Einleitung
Die Psoriasis ist eine entzündliche, chronisch rezidivierende Hauterkrankung, die
uns in der dermatologischen Praxis sehr häufig und in sehr unterschiedlicher Form
begegnet [1]. Neben anderen Komorbiditäten sind es v. a. Gelenke, Knorpel, Enthesen und Sehnen,
deren Infiltration mit aktivierten T-Lymphozyten (ähnlich wie in den Psoriasisplaques
auf der Haut) zu Entzündung, Schmerz, Bewegungseinschränkung und im weiteren Verlauf
zu Destruktionen führt (Übersicht in [1]). Etwa 30 % der Psoriasis-Patienten entwickeln im Verlauf eine PsA [2]
[3]. Das Auffinden von klonalen, v. a. CD8-positiven T-Lymphozyten in Haut [4]
[5] und Gelenken [6] spricht für deren Aktivierung durch ein bis heute putatives Autoantigen [7] und damit für eine Autoimmunerkrankung in zwei Organsystemen. Das Erkrankungsbild
hinsichtlich Haut- und Gelenkbefall und dem jeweiligen Schweregrad ist äußerst heterogen
und stellt damit hohe Anforderungen an Diagnostik und Therapie [8]. Oft werden die Manifestationen der PsA erst Jahre nach Erstauftreten erkannt [9], jedoch ist ein möglichst frühes therapeutisches Intervenieren ratsam, um Progression
und irreversible Gelenkschäden zu verhindern oder aufzuhalten. Die Dermatologie kann
inzwischen auf ein großes Arsenal therapeutischer Optionen und Stoffklassen für die
Behandlung von Psoriasis und PsA zurückgreifen [10], was die behandelnden Ärztinnen und Ärzte (und die Patienten) vor die Herausforderung
der Auswahl einer individuellen, optimalen Therapie stellt. Sog. Real-World-Data,
erhoben z. B. als retrospektive klinische Datenanalyse an einer Praxiskohorte von
Patienten mit PsA, können einen Beitrag zur Fachdiskussion leisten und helfen, eigene
ärztliche Einschätzungen zu überprüfen.
Methoden
Patientenselektion. Seit 2019 betreuen wir Patienten mit Immundermatosen in einer Spezialsprechstunde
Immundermatologie [11]. Es wurden 40 Patienten nach den Selektionskriterien „Psoriasisarthritis“ und „Betreuung
in der Spezialsprechstunde Immundermatologie im 1. Quartal 2021“ ausgewählt. Die vorliegenden
Daten wurden anonymisiert in Tabellenform analysiert.
Retrospektive Datenanalyse. Die hier angewandte Methode ist die retrospektive Datenauswertung einer Kohorte (Retrospektive
Kohortenstudie; [12]
[13]). Es wurden ausschließlich vorhandene klinische Daten ausgewertet.
Diagnostik und Schweregrad. Für die entsprechenden Analysen wurden verwendet: der Ist-Zustand im Zeitraum der
Rekrutierung in diese retrospektive Analyse, Angaben in der Patientenakte von früheren
Besuchen in der Praxis, Klinikbriefe, Überweisungstexte. In mehr als 60 % der Fälle
war die Diagnostik außerhalb (Kliniken, rheumatologische oder dermatologische Praxen)
oder in unserer eigenen Praxis vor der Zeit der Etablierung der Spezialsprechstunde
erfolgt. In 17/40 Fällen ([Tab. 2]) lagen Röntgenbefunde (Berichte), in zwei von 40 Fällen Ultraschallbefunde vor.
Aktuell stellen wir die Diagnose klinisch (Hautzustand, Finger- und Fußnägel), anamnestisch
(Gelenkbeschwerden, Schmerz) und bewerten die Schwere der Erkrankung mittels PASI
[14], DAPSA [15], NAPSI [16] und DLQI [17]. Hinsichtlich des DAPSA verwenden wir die übliche Schweregradeinteilung: 0–4 Remission,
5–14 niedrige, 15–28 mittlere, > 28 hohe Krankheitsaktivität, resultierend aus der
Untersuchung von 68/66 Gelenken auf Druckschmerzhaftigkeit und Schwellung sowie anamnestischen
Angaben der Patienten. Häufig berichten die Patienten von „springenden Schmerzen“.
