Phlebologie 2022; 51(01): 37-50
DOI: 10.1055/a-1679-0677
CME-Fortbildung

Bridging unter Antikoagulation und Thrombozytenaggregationshemmung

Bridging under anticoagulation and antiplatelet therapy
Ertunc Altiok
,
Mohammad Almalla
 

Abtract

When bridging anticoagulation, the risk of bleeding - compared to the thromboembolic risk - is often underestimated. Bridging is only indicated in case of high (and possibly moderate) thromboembolic risk. When bridging patients with indication for dual antiplatelet therapy, an interdisciplinary case discussion should take place to assess the risk.


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Beim Bridging einer Antikoagulation wird das Blutungsrisiko – im Vergleich zum thromboembolischen Risiko – oft unterschätzt. Das Bridging ist nur bei einem hohen (und evtl. bei einem moderaten) thromboembolischen Risiko angezeigt. Beim Bridging von Patienten mit der Indikation zur dualen Thrombozytenaggregationshemmung sollte eine interdisziplinäre Fallbesprechung zur Risikoabschätzung stattfinden.


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ABKÜRZUNGEN

aPTT: aktivierte partielle Thromboplastinzeit
INR: Internationale Normalisierte Ratio
NMH: niedermolekulares Heparin
NOAK: nicht Vitamin-K-abhängige orale Antikoagulanzien
OAK: orale Antikoagulation
UFH: unfraktioniertes Heparin
VKA: Vitamin-K-Antagonisten


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Antikoagulation

Eine orale Antikoagulation (OAK) ist meist indiziert zur Prophylaxe thromboembolischer Ereignisse bei Vorhofflimmern, zur Prävention und Behandlung tiefer Beinvenenthrombosen und Lungenarterienembolien sowie nach Herzklappenersatz. Eine Operation oder interventionelle Prozedur ist jährlich bei 10–20% aller Patienten unter OAK erforderlich [1] [2]. Die OAK wird entweder mit Vitamin-K-Antagonisten (VKA) oder mit nicht Vitamin-Kabhängigen oralen Antikoagulanzien (NOAK) durchgeführt. In Deutschland wird als VKA meist Phenprocoumon verwendet, seltener Warfarin. Es gibt 4 zugelassene NOAK,

  • zum einen den direkten Thrombin-(Gerinnungsfaktor-IIa-)Inhibitor Dabigatran,

  • zum anderen die direkten Gerinnungsfaktor-Xa-Inhibitoren Rivaroxaban, Apixaban und Edoxaban.

Thromboembolisches Risiko

In der Vergangenheit wurde eine Antikoagulationstherapie in der Regel parenteral mit unfraktioniertem Heparin (UFH) oder niedermolekularem Heparin (NMH) überbrückt (engl. Bridging), solange Patienten für die periinterventionelle Phase keine OAK erhielten. Ziel war es, thromboembolische Ereignisse zu verhindern.

In den letzten Jahren ergaben sich durch einige Studien Zweifel an der Sicherheit und Effizienz dieser Bridging-Strategie. Beispielsweise erhielten in der randomisiert geplanten BRIDGE-Studie Patienten unter OAK bei Vorhofflimmern mit einem moderaten Risiko für thromboembolische Ereignisse vor einer chirurgischen Intervention randomisiert entweder NMH oder Placebo. Die Rate thromboembolischer Ereignisse war in beiden Randomisierungsarmen gleich niedrig, unter Bridging mit Heparin kam es jedoch im Vergleich zu Placebo zu einer mehr als doppelt so hohen Rate relevanter Blutungsereignisse [3]. Diese Daten weisen darauf hin, dass die Antikoagulation, im Gegensatz zu einer Bridging-Therapie, bei niedrigem bis intermediärem Risiko für thromboembolische Ereignisse pausiert werden sollte.


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Blutungsrisiko

In den letzten Jahren wurde in verschiedenen Studien untersucht, ob bestimmte operative Prozeduren mit einem niedrigen Blutungsrisiko möglich sind, ohne die Antikoagulation mit VKA zu unterbrechen. Die Untersuchungen bezogen sich auf Schrittmacherimplantationen, Zahnextraktionen und Kataraktoperationen. Im Ergebnis ist es nicht nur so, dass solche Prozeduren mit niedrigem Blutungsrisiko ohne Unterbrechung der OAK durchgeführt werden können, sondern dass das Risiko für Blutungen im Operationsgebiet dabei sogar vermindert werden kann [4] [5] [6]. Dieses zunächst paradox erscheinende geringere Blutungsrisiko unter Fortführung der Antikoagulanzien erklärt sich durch die postinterventionell fehlende überlappende Gerinnungshemmung mit Heparin während der Wiederaufnahme der VKA. Daneben wird ein großer Teil der Patienten mit NOAK antikoaguliert, bei denen eine Überbrückung der pausierten Therapie mittels parenteraler Antikoagulation nicht sinnvoll ist [1].

Tab. 1 Zu erwartendes Blutungsrisiko bei interventionellen und operativen Eingriffen ausgewählter Fachrichtungen ohne Berücksichtigung der antithrombotischen Therapie und der individuellen Patientenfaktoren.

Fachrichtung

geringes Blutungsrisiko

intermediäres Blutungsrisiko

hohes Blutungsrisiko

Herzchirurgie

Minithorakotomie, transapikaler Aortenklappenersatz, Bypassoperation, Klappenoperationen

Reinterventionen, Endokarditis, Aortendissektion

Allgemeinchirurgie

Hernioplastie, Cholezystektomie, Appendektomie und Kolektomie, Magenresektion, Darmresektion, Brustchirurgie

Hämorrhoidektomie, Splenektomie, Gastrektomie, bariatrische Chirurgie, Rektalresektion, Thyroidektomie

Leberresektion, Duodenopankreatektomie

Gefäßchirurgie

Endarteriektomie Karotiden, Bypass oder Endarteriektomie der unteren Extremitäten, endovaskuläre Angioplastie, Extremitätenamputationen

offene Bauchaortenchirurgie

offene Thorax- oder kombinierte Thorax- und Bauchchirurgie

Orthopädie

Handchirurgie, Schulter- und Kniearthroskopie, kleine Spinalchirurgie

Schulterprothese, große Spinalchirurgie, Knieoperationen, Fußchirurgie

große Prothesenchirurgie von Knie und Hüften, große Traumatologie von Becken und großen Knochen, proximale Femurfrakturen

