden 19–30 %). Da effektive Therapiestrategien vorliegen, sollten alle Patienten
vor SZT auf das Vorliegen einer HBV-Infektion mittels HBsAg-, Anti-HBc- und Anti-HBs-Testung
untersucht werden (keine Änderung zu [5 ]).
Die HBV-Infektion stellt bei antiviraler Prophylaxe oder Therapie keine Kontraindikation
zur SZT dar.
Konsens: 100 % (Delphi-Runde)
Geprüft 2020
Kommentar:
Die HBV-Infektion kann effektiv verhindert bzw. behandelt werden und stellt daher
keine Kontraindikation zur SZT dar (keine Änderung zu [5 ]).
Patienten mit chronischer HBV-Infektion sollen entsprechend den aktuellen Empfehlungen
antiviral mit NA behandelt werden [EK].
Konsens: 100 % (Delphi-Runde)
Geprüft 2020
Kommentar:
Patienten vor und nach KMT/SZT werden ebenso entsprechend den Empfehlungen in AG3
behandelt. Komorbiditäten (Niereninsuffizienz) sollten berücksichtigt werden.
Bei niedrig replikativer HBeAg-negativer HBV-Infektion soll zur Prophylaxe der Hepatitis-B-Reaktivierung
nach SZT eine antivirale Therapie mittels NA durchgeführt werden [II, A]. Die Prophylaxe
sollte spätestens mit Beginn der myeloablativen Chemotherapie erfolgen [EK]. Bei HBsAg-negativen
Patienten mit Zustand nach HBV-Infektion (Anti-HBc ± Anti-HBs positiv) sollte zur
Prophylaxe der Hepatitis-B-Reaktivierung nach SZT ebenfalls eine antivirale Therapie
mittels NA durchgeführt werden [II, B] (siehe auch 3.13).
Konsens: 100 % (Delphi-Runde)
Modifiziert 2020
Leitlinienadaption EASL Clinical Practice Guideline HBV 2017
Kommentar:
NA sind für die Therapie und Prophylaxe einer Hepatitis-B-Reaktivierung geeignet (siehe
3.13). Die prophylaktische Gabe von Lamivudin im Rahmen prospektiver Studien bei HBsAg-positiven
Patienten unter Chemotherapie konnte die Häufigkeit der Hepatitis-B-Reaktivierung
erheblich vermindern (Evidenz 2a) (keine Änderung zu [5 ]).
Bei niedrig virämischer, HBeAg-negativer HBV-Infektion (sogenannter inaktiver HBsAg-Trägerstatus)
soll daher zur Prophylaxe der Reaktivierung nach SZT eine antivirale Therapie mittels
NA durchgeführt werden, wobei der Beginn der Prophylaxe 2 Wochen vor bzw. spätestens
mit Beginn der knochenmarkablativen Chemotherapie erfolgen soll. In einer retrospektiven
Studie mit 216 HBsAg-positiven Patienten, die Lamivudin oder Entecavir als Prophylaxe
nach SZT erhielten, zeigten sich nach 6, 12 und 24 Monaten deutlich höhere Hepatitis-B-Reaktivierungsraten
in der Lamivudin-Gruppe (3 %, 7 %, 24 %) im Vergleich zur Entecavir-Gruppe (0 %, 0 %,
2 %) [269 ].
Somit sollte, auch in Übereinstimmung mit internationalen Leitlinien, die prophylaktische
Therapie der Hepatitis B nach SZT bevorzugt mit antiviralen Medikamenten mit einer
hohen Resistenzbarriere (ETV oder TDF/TAF) durchgeführt werden [6 ]
[8 ].
Hepatitis-B-Reaktivierungen nach SZT bei HBsAg-negativen und isoliert Anti-HBc-positiven
Patienten bzw. Anti-HBc- und Anti-HBs-positiven Patienten sind in zahlreichen Einzelfällen
und Fallserien beschrieben worden (keine Änderung zu [5 ]).
In einer neueren prospektiven Studie zeigte sich für unbehandelte HBsAg-negative,
Anti-HBc-positive (± Anti-HBs-positive) Patienten nach allogener SZT eine hohe Rate
an HBV-Reaktivierungen von 41 % innerhalb von 2 Jahren, wobei Patienten mit einem
Alter > 50 Jahre und mit chronischer Graft-versus-Host-Disease (GvHD) ein besonders
hohes Reaktivierungsrisiko aufwiesen (Evidenz 2b) [270 ].
Diese Daten rechtfertigen den Einsatz einer primären antiviralen Prophylaxe mittels
NA, vor allem in der Gruppe von Patienten mit einem hohen Risiko, die Hepatitis B
zu reaktivieren (siehe auch 3.13). Bei Patienten mit einem Alter unter 50 Jahren ohne
chronische GvHD kann gegebenenfalls auch ein engmaschiges Monitoring der HBV-DNA alle
4 Wochen alternativ zur primär prophylaktischen antiviralen Therapie durchgeführt
werden.
Die prophylaktische antivirale Therapie sollte mindestens 12 Monate über die Immunrekonstitution
(Ende der Chemotherapie) hinaus fortgeführt werden [EK].
Konsens: 97,8 % (Delphi-Runde)
Geprüft 2020
Kommentar:
Zur Dauer der Prophylaxe existieren keine Daten. Da Reaktivierungen aber auch jenseits
der Immunrekonstitution auftreten können, sollte die Prophylaxe für eine Dauer von
mindestens 12 Monaten über die Immunrekonstitution hinaus fortgeführt werden. Die
Empfehlungen entsprechen den Empfehlungen 3.13.
Der Versuch eines adoptiven Immuntransfers durch Hepatitis-B-Impfung des Spenders
kann erwogen werden [0, 4].
Konsens: 100 % (Delphi-Runde)
Geprüft 2020
Kommentar:
Ein adoptiver Immuntransfer durch Knochenmarksspende HBV-immuner, d. h. Anti-HBs-positiver
Spender reduziert das Risiko der Hepatitis-B-Reaktivierung und kann in Einzelfällen
sogar zu einer Ausheilung der chronischen HBV-Infektion des Empfängers führen (Evidenz
4) (keine Änderung zu [5 ]).
Bei Anti-HBs-positivem Spender und isoliert Anti-HBc-positivem Empfänger kann auf
eine prophylaktische antivirale Therapie verzichtet werden [EK]. Ohne Prophylaxe sollen
jedoch nach SZT engmaschige Kontrollen der HBV-DNA (ca. alle 4 Wochen) und bei messbarer
HBV-DNA umgehend eine antivirale Therapie mit NA erfolgen [EK].
Konsens: 95,6 % (Delphi-Runde)
Geprüft 2020
Kommentar:
Der protektive Effekt des adoptiven Immuntransfers ist bei der SZT durch Spender mit
durchgemachter HBV-Infektion höher als bei Stammzellspendern, die ausschließlich eine
Impfung gegen Hepatitis B erhalten haben. Da in beiden Kostellationen kein absoluter
Schutz vor einer Hepatitis-B-Reaktivierung gegeben ist, werden engmaschige Kontrollen
der HBV-DNA im Abstand von ca. 4 Wochen nach SZT empfohlen [270 ].
Bei Reaktivierung erfolgt die Therapie analog den Empfehlungen in AG3.
4.9 Wie ist das Management von Patienten mit De-novo-HBV-Infektion nach Organtransplantation?
Bei Nachweis einer De-novo-HBV-Infektion nach Organtransplantation (HBsAg-positiv)
soll unabhängig von der Aktivität der Erkrankung eine antivirale Therapie mit einem
hochpotenten NA (ETV, TDF, TAF) begonnen werden [EK].
Konsens: 100 % (Delphi-Runde)
Modifiziert 2020
Kommentar:
De-novo-HBV-Infektionen nach Lebertransplantation, d. h. Neuauftreten von HBsAg im
Serum, werden in ca. 2 bis 5 % beobachtet. Ein hoher Anti-HBs-Titer vor Transplantation
(nach HBV-Impfung) reduziert das Risiko der De-novo-HBV-Infektion (keine Änderung
zu [5 ]).
Die Transplantation eines Anti-HBc(± Anti-HBs-)-positiven Organs bzw. ein Anti-HBc-positiver
Serostatus des Empfängers stellen Risikofaktoren für die De-novo-HBV-Infektion dar
(keine Änderung zu [5 ]).
Die De-novo-HBV-Infektion führt meist zu einer chronischen Hepatitis B und ist unbehandelt
mit einer signifikanten Morbidität und Letalität assoziiert (keine Änderung zu [5 ]).
Aufgrund der vorhandenen immunsuppressiven Therapie sollen alle Patienten mit De-novo-HBV-Infektion
nach Transplantation unabhängig von der Höhe der HBV-DNA antiviral mit einem NA mit
hoher Resistenzbarriere (ETV, TDF oder TAF) behandelt werden (siehe 3.13).
Eine PEG-IFN-Therapie soll nicht eingesetzt werden [EK].
Konsens: 100 % (Delphi-Runde)
Geprüft 2020
Kommentar:
Der Einsatz von Interferon alfa ist nach Organtransplantation nicht zu empfehlen,
da aufgrund der immunmodulatorischen Eigenschaften ein erhöhtes Risiko für eine Abstoßung
oder auch eine Plasmazell-Hepatitis besteht [271 ].
4.10 Wie ist das Management von Patienten, die ein Organ eines Anti-HBc-positiven
Spenders erhalten?
Transplantation einer Leber eines Anti-HBc-positiven/HBsAg-negativen Spenders:
Bei Anti-HBs-negativem Empfänger soll eine Prophylaxe mit einem NA durchgeführt werden
[EK]. Eine kombinierte Prophylaxe mit HBIG + NA sollte nicht erfolgen [EK]. Die Prophylaxe
mit einem NA sollte dauerhaft durchgeführt werden [EK]. Sofern die Prophylaxe beendet
wird, sollen regelmäßige Kontrollen von HBsAg und HBV-DNA erfolgen [EK].
Konsens: 95,7 % (Delphi-Runde)
Modifiziert 2020
Kommentar:
Bei HBsAg-negativen Patienten, die ein HBsAg-negatives, Anti-HBc-positives Transplantat
erhalten, liegt das Risiko einer HBV-Reaktivierung im Transplantat ohne antivirale
Prophylaxe in Abhängigkeit vom HBV-Immunstatus des Empfängers bei 33–100 %. [5 ]
[8 ]
[272 ]
Daher wird in dieser Konstellation eine HBV-Prophylaxe empfohlen.
Eine Kombinationsprophylaxe mit NA plus HBIG erscheint jedoch nicht erforderlich und
wird auch von der Leitlinie der AASLD nicht empfohlen [8 ].
Die meisten Daten liegen für eine Monoprophylaxe mit Lamivudin vor. In Anbetracht
der gut dokumentierten Effektivität und Sicherheit der Prophylaxe mit einer LAM-Monotherapie
kann in dieser speziellen Konstellation auch der Einsatz von Lamivudin in einer Dosierung
von 100 mg einmal täglich erwogen werden [273 ]
[274 ].
Für den Stellenwert zum Einsatz hochpotenter NA (ETV, TDF und TAF) zur Prophylaxe
einer HBV-Reaktivierung bei einer Lebertransplantation Anti-HBc-positiver/HBsAg-negativer
Organe existieren derzeit nur sehr wenige Daten [273 ]
[275 ]
[276 ]
[277 ].
Die AASLD-Leitlinien weisen darauf hin, dass die Verwendung von Entecavir, TDF oder
TAF bei Langzeitanwendung das geringste Risiko für Resistenzen aufweist [8 ].
Die notwendige Dauer einer NA-Prophylaxe ist bisher nicht definiert. Das Risiko der
Reaktivierung ist in der Frühphase nach Transplantation bei starker Immunsuppression
wahrscheinlich am höchsten und im Langzeitverlauf nach LTx bei niedriger Dosierung
der Immunsuppressiva möglicherweise geringer. Bei Anti-HBs-negativen Empfängern tritt
die Reinfektion ohne Prophylaxe im Median 24 Monate nach LTX auf und nach zeitlich
limitierter Prophylaxe im Median nach 35 Monaten, wie gepoolte Daten aus verschiedenen
Serien zeigen. Auch Reaktivierungen nach mehr als 5 Jahren sind beschrieben (keine
Änderung zu [5 ]).
Daher wird aufgrund der hohen Sicherheit und guten Verträglichkeit der NA-Therapie
eine dauerhafte NA-Prophylaxe empfohlen. Die Wahl des NA sollte in Analogie zu den
Empfehlungen der HBV-Reinfektionsprohylaxe bei HBsAg-positiven Empfängern erfolgen
(siehe 4.3.3).
Bei isoliert Anti-HBs-positiven Empfängern ist das Risiko der HBV-Reaktivierung geringer
als bei Anti-HBs-negativen Empfängern. Dennoch sollte eine Prophylaxe mit einem NA
auch bei diesen Patienten erfolgen [EK].
Die Prophylaxe (4.10.1 und 4.10.2) sollte mit dem Zeitpunkt der Transplantation beginnen
[EK].
Konsens: 95,6 % (Delphi-Runde)
Modifiziert 2020
Kommentar:
Ein Anti-HBs-positiver Empfänger hat ein signifikant geringeres Risiko einer HBV-Reaktivierung
nach Transplantation eines Anti-HBc-positiven Spenderorgans (keine Änderung zu [5 ]).
Dabei korreliert das Risiko der Reaktivierung mit der Höhe der Empfänger-Anti-HBs-Konzentrationen
und ist umso niedriger, je höher die Anti-HBs-Konzentrationen sind.
Daher sollen alle Patienten ohne ausreichende Immunisierung gegen HBV vor der Transplantation
geimpft werden. Ohne zusätzliche Prophylaxe verbleibt bei Anti-HBs-positiven Empfängern
im Mittel ein Risiko von ca. 18 % für eine HBV-Reaktivierung nach Transplantation
eines Anti-HBc-positiven/HBsAg-negativen Organs [272 ].
In Analogie zu Anti-HBsAg-negativen Empfängern ist auch bei Anti-HBs-positivem Empfänger
eine HBV-Prophylaxe mit einer NA-Monotherapie ausreichend (keine Änderung zu [5 ]) [272 ]
[273 ].
Die notwendige Dauer der NA-Prophylaxe ist unklar. Eine Beendigung der NA-Prophylaxe
kann unter engmaschiger Kontrolle (im ersten Jahr alle 3 Monate, danach alle 3–6 Monate)
der HBsAg- und HBV-DNA-Konzentrationen erwogen werden, wenn nach HBV-Impfung eine
stabile Anti-HBs-Response mit Titern > 100 IU/ml induziert werden konnte [278 ]
[279 ]
[280 ]
[281 ]
[282 ].
Bei kombiniert Anti-HBs- und Anti-HBc-positiven Empfängern ist das Risiko einer HBV-Reaktivierung
besonders gering. Hier kann der Verzicht auf eine Prophylaxe erwogen werden und stattdessen
können engmaschige Kontrollen von HBV-DNA und HBsAg erfolgen [EK]. Bei messbarer HBV-DNA-
und/oder HBsAg-Positivität soll dann umgehend eine antivirale Therapie mit einem NA
erfolgen [EK].
Konsens: 95,7 % (Delphi-Runde)
Neu 2020
Kommentar:
Besonders niedrig erscheint das Risiko einer HBV-Reaktivierung bei Anti-HBs-positiven/Anti-HBc-positiven-Empfängern
(Z. n. Hepatitis B). Der Nutzen einer Prophylaxe ist hier nicht eindeutig belegt [273 ].
Die Rate an HBV-Reaktivierungen betrug bei einer Prophylaxe mit LAM ± HBIG 3 % (n = 1/36)
und ohne Prophylaxe 4 % (n = 3/70). Daher erscheint bei diesen Patienten auch der
Verzicht auf eine Prophylaxe vertretbar zu sein. Unter diesen Umständen ist allerdings
ein enges Monitoring von HBsAg und HBV-DNA erforderlich. Im ersten Jahr nach Transplantation
sollte eine Kontrolle alle 3 Monate, im weiteren Verlauf alle 3–6 Monate erfolgen
[272 ].
Transplantation anderer Organe (z. B. Niere, Herz, Lunge, Pankreas) oder Stammzelltransplantation eines Anti-HBc-positiven/HBsAg-negativen
Spenders:
Eine Prophylaxe mit HBIG und/oder einem NA sollte unabhängig vom Anti-HBs-Status des
Transplantatempfängers aufgrund des insgesamt geringen Risikos der HBV-Infektion nicht
erfolgen [EK]. Es sollten Kontrollen von HBV-DNA und HBsAg im Verlauf durchgeführt
werden [EK]. Bei messbarer HBV-DNA- und/oder HBsAg-Positivität soll umgehend eine
antivirale Therapie mit einem NA erfolgen [EK].
Konsens: 97,8 % (Delphi-Runde)
Modifiziert 2020
Kommentar:
Das Risiko einer HBV-Übertragung ist bei der Herz-, Lungen- oder Nierenspende eines
Anti-HBc-positiven/HBsAg-negativen Spenders im Vergleich zur Leberspende gering (< 5 %).
In einem systematischen Review, in dem 1385 Nierentransplantatempfänger mit Organen
von Spendern analysiert wurden, die HBsAg-negativ, aber Anti-HBc-positiv waren, wurden
im Verlauf nach Transplantation 0,3 % HBsAg-positiv und 2,3 % Anti-HBc-positiv getestet.
Der Anti-HBc-Status des Spenders hat keinen Einfluss auf das Empfängerüberleben (keine
Änderung zu [5 ]) [283 ]
[284 ].
Eine erfolgreiche HBV-Impfung des Empfängers scheint das Risiko einer HBV-Transmission
durch das Spenderorgan zusätzlich zu reduzieren und wird daher für alle Patienten
empfohlen. Das Vorhandensein von Anti-HBc und/oder Anti-HBs bei den Empfängern ist
mit einem Schutz gegen HBV-Übertragung und HBsAg-Serokonversion verbunden [273 ]
[285 ].
Aufgrund dieses geringen Risikos der HBV-Übertragung wird eine Prophylaxe in dieser
Konstellation nicht generell empfohlen.
Anmerkung: Die AASLD-Leitlinien empfehlen allerdings, dass eine antivirale Therapie
verabreicht werden sollte, um dieses geringe Risiko einer HBV-Infektion weiter zu
verringern. Hier wird dann allerdings nur eine Therapie von 6–12 Monaten empfohlen
[8 ].
Die Empfänger Anti-HBc-positiver/HBsAg-negativer Organe sollten zum Ausschluss einer
Hepatitis-B-Reaktivierung bzw. HBV-Transmission regelmäßig auf HBsAg und HBV-DNA untersucht
werden (alle 3 Monate im 1. Jahr nach Transplantation, im Verlauf alle 3–6 Monate).
Bei positivem Nachweis von HBsAg und/oder HBV-DNA besteht die Indikation zur antiviralen
Therapie (siehe 4.9).
Für das Risiko einer HBV-Transmission nach Stammzelltransplantation (SZT) eines Anti-HBc-positiven/HBsAg-negativen
Spenders liegen nur unzureichende Daten vor. Es wird grundsätzlich dasselbe Vorgehen
wie bei Herz-, Lungen- oder Nierenspende empfohlen. Es soll in jedem Fall eine engmaschige
Kontrolle der HBV-Parameter nach SZT erfolgen. Eine okkulte HBV-Infektion (HBsAg negativ,
HBV-DNA positiv) sollte bei Anti-HBc-positiven Stammzellspendern durch Bestimmung
der HBV-DNA vor der Transplantation ausgeschlossen werden.