Dies sind teils mehrwöchige, teils mehrmonatige Schmerzsymptome an ganz unterschiedlichen
Gelenken (Handgelenk, Schultergelenk, Sprunggelenk, Spann), die sogar zu Bewegungseinschränkungen
führen, jedoch ohne Folgeerscheinungen sistieren können und evtl. rezidivieren. Wir
werten dieses Symptom v. a. als Zeichen der Enthesitiden. Als „Late-Onset-Psoriasis“
wurden solche Patienten gezählt, bei denen die ersten Hautsymptome auftraten, als
sie mehr als 90 % ihres damaligen Lebensalters erreicht hatten. D. h., ein 40-jähriger
„Late-Onset-Patient“ bekam die Hautsymptome mit 38 Jahren, eine 70-jährige „Late-Onset-Patientin“
mit 63 Jahren.
Laboranalysen. Zur Diagnosestellung und zur Beurteilung des Schweregrades analysieren wir routinemäßig:
großes Blutbild, C-reaktives Protein, CCP, Rheumafaktor. In Vorbereitung auf eine
Systemtherapie kommen hinzu: Leber- und Nierenfunktionswerte, Hepatitis- und HIV-Serologie,
Quantiferon-Test zum Ausschluss einer Tuberkulose.
Therapiemanagement. Vor dem Therapieentscheid („Woche 0“) erfolgt die o. g. Basisdiagnostik, bestehend
aus Anamnese, Untersuchung, Schweregradbeurteilung mit den genannten 4 Scores, labormedizinischer
Untersuchung und Fotodokumentation. Nachfolgend wird dem Patienten ein Therapievorschlag
unterbreitet, ein Aufklärungsgespräch durchgeführt und das Patienteneinverständnis
schriftlich eingeholt. Das Monitoringprogramm (PASI, DAPSA, DLQI, Fotodokumentation)
erfolgte i. d. R. in Woche 4, 8, 16 und, nachfolgend, 1-mal pro Quartal. Laboranalysen
erfolgten in Abhängigkeit vom Präparat (Fachinformation). Alle Medikamente (siehe
auch [Tab. 5]) wurden streng nach Zulassungstext indiziert, dosiert, verabreicht und monitoriert.
Die Durchführung eines konsequenten Therapiemonitorings in Pandemiezeiten stellte
eine Herausforderung dar, bedeuteten die Maßnahmen doch eine recht hohe Verweildauer
in der Praxis (Score-Erhebung 30 min) im engen Kontakt mit dem Personal. Um MFA, Ärzte
und Patienten einem minimalen SARS-CoV-2-Risiko auszusetzen, wurden, v. a. im Verlauf,
etliche DAPSA und PASI nach Angaben der Patienten ohne direkte Untersuchung in die
Bögen eingetragen. Mit der Verfügbarkeit von Tests und nach Vakzinierung des Personals
kehren wir derzeit zu den üblichen Algorithmen zurück.
Auswertung von Atopiezeichen. Es wurden anamnestische Angaben sowie Handyfotos zu klinischen Symptomen (Beugenekzem,
Urtikaria, Rhinokonjunktivitis, Pollinosis) sowie Test- (Prick, Epikutantest) und
Laborbefunde (IgE-Spiegel, erhöht > 100 IU/ml; typische Allergenspezifitäten im REAST,
wie Baum- oder Gräserpollen, Hausstaubmilben, Schimmelpilze) ausgewertet, wenn sie
vorab erfragt worden oder in den Unterlagen vorhanden waren. Ebenso wurden Angaben
zu erfolgten Hyposensibilisierungen ausgewertet. In keinem Fall erfolgten im Zusammenhang
mit dieser retrospektiven Datenauswertung eine anamnestische Befragung oder zusätzliche
Laboruntersuchungen.
