Schlüsselwörter
Chronische Wunden - Wundtherapie - Kompressionstherapie - Antiseptik - Unterdruck-Wundtherapie
Keywords
Chronic wounds - wound therapy - compression therapy - antiseptics - negative pressure
wound therapy
Einleitung
Wunden werden als chronisch bezeichnet, wenn sie länger als 8 Wochen bestehen [1]. Allerdings werden auch neu aufgetretene Wunden bei Patienten und Patientinnen,
die bereits schwerheilende Wunden haben oder hatten, von Beginn als „chronisch“ bezeichnet,
da sie erfahrungsgemäß nicht regelhaft heilen. Ein Beispiel dafür ist das diabetische
Fußsyndrom (DFS) mit rezidivierenden Wunden ([Abb. 1]), mal in Remission, dann wieder mit spontaner Eröffnung durch unbemerkte lokale
Drucküberbelastung (z. B. durch Schuhwerk), basierend auf der diabetischen Neuropathie,
häufig in Kombination mit einer Makroangiopathie.
Abb. 1 Patient mit insuffizient eingestelltem Diabetes mellitus Typ II und einem schmerzlosen
diabetischen Fußulkus. Die Hyperkeratose zeigt deutlich die Fußfehlbelastung bei Polyneuropathie.
Daher ist die Druckentlastung mittels adäquatem Schuhwerk die wichtigste konservative
Therapiemaßnahme. In der Wundtherapie steht das Debridement aktuell im Vordergrund
(Quelle: Dissemond).
Leitlinien, Standards und Expertenkonsens
Leitlinien, Standards und Expertenkonsens
Chronische Wunden sind ein Symptom verschiedener Grunderkrankungen, wie z. B. periphere
arterielle Verschlusserkrankung (pAVK), chronisch-venöse Insuffizienz (CVI) ([Abb. 2]) und Diabetes mellitus, oder auch (auto-)immunologischer Genese wie z. B. das Pyoderma
gangraenosum oder Vaskulitis ([Abb. 3]). Ihre Behandlung ist komplex, da nur eine Kombination aus ursachenspezifischer
Therapie der Grunderkrankungen und individuell adaptierter Lokaltherapie wundheilungsfördernd
und damit effektiv ist. Zu Letzterer steht den behandelnden Ärzten und Ärztinnen eine
Vielfalt an Therapieoptionen zur Verfügung. Das Angebot an Lokaltherapeutika ist bereits
sehr groß und immer neue Produkte drängen auf den Markt. Gute klinische Studien oder
Evidenz-basierte Leitlinien zur Lokaltherapie chronischer Wunden sind jedoch rar.
Die existierende und in Novellierung befindliche S3-Leitlinie der AWMF aus dem Jahr
2012 zur „Lokaltherapie chronischer Wunden bei den Risiken CVI, pAVK und Diabetes
mellitus“ [2], an deren Verfassung 12 Fachgesellschaften sowie Patienten und Patientinnen beteiligt
waren, ist im Praxisalltag wenig hilfreich: Aus der umfassenden Analyse von 4998 systematischen
Referenzen zur Wundbehandlung mit Identifizierung von 26 systematischen Übersichtsarbeiten
und 38 kontrollierten Interventionsstudien resultieren nur 37 konsentierte Expertenempfehlungen,
wobei davon lediglich 7 Evidenz-basiert und 30 GCP-Empfehlungen sind. Meist fehlt
eine ausreichende Evidenz, um konkret Handlungsempfehlungen aussprechen zu können.
Damit basiert die tägliche Wundtherapie im Wesentlichen auf dem Evidenzlevel IV [1] ([Tab. 1]), wobei nur Level I und II für Evidenz im eigentlichen Sinne stehen. Die im Expertenkonsens
empfohlenen lokalen Therapiekonzepte haben im internationalen Kontext allerdings große
Übereinstimmungen [3]
[4], was sie zu guten, wenn auch nicht Evidenz-basierten Informationsquellen macht.
