Schlüsselwörter Kinderrheumatologie - Juvenile idiopathische Arthritis - Versorgungsstruktur - Biologika
Key words juvenile idiopathic arthritis - biologics - medical care - paediatric rheumatology
Einleitung
Rheumatische Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter umfassen eine Vielzahl von
Erkrankungsbildern, die autoimmunologische und/oder autoinflammatorische
Ursachen haben können [1 ]
[2 ]. Insgesamt gehen wir von ca. 22 000
bis 25 000 betroffenen Kindern und Jugendlichen in der BRD aus. Neue
Therapien und diagnostische Möglichkeiten (z. B. targeted
Next-Generation Sequencing, Gene panels u. a.) haben das
kinderrheumatologische Behandlungsspektrums um die autoinflammatorischen
Erkrankungen erweitert.
Als Juvenile idiopathische Arthritis (JIA) wird eine Arthritis mit einer Dauer von
mehr als 6 Wochen bezeichnet, wenn: (i) sie vor dem vollendeten 16. Lebensjahr
erstmalig auftritt und (ii) keine anderen Ursachen gefunden werden können.
Die JIA hat in den meisten Fällen einen chronisch progredienten oder
rezidivierenden Verlauf über Jahre. Die Folgen der Arthritis für die
betroffenen Gelenke und die umliegenden Strukturen können unmittelbar,
jedoch auch langfristig auftreten. Extra-artikuläre Manifestationen,
v. a. eine Augenbeteiligung durch eine Uveitis anterior [3 ] sind möglich und erfordern z.T. ein
besonderes Vorgehen. Die Erkrankung kann die Entwicklung der betroffenen Kinder und
Jugendlichen sowohl bezüglich des Wachstums als auch bezüglich
neuromotorischer Fähigkeiten erheblich beeinträchtigen. Entsprechend
der klinischen Manifestationen werden gemäß der
Klassifikationskriterien der International League of Associations for Rheumatology
acht verschiedene Kategorien [Systemische JIA (SJIA), persistierende
oligoartikuläre JIA (PO-JIA), extended oligoartikuläre JIA (EO-JIA),
Rheumafaktor-negative polyartikuläre JIA (RFneg-pJIA), Rheumafaktor-positive
polyartikuläre JIA (RFpos-pJIA), Enthesitis assoziierte Arthritis (EA),
juvenile Psoriasisarthritis (jPsA), undifferenzierte JIA] unterschieden [4 ]. Bei der oligoartikulären JIA
erfolgt die definitive Zuordnung erst nach mindestens 6 Monaten Erkrankungsverlauf
in die Unterformen persistierende (max. 4 betroffene Gelenke) und extended (mehr als
4 Gelenke betroffen) Form. Auch beim Vorliegen einer zunächst
undifferenzierten JIA kann die endgültige Klassifikation oft erst im Verlauf
möglich sein [5 ].
Polyartikuläre Verläufe einer JIA sind bei der SJIA, der
Oligoarthritis, der EA, jPsA und der undifferenzierten Arthritis möglich.
Patienten können im Verlauf der Erkrankung auch nach vielen Jahren noch die
Kategorie wechseln [6 ]. So ist bei Patienten
mit SJIA im Langzeitverlauf eine Polyarthritis regelhaft und es kann zur Bildung von
Autoantikörpern kommen [7 ].
Die Kollagenosenumfassen eine Gruppe heterogener Erkrankungen mit häufig
überlappender Symptomatik. Einige der Erkrankungen können auch einen
vaskulitischen Verlauf nehmen (z. B. juveniler Systemischer Lupus
erythematodes [jSLE], juvenile Dermatomyositis [jDM], juvenile systemische
Sklerodermie [jSSc], juvenile lineare Sklerodermie [jlSc], mixed connective tissue
disease [MCTD]). Bei einigen Erkrankungen geht man inzwischen von einem
Symptomkomplex aus, der jedoch durch ganz unterschiedliche pathophysiologische
Mechanismen bedingt sein kann (z. B. jSLE). Die meisten Kollagenosen sind im
Kindes- und Jugendalter extrem selten. Der Beginn der Erkrankung kann akut oder
schleichend sein. Das macht die Diagnostik manchmal schwer. Mit Ausnahme der
lokalisierten Verlaufsformen (limitierter LE, jlSc) sind alle anderen Kollagenosen
als Systemerkrankungen aufzufassen, die potentiell Organschäden verursachen
und sogar lebensbedrohliche Verläufe haben können [8 ]
[9 ]
[10 ].