Ergebnisse
In der Spezialsprechstunde Immundermatologie betreuten wir in den letzten 18 Monaten
über 100 Patienten mit Psoriasis vulgaris, von diesen hatten etwa 45 eine PsA. Dieses
Patientenkollektiv bildet die „Praxiskohorte PsA“. Die Kohortendaten sind in [Tab. 1] zusammenfassend dargestellt.
Tab. 1
Charakterisierung der Praxiskohorte PsA.
Gesamtzahl der Patienten in der Praxiskohorte „PsA in der Spezialsprechstunde Immundermatologie“
|
40
|
Geschlechterverhältnis weiblich/männlich
|
22/18
|
Altersdurchschnitt (und -median)
|
52 (55)
|
|
55 (58)
|
|
48 (51)
|
Dauer der Hautsymptome Psoriasis (Jahre)
|
|
22
|
|
25
|
Beginn der Gelenksymptome PsA (Jahre nach dem Auftreten erster Hautsymptome Psoriasis)
– Mittelwert
|
|
16
|
|
13
|
Patienten mit Gelenksymptomen zeitlich vor Hautsymptomen
|
0/40
|
Late Onset Psoriasis
|
|
5/22
|
|
1/18
|
Patienten mit Vortherapien – systemisch (vor der aktuellen Therapie)
|
|
|
7
|
|
5
|
|
4
|
|
9
|
|
9
|
Patienten mit Vortherapie – topisch
|
32
|
Patienten ohne dermatologische Therapie
|
8
|
Das Erkrankungsalter (Alter der Patienten bei Beginn der Hautsymptome einer Psoriasis)
unterschied sich nicht nach den Geschlechtern. Die jüngste weibliche Patientin in
der Kohorte ist 32, der jüngste männliche Patient 31. Die jeweils ältesten Patienten
waren 74 (weiblich) und 68 (männlich). Late -Onset-Verläufe kamen in 15 % der Patienten
vor. In keinem der 40 Fälle gab es einen anamnestischen Hinweis (Befragung, Klinikbriefe,
Berichte von niedergelassenen Kollegen in Dermatologie und Rheumatologie) darauf,
dass die Gelenksymptome vor den Hautsymptomen aufgetreten wären. In 6 Fällen (4 weiblich,
2 männlich) traten die Haut- und die Gelenksymptome zeitnah parallel auf. Hinsichtlich
der Vortherapien muss beachtet werden, dass diese davon abhängen, ob bereits eine
PsA diagnostiziert war oder nicht. Alle Patienten, die bereits ein Biologikum erhalten
hatten (Adalimumab, Ustekinumab, Infliximab, Golimumab, Secukinumab), waren von Rheumatologen
(niedergelassen und Klinik) eingestellt worden. Diese Patienten betreuten wir entweder
dermatologisch mit oder übernahmen aus verschiedenen Gründen die Patienten in die
Spezialsprechstunde. 2 Patienten kamen zu uns nach Teilnahme an einer klinischen Studie.
2 Patienten hatten über einen mehrjährigen Zeitraum systemische Steroide erhalten,
2 waren mit Acitretin vorbehandelt. 32 Patienten hatten in ihrer Krankheitsgeschichte
bereits mindestens eine dermatologische Konsultation und hatten topische Therapien
erhalten (zumeist Betamethason + Calcipotriol Kombination), 8 Patienten stellten sich
in der Praxis vor, ohne bisher dermatologisch versorgt gewesen zu sein. Letztere hatten
alle seit 5 und mehr Jahren Hautsymptome. Patienten mit Psoriasis und PsA zeigten
ein buntes Bild hinsichtlich des Hautbefalles ([Tab. 2]). Am häufigsten wurde eine Nagelpsoriasis beobachtet. Häufig wurde diese an eben
jenen Fingern/Zehen festgestellt, die auch vom Gelenkbefall betroffen waren ([Abb. 1]). Der Gelenkbefall an den betroffenen Phalangen wurde im DAPSA-Scoring auf Druck
nachgewiesen bzw. ist als Daktylitis erkennbar.