Urologie

flexible Zystoskopie, Ureteroskopie, Ureterkatheterisierung

Prostatabiopsie, Orchiektomie, Zirkumzision

partielle und totale Nephrektomie, perkutane Nephrostomie, perkutane Lithotripsie, Zystektomie und radikale Prostatektomie, transurethrale Resektion der Blase oder Prostata, Penektomie, partielle Orchiektomie

Thoraxchirurgie

Keilresektion, diagnostische Videothorakoskopie, Brustwandresektion

Lobektomie, Pneumoektomie, Mediastinoskopie, Sternotomie, Exzision mediastinaler Massen

Ösophagektomie, Pleurapneumektomie, Lungendekortikation

Gastroenterologie

Ösophago-, Gastro- und Duodenoskopie (ÖGD) ohne und mit Biopsie, Endosonografie ohne Biopsie, Polypektomie < 1 cm, endoskopische retrograde Cholangiopankreatografie (ERCP) mit ggf. Stenteinlage, Papillendilation ohne Sphinkterotomie

endoskopische Feinnadelaspirationsbiopsie solider Läsionen, Dilatation von ösophagealen und kolorektalen Stenosen, gastroenterische Stents, Argonplasma-Koagulationsbehandlung, Polypektomie > 1 cm, perkutane endoskopische Gastrostomie (PEG), Bandligatur oder Sklerosierung bei Varizen oder Hömorrhoiden

Dilatation bei Achalasie, Mukosektomie/submuköse Resektion, endosonografische Feinnadelaspirationsbiopsie von zystischen Läsionen des Pankreas, Ampullektomie der Papilla Vateri

Gynäkologie

diagnostische Hysteroskopie mit endometrialer Biopsie, Polypektomie, Metroplastik, Dilatation und Kürettage des Uterus, zervikale Konisation mit Loop-Diathermie, Marsupialisation, Bartholin-Drüsen-Zystenresektion, laparoskopische Entfernung bzw. Laparotomie der Adnexe bei gutartigen Erkrankungen, Laparoskopie und Laparotomie bei milder Endometriose, hysteroskopische Tubensterilisation, diagnostische Laparoskopie oder minimale Operationen

Hysteroskopie, Endometriumablation, Laparoskopie und Laparotomie bei intermediärer Endometriose, einfache abdominelle und einfache vaginale Hysterektomie bei gutartigen Erkrankungen bzw. Prolaps, radikale Vulvektomie, Omentektomie

Laparotomie oder laparoskopische Hysterektomie bei großem Uterus, laparoskopische und laparotomische Myomektomie, Laparoskopie oder Laparotomie bei komplizierter/tiefer Endometriose, Debulking-Operation bei Ovarialkarzinom, radikale Operation bei Zervix- und Endometriumkarzinomen, aortale Lymphadenektomie (Becken und Lenden), Beckeneviszeration

Neurochirurgie

Diskushernien, Laminektomie ≤ 2 Kanäle ohne Arthrodese, externe Ventrikelableitung, intraventrikulärer Katheterwechsel zum Druckmonitoring, intraventrikuläre Reservoirintegration

Laminektomie > 2 Kanäle, spinale Arthrodese, ventrikuloperitonealer Shunt

Entfernung intraduraler Läsionen wie intrazerebraler Tumoren oder intraparenchymatöser Blutungen

interventionelle Pneumologie

Bronchoskopie zur Inspektion, Bronchoaspiration, bronchoalveoläre Lavage (BAL)

Bronchialbiopsie, transbronchiale Nadelaspiration

Lungen- und transbronchiale Biopsie, starre Bronchoskopie, minimalinvasive Thorakoskopie

Ophthalmologie

intravitrale Injektionen, Kataraktoperationen, peribulbäre Anästhesie

Vitrektomie, Trabekulektomie

PRAXISTIPP

Beim Bridging einer Antikoagulation wird das periinterventionelle Blutungsrisiko im Vergleich zum thromboembolischen Risiko oft unterschätzt. Bei niedrigem bis intermediärem Risiko für thromboembolische Ereignisse sollte die Antikoagulation anstatt eines Bridgings eher ganz pausiert werden. Bei Eingriffen mit einem geringen Blutungsrisiko sollte das perioperative Fortführen der Antikoagulation erwogen werden.

Zur Entscheidung über das perioperative Management der Antikoagulation kann das Blutungsrisiko anhand der Art des Eingriffs abgeschätzt werden ([Tab. 1]) [7] [7].


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Praktische Strategie

Bei operativen Eingriffen von Patienten unter Antikoagulation sollten folgende Aspekte beachtet werden:

  • Besteht die Indikation zur Antikoagulation überhaupt noch?

  • Ist eine Unterbrechung der Antikoagulation erforderlich?

  • Wann soll die Antikoagulation unterbrochen werden?

  • Soll – bei Entscheidung zur Unterbrechung der Antikoagulation – ein Bridging stattfinden?

  • Wie soll das Bridging stattfinden?

  • Wann soll die Antikoagulation wieder aufgenommen werden?

Konkret wird eine Risikoeinschätzung für das periinterventionelle Management empfohlen und entsprechend dem Eingriff und dem individuellen Risiko angepasst [1]. Wenn die Indikation zur Antikoagulation noch besteht, dann sollte geklärt werden, ob die dringende Notwendigkeit zur Durchführung eines Eingriffs mit hohem Blutungsrisiko gegeben ist ([Abb. 1])? Um die Entscheidung für oder gegen ein Bridging treffen zu können, muss man das Blutungsrisiko gegen das individuelle Thromboembolierisiko abschätzen ([Abb. 2]) [1].

