Schlüsselwörter
HDL - Atheroskerose - Risikofaktor - Biomarker - Lipoprotein
Keywords
HDL - atherosclerosis - risk factor - biomarker - lipoprotein
Abkürzungen
AD:
Alzheimer-Krankheit
AMD:
altersbedingte Makuladegeneration
ApoA1:
Apolipoprotein
ASCVD:
atherosklerotische kardiovaskuläre Erkrankungen
CEK:
Cholesterin-Efflux-Kapazität
CETP:
Cholesterinester-Transferprotein
eGFR:
geschätzte glomeruläre Filtrationsrate
HDL:
High-Density-Lipoprotein
HDL-C:
HDL-Cholesterin
KHK:
koronare Herzkrankheit
LDL:
Low-Density-Lipoprotein
rHDL:
rekonstituiertes HDL
RCT:
randomisierte kontrollierte Studie
SR-BI:
Scavenger-Rezeptor-BI
T2DM:
Diabetes mellitus Typ 2
VLDL:
Very-Low-Density-Lipoprotein
Einleitung
Niedrige Plasmaspiegel von High-Density-Lipoprotein-Cholesterin (HDL-C) sind mit einem
erhöhten Risiko für atherosklerotische kardiovaskuläre Erkrankungen (ASCVD), insbesondere
koronare Herzkrankheit (KHK), verbunden [1]
[2]. HDL-Partikel vermitteln biologische Aktivitäten, von denen viele als antiatherogen
gelten: Beispielsweise vermitteln sie den reversen Transport von Cholesterin aus Makrophagen
zur Leber, fördern sie die endotheliale Integrität und Funktion, hemmen sie Entzündungen
durch Unterdrückung der Myelopoese, der Transmigration von Leukozyten durch das Endothel
und der Aktivierung von Makrophagen, reduzieren sie die Lipidoxidation und inaktivieren
sie oxidierte Lipide [1]
[3] ([Abb. 1]). Darüber hinaus wurde die Atherosklerose in mehreren Tiermodellen durch transgene
Überexpression oder exogene Applikation von Apolipoprotein (ApoA1), dem am häufigsten
vorkommenden Protein von HDL, vermindert oder sogar rückgängig gemacht [4]. Jedoch haben in randomisierten kontrollierten Studien HDL-C-erhöhende Medikamente
wie Fibrate, Nikotinsäure (Niacin) oder Inhibitoren des Cholesterinester-Transferproteins
(CETP) nicht die Rate kardiovaskulärer Ereignisse vermindert [1]
[3] und Infusionen von rekonstituiertem HDL (rHDL) führten nicht zu einer Rückbildung
der Atherosklerose in Koronararterien oder Halsschlagadern [1]
[5]. Zudem waren bei mehreren angeborenen Störungen des HDL-Stoffwechsels des Menschen
oder genetischer Manipulation des HDL-Stoffwechsels in Mausmodellen niedrige oder
hohe HDL-C-Spiegel nicht immer mit den Unterschieden im kardiovaskulären Risiko bzw.
der atherosklerotischen Plaquebelastung verbunden, die aufgrund der epidemiologischen
Daten erwartet wurden [1]
[4]. Zum Beispiel erhöht der Verlust der Scavenger-Rezeptor-BI-Funktion (SR-BI) trotz
erhöhter HDL-C-Spiegel das Risiko von ASCVD-Ereignissen bei Trägern von SCARB1-Mutationen
und das Ausmaß der Atherosklerose bei SCARB1-Knock-out-Mäusen [4]
[6]. Aufgrund dieser widersprüchlichen Daten werden die kausale Rolle von HDL bei der
Atherosklerose sowie die Eignung von HDL-C als therapeutisches Ziel heute angezweifelt
[1]. Allerdings leiden sowohl die frühere Euphorie als auch die aktuelle Skepsis in
der Diskussion über die Rolle von HDL bei ASCVD unter mehreren Missverständnissen.
Abb. 1 Pleiotrope Funktionen von High-Density-Lipoprotein (HDL). EPC: endotheliale Progenitorzellen.