Abb. 2
a 45-jähiger Patient mit Ulcus cruris venosum sowie Adipositas per magna, arterieller
Hypertonie und Diabetes Typ II. b Festsitzende Fibrinbeläge, die mittels Kürettage sukzessive entfernt wurden. c-e Zunehmende Granulation unter Lokaltherapie mit Distanzgitter und Superabsorber sowie
Kompressionstherapie bei starker Wundexsudation nach 12, 18 und 24 Wochen. f Wundverschluss 9 Monate nach Therapiebeginn. Die Kompressionstherapie wird zur Rezidivprophylaxe
fortgeführt (Quelle: Stürmer).
Abb. 3 Patient mit einem sehr schmerzhaften Ulcus cruris aufgrund einer kutanen leukozytoklastischen
Vaskulitis. Es erfolgte die Einleitung einer systemischen Therapie mit Glukokortikoiden.
Nach Durchführung einer lokalen antiseptischen Therapie mit PHMB über jeweils 20 Minuten
erfolgte die Wundtherapie mittels beschichteter Gazen und aufgrund der Schmerzen mit
einem Zweikomponenten-Kompressionssystem in der „Lite“-Ausführung mit 20 mmHg (Quelle:
Dissemond).
Tab. 1 Wissenschaftliche Studien können entsprechend der Empfehlungen der Agency for Healthcare
Research and Quality in verschiedene Evidenzklassen eingeteilt werden [1].
Evidenzlevel Ia
|
Evidenz durch wenigstens eine Meta-Analyse auf der Basis methodisch hochwertiger,
randomisierter, kontrollierter Studien
|
Evidenzlevel Ib
|
Evidenz aufgrund von mindestens einer ausreichend großen, methodisch hochwertigen,
randomisierten, kontrollierten Studie
|
Evidenzlevel IIa
|
Evidenz aufgrund von mindestens einer gut angelegten (hochwertigen), jedoch nicht
randomisierten und kontrollierten Studie
|
Evidenzlevel IIb
|
Evidenz aufgrund von mindestens einer gut angelegten quasiexperimentellen Studie
|
Evidenzlevel III
|
Evidenz aufgrund gut angelegter, methodisch hochwertiger, nicht-experimenteller deskriptiver
Studien wie etwa Vergleichsstudien, Korrelationsstudien oder Fall-Kontroll-Studien
|
Evidenzlevel IV
|
Evidenz aufgrund von Berichten der Experten-Ausschüsse oder Expertenmeinungen bzw.
klinischer Erfahrung anerkannter Autoritäten
|
Evidenzlevel V
|
Fallserie oder Expertenmeinung
|
Evidenz-basierte Medizin (EbM) in der Wundtherapie
Evidenz-basierte Medizin (EbM) in der Wundtherapie
Die Evidenz-basierte Medizin (EbM) beschreibt eine auf Beweise gestützte Heilkunde.
David L. Sackett schrieb bereits 1995 „EbM ist der gewissenhafte, ausdrückliche und
vernünftige Gebrauch der gegenwärtig besten externen, wissenschaftlichen Evidenz für
Entscheidungen in der medizinischen Versorgung individueller Patienten …“. Er stellte
aber auch klar „… gute Ärzte sollten sowohl klinische Expertise als auch die beste
verfügbare externe Evidenz nutzen, da keiner der beiden Faktoren allein ausreicht
… Ohne klinische Erfahrung riskiert die ärztliche Praxis durch den bloßen Rückgriff
auf die Evidenz tyrannisiert zu werden, da selbst exzellente Forschungsergebnisse
für den individuellen Patienten nicht anwendbar oder unpassend sein können“ [5].