Der Nachweis von Anti-HBc-Antikörpern nach Organ-Tx bedeutet nicht in jedem Fall,
dass eine HBV-Reaktivierung bzw. De-novo-HBV-Infektion stattgefunden hat, sondern
kann auch durch eine Transfusion von Blut und Blutprodukten (z. B. Gabe von Immunglobulinen),
die Anti-HBc-Antikörper enthalten, bedingt sein (keine Änderung zu [5 ]) ([Tab. 14 ]).
Tab. 14
Empfehlung bei Transplantation von Organen von Anti-HBc-positiven/HBsAg-negativen
Spendern.
Anti-HBc-positives und HBsAg-negatives Spenderorgan
Empfänger-Status
Empfehlung
Anti-HBs
Anti-HBc
Leber
–
–
Dauerhafte NA-Prophylaxe
(mind. bis Anti-HBs stabil > 100 IU/ml)
+
–
Dauerhafte NA-Prophylaxe
(mind. bis Anti-HBs stabil > 100 IU/ml)
+/–
+
Monitoring von HBsAg und HBV-DNA ausreichend
(alle 3 Monate im 1. Jahr, danach alle 3–6 Monate)
Anderes Organ (nicht Leber)
+/–
+/–
Monitoring von HBsAg und HBV-DNA ausreichend
(alle 3 Monate im 1. Jahr, danach alle 3–6 Monate)
4.11 Wie ist das Management von Patienten, die ein Organ eines HBsAg-positiven Spenders
erhalten?
Die Transplantation von Organen eines HBsAg-positiven Spenders kann in Einzelfällen
bei Zustimmung des Empfängers erwogen werden [EK].
Konsens: 97,8 % (Delphi-Runde)
Neu 2020
Kommentar:
Die Lebertransplantation ist bei einem HBsAg-positiven Spender bisher nur in Ausnahmefällen
durchgeführt worden. Unter einer effektiven antiviralen Prophylaxe mit hochpotenten
NA zeigte sich jedoch ein vergleichbares Transplantatüberleben und Gesamtüberleben
wie bei Patienten, die ein HBsAg-negatives Spenderorgan erhalten hatten [273 ]
[286 ]
[287 ].
In einer asiatischen Studie erhielten 42 Patienten eine HBsAg-positive Spenderleber. Es
wurde nach der Transplantation eine Prophylaxe mit NA ± HBIG durchgeführt. Das Transplantatüberleben
und das Gesamtüberleben unterschieden sich nicht signifikant von den 327 Kontrollpatienten,
die ein HBsAg-negatives Spenderorgan erhalten hatten [286 ].
Aufgrund des ausgeprägten Organmangels bestand bei den Mitgliedern ein hoher Konsens,
auch die Transplantation HBsAg-positiver Organe in Einzelfällen und nach individueller
Nutzen-Risiko-Abwägung bei expliziter Einwilligung des Empfängers und ausreichender
Organqualität zu empfehlen.
Alle Patienten, die eine Lebertransplantation eines HBsAg-positiven Spenders erhalten,
sollen dauerhaft mit einem hochpotenten NA (ETV, TDF, TAF) behandelt werden [EK].
Konsens: 100 % (Delphi-Runde)
Neu 2020
Kommentar:
Aufgrund der effektiven antiviralen Prophylaxe mit hochpotenten NA, wie unter 4.11.1
beschrieben, soll bei allen Patienten, die ein HBsAg-positives Lebertransplantat erhalten,
eine lebenslange Therapie mit einem hochpotenten NA (ETV, TDF, TAF) erfolgen. Eine
HBIG-Prophylaxe ist nicht erforderlich, da das Organ bereits mit HBV infiziert ist
und eine Reinfektion nicht verhindert werden kann.
Bei allen anderen Organtransplantationen (nicht Lebertransplantation , inkl. SZT) eines HBsAg-positiven Spenders soll die Prophylaxe initial kombiniert mit HBIG plus potentem NA erfolgen [EK] (siehe 4.3.1).
Konsens: 100 % (Delphi-Runde)
Neu 2020
Kommentar:
Die Erfahrungen mit der Verwendung von Nierentransplantaten HBsAg-positiver Spender
sind begrenzt. Nach bisherigen Daten ist die Transplantation der Niere eines HBsAg-positiven
Spenders kein Risikofaktor für ein ungünstiges Transplantat- oder Gesamtüberleben,
sofern zum Zeitpunkt der Transplantation ein ausreichender HBV-Impfschutz (Anti-HBs-Konzentration
> 100 U/l) besteht. Sofern zum Zeitpunkt der Transplantation keine ausreichende Anti-HBs-Konzentration
(> 100 IU/ml) vorliegt, soll initial zur NA-Therapie zusätzlich HBIG eingesetzt werden.
Die Dauer der HBIG-Therapie ist nicht definiert. Eine Behandlung für 3 Monate scheint
gemessen an kleinen Fallserien ausreichend zu sein (Dosierungen entsprechend [Tab. 13 ]) [273 ]
[288 ]
[289 ].
Allerdings wurde ein Fall einer fulminanten, letztlich letal verlaufenden HBV-Infektion
ein Jahr nach Nierentransplantation einer Niere eines HBsAg-positiven Spenders beschrieben.
Hierbei lag eine HBsAg-„Escape“-Mutante vor. Eine Prophylaxe mit einem NA war in diesem
Fall jedoch nicht durchgeführt worden [290 ].
Aufgrund des existierenden Organmangels bestand bei den Leitlinienmitgliedern ein
hoher Konsens für die Empfehlung, die Transplantation HBsAg-positiver Nicht-Leber-Organe
in Analogie zu der Empfehlung bei der Lebertransplatation nach gründlicher Prüfung
von individuellen Risiken und Nutzen des Patienten in Erwägung zu ziehen. Über die
Sicherheit und das Management von Herz- und Lungentransplantationen mit Organen von
HBsAg-positiven Spendern liegen nur unzureichende Daten vor.
Bei einer Stammzelltransplantation eines HBsAg-positiven Spenders soll zusätzlich
der Spender möglichst frühzeitig vor der Transplantation mit einem hochpotenten NA
behandelt werden [EK].
Konsens: 100 % (Delphi-Runde)
Neu 2020
Kommentar:
Auch die Datenlage zur Sicherheit der Verwendung von HBsAg-positiven Stammzellspendern
ist derzeit sehr begrenzt. Eine Verwendung von HBsAg-positiven Stammzellspendern kann
im Falle fehlender anderer Optionen in Erwägung gezogen werden. Ohne Prophylaxe ist
das Risiko einer HBV-Übertragung hoch (48–56 %) [291 ]
[292 ].
Der Stammzellspender soll möglichst frühzeitig vor der Transplantation mit einem hochpotenten
NA behandelt werden, um die Viruslast zu minimieren [293 ].
Der Empfänger soll eine langfristige Prophylaxe mit einem potenten NA erhalten. Die
optimale Dauer der Prophylaxe ist nicht definiert. Es wird bei guter Verträglichkeit
eine dauerhafte Prophylaxe empfohlen. Eine Beendigung der NA-Prophylaxe kann unter
engmaschiger Kontrolle der HBsAg- und HBV-DNA-Konzentrationen erwogen werden, wenn
nach HBV-Impfung eine stabile Anti-HBs-Response mit HBsAg-Konzentrationen > 100 IU/ml
induziert werden konnte [292 ]
[293 ].
Patienten mit einer Hepatitis-Delta-Virusinfektion sollten keine HBsAg-positive Spenderleber
erhalten [EK].
Konsens: 97,8 % (Delphi-Runde)
Neu 2020
Kommentar:
Bei Patienten mit einer Hepatitis Delta sollten keine HBsAg-positiven Spenderlebern
verwendet werden. Ein Rezidiv der Hepatitis Delta ist wahrscheinlich und trat in einer
kleinen Fallserie in beiden HDV-infizierten Patienten auf, die ein HBsAg-positives
Organ erhielten. [294 ]
4.12 Wer sollte vor einer Organtransplantation gegen HBV geimpft werden?
Patienten mit einem Anti-HBs-Spiegel < 100 U/l sollen so früh wie möglich vor einer
geplanten Organ-Tx unter Ausnutzung aller Strategien zur Steigerung des Impfansprechens
gegen Hepatitis B geimpft werden [EK].
Konsens: 100 % (Delphi-Runde)
Modifiziert 2020
Kommentar:
Bisher ist die Schwelle der Anti-HBs-Konzentration, bei der von einem sicheren Impfschutz
nach Transplantation ausgegangen werden kann, nicht bekannt. Die Höhe der Anti-HBs-Konzentrationen
ist aber hinsichtlich der Prävention einer De-novo-HBV-Infektion nach Transplantation
von Bedeutung [295 ]
[296 ].
Die HBV-Impfung sollte so früh wie möglich erfolgen, da mit zunehmendem Progress der
Lebererkrankung das Impfansprechen abnimmt. Das Impfansprechen bei Patienten mit Leberzirrhose
vor Transplantation liegt bei einem konventionellen Impfschema (20 µg i. m. zu den
Monaten 0, 1 und 6) bei etwa 16–28 % (keine Änderung zu [5 ]).
Zur Steigerung des Impfansprechens können höhere Dosierungen und/oder zusätzliche
Impfapplikationen (Booster) zum Einsatz kommen (siehe auch 5.6 und 5.8) (keine Änderung
zu [5 ]).
Eine Hochdosis-Hepatitis-B-Impfung mit ein- oder mehrmaligen Gaben von 80 µg Vakzine
führt bei Patienten mit chronischer Lebererkrankung, die nicht auf eine Impfung (mit
3 × 40 µg des HBV-Impfstoffs) angesprochen haben, zu einer signifikanten Steigerung
des Impfansprechens (keine Änderung zu [5 ]).
Eine Wiederholung eines Impfzyklus mit 3 × 40 µg des HBV-Impfstoffs nach initialem
Nichtansprechen auf die Impfung (Anti-HBs-Konzentration < 10 IU/ml) führte in einer
prospektiven Studie zu einem Impfansprechen von 51 % mit einer medianen Anti-HBs-Konzentration
von IU/ml (Spannweite, 11 bis > 1000 IU/ml) [297 ].
Eine Booster-HBV-Impfung sollte bei Patienten mit Anti-HBs-Konzentrationen ≥ 10 und
< 100 U/l durchgeführt werden [5, B].
Konsens: 100 % (Delphi-Runde)
siehe siehe 5.7
Kommentar:
Da mit hoher Wahrscheinlichkeit die Höhe des Anti-HBs-Titers hinsichtlich der Prävention
einer De-novo-HBV-Infektion nach Transplantation von Bedeutung ist und die Impfung
sicher ist, wird bereits bei einem Abfall des Anti-HBs-Spiegel < 100 U/l bei vorher
erfolgreich geimpften Patienten eine Boosterimpfung vor Transplantation empfohlen.
Auch bei Anti-HBc-positiven Patienten mit einem Anti-HBs-Spiegel < 100 U/l wird eine
Boosterimpfung vor Transplantation empfohlen, wenngleich prospektive Studien zur Effektivität
bzw. Notwendigkeit dieser Impfstrategie fehlen (keine Änderung zu [5 ]).
5 Immunprophylaxe der Hepatitis B
D. Glebe, W. Jilg, W. Gerlich, B . Kallinowski B, J. Schulze zur Wiesch, J. Verheyen, S. Wicker
5.1 Wer soll gegen Hepatitis B geimpft werden?
Entsprechend den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission am Robert Koch-Institut
(STIKO) sollen geimpft werden [EK]:
5.1.1: alle Säuglinge ab dem vollendeten 2. Lebensmonat,
Konsens: 100 % (Delphi-Runde)
5.1.2: alle Neugeborenen HBsAg-positiver Mütter oder von Müttern mit unbekanntem HBsAg-Status
innerhalb von 12 Stunden,
Konsens: 97,9 % (Delphi-Runde)
5.1.3: alle noch nicht geimpften Kinder und Jugendlichen bis zum vollendeten 17. Lebensjahr,
möglichst vor Beginn der Pubertät,
Konsens: 100 % (Delphi-Runde)
NKLM
5.1.4: alle in der Indikationsliste der STIKO aufgeführten Personen mit erhöhtem Hepatitis-B-Risiko
([Tab. 15 ]).
Konsens: 97,9 % (Delphi-Runde)
Modifiziert 2020
NKLM
Tab. 15
Die Indikationsliste der Ständigen Impfkommission (STIKO) – Stand August 2020 [Robert
Koch-Institut 2020].
1. Personen, bei denen wegen einer vorbestehenden oder zu erwartenden Immundefizienz
bzw. -suppression oder wegen einer vorbestehenden Erkrankung ein schwerer Verlauf
einer Hepatitis-B-Erkrankung zu erwarten ist, z. B. HIV-Positive, Hepatitis-C-Positive,
Dialysepatienten/-innen
2. Personen mit einem erhöhten nichtberuflichen Expositionsrisiko, z. B. Kontakt zu
HBsAg-Trägern in Familie/Wohngemeinschaft, Sexualverhalten mit hohem Infektionsrisiko,
i. v. Drogenkonsumierende, Untersuchungshäftlinge und Strafgefangene, ggf. Patienten/-innen
psychiatrischer Einrichtungen
3. Personen mit erhöhtem beruflichem Expositionsrisiko, einschließlich Auszubildender,
Praktikanten/-innen, Studierender und ehrenamtlich Tätiger mit vergleichbarem Expositionsrisiko,
z. B. Personal in medizinischen Einrichtungen (einschließlich Labor- und Reinigungspersonal),
Sanitäts- und Rettungsdienst, betriebliche Ersthelfer/-innen, Polizisten/-innen, Personal
von Einrichtungen, in denen eine erhöhte Prävalenz von Hepatitis-B-Infizierten zu
erwarten ist (z. B. Gefängnisse, Asylbewerberheime, Einrichtungen für Menschen mit
Behinderungen).
4. Reiseindikation
individuelle Gefährdungsbeurteilung erforderlich
zusätzlich werden noch erwähnt:
Personen nach Verletzungen mit möglicherweise HBV-haltigen Gegenständen (z. B. Nadelstich)
oder Blutkontakt mit Schleimhaut oder nicht intakter Haut (s. 5.10).
Neugeborene HBsAg-positiver Mütter oder von Müttern mit unbekanntem HBsAg-Status (unabhängig
vom Geburtsgewicht) (s. 5.9).
Literatur: [298 ]
[299 ]
[300 ]
[301 ]
[302 ].
5.2 Wann sollte die Impfung gegen Hepatitis B durchgeführt werden?
Die Impfung sollte durchgeführt werden:
5.2.1: bei Säuglingen ab dem vollendeten 2. Lebensmonat [EK]
Konsens: 100 % (Delphi-Runde)
5.2.2: bei Neugeborenen HBsAg-positiver Mütter oder von Müttern mit unbekanntem HBsAg-Status
innerhalb von 12 Stunden nach Geburt (s. Postexpositionsprophylaxe) [EK]
Konsens: 100 % (Delphi-Runde)
5.2.3: bei noch nicht geimpften Kindern und Jugendlichen bis zum vollendeten 17. Lebensjahr
möglichst vor Beginn der Pubertät [EK]
Konsens: 100 % (Delphi-Runde)
5.2.4: bei Hepatitis-B-gefährdetem Personal im Gesundheits- und Rettungsdienst vor
Aufnahme der Berufsausbildung [EK]
Konsens: 100 % (Delphi-Runde)
5.2.5: bei Medizin- und Zahnmedizinstudenten vor Beginn des Studiums bzw. des Krankenpflegediensts
[EK]
Konsens: 100 % (Delphi-Runde)
5.2.6: bei Patienten vor geplanter Transplantation [EK]
Konsens: 100 % (Delphi-Runde)
5.2.7: bei Patienten mit chronischer Nierenkrankheit vor Eintritt der Dialysepflichtigkeit
[EK]
Konsens: 100 % (Delphi-Runde)
5.2.8. bei Patienten mit HIV-Infektion möglichst frühzeitig nach Erstdiagnose; bei
Nichtansprechen bereits immunsupprimierter Patienten sollte nach Erreichen einer Immunrekonstitution
unter antiretroviraler Therapie die Impfung wiederholt werden [EK].
Konsens: 100 % (Delphi-Runde)
5.2.9: bei Patienten in Gemeinschaftseinrichtungen (z. B. Pflegeheime, psychiatrische
Einrichtungen) und Bewohnern von Fürsorgeeinrichtungen für Zerebralgeschädigte oder
Verhaltensgestörte vor Aufnahme in die Einrichtung [EK]
Konsens: 97,9 % (Delphi-Runde)
5.2.10: bei Personen nach Verletzungen mit möglicherweise erregerhaltigen bzw. -kontaminierten
Gegenständen (z. B. Nadelstichverletzung) oder nach Kontakt von Schleimhaut oder verletzter
Haut mit erregerhaltigem Material so bald wie möglich (innerhalb von 48 Stunden nach
Exposition) (s. Postexpositionsprophylaxe) [EK]
Konsens: 97,9 % (Delphi-Runde)
5.2.11: bei allen anderen Personen zum Zeitpunkt ihrer Zuordnung zu einer Risikogruppe
[EK]
Konsens: 97,9 % (Delphi-Runde)
Modifiziert 2020
Kommentar:
Bei allen im medizinischen Bereich Tätigen ist ein Vollschutz gegen Hepatitis B (Anti-HBs
von ≥ 100 IU/l 4–8 Wochen nach kompletter Grundimmunisierung) bereits vor Aufnahme
der Ausbildung von größter Bedeutung. Da die Verletzungs- und damit die Infektionsgefahr
bei Anfängern besonders groß ist, sollte darauf geachtet werden, dass vor den ersten
berufsspezifischen Praktika (z. B. Krankenpflegedienst bei Medizinstudenten, der meist
bereits vor Beginn des Studiums abgeleistet wird) die Hepatitis-B-Impfung durchgeführt
wird. Personen, die eine Hepatitis-B-Impfung ablehnen und nicht immun sind, sollten
Tätigkeiten mit Übertragungsgefahr nicht ausüben.
Hämodialysepatienten sprechen schlecht auf die Hepatitis-B-Impfung an. Daher sollten
diese Personen bereits geimpft werden, wenn erstmals die Diagnose einer chronischen
Nierenerkrankung gestellt wird, die eine spätere Dialysebehandlung und/oder Transplantation
notwendig erscheinen lässt (Evidenz 3b) (keine Änderung zu [5 ]).
Auch bei HIV-Infizierten ist die Wirksamkeit der Impfung bei bereits bestehendem Immundefekt
vermindert, die Impfung sollte daher bereits in einem frühen Infektionsstadium bei
noch normaler CD4-Zellzahl durchgeführt werden (Evidenz 2b) (keine Änderung zu [5 ]).
Bei Patienten, die aufgrund ihrer Immunsuppression nicht auf die Impfung angesprochen
haben, sollte nach Einleitung einer antiretroviralen Therapie (ART) und Verbesserung
oder Normalisierung der Zahl der CD4-positiven Zellen sowie Abnahme der Viruslast
die Impfung erneut versucht werden (Evidenz 2b) (keine Änderung zu [5 ]).
5.3 Ist es vor einer Hepatitis-B-Impfung notwendig zu testen, ob bereits Kontakt mit
dem Hepatitis-B-Virus stattgefunden hat?
Eine Testung auf Hepatitis-B-Marker vor der Impfung ist aus medizinischen Gründen
nicht notwendig.
Konsens: 95,8 % (Konsensuskonferenz)
Geprüft 2020
NKLM
Kommentar:
Es besteht keine medizinische Indikation vor einer geplanten Hepatitis-B-Impfung abzuklären,
ob die Person bereits Kontakt mit dem Hepatitis-B-Virus hatte. Eine Impfung von Personen
mit (asymptomatischer) akuter, chronischer oder abgelaufener Hepatitis B kann gefahrlos
durchgeführt werden, ist allerdings wirkungslos. Bei Nichtansprechen auf eine Grundimmunisierung
sollte daher eine akute oder chronische HBV-Infektion ausgeschlossen werden, bevor
eine erneute Impfung durchgeführt wird (s. 5.6).