Vitamin-K-Antagonisten

Patienten unter Therapie mit Vitamin-K-Antagonisten (VKA) haben ein höheres peri- und postprozedurales Blutungsrisiko. Dieses Risiko hängt wesentlich von der Art des geplanten Eingriffs ab ([Tab. 1]) – ferner sind Operationen risikoreich, bei denen keine Kompression möglich ist:

  • Bei Prozeduren mit hohem Blutungsrisiko sollten VKA pausiert werden.

  • Bei Eingriffen mit geringem Blutungsrisiko kann die Antikoagulation fortgeführt werden. Hierzu zählen u. a. Kataraktoperationen, kleine haut- oder zahnärztliche Eingriffe. Dabei ist es sinnvoll, für die INR (Internationale Normalisierte Ratio) einen zum Operationszeitpunkt niedrigen therapeutischen Bereich anzustreben.

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Abb. 1 Algorithmus für die prozedurale Unterbrechung der Antikoagulation.
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Abb. 2 Algorithmus für das Bridging der Antikoagulation; NOAK = nicht Vitamin-K-abhängige orale Antikoagulanzien, VKA = Vitamin-K-Antagonisten.

Substanzen aus der Gruppe der VKA sind Phenprocoumon, Acenocoumarol (keine Zulassung in Deutschland) und Warfarin. In Deutschland wird meist Phenprocoumon und seltener Warfarin verschrieben. Der hauptsächliche Unterschied zwischen den Wirkstoffen liegt in den Halbwertszeiten: Phenprocoumon hat mit 72–270 Stunden die längste Halbwertszeit, Acenocoumarol mit 8–24 Stunden die kürzeste und Warfarin liegt mit 36–42 Stunden dazwischen.

Die INR kann durch eine Reihe von Interaktionen mit oft verordneten Medikamenten beeinflusst werden:

  • Die Wirkung der VKA wird beispielsweise durch nicht steroidale Antirheumatika, Allopurinol und Levothyroxin verstärkt.

  • Die Wirkung der VKA wird durch Rifampicin, Azathioprin, Carbamazepin und Glukokortikoide abgeschwächt.

Zusätzlich sind Wechselwirkungen durch die Ernährung zu berücksichtigen. Die therapeutische Breite von VKA ist gering, sodass bereits geringe Änderungen der Dosis dazu führen können, dass der angestrebte INR-Zielkorridor nicht erreicht wird.

In der Regel können Operationen bei einer INR unter 1,5 sicher durchgeführt werden. Eine Unterbrechung der Antikoagulation kann bei Hochrisikopatienten bewirken, dass Thromboembolien auftreten. Als Hochrisikopatienten gelten u. a.:

  • Patienten mit Vorhofflimmern bei einem CHA2DS2-VASc-Score von ≥ 4 Punkten

  • Patienten mit mechanischen Herzklappen oder weniger als 3 Monate zurückliegender Mitralklappenrekonstruktion

  • Patienten mit kürzlich zurückliegendem thromboembolischen Ereignis

  • Patienten mit besonderen schweren Formen einer Thrombophilie [8]

Wenn ein Bridging von VKA als sinnvoll erachtet wird, dann sollte man das NMH dem UFH vorziehen. VKA sollten 3–5 Tage vor dem Eingriff pausiert werden mit dann täglichen INR-Kontrollen, bis die INR unter 1,5 liegt.

Mit NMH oder UFH beginnt man, wenn die INR unter 2 ist. Bei hohem Thromboembolierisiko wird dabei die zweimal tägliche, gewichtsadaptierte Gabe von NMH empfohlen. Eine Gerinnungskontrolle des NMH ist nicht erforderlich, wenn man die Nierenfunktion berücksichtigt. Bei Niereninsuffizienz ist der Einsatz des NMH im Gegensatz zum UFH eingeschränkt. NMH sollte spätestens 12 Stunden vor dem Eingriff zum letzten Mal appliziert werden. Am Operationstag sollte man die INR kontrollieren.

NMH oder UFH sollte postoperativ frühestens nach 6–12 Stunden in der vor der Operation verordneten Dosis wieder verabreicht werden – bei hohem postoperativen Blutungsrisiko wird die erneute Heparintherapie auf bis zu 48–72 Stunden nach dem Eingriff verschoben, wobei dann 6–8 Stunden nach der Operation eine Thromboseprophylaxe mit am besten subkutanem NMH verordnet wird.

Die Medikation mit VKA sollte am ersten oder zweiten postoperativen Tag begonnen werden: An den ersten beiden Tagen sollte die Dosis 50% über der bisherigen Erhaltungsdosis liegen. NMH oder UFH sollte so lange gegeben werden, bis die angestrebte therapeutische INR erreicht wird [8].

Bei Überdosierung mit VKA ist eine Therapie mit einem spezifischen Antagonisten möglich: Vitamin K1 (Phytomenadion) ist in der Lage, die antikoagulatorische Wirkung innerhalb von 24 Stunden aufzuheben. Bei leichteren Blutungen ist eine Antagonisierung meist jedoch nicht notwendig und es genügt, die VKA-Dosis vorübergehend zu verringern. Durch die Antagonisierung mit Vitamin K1 wird eine effektive Antikoagulation für mehrere Tage verhindert. Wenn man in Fällen von sehr starker oder bedrohlicher Blutung den Eintritt der vollen Vitamin-K1-Wirkung nicht abwarten kann, gibt man Prothrombinkomplex-Konzentrat (PPSB) oder frisch gefrorenes Plasma (FFP) und kann damit die VKA-Wirkung unmittelbar aufheben. Die Elimination von VKA kann man zusätzlich beschleunigen, indem man Colestyramin oral verabreicht und dadurch den enterohepatischen Kreislauf unterbricht.


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Heparin

Heparin-Präparate werden entweder unfraktioniert als UFH oder fraktioniert als NMH angewendet:

  • Heparin bindet an verschiedene Antithrombinmoleküle, vor allem Antithrombin III und wirkt dadurch antikoagulatorisch.

  • NMH, das durch Spaltung und Fraktionierung der niedermolekularen Anteile aus konventionellem Heparin gewonnen wird, hemmt überwiegend selektiv den Gerinnungsfaktor Xa. Als NMH stehen in Deutschland neben der Leitsubstanz Enoxaparin noch Certoparin, Dalteparin, Nadroparin, Reviparin und Tinzaparin zur Verfügung.