Tab. 2
Klinische und labormedizinische Charakteristika der Patientenkohorte „PsA“.
Parameter
|
Anzahl Patienten/Zahl der Erhebungen
|
Klinische Präsentation Psoriasis
|
|
10
|
|
3
|
|
8
|
|
16
|
|
7
|
|
8
|
|
20
|
|
13
|
Klinische Präsentation PsA
|
|
27
|
|
9
|
|
15
|
|
11
|
Röntgenbefund
|
|
8
|
|
9
|
|
23
|
Laborwerte
|
|
0/32
|
|
0/19
|
|
5/32
|
Konsultation Rheumatologen
|
14
|
|
9
|
|
2
|
|
7
|
Diagnose und Therapieeinstellung Klinik (Rheumatologie oder Dermatologie)
|
9
|
Abb. 1 Nagel-Psoriasis und Psoriasisarthritis. Der Gelenkbefall an den betroffenen Phalangen
wurde im DAPSA-Scoring auf Druck nachgewiesen bzw. ist als Daktylitis erkennbar.
Eine Plaquepsoriasis wurde bei 25/40 Patienten beschrieben. Es wurden zahlreiche Mischbilder
(Kopf, Nägel, Plaque, Guttata) beobachtet. Hinsichtlich des Gelenkbefalles überwiegen
die Finger- und Zehengelenke (DAPSA-Befunde Rötung, Schwellung, Druckschmerz). Der
axiale Gelenkbefall wurde zumeist über den Befund „tiefer Rückenschmerz“ diagnostiziert.
Enthesitiden wurden teilweise durch positiven Druckbefund (DAPSA) über nicht geschwollenem,
nicht gerötetem Gelenk diagnostiziert (11/40 Patienten). Ebenso wurde der Befund „springende
Schmerzen“ (siehe Methoden) gewertet. 4 von 40 Patienten berichteten über massive
entzündliche Schwellungen der Achillessehne (Handyfotos) mit starken Gehbeschwerden,
die nach mehreren Monaten (in allen Fällen ohne spezifische Therapie) abklangen. Bei
15 Patienten konnte der radiologische (2 × MRT) Befund herangezogen werden. Er war
8 × positiv und 9 × negativ. Bei 20 Patienten wurde keine röntgenologische Diagnostik
durchgeführt. 3 Fälle sind diesbezüglich unklar ([Tab. 2]).
Bei 32/32 Patienten wurde ein negativer Rheumafaktor im Blutserum gemessen (8 × lag
keine Messung vor), in 19/19 Fällen war der CCP-Wert negativ. Bei 5/32 Patienten fand
sich ein deutlich erhöhter CRP-Wert. In 14 Fällen hatte sicher eine Konsultation des
Rheumatologen stattgefunden, wobei 9 × die Diagnose PsA gestellt und 7 dieser Patienten
therapeutisch eingestellt wurden. 9 Patienten wurden in Kliniken diagnostiziert und
kamen mit Therapieempfehlungen zu uns oder waren dort bereits therapeutisch eingestellt
worden.
Da uns in der Betreuung von Patienten mit Psoriasis und PsA immer wieder auch allergologische
Themen begegneten, wurde eine Auswertung der Patientenunterlagen hinsichtlich atopischer
Befunde vorgenommen ([Tab. 3]).
Tab. 3
Atopiebefunde in der Praxiskohorte PsA.
Befunde
|
Patientenzahl
|
Klinische Symptome von atopischen Komorbiditäten
|
|
2
|
|
2
|
|
5
|
Atopische Anamnese
|
|
6
|
|
2
|
|
3
|
Laborwerte und allergologische Tests
|
|
|
4
|
|
7
|
|
3
|
Insgesamt 12 unserer 40 Patienten zeigten objektivierbare atopische Befunde, einige
mehrfache Nennungen. 5 Patienten berichteten über das Auftreten einer Urtikaria, 2
belegten dies mit Handyfotos. Offensichtlich handelte es sich um akute, einmalig auftretende
urtikarielle Symptome. Bei weiteren 10 Patienten wurde der IgE-Wert bestimmt (die
Gründe dafür waren nicht immer nachvollziehbar), welcher im Normbereich lag. Trotzdem
zeigten sich hier in 4 Fällen spezifische Reaktionen mit spezifischem IgE im REAST
Immunoassay. Bei 2 weiteren Patienten blieben Prick- bzw. Epikutantestung ohne spezifische
Reaktion.