Fehlende Kausalität und U-förmige Assoziation von HDL-Cholesterin mit atherosklerotischen
vaskulären Erkrankungen
Fehlende Kausalität und U-förmige Assoziation von HDL-Cholesterin mit atherosklerotischen
vaskulären Erkrankungen
Menschen mit HDL-C-Spiegeln unterhalb der aus epidemiologischen Assoziationen abgeleiteten
Risikoschwelle von 1,0 mmol/l oder 40 mg/dl haben häufig auch andere Risikofaktoren
für ASCVD, insbesondere Hypertriglyzeridämie, einen latenten oder manifesten Diabetes
mellitus Typ 2 (T2DM), Übergewicht oder Adipositas, Rauchen oder chronische Entzündungen
wie chronisch-obstruktive Lungenerkrankung oder rheumatische Erkrankungen [1]. Trotz statistischer Unabhängigkeit ist HDL-C möglicherweise nur ein indirekter
Marker dieser atherogenen Bedingungen. So wird insbesondere wegen der engen Stoffwechselbeziehungen
zwischen HDL und triglyzeridreichen Lipoproteinen postuliert, dass ein niedriges HDL-C
ein indirekter Langzeitindikator für postprandiale Hypertriglyzeridämie und deren
Atherogenität ist – ähnlich wie erhöhtes glykiertes Hämoglobin A1c ein Langzeitmarker
für einen gestörten Glukosestoffwechsel, aber kein kausaler Faktor für die diabetischen
Endorganschäden ist [1]
[7].
Die Assoziation von HDL-C mit dem Risiko von ASCVD-Ereignissen wird traditionell als
invers beschrieben. Hieraus resultierte die weit verbreitete Rezeption von HDL-C als
„gutes Cholesterin“ und die Anwendung von „Je höher, desto besser“-Strategien, sowohl
in der Patientenberatung als auch in der Arzneimittelentwicklung. Anders als beim
Low-Density-Lipoprotein (LDL-C) ist die Beziehung zwischen HDL-C und dem kardiovaskulären
Risiko jedoch nicht kontinuierlich. Bereits eine Metaanalyse von 68 Populationsstudien
mit mehr als 300000 Teilnehmern und 2785 Myokardinfarkten durch die „Emerging Risk
Factors Collaboration“ ergab, dass das für Confounder adjustierte Risiko eines Myokardinfarkts
vom 1.–6. Dezil allmählich abnimmt (d.h. bis etwa 1,3 mmol/l oder 50 mg/dl), nicht
aber darüber hinaus [8]. Ähnliche Beobachtungen wurden bei mehr als 110000 und 630000 Teilnehmern dänischer
bzw. kanadischer Bevölkerungsstudien gemacht [1]. Bemerkenswerterweise sind die Assoziationen von HDL-C mit gesamt- und krankheitsspezifischen
Mortalitäten, einschließlich kardiovaskulärer Mortalität, sogar parabolisch (U-förmig):
Sowohl in der dänischen als auch in der kanadischen Studie erreichten die inversen
Assoziationen von HDL-C mit der Gesamtmortalität ihre Tiefpunkte bei 1,8–1,9 mmol/l
(70–75 mg/dl) und 2,3–2,4 mmol/l (90–95 mg/dl) bei Männern bzw. Frauen. Jenseits dieser
Schwellenwerte stieg das Sterberisiko mit weiter steigenden HDL-C-Spiegeln allmählich
an [2].
Die Mehrzahl der Studien zu Fibraten, Niacin oder CETP-Inhibitoren definierte jedoch
keine Obergrenze von HDL-C [9]. Auch die Mendelsche Randomisierung geht fälschlicherweise von kontinuierlichen
„Je höher, desto besser“-Beziehungen zwischen HDL-C und klinischem Endpunkt aus [1]
[10].
Niedrige HDL-C-Spiegel weisen auf ein erhöhtes ASCVD-Risiko hin, oft als Folge metabolischer
oder entzündlicher Erkrankungen. Hohe HDL-C-Serumkonzentrationen bedeuten hingegen
kein vermindertes ASCVD-Risiko. Quotienten aus HDL-C und LDL-C sind obsolet.
Limitationen von HDL-modifizierenden Medikamenten
Limitationen von HDL-modifizierenden Medikamenten
Das Scheitern der randomisierten kontrollierten Studien (RCT) zu Fibraten (s. Box
Zusatzinfo 1), Nikotinsäure und CETP-Inhibitoren (s. Box Zusatzinfo 2) [1]
[9]
[11]
[12] wird häufig als Argument verwendet, um die Kausalität von HDL in der Pathogenese
der Atherosklerose infrage zu stellen. Allerdings bewirkt keines dieser Medikamente
– mit Ausnahme des ebenfalls nicht effektiven CETP-Inhibitors Dalcetrapib – spezifisch
eine HDL-C-Erhöhung. Zum Teil üben sie stärkere Wirkungen auf Triglyzeride (Fibrate,
Nikotinsäure), LDL-C und Lipoprotein(a) (Nikotinsäure) als auf HDL-C aus. Daher zeigen
die Studien die fehlende Wirksamkeit der untersuchten Medikamente zur ASCVD-Prävention,
beweisen jedoch nicht zwingend, dass HDL nicht therapeutisch nutzbar wären.