Eine Untersuchung auf Anti-HBc kann bei Angehörigen von Risikogruppen (wie in der
Liste der STIKO aufgeführt) und bei Personen oder deren Nachkommen aus hochendemischen
Gebieten sinnvoll sein, wenn das erhöhte Risiko schon seit längerer Zeit (Jahren)
besteht [0, 4].
Konsens: 97,9 % (Delphi-Runde)
Geprüft 2020
Kommentar:
Ob eine Vortestung kostengünstig ist, hängt von den Testkosten, von den Kosten für
den Impfstoff und vom Anteil Immuner im geimpften Kollektiv ab. So wird bei einem
Testpreis von € 20,11 (Vollkosten für den Anti-HBc-Test nach GOÄ) und einem Impfstoffpreis
von € 198,87 bis € 207,30 (für 3 Dosen) eine Vortestung kostengünstig bei einer Anti-HBc-Prävalenz
eines zu impfenden Kollektivs von etwa 10 %. Ein derartiger Wert wird in der deutschen
Normalbevölkerung nicht erreicht, sehr wohl aber in bestimmten Hochrisikogruppen wie
z. B. Personen aus Hochendemiegebieten, u. U. auch bei Menschen, die glaubhaft über
eine Hepatitis unbekannter Ursache berichten. [303 ]
[304 ]
Zusatz zur HBV-Impfung bei medizinischem Personal, das Tätigkeiten mit erhöhter HBV-Übertragungsgefahr
ausübt.
Medizinischem Personal ist gemäß der Verordnung zur Arbeitsmedizinischen Vorsorge
(ArbMedVV) eine Impfung gegen Hepatitis B anzubieten.
Bei einer Einstellungsuntersuchung sollte bei medizinischem Personal eine eventuell
vorliegende chronische oder okkulte HBV-Infektion ausgeschlossen und Immunität festgestellt
werden (siehe 1.1.3, zur initialen Diagnostik siehe 1.1.1 und 1.2.2). Bei fehlender
Immunität ist eine aktive Hepatitis-B-Impfung zu veranlassen (siehe 1.2.1) und deren
Erfolg zu kontrollieren (Anti-HBs-Titer ≥ 100 IU/L) (siehe 5.4.2). Personen, die sich
weigern, ihren HBV-Status überprüfen zu lassen, sollten Tätigkeiten mit erhöhter Übertragungsgefahr
nicht ausüben.
Bei Personen, die bereits eine HBV-Infektion haben, ist eine Impfung wirkungslos (s. o.).
Welche Tätigkeiten von HBV-Trägern im medizinischen Bereich ausgeübt werden dürfen,
regeln die „Empfehlungen der Deutschen Vereinigung zur Bekämpfung der Viruskrankheiten
(DVV) zur Prävention der nosokomialen Übertragung von Hepatitis B (HBV) und Hepatitis
C Virus (HCV) durch im Gesundheitswesen Tätige“. Zu Tätigkeitseinschränkungen von
HBV-Infizierten im Gesundheitswesen siehe: 5.12 [89 ].
5.4 Ist es nach einer Hepatitis-B-Impfung notwendig zu testen, ob die Impfung erfolgreich
war?
Bei geimpften Personen, die keiner spezifischen Risikogruppe angehören, gesund und
jünger als 40 Jahre sind, braucht eine Erfolgskontrolle nach der Impfung nicht durchgeführt
zu werden [EK].
Konsens: 100 % (Konsensuskonferenz)
Geprüft 2020
Kommentar:
Die Serokonversionsraten von geimpften Kindern und Jugendlichen liegen bei > 98 %,
bei gesunden jüngeren Erwachsenen (< 40 Jahren) bei über 95 % (keine Änderung zu [5 ]).
Die Kontrolle des Impferfolgs erscheint daher bei diesen Personen nicht notwendig,
solange sie keinem deutlich erhöhten Risiko unterliegen.
Eine Testung auf Anti-HBs sollte bei allen in [Tab. 15 ] genannten Personen durchgeführt werden [EK].
Konsens: 100 % (Konsensuskonferenz)
Modifiziert 2020
Kommentar:
Eine quantitative Testung auf Anti-HBs 4–8 Wochen nach der Beendigung der Grundimmunisierung
(d. h. nach der dritten bzw. vierten Impfung) ist dagegen angezeigt bei allen in [Tab. 15 ] aufgeführten Personen, also allen, bei denen wegen einer vorbestehenden oder zu
erwartenden Immundefizienz bzw. -suppression oder wegen einer vorbestehenden Erkrankung
ein schwerer Verlauf einer Hepatitis-B-Erkrankung zu erwarten ist, und bei allen Menschen
mit erhöhtem beruflichem oder nichtberuflichem Hepatitis-B-Risiko. Insbesondere sollte
der Impferfolg bei Personen überprüft werden, bei denen von einer erniedrigten Ansprechrate
auf die Impfung auszugehen ist, wie den bereits erwähnten Immunsupprimierten, Personen
mit ausgeprägter Adipositas und älteren Menschen.
Eine Testung kann erwogen werden bei nicht in [Tab. 15 ] aufgeführten Personen, die älter als 40 Jahre sind [EK].
Konsens: 95,6 % (Delphi-Runde)
Modifiziert 2020
Kommentar:
Ein schlechteres Ansprechen auf die Grundimmunisierung ist bereits bei Menschen > 40
Jahre festzustellen (Evidenz 2a) (keine Änderung zu [5 ]).
Zusatz
Auch unmittelbar nach der Geburt geimpfte Neugeborene sprechen schlechter auf die
Impfung an und sollten daher ebenfalls getestet werden (Evidenz 1b) (keine Änderung
zu [5 ]).
Gründe für eine Testung sind, dass zum einen bei möglichst allen geimpften Personen
ein belastbarer Schutz erzielt werden sollte, weshalb Non- bzw. Lowresponder nachgeimpft
werden sollten, zum zweiten kann bei ausgebliebenem Impferfolg im Falle eines Kontakts
mit HBV, etwa durch eine Nadelstichverletzung o. Ä., durch eine sofortige Gabe von
Hepatitis-B-Immunglobulin (HBIG), in der Regel kombiniert mit einer aktiven Impfung,
eine Infektion noch vermieden werden.
5.5 Ist nach erfolgreicher Impfung gegen Hepatitis B eine Auffrischimpfung notwendig?
Nach derzeitigem Wissenstand kann man nach einer erfolgreichen Grundimmunisierung
(Anti-HBs 4–8 Wochen nach letzter Impfung ≥ 100 IU/l) von einem langjährigen, möglicherweise
sogar lebenslangen Schutz vor einer Hepatitis-B-Erkrankung ausgehen.
Konsens: 95,7 % (Delphi-Runde)
Modifiziert 2020
NKLM
Kommentar:
Die Hepatitis-B-Impfung induziert bei allen erfolgreich Geimpften die Bildung neutralisierender
Antikörper, die in einer Konzentration von ≥ 10 IU/l Schutz vor einer Infektion verleihen
[5 ]
[305 ].
Da die Anti-HBs-Konzentration nach der Grundimmunisierung allerdings sehr rasch absinkt,
gilt als Kriterium einer erfolgreichen Immunisierung in Deutschland wie in England,
Irland, Österreich und der Schweiz ein Anti-HBs-Wert von wenigstens 100 IU/L, gemessen
4–8 Wochen nach der dritten Impfung. (Dieser Wert wurde auch deshalb gewählt, weil
mit unterschiedlichen Anti-HBs-Tests erhobene Ergebnisse speziell im niedrigen Bereich
zwischen 0 und 20 IU/l stark divergieren können) [306 ].
Selbst nach einer derartigen erfolgreichen Impfung sinkt das Anti-HBs jedoch bei etwa
20–50 % auch immunologisch gesunder Impflinge nach 4–10 Jahren unter einen Wert von
10 IU/l ab (Evidenz 2a) (keine Änderung zu [5 ]).
Auch diese Menschen sind aber vor Erkrankung geschützt. Die Basis dafür bildet ein
ausgeprägtes immunologisches Gedächtnis, das über das Vorhandensein von Anti-HBs hinaus
persistiert. Im Falle eines Kontakts mit dem Erreger wird sehr rasch eine Immunreaktion
in Gang gesetzt, die eine beginnende Infektion schnell beendet und eine Erkrankung
oder eine chronische Infektion sicher verhindert (Evidenz 3a) (keine Änderung zu [5 ]).
Wiederimpfungen von Personen, die ihre Antikörper verloren haben, führen nach 3–7
Tagen zu einem ausgeprägten Antikörperanstieg (Evidenz 2b) (keine Änderung zu [5 ]) [5 ]
[307 ].
Eine derartige „anamnestische“ Immunantwort konnte auch 15 bis 20 Jahre nach der Grundimmunisierung
bei über 90 % aller Personen festgestellt werden, deren Antikörper in der Zwischenzeit
unter einen Wert von 10 IU/l abgesunken waren (Evidenz 2b) (keine Änderung zu [5 ]).
Bei im Säuglings- oder Kleinkindalter Geimpften ohne besonderes Hepatitis-B-Risiko
braucht eine Auffrischimpfung nicht zu erfolgen [EK].
Tritt im späteren Leben ein erhöhtes Risiko ein (z. B. Ausbildung bzw. Tätigkeit in
einem medizinischen Beruf), sollten eine Auffrischimpfung und eine anschließende serologische
Kontrolle durchgeführt werden [EK].
Konsens: 95,7 % (Delphi-Runde)
Modifiziert 2020
Kommentar:
Auch einzelne kontrollierte Studien bei im Kindesalter Geimpften zeigen eine über
95 %ige Schutzwirkung der Impfung für über 15 Jahre (Evidenz 2a) (keine Änderung zu
[5 ]).
Eine Metaanalyse zum Langzeitschutz der Hepatitis-B-Impfung im Säuglingsalter wies
allerdings nach, dass auch die als „Boostability“ bezeichnete Fähigkeit zu einer anamnestischen
Immunreaktion nach einer Auffrischimpfung in Abhängigkeit von der Impfdosis und dem
zeitlichen Abstand zur Grundimmunisierung abnimmt (Evidenz 2a) [308 ].
15 Jahre nach Grundimmunisierung waren im Mittel etwa 25 % der Geimpften nicht mehr
zu einer anamnestischen Reaktion in der Lage, hatten also wahrscheinlich ihr immunologisches
Gedächtnis verloren. Allerdings handelte es sich bei der Mehrzahl der analysierten
Studien um Untersuchungen in Hochrisikoregionen wie Zentralafrika, Südostasien oder
Alaska, deren Ergebnisse aufgrund der spezifischen epidemiologischen Situation wie
auch der verwendeten Impfstoffe nur bedingt auf europäische bzw. deutsche Verhältnisse
übertragbar sind. Neue Untersuchungen aus Europa und den USA belegen aber, dass 16–23
Jahre nach Grundimmunisierung mit den heute üblichen Impfstoffen auch nach dem Absinken
des schützenden Anti-HBs auf Werte < 10 IU/l, 94–97 % mit einer prompten Antikörperbildung
auf eine Auffrischimpfung reagieren (Evidenz 2b) [309 ]
[310 ]
[311 ].
Daher erscheint eine Auffrischimpfung auch angesichts der epidemiologischen Situation
in Deutschland gegenwärtig nicht notwendig. Unterstützt werden könnte diese Sicht
durch eine aktuelle Studie aus Alaska, in der 243 Personen, die als Kinder, Jugendliche
oder Erwachsene geimpft wurden, 30 Jahre nach Grundimmunisierung untersucht wurden.
51 % der Teilnehmer wiesen noch Anti-HBs-Werte ≥ 10 IU/l auf, 88 % der Teilnehmer
mit Werten < 10 IU/l sprachen auf eine Auffrischimpfung an. Innerhalb der Beobachtungszeit
wurden keine Durchbruchsinfektionen beobachtet und nur 2 Personen waren Anti-HBc-positiv
(Evidenz 3). Allerdings ist nicht klar, inwieweit diese Ergebnisse auf die Verhältnisse
in Deutschland übertragbar sind, denn es handelt sich auch hier um eine Untersuchung
in einem Hochendemiegebiet, und die Teilnehmer wurden nicht mit dem heute ausschließlich
verwendeten rekombinanten Impfstoff geimpft, sondern hatten die aus Plasma chronischer
HBV-Träger hergestellte Vakzine erhalten [312 ].
Ergibt sich für als Säuglinge geimpfte Jugendliche oder Erwachsene ein erhöhtes Infektionsrisiko,
sollte eine Auffrischimpfung erfolgen und der Anti-HBs-Wert 4–8 Wochen später bestimmt
werden. Zu nennen sind hier etwa durch Ausbildung oder Tätigkeit in einem Gesundheitsberuf,
Tätigkeit als Ersthelfer, HBsAg-positive Sexualpartner oder längeren Aufenthalt in
einem Hochendemiegebiet gefährdete Personen oder Personen, bei denen wegen einer vorbestehenden
oder zu erwartenden Immundefizienz bzw. -suppression oder wegen einer vorbestehenden
Erkrankung ein schwerer Verlauf einer Hepatitis B zu erwarten ist, z. B. HIV-Positive,
Hepatitis-C-Positive und Dialysepatienten. Das ist insbesondere deswegen notwendig,
weil der Impferfolg bei allen diesen als Säuglinge oder Kleinkinder geimpften Personen
in der Regel nicht kontrolliert wurde und eventuelle Nonresponder daher nicht entdeckt
werden konnten. Außerdem ist damit zu rechnen, dass bis zu 50 % dieser Personen einen
Anti-HBs-Spiegel unter der Schutzgrenze von 10 IU/L aufweisen (Evidenz 2b) [307 ].
Für Personen, die wegen eines in der Indikationsliste der STIKO aufgeführten erhöhten
Risikos ([Tab. 15 ]) erfolgreich geimpft wurden (Anti-HBs 4–8 Wochen nach letzter Impfung ≥ 100 IU/l),
braucht vor dem Hintergrund der epidemiologischen Situation in Deutschland gegenwärtig
eine generelle Auffrischimpfung nicht zu erfolgen [EK].
Bei besonders hohem Expositionsrisiko sollte allerdings nach 10 Jahren eine Kontrolle
des Anti-HBs-Werts und gegebenenfalls (wenn Anti-HBs < 100 IU/l) eine Auffrischimpfung
durchgeführt werden [EK].
Konsens: 100 % (Konsensuskonferenz)
Modifiziert 2020
Kommentar:
Für Menschen, die aufgrund eines spezifischen Risikos gemäß der Indikationsliste der
STIKO (5.1) geimpft wurden, galt bis 2013 in Deutschland die Empfehlung einer Auffrischimpfung
nach 10 Jahren. Um deren Notwendigkeit zu überprüfen, wurde von Mitgliedern der STIKO
und der STIKO-Geschäftsstelle eine systematische Literaturübersicht zur Frage der
Impfschutzdauer erstellt (Evidenz 3) [313 ].
Als wichtigstes Kriterium zur Bewertung des Impferfolgs wurde ein Impfdurchbruch in
Form einer akuten oder chronischen Hepatitis B, HBsAg- oder HBV-DNA-Positivität gewählt.
Die Untersucher fanden allerdings nur 10 Studien, die in Industrienationen Europas
und in den USA durchgeführt wurden und die die Einschlusskriterien erfüllten. Sie
zeigten zusammenfassend, dass unter Expositionsbedingungen, die mit der Situation
in Deutschland vergleichbar waren, innerhalb eines Zeitraums von 10 Jahren bei erfolgreich
Geimpften keine Fälle von klinischer Hepatitis B oder einer HBsAg-Positivität auftraten;
Anti-HBc-Positivität wurde in weniger als 1 % der Studienteilnehmer beobachtet. Diese
Ergebnisse veranlassten die STIKO, von einer generellen Empfehlung einer Auffrischimpfung
abzusehen und eine Position einzunehmen, wie sie auch von verschiedenen internationalen
Gremien wie der WHO, dem amerikanischen Advisory Committee on Immunization Practices
(ACIP) und dem Viral Hepatitis Prevention Board (VHPB) vertreten wird [305 ]
[314 ]
[315 ].
Aufgrund der doch beschränkten Datenlage und der Tatsache, dass keine hinreichend
verlässliche Aussage über 10 Jahre hinaus gemacht werden kann, sollte bei Menschen
mit besonders hohem Expositionsrisiko, z. B. bei permanent anhaltendem bzw. ständig
wiederkehrendem übertragungsrelevantem Blutkontakt im medizinischen Bereich, HBsAg-positiven
Partnern oder längerem Aufenthalt in einem Hochendemiegebiet mit intensivem Kontakt
zur einheimischen Bevölkerung, weiterhin nach 10 Jahren eine Anti-HBs-Kontrolle durchgeführt
werden, gefolgt von einer Auffrischimpfung, wenn Anti-HBs < 100 IU/l ist. Das entspricht
auch den gegenwärtigen Empfehlungen der STIKO [313 ].
Beobachtungen an geimpften amerikanischen Blutspendern zeigen, dass bei niedrigem
(< 100 IU/L) oder völlig abgefallenem Anti-HBs und sexueller Exposition okkulte HBV-Infektionen
ohne nachweisbares HBsAg, aber mit transienter Virämie möglich sind. Diese Infektionen
sind völlig asymptomatisch und führen nach einigen Wochen oder Monaten zu einer Auffrischung
der Anti-HBs-Titer. Die beobachteten okkulten HBV-Infektionen wurden vorwiegend durch
andere HBV-Genotypen als den sonst in den USA vorherrschenden und im Impfstoff verwendeten
Genotyp A2 hervorgerufen (Evidenz 2b) (keine Änderung zu [5 ]).
Klinisch sind diese Infektionen irrelevant oder wegen der natürlich erfolgten Auffrischung
der Immunität möglicherweise sogar vorteilhaft. Ob diese okkulten Infektionen bei
dem betroffenen Personenkreis zu einer Persistenz oder gar einer Reaktivierung bei
einer Einschränkung des Immunsystems führen, ist bislang ungeklärt.
Die Bedeutung der transienten okkulten Virämie für die HBV-Sicherheit im Blutspendewesen
muss jedoch untersucht werden. Ähnliches dürfte für die kürzlich beschriebenen Infektionen
bei Geimpften gelten, die nicht nur ohne klinische Erscheinungen, sondern auch ohne
serologische Korrelate (Anti-HBc, HBsAg) ablaufen und nur durch das Auftauchen HBcAg-
und HBV-Polymerase-spezifischer T-Zellen bemerkbar werden [316 ].
Diese beiden Beobachtungen weisen noch einmal darauf hin, dass unsere gegenwärtige
Impfstrategie einkalkuliert, dass Infektionen stattfinden können (wenn auch klinisch
unauffällig). Das gilt auch für den Fall, dass nach 10 Jahren eine Auffrischimpfung
erfolgt, weil bei einem beträchtlichen Anteil der Geimpften der Anti-HBs-Spiegel innerhalb
dieses Zeitraums unter die Schutzgrenze absinkt und Infektionen wieder möglich sind.
Vermeiden ließe sich das nur (zumindest zum größten Teil), wenn der Anti-HBs-Spiegel
kontinuierlich über 100 IU/l gehalten wird, was aber mit den gegenwärtigen Impfstoffen
nur bei einem Teil der Impflinge möglich sein dürfte.
