Schlüsselwörter Kawasaki-Syndrom - Leitlinie - Risikofaktoren
Keywords Kawasaki syndrome - guideline - risk factor
Tomisaku Kawasaki erkannte in den 1960er-Jahren, ein neues, fortan nach ihm benanntes
Krankheitsbild. 1967 erfolgte die 1. Publikation seiner Patienten in japanischer und
1974 in englischer Sprache. Nachdem zunächst in Deutschland der Begriff mukokutanes
Lymphknotensyndrom geprägt wurde, ist die Nomenklatur nun weltweit als Kawasaki-Syndrom
akzeptiert. Die in Deutschland erhobene Häufigkeit beschreibt eine Inzidenz von 7,2
auf 100 000 Kinder unter 5 Jahren [2 ]. Mittlerweile wurde eine Monografie, die praktisch 50 Jahre KS beschreibt, publiziert
[3 ].
Das KS wird den systemischen Vaskulitiden kleiner und mittelgroßer Gefäße zugeordnet.
Betroffen sind vor allem arterielle Gefäße, insbesondere die Koronararterien. Der
Verlauf ist akut, und manifestiert sich als fieberhafte Erkrankung [4 ], [5 ].
Die Ursache ist nicht geklärt – es gibt keine eindeutig beweisende Untersuchungsmethode.
Damit wird die Diagnose klinisch gestellt. Das bedeutet im Alltag, dass man penibel
die Anamnese und klinische Untersuchung durchzuführen hat. Es erfordert vor allem,
dass die entsprechenden Kriterien im direkten Fokus sein müssen (siehe Kasten „Klinische
Diagnose-Kriterien des Kawasaki-Syndroms“). Nach Abwägung der Differenzialdiagnosen
([
Tab. 1
]) muss auf dieser Grundlage die Entscheidung zur Therapie erfolgen.
Tab. 1
Mögliche Differenzialdiagnosen des Kawasaki-Syndroms.
Infektionserkrankungen (viral), z. B.
Infektionserkrankungen (bakteriell) z. B.
Streptokokken
Leptospiren
Mykoplasmen
Systemische Erkrankungen
Stevens-Johnson-Syndrom
Toxic-Shock-Syndrom
systemischer Verlauf der juvenilen idiopathischen Arthritis
Makrophagenaktivierungssyndrom
(durch anderen Trigger)
Staphylokokken induziertes scaled skin syndrome
andere Vaskulitiden
andere autoinflammatorische Erkrankungen
KLINISCHE DIAGNOSE-KRITERIEN DES KAWASAKI-SYNDROMS
Fieber über 5 Tage und zusätzlich 4 der 5 folgenden Kriterien:
Bilaterale konjunktivale Injektion ohne Exsudation
Veränderungen der Schleimhäute im Oropharynx, Lacklippen, trockene rissige Lippen,
Erdbeerzunge
Veränderungen an peripheren Extremitäten akut: Ödeme oder Erythem von Händen und Füßen,
chronisch: Hautschuppungen, meist an Fingern und Zehen, beginnend in der 2.–3. Woche
Exanthem, meist am Stamm, polymorph, nicht vesikulär
Zervikale Lymphadenopathie > 1,5 cm, meist unilateral
Methodik
Die exisistierende Leitlinienversion von 2014 der GKJR musste überarbeitet werden.
Es gab inzwischen Publikationen aus unterschiedlichen Ländern und Gruppen: USA – American
Heart Association – Scientific Statement [6 ]; Italien [7 ], [8 ], europäische Share Initiative [9 ]. Hinzu kamen Arbeiten aus Japan [10 ].
Die bisherigen LL-Autoren (U. Neudorf, E. Lilienthal, T. Hospach) und neu A. Jakob
erarbeiteten die Aktualisierung. Über die Leitlinienkoordinatoren und dem Vorstand
der GKJR hinaus, wurde in der neuen Version die Leitlineinkommission der DGPK (Vorsitzende:
Prof. Weil und später Priv.-Doz. Dr. Bertram) sowie die DGKJ (Prof. Niehues, Dr. Kästner)
involviert. Es fanden 3 Präsenzkonferenzen und in Corona-Zeit eine Survey-Monkey-Umfrage
statt. Es wurden die Kriterien der AWMF angewendet (https://www.awmf.org/leitlinien/awmf-regelwerk.html).
Der Prozess erfolgte in engem Dialog mit der AWMF (Frau Dr. Susanne Blödt), wofür
wir uns sehr bedanken.
Insgesamt wurden 9 Kernaussagen (siehe Kasten „Kernaussagen“) und 2 Empfehlungen (siehe
Kästen „Empfehlungen“) konsentiert.