Nach dem Versagen von CETP-Inhibitoren wurden nur wenige Medikamenten-Entwicklungen
gegen HDL fortgesetzt oder neu begonnen. Bei einigen neuen lipidmodifizierenden Medikamenten
ist die Änderung des HDL-C-Spiegels nicht Ziel ihrer Entwicklung, sondern eine unbeabsichtigte
Begleiterscheinung ([Tab. 1]).
Tab. 1 Medikamenten-Entwicklungen mit Auswirkungen auf den HDL-Stoffwechsel (Zusammenfassung
nach [1]
[3]
[5]
[9]
[12]
[13]
[14]).
Wirkstoff
|
Wirkprinzip
|
Erhoffte Wirkweise
|
Effekte auf den HDL-Stoffwechsel
|
Klinische Prüfung
|
ACS: akutes Koronarsyndrom, ADCY: Adenylatcyclase, AEGIS II: ApoA1 Event Reducing
in Ischemic Syndrome II, ANGPTL3: Angiopoietin-ähnliches Protein 3, BET: Bromodomänen-
und extraterminale Proteine, Apo: Apolipoprotein, CETP: Cholesterinester-Transferprotein,
EL: endotheliale Lipase, HDL: High Density Lipoprotein, HDL-C: HDL-Cholesterin, LCAT:
Lezithin-Cholesterin-Acyltransferase, LDL: Low Density Lipoprotein, LDL-C: LDL-Cholesterin,
LPL: Lipoproteinlipase, LpX: Lipoprotein X, ein atypisches, potenziell nephrotoxisches
Lipoprotein, das bei LCAT-Defizienz und Cholestase gebildet wird, RCT: reverser Cholesterintransport
|
Dalcetrapib
|
CETP-Hemmung
|
Plaque-Regression bei Trägern eines bestimmten ADCY9-Allels
|
HDL-C-Anstieg um 30%
|
pharmakogenetische Phase-III-Studie (Dal-GenE)
|
Obicetrapib
|
CETP-Hemmung
|
LDL-Rezeptor-unabhängige Senkung von LDL-C und triglyzeridreichen Lipoproteinen
|
HDL-C-Anstieg um mehr als 100%
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Phase III (PREVAIL)
|
rekonstituierte HDL (MDCO-216, Cer001, CSL112)
|
HDL-Analog
|
Plaque-Regression
|
verbesserte HDL-Funktion, intensivierter RCT
|
MDCO-216 und Cer001 nach Phase II gestoppt; CSL112 in Phase-III-Studie (AEGIS II)
|
ApoA1-mimetische Peptide
|
HDL-Analog
|
Plaque-Regression
|
Verbesserte HDL-Funktion, anti-inflammatorische Effekte
|
klinische Erprobung von FX-5A geplant
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rekombinante LCAT (MEDI6012
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Enzym-Ersatztherapie
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HDL-C-Anstieg um 60–100%
|
Phase-IIb-Studie REAL-TIMI 63B
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Apabetalone
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BET-Inhibitor
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HDL-C-Erhöhung und Plaque-Regression
|
geringe HDL-C-Erhöhung
|
keine Ereignisreduktion bei Patienten mit ACS und Diabetes
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Evinacumab
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Antikörper gegen ANGPTL3, einen Hemmer der LPL und EL
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LDL-Rezeptor-unabhängige Senkung von LDL-C und triglyzeridreichen Lipoproteinen
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HDL-C-Senkung um 20–30%
|
zugelassen für die homozygote familiäre Hypercholesterinämie
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Vupanorsen
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Antisense-Nukleotid gegen ANGPTL3
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Entwicklung wegen Hepatopathie gestoppt
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MEDI5884
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Antikörper gegen EL
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HDL-C-Erhöhung und Plaque-Regression
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HDL-C-Erhöhung um 100%
|
Phase II
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Volanesorsen
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Antisense-Nukleotid gegen APOC3, einen Regulator der Lipoproteinlipase
|