Als Nebenwirkung kann sowohl beim UFH als auch beim NMH eine heparininduzierte Thrombozytopenie auftreten. Dieses Risiko ist mit einer Rate von weniger als 1% beim NMH geringer als beim UFH. Für die Kontrollen gilt:

  • Im Gegensatz zum UFH ist eine Gerinnungskontrolle unter NMH in der Regel nicht erforderlich, eine Therapiekontrolle ist jedoch durch die Bestimmung der Anti-Faktor-Xa-Aktivität möglich.

  • Unter UFH ist eine Therapiekontrolle durch Bestimmung der aktivierten partiellen Thromboplastinzeit (aPTT) erforderlich: Als Ziel gilt eine 1,5–2,5-fache Verlängerung der aPTT.

Der Vorteil des NMH liegt darin, dass es subkutan appliziert werden kann, während eine kontrollierte therapeutische Antikoagulation mit UFH lediglich intravenös möglich ist. Da NMH überwiegend renal eliminiert wird, ist eine Einschränkung bei Niereninsuffizienz zu beachten. NMH wird subkutan gewichtsadaptiert in therapeutischer Dosis und zur Thromboseprophylaxe in verringerter Dosis gegeben. Die Halbwertszeit von subkutan verabreichtem NMH beträgt etwa 4 Stunden, sodass es vor Operationen letztmals spätestens 12 Stunden vor dem Eingriff gegeben werden sollte – bei besonders hohem operativen Blutungsrisiko 24 Stunden vor dem Eingriff. Intravenös verabreichtes UFH hat eine Halbwertszeit von 60 bis 90 Minuten, d. h., dass die antikoagulatorische Wirkung nach 3–4 Stunden Pause vergeht [9].

Als Antidot für UFH kann Protamin eingesetzt werden. Wegen der relativ kurzen Wirkdauer von UFH ist dies jedoch selten erforderlich. Das Antidot Andexanet alfa wurde zur Anwendung bei Patienten, die mit Faktor-Xa-Inhibitoren behandelt werden, entwickelt – diese Substanz wurde jedoch nicht für den Einsatz als Antidot gegen NMH zugelassen. Eine Zulassung für NMH besteht nicht; eine Wirkung des Antidot ist jedoch wegen des Wirkmechanismus zu erwarten. Die Zulassung besteht nur für die Substanzen Apixaban und Rivaroxaban.


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Nicht Vitamin-K-abhängige orale Antikoagulanzien

Nicht Vitamin-K-abhängige orale Antikoagulanzien (NOAK) werden als Alternative zu den VKA zur therapeutischen Antikoagulation für die Indikationen nicht valvuläres Vorhofflimmern und venöse Thromboembolie eingesetzt. Von den 4 verschiedenen NOAKs ist Dabigatran ein direkter Thrombin-Inhibitor, und Rivaroxaban, Apixaban und Edoxaban sind Faktor-Xa-Inhibitoren. Wegen der im Vergleich zu VKA relativ kurzen Eliminationshalbwertszeiten von je nach Substanz etwa 9–17 Stunden ist in der Regel kein Bridging mit NMH oder UFH erforderlich: Man spricht von einem gut definierten „On“- und „Off“-Effekt der NOAK.

Bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion ist Folgendes zu beachten:

  • Dabigatran wird mit einem Anteil von 80% überwiegend renal eliminiert.

  • Bei Rivaroxaban, Apixaban und Edoxaban überwiegt eine nicht renale Ausscheidung (der Anteil der renalen Ausscheidung dieser Substanzen liegt zwischen 27 und 50%).

Dabigatran ist dementsprechend bei einer GFR < 30 ml/min nicht zugelassen. Rivaroxaban, Apixaban und Edoxaban dürfen prinzipiell bei eingeschränkter Nierenfunktion bis zu einer GFR von 15 ml/min verordnet werden. In den relevanten Studien zu allen 4 NOAKs wurden jedoch nur Patienten mit einer GFR ≥ 30 ml/min eingeschlossen (Ausnahme: Apixaban ≥ 25 ml/min oder Kreatinin < 2,5 mg/dl), sodass die Datenlage nur aussagekräftig ist, solange die Einschränkung der Nierenfunktion moderat bleibt [10].

Bei Patienten mit Lebererkrankungen gilt es bei der OAK abzuwägen: Patienten mit Lebererkrankungen haben sowohl ein erhöhtes Risiko für thromboembolische Ereignisse als auch ein erhöhtes Blutungsrisiko. Es besteht die falsche Annahme, dass bei fortgeschrittener Leberinsuffizienz automatisch durch ein gewisses Maß an Antikoagulation ein Schutz vor Thromboembolien besteht. Dazu ist der teilweise nicht unerhebliche hepatische Metabolismus der NOAK bei Patienten mit Lebererkrankungen zu beachten: Die hepatische Ausscheidung von Dabigatran ist unter den NOAK mit einem Anteil von 20% am geringsten. In den Zulassungsstudien aller 4 NOAK zeigte sich kein Unterschied in Bezug auf hepatische Nebenwirkungen zwischen NOAK und VKA: Die Inzidenz hepatischer Nebenwirkungen war bei den in den Studien zugelassenen Patientengruppen insgesamt sehr niedrig, wobei Patienten mit relevanter Leberinsuffizienz in den Studien ausgeschlossen wurden.

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Abb. 3 Schema zur Einnahme von nicht Vitamin-K-abhängigen oralen Antikoagulanzien (NOAK) bei Lebererkrankungen unter Berücksichtigung des Child-Pugh-Scores zur Stadieneinteilung der Leberzirrhose; ALT = Alaninaminotransferase, AST = Aspartataminotransferase.

Bei Patienten mit Lebererkrankungen gilt: Im Child-Pugh-Stadium A dürfen alle NOAK verordnet werden, im Child-Pugh-Stadium B dürfen Dabigatran und Apixaban verordnet werden, wohingegen im Child-Pugh-Stadium C keines der NOAK zugelassen ist – VKA sind unter INR-Kontrollen prinzipiell in allen Child-Pugh-Stadien zugelassen ([Abb. 3]) [11].