Vaskulitiden, d. h. Erkrankungen, die durch einen entzündlichen
Prozess an den Gefäßen vermittelt werden, sind bei Kindern und
Jugendlichen deutlich seltener als bei Erwachsenen. Eine Ausnahme bilden die
IgA-Vaskulitis (IAV, früher Purpura Schönlein-Henoch) und das
Kawasaki Syndrom (KS), 2 prognostisch zumeist gut verlaufende Vaskulitiden, die
überwiegend bei Kindern beobachtet werden. Die spezifische Klassifikation
der juvenilen Vaskulitiden nach EULAR/PReS [11 ]
[12 ] unterscheidet: eine i)
Vaskulitis vorwiegend der großen Gefäße: juvenile Takayasu
Arteriitis (jTA); ii) Vaskulitis vorwiegend mittelgroßer
Gefäße: juvenile Polyarteriitis nodosa, Kawasaki Syndrom (KS); iii)
Vaskulitis vorwiegend der kleinen Gefäße: juvenile Granulomatose mit
Polyangiitis (GPA, früher Morbus Wegener), Eosinophile Granulomatose mit
Polyangiitis (EGPA), mikroskopische Polyangiitis, IgA-Vaskulitis,
hypokomplementämische urtikarielle Vaskulitis, kryoglobulinämische
Vaskulitis, anti-GBM-Vaskulitis; sowie iv) Vaskulitis mit Beteiligung von
Gefäßen variabler Größe: z. B. Morbus
Behçet (MB). Eine neue Gruppe von Vaskulitiden sind die monogenetischen
Formen einer Vaskulitis: Deficiency of adenosine deaminase 2 (DADA2),
STING-associated vasculitis of infancy (SAVI) und die Haploinsuffizienz
A20 (HA20). Hier findet sich ein fließender Übergang zu den
Interferonopathien, einer Gruppe seltener hereditärer Erkrankungen, deren
Ursache in Mutationen in regulatorischen Genen der Interferon-Signalkette liegen.
Vaskulitiden und Interferonopathien erfordern als Multiorganerkrankungen immer ein
multidisziplinäres Versorgungskonzept.
Autoinflammatorische Erkrankungen
Wiederkehrendes Fieber ohne erkennbare Ursache sollte zur Abklärung eines
periodischen Fiebersyndroms führen. Diese bezeichnen wir heute als
„autoinflammatorische“ Erkrankungen (autoinflammatory
disease=AID) des Kindes- und Jugendalters. AID sind meist Folge von
Fehlfunktionen des angeborenen Immunsystems (siehe Pathogenese). Viele AID haben
monogenetische Ursachen, d. h. ihnen liegen Mutationen eines der Gene
zugrunde, die Proteine oder Regulationsfaktoren in proinflammatorischen
Signalübertragungswegen des angeborenen Immunsystems kodieren. Sie sind
extrem selten und spielen daher in der kinderärztlichen Versorgung nur
eine untergeordnete Rolle. Wichtigste Vertreter sind das familiäre
Mittelmeerfieber (FMF), die häufigste AID mit zunehmender
Prävalenz auch in Mitteleuropa, und die Cryopyrin assoziierten
periodischen Syndrome (CAPS).
Ätiologie & Genetik
Historisch wurden alle Unterformen der JIA als rheumatische Erkrankungen des Kindes-
und Jugendalters in die Gruppe der Autoimmunerkrankungen eingeordnet. Mittlerweile
wird jedoch die SJIA als autoinflammatorische Erkrankung verstanden [13 ]. Die jPsA und die EA werden analog zu den
pathophysiologischen Modellen bei Erwachsenen als Erkrankungen mit
autoinflammatorischen und autoimmunen Elementen verstanden [14 ]
[15 ].
Die polyartikulären Formen der JIA unterscheiden sich bezüglich
ihres ätiologischen Hintergrundes beträchtlich. Bereits bei den
Untersuchungen zu den HLA-Assoziationen der Unterformen der JIA wurde beobachtet,
dass sich die PO-JIA, die EO-JIA und die RFneg-pJIA bezüglich ihrer
HLA-Assoziationen (Assoziation mit HLA-DR11 und –DR8 [16 ]
[17 ]
[18 ]) deutlich von der
Rheumafaktor positiven rheumatoiden Arthritis (RA) des Adulten (Assoziation mit
HLA-DR4 und –DR10 [19 ]) unterscheiden.
