Impfpflicht aus Arbeitsvertrag
Impfpflicht aus Arbeitsvertrag
Unabhängig vom Bestehen einer gesetzlichen Impfpflicht kann eine solche
vertraglich i.F.v. Tarifverträgen oder Arbeitsverträgen vereinbart
werden. Den Tarifvertragsparteien steht es grundsätzlich frei Regelungen zu
treffen, die die körperliche Unversehrtheit betreffen. Diese Regelungen sind
jedoch unzulässig, wenn sie die Grundrechte der Arbeitnehmer unangemessen
beschränken.
Die Anordnung über die Durchführung von ärztlichen
Kontrollmaßnahmen ist damit nicht per se unzulässig.
Gleichwohl sind Arbeitgeber nicht berechtigt, uneingeschränkt
ärztliche Untersuchungen ihrer Arbeitnehmer zu verlangen, die sie
für sachdienlich halten [1]. Voraussetzung ist, dass eine gebotene
Abwägung zwischen den Arbeitgeber- und den Arbeitnehmerinteressen
entsprechend dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz erfolgt
(stRspr. BAG NZA 2019, 619; NJW 2011, 3319). Dabei sind die Rechte des Arbeitgebers
auf unternehmerische Freiheit, auf den eingerichteten und ausgeübten
Gewerbebetrieb und der allgemeinen Handlungsfreiheit dem Grundrecht auf
körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 GG und dem Recht auf
informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs.1 i. V.m. 1 Abs.1 GG des
Arbeitnehmers im konkreten Einzelfall gegenüberzustellen. Dies gilt
besonders für die Festlegung gewisser Verhaltensnormen. Ein legitimes
Arbeitgeberinteresse ist der Schutz vor der Virusansteckung und Verbreitung
innerhalb der Mitarbeiter und den daraus resultierenden möglichen Arbeits-
und Betriebsausfällen. Auch besteht i. d. R. das Interesse, durch eine
lückenlose Impfung die kostspieligen Hygiene-, Abstands- und
Sicherheitsmaßnahmen zu reduzieren. Allerdings hat eine Schutzimpfung rein
präventive Wirkung und dient nicht der Gefahrenabwehr. Das Nichtvorliegen
einer Impfung beeinträchtigt die Erbringung der Arbeitsleistung nicht. Indes
trägt der Arbeitgeber durch die Anordnung einer Impfung seiner Schutzpflicht
gegenüber Risikogruppen innerhalb des Betriebs Rechnung.
Gegenüberzustellen ist das Recht des Arbeitnehmers, frei über seine
körperliche Unversehrtheit und seine persönliche Lebensgestaltung zu
entscheiden. Eine Impfung bedeutet einen erheblichen Eingriff in die
körperliche Unversehrtheit, indem eine fremde Substanz in den Körper
injiziert wird. Aufgrund der grundrechtlichen Bedeutung von Art. 2 Abs. 2 GG und
Art. 2 Abs. 1 i. V. m. 1 Abs. 1 GG ist eine Impfpflicht unterschiedslos für
alle Arbeitnehmer ohne Abwägung im Einzelfall
unverhältnismäßig und damit unzulässig.
In Arbeitsverträgen kann eine Impfpflicht im medizinischen
Tätigkeitsfeld grundsätzlich vereinbart werden.
Eine solche Klausel unterliegt der AGB-Kontrolle nach §§ 305 ff. BGB
und wird wohl zulässig sein, da die Einhaltung von
Präventionsmaßnahmen und die Vermeidung von Infektions- und
Gesundheitsrisiken in diesem Bereich allgemein üblich sind. Für
Arbeitnehmer außerhalb des medizinischen Personals kann eine entsprechende
Klausel überraschend und unzulässig sein [2], da eine Schutzimpfung
i. d. R. kein dienstliches Verhalten darstellt.
Impflicht aus Direktionsrecht und Treuepflicht
Impflicht aus Direktionsrecht und Treuepflicht
Dem Arbeitgeber steht ein Weisungsrecht gegenüber seinen Arbeitnehmern als
Nebenpflicht des Arbeitsvertrages nach § 106 GewO, § 4 Nr. 7 i. V.m.