5.6 Wie ist bei Nichtansprechen auf die Hepatitis-B-Impfung (Anti-HBs nach 3 Impfungen
< 10 IU/l) zu verfahren?
Personen, deren Anti-HBs-Konzentrationen 4–8 Wochen nach der Grundimmunisierung < 10 IU/l
betragen („Nonresponder“), sollen nach Ausschluss einer HBV-Infektion (HBsAg, Anti-HBc)
erneut geimpft werden [EK].
Konsens: 100 % (Delphi-Runde)
Modifiziert 2020
Kommentar:
Mehrere Studien konnten zeigen, dass mit bis zu 3 zusätzlichen Impfungen in Abständen
von 1–3 Monaten 50–100 % der Nonresponder zur Serokonversion zu bringen sind (Evidenz
2b) (keine Änderung zu [5 ]).
Nonresponder sollen daher bis zu 3 weitere Impfungen (in Abständen von 1–3 Monaten)
erhalten. Eine Reihe von Untersuchern beschreibt den Einsatz von intradermalen Impfungen
bei Nonrespondern. Obwohl immunologisch einleuchtend, gibt es bis jetzt bei Immungesunden
keinen eindeutigen Beweis für eine signifikant bessere Immunantwort auf diese Impftechnik
(Evidenz 1a) (keine Änderung zu [5 ]) [317 ].
Sofern vor der Impfung kein HBsAg und Anti-HBc bestimmt wurde, sollte bei Nichtansprechen
auf die Hepatitis-B-Impfung eine Bestimmung nachgeholt werden, weil es sich in diesem
Fall um chronische Virusträger handeln könnte!
5.7 Wie ist bei Personen zu verfahren, deren Anti-HBs-Konzentration 4–8 Wochen nach
Grundimmunisierung 10–99 IU/l beträgt (gesunde Lowresponder)?
Personen, deren Anti-HBs-Konzentration 4–8 Wochen nach der Grundimmunisierung 10–99 IU/l
beträgt („Lowresponder“), sollten entsprechend den Empfehlungen der STIKO eine sofortige
Wiederimpfung erhalten; Anti-HBs sollte nach 4–8 Wochen erneut bestimmt werden [5,
B].
Konsens: 97,9 % (Delphi-Runde)
Geprüft 2020
Kommentar:
Die Notwendigkeit eines derartigen Vorgehens wurde niemals bewiesen. Der Wert von
≥ 100 IU/l als Kriterium für gutes Ansprechen auf die Impfung (nicht für Immunität!)
wurde auf einer internationalen Konferenz im Jahr 1988 festgelegt (Expertenmeinung),
auch aufgrund der mit verschiedenen Anti-HBs-Tests nicht selten stark differierenden
Ergebnisse (keine Änderung zu [5 ]) [306 ].
Ein Wert von ≥ 100 IU/l Anti-HBs 1–2 Monate nach der 3. Impfung weist nach unserer
heutigen Kenntnis auch auf das „Priming“ eines guten immunologischen Gedächtnisses
und damit auf einen verlässlichen Langzeitschutz vor Erkrankung hin, ein niedrigerer
Wert schließt das aber nicht aus (in den USA gilt ein Wert von ≥ 10 IU/l 1–3 Monate
nach der 3. Impfung als Beweis für eine erfolgreiche Impfung).
5.8 Was ist bei der Impfung von Immunsupprimierten generell zu beachten?
Bei immunsupprimierten bzw. immundefizienten Personen sollte eine erhöhte Dosis (doppelte
Dosis bzw. Dosis für Dialysepflichtige) verabreicht werden [2, B].
Konsens: 95,8 % (Delphi-Runde)
Geprüft 2020
Bei Dialysepatienten sollte wie bei allen immunsupprimierten bzw. immundefizienten
Personen die Gabe einer erhöhten Dosis (doppelte Dosis bzw. Dosis für Dialysepflichtige)
bzw. ein speziell für diese Patientengruppe vorgesehener stärker adjuvantierter Impfstoff
verabreicht werden [EK].
Konsens: 97,8 % (Delphi-Runde)
Modifiziert 2020
Kommentar 5.8.1/5.8.2
Für Dialysepatienten wurde das bessere Ansprechen auf eine erhöhte Dosis des Impfstoffs
mehrfach gezeigt (Evidenz 2a), ebenso für immunsupprimierte bzw. immundefiziente Personen,
z. B. HIV-Infizierte mit eingeschränkter Immunfunktion (Evidenz 2b) und chronische
Alkoholiker (keine Änderung zu [5 ]).
Studien bei Dialysepatienten mit intradermaler Impfung ergaben widersprüchliche Ergebnisse.
Ebenso wie bei Immungesunden ließ sich in den meisten Untersuchungen an Dialysepatienten
ein besseres Abschneiden der intradermalen Technik gegenüber der intramuskulären Injektion
nicht feststellen (Evidenz 2a) (keine Änderung zu [5 ]).
Eine Studie fällt allerdings eindeutig positiv aus und lässt zumindest den Versuch
mit dieser Technik bei Dialysepatienten, die bisher nicht auf die Impfung angesprochen
haben, als sinnvoll erscheinen. Mehrere kleine Dosen scheinen hierbei von Vorteil
zu sein (2 × 5 µg in 250 µl in die Volarseite des rechten und linken Unterarms, 1 ×
pro Woche für 8 Wochen (Evidenz 2b) (keine Änderung zu [5 ]).
Eine Kontrolle des Impferfolgs sollte erfolgen [2, B]. Besteht ein erhöhtes Hepatitis-B-Risiko,
sollte Anti-HBs jährlich kontrolliert werden [2, B]. Bei Absinken von Anti-HBs auf
Werte < 100 IU/l sollte eine Auffrischimpfung erfolgen [EK].
Konsens: 100 % (Delphi-Runde)
Geprüft 2020
Kommentar:
Über die Schutzdauer nach erfolgreicher Grundimmunisierung von immunsupprimierten
Personen ist wenig bekannt. Im Gegensatz zur Situation bei Gesunden wurden klinisch
manifeste HBV-Infektionen bei geimpften Dialysepatienten beobachtet, deren Anti-HBs-Titer
unter 10 IU/l abgefallen war (Evdienz IIa) (keine Änderung zu [5 ]).
Nach Meinung der meisten Autoren erschien es daher gerechtfertigt, diese Patienten
in regelmäßigen Abständen auf Anti-HBs zu testen und durch Auffrischimpfungen einen
Anti-HBs-Spiegel von > 10 IU/l aufrechtzuerhalten.
Auch wenn für andere immunsupprimierte Personen keine Daten dazu vorliegen, sollte
bei ihnen genauso verfahren werden, sofern ein erhöhtes Hepatitis-B-Risiko besteht
[315 ].
Allerdings hat die STIKO im Jahr 2013 den Anti-HBs-Wert, der in diesen Fällen nicht
unterschritten werden sollte, auf 100 IU/l festgelegt [318 ].
Grund dafür war neben den mit verschiedenen Anti-HBs-Tests differierenden Ergebnissen
auch die Vorstellung, dass mit höheren Anti-HBs-Werten auch Infektionen (und nicht
nur Erkrankungen) besser verhindert werden [319 ].
Patienten mit HIV-Infektion sollten bei noch intakter Immunfunktion normal geimpft
werden. Der Impferfolg sollte kontrolliert werden; bei Nichtansprechen sollten weitere
Impfungen durchgeführt werden [2, B].
Konsens: 100 % (Delphi-Runde)
Geprüft 2020
Bei HIV-Patienten mit Immundefekt sollte eine erhöhte Impfdosis verabreicht werden
[2, B]. Bei Nonrespondern sollte nach Einleitung einer ART und Verbesserung der Zahl
der CD4-positiven Zellen sowie Abnahme der Viruslast die Impfung erneut versucht werden
[2, B].
Konsens: 95,7 % (Delphi-Runde)
Geprüft 2020
Kommentar 5.8.4/5.8.5:
Bei HIV-Patienten hängt das Vorgehen vom Immunstatus ab. Bei noch Immunkompetenten
kann wie bei Gesunden geimpft werden, allerdings sollte der Impferfolg kontrolliert
werden. Immundefiziente Patienten sollten wie alle Immunsupprimierten mit höheren
Dosen geimpft werden. Eine französische Langzeitstudie zeigte deutlich bessere Ergebnisse
bei einem Schema mit 4 × 40 µg HBsAg gegenüber dem Normalschema mit 3 × 20 µg bzw.
einer 4-maligen intradermalen Applikation von 4 µg (Evidenz 2b) [320 ].
Bei Nonrespondern ist nach Einleitung einer ART und Verbesserung oder Normalisierung
der Zahl der CD4-positiven Zellen sowie Abnahme der Viruslast der Impferfolg deutlich
erhöht (Evidenz 2b) (keine Änderung zu [5 ]).
5.9 Wie ist die Postexpositionsprophylaxe bei Neugeborenen durchzuführen?
Neugeborene HBsAg-positiver Mütter sollen innerhalb von 12 Stunden nach Geburt aktiv-passiv
(aktive Impfung plus Hepatitis-B-Immmunglobulin) immunisiert werden [1, A].
Konsens: 100 % (Delphi-Runde)
Geprüft 2020
Kommentar:
Die Wirksamkeit der aktiv-passiven Postexpositionsprophylaxe bei Neugeborenen von
HBsAg-positiven Müttern wurde vielfach demonstriert (Evidenz 1a) (keine Änderung zu
[5 ]).
Dazu werden gleichzeitig mit dem Impfstoff 30–100 IU Anti-HBs pro kg KG verabreicht,
i. d. Regel 1 ml eines i. m. zu applizierenden Anti-HBs-Präparats mit einer Anti-HBs-Konzentration
von 200 IU/ml. Vier bis acht Wochen nach der Grundimmunisierung soll der Impferfolg
durch die Bestimmung von Anti-HBs überprüft werden. Um ein Impfversagen bzw. einen
Virusdurchbruch zu erkennen, soll zusätzlich noch auf HBsAg und Anti-HBc getestet
werden.
Auch die aktive Impfung allein verhütet mit großer Sicherheit eine Infektion; bei
Neugeborenen von Müttern, deren HBsAg-Status nicht bekannt ist und bei denen eine
serologische Kontrolle innerhalb von 12 Stunden nicht möglich ist, sollte daher unmittelbar
post partum die Grundimmunisierung mit einem Hepatitis-B-Impfstoff begonnen werden.
Bei nachträglicher Feststellung einer HBsAg-Positivität kann beim Neugeborenen innerhalb
von 7 Tagen postpartal die Gabe von Hepatitis-B-Immunglobulin nachgeholt werden (in
erster Linie, um die Zeit bis zur Bildung „eigener“ schützender Antikörper beim Kind
zu überbrücken) (keine Änderung zu [5 ]).
Schwangeren mit einer HBV-DNA-Konzentration > 200 000 IU/ml soll eine antivirale Therapie
angeboten werden, um das Risiko der Mutter-Kind-Übertragung zusätzlich zur Postexpositionsprophylaxe
zu reduzieren [1, A] (siehe 3.12).
Konsens: 100 % (Konsensuskonferenz)
Neu 2020
Evidenztabelle siehe Leitlinienreport Anhang III
Kommentar:
Ein Versagen der Postexpositionsprophylaxe ist möglich, wenn die Viruslast der Mutter
sehr hoch ist (> 106 Kopien HBV-DNA/ml, bzw. 2 × 105 IU/ml). In diesen Fällen soll eine antivirale Therapie der Mutter zur Senkung der
Viruslast erwogen werden (Details siehe 3.12). Dafür ist es notwendig, die Schwangere
frühzeitig auf eine bestehende HBV-Infektion zu testen, damit noch ausreichend Zeit
für ein Anschlagen der antiviralen Therapie bis zum Geburtstermin bleibt. Daher sollte
bei Schwangeren mit erhöhtem Risiko für eine HBV-Infektion der Nachweis von HBsAg
bereits in der Frühschwangerschaft erfolgen, um bei chronischer Infektion mit hoher
Viruslast eine antivirale Therapie zur Transmissionsprophylaxe einzuleiten.
Die aktiv-passive Postexpositionsprophylaxe wird nach Geburt des Kindes wie üblich
durchgeführt. Sollte bei hoher Viruslast der Mutter (HBV-DNA > 200 000 IU/ml) keine
Therapie erfolgt sein, scheint eine besonders frühe aktiv-passive Postexpositionsprophylaxe
(in den ersten 4 Stunden nach der Geburt) mit sehr geringen Transmissionsraten in
dieser Situation verbunden zu sein. (Details siehe 3.12).
Allerdings kann die sehr frühe Impfung nicht immer sichergestellt sein und die Transmissionsrate
ist nicht komplett bei 0 %. Daher sind Maßnahmen zur Reduktion der HBV-DNA bis zum
Zeitpunkt der Geburt auf Werte < 200 000 IU/ml wichtig.
Eine Sectio ausschließlich zur Verhinderung der Mutter-Kind-Übertragung soll nicht
durchgeführt werden, wenn die HBV-DNA-Konzentration der Mutter zum Zeitpunkt der Geburt
< 200 000 IU/ml ist und das Neugeborene aktiv-passiv geimpft wird [2, A].
Konsens: 100 % (Konsensuskonferenz)
Neu 2020
Evidenztabelle siehe Leitlinienreport Anhang III
Kommentar:
Kontrovers ist die Antwort auf die Frage, ob eine Sectio das Risiko einer vertikalen
Transmission reduzieren kann. Ein systematisches Review von 30 Datensätzen (9906 Fälle),
mit allerdings sehr heterogener Datenlage, kam zum Schluss, dass das relative Risiko
für die Entwicklung einer HBV-Infektion nach (elektiver) Sectio gegenüber einer vaginalen
Geburt verringert ist (OR 0,51) (Evidenz 3a) [200 ].
Allerdings zeigte sich in der Subgruppe der Kinder mit Durchführung der postpartalen
aktiven und passiven Immunisierung keine Risikoreduktion einer vertikalen Transmission
durch eine elektive Sectio.
Ein anderes systematisches Review (18 Studien, 11 446 Fälle) zeigte ebenfalls keinen
Unterschied hinsichtlich einer Mutter-Kind-Übertragung in Abhängigkeit vom Geburtsmodus
bei Durchführung einer Immunoprophylaxe. Allerdings weisen die Autoren darauf hin,
dass bei einer hohen HBV-DNA (> 200 000 IU/ml) die Ergebnisse vorsichtig zu interpretieren
sind (Evidenz 2a) [201 ].
In der Tat deutet eine Studie mit 1409 Fällen darauf hin, dass die Sectio bei einer
HBV-DNA > 200 000 IU/ml einen Nutzen hat (Evidenz 3b) [202 ].
Die analysierten Studien waren meist aus China. Der Zeitpunkt der aktiven und passiven
Impfung des Neugeborenen nach der Geburt spielt hier eine wichtige Rolle. Inwiefern
die Ergebnisse daher auf Deutschland übertragen werden können, ist unklar.
Eine generelle Empfehlung zur Sectio kann daher nicht gegeben werden. Sollte die HBV-DNA
zum Zeitpunkt der Geburt > 200 000 IU/ml liegen, kann eine Sectio mit der Schwangeren
(Nutzen-Risiko-Abwägung) besprochen werden.
5.10 Wie ist bei nicht gegen Hepatitis B Immunen im Falle eines Kontakts mit HBV-haltigem
Material zu verfahren?
Nach Viruskontakt sollte so früh wie möglich, auf jeden Fall innerhalb von 48 Stunden,
eine aktiv-passive Immunisierung erfolgen [3, B].
Konsens: 97,8 % (Delphi-Runde)
Geprüft 2020
Kommentar:
Ein Infektionsrisiko besteht bei Stich- und Schnittverletzungen mit Instrumenten (insbesondere
mit Hohlnadeln), die an einem Patienten mit akuter oder chronischer Hepatitis B verwendet
wurden, bei dem eine Virämie nachgewiesen wurde (HBV-DNA-positiv) oder vermutet werden
muss (HBsAg-positiv), sowie bei Kontakt mit Blut, Serum oder Gewebe oder blutkontaminierten
Körperflüssigkeiten eines solchen Patienten mit Schleimhaut oder nicht intakter Haut.
In einer Untersuchung, in der Personen nach Verletzung mit einer mit HBsAg- und HBeAg-positivem
Blut kontaminierten Kanüle eine aktiv-passive Immunisierung erhielten, konnte bei
22 (95,6 %) von 23 eine HBV-Infektion verhindert werden, gegenüber 22 von 33 (66,7 %),
die in einer früheren Studie nur einmal passiv immunisiert worden waren. Die Simultanimpfung
wurde innerhalb von 48 Stunden verabreicht, im Mittel nach 17 Stunden (Evidenz 3b)
(keine Änderung zu [5 ]).
Eine aktiv-passive Immunisierung sollte daher so bald wie möglich, auf jeden Fall
aber innerhalb von 48 Stunden nach dem Kontakt erfolgen. Das gilt auch für Menschen,
deren Immunstatus unbekannt und nicht innerhalb von 48 Stunden abzuklären ist (s. STIKO-Empfehlung.
[321 ]
Inwieweit spätere Gaben von Immunglobulin und Impfstoff noch sinnvoll sind, ist unklar;
auf jeden Fall dürfte ihre Wirksamkeit deutlich geringer sein!
5.11 Gibt es Sicherheitsbedenken oder Kontraindikationen gegen eine Hepatitis-B- Impfung?
Der Hepatitis-B-Impfstoff ist sehr gut verträglich. Schwere Nebenwirkungen oder Komplikationen,
über die speziell aufgeklärt werden müsste oder weswegen bestimmte Personen nicht
geimpft werden können, sind wissenschaftlich nicht belegt.
Konsens: 95,7 % (Delphi-Runde)
Geprüft 2020
Kommentar:
Der Hepatitis-B-Impfstoff ist sehr gut verträglich (Evidenz 3a) (keine Änderung zu
[5 ]).
Wie bei anderen Impfstoffen kann es innerhalb von 1–3 Tagen, selten länger anhaltend,
an der Impfstelle zu Rötung, Schmerzhaftigkeit und Schwellung kommen, gelegentlich
auch verbunden mit Beteiligung der zugehörigen Lymphknoten. Allgemeinsymptome wie
beispielsweise leichte bis mäßige Temperaturerhöhung, Frösteln, Kopf- und Gliederschmerzen
oder Müdigkeit sind selten. In der Regel sind diese Lokal- und Allgemeinreaktionen
vorübergehender Natur und klingen rasch und folgenlos wieder ab. In Einzelfällen wird
über anaphylaktische und allergische Reaktionen (Vaskulitis, Urtikaria, niedriger
Blutdruck) nach Hepatitis-B-Impfung berichtet. Ungeklärt ist ein ursächlicher Zusammenhang
der Impfung mit den sehr selten beobachteten neurologischen Störungen (Enzephalitis,
Enzephalomyelitis, Myelitis, Opticusneuritis, Guillain-Barré-Syndrom) und Erkrankungen
anderer Organe (Arthritiden, Angioödem, Erythema multiforme, Lupus erythematodes,
Thrombozytopenie), die im zeitlichen Zusammenhang mit der Hepatitis-B-Impfung auftraten.
In der Mehrzahl dieser Einzelfallberichte dürfte es sich um das zufällige zeitliche
Zusammentreffen von miteinander nicht ursächlich verbundenen selbstständigen Ereignissen
handeln (Evidenz 4) (keine Änderung zu [5 ]).
Die Verursachung oder die Auslösung eines akuten Schubs von Multipler Sklerose oder
anderer demyelinisierender Erkrankungen durch die Hepatitis-B-Impfung wird immer wieder
diskutiert (Evidenz nicht bewertet). Es gibt jedoch keine wissenschaftlichen Fakten,
die einen solchen Zusammenhang beweisen. Eine Vielzahl qualifizierter Studien konnte
keine Evidenz für einen kausalen Zusammenhang der postulierten Krankheit mit der Impfung
finden (Evidenz 3a) [322 ].