Senkung von triglyzeridreichen Lipoproteinen und ihren Remnants
|
|
zugelassen für das familiäre Chylomikronämie-Syndrom
|
Einen direkten Beweis für die antiatherogene Wirkung von HDL beim Menschen erhofft
man sich von Infusionen mit künstlich aus ApoA1 und Phosphatidylcholin rekonstituiertem
HDL (rHDL), welche in hypercholesterinämischen Tiermodellen wirksam waren [5]. Erste ermunternde Ergebnisse von intrakoronaren Ultraschallstudien, die Plaque-Regression
bei ACS-Patienten unter Behandlung mit rHDL anzeigten, wurden in größeren Studien
nicht bestätigt. Derzeit wird nur einer von 3 Ansätzen – CSL112 – in einer großen
randomisierten und kontrollierten Phase-III-Studie (ApoA-I Event Reducing in Ischemic
Syndrome II = AEGIS II) weiterverfolgt. 17400 Patienten mit Myokardinfarkt werden
innerhalb von 5 Tagen nach dem Ereignis auf 4 wöchentliche Infusionen von entweder
6g CSL112 oder Placebo randomisiert [13]. Das primäre Ergebnis ist die Zeit bis zum ersten Auftreten der Kombination aus
Tod kardiovaskulärer Ursache, Herzinfarkt oder Schlaganfall über 90 Tage. Sekundäre
Endpunkte umfassen die Gesamtzahl der Krankenhausaufenthalte für koronare, zerebrale
oder periphere Ischämie über 90 Tage und die Zeit bis zum ersten Auftreten des kombinierten
primären Endpunkts über 180 und 365 Tage. Die Ergebnisse werden voraussichtlich 2023
vorliegen.
Fibrate
Zwei alte Studien mit Gemfibrozil – ohne Statine – waren die einzigen, die signifikante
Reduktionen von ASCVD-Ereignissen durch die Fibrate zeigten [15]. Gemfibrozil ist aufgrund seiner ausgeprägten Arzneimittelinteraktion allerdings
für die Patientenversorgung nicht gut geeignet. Post-hoc-Analysen dieser und der übrigen
Fibratstudien zeigten relative Risikoreduktionen für Untergruppen von Patienten mit
HDL-C- und Triglyzerid-Spiegeln < 35mg/dl (0,9mmol/l) und > 200mg/dl (2,3mmol/l) im
Bereich von 27–65%. Allerdings fand die kürzlich publizierte PROMINENT-Studie selbst
in einer nach diesen Kriterien selektierten Population von Diabetikern keine Wirksamkeit
über die von Statinen hinaus [11]. Somit werden Fibrate heute nicht mehr als präventive Therapie von Herz-Kreislauf-Erkrankungen
empfohlen. Offen ist die Frage, ob Fibrate andere mit Hypertriglyzeridämie assoziierte
Krankheiten, z.B. akute Pankreatitis oder Steatohepatitis, verhüten.
CETP-Hemmer
CETP vermittelt den Austausch von Cholesterinestern von HDL gegen Triglyzeride von
VLDL (Very-Low-Density-Lipoprotein) und LDL [12]. Die CETP-Inhibitoren Torcetrapib, Evacetrapib und Anacetrapib vermitteln einen
Anstieg von HDL-C um 75–130% und eine Abnahme von LDL-C um 25–40% [12]. Der schwächere CETP-Inhibitor Dalcetrapib erhöht HDL-C um 30%, ohne einen LDL-C-Abfall
zu verursachen [12]. CETP-Inhibitoren senken Lipoprotein(a) durch einen bisher unbekannten Mechanismus
um bis zu 35% [12]. Trotz ihrer positiven Auswirkungen auf die Lipoproteinspiegel wurden 3 Studien
vorzeitig wegen erhöhter Mortalität (ILLUMINATE) oder Wirkungslosigkeit abgebrochen.
Nur die Kombination von Statin mit Anacetrapib in der REVEAL-Studie zeitigte eine
geringe Risikoreduktion, welche auf die Abnahme von LDL-C zurückgeführt wurde [9]
[12]
[15]. Möglicherweise hängt die Antiatherogenität der CETP-Hemmung von der Kapazität des
LDL-Rezeptorwegs ab: Wenn dieser durch eine Statinbehandlung voll funktionsfähig ist,
fördert CETP den reversen Cholesterintransport und sollte nicht blockiert werden [1]
[9]
[16]. Die durch CETP-Hemmung verlängerte Lebensdauer macht HDL-Partikel anfälliger für
potenzielle pathologische Modifikationen. Aktuell ist keiner der CETP-Hemmer zur Patientenbehandlung
zugelassen [1]. Ein neuer CETP-Hemmer, Obicetrapib, ist aktuell in klinischer Prüfung [14].