Die Analyse der derzeitigen Therapie zeigt die Vielfalt der Behandlung in Abhängigkeit
von klinischem Verlauf, Schweregrad und der Lebenssituation der Patienten ([Tab. 4]).
Tab. 4
Aktuelle Therapie der Patienten mit PsA in der Praxiskohorte.
Aktuelle Therapie
|
Zahl Patienten
|
Therapiedauer bisher (Monate, Median)
|
MTX
|
8
|
17
|
Apremilast
|
2
|
2 und 24 (danach umgestellt)
|
Adalimumab Biosimilar
|
8
|
12
|
Secukinumab
|
7
|
28
|
Ixekizumab
|
2
|
1 und 12
|
Risankizumab
|
1
|
12
|
Alle MTX-Therapien erfolgen derzeit per os. 12/40 Patienten unserer Kohorte erhalten
gegenwärtig keine systemischen Therapien, 4 dieser Patienten nehmen sporadisch NSAR,
3 haben trotz signifikanter klinischer Symptome (Daktylitis, Schmerz) auf eigenen
Entschluss nie eine systemische Therapie angewendet. Bei 4 Patienten besteht der Wunsch,
den Verlauf der Corona-Pandemie abzuwarten bzw. erst die entsprechende Impfung durchzuführen.
Die längsten kontinuierlichen Therapieverläufe bestehen mit Secukinumab. Der Patient
mit Risankizumab wurde mit dieser Medikation aus einer extern durchgeführten Phase-III-Studie
übernommen, die Therapie wurde weitergeführt. Die gering ausgeprägten Symptome der
PsA wurden erst nach Studienende in der Praxis erhoben. Bei insgesamt 10 Patienten
konnten wir die Therapieverläufe mittels regelmäßiger Erhebungen der Parameter DAPSA,
PASI und DLQI dokumentieren ([Abb. 2]).
Abb. 2 Therapieverläufe bei Patienten mit Psoriasis und PsA, dokumentiert anhand von PASI
(a), DAPSA (b) und DLQI (c).
Diskussion
Es wurden 5000 Patientenkontakte eines unserer Praxisärzte analysiert, etwa 1000 davon
wurden in der Spezialsprechstunde Immundermatologie realisiert. Pro 1000 Patientenkontakte
werden im Durchschnitt 120 Patientenkontakte mit der Diagnose Psoriasis vulgaris (inkludierend
Psoriasis pustulosa palmoplantaris PPP, Psoriasis guttata, Psoriasis inversa) generiert
(12 %). Von diesen werden bei etwa 30 % der Kontakte Patienten mit PsA vorstellig.
Häufig waren ein negativer Rheumafaktor im Serum sowie ein negativer radiologischer
Befund die Basis der Diagnose „unklare Arthritis“. Dabei hätte die Anwendung der CASPAR-Kriterien
[18]
[19], also ein Blick auf Nägel, Haaransatz, Ellenbogen und Leistengegend, vielleicht
den Weg zur Diagnose PsA gewiesen. Bei der dermatologischen Vorstellung ist es eher
andersherum, werden doch Haut- oder Nagelveränderungen präsentiert. Manchmal werden
dann geschwollene Finger sichtbar. Zumeist müssen Gelenkbeschwerden erfragt werden,
denn die Patienten sehen diesbezüglich keine Beziehung zu einer dermatologischen Vorstellung.