Daran ändert auch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs nichts, der einem Mann,
der kurz nach der dritten Hepatitis-B-Impfung eine Multiple Sklerose entwickelte,
Schadensersatz zusprach [323 ]
[324 ].
Aus wissenschaftlicher Sicht ist dieses Urteil nicht relevant, da es die verfügbaren
Evidenzen zum medizinischen Sachverhalt nicht berücksichtigt.
Personen mit hochfieberhaften und/oder behandlungsbedürftigen akuten Erkrankungen
sollten nicht geimpft werden [2, B].
Konsens: 97,8 % (Delphi-Runde)
Geprüft 2020
Personen, die nach einer vorangegangenen Impfung mit einem Hepatitis-B-Impfstoff Zeichen
einer Überempfindlichkeit oder andere ungeklärte unerwünschte Wirkungen gezeigt haben,
sollten nicht geimpft werden [EK].
Konsens: 95,7 % (Delphi-Runde)
Geprüft 2020
Kommentar:
Personen mit hochfieberhaften und/oder behandlungsbedürftigen Erkrankungen sollten
frühestens 2 Wochen nach Genesung geimpft werden. Allergische Erscheinungen oder andere
unerwünschte Arzneimittelwirkungen im zeitlichen Zusammenhang mit einer Hepatitis-B-Impfung
stellen ein Impfhindernis gegen eine nachfolgende Hepatitis-B-Impfung dar, wenn aufgrund
der besonderen Umstände ein Kausalzusammenhang angenommen werden muss [321 ].
Darüber hinausgehende Kontraindikationen gibt es nicht; Schwangere können gegen Hepatitis
B geimpft werden (Evidenz 2b), allerdings sollte – wie für alle Impfungen in der Schwangerschaft
– die Indikation streng gestellt sein [325 ].
5.12 Gibt es Tätigkeitseinschränkungen von HBV-Infizierten im Gesundheitswesen (HCW,
healthcare worker)?
Bei HBV-DNA-Konzentrationen < 200 IU/ml sind keine Einschränkungen der Tätigkeit und
keine zusätzlichen Sicherheitsmaßnahmen erforderlich. Kontrollen der HBV-DNA sollen
alle 3 Monate durchgeführt werden [EK].
Konsens: 100 % (Konsensuskonferenz)
Geprüft 2020
Kommentar:
Eine Übertragung von HBV im Zusammenhang mit dem Tätigkeitsprofil von HCW wurde bislang
bei HBV-DNA-Konzentrationen unter 200 IU/ml nicht beschrieben (200 IU/ml entsprechen
1000 Genomen HBV/ml, bei einem Umrechnungsfaktor von 1 IU = 5 Genom HBV) und ist nach
Stand der Kenntnis für diese spezielle Übertragungssituation sehr unwahrscheinlich.
Daher werden für HBV-Konzentrationen < 200 IU/ml bei chronisch HBV-infizierten HCW
keine Einschränkung der Berufstätigkeit und keine zusätzlichen Sicherheitsmaßnahmen
für erforderlich gehalten. Da im Laufe einer chronischen HBV-Infektion die HBV-DNA-Konzentration
im Blut auch ohne auffällig klinisches Bild stark variieren kann, sind serologische
Kontrollen der HBV-DNA mit einer hochsensitiven Detektionsmethode alle 3 Monate angeraten.
Bei einer Virämie < 200 IU/ml HBV-DNA sind in der Regel keine Einschränkungen oder
besonderen Sicherheitsmaßnahmen erforderlich. Bei höherer Virämie sollte eine Kommission
über die vertretbaren Tätigkeiten entscheiden. Bei Tätigkeiten mit Übertragungsgefahr
muss die Virämie mittels einer sensitiven, quantitativen HBV-DNA-Nachweistechnik engmaschig
kontrolliert werden: alle 3 Monate, solange HBV-DNA im Serum nachweisbar ist; alle
6 Monate, solange bei nicht nachweisbarer HBV-DNA das HBsAg nachweisbar ist. Bei stabil
negativen HBV-DNA-Werten sollten alle 6 Monate das HBsAg und Anti-HBs bestimmt werden;
alle 12 Monate nach HBsAg-Verlust bzw. Serokonversion von HBsAg zu Anti-HBs. Nach
einem stabilen HBsAg-Verlust bzw. einer Serokonversion von HBsAg zu Anti-HBs ist von
einer stabilen Remission auszugehen. Es besteht jedoch ein Risiko einer Reaktivierung,
z. B. bei Immunsuppression [89 ].
Als HCW gelten alle medizinisch, zahnmedizinisch, pflegerisch, geburtshelferisch oder
assistierend am Patienten Tätigen in unterschiedlichen Bereichen, z. B. Krankenhäusern,
Ambulanzen, Arztpraxen, Dialyseeinrichtungen, Pflegeheimen und ambulant tätigen Pflegeeinrichtungen.
Entscheidend bei o. g. Tätigkeiten ist die Existenz eines möglichen Übertragungsweges.
Die Tätigkeit selbst muss nicht mit einer Anstellung verbunden sein und umfasst daher
auch den Personenkreis der Belegärzte, Honorarärzte, Gastärzte, Praktikanten, Hospitanten
und Famulanten.
Bei Werten zwischen 200 und 20 000 IU/ml soll eine individuelle Bewertung des Übertragungsrisikos
je nach Tätigkeit erfolgen und ggf. sollen Maßnahmen zur Senkung der Übertragungsgefahr
ergriffen werden [EK].
Konsens: 96,3 % (Konsensuskonferenz)
Neu 2020
Kommentar:
Annähernd 500 HBV-Übertragungen durch wenigstens 52 HCW wurden bislang beschrieben,
deren HBV-DNA-Konzentrationen zum Zeitpunkt ihrer Untersuchung alle erheblich über
2000 IU/ml lagen (Evidenz 3b) [326 ].
Bei Werten zwischen 200 und 20 000 IU/ml HBV-DNA ist das Risiko einer Übertragung
bedingt z. B. durch die Verletzungsgefahr des HCW bei invasiven chirurgischen Tätigkeiten
immer noch sehr gering, aber nicht mehr vernachlässigbar. Werden tatsächlich Tätigkeiten
mit Übertragungsgefahr ausgeübt, sollte in diesem Fall eine Ad-hoc-Kommission prüfen,
ob (1) eine besonders hohe Übertragungsgefahr vorliegt, (2) die Übertragungsgefahr
durch zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen verringert werden kann oder (3) diese Tätigkeiten
zukünftig vermieden werden müssen (zu Einzelheiten und Vorgehensweisen siehe: [89 ]).
Konstant hohe HBV-DNA-Konzentrationen von > 20 000 IU/ml sind mit einer übertragungsträchtigen
Tätigkeit gemäß Empfehlung der Deutschen Vereinigung zur Bekämpfung der Viruskrankheiten
(DVV) nicht vereinbar.
Konsens: 100 % (Konsensuskonferenz)
Neu 2020
Kommentar:
Institutionen und Fachgesellschaften aus den USA, Kanada und Australien benennen in
ihren Empfehlungen teilweise andere Grenzwerte und Kategorien zur Vermeidung von HBV-Übertragungen
bei medizinischen Eingriffen. Die in der DVV-Empfehlung ausgeführten Betrachtungen
entsprechen diesen Empfehlungen; die empfohlenen Maßnahmen sind in der DVV-Empfehlung
jedoch zum Teil strenger formuliert [89 ].
Ausblick:
Die Schutzdauer der HBV-Impfung ist nach wie vor nicht geklärt. Über die Persistenz
schützender Antikörper liegt eine Vielzahl von Studien vor. Die Datenlage zur Persistenz
des immunologischen Gedächtnisses, das nach dem Verschwinden der schützenden Antikörper
für den Schutz vor Erkrankung im Falle einer Infektion verantwortlich ist, ist aber
nach wie vor nicht ausreichend. Hier sind weitere Untersuchungen dringend notwendig,
zumal bei 30–50 % der im Säuglingsalter geimpften Personen bereits nach 10–15 Jahren
der Anti-HBs-Spiegel unter 10 IU/l abgesunken ist.
Die Wirksamkeit (vor allem auch die Dauer des Schutzes vor Infektion) und die Antigenzusammensetzung
der in Deutschland verfügbaren Impfstoffe sollten insbesondere für spezielle Risikogruppen
verbessert werden (z. B. Dialysepatienten, Non- bzw. Lowresponder, Personen über 40
Jahre etc.). Dies könnte durch Einschluss von weiteren viralen Epitopen, z. B. der
PräS-Domänen der HBV-Oberflächenproteine, erreicht werden. Bereits getestete PräS-haltige
Impfstoffe zeigen schnellere und bessere Ansprechraten bei Neugeborenen sowie Non-
und Lowrespondern im Vergleich zu konventionellen Vakzinen [327 ].
6 Management der relevanten HBV-Koinfektionen
H. Wedemeyer , A. Wranke, L. Sandmann, H. Klinker, P. Ingiliz, S. Christensen
6.1 Bei welchen Patienten mit HBV/HDV-Infektion soll eine Therapie durchgeführt werden?
Wie soll die antivirale Therapie durchgeführt werden?
Der Einsatz von pegyliertem Interferon alfa (PEG-IFN) soll bei allen Patienten mit
chronischer HBV/HDV-Koinfektion und einer kompensierten Lebererkrankung geprüft werden
[2, A].
Konsens: 100 % (Konsensuskonferenz)
Geprüft 2020
Kommentar:
Eine chronische HDV-Infektion ist im Vergleich zu Patienten, die nur mit HBV infiziert
sind, mit einem höheren Risiko für die Entwicklung einer Leberzirrhose verbunden.
Dies wurde in Kohortenanalysen aus den 1980er- und 1990er-Jahren gezeigt und kürzlich
in mehreren systematischen Übersichten bestätigt (Evidenz 2a) [328 ]
[329 ]
[330 ]
[331 ].
Etwa 20 % aller Leberzirrhosen bei HBsAg-positiven Patienten sind auf eine HDV-Koinfektion
zurückzuführen. [331 ] Das relative Risiko für die Entwicklung einer Leberzirrhose war in einer Metaanalyse
für Anti-HDV-positive Patienten 3,84-fach höher als bei HBV-Monoinfizierten (95 %-KI,
1,79–8,24) [330 ].
Die HDV-Infektion ist zudem ein unabhängiger Risikofaktor für die Entstehung eines
hepatozellulären Karzinoms. Eine Metanalyse zeigte ein relatives HCC-Risiko bei mit
HBV/HDV koinfizierten Patienten von 1,3. Ein besonders hohes HCC-Risiko besteht für
HBV/HDV/HIV-infizierte Patienten (OR 7,1). Insgesamt ließ sich das erhöhte HCC-Risiko
allerdings nur für asiatische Patientenkohorten nachweisen (Evidenz 2a) [332 ].
Die 5-Jahres-Mortalität ist bei Patienten mit chronischer Hepatitis B/D gegenüber
Patienten mit alleiniger Hepatitis B ungefähr verdoppelt (Evidenz 2b) [328 ]
[329 ].
Unter den 8 bekannten HDV-Genotypen [333 ] scheint der in Deutschland vorherrschende HDV-Genotyp 1 mit einem schlechten Überleben
bei chronischer Infektion assoziiert zu sein. [334 ] Bei Einwanderern aus Westafrika findet sich dagegen häufig der HDV-Genotyp 5, der
mit einem besseren Ansprechen auf eine antivirale Therapie mit pegyliertem Interferon
alfa vergesellschaftet zu sein scheint (Evidenz 3b) [335 ]
[336 ].
Pegyliertes Interferon alfa (PEG-IFN) ist zur Therapie der Hepatitis B zugelassen
und hat auch eine Wirkung gegen HDV. [337 ] Unter einer Interferon-alfa-Therapie (Standard Interferon oder PEG-IFN) zeigen sich
HDV-RNA-Suppressionen von bis zu 47 %. Die höchsten Ansprechraten sind in kleineren
Kohortenstudien dokumentiert.
In den 2 großen kontrollierten, prospektiven HIDIT-Studien betrug die Ansprechrate
zum Therapieende 23–48 %, und 24 Wochen nach Therapieende wiesen nur etwa 25 % der
Patienten eine negative HDV-RNA auf (Evidenz 1b) [338 ]
[339 ].
Im weiteren Langzeitverlauf hatten allerdings ca. 50 % der untersuchten Patienten
einen späten HDV-RNA Relapse (Evidenz 2b) [340 ].
Eine erfolgreiche Therapie mit Interferon alfa ist mit einem günstigeren Langzeitverlauf
assoziiert. Das Risiko, klinische Komplikationen einer Leberzirrhose zu entwickeln,
war bei Patienten, die mit pegyliertem Interferon alfa behandelt wurden, in Kohorten
in Ankara [341 ], Hannover [342 ], Frankreich [336 ] und Schweden [343 ] geringer. Ein negatives Testergebnis für HDV-RNA war mit einem günstigeren klinischen
Verlauf assoziiert (Evidenz 2b).
Wenn zusätzlich zur negativen HDV-RNA ein HBsAg-Verlust erreicht wurde, konnte ein
sehr günstiger Langzeitverlauf beobachtet werden [342 ]
[344 ].
Die Frage, ob ein relativer HDV-RNA-Abfall bei noch nachweisbarer HDV-RNA (zum Beispiel
um das 100-Fache (2 Log-Stufen)) bereits die Prognose verbessert, wird kontrovers
diskutiert [345 ].
Nukleosidanaloga und Nukleotidanaloga zur Behandlung der chronischen Hepatitis B haben
keine direkte antivirale Wirksamkeit gegen HDV (Evidenz 1b). [338 ] Ein möglicher Nutzen der NA-Therapie bei der HBV/HDV-Koinfektion wird unter 6.1.3
diskutiert.
Die Bedeutung neuer antiviraler Therapien gegen HDV, die sich in klinischer Entwicklung
befinden, wird derzeit in Phase-2- und Phase-3-Studien untersucht [100 ]. Der Prenylierungsinhibitor Lonafarnib wird als Monotherapie über 48 Wochen und
in Kombination mit PEG-Interferon alfa-2a untersucht. Der HBV-Eintrittshemmer Bulevirtid
wird in 2 verschieden Dosen (2 mg und 10 mg s. c. täglich) über 2 und 3 Jahre getestet.
Eine vorläufige Zulassung von Bulevirtid ist im Juli 2020 für Hepatitis-D-Patienten
mit kompensierter Lebererkrankung durch die EMA erfolgt. Fallberichte zur Therapie
mit Bulevirtid zeigen eine Verbesserung der ALT auch bei Patienten mit Leberzirrhose
(Evidenz 4) [346 ].
Für den Einsatz von Bulevirtid bei Patienten mit chronischer Hepatitis B/D wird zeitnah
ein Addendum erstellt.
Anmerkung: Die Herstellerfirma des PEG-Interferon alfa-2a hat im Juli 2020 angekündigt,
dieses weltweit vom Markt zu nehmen. Aktuelle Projektionen gehen von einer Verfügbarkeit
in Deutschland bis zum Jahresende 2022 aus. Der Marktrückzug betrifft alle Handelsformen;
es besteht kein Zusammenhang mit der Sicherheit oder Wirksamkeit des Produkts. Bis
zur letzten Lieferung ist die bekannte Qualität gewährleistet. Der aktuelle Bestand
des Arzneimittels wird abverkauft, eine Produktion findet nicht mehr statt (https://www.roche.de/medien/meldungen/Mittelfristig-laeuft-Pegasys-aus-Alle-1-5163.html ).
Wir werden rechtzeitig ein Addendum veröffentlichen.
Die Therapiedauer mit PEG-IFN sollte mindestens 48 Wochen betragen [2, B]. Eine Therapieverlängerung
kann bei einem Abfall des HBsAg und guter Verträglichkeit mit dem Ziel eines HBsAg-Verlustes
erwogen werden [EK].
Konsens: 97,8 % (Konsensuskonferenz)
Modifiziert 2020
Evidenztabelle siehe Leitlinienreport Anhang III
Kommentar:
Die Mehrzahl der bisherigen Studien zur Therapie der Hepatitis D hat eine Therapiedauer
von 48 Wochen untersucht [337 ].
Die HIDIT-1-Studie des Kompetenznetzes Hepatitis konnte zum Therapieende bei 23 %
bzw 24 % der 60 mit PEG-IFNa-2a behandelten Patienten eine Unterdrückung der Viruslast
mit oder ohne zusätzliche Gabe von Adefovir-Dipivoxil bei einer 48-wöchigen Behandlung
mit PEG-Interferon alfa-2a erreichen. 24 Wochen nach Ende der Behandlung lag die Rate
der Patienten mit negativer HDV-RNA bei 28 % [338 ].
Therapiestudien, die eine kürzere Therapie als 48 Wochen untersucht haben, liegen
nicht vor.
Derzeit gibt es auch keine Evidenz, dass eine Therapieverkürzung im Sinne einer „Response-guided“-Therapie
auf der Basis einer HDV-RNA-Kinetik während der Behandlung (analog zur Hepatitis-C-Therapie
mit PEG-IFN) sinnvoll ist. Zwar ist ein Abfall der HDV-RNA zu Therapiewoche 24 mit
einem virologischen Ansprechen am Therapieende (Woche 48) assoziiert, allerdings ließen
sich keine Stoppregeln identifizieren, die mit ausreichender Wahrscheinlichkeit ein
Therapieversagen vorhersagen [347 ].
Eine weitere randomisierte Studie des Kompetenznetzes Hepatitis hat bei 120 Patienten
eine verlängerte PEG-Interferon-alfa-2a-Therapie von 96 Wochen untersucht, wobei die
Hälfte der Patienten zusätzlich mit Tenofovir (TDF) behandelt wurde. Am Ende der Therapie
waren 48 Patienten (40 %) HDV-RNA-negativ. Die meisten Patienten wurden in den ersten
48 Wochen der Therapie HDV-RNA-negativ; nur 2 Patienten erreichten dieses Ziel während
der Therapieverlängerung bis Woche 96. Allerdings traten trotz der verlängerten Therapie
bei 40 % der Patienten (19/48), die zum Therapieende eine negative HDV-RNA aufwiesen,
Virusrückfälle bis zur Nachbeobachtungswoche 24 auf. Das bedeutet, dass 26,7 % der
Patienten 24 Wochen nach Therapieende HDV-RNA-negativ waren. Damit konnte mit einer
verlängerten Behandlung die Zahl der Patienten mit dauerhafter HDV-RNA-Unterdrückung
nicht relevant gesteigert werden, weshalb eine auf 96 Wochen verlängerte Therapie
nicht generell gerechtfertigt ist (Evidenz 2b) [339 ].
Wird während einer Behandlung mit PEG-IFN jedoch ein Abfall des HBsAg beobachtet,
so kann in diesen Fällen eine Fortsetzung der Behandlung über Therapiewoche 48 hinaus
gerechtfertigt sein. In diesen Fällen kann das Ziel eines HBsAg-Verlusts bei einigen
Patienten erreicht werden. Ein HBsAg-Verlust ist mit einem verbesserten klinischen
Langzeitverlauf assoziiert. [100 ]
[342 ] Damit wäre eine funktionelle Ausheilung der zugrunde liegenden HBV-Infektion erreicht,
womit auch die HDV-Infektion ausgeheilt wäre. Die Dauer der Therapie sollte in diesem
Fall individuell an den Abfall des HBsAg angepasst werden. Quantitative HBsAg-Bestimmungen
alle 3–6 Monate unter einer verlängerten PEG-IFN-Therapie sollten erfolgen. In Fallserien
aus Italien und Deutschland [344 ], der Türkei [341 ] und den USA [348 ] sind HBsAg-Verluste nach Therapiedauern von bis zu 4 Jahren beschrieben (Evidenz
3b). Bei der verlängerten Therapie sollen aber die Verträglichkeit der Behandlung
und das Risiko für schwerwiegende Nebenwirkungen berücksichtigt werden.