Biomarker für die Funktion von High-Density-Lipoprotein
Biomarker für die Funktion von High-Density-Lipoprotein
Die weitere Entwicklung von HDL als therapeutisches Ziel ist vor allem durch das Fehlen
von Biomarkern begrenzt, welche die funktionelle und kausale Rolle von HDL in der
Pathogenese der Atherosklerose widerspiegeln. Das Cholesterin der HDL (d.h. HDL-C)
vermittelt keine der potenziell antiatherogenen Aktivitäten von HDL. HDL-C stellt
einen Surrogatmarker zur Abschätzung der HDL-Poolgröße dar, ohne die heterogene Zusammensetzung
und damit die Funktionalität von HDL zu entschlüsseln [1]
[3]. Auch die Ergebnisse zu Anzahl und Größe von HDL-Partikeln sind widersprüchlich
[9]
[17]. Weiterhin wurden Bioassays für die HDL-Funktion entwickelt. Unter ihnen wurde die
Cholesterin-Efflux-Kapazität (CEK) am ausführlichsten untersucht. Eine aktuelle Metaanalyse
berichtet eine signifikante inverse und von HDL-C unabhängige Assoziation von CEK
mit ASCVD und Mortalität [18]. Als arbeitsaufwendiger Bioassay ist CEK eher ein Forschungs- als ein diagnostisches
Werkzeug. Zudem ist nicht bewiesen, dass die Vermittlung von Cholesterin-Efflux die
relevanteste atheroprotektive Funktion von HDL ist. So führt die Behandlung mit CETP-Inhibitoren
zu einem Anstieg der CEK von apoB-freien Seren oder Plasmen, ohne aber die kardiovaskulären
Ereignisraten zu senken [9].
HDL sind heterogen zusammengesetzt. Zusammen transportieren die verschiedenen Subklassen
von HDL hunderte verschiedener Proteine und Lipide, von denen viele biologisch aktiv
sind [1]
[3]
[9] (s. [Abb. 1]). Zum Beispiel zeigen ApoA1- oder Cholesterin-Konzentrationen in ApoC-III-freien
Partikeln, aber nicht in Partikeln, die ApoC-III enthielten, die erwarteten inversen
Assoziationen mit ASCVD-Ereignissen [19]. Mehrere massenspektrometrische Studien fanden starke Veränderungen im Lipidom oder
Proteom von HDL bei Patienten mit akuter oder chronischer KHK oder als Reaktion auf
eine Statintherapie [1]
[3]
[9]. Andere Studien fanden bei Patienten mit terminaler diabetischer Nephropathie, Herzinsuffizienz
oder KHK, dass die Anreicherung von HDL mit pulmonalem Surfactantprotein B oder Serum-Amyloid-Protein
A mit einem erhöhten Mortalitätsrisiko assoziiert ist [20]. Weiterhin spielt das inflammatorische Milieu im Serum eine Rolle für die HDL-Funktion,
welches über die Serumkonzentrationen von Serumamyloid A [21] oder symmetrischem Dimethylarginin [22] ermittelt werden kann. Bisher hat sich jedoch keines dieser Verfahren für die Patientenversorgung
durchgesetzt.
Nicht der Cholesteringehalt (also HDL-C), sondern die Zahl oder die Protein- und Lipidzusammensetzung
der HDL-Partikel definieren die Funktion von HDL. Bislang sind aber entsprechende
Messmethoden für den klinischen Einsatz nicht ausreichend validiert.
Mögliche Therapieziele jenseits von atherosklerotischen kardiovaskulären Erkrankungen
Mögliche Therapieziele jenseits von atherosklerotischen kardiovaskulären Erkrankungen
Während der Evolution der Arten entstanden HDL als erste Lipoproteine. Als spät im
Leben einsetzende Krankheiten limitieren ASCVD nicht das Überleben einer Spezies.