Präoperativ sollte genau festgelegt werden, wann das NOAK zum letzten Mal vor dem Eingriff einzunehmen ist – dabei spielen die Nierenfunktion und das operative Blutungsrisiko eine Rolle ([Abb. 4]) [8] [10].

Die NOAK-Therapie wird nach Eingriffen mit sofortiger und kompletter Blutstillung nach 6–12 Stunden wieder aufgenommen. Hier ist der im Vergleich zu den VKA bereits genannte rasche Wirkungseintritt nach Einnahme zu beachten. Bei Prozeduren mit hohem Blutungsrisiko wird eine Wiederaufnahme der NOAK-Therapie erst nach bis zu 48–72 Stunden empfohlen, wobei dann ab 6 Stunden nach einer Operation eine Thromboseprophylaxe, z.B. mit subkutan verabreichtem NMH in verringerter Dosierung, gegeben wird: Hier entscheidet die postoperative Blutungsneigung, wann die therapeutische Antikoagulation wieder aufgenommen wird [10].

PRAXISTIPP

Eine Antikoagulation mit NOAK sollte wegen des im Vergleich zu VKA raschen Wirkungsein- und ‑austritts nicht überbrückt werden.

Nur selten besteht eine Indikation zur spezifischen Antagonisierung der Gerinnungshemmung mit NOAK: Meist genügen allgemeine Maßnahmen der Hämostase und das Abwarten des Wirkungsaustritts. Für den Fall, dass die antikoagulatorische Wirkung rasch aufgehoben werden muss, wie bei Notfalloperationen und bei lebensbedrohlichen oder nicht beherrschbaren Blutungen, wurde für den direkten Thrombininhibitor Dabigatran ein spezifisches Antidot entwickelt: Idarucizumab hebt die antikoagulatorische Wirkung von Dabigatran rasch und sicher auf [12].

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Abb. 4 Schema zur letzten Einnahme von nicht Vitamin-K-abhängigen oralen Antikoagulanzien (NOAK) vor einemelektiven operativen Eingriff in Abhängigkeit vom Blutungsrisiko und der Nierenfunktion, gemessen an der glomerulären Filtrationsrate (GFR).

Zur Anwendung bei Patienten, die mit Faktor-Xa-Inhibitoren behandelt werden, wurde das Antidot Andexanet alfa entwickelt: Es bindet direkte Faktor-Xa-Inhibitoren mit der gleichen Affinität wie der natürliche Gerinnungsfaktor Xa; dadurch wird die gerinnungshemmende Wirkung der Faktor-Xa-Inhibitoren aufgehoben. Für Apixaban und Rivaroxaban besteht eine Zulassung; für NMH und Edoxabsan besteht keine Zulassung. Jedoch ist zu beachten, dass es bei 10% der mit dem Antidot behandelten Patienten zu einem thromboembolischen Ereignis kam [13].

Bei lebensbedrohlichen Blutungen unter Therapie mit Edoxaban, die mit Maßnahmen wie z. B. Transfusion oder Hämostase nicht beherrscht werden können, wird die Gabe eines Prothrombinkomplex-Konzentrates (PPSB) in einer Dosierung von 50 IE/kg empfohlen. PPSB kann die Wirkungen von Edoxaban 30 Minuten nach Ende der Infusion aufheben.


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Bridging in besonderen Situationen

Vorhofflimmern

Das Thromboembolierisiko bei nicht valvulärem Vorhofflimmern wird mit dem CHA2DS2-VASc-Score abgeschätzt. Der CHA2DS2-VASc-Score beinhaltet die in [Tab. 2] Faktoren und Punkte. Es kann eine maximale Punktzahl von 9 erreicht werden – mit zunehmender Zahl steigt die Rate thromboembolischer Ereignisse: Bei ≥ 4 Punkten spricht man von einem hohen Risiko.

Somit sollte bei operativen Eingriffen mit einem hohen Blutungsrisiko bei einem CHA2DS2-VASc-Score von ≥ 4 Punkten ein Bridging erwogen werden [8]. Außerdem besteht ein hohes Thromboembolierisiko innerhalb von 3 Monaten nach einem Schlaganfall bzw. transitorisch ischämischer Attacke und bei valvulärem Vorhofflimmern. Letzteres ist definiert als Vorhofflimmern bei mittelschwerer oder schwerer Mitralklappenstenose bzw. bei mechanischen Herzklappenprothesen. Bei valvulärem Vorhofflimmern besteht unabhängig vom CHA2DS2-VASc-Score ein besonders hohes Risiko für Thromboembolien [1].

Tab. 2 Parameter des CHA2DS2-VASc-Scores.

Buchstabe

Parameter

Punkte

C

Herzinsuffizienz („congestive heart failure“)

1

H

Hypertonie

1

A

Alter > 74 Jahre

2

D

Diabetes mellitus

1

S

Schlaganfall

2

V

vaskuläre Erkrankung im Sinne einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit, eines vorangegangenen Herzinfarkts oder komplexer Aortenplaques

1

A

Alter 65–74 Jahre

1

Sc

weibliches Geschlecht („sex category“)

1

PRAXISTIPP

Ein Vorhofflimmern bei einem CHA2DS2-VASc-Score von ≥ 4 Punkten oder ein valvuläres Vorhofflimmern gehen mit einem erhöhten Risiko für Thromboembolien einher. Unter valvulär versteht man ein Vorhofflimmern bei mittelschwerer oder schwerer Mitralklappenstenose bzw. bei mechanischen Herzklappenprothesen.

FALLBEISPIEL

Antikoagulation mit VKA bei Vorhofflimmern

Eine 78-jährige Patientin wird wegen einer symptomatischen Bradykardie stationär aufgenommen. Bei symptomatischen Pausen bis 6 Sekunden in der Monitorüberwachung wird die Indikation zur Schrittmacherimplantation gestellt. Es besteht eine orale Antikoagulation mit Phenprocoumon bei langjährig bekanntem permanentem Vorhofflimmern. Ein Schrittmacher kann komplikationslos unter Fortführung der Antikoagulation mit einer im niedrigen therapeutischen Korridor eingestellten INR von 2,0 bis 2,5 implantiert werden.