Randomisierte, kontrollierte klinische Studien (RCTs) sind bei medizinischen Fragestellungen
das bestmögliche Studiendesign. In Bezug auf den Themenbereich „chronische Wunde“
gestaltet sich jedoch die Bewertung von Evidenz oft problematisch, da diese Wunden
nur ein Symptom verschiedener Grunderkrankungen sind, orchestrierte Stadien durchlaufen
und unterschiedliche Therapieansätze aufeinander aufbauen. Zudem werden für RCTs vorab
Ein- und Ausschlusskriterien definiert, um eine möglichst homogene Studienpopulation
zu generieren. Dadurch fallen viele typische und klinisch-reale Wund-Patienten und
Patientinnen durch das Raster, weil sie viele (schwer vergleichbare) Komorbiditäten
oder eine lange Wundanamnese haben. Somit bilden RCTs meist eine Art Positivselektion
von Patienten und Patientinnen und nicht die Realität ab. Ein weiterer Aspekt ist,
dass als Endpunkt vieler Studien zum Nutzen eines Wundproduktes die vollständige Abheilung
gefordert wird [6], was jedoch oft unrealistisch ist. Klinisch relevante Endpunkte wie Lebensqualität,
Schmerzfreiheit oder sukzessive Reduktion der Wundgröße und/oder Reduktion des Antibiotikaverbrauchs
spielen in der bisherigen Betrachtung eine untergeordnete Rolle [6], [7].
Wundspülung und Wundreinigung
Wundspülung und Wundreinigung
Die Wundspülung nach Abnahme des Verbandes ist eine gute Therapie zur Entfernung lockerer
Beläge und zur Reduktion der Keimlast in den Wunden. Erste Wahl bei nicht-infizierten
Wunden sind sterile physiologische Kochsalzlösung oder Ringerlösung. Beide sind nicht-zytotoxisch
und äquivalent in ihrer Wirkung [2]. Ist die Wunde kritisch-kolonisiert oder kontaminiert, was sich zumeist an einer
vermehrten Exsudatbildung und auffälligem Wundgeruch zeigt, sollten wirkstoffhaltige
oder antiseptische Wundspülungen eingesetzt werden ([Tab. 2]). Polyhexanid (PHMB)-haltige Lösungen sind aufgrund ihres breiten Wirkspektrums,
der vergleichsweise geringeren Zytotoxizität und ihrer Wirkstabilität auch bei hoher
Proteinbelastung [8] dazu gut geeignet (produktspezifische Einwirkzeit: 15–20 min). Zur Auswahl stehen
außerdem Natriumhypochlorid-haltige (NaOCl) oder hypochlorige Spüllösungen (HOCl),
die ebenfalls nicht zytotoxisch wirken und sogar eher wundheilungsfördernd sind [9], [10]. Ihre Einwirkzeit von bis zu 5 Minuten ist zu beachten. Octenidinhydrochlorid (OCT)
zeigt bei oberflächlichen Wunden eine gute Verträglichkeit und Wirksamkeit mit schnellem
Wirkeintritt (0,5–2 min). Es ist jedoch bei tiefen Wundhöhlen und zur Peritoneallavage
[8] kontraindiziert, da infolge dessen Gewebeödeme bis zu Gewebsnekrosen mit anschließender
fibröser Degeneration beschrieben wurden [11]. Zur Wundhöhlenspülung eignen sich Povidon (PVP)-Jod-Lösungen besser [9]. Auch bei oberflächlicher Anwendung entfalten sie binnen 30–60 sec ihre antimikrobielle
Wirkung [8]
[10].
Tab. 2 Expertenempfehlungen für die antimikrobielle Wundtherapie (PHMB: Polihexanid, NaOCL:
Natriumhypochlorit, HOCL: hypochlorige Säure, OCT/PE: Octenidin/Phenoxyethanol, PVP:
Polyvinylpyrrolidon, MRE: Multiresistente Erreger) [9].