Bei der RFpos-pJIA hingegen finden sich die gleichen HLA-Assoziationen wie bei der
RA des Adulten [16 ]. Auch bezüglich
der vermuteten „shared-epitopes“ bei den assoziierten HLA-Allelen
unterscheiden sich PO-JIA, EO-JIA und RFneg-pJIA (shared epitope auf der
HLA-DQA-Kette [20 ]
[21 ]
[22 ])
von der RA [19 ]. Genomweite
Assoziationsstudien bestätigten einen differenten genetischen Hintergrund
von PO-JIA, EO-JIA und RFneg-pJIA [23 ] im
Vergleich zur RFpos-pJIA und RA [24 ]
[25 ]. Basierend auf den genetischen Profilen
können wir daher aus heutiger Sicht mindestens 2 Gruppen von
Polyarthritispatienten differenzieren:
die zumeist ANA-positiven, im Kindesalter auftretenden Rheumafaktor negativen
Formen (EO-JIA und RFneg-pJIA) mit assoziiertem Uveitisrisiko
die Rheumafaktor positiven Formen mit Beginn im Kindes- (RFpos-pJIA) bzw. im
Erwachsenenalter (RA)
Bei der Erforschung der periodischen Fiebersyndrome konnten durch molekulargenetische
Untersuchungen nicht nur mehrere monogen vererbte Erkrankungen definiert werden,
sondern diese auch als autoinflammatorische Erkrankungen von den
Autoimmunerkrankungen abgegrenzt werden [26 ].
Das Spektrum rheumatischer Erkrankungen lässt sich auf Basis der genetischen
und molekularpathologischen Befunde als ein Kontinuum zwischen Störungen des
angeborenen Immunsystems (Autoinflammation) einerseits und des adaptiven
Immunsystems (Autoimmunität) andererseits begreifen [27 ].
Die meisten Erkrankungen basieren auf einem Zusammenspiel genetischer Anlagen und
Umweltfaktoren. Sie können klinisch sehr ähnlich, in ihrer
Entstehung und Ursache jedoch verschieden sein. Die Verwirklichung eines
pathologischen Phänotyps (Penetranz) hängt von der genetischen
Prädisposition des jeweiligen Individuums ab. Der Einfluss weiterer endo-
oder exogener Faktoren, sowie der Epigenetik ist bislang nur ansatzweise verstanden
[28 ].
Bei einige Erkrankungen konnte eine monogenetische Ursache definiert werden. Dies
sind z. B.:
monogene Autoimmunerkrankungen mit Immundefekt, wie: das autosomal rezessive
Autoimmune polyendokrine Syndrom Typ 1 (APECED, APS-1),
verursacht durch Mutationen im Autoimmun-Regulatorgen, AIRE
[29 ]., die X-chromosomale
Immundysregulation Polyendokrinopathie mit Enteropathie (IPEX),
verursacht durch Mutationen im FOXP3- Gen, welches für einen
Transkriptionsfaktor der T-Zell Regulation kodiert [30 ] und das
Autoimmune-Lymphoproliferative Syndrom (ALPS), verursacht durch
Mutationen in Genen, die den FAS-Rezeptor (FAS , CD95 [31 ]), seinen Liganden
(FASLG
[32 ]) oder Proteine
der intrazellulären Signalkaskade (FADD
[33 ]
, CASP10
[34 ]
, CASP8
[35 ]) kodieren.
Monogene Erkrankungen, die Lupus Erythematodes ähnliche
Erkrankungsbilder verursachen: Defekte des Komplementsystems (C1Q,
C1R/C1S, C2/4, C3) sowie der Interferon γ oder
Toll-like-receptor Signalübertragung:
Aicardi-Goutières-Syndrom (AGS), Familiärer chillblain
lupus erythematosus (CHLE, TREX1), SAVI und SPENCD [36 ]
Die Interferon Typ I vermittelten Erkrankungen (sog. Interferonopathien):
Aicardi-Goutièressyndrome (AGS1–7),
Spondyloenchondrodysplasia (SPENCD), SAVI, Proteasome
Assoziierte autoinflammatorische Syndrome (PRAAS),
Singleton-Mertensyndrom (SMS), Trichohepatoenteric Syndrom
(THES), DADA2 und die X-linked reticulate pigmentary disorder (XLPDR)
[37 ].
monogene autoinflammatorische Erkrankungen: hier kann ursächlich eine
monogenetische Dysregulation des IL-1 Signalweges auslösend sein.
Hierzu gehören die Cyropyrin-assoziierten periodischen
Syndrome (CAPS) [38 ]
[39 ], das Familiäre
Mittelmeerfieber (FMF) [38 ]
[40 ]
[41 ] und die
Mevalonatkinase-Defizienz (MKD) [42 ]. Andere Pathomechanismen finden sich beim
Tumornekrosefaktor Rezeptor-assoziierten periodischen Syndrom
(TRAPS) [43 ] oder der Defizienz des
IL-1-Rezeptorantagonisten (DIRA) [44 ].