Ergebnisse
Die Betreuung der Patient*innen mit Kawasaki-Syndrom erfordert eine rasche, kompetente
klinische Einschätzung und Entscheidung zur Therapieeinleitung. Die Klärung der klinischen
Situation ist dabei von entscheidender Bedeutung (siehe Kasten „Klinische Diagnose-Kriterien
des Kawasaki-Syndroms“).
Wenn nicht 4 der 5 Kriterien erfüllt sind, kann ein sogenanntes inkomplettes Kawasaki-Syndrom
vorliegen. Bei unklaren Fällen hilft ein Algorithmus, eine KS-spezifische Therapie
einzuleiten, was insbesondere bei jungen Säuglingen mit nur wenig KS-spezifischer
Symptomatik hilfreich ist ([
Abb. 1
]).
Abb. 1 Indikation zur Therapie bei Kindern mit Verdacht auf ein inkomplettes Kawasaki-Syndrom
[6 ]. Dieser Algorithmus soll unter folgenden Bedingungen Anwendung finden: Kinder >
6 Monate: mindestens 2 klinische Kriterien und Fieberdauer ≥ 5 Tage; Kinder < 6 Monate:
unklares Fieber > 7 Tage; a Labor: mindestens 3 der genannten Laborkriterien müssen vorliegen. b Echokardiografie: ein positiver echokardiografischer Befund liegt vor, wenn entweder
ein Koronaraneurysma oder mindestens 3 der o. g. Befunde vorhanden sind.
Weitere bekanntere beschriebene Manifestationen der Krankheit sind Gallenblasenhydrops
und eine sterile Meningitis. Eher wenig beachtet werden Mitbeteiligungen der Sinnesorgane,
Auge und Gehör. Die nichteitrige bilaterale Konjunktivitis gehört zu den Diagnosekriterien,
jedoch können auch anteriore Uveitiden auftreten. Synechien und Spätschäden am Sehapparat
sind vereinzelt mögliche Folgen. Eine augenärztliche Untersuchung einschließlich Nutzung
der Spaltlampe ist bei entsprechender Klinik zu empfehlen [11 ]–[13 ]. 36 % der KS-Patienten entwickeln eine Einschränkung der Hörfähigkeit. Ein Audiogramm
wird initial und 6 Wochen nach Diagnosestellung empfohlen [14 ], [15 ].
Differenzialdiagnostische Erwägungen müssen durchgeführt werden ([
Tab. 1
]). Das Vorhandensein von Risikofaktoren spielt prognostisch eine entscheidende Rolle.
Sie sollen als Entscheidungsgrundlage für die Therapie berücksichtigt werden. Insbesondere
stellt die initial sichtbare Beteiligung der Koronararterien einen Risikofaktor dar.
Der Therapiebeginn soll zwar unverzüglich erfolgen, jedoch muss ebenso schnell der
kardiale Status erhoben werden. Die echokardiografische Untersuchung ist unverzichtbar
(Kernaussage 6).
Die Darstellung der Koronararterien sollte so gut wie möglich erfolgen. Die proximalen
Anteile lassen sich am besten in der parasternal kurzen Achse auf Höhe der Aortenklappe
darstellen. Durch leichte Rotations- und Kippbewegungen sollten in dieser Einstellung
die Koronararterien soweit wie möglich bis in die Peripherie verfolgt werden [16 ], [17 ]. Die Quantifizierung erfolgt mittels Z-Scores [18 ]. Dies ist online möglich: (http://parameterz.blogspot.com/2010/11/montreal-coronary-artery-z-scores.html).
Je nach Größe werden die Koronarveränderungen wie folgt eingeteilt:
kleines Aneurysma: Z-Score > 2,5 bis < 5
mittleres Aneurysma: Z-Score > 5 bis < 10, absolut < 8 mm
großes Aneurysma/giant aneurysma: Z-Score > 10 oder absolut > 8 mm
Die Therapie besteht aus der Gabe von ASS, Immunglobulinen und bei entsprechenden
Risikofaktoren initital zusätzlich Glukokortikoiden. Bei unzureichendem Ansprechen
stehen noch TNF-alpha-Blocker (Infliximab) und IL-1-Blocker (Anakinra) zur Verfügung
(siehe Empfehlung 1 und 2 sowie [
Abb. 2
]).
Abb. 2 Akuttherapie des Kawasaki-Syndroms. Therapieeskalierung jeweils bei fehlender Entfieberung
≥ 36 Stunden nach Ende der IVIG-Gabe. 1 IVIG-Gabe = 2 g/kg über 10–12 Stunden; 2 30–50 mg/kg; 3 Prednisolon 2 mg/kg auf 3 ED; 4 5 mg/kg einmalig; 5 2–max. 10 mg/kg/Tag; 6 Methylprednisolonpuls 10–30 mg/kg (max. 1 g/Tag) für 3 Tage; 2 IVIG-Gaben im Therapieablauf
werden als hinreichend betrachtet. Patienten ohne Risikofaktoren sollten keine 3 Gaben
erhalten.