Bei nachweisbarer HBV-Replikation können Nukleos(t)idanaloga (NA) gegen HBV eingesetzt
werden [EK].
Konsens: 97,8 % (Konsensuskonferenz)
Neu 2020
Kommentar:
Nukleos(t)idanaloga (NA) gegen HBV haben keine direkte antivirale Wirksamkeit gegen
HDV. Es liegen negative Studien für Famciclovir [349 ], Lamivudin [350 ], Entecavir (Evidenz 3b) [351 ] und Adefovir (Evidenz 1b) [338 ] vor.
Ebenso zeigte Tenofovir (TDF) in Kombination mit PEG-IFN keinen zusätzlichen Effekt
im Vergleich zu PEG-IFN allein (Evidenz 1b) [339 ].
In einer spanischen Kohorte von HBV/HDV/HIV-infizierten Patienten wurde allerdings
bei 10 von 19 Patienten während einer Langzeittherapie mit Tenofovir (TDF) eine Abnahme
der HDV-RNA beobachtet (Evidenz 3b) [352 ].
In einer Kohorte von HBV/HDV/HIV-infizierten Patienten aus der Schweiz, die eine Tenofovir-haltige
antiretroviale Therapie erhielten, zeigten nur 28,6 % eine Reduktion der HDV-RNA von
≥ 2,0 log, und 14,3 % hatten innerhalb von 5 Jahren eine negative HDV-RNA. Eine Reduktion
des HBsAg konnte hier nicht dokumentiert werden (Evidenz 3b) [353 ].
Ob der Abfall der HDV-RNA bei einigen HBV/HDV/HIV-infizierten Patienten direkt durch
TDF induziert ist oder durch Immunphänomene (z. B. Immunrekonstitution bei HIV), ist
nicht klar. Es wurde gezeigt, dass TDF Interferon lambda induzieren kann [354 ].
Der klinische Verlauf von Patienten, die NA erhalten haben, wurde in retrospektiven
Studien untersucht und hat im Vergleich zu PEG-IFN-Therapien schlechtere Verläufe
für eine alleinige NA-Therapie gezeigt. Allerdings ist hier ein Bias zu berücksichtigen,
da alleinige NA-Therapien in der Regel bei Patienten durchgeführt wurden, die Kontraindikationen
für PEG-IFN aufwiesen (z. B. fortgeschrittene Zirrhosen) [342 ]
[343 ].
Für die Therapie mit NA bei Patienten mit chronischer Hepatitis D und positiver HBV-DNA
mit dem Ziel, den Progress der Lebererkrankung durch die Suppression der HBV-DNA zu
senken, gibt es bislang wenig Evidenz. Dennoch ist davon auszugehen, dass die Therapieprinzipien,
die bei der HBV-Monoinfektion empfohlen sind (siehe 2 und 3), auch bei der Koinfektion
mit HDV einen klinischen Nutzen im Sinne einer Reduktion von Komplikationen der Lebererkrankung
haben. In der Mehrzahl der Fälle haben Patienten mit einer Hepatitis D unabhängig
vom HBeAg-Status niedrige HBV-DNA-Werte [355 ]
[356 ].
Patienten mit dekompensierter Leberzirrhose oder akuter fulminanter Hepatitis D sollen
für eine Lebertransplantation evaluiert werden [EK].
Konsens: 100 % (Konsensuskonferenz)
Modifiziert 2020
Kommentar:
Ist aufgrund einer fortgeschrittenen Leberzirrhose mit entsprechenden Komplikationen
keine antivirale Therapie mit PEG-IFN oder mit neuen antiviralen Therapien möglich,
bleibt nur die Lebertransplantation als Therapieoption. Patienten, die aufgrund einer
Hepatitis D lebertransplantiert werden müssen, haben im Vergleich zu anderen Indikationen
eine sehr gute Prognose nach einer Lebertransplantation. [252 ] Reinfektionen mit HBV und HDV können mittels passiver Immunisierung gegen HBV und
gleichzeitiger Gabe von NA gegen HBV verhindert werden (siehe 4.3).
6.2 Bei welchen Patienten mit HBV/HCV-Koinfektion soll eine Therapie durchgeführt
werden? Wie soll die antivirale Therapie durchgeführt werden?
Eine replikative Hepatitis C (HCV-RNA positiv) soll bei allen HBsAg-positiven Personen
antiviral behandelt werden [2, A[* ]]. Die Auswahl des Therapieregimes erfolgt analog zur HCV-Monoinfektion. Die Indikation
zur Therapie der HBV-Infektion erfolgt analog zur Therapieindikation bei der HBV-Monoinfektion
(siehe 2.2).
Konsens: 100 % (Konsensuskonferenz)
Modifiziert 2020
Leitlinienadaptation DGVS HCV-Leitlinie
Kommentar:
Analog der S3-Leitline zur Hepatitis C sollen alle Patienten mit replikativer Hepatitis
C behandelt werden [12 ]. Dazu gehören auch HBV/HCV-koinfizierte Patienten.
Eine gleichzeitige, chronische Infektion mit HBV und HCV bedingt eine signifikant
schlechtere Prognose der resultierenden Lebererkrankung. Bei der Behandlung bzw. Überwachung
dieser Patienten sollen daher beide Infektionen berücksichtigt werden [12 ].
In Australien war die Wahrscheinlichkeit, an einer Lebererkrankung zu versterben,
32,9-fach erhöht für Patienten mit einer HBV/HCV-Koinfektion (95 %-Konfidenzintervall
23,1–46,7). Das war deutlich erhöht im Vergleich zu Patienten mit den jeweiligen Monoinfektionen
(12,2-fach für Hepatitis B bzw. 16,8-fach für Hepatitis C) (Evidenz 2b) [357 ].
Die HBV/HCV-Koinfektion führt zu einem höheren Risiko, im weiteren Verlauf ein Leberzellkarzinom
(HCC) zu entwickeln, als die Infektion mit einem der beiden Hepatitisviren allein
(Evidenz 2a) [358 ]
[359 ].
Es gibt hier allerdings auch ein systematisches Review, das kein erhöhtes HCC-Risiko
für HBV/HCV-Koinfizierte im Vergleich zu Patienten mit einer Monoinfektion nachweisen
konnte [360 ].
Da das Risiko aber auch nicht vermindert ist und die meisten Daten ein erhöhtes HCC-Risiko
dokumentieren, sollte bei fortgeschrittener Fibrose (Metavir F3 und F4) frühzeitig
eine regelmäßige Tumorsurveillance mittels halbjährlicher Ultraschalluntersuchung
der Leber eingeleitet werden [12 ].
Eine serologisch ausgeheilte Hepatitis B (HBsAg negativ/Anti-HBc positiv) war in einigen,
aber nicht allen Studien mit einem erhöhten Risiko für ein HCC bei Hepatitis-C-Patienten
assoziiert. Allerdings variiert der Effekt sehr stark zwischen verschiedenen Kohorten,
Regionen und Komorbiditäten [170 ]
[361 ].
Bei HBV/HCV-koinfizierten Patienten ist in der Mehrzahl der Fälle das HCV dominant,
die HBV-Virusreplikation ist häufig unterdrückt [362 ]
[363 ]. Grundsätzlich wird die antivirale Wirksamkeit der Substanzen gegen HBV bzw. HCV
nicht durch die jeweils andere Koinfektion beeinflusst. Für HBsAg-positive Patienten
sind sehr hohe Ausheilungsraten einer HCV-Infektion mit neuen, direkt antiviralen
Substanzen gegen HCV beschrieben, die sich nicht von HCV-Monoinfizierten unterscheiden.
[364 ] Umgekehrt sind NA gegen HBV auch im Kontext einer HCV-Infektion effektiv [363 ]. Damit können die Substanzen analog zu jeweiligen Monoinfektion ausgewählt werden.
Die Indikationsstellung für eine antivirale Therapie der jeweiligen Infektion sollte
analog zu den Monoinfektionen erfolgen. D.h., dass jeder HBsAg-positive Patient mit
Nachweis einer HCV-Replikation prinzipiell bezüglich einer antiviralen Therapie gegen
HCV evaluiert werden sollte. Umgekehrt ist die Indikation für eine NA-Therapie gegen
HBV bei HCV-koinfizierten Patienten, bei allen Patienten mit einer Leberzirrhose und
nachweisbarer HBV-DNA und bei nicht zirrhotischen Patienten mit einer HBV-DNA von
> 2000 IU/ml zu prüfen.
Bei allen HBsAg-positiven Patienten soll während und nach der HCV-Therapie eine Überwachung
von HBV-DNA und ALT durchgeführt werden [2, A]. Eine prophylaktische Therapie zur
Verhinderung einer HBV-Reaktivierung braucht i. d. R. nicht zu erfolgen [0, 2]. Eine
antivirale Therapie der HBV-Infektion sollte bei einer klinisch relevanten Reaktivierung
erfolgen [2, B].
Konsens: 100 % (Konsensuskonferenz)
Neu 2020
Evidenztabelle siehe Leitlinienreport Anhang III
Kommentar:
Prinzipiell kann eine Ausheilung einer HCV-Infektion bei HBsAg-positiven Patienten
zu einem Anstieg der HBV-DNA führen. Dies ist bereits im Kontext von Behandlungen
mit PEG-IFN gezeigt worden [365 ].
Der Einsatz von direkt antiviralen Substanzen gegen HCV ist in Fallberichten mit einer
Steigerung der HBV-Replikation assoziiert worden, die zu deutlichen Transaminasenanstiegen
geführt hat. [366 ]
[367 ] In Einzelfällen hat eine HBV-Reaktivierung zu Leberversagen mit der Notwendigkeit
von Lebertransplantationen geführt [367 ].
Als klinische relevante Reaktivierung der Hepatitis B kann ein Anstieg der HBV-DNA angesehen werden, der eine Therapieindikation einer
Monoinfektion nahelegen würde. Das bedeutet, dass für Anstiege auf > 2000 IU/ml bei
nichtzirrhotischen Patienten und bei jedem Nachweis einer HBV-DNA bei Patienten mit
Leberzirrhose eine NA-Therapie evaluiert werden sollte.
Eine prospektive Studie aus Taiwan hat eine Sofosbuvir/Ledipasvir-Behandlung bei HBsAg-positiven
Patienten untersucht. Hier zeigte sich in 39 von 74 Fällen ein Anstieg der HBV-DNA
im Verlauf der Therapie. Allerdings entwickelten in diesem Zusammenhang nur 5 Patienten
einen ALT-Anstieg auf das 2-Fache des oberen Normwerts, von denen wurde bei 3 Patienten
eine antivirale Therapie gegen Hepatitis B eingeleitet (Evidenz 2b) [364 ].
Diese Beobachtung ist in Übereinstimmung mit weiteren kleineren Fallserien. In einer
Metaanalyse wurde das Risiko für eine HBV-Reaktivierung im Kontext einer interferonfreien
Therapie gegen HCV analysiert. HBV-Reaktivierungen scheinen während oder nach einer
inferferonfreien HCV-Therapie zeitlich früher aufzutreten als bei interferonhaltigen
Therapien [366 ]
[367 ]. Das Risiko für HBV-Reaktivierungen bei HBsAg-positiven Patienten wurde in einer
anderen Metaanalyse mit 24 % angegeben (95 %-Konfidenzintervall 19–30 %) (Evidenz
2a) [367 ].
Zusammenfassend besteht keine Notwendigkeit einer generellen prophylaktischen NA-Therapie
gegen HBV, wenn bei HBsAg-positiven Patienten (ohne sonstige Therapieindikation) eine
Hepatitis-C-Therapie durchgeführt wird. Allerdings sind Anstiege der HBV-DNA häufig,
und in Einzelfällen können Transaminasenanstiege auftreten. Sollte eine Therapieindikation
für die Hepatitis B bestehen, sollte die Anti-HBV-Therapie dann möglichst vor Beginn
einer Hepatitis-C-Behandlung eingeleitet werden.
Wird eine antivirale Therapie der HCV-Infektion bei Anti-HBc-positiven/HBsAg-negativen
Personen durchgeführt, soll eine HBV-DNA-Testung bei Verdacht auf eine HBV-Reaktivierung
erfolgen [2, A].
Konsens: 97,8 % (Konsensuskonferenz)
Neu 2020
Evidenztabelle siehe Leitlinienreport Anhang III
Kommentar:
Einzelne Fallberichte von HBV-Reaktivierungen wurden im Zusammenhang mit einer direkt
antiviralen Therapie von HCV-Infektionen bei HBsAg-negativen/Anti-HBc-positiven Patienten
beschrieben. Andere Kohortenstudien haben keine oder nur sehr wenige HBV-Reaktivierungen
beobachtet. Das Risiko für eine HBV-Reaktivierung bei HBsAg-negativen/Anti-HBc-positiven
Patienten ist daraufhin in Metaanalysen untersucht worden. Insgesamt ist das Risiko
für eine HBV-Reaktivierung gering und beträgt zwischen 1 % und 2 % während und nach
einer HCV-Therapie bei HBsAg-negativen/Anti-HBc-positiven Patienten (Evidenz 2a) [366 ]
[367 ].
Besteht ein klinischer Verdacht auf eine HBV-Reaktivierung, z. B. aufgrund einer fehlenden
Normalisierung oder sogar eines Anstiegs der ALT- und/oder AST-Werte im Verlauf der
Hepatitis-C-Therapie, soll eine Untersuchung auf HBV-DNA folgen, mit möglicherweise
anschließender Einleitung einer antiviralen Therapie gegen Hepatitis B. Es gibt jedoch
keine Evidenz für eine generelle prophylaktische Anti-HBV-Therapie, wenn bei HBsAg-negativen/Anti-HBc-positiven
Patienten eine Hepatitis-C-Therapie eingeleitet wird.
Bei Anti-HCV-positiven/HCV-RNA-negativen Personen soll die Indikationsstellung zur
Therapie der HBV-Infektion analog zu Anti-HCV-negativen Personen erfolgen [EK].
Konsens: 100 % (Konsensuskonferenz)
Neu 2020
Kommentar:
Ein Zustand nach Hepatitis C (Anti-HCV-positiv/HCV-RNA-negativ) hat keinen Einfluss
auf die Indikationsstellung und Durchführung einer antiviralen Therapie gegen Hepatitis
B. Patienten, die die HCV-Infektion spontan ausgeheilt haben, haben kein signifikantes
Rückfallrisiko und auch eine normale Lebenserwartung. [368 ] Rückfälle nach Ausheilung einer chronischen Hepatitis C mit neuen direkt antiviralen
Substanzen gegen Hepatitis C sind ebenfalls extrem selten mit einer Häufigkeit von
< 1 % nach mehr als 24 Wochen nach Therapieende. [369 ] Dementsprechend ist eine Einleitung einer Hepatitis-B-Therapie bei Patienten mit
Zustand nach Hepatitis C unbedenklich. Es besteht kein Risiko für HCV-Reaktivierungen.
Aufgrund der zuvor bestandenen Koinfektion und des damit verbundenen erhöhten Risikos
für die Ausbildung von klinischen Komplikationen sollte eine HBV-Therapie in jedem
Fall auch nach Ausheilung einer Hepatitis C erfolgen, um das Risiko für die Entwicklung
einer Leberzirrhose und eines HCC zu reduzieren.
6.3 Wie sollte die antivirale Therapie bei HBV/HCV/HDV-Dreifachinfektionen durchgeführt
werden?
Die Therapie orientiert sich an der dominanten Virushepatitis und entspricht den bei
HBV/HDV- und HBV/HCV-Doppelinfektionen etablierten Prinzipien.
Konsens: 100 % (Konsensuskonferenz)
Geprüft 2020
Kommentar:
Bei einer HBV/HDV/HCV-Koinfektion dominierte in der Mehrzahl der Studien die HCV-Infektion
oder HDV-Infektion (keine Änderung zu [5 ]).
Der virologische Status ist allerdings nicht stabil und kann einer dynamischen Entwicklung
unterliegen. Daher sind sequenzielle Verlaufskontrollen für eine Charakterisierung
des jeweiligen Infektionsmusters notwendig. Obgleich Querschnittuntersuchungen belegen,
dass bei HIV-infizierten Patienten HBV und HDV inhibitorische Effekte auf die HCV-Replikation
ausüben, ist die Gefahr einer HCV-Reaktivierung bei suffizienter HIV/HBV-Therapie
gering (keine Änderung zu [5 ]).
6.4 Bei welchen Patienten mit HBV/HIV-Koinfektion soll eine Therapie durchgeführt
werden? Wie soll die antivirale Therapie bei Patienten mit HBV/HIV-Koinfektion durchgeführt
und überwacht werden?
Die chronisch-replikative Hepatitis B (HBV-DNA positiv) soll bei HIV-Koinfizierten
antiviral behandelt werden [2, A].
Konsens: 100 % (Konsensuskonferenz)
Modifiziert 2020
Leitlinienadaptation EASL Clinical Practice Guideline HBV 2017
Kommentar:
Weltweit sind mehr als 3 Millionen Menschen mit HIV und HBV infiziert [370 ].
Die deutsch-österreichischen HIV-Leitlinien sowie die europäischen HIV- und EASL-Hepatitis-B-Leitlinien
empfehlen eine antiretrovirale Therapie (ART) bei HBV/HIV-Koinfektion unabhängig von
der CD4-Zellzahl im Blut aufgrund eines erhöhten Risikos einer Fibroseprogression
bis zur Leberzirrhose und Entstehung eines hepatozellulären Karzinoms (HCC). Umgekehrt
sollte gemäß diesen Leitlinien auch die HBV-Infektion entsprechend antiviral behandelt
werden [6 ]
[371 ]
[372 ].
Die HBV-Therapie soll im Rahmen einer antiretroviralen HIV-Therapie erfolgen [1, A].
Die antiretrovirale Therapie soll Tenofovir (TDF oder TAF) enthalten [1, A].
Konsens: 100 % (Konsensuskonferenz)
Modifiziert 2020
Leitlinienadaptation EASL Clinical Practice Guideline HBV 2017
Kommentar:
Bei Personen mit HIV-Koinfektion soll die Behandlung von HBV mit der HIV-Therapie
koordiniert werden, da mehrere HBV-Medikamente eine Anti-HIV-Wirkung haben [6 ]
[7 ].
Eine Tenofovir (TDF oder TAF) enthaltende ART ist sowohl gegen HIV als auch gegen
HBV wirksam. Mit Beginn der Behandlung sollten mögliche Nebenwirkungen überwacht werden
(siehe 3.2.2). Eine Therapieumstellung von TDF auf TAF ist bei Nebenwirkungen (Niereninsuffizienz
und Knochenstoffwechselstörungen) empfohlen.
Bei einem Wechsel der ART von einem TDF- auf ein TAF-haltiges ART-Regime bei Patienten
mit supprimierter HIV- und HBV-Viruslast blieben mehr als 90 % der Patienten virologisch
für beide Infektionen supprimiert. Dabei verbesserten sich Surrogatmarker der Nierenfunktion
und die Knochendichte nach Wechsel zu einer TAF enthaltenden ART [373 ].
Nach Einleitung einer ART bei schlechtem Immunstatus und einer Leberzirrhose kann
ein Immunrekonstitutionssyndrom mit dem Risiko eines hepatitischen „flare“ und Leberdekompensation
auftreten. Diese Patienten benötigen in den ersten Monaten eine engmaschige Überwachung.