Deswegen werden ASCVD-unabhängig Schutzfunktionen von HDL postuliert, die in [Abb. 2] zusammengefasst sind [1]
[2]. Bitte beachten Sie die unterschiedlichen Richtungen der Assoziationen von HDL-C,
die von invers (Diabetes, Autoimmun-Erkrankungen) über parabolisch (Infektionen, chronische
Nierenerkrankungen, Mortalität) bis positiv (Alzheimer-Krankheit, altersbedingte Makuladegeneration)
reichen.
Abb. 2 Beziehungen von HDL-Cholesterin zu verschiedenen Erkrankungen (nach Daten aus [9]). ASCVD: atherosklerotische kardiovaskuläre Erkrankungen, CETP: Cholesterinester-Transferprotein,
rHDL: rekonstituiertes HDL.
Diabetes
Niedrige HDL-C-Spiegel sind bei Patienten mit T2DM häufig und gehen der Manifestation
einer Hyperglykämie voraus. Aufgrund der vielfältigen Auswirkungen von Insulin auf
den HDL-Stoffwechsel, von denen die meisten indirekt über freie Fettsäuren oder triglyzeridreiche
Lipoproteine erfolgen, wurden diese Zusammenhänge lange Zeit durch umgekehrte Kausalität
erklärt: Ein niedriges HDL-C ist Folge und nicht Ursache eines Diabetes und Prädiabetes
[23]. In-vitro- und In-vivo-Studien deuten jedoch darauf hin, dass HDL Schutzfunktionen
auf die Funktion und das Überleben von Betazellen der Bauchspeicheldrüse sowie auf
die Empfindlichkeit von Zielzellen gegenüber Insulin ausübt [24]. Beim Menschen bewirkt die Infusion von künstlichem rHDL eine akute Senkung des
Glukosespiegels. Post-hoc-Analysen der CETP-Inhibitor-Studien fanden eine verbesserte
Glykämiekontrolle bei den mit CETP-Inhibitoren behandelten Patienten sowie eine geringere
Inzidenz von Diabetes im Vergleich zu den mit Placebo behandelten Kontrollen [25]. Mendelsche Randomisierungsstudien lieferten allerdings widersprüchliche Ergebnisse
zur genetischen Kausalität von HDL-C bei Diabetes [1].
Chronische Niereninsuffizienz
HDL-C zeigt eine parabolische Assoziation mit einer um > 30% sinkenden geschätzten
glomerulären Filtrationsrate (eGFR) oder der Inzidenz von eGFR < 60ml/min und lieferte
auch Hinweise auf eine genetische Kausalität [1]. Mutationen in APOA1, APOE, APOL1 und LCAT sind Ursachen für genetische Nephropathien
[26]. Subgruppenanalysen aus klinischen Studien sind nicht konklusiv. Derzeit sind keine
Mechanismen bekannt, durch die HDL nephroprotektiv wirkt. Da kleine HDL-Partikel glomerulär
filtriert und tubulär mittels Megalin/Cubilin-Co-Rezeptoren wieder aufgenommen werden,
könnte HDL schützende Moleküle an die Niere abgeben, z.B. Sphingosin-1-Phosphat [26].
Infektionen
Die Copenhagen-General-Population-Studie fand U-förmige Zusammenhänge zwischen HDL-C
und der Inzidenz von Infektionen [2]. Die Assoziationen mit bakteriellen Infektionen waren stärker als die mit Virusinfektionen.
Eine limitierte Mendelsche Randomisierungsanalyse mit 2 Loci (CETP und LIPC) lieferte
erste Hinweise auf eine genetische Kausalität [2]. Genetische Kausalität existiert auch für die Assoziation von niedrigem HDL-C mit
der Inzidenz und Letalität von Sepsis [27]. Mechanistisch werden die Bindung von Lipopolysacchariden, der Schutz epithelialer
und endothelialer Barrieren oder modulatorische Effekte auf Leukozyten-Funktionen
beschrieben [2]. In vitro hemmen HDL oder ApoA1 den Eintritt von Viren in Zielzellen [28]. HDL weisen schützende Eigenschaften gegenüber Protozoen auf. Ein besonders imposantes
Beispiel ist der Schutz des Menschen vor Trypanosoma brucei durch ApoL1, welches durch
eine Subfraktion von HDL transportiert wird und den Einzeller nach zellulärer Aufnahme
des HDL-Komplexes durch lysosomale Schwellung tötet [29].