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Venöse Thromboembolien

In den ersten 3 Monaten nach einer tiefen Beinvenenthrombose und/oder Lungenarterienembolie gilt: Es besteht ein hohes perioperatives Thromboembolierisiko. Daher sollten elektive Eingriffe nach Möglichkeit bis 3 Monate nach der Thrombose/Embolie verschoben werden. Wenn ein dringlicher operativer Eingriff in diesen ersten 3 Monaten erforderlich wird, dann ist unter Antikoagulation mit VKA ein Bridging indiziert. Sollte ein dringender operativer Eingriff mit hohem Blutungsrisiko gar innerhalb eines Monats nach einer venösen Thromboembolie erforderlich werden, dann sollte bei vorhandener Expertise zumindest die präoperative Implantation eines Vena-cava-Filters erwogen werden [9].

Außerdem besteht ein hohes Thromboembolierisiko bei Patienten mit nachgewiesener schwerer Thrombophilie, hierzu gehören u. a.: der Protein-C-, der Protein-S- oder der Antithrombinmangel und das Antiphospholipidsyndrom [1].

Cave

In den ersten 3 Monaten nach einer tiefen Beinvenenthrombose und/oder Lungenarterienembolie sollten elektive Eingriffe vermieden werden.

FALLBEISPIEL

Antikoagulation mit NOAK bei venöser Thromboembolie

Eine 63-jährige Patientin stellt sich in der Allgemeinchirurgie vor zur elektiven laparoskopischen Cholezystektomie bei seit Jahren bestehender symptomatischer Cholezystolithiasis. Es besteht – seit einem Rezidiv einer tiefen Beinvenenthrombose vor 2 Monaten – eine dauerhafte Antikoagulation mit Rivaroxaban.

Es wird die Entscheidung getroffen, den Eingriff um 1 Monat zu verschieben, um ein Zeitintervall von mindestens 3 Monaten nach der Beinvenenthrombose einzuhalten. Bei normaler Nierenfunktion mit einer glomerulären Filtrationsrate von > 80 ml/min wird vereinbart, Rivaroxaban letztmalig 24 Stunden vor dem Operationstermin einzunehmen.


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Mechanische Herzklappenprothesen

Bei mechanischen Herzklappenprothesen sind lediglich VKA zur OAK zugelassen. Das Management zur Antikoagulation während nicht kardialer Eingriffe sollte bei diesen Patienten präoperativ geplant werden. Auch hier gilt, die Antikoagulation während kleinerer Operationen, bei denen eine Blutung leicht zu kontrollieren ist, nicht zu unterbrechen. Wurde die Entscheidung zugunsten eines Bridgings getroffen, sollte die INR – nach Pausieren der VKA – für größere chirurgische Maßnahmen < 1,5 betragen; eine Überbrückung mit Heparin wird empfohlen.

UFH ist die einzige zugelassene Heparintherapie für Patienten mit mechanischen Prothesen, die intravenöse Gabe wird bevorzugt. Die Verwendung von subkutanem NMH ist eine „Off-Label“-Alternative zum UFH für das Bridging: Wird NMH eingesetzt, dann sollte es zweimal täglich in an das Körpergewicht angepasster therapeutischer Dosierung verabreicht werden – wenn möglich, unter laborchemischer Kontrolle der Anti-Xa-Aktivität mit einem Ziel-Wert von 0,5–1,0 U/ml [14].


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Thrombozytenaggregationshemmung

Innerhalb von 5 Jahren nach koronarer Stentimplantation findet bei bis zu einem Viertel dieser Patienten ein nicht kardialer operativer Eingriff statt [8]. Bei Patienten mit geplanter Operation unter dualer Plättchenhemmung ist

  • das Risiko einer Stentthrombose,

  • die Konsequenzen einer Verzögerung des Eingriffs und

  • das erhöhte perioperative Blutungsrisiko

zu berücksichtigen. Wegen der Komplexität ist eine interdisziplinäre Diskussion ratsam, um das thrombotische Risiko und das Blutungsrisiko gegeneinander abzuwägen [15].

Das perioperative Risiko für kardiale Ereignisse kann in 3 Gruppen unterteilt werden ([Tab. 3]) [8]:

  • niedriges Risiko (Rate eines kardialen Todes oder Myokardinfarkts innerhalb von 30 Tagen < 1%)

  • intermediäres Risiko (Rate von 1–5%)

  • hohes Risiko (Rate ≥ 5%)


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Plättchenhemmung

Medikamente

Eine duale Plättchenhemmung ist in der Regel zeitweise nach einer Stentimplantation zur Prävention einer Stentthrombose erforderlich. Dabei wird Azetylsalizylsäure in Kombination mit einem der folgenden P2Y12-Rezeptorantagonisten gegeben: Clopidogrel, Ticagrelor oder Prasugrel. Clopidogrel und Prasugrel wirken genauso wie Azetylsalizylsäure irreversibel für die gesamte Lebensdauer der Thrombozyten von etwa 5 bis 12 Tagen. Erst neu gebildete Thrombozyten sind voll funktionsfähig. Demgegenüber wirkt Ticagrelor reversibel, d. h. die Thrombozyten werden mit dem fallenden Medikamentenspiegel wieder funktionsfähig. Ticagrelor wird zweimal täglich eingenommen.

Tab. 3 Einschätzung des Risikos eines kardialen Todes oder Myokardinfarkts innerhalb von 30 Tagen: geringes Risiko < 1%, intermediäres Risiko 1–5% und hohes Risiko ≥ 5%.