Deutlich bessere molekulargenetische Techniken wie Whole genome sequencing, next
generation sequencing, Exom sequencing und die diagnostische Verwendung von
sogenannten Gene-panels [45 ] haben nicht nur
unsere Kenntnisse um die Erkrankungsätiologie, sondern auch die Diagnostik
erheblich verbessert und die Entwicklung neuer Therapieansätze
maßgeblich beeinflusst.
Therapie
Die Therapie rheumatischer Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen orientiert sich
nicht ausschließlich am Erkrankungstyp und dessen Ätiologie, sondern
muss folgende Faktoren miteinbeziehen:
Dies erfordert die Versorgung der Patienten durch speziell geschulte Kinder- und
Jugendrheumatologen.
Lange war die medikamentöse Therapie rheumatischer Erkrankungen auf den
Einsatz von Corticoiden beschränkt, die jedoch bei Kindern gravierende
Nebenwirkungen haben. Bei einigen Erkrankungen, wie der juvenilen Dermatomyositis
(jDM) und der Systemischen JIA (SJIA), war die Letalität vor
Verfügbarkeit der Steroide im zweistelligen Bereich. Die
Möglichkeiten der Behandlung wurden auch bei schweren
kinderrheumatologischen Erkrankungen schrittweise verbessert ([Abb. 1 ]).
Abb. 1 Meilensteine bei der Behandlung der SJIA.
Heute werden hochdosierte systemische Steroide nur noch als orale oder
intravenöse „Pulstherapie“ in der Initialtherapie zum
Überbrücken bis zum Eintritt des Wirkeffektes eines
Basismedikamentes und bei schweren Schüben eingesetzt. Nicht-steroidale
Antirheumatika (NSAR) sind wegen ihrer antipyretischen, antiphlogistischen und
analgetischen Wirkung sinnvoll [46 ]. Ein
Meilenstein war die Einführung der
„disease-modifying-anti-rheumatic-drugs“ – DMARDs in die
Kinderrheumatologie. Seit nunmehr fast 30 Jahren ist Methotrexat [47 ]
[48 ]
der wichtigste und erfolgreichste Vertreter der konventionellen synthetischen (cs)
DMARDs in der Kinderrheumatologie.
Ab der Jahrtausendwende werden auch in der Kinderrheumatologie neue Therapeutika,
die
in rekombinanten Organismen hergestellt werden (sog. Biologika oder
biological=bDMARDs), verwendet ([Abb.
2 ]). Voraussetzung hierfür waren und sind große
Forschungsnetzwerke, z. B. die PRINTO (Paediatric Rheumatology INternational
Trials Organisation), welche Zulassungsstudien weltweit unterstützen, und
Regularien der Zulassungsbehörden, dass Medikamente, die
üblicherweise zur Behandlung von Kindern eingesetzt werden, auch
tatsächlich für die pädiatrische Verwendung getestet werden.
Das führte in den letzten 20 Jahren zur Zulassung von acht bDMARDs
für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit
entzündlich-rheumatischen Erkrankungen, weitere stehen vor der Tür.
bDMARDs erkennen spezifisch Zielstrukturen, die für die Entwicklung einer
Autoimmunantwort wesentlich sind. Die gebräuchlichen bDMARDs in der
Kinderrheumatologie sind gegen co-stimulatorische
Oberflächenrezeptoren/Faktoren (z. B. CTLA4 –
Abatacept; BLyS – Belimumab), Zytokine (z. B. Tumor-Nekrose-Faktor
alpha – Adalimumab, Etanercept, Golimumab, Infliximab; Interleukin-1
– Anakinra, Canakinumab; IL-6 – Tocilizumab) oder
Oberflächenmarker von Zellpopulationen (z. B. CD20 –
Rituximab) gerichtet. Eine neue Gruppe bilden die zielgerichteten (engl. Target),
synthetischen tsDMARDs, sog. small-molecules, die intrazelluläre
Signalkaskaden beeinflussen (z. B. Tofacitinib, Upadacitinib, Baricitinib).
Wie in [Tab. 1 ] dargestellt, findet sich eine
ganze Reihe von krankheitsmodifizierenden Medikamenten, die für Therapien
bei rheumatisch erkrankten Kindern und Jugendlichen zugelassen sind.