Indikationen
|
Antimikrobieller Wirkstoff
|
1.Wahl
|
2.Wahl
|
Kritisch kolonisierte und infektionsgefährdete Wunden
|
PHMB
|
NaOCl/HOCl, OCT/PE, Silber
|
Verbrennungswunden
|
PHMB
|
NaOCl/HOCl
|
Biss-, Stich-, Schusswunden
|
PVP-Iod
|
OCT/PE
|
MRE-kolonisierte oder infizierte Wunden
|
OCT/PE
|
OCT/PE, PHMB, Silber
|
Dekontamination akuter und chronischer Wunden
|
NaOCl/HOCl, PHMB, Octenidin
|
OCT/PE
|
Peritonealspülung
|
NaOCl/HOCl
|
–
|
Risiko der Exposition des ZNS
|
NaOCl/HOCl
|
–
|
Wunden mit fehlender Abflussmöglichkeit
|
NaOCl/HOCl
|
–
|
Wasserstoffperoxid (H2O2) ist in proteinreichem (Wund-)Milieu antimikrobiell nur unzureichend wirksam [12]. Chlorhexidin sollte als Wundantiseptikum nicht verwendet werden, da es eher wirkungsschwach
ist, in Wundhöhlen sowohl zytotoxisch wirkt und auch karzinogene und potenziell teratogene
Eigenschaften hat [8], [13]. Auch Ethacridinlactat (Rivanol), Farbstoffe und Quecksilberverbindungen (z. B.
Mercurochrom) gelten heute als obsolet [8].
Festsitzende Wundbeläge lassen sich auf o. g. Art nicht entfernen ([Abb. 2] b). Einen spülenden und mechanischen Reinigungseffekt hat z. B. das Ausduschen der
Wunde mit Leitungswasser. Leitungswasser unterliegt zwar den gesetzlichen Vorgaben
zur mikrobiologischen Reinheit, unterscheidet sich aber im Elektrolytgehalt von Körperflüssigkeiten
deutlich und ist insbesondere nicht steril [14]. Deshalb wird sein Einsatz zur Wundspülung schon seit Jahren kontrovers diskutiert
[15]. Die KRINKO (Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention) des Robert-Koch-Institutes
legt fest: Nur sterile Flüssigkeiten, die auch der Definition des Europäischen Arzneimittelbuches
zur Anwendung als Wundspüllösungen genügen, dürfen verwendet werden. Jegliche Art
von Wundspülung muss dem Reinheitsgebot des Medizinproduktegesetzes (MPG) folgen.
Dementsprechend ist in der täglichen Praxis die Nutzung von Leitungswasser für die
Reinigung chronischer Wunden obsolet. Dies ändert sich nur, wenn Sterilfilter (Porengröße
2 μm) die handelsüblichen Duschköpfe ersetzen oder auf ihnen angebracht werden [15]. Inzwischen bieten verschiedene Medizinproduktehersteller diese Aufsätze an, welche
eine antibakterielle Effektivität von bis zu 3 Monaten garantieren.
Möglichkeiten des Wund-Debridements
Möglichkeiten des Wund-Debridements
Für ein Wund-Debridement stehen zum Abtragen von Fibrinbelägen, Nekrosen oder Fremdkörpern
verschiede Optionen zur Verfügung. Die schnellste und oft effektivste Form des Debridements
ist meist das chirurgische mittels sterilem Skalpell, scharfem Löffel, Ringkürette
oder Wasserstrahldruck. Dabei kann die gesamte Wundoberfläche einbezogen werden, was
insbesondere die bakterielle Besiedlung der Wunde reduziert, aber auch „gutes“ Granulationsgewebe
entfernt [16]. Zum Nutzen oder Schaden des chirurgischen Debridements gibt es bisher keine ausreichende
Evidenz in der Literatur. Bei stark inflammatorischen Wunden wie dem Pyoderma gangraenosum
sollte es initial vermieden werden, da es zur Zunahme der lokalen Inflammation mit
konsekutiver Wundflächenvergrößerung führen kann (Pathergie-Phänomen).
Die weiteren Formen des Debridements nutzen für ihre Wirkung die Zeiträume zwischen
den Verbandwechseln als eine Art periodische Wundreinigung; dabei wird kaum intaktes
Granulationsgewebe zerstört. Das sog. biochirurgische Debridement erfolgt mit Fliegenlarven
der Gattung Lucilla sericata. Sie werden im Gaze-Beutel („Biobag“) oder als sog. „Freiläufer“
auf die gereinigte Wunde appliziert und verbleiben dort 3–5 Tage. Die von ihnen freigesetzten
Proteasen verflüssigen das abgestorbene Gewebe der Wunde. Dies nehmen die Larven auf,
was die Wunde vergleichsweise schonend von avitalem Gewebe befreit [17]. Die Meta-Analyse der Fliegenlarven-Studien zeigte keine Überlegenheit dieser Therapie
im Vergleich zum autolytischen Debridement mittels Hydrogel, wobei die Gewebereinigung
mittels Larven schneller, aber auch schmerzhafter verläuft [17].