Risikogruppe

Eingriffe

gering

oberflächliche Chirurgie, Brust, Zahn, Schilddrüse, Auge, asymptomatische Karotiden mittels Stenting oder Endarteriektomie, kleine gynäkologische Eingriffe, kleine orthopädische Eingriffe wie Meniskusoperation, kleine urologische Eingriffe

intermediär

intraperitoneal wie Splenektomie, Hiatushernien und Cholezystektomien, symptomatische Karotiden mittels Stenting oder Endarteriektomie, periphere arterielle Angioplastie, endovaskuläre Angioplastie bei Aneurysmen, Kopf- und Halschirurgie, große neurologische und orthopädische Operationen wie Spinal- und Hüftchirurgie, große urologische Operationen, Nierentransplantation, kleine intrathorakale Eingriffe

hoch

Chirurgie der Aorta und großen Gefäße, offene Operation der unteren Extremitäten zur Revaskularisierung, Amputation oder Thromboembolektomie, Chirurgie an Duodenum und Pankreas, Leberresektion und Gallengangsoperation, Ösophagektomie, Chirurgie bei Darmperforation, vollständige Zystektomie, Pneumektomie, Lungen- und Lebertransplantation


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Unterbrechung der Medikation

Wird die Entscheidung getroffen, die duale Plättchenhemmung zu unterbrechen, dann sollte die folgende Mindestdauer vom Absetzen der Medikation mit dem P2Y12-Rezeptorantagonisten bis zum operativen Eingriff eingehalten werden:

  • Ticagrelor mindestens 3 Tage

  • Clopidogrel mindestens 5 Tage

  • Prasugrel mindestens 7 Tage

Die duale Plättchenhemmung sollte postoperativ, so früh wie von operativer Seite her möglich, für die anfangs festgelegte Dauer fortgeführt werden: In der Regel kann die duale Plättchenhemmung 1–4 Tage nach dem operativen Eingriff wieder aufgenommen werden [15].

PRAXISTIPP

Wird die duale Plättchenhemmung ausgesetzt, sollten nach dem Pausieren der P2Y12-Rezeptorantagonisten bei Ticagrelor mindestens 3 Tage, bei Clopidogrel mindestens 5 Tage und bei Prasugrel mindestens 7 Tage bis zum Eingriff vergehen.

Generelle Strategie

Ist eine duale Plättchenhemmung indiziert, sollte der entsprechende Fall vor einem geplanten operativen Eingriff nach Möglichkeit interdisziplinär besprochen werden, um das Risiko des Patienten einschätzen zu können [15]. Bei den meisten operativen Eingriffen wird das Fortführen der Medikation mit Azetylsalizylsäure empfohlen, weil der Nutzen die negativen Effekte in der Regel überwiegt, insbesondere wenn die Entscheidung getroffen wird, die duale Plättchenhemmung vorzeitig zu unterbrechen – Ausnahmen sind z.B. Operationen im Spinalbereich oder neurochirurgische Eingriffe. Generell sollten operative Eingriffe innerhalb des ersten Monats nach koronarer Stentimplantation vermieden werden [8].

PRAXISTIPP

Bei Patienten mit Indikation für Azetylsalizylsäure wird das Fortführen dieser Medikation meist unabhängig von der Strategie empfohlen: Ausnahmen sind z. B. Operationen im Spinalbereich oder neurochirurgische Eingriffe.

Sollte ein dringender operativer Eingriff geplant werden, für den eine notwendige duale Plättchenhemmung unterbrochen werden muss, sollte dieser mindestens auf 1 Monat nach koronarer Stentimplantation verschoben werden – dies gilt sowohl nach Einsetzen von unbeschichteten Stents (BMS) als auch beschichteten Stents (DES). Bei Patienten nach einem Myokardinfarkt oder mit hohem ischämischen Risiko sollten operative Eingriffe wenn möglich auf bis zu 6 Monate nach dem Ereignis bzw. nach Stentimplantation verschoben werden. Faktoren, die ein hohes ischämisches Risiko anzeigen, sind:

  • eine vorherige Stentthrombose

  • ein Stent in dem einzig offen verbliebenen Koronargefäß

  • eine diffuse Mehrgefäßerkrankung insbesondere bei Diabetes mellitus

  • chronische Niereninsuffizienz

  • mindestens 3 implantierte Stents oder behandelte Läsionen

  • Bifurkation mit 2 implantierten Stents

  • totale Stentlänge > 60 mm

  • Rekanalisierung eines zuvor chronisch verschlossenen Koronargefäßes [15]

Cave

Elektive operative Eingriffe sollten innerhalb von 1 Monat nach koronarer Stentimplantation generell vermieden werden. Bei akutem Koronarsyndrom oder hohem ischämischen Risiko sollten elektive Eingriffe nach Möglichkeit bis zu 6 Monate nach dem Ereignis bzw. der Stentimplantation verschoben werden.

In den seltenen Fällen, in denen ein operativer Eingriff innerhalb der Zeit von weniger als 1 Monat nach koronarer Stentimplantation durchgeführt und beide Thrombozytenaggregationshemmer pausiert werden müssen, gilt: Eine Bridging-Strategie mit kurz wirksamen Thrombozytenaggregationshemmern (Cangrelor, Tirofiban oder Eptifibatid) kann erwogen werden [15]. Cangrelor ist ein intravenös zu verabreichender reversibler P2Y12-Rezeptorantagonist (die zuvor genannten P2Y12-Rezeptorantagonisten Clopidogrel, Ticagrelor und Prasugrel werden oral verabreicht): Die Wirkung setzt innerhalb von Minuten ein und muss durch eine kontinuierliche Infusion aufrechterhalten werden. Wegen der im Vergleich zu den übrigen P2Y12-Rezeptorantagonisten sehr kurzen Halbwertszeit von wenigen Minuten ist die vollständige Thrombozytenfunktion innerhalb von einer Stunde nach Beendigung der Infusion wiederhergestellt. Demgegenüber stehen Tirofiban und Eptifibatid als Inhibitoren des Glykoprotein-IIb/IIIa-Rezeptors, welche die Thrombozytenfunktion besonders effektiv hemmen. Tirofiban und Eptifibatid werden intravenös verabreicht. Die Wirkung setzt ebenfalls rasch ein – die Halbwertszeit beider Substanzen beträgt etwa 2 bzw. 2,5 Stunden. In einem solch besonderen Fall, in dem diese Bridging-Strategie erwogen wird, wird empfohlen: Der Eingriff sollte in einem Zentrum durchgeführt werden, in dem eine durchgehende Herzkatheterbereitschaft bei Auftreten einer Stentthrombose besteht [8].