Abb. 2 Zeitstrahl mit Abbildung der für die Behandlung von
Kindern und Jugendlichen mit JIA vor der Jahrtausendwende
verfügbaren und nach 2000 hinzugekommenen geprüften (bzw. in
klinischer Prüfung befindlichen – schwarz umrahmt) und/oder
zugelassenen DMARDs.
Tab. 1 Übersicht zugelassener und
gebräuchlicher Medikamente in der Kinderheumatologie.
Krankheitsmodifizierende Medikamente mit Zulassung zur Therapie
rheumatisch erkrankter Kinder und Jugendlicher.
Präparat
Zulassung Kinderrheumatologie
Verwendung in der Kinderrheumatologie (off label)
Direkte Wirkung auf pathophysiologischen Mechanismus
Steroide
JIA (alle Formen), jSLE, jDM, TA, jAAV, RhF, SD, PAN, jISc,
jsSc…
Chloroquin/Hydroxychloroquin
JIA, jSLE
jsSc, MCTD
Sulfasalazin
EA
Cyclophosphamid
jSLE, jAAV
VAS
Cyclosporin A
-
jSLE, MAS, jDM
Methotrexat
JIA (polyartikuläre Formen)
jSLE, jAAV, jDM, jlSc, jsSc, jSS, Uv, jMCTD
Adalimumab
pJIA, EA, CD, CU, Ps, Uv
MBc
Etanercept
pJIA, EoJIA, jPsA, EA, Ps
Golimumab
pJIA
EA, CU, CD, Uv
Certolizumab
-
pJIA
Infliximab
CD, CU
pJIA, Uv, KaS, TA, jDM, MBc
Anakinra
CAPS, SJIA, FMF
TRAPS, DIRA, MAS
CAPS, FMF → IL-1
Canakinumab
CAPS, HIDS/MKD, FMF, SJIA, TRAPS
DIRA, MAS
CAPS, HIDS/MVD, FMF → IL-1
Rituximab
jAAV
pJIA, SJIA, jSLE, jDM, jSS, jsSc, jMCTD
Tocilizumab
pJIA, SJIA
Uv, KaS, TA
Abatacept
pJIA
Uv, jSS
Belimumab
jSLE
jSS
Tofacitinib
pJIA, jPsA
SJIA, SAVI, jDM
SAVI → IFNγ
Baricitinib
-
IFN-P, COPA
IFN-P → IFNγ
CAPS=Cryopurin-assoziierte-periodische Syndrome, CU=Colitis
ulcerosa, COPA=Cytosol-Coat Protein alpha Syndrom, CD=Crohn
disease, DIRA=Deficienz des IL-1 Rezeptor-Antagonisten,
EA=Enthesitis assoziierte Arthritis, FMF=Familiäres
Mittelmeerfieber, HIDS/MKD=Hyper-IgD
Syndrom/Mevalonat Kinase-Defizienz,
INF-P=Interferonopathien, jAAV=juvenile ANCA-assoziierte
Vasculitis, jDM=juvenile Dermatomyositis, JIA=Juvenile
Idiopathische Arthritis, jMCTD=juvenile mixed connective tissue
disease, jlSc=juvenile lineare Sklerodermie, jsSc=juvenile
systemische Sklerodermie, jSLE=juveniler Systemischer Lupus
erythematodes, jSS=juveniles Sjögren Syndrom,
KaS=Kawasaki Syndrom, MAS=Makrophagen-Aktivierungs-Syndrom,
MBc=Morbus Behcet, PAN=Polyarteriits nodosa,
pJIA=Polyartikuläre JIA, jPsA=juvenile
Psoriasisarthritis, RhF=Rheumatisches Fieber, SD=Sarkoidose,
SAVI=STING-Associated Vasculopathy with Onset in Infancy,
SJIA=systemische Juvenile Idiopathische Arthritis,
TA=Takayasu Arteriitis,
TRAPS=Tumor-Nekrose-Faktor-Rezeptor-assoziiertes periodisches
Syndrom, Uv=Uveitis, VAS=Vaskulitis.
Trotz mittlerweile zwei Dekaden der regulären Durchführung von
Zulassungsstudien in der Kinderrheumatologie ist das Wissen über
Nebenwirkungen und Risiken neuer Substanzen aufgrund der in den Studien begrenzten
Patientenzahlen (z. B. zwischen 69 und 225 in den Zulassungsstudien
für die polyartikuläre JIA), relativ kurzen
Beobachtungszeiträume sowie selektierten Patientenkollektive noch
unzulänglich. Um eine valide Nutzen-Schadens-Bilanz ziehen zu
können, braucht es eine systematische Erfassung und Meldung von
unerwünschten Ereignissen. Diese wurden mit dem BiKeR-Register (Biologika in
der KinderRheumatologie) für Patienten mit JIA im Jahr 2001 etabliert und im
Jahr 2007 mit dem JuMBO-Register (Juvenile arthritis -Methotrexate/Biologics
long-term Observation) ergänzt. In diesen Registern konnten seitdem wichtige
Informationen zur Langzeit-Sicherheit und -Wirksamkeit der bDMARDs, aber auch der
konventionellen DMARDs gewonnen werden [49 ]
[50 ]
[51 ].