Autoimmunkrankheiten
Bei mehr als 110000 Teilnehmern dänischer Bevölkerungsstudien waren niedrige HDL-C-Konzentrationen
mit einem erhöhten Risiko für die Entwicklung einer Autoimmun-Erkrankung assoziiert
[1]
[2]. Unter den 42 untersuchten Krankheiten waren die Assoziationen von HDL-C mit Zöliakie,
idiopathischer thrombozytopenischer Purpura, Morbus Sjögren, Diabetes mellitus Typ
1, entzündlichen Darmerkrankungen und Morbus Basedow am stärksten [2]. Die zugrunde liegenden Mechanismen beruhen womöglich auf immunmodulatorischen und
organprotektiven Effekten von HDL [3]. Beispielsweise können die antiapoptotischen Wirkungen von HDL auf Betazellen den
Verlust der Insulinproduktion im Verlauf eines fortschreitenden Typ-1-Diabetes verzögern
[24]. Darmentzündung ist bei ApoA1-Knock-out-Mäusen erhöht, nimmt jedoch bei Mäusen ab,
die humanes ApoA1 überexprimierten oder mit ApoA1-mimetischen Peptiden gefüttert wurden
[9].
Krebs
Mehrere epidemiologische Studien fanden inverse Zusammenhänge zwischen HDL-C und Krebs
insgesamt sowie spezifischen Krebsarten wie Brustkrebs oder Darmkrebs [1]
[9]. Derzeit gibt es keine Hinweise auf Kausalität. Möglicherweise ist niedriges HDL-C
nur ein indirekter Hinweis auf das Vorliegen anderer kausaler Krebsrisikofaktoren,
wie zum Beispiel Rauchen, Übergewicht und Fettleibigkeit, Typ-2-Diabetes oder chronisch-entzündliche
Erkrankungen. Selbst wenn HDL nicht ursächlich mit Krebs zusammenhängt, bietet es
Möglichkeiten zur therapeutischen oder diagnostischen Nutzung: Wahrscheinlich, um
ihren hohen Bedarf an Cholesterin für das Wachstum zu decken, zeigen viele Krebsarten
eine hohe Expression von Lipoproteinrezeptoren, einschließlich SR-BI [30]. Dies kann potenziell durch die Verwendung von rHDL für die Verabreichung von Krebsmedikamenten
oder Tracern für die Bildgebung ausgenutzt werden [31].
Alzheimer-Krankheit und altersbedingte Makuladegeneration
In den Kopenhagener Studien wurden hohe HDL-C-Spiegel > 95. Perzentile mit erhöhten
Risiken für Demenz und Alzheimer-Krankheit (AD) assoziiert [1]
[10]. Auch das Risiko für altersbedingte Makuladegeneration (AMD) steigt mit HDL-C und
noch mehr mit ApoA1-Spiegeln [1]
[9]. Mendelsche Randomisierungsstudien fanden Hinweise auf genetische Kausalität von
höherem HDL-C für das höhere Risiko von AMD, aber nicht AD [1]. CETP, APOE und LIPC waren wichtige Treiber der genetischen Assoziation zwischen
HDL-C und AMD [10]. Kandidatengen-Ansätze sowie genomweite Assoziationsstudien fanden zudem ABCA1 als
genetische Determinante von AD- und AMD-Risiken [1]. Ebenso deuten gewebespezifische Knock-out-Experimente an Mäusen darauf hin, dass
der Verlust der ABCA1-Funktion in Neuronen und retinalen Pigment-Epithelzellen die
neurokognitiven bzw. retinalen Funktionen beeinträchtigt [32]
[33]. ABCA1 ist limitierend für Cholesterin-Efflux und HDL-Bildung. Der auf den ersten
Blick bestehende Widerspruch zwischen den Assoziationen von AD und AMD mit hohen HDL-C-Spiegeln
im peripheren Blut, aber lokal reduziertem Cholesterin-Efflux im Gehirn und in der
Netzhaut kann durch die enge Trennung dieser Kompartimente durch die Blut-Hirn-Schranke
aufgelöst werden. Dies bedeutet aber auch, dass systemische HDL-C-erhöhende Therapien,
z.B. CETP-Hemmer, nicht notwendigerweise AMD und AD begünstigen, zumindest nicht,
wenn diese Medikamente nicht die Blut-Hirn-Schranke passieren und dadurch auch lokale
Effekte haben.
Experimentelle, epidemiologische, genetische und klinische Befunde weisen auf kausale
Effekte der HDL für etliche Erkrankungen über ASCVD hinaus. Aktuell ergeben sich aus
diesen Befunden keine klinischen Implikationen.