Als primäre medikamentöse Therapie des Kawasaki-Syndroms soll die Gabe von i.v.-Immunglobulinen
und ASS erfolgen.
Bei Vorliegen von Risikofaktoren (Empfehlung 2) sollen Glukokortikoide zum Einsatz
kommen.
Bei Versagen dieser Therapieoptionen können Biologika (Infliximab als TNF-α-Blocker
oder Anakinra als IL1-Blocker) verabreicht werden (siehe auch Abb. 2 )
EMPFEHLUNG 2 – RISIKOFAKTOREN
Kernaussage 1: Das Kawasaki-Syndrom ist eine akute systemische Vaskulitis. Betroffen
sind vor allem mittelgroße nicht-parenchymatöse Arterien, die direkt aus der Aorta
entspringen, insbesondere die Koronararterien.
Kernaussage 2: Das Kawasaki-Syndrom hat abhängig von der ethnischen Herkunft eine
variable Inzidenz. Es neigt selten zu Rezidiven und hat in Deutschland eine sehr geringe
Letalität.
Kernaussage 3: Die Ätiologie des KS scheint multifaktoriell zu sein.Im Rahmen der
Vaskulitis können neben den Koronararterien auch weitere arterielle Gefäße involviert
sein. Die kardialen Manifestationen können alle Herzschichten betreffen und treten
meist in der Akutphase auf. Residuelle Veränderungen der Koronararterien sind entscheidend
für die Langzeitprognose.
Kernaussage 4: Das Kawasaki-Syndrom hat neben Fieber 5 klinische Symptome als Hauptkriterien.
Die Symptome können zeitlich versetzt auftreten. Weitere unspezifische körperliche
Befunde und Symptome können begleitend vorliegen.
Kernaussage 5: Es gibt Verläufe des Kawasaki-Syndroms, bei denen weniger als 4 der
klinischen Kriterien erfüllt sind. Diese sogenannten inkompletten Formen treten vor
allem bei Säuglingen auf.
Kernaussage 6: Die kardiale Abklärung mittels Echokardiografie ist unverzichtbar und
soll bei Verdacht auf ein Kawasaki-Syndrom umgehend und wiederholt erfolgen. Dabei
müssen vor allem die Koronararterien untersucht werden. Die Laborparameter helfen
bei der Quantifizierung der Inflammation und geben Hinweise auf eine kardiale Beteiligung.
Kernaussage 7: Zur Darstellung der Koronararterien sind die kathetergesteuerte Angiografie
und das CT geeignet; das MRT kann Auskunft über Myokardischämien geben.
Kernaussage 8: Entscheidend ist die klinische Einschätzung des Krankheitsbildes. Die
wichtigste apparative Untersuchung ist die Echokardiografie. Sie muss bei Verdacht
auf KS umgehend und wiederholt erfolgen. Dabei müssen vor allem die Koronararterien
untersucht werden, aber auch nach einer Beteiligung des Myokards oder der Klappen
gesucht werden. Die Laborparameter helfen bei der Quantifizierung der Inflammation
und geben Hinweise auf eine kardiale Beteiligung. Normale Laborwerte schließen ein
KS praktisch aus. Das KS ist Teil der Differenzialdiagnose unklaren Fiebers.
Kernaussage 9: Die Art der Residuen durch die Beteiligung der Koronararterien bestimmt
die Intensität der Nachsorge und die Art der Antikoagulation. Bei sehr großen Aneurysmen,
sogenannten „Riesenaneurysmen“, ist eine komplette restitutio ad integrum sehr unwahrscheinlich.
Diese Patienten bedürfen einer besonders intensiven und lebenslangen kardialen Nachsorge.
Diskussion
Die Herausforderung des Kawaski-Syndroms besteht in einer raschen Diagnosestellung
und Einleitung der Therapie. Dies erfolgt in der Zusammenschau der klinischen Befunde,
da eine beweisende Untersuchungsmethode fehlt. Der beschriebene Algorithmus (Abb. 1 ) ist dabei von Nutzen. Die unverzüglich durchzuführende echokardiografische Untersuchung
sucht nach einer Herzbeteiligung. Die Darstellung der Koronararterien ist dabei von
größter Bedeutung.
Die Standardtherapie mit ASS und der i.v.-Immunglobulingabe muss bei Vorhandensein
von Risikofaktoren mit Glukokortikoiden ergänzt werden. Sollte damit der Krankheitsverlauf
unzureichend kontrolliert sein, stehen IL1- und TNF-α-Blocker zur Verfügung.
Die Prognose wird im Wesentlichen von dem Ausmaß der Herzbeteiligung bestimmt. Damit
steht das Herz bei der Nachsorge im Vordergrund.