§ 15 Abs. 1 S. 1 ArbSchG und §§ 241 Abs. 2, 242 BGB
zu. Nach § 106 GewO kann der Arbeitgeber die Arbeitsleistung hinsichtlich
des Inhaltes, des Ortes und der Zeit nach billigem Ermessen bestimmen, sodass
gewisse Arbeitsschutzmaßnahmen Bestandteil der Arbeitsleistungspflicht sein
können [3]. Voraussetzung ist, dass eine
gebotene Abwägung zwischen den Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen
erfolgt (stRspr. u. a. BAG NZA 2019, 619).
Eine Impfung als Nebenpflicht aus dem Arbeitsverhältnis ohne geschriebene
Rechtsgrundlage kann verlangt werden, wenn gewichtige Interessen betroffen sind.
Betreiber von Krankenanstalten und Pflegeeinrichtungen haben ein erhöhtes
Schutzinteresse gegenüber ihren Patienten. Einerseits soll die Impfung
eigene Arbeitnehmer schützen, anderseits sollen die mit den Arbeitnehmern in
Kontakt stehenden Patienten vor schweren Krankheitsverläufen
geschützt werden. Als Indiz, ab wann Pflichtimpfungen arbeitgeberseits
angewiesen werden können, kann die Priorisierung der Impfberechtigten
herangezogen werden [4]. Im Einzelfall kann sich aus der allgemeinen Treuepflicht
des Arbeitnehmers eine Impfpflicht ergeben. Allerdings sind der Treuepflicht Grenzen
gesetzt, sodass das berechtigte Arbeitgeberinteresse gegenüber den
Arbeitnehmerinteressen überwiegen muss, da keine allgemeine Nebenpflicht des
Arbeitnehmers zur Durchführung von medizinischen Behandlungen besteht.
Insgesamt können Arbeitgeber im medizinischen Bereich auch ohne geschriebene
Regelung anordnen, dass sich ihre Arbeitnehmer einer Schutzimpfpflicht zu
unterziehen haben. Eine zwangsweise Durchführung einer Impfung ist jedoch
unzulässig.
Nachweispflicht über Impfung
Nachweispflicht über Impfung
Im medizinischen Bereich kann es von besonderem Interesse sein, dass Arbeitgeber
Kenntnis über den Gesundheitsstand ihrer Arbeitnehmer haben, um i. S.v.
§ 23a S. 1 IfSG u. a. über die Art und Weise der
Beschäftigung zu entscheiden. Bei Daten über Impfungen handelt es
sich um personenbezogene Informationen i. S.v. Art. 4 Nr. 15; 9 DSGVO; § 26
Abs. 3 BDSG. Die Verarbeitung solcher Daten zur Durchführung eines
Arbeitsverhältnisses kann i.S.v. §26 Abs.1 BDSG und Art.6 Abs.1c
DSGVO i. d. R. als erforderlich angesehen werden, wenn eine wirksam vertraglich
vereinbarte Impfpflicht besteht [5].
Datenschutzrechtlich zulässig ist, was zur Ausübung von Rechten oder
zur Erfüllung arbeitsrechtlicher Pflichten erforderlich ist [6].
Dies gilt auch bei besonders sensiblen Gesundheitsdaten i. S.v. Art. 4 Nr. 15 DSGVO,
die auch Informationen über Impfungen umfassen. Voraussetzung für
die Verarbeitung von diesen Daten ist, dass das Informationsinteresse
gegenüber den schutzwürdigen Interessen vom Ausschluss der
Informationspreisgabe überwiegt [7].
Arbeitsrechtliche Konsequenzen der Impfverweigerung
Arbeitsrechtliche Konsequenzen der Impfverweigerung
Arbeitsrechtliche Konsequenzen können Impfverweigerern drohen, wenn der
Impfschutz eine Arbeitspflicht ist. Der Arbeitnehmer ist nach §611a Abs.1
BGB dazu verpflichtet, die vereinbarte Arbeitsleistung zu erbringen, woraus ihm ein
entsprechender Beschäftigungsanspruch gebührt. § 23 Abs. 3
IfSG schreibt vor, dass u. a. Krankenhäuser und Arztpraxen
sicherzustellen haben, dass die erforderlichen Maßnahmen getroffen werden,
um nosokomiale Infektionen und die Weiterverbreitung von Krankheitserregern zu
vermeiden. Daraus ergibt sich für medizinisches Personal die Verpflichtung,
das Infektionsrisiko weitreichend einzugrenzen und alle erforderlichen
Maßnahmen zu treffen, die geschuldete Arbeitsleistung unter zumutbarerer
Risikominimierung zu erbringen. Bei medizinischem Personal wird wohl i. d. R.