FALLBEISPIEL

Duale Plättchenhemmung nach koronarer Stentimplantation

Ein 57-jähriger Patient mit ausgeprägtem kardiovaskulären Risikoprofil wird wegen thorakaler Beschwerden stationär in die Kardiologie eingewiesen. Ein akuter Myokardinfarkt kann ausgeschlossen werden. Weil die nicht invasive Bildgebung eine belastungsabhängige Ischämie der Hinterwand zeigt, wird eine Koronarangiografie durchgeführt. In dieser wird eine hochgradige Stenose der rechten Koronararterie diagnostiziert und ein beschichteter Stent (DES) implantiert. Eine duale Plättchenhemmung mit Azetylsalizylsäure und Clopidogrel wird für 6 Monate empfohlen.

Im weiteren Aufenthalt werden in der Thoraxröntgenaufnahme und in der anschließenden Computertomografie der Zufallsbefund einer Raumforderung gestellt, die suspekt auf ein Bronchialkarzinom ist. Es wird die Entscheidung getroffen, den Patienten zunächst zu entlassen und nach 1 Monat wieder einzubestellen zur dann dringlichen diagnostischen Bronchoskopie mit ggf. transbronchialer Biopsie; hierzu wird Clopidogrel 1 Monat nach Stentimplantation für 5 Tage abgesetzt und die Medikation mit Azetylsalizylsäure während des endoskopischen Eingriffs unverändert fortgeführt.

KERNAUSSAGEN
  • Eine orale Antikoagulation sollte nicht für Eingriffe mit geringem Blutungsrisiko unterbrochen werden.

  • Ein Bridging der oralen Antikoagulation sollte in der Regel Patienten unter Vitamin-K-Antagonisten (VKA) und einem hohen Risiko für thromboembolische Ereignisse vorbehalten bleiben.

  • Entsprechend sollte während der perioperativen Pause der Antikoagulation kein Bridging stattfinden, wenn ein geringes oder intermediäres Thromboembolierisiko vorliegt.

  • Generell sollten nicht Vitamin-K-abhängige orale Antikoagulanzien (NOAK) nicht gebridgt werden.

  • In den ersten 3 Monaten nach stattgehabter venöser Thromboembolie sollten elektive Eingriffe vermieden werden.

  • Eine duale Plättchenhemmung sollte im ersten Monat nach elektiver koronarer Stentimplantation nach Möglichkeit generell nicht unterbrochen werden.

  • Nach akutem Koronarsyndrom sollten elektive Eingriffe nach Möglichkeit erst nach 6 Monaten stattfinden.


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Zitierweise für diesen Artikel

Phlebologie 2022; 51: 37–50. DOI: 10.1055/a-1679-0677

Dieser Beitrag ist eine aktualisierte Version des Artikels: Altiok E, Almalla M. Bridging unter Antikoagulation und Thrombozytenaggregationshemmung. Kardiologie up2date 2020;16: 243 – 256.


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Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen

Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen für diesen Beitrag ist Dr. med. Ertunc Altiok, Aachen.


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PD Dr. med. Ertunc Altiok


Priv.-Doz. Dr. med. 1995-2001 Medizinstudium in Aachen. 2003 Promotion. 2014 Venia Legendi für das Fach „Innere Medizin“. Facharzt für Innere Medizin – Kardiologie, Internistische Intensivmedizin, Interventionelle Kardiologie. Seit 2016 Oberarzt in der Medizinischen Klinik 1 der Uniklinik Aachen. Leiter Sektion III: nicht invasive und Hybrid-Bildgebung.

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Mohammad Almalla


Dr. med. 1993-2000 Medizinstudium in Aleppo, Syrien. Facharzt für Innere Medizin – Kardiologie, Interventionelle Kardiologie. Seit 2016 Oberarzt in der Medizinischen Klinik 1 der Uniklinik Aachen. Stellvertretender Leiter Sektion I: interventionelle Klappentherapie und konventionelle interventionelle Kardiologie.

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Interessenkonflikt

Erklärung zu finanziellen Interessen
Forschungsförderung erhalten: nein; Honorar/geldwerten Vorteil für Referententätigkeit erhalten: ja, von einer anderen Institution (Pharma- oder Medizintechnikfirma usw.); Bezahlter Berater/interner Schulungsreferent/Gehaltsempfänger: nein; Patent/Geschäftsanteile/Aktien (Autor/Partner, Ehepartner, Kinder) an im Bereich der Medizin aktiven Firma: nein; Patent/Geschäftsanteile/Aktien (Autor/Partner, Ehepartner, Kinder) an zu Sponsoren dieser Fortbildung bzw. durch die Fortbildung in ihren Geschäftsinteressen berührten Firma: nein
Erklärung zu nichtfinanziellen Interessen
Mitgliedschaft bei der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) und bei der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC).


Korrespondenzadresse

PD Dr. med. Ertunc Altiok
Uniklinik RWTH Aachen, Klinik für Kardiologie, Angiologie und Internistische Intensivmedizin
Pauwelsstraße 30
52074 Aachen
Deutschland   

Publication History

Article published online:
10 February 2022

© 2022. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany


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Abb. 1 Algorithmus für die prozedurale Unterbrechung der Antikoagulation.
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Abb. 2 Algorithmus für das Bridging der Antikoagulation; NOAK = nicht Vitamin-K-abhängige orale Antikoagulanzien, VKA = Vitamin-K-Antagonisten.
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Abb. 3 Schema zur Einnahme von nicht Vitamin-K-abhängigen oralen Antikoagulanzien (NOAK) bei Lebererkrankungen unter Berücksichtigung des Child-Pugh-Scores zur Stadieneinteilung der Leberzirrhose; ALT = Alaninaminotransferase, AST = Aspartataminotransferase.
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Abb. 4 Schema zur letzten Einnahme von nicht Vitamin-K-abhängigen oralen Antikoagulanzien (NOAK) vor einemelektiven operativen Eingriff in Abhängigkeit vom Blutungsrisiko und der Nierenfunktion, gemessen an der glomerulären Filtrationsrate (GFR).