Die neuen Therapieoptionen hielten rasch Einzug in den kinderrheumatologischen Alltag
([Abb. 3 ]) und gestatten eine effektivere
Kontrolle der rheumatischen Entzündungsaktivität bzw. das Erreichen
anspruchsvoller Therapieziele, wie einer Remission ([Abb. 4 ]). Dass eine frühe effektive
Therapie bei der polyartikulären JIA mit einem besseren Outcome für
die Patienten verbunden ist, haben zunehmend mehr Untersuchungen belegen
können [48 ]
[52 ]
[53 ].
Eine internationale Arbeitsgruppe von 30 pädiatrischen Rheumatologen hat
demzufolge neue Therapiestrategien empfohlen. Mit einem Treat-to-Target-Ansatz soll
innerhalb der ersten 6 Monate der Behandlung eine klinisch inaktive Erkrankung
erreicht und danach erhalten werden [54 ]. Wird
dieses Therapieziel oder zumindest eine minimale (oder geringe)
Krankheitsaktivität nicht erreicht, wird eine Eskalation der Therapie,
z. B. der Einsatz eines bDMARD oder der Wechsel zu einem anderen bDMARD,
empfohlen. Damit wird nun auch für Kinder mit JIA, zumindest für
Patienten mit schweren JIA-Formen, eine frühe effektive Therapie empfohlen
([Abb. 5 ]).
Abb. 3 Trends in der medikamentösen Behandlung von Patienten
mit polyartikulärer JIA, Quelle: Querschnittdaten der
Kerndokumentation rheumakranker Kinder und Jugendlicher aus den Jahren 2000
(n=503), 2003, 2006, 2009, 2012, 2015 und 2019 (n=2675).
Abb. 4 Anteil der Patienten mit polyartikulärer JIA
(%) und klinisch inaktiver Erkrankung (Arzt-Globalurteil auf einer
numerischen Ratingskala von 0–10, NRS<1) in
Abhängigkeit von der Krankheitsdauer. Über die Zeit nimmt
der Anteil der Patienten mit inaktiver Erkrankung signifikant zu. Quelle:
Querschnittdaten der Kerndokumentation rheumakranker Kinder und Jugendlicher
aus den Jahren 2000 bis 2018.
Abb. 5 Kinderrheumatologische therapeutische Algorithmen am Beispiel
der SJIA mit alternativen evidenzbasierten Therapieprotokollen (modifiziert
nach [70 ]).
Die neuen Therapieansätze fanden auch Eingang in die S2K Leitlinie zur
Therapie der Juvenilen Idiopathischen Arthritis [46 ]
[55 ], die Anfang 2020 durch die
AWMF publiziert wurde. Daneben finden sich international mehrere
Therapieempfehlungen, die evidenz- und konsensbasiert neue Therapiestrategien
propagieren, z. B. jene vom American College of Rheumatology [56 ] und der SHARE-Initiative (Single Hub and
Access point for paediatric Rheumatology in Europe) [57 ]. Im Rahmen von SHARE entwickelten Experten aus ganz Europa
Empfehlungen zur Versorgung („best practice“) von Kindern und
Jugendlichen mit JIA, Uveitis [58 ] , jSLE
[59 ]
[60 ], juvenilem Antiphospholipidsyndrom [61 ], juvenilen Vaskulitiden [62 ]
[63 ]
[64 ] und autoinflammatorischen Erkrankungen
[65 ].
Versorgung
Die Versorgung rheumakranker Kinder und Jugendlicher wird seit 1997 im Rahmen der
bundesweiten Kinder-Kerndokumentation (Kinder-KD) systematisch erfasst. Die
Kinder-KD informiert darüber, wo hierzulande welche Patienten in welcher
Form kinderrheumatologisch behandelt werden und wie es den Patienten dabei geht.
Mehr als 60 kinderrheumatologische Einrichtungen nehmen inzwischen an der Kinder-KD
teil und erfassen pro Jahr 13 000–14 000 Kinder und
Jugendliche mit einem weiten Spektrum an rheumatischen Erkrankungen. Unter den
erfassten Patienten dominieren (mit 7000–8000 Fällen) jene mit JIA.