Das klinische Bild ist äußerst bunt, und selbstverständlich lässt die retrospektive
Analyse von 40 Patienten keinerlei Korrelationen zu. Jedoch ist „alles“ zu beobachten,
minimale Zeichen der Psoriasis mit massiven Gelenkbeschwerden (axial, peripher mit
schweren Daktylitiden und Enthesitiden) oder eine schwere Psoriasis mit PASI > 30,
begleitet von eher unspezifischen Schmerzsymptomen einer Enthesitis und einem geschwollenen
Gelenk. Rheumatoide Arthritis und PsA sind unterschiedliche Krankheitsentitäten. Daher
sind die Klassifikationskriterien bzw. Scoring-Parameter des „American College of
Rheumatology“ (ACR) und der „European League Against Rheumatism“ (EULAR), die 2010
aktualisiert wurden [20], für die Bewertung der Krankheitsaktivität einer PsA nur bedingt geeignet. Sie werden
allerdings in vielen klinischen und Zulassungsstudien verwendet. Dies rührt wohl auch
daher, dass die ursprüngliche Indikation, für die neue Biologics, JAK-Kinase-Hemmer
u. a. entwickelt wurden und werden, die Rheumatoide Arthritis ist. Die PsA wird in
diesen Scores immer mit einer niedrigeren Aktivität abschneiden, „fehlen“ doch u. a.
die Punkte für Rheumafaktor-Positivität (per definitionem negativ für PsA) und hohes
CRP (selten in unserer Kohorte). Wir verwenden stattdessen zur Bewertung der Krankheitsaktivität
(und durchaus auch zur Diagnostik) der PsA den Disease Activity in PSoriatic Arthritis (DAPSA)-Score [15]. Dieser enthält anamnestische Angaben des Patienten kombiniert mit Ergebnissen der
körperlichen Untersuchung. Zu einem weniger gewichtigen Teil fließt der CRP-Wert ein.
Die Erhebung des DAPSA-Scores ist auch ein Beitrag zur Patientenführung und -beurteilung.
Der Merksatz unserer MFA-Kollegin sei zitiert: „Bei der DAPSA-Erhebung dem Patienten
in die Augen, nicht aufs Gelenk schauen“. Der Score ist in klinischen Studien erprobt
[15] und wird von uns seit knapp 2 Jahren für die Verlaufsdokumentation der Therapie
einer Psoriasis/PsA gemeinsam mit dem PASI angewendet. Die Verwendung des DAPSA ist
an Aussagekraft den bildgebenden Verfahren (z. B. Ultraschall an den Enthesen) durchaus
ebenbürtig [21] und macht manche Röntgen-, MRT- oder Ultraschalluntersuchung unnötig. Nachdem wir
selbst bei ausgeprägter klinischer Daktylitis einen negativen Röntgenbefund der PsA
erhielten, haben wir diese Methode zumindest für die frühe PsA-Diagnostik als Suchmethode
verlassen. Es sind offenbar die Enthesitiden, z. B. in Bereich der Fingergelenke,
die Ursache der Schmerzen in der frühen Phase einer PsA sind [22]. Möglicherweise werden v. a. diese pathologischen Veränderungen im DAPSA detektiert
und bewertet.
Die Frage nach dem parallelen Vorkommen von Atopie und Psoriasis bzw. PsA wird kontrovers
diskutiert. Hosseini et al. [23] analysierten IgE-Spiegel und deren Spezifitäten und stellten keine Korrelation mit
dem Auftreten der Psoriasis, dem PASI oder dem Verlauf fest. Sie folgten also der
Lehrmeinung, dass eine atopische Diathese eher protektiv in Bezug zu Autoimmunkrankheiten
wie Psoriasis ist. Es wird auch diskutiert, ob die Psoriasis an bestimmten Lokalisationen
(Nägel, Gelenke), jedoch ohne Ausbildung der typischen Plaques mit einer atopischen
Dermatitis gemeinsam auftreten kann [24]. In unserer Kohorte fanden sich bei 12/40 Patienten Symptome einer atopischen Erkrankung.
Dies soll keinen statistischen Zusammenhang suggerieren, wir möchten lediglich darauf
verweisen, dass eine Psoriasis allergische Phänomene nicht ausschließt.