Implikationen für die klinische Praxis
Implikationen für die klinische Praxis
Niedriges HDL-Cholesterin
Im Gegensatz zu LDL-C ist HDL-C kein Behandlungsziel [34]. HDL-C ist jedoch weiterhin Teil der ASCVD-Risikoschätzung, sowohl direkt als auch
indirekt durch die Verwendung von HDL-C zur Berechnung von Non-HDL-Cholesterin oder
sogar LDL-Cholesterin [35]. Insbesondere bei asymptomatischen Patienten ohne lipidmodifizierende Behandlung
gilt ein niedriger HDL-C-Spiegel weiterhin als Risikofaktor für die Entwicklung von
ASCVD. Schließlich ist ein niedriges HDL-C weiterhin Bestandteil der Definitionen
für das metabolische Syndrom, was auf erhöhte Risiken nicht nur für ASCVD, sondern
auch für Diabetes und andere mit Fettleibigkeit zusammenhängende Krankheiten hinweist.
Der Nachweis niedriger HDL-C-Spiegel sollte Ärzte und Patienten dazu veranlassen,
die Kontrolle anderer Risikofaktoren zu optimieren [1]. Die abgeschwächte Assoziation von niedrigem HDL-C mit dem ASCVD-Risiko bei intensiver
Statintherapie [9] zeigt die Bedeutung einer konsequenten LDL-C-Senkung bei diesen Patienten. Weitere
wichtige Maßnahmen sind die Raucherentwöhnung, die Korrektur von Fettleibigkeit und
Übergewicht sowie die Behandlung von Bluthochdruck und der Ausschluss von systemischen
inflammatorischen Erkrankungen.
Hohes HDL-Cholesterin
Von großer klinischer Bedeutung ist die Verabschiedung von hohen HDL-C-Spiegeln als
Schutzfaktor. Hohe HDL-C-Spiegel bedeuten kein geringeres ASCVD-Risiko als mittlere
Spiegel, aber höhere Risiken für Infektionen und frühere Sterblichkeit. Hohe HDL-C-Spiegel
bedeuten somit keine Entwarnung beim Vorliegen anderer Risikofaktoren, z.B. LDL-Hypercholesterinämie.
Klinische Laboratorien sowie Kliniker und Praktiker sollten die immer noch weit verbreitete
klinische Praxis zur Berechnung von Gesamtcholesterin/HDL-C- oder LDL-C/HDL-C-Ratios
beenden, um nicht das Risiko von Personen mit hohem HDL-C zu unterschätzen. Leider
berücksichtigen auch die Algorithmen für die Schätzung des ASCVD-Risikos nicht die
diskontinuierliche Beziehung von HDL-C mit dem Risiko, sondern deeskalieren das Risiko
bei (sehr) hohen HDL-C-Spiegeln. Auch hier sind Anpassungen nötig.
Die Diskussion um die therapeutischen Folgen hoher HDL-C-Spiegel steckt noch in den
Kinderschuhen. Es ist nicht klar, ob die Assoziationen von hohem HDL-C mit erhöhter
Mortalität und Risiken für chronische Niereninsuffizienz, Infektionskrankheiten, AD
oder AMD kausal sind. Ein wichtiger potenzieller Einflussfaktor ist übermäßiger Alkoholkonsum
[2]. In Ermangelung von HDL-C-senkenden Behandlungen mit nachgewiesener Wirksamkeit
ist es ratsam, sich auch bei Patienten mit hohem HDL-C auf die Kontrolle anderer kausaler
Risikofaktoren zu konzentrieren, wie bei Patienten mit niedrigem HDL-C beschrieben.
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Niedriges HDL-C ist ein Risikomarker; hohes HDL-C ist nicht protektiv; der HDL/LDL-Quotient
ist obsolet.
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Eine lebensstilassoziierte HDL-C-Erhöhung durch Nichtrauchen und körperliche Aktivität
ist mit einer Reduktion von ASCVD assoziiert.
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HDL-C ist, anders als LDL-C oder Non-HDL-C, kein Ziel für medikamentöse Therapien
zur Reduktion des ASCVD-Risikos.
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Aktuelle Forschungsergebnisse zur Bestimmung der HDL-Funktion sind interessant, aber
aktuell noch ohne klinische Konsequenz.
-
Dasselbe gilt für die epidemiologischen und genetischen Beziehungen von HDL-C zu nicht
kardiovaskulären Erkrankungen.