Gefäßerkrankungen sind in unserer alternden Gesellschaft weit verbreitet. Ein dabei
besonders häufig vorkommendes Leiden ist die periphere arterielle Verschlusskrankheit
(pAVK), in der Alltagssprache auch „Schaufensterkrankheit“ genannt. Behandelt wird
diese oft mit interventionell-radiologischen Methoden. Wie gut der Zugang von Betroffenen
zu diesen Behandlungsmethoden ist, zeigt eine aktuelle Studie. Zur Studie, Gefäßerkrankungen
im Allgemeinen und der Rolle der Qualitätssicherung für die Versorgung haben wir 3 Experten
aus der Deutschen Gesellschaft für Interventionelle Radiologie und minimal-invasive
Therapie (DeGIR) befragt: Professor Marcus Katoh, Chefarzt des Instituts für Diagnostische
und Interventionelle Radiologie im Helios-Klinikum Krefeld, Professor Andreas Mahnken,
Direktor der Klinik für Diagnostische und Interventionelle Radiologie am Universitätsklinikum
Gießen und Marburg (Standort Marburg) sowie Professor Philipp Paprottka, Chefarzt
der Interventionellen Radiologie am Klinikum rechts der Isar, Technische Universität
München.
Professor Katoh, Gefäßerkrankungen sind in der Bevölkerung weit verbreitet. Was sind
die Ursachen und Folgen dieser Krankheiten, etwa der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit
pAVK?
Unter der pAVK versteht man eine Erkrankung, bei der insbesondere im Bereich der Beingefäße
(seltener der Armgefäße) durch Kalk- und Fettablagerungen zunehmende Engen und Verschlüsse
auftreten, die dann unter Belastung, später auch in Ruhe, zu Schmerzen der betroffenen
Extremität führen. In einem stark fortgeschrittenen Stadium kann auch Gewebe absterben,
was dann zu so genannten Nekrosen führt. Neben einer genetischen Veranlagung spielen
viele Risikofaktoren bei der Entwicklung der pAVK eine Rolle. Allen voran steht das
Rauchen; aber auch Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes, Bluthochdruck, Adipositas
oder Stress begünstigen eine pAVK.
Professor Katoh, damit es nicht zu dieser Erkrankung kommt – was können Menschen präventiv
dagegen tun?
Nicht Rauchen, eine gesunde Ernährung und Bewegung wären gute Rezepte, um nicht daran
zu erkranken.
Welche therapeutischen Ansätze gibt es bei der Behandlung von pAVK, Herr Professor
Katoh?
In einem frühen Stadium erfolgt die Therapie in erster Linie konservativ. Hierbei
versucht man zunächst, die oben genannten Risikofaktoren so gut wie möglich zu reduzieren
und durch ein Gehtraining die Bildung von Kollateralen anzuregen. Je nach Stadium
erfolgt zusätzlich eine medikamentöse Therapie. In einem fortgeschrittenen Stadium
müssen die ursächlichen Gefäßengen und Gefäßverschlüsse beseitigt werden. Das kann
radiologisch-interventionell oder operativ erfolgen. Unter einem interventionellen
Eingriff versteht man eine Therapie, bei der man nach einer Punktion, zum Beispiel
der Leistenarterie, durch die Gefäße arbeitet. Mithilfe von schlanken Ballon-Kathetern
oder so genannten Stents können von Radiologinnen und Radiologen Engen und Verschlüsse
wieder durchgängig gemacht werden. Ist dies nicht mehr möglich, bleibt nur noch die
operative Anlage eines Bypasses, also einer Prothese, die den Verschluss überbrückt.
Professor Mahnken, Sie sind Erstautor der Analyse „Versorgungslage mit interventionell-radiologischer
Gefäßrevaskularisation in Deutschland – eine Analyse der DeGIR-Registerdaten 2018/2019“.
Was sind die Kernaussagen der Analyse?
Die Analyse der Registerdaten hat gezeigt, dass die interventionelle Radiologie deutschlandweit
in allen Regionen mit für Gefäßmedizin zertifizierten interventionellen Radiologinnen
und Radiologen (DeGIR-Stufe 2, Modul A) in der Versorgung dieser stetig steigenden
Zahl von Gefäßpatientinnen und -patienten aktiv ist. In Deutschland wird also flächendeckend
eine Versorgung von Gefäßpatientinnen und -patienten durch gezielt qualifizierte interventionelle
Radiologinnen und Radiologen angeboten.
Professor Mahnken, wenn wir auf Ihre Analyse zurückkommen: Warum haben Sie sich in
Ihrer Analyse auf die Erkrankung pAVK fokussiert?
In einer alternden Gesellschaft sind Gefäßerkrankungen – insbesondere die pAVK – einer
der zentralen Einflussfaktoren für Lebensqualität und Mortalität. Einer optimalen
Versorgung dieser Patientinnen und Patienten kommt damit eine sehr hohe Bedeutung
zu. Die Analyse der DeGIR-Registerdaten zeigt, welche zentrale Rolle die Radiologie
mit ihrer einzigartigen Kombination aus diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten
in der Versorgung dieser Patientengruppe spielt.