Das therapeutische Arsenal zur Behandlung von Psoriasis mit und ohne PsA hat sich
inzwischen deutlich ausgeweitet und umfasst Biologika zur Blockade pro-inflammatorischer
Zytokine (TNF alpha; IL-17, IL-17-Rezeptor, IL-23) sowie eine Reihe von anti-inflammatorischen
niedrigmolekularen Medikamenten (MTX, Dimethylfumarat, Apremilast, JAK-Kinase-Hemmer).
Offensichtlich sind beide Subentitäten in ihrer Immunpathogenese einander so ähnlich,
dass ein und dieselbe therapeutische Substanz auf beide wirken kann, jedoch feine
Unterschiede in der Effizienz in Haut und Gelenken zu bestehen scheinen [25]
[26]. In Abhängigkeit von der Indikation sowie vom Zulassungsstatus der Medikamente haben
wir versucht, einen Algorithmus zur individuellen Auswahl des therapeutischen Vorgehens
zu etablieren, dem wir seit etwa 18 Monaten konsequent folgen und den wir in Anbetracht
neuer Zulassungen und Zulassungserweiterungen ständig aktualisieren ([Tab. 5]). Wir haben in die Tabelle nur Therapien aufgenommen, die bei uns bisher angewendet
wurden (das ebenfalls zugelassene Tofacitinib haben wir bisher nicht eingesetzt).
Wir treffen die Therapieentscheidung immer primär in Abhängigkeit vom Hautbefund.
Bei unseren (wenigen) Patienten ist die TNF-Blockade hinsichtlich der Plaques weniger
wirksam und kommt daher bei PASI > 10 nicht zum Einsatz. Bei PASI < 10 gab es gute
therapeutische Ergebnisse an der Haut und eine sehr gute Wirkung auf die Gelenkbeschwerden.
Eine ähnliche Aussage trifft wohl auch auf den Einsatz von MTX (per os) zu, solange
der PASI unter 5 ist. Die Gründe, sich für einen bestimmten Weg zu entscheiden, sind
noch weitaus komplexer und umfassen Fragen wie „Spritzenangst“, ggf. Laborparameter
(erhöhte Leberwerte), Ergebnis der Tuberkulosetestung, Komorbiditäten, Injektionshäufigkeit
u. a.
Tab. 5
Therapie der Psoriasis und der PsA – Behandlungspfad.
Psoriasis Haut
|
Psoriasisarthritis
|
Therapeutisches Vorgehen
|
Leicht
PASI < 5, NAPSI positiv, Guttata, Kopfhaut
|
Ohne
|
Topisch; evtl. Skilarence
|
Moderat: DAPSA 5–10
|
Topisch und MTX; evtl. Otezla
|
Schwer: DAPSA > 10
|
Topisch und MTX; evtl. Otezla, TNF-Blockade (Adalimumab Biosimilars)
|
Moderat
PASI 5–10, NAPSI positiv, Guttata, Kopfhaut, inverse Lokalisationen evtl. und mäßig
betroffen
|
Ohne
|
Topisch und Skilarence
|
Moderat: DAPSA 5–10
|
Topisch und MTX; evtl. Otezla TNF-Blockade (Adalimumab Biosimilars)
|
Schwer DAPSA > 10
|
Topisch und MTX TNF-Blockade (Adalimumab Biosimilars)
|
Schwer
PASI > 10, NAPSI deutlich positiv, Kopfhaut schwer, inverse Lokalisationen schwer
betroffen
|
Ohne
|
Topisch und IL-17-Blockade (Cosentyx, Taltz, Kyntheum) oder IL-23-Blockade (Ilumetri,
Skyrizi, Tremfya)
|
Moderat: DAPSA 5–10
|
Topisch und IL-17 Blockade (Cosentyx, Taltz), evtl. IL-23-Blockade (Tremfya)
|
Schwer: DAPSA > 10
|
Topisch und IL-17-Blockade (Cosentyx, Taltz), evtl. IL-23-Blockade (Tremfya)
|
PPP
Evtl. wenige Plaques, evtl. Guttata-Aussaat, NAPSI deutlich positiv
|
Ohne
|
Topisch und Skilarence
|
Moderat: DAPSA 5–10
|
Topisch und TNF-Blockade
|
Schwer: DAPSA > 10
|
Topisch und TNF-Blockade
|
PPP – Psoriasis pustulosa palmoplantaris. In dieser Tabelle wurden ausnahmsweise die
Handelsnamen aufgeführt, wie sie im Aufklärungsgespräch mit den Patienten verwendet
werden.