Darunter sind jährlich ca. 1200 inzidente Fälle, die etwa
75% der erwarteten Zahl an JIA-Neuerkrankungen bundesweit entsprechen. Eine
Untersuchung anhand deutscher Krankenkassendaten erbrachte während der Jahre
2009–2015 für die JIA eine jährliche Inzidenz von
16,6/100 000 Kinder. Die Prävalenz stieg in diesem Zeitraum
von 73,4 auf 101,5/100 000 Kinder an [66 ]. Bundesweit kann demnach von etwa
1500–1700 Neuerkrankungen pro Jahr ausgegangen werden. Im Durchschnitt
braucht es aktuell etwa 3 Monate vom Symptombeginn bis zur Diagnose einer JIA.
Informationen zur Versorgung in der Kinderrheumatologie werden darüber hinaus
seit 2010 im Rahmen einer jährlichen Umfrage der Gesellschaft für
Kinder- und Jugendrheumatologie (GKJR) zu Versorgungsangeboten gewonnen. Zu dieser
Befragung werden alle Einrichtungen (in 2020 n=100) eingeladen, an denen
mindestens ein zertifizierter Kinderrheumatologe arbeitet und Mitglied der GKJR ist.
An diesen Einrichtungen arbeiten jeweils 1–10 Kinderrheumatologen, an
über der Hälfte ist jeweils nur ein Kinderrheumatologe
tätig. An jeder dritten Einrichtung findet eine Zusatzweiterbildung statt.
Zurzeit befinden sich 47 Kinderärzte laut Umfrage in Zusatzweiterbildung
zum Kinderrheumatologen, wobei diese Zahl in den letzten Jahren relativ konstant
geblieben ist.
An den Einrichtungen sind derzeit insgesamt 160 Kinder- und Jugendrheumatologen, die
Mitglieder der GKJR sind, tätig. Das sind gut 80% der 193
berufstätigen und bei der Bundesärztekammer aktuell erfassten
zertifizierten Kinder- und Jugendrheumatologen. Bezogen auf alle erfassten
berufstätigen Kinder- und Jugendrheumatologen stehen derzeit 1,4
pädiatrische Rheumatologen pro 100 000 Kinder bzw. ein
pädiatrischer Rheumatologe pro 77 Kinder mit JIA für die
entsprechende Versorgung zur Verfügung [67 ]. Ca. 70% der 193 Kinder- und Jugendrheumatologen waren in
2020 stationär, 27% ambulant tätig (22%
niedergelassen).
Von den 82 bundesdeutschen kinderrheumatologischen Einrichtungen, die im Jahr 2020
an
der GKJR-Umfrage zu Versorgungsangeboten teilnahmen, gaben 13 Einrichtungen an mehr
als 200 Patienten mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen pro Jahr zu
betreuen, 37 verfügten über ein multiprofessionelles Team im
ambulanten Setting, 36 standen Betten für die stationäre Versorgung
von Patienten zur Verfügung und 36 boten eine strukturierte Transition an
(d. h. führten gemeinsam mit internistischen Rheumatologen
Übergangssprechstunden durch oder verfügten über ein
schriftlich geregeltes Vorgehen bei der Transition). Die Versorgungslandkarte der
GKJR (https://www.gkjr.de/versorgungslandkarte/)
bildet diese speziellen Angebote ab. Etwa jede vierte Einrichtung gab an,
täglich eine kinderrheumatologische Sprechstunde durchzuführen, ein
weiteres Viertel an 3–4 Tagen pro Woche. Die durchschnittliche
Sprechstundendauer pro Woche und Einrichtung betrug etwa 20 Stunden. Der Mehrheit
der Einrichtungen stand ein Ultraschallgerät für die
Arthrosonografie im Rahmen der ambulanten Versorgung zur Verfügung.
Vergleicht man den aktuellen Stand der Versorgung und Versorgungsangebote mit jenen
von vor 10 Jahren, werden rheumakranke Kinder und Jugendliche heute früher
im Krankheitsverlauf mit DMARDs und häufiger ambulant in einem
multiprofessionellen Team versorgt, die Aktivität ihrer rheumatischen
Erkrankung wird in der Regel anhand von standardisierten Instrumenten beurteilt und
die Betroffenen und ihre Familien werden häufiger als vor 10/20
Jahren in Therapieentscheidungen einbezogen.