Wie viele Zentren und Kliniken haben in dem von Ihnen analysierten Zeitraum Daten
über Eingriffe bei pAVK gemeldet und wie viele Eingriffe wurden bundesweit durchgeführt,
Herr Professor Mahnken?
Es wurden 57. 732 interventionelle Prozeduren zur Behandlung von Krankheiten wie der
pAVK von 228 Zentren in das DeGIR-Qualitätsregister eingetragen. Dies ist ein sehr
großer Anteil aller in Deutschland durchgeführten Behandlungen. Die Gesamtgröße dieses
Therapiefeldes zeigt aber auch, dass weiterhin Bedarf besteht, weitere Zentren für
die Teilnahme am DeGIR-Qualitätsregister zu gewinnen und gezielt für Gefäßmedizin
zertifizierte interventionelle Radiologinnen und Radiologen auszubilden.
Professor Paprottka, die Analyse von Professor Mahnken und seinen Kollegen basiert
auf Daten zu interventionell-radiologischen Eingriffen bei pAVK. Diese Daten haben
Kliniken gemeldet, die am DeGIR-Qualitätsregister teilnehmen. Wie viele Kliniken nehmen
generell am Register teil?
Wir haben momentan 301 Kliniken, die im Register ihre Interventionen eingeben. Von
diesen sind mittlerweile 181 als DeGIR- oder DeGIR-/DGNR-Ausbildungszentrum zertifiziert.
Aktuell werden pro Jahr rund 195 000 minimal-invasive Eingriffe eingetragen, die durch
interventionelle Radiologinnen und Radiologen sowie Neuroradiologinnen und Neuroradiologen
durchgeführt wurden.
Professor Paprottka, das DeGIR-Qualitätsregister basiert auf einer besonderen Qualitätssicherungssoftware.
Könnten Sie schildern, welche Daten mit der Software erfasst und ausgewertet werden?
Die interventionelle Radiologie hat mit dem DeGIR-Qualitätsregister die Möglichkeit,
zu erfassen, wie viele Patientinnen und Patienten interventionell-radiologisch behandelt
werden. In dem Register werden unter anderem die durchgeführten Interventionen, die
Komplikationen und – da die Untersuchung mithilfe von Röntgenstrahlen durchgeführt
wird – Dosiswerte erfasst. Hierbei dient das Register nicht nur zur Qualitätssicherung
der beteiligten Zentren: Die eingegebenen Daten werden wissenschaftlich ausgewertet
und können in Zukunft zum Beispiel auch für die Ausarbeitung neuer Dosisreferenzwerte
im Strahlenschutz herangezogen werden. In den letzten Jahren wurden zahlreiche Auswertungen
des DeGIR-Qualitätsregisters veröffentlicht und etliche weitere sind in Arbeit.
Professor Paprottka, wie helfen die an das Register gemeldeten Daten, Diagnose- und
Therapiemöglichkeiten von und für Patientinnen und Patienten zu verbessern?
Das DeGIR-Qualitätsregister verbessert durch seine breite Datenbasis die Qualität
der Eingriffe wesentlich, denn sie ermöglicht wissenschaftliche Erkenntnisse, die
bei der Entwicklung medizinischer Leitlinien, für die Forschung und die Gesundheitspolitik
wichtig sind. Insofern trägt das Register entscheidend zu einer besseren Patientenversorgung
bei. Das ist unser Ziel und in dieser Richtung entwickeln wir unsere Software auch
fort. So wollen wir in Zukunft zum Beispiel in unserer Software die Möglichkeit einer
langfristigen Qualitätssicherung schaffen. Das ist gerade im Bereich Onkologie wichtig,
in dem Patienten zum Beispiel nach 3, 6, 9 und 12 Monaten nachkontrolliert werden
müssen.
Über unsere Interviewpartner
Professor Marcus Katoh ist Chefarzt des Instituts für Diagnostische und Interventionelle
Radiologie im Helios-Klinikum Krefeld. Er ist Präsident der Deutschen Gesellschaft
für Interventionelle Radiologie und minimal-invasive Therapie (DeGIR). Schwerpunkte
seiner Präsidentschaft bei der DeGIR sind unter anderem die Förderung des interventionsradiologischen
Nachwuchses und das Voranbringen digitaler Projekte.
Professor Andreas Mahnken ist Professor für Radiologie der Philipps-Universität Marburg
und Direktor der Klinik für Diagnostische und Interventionelle Radiologie am Universitätsklinikum
Gießen und Marburg am Standort Marburg. Professor Mahnken ist Mitglied im Vorstand
der DeGIR und President-elect.
Professor Paprottka ist Chefarzt und Universitätsprofessor für Interventionelle Radiologie
am Klinikum rechts der Isar an der Technischen Universität München. Er ist seit Mai
2018 Vorstandsmitglied der DeGIR und Leiter der DeGIR-Qualitätssicherungs-Softwarelenkungsgruppe.