Im Sinne der Leitlinie [27]
[28] haben wir 8 Patienten, die vorher keine systemische Therapie hatten, primär auf
MTX eingestellt. Von unseren 19 Patienten, die mit Biologika behandelt werden, wurden
10 vorab systemisch mit MTX und/oder Fumarat-Präparaten behandelt, 9 wurden ohne eine
diesbezügliche systemische Therapie direkt auf Adalimumab, Secukinumab oder Ixekizumab
eingestellt, darunter 6 durch eine Klinik (3 davon in einer Studie) und 2 vom Rheumatologen.
Die Therapie der Psoriasis pustulosa palmoplantaris (PPP) stellt eine Herausforderung
dar [29]
[30], sowohl hinsichtlich des Mangels zugelassener Medikamente als auch wegen der Schwierigkeit
der Beschreibung der Schwere der Erkrankung, weil der PASI hier nicht anwendbar ist.
In unserer Kohorte befinden sich 7 Patienten mit PPP (mit und ohne weitere Psoriasisformen).
Davon hatten 5 eine moderate bis schwere PsA, 4 wurden folglich mit einem Adalimumab-Biosimilar
(TNFalpha-Blockade), eine Patientin mit MTX behandelt. Die retrospektive Datenanalyse
im Indikationsgebiet Psoriasis und PsA ermöglicht einen „Blick zurück“ und ein Lernen
aus dem eigenen Patientengut der Praxis. Dies war für uns insofern von Bedeutung,
als in den letzten Jahren manche neue Erkenntnis über die Pathogenese und neue Therapieoptionen
hinzugekommen sind. Wir haben versucht, aus unseren begrenzten Erfahrungen Dokumentations-
und Therapiealgorithmen abzuleiten, an deren Weiterentwicklung wir arbeiten werden.
Wie schon bemerkt, hat die Pandemiesituation in den letzten 15 Monaten bis zum Entstehen
des Manuskriptes v. a. organisatorischen Einfluss auf die Umsetzung von Diagnostik-
und Therapiealgorithmus (Monitoring) gehabt. Wir beobachteten aber bei unseren Patienten
eine bemerkenswert hohe Compliance und Adhärenz, die sich u. a. in einer hohen Termintreue
widerspiegelte. Etliche Kontakte wurden über E-Mail und Telefon realisiert. Lediglich
2 Patienten brachen die Therapie im Beobachtungszeitraum ab, eine Patientin davon
wegen eines geplanten stationären Aufenthaltes, ein Patient stellte sich nicht wieder
vor (beide nicht in der Auswertung enthalten). Alle anderen Systemtherapien wurden,
den Empfehlungen der Fachgesellschaften folgend, fortgesetzt. Kein Patient unserer
Kohorte erlitt eine klinisch relevante SARS-CoV-2-Infektion. Zum Zeitpunkt der Finalisierung
des Manuskriptes waren 19/40 Patienten zumindest einmalig gegen SARS-CoV-2 geimpft,
5 davon in unserer Praxis. Sowohl mRNA- als auch Adenovirale Vektorimpfstoffe kamen
zum Einsatz. Es wurde über keine Nebenwirkung berichtet. Wir konnten zeitnah keine
Auswirkungen auf die laufenden Therapien feststellen. Die Spezialsprechstunde Immundermatologie
wurde auch unter Pandemiebedingungen im gewohnten Modus durchgeführt und war für die
Patienten ein wichtiger, stabiler Anlaufpunkt.