Zudem werden Jugendliche häufiger strukturiert in die internistische
Rheumatologie überführt. Trotz dieser allgemeinen Trends besteht in
der Versorgung der Kinder und Jugendlichen noch eine erhebliche Praxisvariation,
unter anderem in der medikamentösen Behandlung. So variieren z. B. die
Verschreibungsraten von DMARDs an den Einrichtungen für neu an JIA erkrankte
Patienten im ersten Behandlungsjahr beträchtlich: bei Patienten mit
Polyarthritis für Methotrexat von 40 bis 100% und für
Biologika von 0 bis 30% [68 ]. Das geht
auf eine begrenzte Evidenz, das Fehlen von Behandlungsstandards und unzureichende
Kenntnisse über die beste Behandlungsmethode zurück. Um das zu
ändern, wurde innerhalb der Gesellschaft für Kinder- und
Jugendrheumatologie (GKJR) eine Kommission „Projekte zur Klassifikation,
Überwachung und Therapie in der Kinderrheumatologie“ (kurz:
PRO-Kind) eingesetzt. In der Kommission waren bzw. sind verschiedene Arbeitsgruppen
aktiv, die basierend auf einer Prozessordnung evidenz- und konsensbasierte
Handlungs- und Therapieprotokolle für definierte juvenile rheumatischen
Erkrankungen entwickeln [65 ]
[69 ]
[70 ]
[71 ]
[72 ]
[73 ].
Diese Protokolle berücksichtigen das treat-to-target Konzept, empfehlen
Minimalstandards für Diagnostik und Monitoring sowie 3 bis 4
Behandlungspfade, die das derzeitige von Kinder- und Jugendrheumatologen
favorisierte Vorgehen widerspiegeln.
Werden diese Empfehlungen umgesetzt und Patienten entsprechend der vorgeschlagenen
Behandlungsprotokolle behandelt, können das Vorgehen an den
kinderrheumatologischen Einrichtungen harmonisiert und bei einer begleitenden
standardisierten Patientendokumentation die verschiedenen Behandlungsstrategien auf
ihre Effektivität im klinischen Alltag geprüft werden. Wertvolle
Informationen könnten so zur weiteren Therapieoptimierung gewonnen werden.
Erste konsensbasierte Therapieprotokolle wurden in Nordamerika bereits 2012 durch
CARRA (Childhood Arthritis Rheumatology and Research Alliance) entwickelt und
angewandt [74 ]. Eine Evaluation der ersten
PRO-Kind-Protokolle erfolgt derzeit in dem vom Innvationsfonds geförderten
Vorhaben „PRO-Kind-Rheuma – Handlungs- und Therapie-Protokolle in
der Kinderrheumatologie“. Diese Vorhaben bieten die Möglichkeit der
weiteren Optimierung der Versorgung von JIA-Patienten.
Resümee
In den letzten 3 Jahrzehnten haben mehrere Entwicklungen zu einer deutlich
verbesserten Versorgung rheumaerkrankter Kinder und Jugendlicher geführt.
Die Etablierung des Fachgebietes, als Spezialisierung innerhalb der
Pädiatrie, die national und international vernetzte Zusammenarbeit mit
Kinder- und Erwachsenenrheumatologen, der Aufbau von Registern und die Bildung von
Expertengruppen zur Entwicklung evidenzbasierter Behandlungsprotokolle sind
wesentliche Meilensteine auf diesem Weg. Wesentliche Impulse kamen jedoch auch aus
der molekularen Medizin. Dadurch wurde eine Pathogenese gestützte Definition
vieler Erkrankung (wie der autoinflammatorischen Erkrankungen) überhaupt
erst möglich. Es zeigten sich eigenständige kinderrheumatologische
Erkrankungen, jedoch auch Erkrankungsbilder, die offenbar einem frühen
Beginn der bei Erwachsenen bekannten Erkrankungen entsprechen. Die verbesserten
Kenntnisse der Pathogenese haben jedoch nicht nur die Diagnostik und Klassifikation
erheblich verbessert, sondern führten auch zur Entwicklung spezifischer
Medikamente, die heute das Erreichen einer Remission zum realistischen
Behandlungsziel machen. Mutilierende und tödliche Verläufe
kinderrheumatologischer Erkrankungen sind damit eine absolute Ausnahme geworden. Bei
der Entwicklung optimierter individualisierter Therapiestrategien, der Transition
der Patienten in die rheumatologische Versorgung als Erwachsene, bei der Vermeidung
funktioneller Langzeitschäden und einer lebenslangen Minderung der
Lebensqualität und Teilhabe sind auch in der Zukunft noch wesentliche
Schritte zu gehen.