aufgrund der unmittelbaren Kontaktnähe mit Risikogruppen von einer
primären Arbeitspflicht auszugehen sein [8]. Verweigert ein Arbeitnehmer die Impfung, ist ihm die Ausübung
der Arbeitsleistung i. S.v. § 275 Abs. 1 BGB unmöglich, sodass nach
§ 326 Abs. 1 BGB sein Vergütungsanspruch entfällt. Liegt
dagegen bei der Impfverweigerung nur eine Nebenpflichtverletzung aus dem
Arbeitsverhältnis vor, ist die Erbringung der Hauptarbeitsleistung
möglich, sodass der Vergütungsanspruch gem. § 615 S.
1 BGB bestehen bleibt. Lehnt der Arbeitgeber die angebotene Arbeitsleistung ab,
gerät er in Annahmeverzug. Als letztes Mittel kann Arbeitnehmern bei
Negierung einer wirksamen Impfpflicht gekündigt werden.
Bei Impfverweigerern kommt vor allem eine verhaltens- oder personenbezogene
Kündigung oder eine betriebsbedingte Kündigung in Betracht.
Voraussetzung für eine verhaltensbezogene Kündigung ist, dass eine
wirksame Impfplicht besteht und diese trotz vorheriger Abmahnung nicht
durchgeführt wurde [9]. Eine
personenbezogene setzt voraus, dass dem Arbeitnehmer die erforderliche Eignung und
Fähigkeit fehlt, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Dies ist bei
medizinischem Personal gegeben, wenn Arbeitnehmer mit Risikogruppen in Kontakt
kommen und mangels einer Schutzimpfung eine erhöhte Gefährdung
für Dritte darstellen und keine anderweitige
Beschäftigungsmöglichkeit des Arbeitnehmers besteht.
Eine betriebsbedingte Kündigung ist zulässig, wenn Arbeitgeber
aufgrund unternehmerischer Entscheidungen die Schutzimpfung für die
Ausübung medizinischer Tätigkeiten ab einem konkreten Zeitpunkt zur
allgemeinen Voraussetzung erklären [10].
Allerdings ist eine solche Kündigung unzulässig, wenn mildere Mittel
in Betracht kommen, wie eine Umsetzung oder Versetzung des Arbeitnehmers auf einen
Arbeitsplatz, bei dem es an einem unmittelbaren Kontakt mit Risikogruppen fehlt.
Fazit
Eine generelle COVID-19-Impfpflicht für Arbeitnehmer besteht nicht. Weder
existiert eine solche gesetzlich noch ist sie pauschal als vertragliche
Verpflichtung für alle Arbeitnehmer zulässig. Die Anordnung einer
verpflichtenden Impfung kann aufgrund berechtigter Arbeitgeberinteressen i.R.d.
Abwägung zulässig sein. Dies gilt besonders bei unmittelbarem
Kontakt mit Risikogruppen. Das Grundrecht des Arbeitnehmers auf körperliche
Unversehrtheit und informelle Selbstbestimmung tritt dann hinter den
Arbeitgeberinteressen zurück. Bei Tätigkeiten mit unmittelbarem
Kontakt mit Risikogruppen kann der Arbeitgeber nach dem Vorliegen einer Impfung
fragen. Impfverweigerern können arbeitsrechtliche Konsequenzen wie
Lohnausfall, Abmahnung oder Kündigung drohen.
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In Arbeits- und Tarifverträgen kann eine Impfpflicht im
medizinischen Tätigkeitsfeld vereinbart werden.
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Die Anordnung über die Durchführung von
ärztlichen Kontroll- und Schutzmaßnahmen ist nicht per
se unzulässig.
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Voraussetzung für eine Impfpflicht ist, dass eine gebotene
Abwägung zwischen den Arbeitgeberund den Arbeitnehmerinteressen
erfolgt.
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Impfverweigerern können Lohnausfall, Abmahnung und
Kündigungen drohen, wenn die Durchführung einer
Schutzimpfung eine Arbeitspflicht ist.
Zitierweise für diesen Artikel
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Dtsch Med Wochenschr 2021; 146: 933–935