Eine Unterbrechung der Therapie mit TDF oder TAF sollte aufgrund einer möglichen Reaktivierung
der HBV-Infektion mit dem Risiko eines hepatitischen „Flare“ und Leberdekompensation
vermieden werden. Bei Kontraindikation gegen TDF oder TAF besteht die Möglichkeit
der Gabe von Entecavir (ETV), das nur eine schwache antiretrovirale Wirksamkeit gegenüber
HIV hat. Vorbehandlungen mit Lamivudin (3TC) oder Emtricitabin (FTC) müssen berücksichtigt
werden. Bei Wechsel von TDF/TAF auf Wirkstoffe mit niedrigerer genetischer Barriere
wie ETV besteht das Risiko eines viralen Durchbruchs, insbesondere bei Patienten mit
einer 3TC/FTC-Vorbehandlung und Leberzirrhose.
Bei günstigen Voraussetzungen (HBV-Genotyp A, hohe ALT, niedrige HBV-DNA) kann eine
Therapie mit pegyliertem Interferon alpha versucht werden (keine Änderung zu [5 ]).
Therapieüberwachung und Therapieanpassungen sollten unter Beachtung der HIV-Koinfektion
entsprechend den Empfehlungen bei HBV-Monoinfizierten durchgeführt werden [EK].
Konsens: 100 % (Konsensuskonferenz)
Geprüft 2020
Kommentar:
Die Überwachung der HBV-Therapie unterscheidet sich bei HIV-Koinfizierten nicht von
Patienten mit einer HBV-Monoinfektion. Sollte es zu einem Progress der Lebererkrankung
kommen, kann auch die Lebertransplantation eine therapeutische Option sein (keine
Änderung zu [5 ]).
7 Hepatitis-B-Virusinfektion im Kindes- und Jugendalter
S. Wirth , P. Gerner, G. Flemming, J. de Laffolie, T. Lang, M. Melter, W.D. Huber
Vorbemerkung
Die folgenden Ausführungen orientieren sich an den unter Abschnitt 9 ausgeführten
Empfehlungen der von der AASLD 2016 publizierten Leitlinie zur Therapie der chronischen
Hepatitis B. Es gibt keine wesentlichen Abweichungen in den Empfehlungen; es wurden
allerdings die Zulassungskonditionen für die Medikamente an die europäischen Bedingungen
angepasst [7 ].
Die akute Hepatitis B wird aufgrund häufig symptomarmer Verläufe bei Kindern relativ
selten diagnostiziert. Die chronische Hepatitis B im Kindes- und Jugendalter ist eine
seltene Erkrankung. Aufgrund einiger Unterschiede im klinischen Verlauf und in Bezug
auf Therapiemöglichkeiten ist es sinnvoll, diese Altersgruppe in einem Kapitel separat
zu betrachten.
Epidemiologie und Verlauf der HBV-Infektion im Kindes- und Jugendalter
Von der Gesamtzahl der ca. 400 000 HBV-Träger in Deutschland werden nur etwa 5 % für
das Kindes- und Jugendalter geschätzt. Allerdings wird davon ausgegangen, dass fast
1/3 der Träger die Infektion im Kindesalter erworben hat. Hiervon sind besonders Migrantenkinder
betroffen. Die Zahl der akuten Infektionen steigt im Alter zwischen 15 und 19 Jahren
vor allem bei Männern deutlich an. Die sexuelle Transmission und die horizontale Übertragung
in Wohngemeinschaften sind die häufigsten Übertragungswege [374 ]
[375 ].
Bei hoher Konzentration von HBV im Blut reichen für eine Infektion minimale Blutmengen
von 0,1 µl aus. Die Übertragung der Viren kann somit immer auch über Haut- und Schleimhautläsionen
erfolgen. Das HBV kann durch medizinische und zahnärztliche Eingriffe, Tätowieren,
Piercing etc. übertragen werden. Transfusionen und die Gabe von Blutprodukten (Gerinnungspräparate,
Immunglobuline, Humanalbumin, tiefgefrorenes Frischplasma etc.) stellen kein nennenswertes
Risiko mehr dar. Eltern können mit ihren Kindern ganz normalen zärtlichen Kontakt
pflegen.
Bei der vertikalen Transmission erfolgt die Infektion des Kindes in der Regel sub
partu. Bis zu 5 % der Neugeborenen infizierter Mütter werden intrauterin infiziert.
Bei diesen Kindern kann bereits am 1. Lebenstag im Venenblut (nicht Nabelschnurblut)
HBsAg und meist auch HBV-DNA und Anti-HBc-IgM nachgewiesen werden. Die intrauterine
Infektionswahrscheinlichkeit kann mit einer replikationsmindernden Behandlung im letzten
Schwangerschaftstrimenon signifikant reduziert werden (siehe 3.12) [19 ]
[20 ].
Die Infektionsrate sub partu der Neugeborenen HBeAg-positiver Mütter ohne perinatale
aktiv-passive Immunprophylaxe beträgt 70–95 %. Die Infektionsrate ist niedriger, wenn
die Mütter HBeAg-negativ (20–25 %) bzw. Anti-HBe-positiv (ca. 10 %) sind. Ist die
Mutter Anti-HBe-positiv oder die HBeAg-Negativität mit der Präsenz einer Prä-Core-Mutante
verbunden, kann bei einer Infektion beim Kind – typischerweise im Alter von 2–4 Monaten
– eine fulminante Hepatitis auftreten [376 ]
[377 ]
[378 ].
Die Mütter von vertikal infizierten Kindern sind meistens asymptomatische chronische
HBsAg-Träger; eine akute Hepatitis B liegt nur selten vor. Die Inkubationszeit beträgt
etwa 90 Tage (40–180 Tage). In seltenen Fällen infizieren sich Kinder auch perinatal,
wenn eine HBsAg-Mutante vorliegt, gegen die die Anti-HBs-Antikörper des HBIG nicht
neutralisierend wirken [379 ]
[380 ]
[381 ].
Klinisches Bild
Klinisch ist die chronische Hepatitis B von anderen Hepatitisformen nicht zu unterscheiden.
Asymptomatische und subklinische Formen sind häufig. Das gilt besonders für das Neugeborenenalter.
Extrahepatische Manifestationen wie Arthralgien, Exantheme (unter anderem Gianotti-Crosti-Syndrom),
Myalgien, Vaskulitis, Kryoglobulinämie, Glomerulonephritis und Myo-Perikarditis können
vorkommen [382 ].
Prognose
Die Letalität der fulminanten Hepatitis nach HBV-Übertragung von einer HBeAg-negativen
Mutter ist unbehandelt sehr hoch (bis 80 %). Die Chronifizierungsrate bei Übertragung
von einer HBeAg-positiven Mutter ist altersabhängig. Sie beträgt bei Infektion im
Neugeborenenalter bis zu 95 %, im Alter von 1–5 Jahren etwa 25–40 % und im Schulkind-
und Erwachsenenalter ca. 5–10 %. Ein kleiner Teil der chronisch infizierten Kinder
entwickelt schon vor dem Erwachsenenalter eine Leberzirrhose oder sehr selten ein
hepatozelluläres Karzinom. Darüber hinaus sind Patienten mit einer HBV-Infektion einschließlich
der HBsAg-Träger durch eine Superinfektion mit HDV und einer damit verbundenen Progredienz
der Krankheit gefährdet [382 ].
Die chronische HBV-Infektion beginnt in der Regel mit einer „immuntoleranten“ HBeAg-positiven
Phase mit normalen Transaminasen und sehr hoher Virämie (HBeAg-positive Infektion),
die über viele Jahre stabil sein kann. Bei persistierendem HBeAg kann sie im Verlauf
in die immunreaktive Phase mit erhöhten Transaminasen übergehen. Die Prognose der
chronisch-aktiven Hepatitis B wird von der entzündlichen Aktivität bestimmt. Es gibt
milde, progrediente Formen, die sich bessern, und Formen, bei denen bis zur Hälfte
der Patienten eine Leberzirrhose mit weiteren Folgen wie Leberkoma und/oder primäres
Leberzellkarzinom entwickelt. Nach Infektion in den ersten Lebensjahren dürfte das
Leberzirrhoserisiko bis zum Erreichen des Erwachsenenalters in Deutschland kaum mehr
als 5 % betragen [383 ]
[384 ].
Letztlich wird die Prognose der chronischen Hepatitis vom Zeitpunkt der Serokonversion
von HBeAg zu Anti-HBe bestimmt, deren Eintritt meist aus der immunreaktiven Phase
im Einzelfall nicht prognostizierbar ist. Die spontane jährliche Serokonversion beträgt
bei Kindern etwa 8–10 %; sie ist aber bei Individuen mit einer vertikalen Transmission
und nach einer immunsuppressiven Therapie deutlich niedriger. Die ethnische Herkunft
spielt dabei eine große Rolle. In einer umfangreichen kanadischen Untersuchung ergab
sich bei rund 50 % eine Anti-HBe-Serokonversion bis zum Alter von 19 Jahren im Langzeitverlauf.
Die Serokonversionsrate war bei nicht asiatischen Patienten deutlich höher und lag
bei ca. 70 %, bei den Patienten asiatischer Herkunft bei ca. 40 % [385 ].
Eine spontane Serokonversion zu Anti-HBs und damit eine Heilung der chronischen Hepatitis
wird bei weniger als 0,5 % der Kinder/Jahr beobachtet. In seltenen Fällen kann es
bei serokonvertierten Kindern zu einer Reaktivierung von Anti-HBe zu HBeAg, meist
mit Progredienz der Krankheit, kommen [7 ]
[382 ].
Alkoholkonsum, hepatotoxische Medikamente und Drogen (Ecstasy) verschlechtern die
Prognose der Erkrankung.
HBeAg-positive chronische HBsAg-Träger sollten im Kindes- und Jugendalter habjährlich
kontrolliert werden. Nach Serokonversion zu Anti-HBe sind jährliche Untersuchungen
ausreichend.
7.1. Wie wird die Diagnose gestellt?
Die Diagnostik der Hepatitis B im Kindesalter soll sich an der Diagnostik im Erwachsenenalter
orientieren (siehe Kapitel 1) und mindestens die Bestimmung von HBsAg, HBeAg, Anti-HBe,
Anti-HBc und HBV-DNA sowie der Transaminasen umfassen [EK]. Eine Leberbiopsie braucht
nicht durchgeführt zu werden [0, 4].
Konsens: 97,9 % (Delphi-Runde)
Geprüft 2020
NKLM
Kommentar:
Die Vorgehensweise zur Diagnose einer Hepatitis B unterscheidet sich im Kindes- und
Jugendalter nicht wesentlich von der bei Erwachsenen (siehe AG1). In den ersten 3–6
Monaten können wiederholte HBV-DNA-Bestimmungen sinnvoll sein, da eine passagere Virämie
vorkommen kann. Die für die Praxis wichtigsten Marker der aktiven Virusreplikation
und damit der Infektiosität sind HBeAg und HBV-DNA. Die chronische Hepatitis B ist
durch eine HBsAg-Trägerschaft von mehr als 6 Monaten gekennzeichnet. In der frühen
HBeAg-positiven Phase ist die Rate der Virusreplikation mit häufig > 109 HBV-Genomen pro ml Serum hoch. In der späteren Anti-HBe-positiven Phase ist die Virusreplikation
mit HBV-DNA-Titern zwischen 10 und 104 Genomen/ml niedriger. Der Zeitpunkt der Serokonversion
von HBeAg zu Anti-HBe ist individuell nicht prognostizierbar und gewöhnlich begleitet
von einer Normalisierung der Transaminasen, einer auf unterhalb von 105 HBV-Genomen/ml
liegenden HBV-DNA-Konzentration und einer reduzierten entzündlichen Aktivität im Lebergewebe
(Evidenz 4) [384 ]
[385 ].
In dieser Phase ist die Infektiosität deutlich niedriger als vor der Serokonversion.
Bei Anti-HBe-positiven, HBeAg-negativen Kindern mit erhöhten Transaminasen oder mit
ausgeprägter Virämie besteht der Verdacht auf das Vorliegen von Prä-Core- oder Basal-Core-Promoter(„HBe-minus“)-Mutanten.
Diese Patienten sind insgesamt selten, erkranken oft schwerer und zeigen manchmal
eine rasche Progredienz zur Leberzirrhose. Eine „HBe-minus“-Mutante kann bei einem
Patienten zusammen mit dem Wildvirus als Quasispezies gemeinsam vorkommen, sodass
es – in dieser Altersgruppe allerdings ebenso selten – HBeAg-positive Konstellationen
einer Infektion mit der Prä-Core-Mutante gibt (Evidenz 4) [386 ].
Die Kriterien zur Beurteilung der Histologie unterscheiden sich nicht von denen Erwachsener
und berücksichtigen neben der entzündlichen Infiltration und dem Ausmaß der Leberzellnekrose
den Fibrosegrad.
Bei vollständiger „Immuntoleranz“ (neue Definition: chronische HBeAg-positive HBV-Infektion)
bestehen keine wesentlichen histologischen Veränderungen. Diese Kinder weisen in der
Regel hohe HBV-DNA-Konzentrationen im Serum auf. Die Untersuchung von Lebergewebe
ist nicht obligatorisch, sondern empfiehlt sich bei Verdacht auf einen progredienten
Verlauf [7 ].
7.2 Welche Therapiemöglichkeiten und -ziele bestehen bei einer Hepatitis B im Kindes-
und Jugendalter?
Eine akute Hepatitis B im Kindes- und Jugendalter sollte nicht behandelt werden [EK].
Eine Ausnahme stellt die fulminante Hepatitis dar. Hier sollte eine Behandlung mit
einem zugelassenen Nukleos(t)idanalogon erwogen werden [4, B*].
Konsens: 95,7 % (Delphi-Runde)
Modifiziert 2020
* Geprüft 2020
Kommentar:
Für eine antivirale Therapie der akuten Hepatitis B liegen keine Daten vor. Es wird
keine Behandlung empfohlen (Evidenz 5) [382 ].
Sollte sich im frühen Säuglingsalter eine schwere bzw. fulminante Hepatitis B entwickeln,
besteht eine lebensgefährliche Erkrankung mit hoher Letalität. Es gibt Einzelberichte
und Expertenerfahrung, dass der Verlauf bei sofortiger Behandlung mit einem Nukleosidanalogon
positiv beeinflusst werden kann (Evidenz 4) [378 ]
[387 ]
[388 ]
[389 ].
Bei chronischer Hepatitis B kann eine Behandlung erfolgen [2, 0*]. Das primäre Therapieziel
bei der Behandlung der chronischen Hepatitis B bei Kindern und Jugendlichen ist die
Serokonversion zu Anti-HBe. In Europa sind Tenofovir (TDF) ab 12 Jahren und Entecavir
ab 2 Jahren zugelassen. Mit pegyliertem Interferon (PEG-IFN) kann ab 3 Jahren behandelt
werden. Die Indikationsstellung zur Behandlung und ihre Überwachung sollten durch
einen in diesem Gebiet erfahrenen Kinder-Gastroenterologen oder -Infektiologen erfolgen
[EK].
Konsens: 97,9 % (Delphi-Runde)
Modifiziert 2020
* Leitlinienadaptation AASLD Practice Guideline HBV 2016
Bei wiederholt normaler ALT sollte keine Behandlung erfolgen [4, B].
Konsens: 96,9 % (Konsensuskonferenz)
Modifiziert 2020
* Leitlinienadaptation AASLD Practice Guideline HBV 2016
Kommentar:
Da es nach wie vor keine effektive kausale Therapie der chronischen Hepatitis B (mit
dem Ziel einer funktionellen Heilung) gibt, müssen bei der Beurteilung oder Festlegung
der Indikationen für die verfügbaren Behandlungsmöglichkeiten die Ziele in Kenntnis
des spontanen Verlaufs in dieser Altersgruppe besonders berücksichtigt werden. Da
die Erkrankung in den ersten beiden Lebensdekaden in der Regel keine ausgeprägte Progredienz
bei sehr hoher Virusreplikation aufweist, ist die Behandlung mit Lamivudin allein
über einen langen Zeitraum wenig hilfreich (Evidenz 4) [390 ].
Bei dieser Substanz ist mit einer hohen Resistenzrate zu rechnen, was die weiteren
Behandlungsoptionen erschwert. Im Kindes- und Jugendalter muss das Therapieziel –
wenn schon eine Serokonversion zu Anti-HBs kaum möglich ist – die Serokonversion von
HBeAg zu Anti-HBe sein. Die wesentlichen prognostischen Parameter wie Höhe der Serumtransaminasen
und das Virusreplikationsniveau müssen bei der Indikationsstellung berücksichtigt
werden. Bei beiden Therapieoptionen, Interferon alfa und Nukleosid/Nukleotidanaloga,
kann bei Behandlung in der immunreaktiven Phase und einer sehr hohen Virusreplikation
mit einer Serokonversionsrate von 16–26 % pro Jahr gerechnet werden, bei einer Behandlungsdauer
über 12 Monate zwischen 32 und 40 % (Evidenz 1a) [391 ]
[392 ].
Mit zunehmendem Anstieg der Transaminasen wird die Ansprechrate besser. Die spontane
HBeAg/Anti-HBe-Serokonversionsrate steigt ebenso mit der Höhe der entzündlichen Aktivität.
Bei einer erfolgreichen Behandlung wird die Serokonversion zeitlich vorgezogen, in
einer aktuellen Studie wurde die absolute Serokonversionsrate erhöht (Evidenz 2b)
[384 ]
[393 ]
[394 ]
[395 ]
[396 ].
Auf lange Sicht wird die absolute spontane Remissionsrate durch die antivirale Therapie
nicht erhöht. Es ist daher Konsens, nur Patienten mit einer höheren Serokonversionswahrscheinlichkeit
zu behandeln und die Therapie bei Patienten mit erhöhten Transaminasen zu indizieren
[7 ].
Bei Kindern und Jugendlichen liegen Therapieerfahrungen mit alfa-Interferon, mit PEG-alfa-Interferon-2a,
Lamivudin, Adefovir, Tenofovir (TDF) und Entecavir vor.
Anmerkung: TAF hat bislang (2020) für die Altersgruppe noch keine Zulassung.
Interferon alfa
Man kann eine chronische Hepatitis B mit Interferon alfa behandeln. Indikationen für
eine Behandlung sind: HBeAg-positive chronische Hepatitis B mit Erhöhung der Serumtransaminasen
sowie in Einzelfällen HBeAg-negative chronische Hepatitis B mit oder ohne Erhöhung
der Serumtransaminasen und HBV-DNA > 20 000 IU/ml (> 105 Kopien/ml). Letztere Gruppe kann auch mit einem Nukleosid-/Nukleotidanalogon behandelt
werden. Anti-HBe-positive Kinder mit normalen Transaminasen und DNA-Werten < 2000 IU/ml
(< 104 Kopien/ml) werden nicht behandelt. Als Kontraindikationen gelten Autoimmunerkrankungen,
eine dekompensierte Leberzirrhose, ausgeprägte Thrombo-/Leukozytopenie und Gravidität.
Die tägliche Dosis sollte 5 Mio. I.E./m² KOF, maximal 10 Mio. I.E./Tag s. c., an 3
Tagen der Woche betragen. Die Behandlung wurde mit einer Dauer von 6 Monaten durchgeführt.
Die Serokonversion von HBeAg zu Anti-HBe ist abhängig von der entzündlichen Aktivität
vor Therapie und anderen Faktoren und kann je nach Kontrollzeitraum mit 25–45 % veranschlagt
werden. Eine Ausheilung, d. h. Serokonversion zu Anti-HBs, wird bei 6–10 % der Patienten
erreicht [IIa] [391 ].
Die Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit chronischer Hepatitis B mit Standard(nicht
pegyliertem)-Interferon alfa wird als obsolet angesehen. Eine 2018 publizierte kontrollierte
klinische Studie mit PEG-Interferon alfa-2a wurde über einen Therapiezeitraum von
48 Wochen durchgeführt. 24 Wochen nach Therapieende waren 25,7 % der Patienten zu
Anti-HBe und 8 % zu Anti-HBs serokonvertiert. Die Therapie wurde 2018 von der EMA
ab dem Alter von 3 Jahren zugelassen. Die Dosierung beträgt je nach Körperoberfläche
zwischen 65 und 180 µg pro Woche über 48 Wochen (Evidenz 1b) [397 ].
Fast alle Kinder zeigen Nebenwirkungen. Meistens sind es grippeähnliche Symptome.
Schwere Nebenwirkungen wie Neutropenie, Krämpfe und Epistaxis sind selten und klingen
nach Absetzen von Interferon ab. Der Nachweis von Autoantikörpern ohne klinische Symptome
einer Autoimmunkrankheit zwingt nicht zum Absetzen der Therapie. Auf die Schilddrüsenfunktion
ist besonders zu achten; u. a. sollten TSH-Werte und Schilddrüsen-Autoantikörper wiederholt
untersucht werden, da die Induktion einer Autoimmunthyreoiditis möglich ist. Unter
der Behandlung kann es zu einer Reduktion der Wachstumsgeschwindigkeit kommen, die
sich nach Absetzen der Medikation wieder normalisiert. Stimmungsschwankungen kommen
häufiger vor, depressive Verstimmungen selten (Evidenz 4) [383 ].
Bei einer wirksamen Interferonbehandlung können die Transaminasen vorübergehend ansteigen.
Danach folgt die Serokonversion von HBeAg zu Anti-HBe mit und ohne Verlust von HBsAg;
Die HBV-DNA-Konzentration liegt in der Regel < 2000 IU/ml (104 Kopien/ml), und es kommt zu einer histologischen Besserung. Bei einigen Patienten
tritt die Serokonversion erst mehrere Monate nach Beendigung der Therapie ein (Evidenz
4) [398 ].
Kinder mit einer vertikalen Transmission von HBV, geringer entzündlicher Aktivität
im Lebergewebe, Patienten mit einer zusätzlichen HDV-Infektion und Kinder mit Immundefizienz
sprechen schlechter auf die Therapie an (Evidenz 4) [380 ]
[381 ].
Nach Beendigung der Interferontherapie kann es zu einer Reaktivierung (Wahrscheinlichkeit
ca. 5 %) kommen. Eine Zweitbehandlung mit einer auf Interferon alfa basierenden Therapie
ist von geringerer Effektivität (Evidenz 4) [399 ].
Nukleosid-/Nukleotidanaloga
Von den 6 für Erwachsene zugelassenen Nukleos(t)idanaloga sind für Kinder oder Jugendliche
Lamivudin, Entecavir, Adefovir und Tenofovir Disoproxil Fumarat (TDF) von der FDA
und Entecavir und Tenofovir (TDF) von der EMA in Europa zugelassen. Telbivudin ist
in Deutschland nicht mehr erhältlich. Zu Tenofovir Alafenamid (TAF) gibt es noch keine
publizierten Daten bei Kindern und Jugendlichen. Eine Studie läuft (NCT02 932 150).
Lamivudin wurde bei Kindern (1 × 3 mg/kg/KG/Tag per os, max. 100 mg/Tag) in Europa
„off label“ angewendet. Die Serokonversion zu Anti-HBe lag nach einem Jahr bei 23 %
(Evidenz 1b) [393 ].
Bei einem Viertel der behandelten Patienten kam es innerhalb von 12–18 Monaten zur
Resistenzentwicklung (Evidenz 1b) [400 ]. Lamivudin gilt daher heute als obsolet.
Adefovir dipivoxil ist von der FDA ab 12 Jahren zugelassen, wird aber wie bei Erwachsenen
nicht mehr empfohlen (siehe auch 3.2.3). Bei den jüngeren Kindern gab es keine signifikante
Wirksamkeit im Vergleich zum Spontanverlauf. Bei den Jugendlichen lag die Anti-HBe-Serokonversionsrate
nach 48 Wochen bei 15,9 %. In der angeschlossenen Langzeitbeobachtung serokonvertierten
nach weiteren 4,5 Jahren 34 % der 162 eingeschlossenen Patienten (Evidenz 1b) [401 ]
[402 ].
Entecavir ist ein hochpotentes Nukleosidanalogon mit sehr geringer Resistenzentwicklung.
Es ist von der EMA ab dem Alter von 2 Jahren zugelassen. In einer Studie mit 180 Kindern
waren in der Verumgruppe nach 48 Wochen 24 % zu Anti-HBe serokonvertiert. Nach 96
Wochen waren es 35,8 % im Vergleich zu 18 % im Spontanverlauf (Evidenz 1b) [392 ].
Tenofovir (TDF) ist ein Nukleotidanalogon mit ebenfalls niedriger Resistenzentwicklung.
Es ist ab 12 Jahren zugelassen. Von 52 behandelten Jugendlichen waren 21 % nach 72
Wochen HBeAg-negativ; in der Kontrollgruppe waren es 15 %, womit ein signifikantes
Resultat verfehlt wurde (Evidenz 1b). [403 ] Tenofovir alafenamid (TAF) ist für die Altersgruppe bislang (2020) noch nicht zugelassen.
Grundsätzlich wird die Therapieindikation für Kinder und Jugendliche in der immunreaktiven
Phase der chronischen Hepatitis B gesehen. Die meisten Studien definierten dieses
Einschlusskriterium mit einer Transaminasenerhöhung über das 1 1/2-Fache des oberen
Normalwerts. Nach Abschluss der Studien waren nur 16–24 % der behandelten Kinder und
Jugendlichen HBeAg-negativ, bei Verlängerung wurde der Anteil deutlich höher mit 34–36 %.
Die Therapiedauer ist bisher nicht definiert, da es keine Langzeitdaten für Entecavir
und Tenofovir über den Zeitraum von mehr als 2 Jahren gibt. Aus Sicht erfahrener Behandler
muss die Behandlungsdauer mindestens 3–5 Jahre betragen, um eine deutlich höhere Serokonversionswahrscheinlichkeit
zu erreichen. Dies muss mit den Patienten und Eltern besprochen werden, damit die
Bereitschaft zur Compliance vor Therapiebeginn geklärt ist.
Kombinationstherapien
Verschiedene Studien haben die Kombination eines Nukleosidanalogons mit PEG-Interferon
alfa v. a. bei Kindern und Jugendlichen mit chronischer HBV-Infektion und immuntoleranten
Merkmalen untersucht und hoffnungsvolle Ergebnisse dokumentiert. Eine Pilotstudie
mit der Kombinationsbehandlung Lamivudin/Alfa-Interferon dokumentierte eine Anti-HBs-Serokonversionsrate
von 5/23 (23 %) (Evidenz 2b) [404 ].
Eine weitere Pilotstudie mit der gleichen Kombination zeigte bei 11/28 (39 %) immuntoleranten
Patienten eine Serokonversion zu Anti-HBe und bei 6/28 (21 %) eine Serokonversion
zu Anti-HBs (Evidenz 2b) [405 ].
Die antivirale Behandlung mit einer sequenziellen Kombination von Alfa-Interferon/Lamivudin
führte zu einer signifikanten Verbesserung der Raten der nicht nachweisbaren Serum-HBV-DNA
(74 %), der Serokonversion zu Anti-HBe (33 %) und des HBsAg-Verlusts (22 %) bei 46
Kindern mit chronischer HBV-Infektion und immuntoleranten Merkmalen. In der Kontrollgruppe
erreichte nur ein Patient (4 %) eine spontane Serokonversion zu Anti-HBe und keiner
einen HBsAg-Verlust (Evidenz 2b) [406 ].
Es wurde eine kontrollierte, randomisierte klinische Studie mit Lamivudin/Entecavir
in Kombination mit PEG-Interferon alfa-2a bei immuntoleranten Kindern und Jugendlichen
durchgeführt, mit dem Ziel, die Therapieindikation im Fall eines positiven Ergebnisses
um die immuntoleranten Patienten zu erweitern (An Open-label Study of Pegasys in Combination
With Lamivudine in Children With HBeAg-positive Chronic Hepatitis B in the Immune-Tolerant
Phase; ClinicalTrials.gov Identifier: NCT02263079). Im Einzelfall könnte auch bei
immuntoleranten Kindern eine antivirale Behandlung sinnvoll sein (z. B. Reduktion
des Transmissionsrisikos, Vermeidung einer Stigmatisierung). Die Studie wurde 2018
abgebrochen, da sich keine höhere Anti-HBe-Serokonversion gegenüber der Kontrollgruppe
ergab (Evidenz 1b) [407 ]. Aufgrund dieser Studie hat sich an der Empfehlung, Kinder mit HBeAg-positiver Infektion
(immuntolerant) nicht zu behandeln, bislang nichts geändert.
Die Diskrepanz der Studiendaten kann durch das Studiendesign, die Auswahl der Patienten
(unterschiedliches Alter) begründet sein, aber möglichweise könnte auch die Sequenz
der Kombinationstherapie (zuerst IFN oder zuerst NA oder gleichzeitig) einen Einfluss
haben.
Kinder und Jugendliche mit gleichzeitiger immunsuppressiver Therapie können im Indikationsfall
mit einem Nukleos(t)idanalogon behandelt werden [EK].
Konsens: 97,9 % (Delphi-Runde)
Neu 2020
Kommentar:
Kinder und Jugendliche mit gleichzeitiger immunsuppressiver Therapie können im Indikationsfall
z. B. zur Verringerung eines Reaktivierungsrisikos mit einem Nukleosid-/Nukleotidanalogon
(Entecavir oder Tenofovir (TDF) entsprechend der Zulassung) behandelt werden (Evidenz
4) [380 ], siehe 5.13.
7.3 Welche prophylaktischen Maßnahmen sind sinnvoll?
Eine Zulassung zu Gemeinschaftseinrichtungen oder eine Berufsausbildung/Berufsausübung
(unter Berücksichtigung der Empfehlungen AG 5) soll im Regelfall nicht eingeschränkt
oder verwehrt werden [EK].
Konsens: 100 % (Konsensuskonferenz)
Neu 2020
Kommentar:
Hygienische Maßnahmen verhindern die perkutane oder mukokutane Übertragung. Gefährdete
Kinder sind daher frühzeitig zu einer sorgfältigen persönlichen Hygiene zu erziehen.
Eine Isolierung des Patienten ist nicht notwendig. HBsAg-positive Kinder können Kindereinrichtungen
besuchen. Ihre Ausgrenzung ist nicht zu tolerieren. Empfohlen wird, alle Gruppenmitglieder
gemäß den STIKO-Empfehlungen aktiv zu immunisieren. Bei Kindern mit mangelnder Hygiene,
Kindern mit aggressiven Verhaltensweisen (Beißen, Kratzen), immunsupprimierten Kindern
und Kindern mit einer vermehrten Blutungsneigung und entzündlichen Hautkrankheiten
kann eine individuelle Entscheidung durch das Gesundheitsamt getroffen werden. Eltern
und Betreuer sollten über ein bekanntes Infektionsrisiko gegebenenfalls informiert
und auf die Wichtigkeit der Impfung besonders hingewiesen werden. Der Schulbesuch
HBsAg-positiver Kinder ist in der Regel uneingeschränkt möglich (Evidenz 4) (keine
Änderung zu [5 ]).
Im Fall einer HBV-Infektion soll [1, A]
eine Aufklärung zu Transmissionsrisiko und Übertragungswegen erfolgen.
eine aktive Immunisierung der in Gemeinschaftseinrichtungen lebenden Gruppenmitglieder
und des Betreuungspersonals gemäß STIKO-Empfehlungen erfolgen.
bei HBsAg-positiven Müttern die aktive und passive Immunisierung des Neugeborenen
innerhalb von 12 Stunden nach der Entbindung erfolgen.
eine aktive Immunisierung von Personen (und Sexualpartnern), die im gemeinsamen Haushalt
leben, und von engen Freunden durchgeführt werden.
Konsens: 100 % (Konsensuskonferenz)
Geprüft 2020
Kommentar:
Passive Immunprophylaxe
Die präexpositionelle Immunprophylaxe hat durch die Möglichkeit der Impfung erheblich an Bedeutung verloren.
Die postexpositionelle Immunprophylaxe sollte bei empfänglichen Personen immer sofort,
spätestens innerhalb von 48 Stunden nach einer Inokulation mit virushaltigem Material
erfolgen, so z. B. bei Blutkontakt der Schleimhäute (Auge, Verschlucken von Blut),
bei Blutkontakt einer verletzten Haut (Beißen, Kratzen, Ekzem), nach Nadelstich oder
Schnittverletzung, nach Sexualkontakt oder bei einer vermuteten vertikalen Transmission.
Verwendet wird ein spezifisches Hepatitis-B-Immunglobulin, 0,06 ml/kg KG (maximal
5 ml) i. m. oder 0,12–0,2 ml bzw. 6–12 IE/kg KG (Neugeborene 0,4 ml/kg KG) i. v. Gleichzeitig
sollte aktiv geimpft werden.
Im Falle einer Exposition bei früher geimpften Kindern (perkutaner oder mukokutaner
Kontakt mit HBsAg-positivem Material) sollte die Anti-HBs-Konzentration bestimmt werden.
Ist die Konzentration < 10 IE/l, wird nachgeimpft, obwohl wahrscheinlich auch bei
dieser Konstellation eine Immunität vorliegen dürfte. Ist die Immunreaktion nach der
Impfung unbekannt oder ist eine Bestimmung des Anti-HBs-Gehalts nicht innerhalb von
12 Stunden möglich, sollte das Kind ein Hepatitis-B-Immunglobulin entweder i. v. (0,6–2 ml/kg
KG, maximal 5 ml, z. B. Hepatect R) oder i. m. (30–100 IE/kg (üblicherweise 1 ml),
z. B. Hepatitis-B-Immunglobulin Behring), erhalten. Überflüssiges Immunserum sollte
nicht verworfen, sondern kann bis zu einer Dosis von 0,5 ml/kg KG injiziert werden.
Bekannte Hypo- und Nonresponder erhalten das Hepatitis-B-Immunglobulin sofort.
Aktive Immunprophylaxe
Hierzulande werden vorwiegend Gen-H-B-Vax-K (5 µg HBsAg/0,5 ml) und Engerix-B Kinder
(10 µg HBsAg/0,5 ml) verwendet. Die Grundimmunisierung besteht aus 3 Impfungen, die
i. m. in den Oberarm oder bei Säuglingen in den lateralen Anteil des Oberschenkels
verabreicht werden. Der Impfstoff darf nicht ins Fettgewebe und nicht intradermal
injiziert werden. Deshalb ist die Glutaealregion als Impfort nicht geeignet. Außerdem
gibt es einen Kombinationsimpfstoff gegen Hepatitis A und B (Twinrix Kinder® ) für Kinder nach dem 1. Lebensjahr. Die HBV-Impfung ist in den Routineimpfplan für
Säuglinge und Kleinkinder integriert und wird im Rahmen einer 6-fach-Impfung im ersten
Lebensjahr verabreicht. Bei den Schuleingangsuntersuchungen des Jahres 2018 hatten
87,2 % (78,4 in Baden-Würtemberg bis 94,1 % in Sachsen-Anhalt) der Kinder eine vollständige
Grundimmunisierung [408 ].
Postvakzinale Titerbestimmungen sind nur bei Risikopatienten indiziert. Bei über 95 %
der Kinder und Erwachsenen tritt eine Serokonversion mit einem Anti-HBs-Antikörperspiegel
> 10 IE/l ein. Der Impfschutz hält im Regelfall über 10 Jahre an und wird auch von
der zellulären Immunität getragen. Bei Hypo- oder Nonrespondern ist entweder von vornherein
die Einzeldosis zu verdoppeln, so z. B. bei immundefizienten Kindern und Hämodialysepatienten,
oder eine zusätzliche Impfung vorzunehmen. Kinder, die Antikörperspiegel zwischen
10 und 100 IE/l entwickeln, sollten eine weitere Impfung erhalten. Kinder, die keine
Antikörper bilden, können bis zu 3-mal zusätzlich geimpft werden. Nach der Impfung
sind bei Hyporespondern die Antikörpertiter etwa jährlich zu untersuchen. Bei Werten
von < 10 IE/ml sollte nachgeimpft werden.
Nebenwirkungen der Impfung treten bei etwa 5 % der geimpften Kinder auf. Sie sind gewöhnlich leicht:
Temperaturerhöhung, Unwohlsein, lokale Reaktionen. Ein Kausalzusammenhang zwischen
Hepatitis-B-Impfung und demyelinisierenden Krankheiten einschließlich Multipler Sklerose
und Erblindung ist nicht bewiesen (siehe 5.11).
Impfindikation
Die Hepatitis-B-Impfung ist eine empfohlene Impfung für alle Kinder und Jugendlichen.
Darüber hinaus sind Risikogruppen zu impfen (siehe Empfehlungen der STIKO, siehe 5.1).
Die Immunisierung bereits immuner Kinder oder Individuen mit einer nicht bekannten
chronischen HBV-Infektion ist nutzlos, aber unschädlich. Eine Schwangerschaft ist
keine Kontraindikation.
Die aktiv-passive Simultanimpfung sollte immer dann vorgenommen werden, wenn eine
passive Immunprophylaxe unumgänglich erscheint. Neugeborene HBsAg-positiver Mütter
erhalten sofort nach der Geburt (siehe 5.9), am besten noch im Kreißsaal bzw. innerhalb
von 12 Stunden postnatal, ein spezielles Immunglobulin, 1 ml (bzw. 0,5 ml/kg KG) i. m.
oder 0,4 ml/kg KG i. v., und kontralateral die 1. Impfdosis. Darüber hinaus sollten
bei jedem Neugeborenen einer HBsAg-positiven Mutter HBsAg und HBeAg untersucht werden,
um eine intrauterine Infektion auszuschließen. Die alleinige passive Immunisierung
Neugeborener von HBsAg-positiven Müttern ist obsolet (Evidenz 1a) [409 ].
Eine akute Hepatitis B in der Frühschwangerschaft stellt für Mutter und Kind kein
erhöhtes Risiko hinsichtlich der Schwangerschaft dar. Eine akute Erkrankung in der
Spätschwangerschaft kann die Frühgeburtenrate erhöhen und ebenso wie eine chronische
Hepatitis B zu einer vertikalen Transmission der Viren führen.
Bei Frühgeborenen ist die Serokonversionsrate niedriger als bei Reifgeborenen. Durch
Anwendung eines Impfschemas mit 4 Dosen (Zeitpunkt: 0–1 – 5–9 Monate) konnte die Erfolgsrate
von 76 auf 90 % gesteigert werden. Nach Abschluss der Grundimmunisierung sollte eine
Kontrolle von Anti-HBs und Anti-HBc erfolgen. Ist der HBsAg-Status der Mutter bei
der Geburt nicht bekannt, sollten immer sofort, spätestens innerhalb von 12 Stunden
post natum, das Neugeborene aktiv immunisiert und der HBsAg-Status der Mutter bestimmt
werden. Fällt der Befund positiv aus, wird dem Kind nachträglich so bald wie möglich
Hepatitis-B-Immunglobulin verabreicht. Geimpfte Neugeborene können gestillt werden.
Patienten mit einer chronischen Hepatitis B und fehlender Immunität gegen Hepatitis
A sollten gegen Hepatitis A geimpft werden.