Der Einsatz von Hydrogel wird auch als autolytisches Debridement bezeichnet, da sein
hoher Wassergehalt die körpereigene Autolyse triggert. Bei der Anwendung sollte die
gleichzeitig applizierte Wundauflage (z. B. ein PU-Schaum) die Umgebungshaut nicht
durchfeuchten bzw. mazerieren, andererseits aber auch nicht das Hydrogel aufsaugen.
Auch wenn in der Literatur einige positive Effekte dieser Therapie insbesondere für
diabetische Fußulzera (DFU) beschrieben werden, weist das Design dieser klinischen
Studien doch einige Mängel auf, sodass auch hier die Evidenz nicht ausreichend ist
[16].
Das enzymatische Debridement, z. B. mittels Kollagenasen oder Peptidasen in Salben-
oder Gelform, soll die proteolytischen Prozesse der Wundheilung unterstützen und so
synergistisch wirken. Diese Salben oder Gele werden für einen begrenzten Zeitraum
von max. 14 Tagen mit möglichst täglichen Verbandwechseln auf die chronische Wunde
aufgetragen und das gelöste Gewebe schrittweise entfernt. Aufgrund der nicht-selektiven
Enzymaktivität ist auf einen ausreichenden Wundrandschutz bei dieser Therapie zu achten.
Für die Effektivität des enzymatischen Debridements im Vergleich zu Hydrogel, Polyacrylat
oder sogar Placebo gibt es keine ausreichende wissenschaftliche Evidenz [18].
Wirkstofffreie und wirkstoffhaltige Wundauflagen
Wirkstofffreie und wirkstoffhaltige Wundauflagen
Chronische Wunden sind immer mit Bakterien besiedelt [19]. Der Grad der Besiedelung wird in aufsteigender Reihenfolge wie folgt unterschieden:
Kontamination – Kolonisation – kritische Kolonisation – lokale Infektion – aufsteigende/systemische
Infektion. Zu welcher Kategorie die zu behandelnde Wunde gehört, ist häufig bereits
am klinischen Befund erkennbar (s. a. TILI-Score [20]). Eine wichtige Säule der lokalen Therapie chronischer Wunden ist heute die sog.
moderne, feuchte Wundtherapie [21]. Um einen besseren Überblick über die verschiedenen Behandlungsoptionen zu ermöglichen,
wurde als Orientierungshilfe für die Lokaltherapie chronischer Wunden mit M.O.I.S.T.
[22] ein aktuelles Behandlungskonzept vorgestellt:
-
M: Moisture balance = Exsudatmanagement: u. a. Hydrogele vs. Superabsorber
-
O: Oxygen balance = Sauerstoffbalance: u. a. normo- und hyperbare Verfahren
-
I: Infection control = Infektionskontrolle: u. a. antimikrobielle Lösungen und Wundauflagen
-
S: Support = Unterstützung des Heilungsprozesses: u. a. Wachstumsfaktoren und Enzymblocker
-
T: Tissue management =Gewebemanagement: u. a. physikalische Wundtherapie und Biochirurgie
Die Bildung von Wundexsudat gewährleistet ein feuchtes Wundmilieu, die Regeneration
und Migration der Zellen der Wundheilung sowie die Bereitstellung von Nährstoffen.
Ist eine Wunde zu trocken, so ist eine Rehydration mittels Hydrogel, welches der Wunde
direkt Feuchtigkeit zuführt, oder durch Applikation semipermeabler Folien, die die
Feuchtigkeit aus tieferem Wundgewebe mobilisieren und sie im Wundmilieu halten, angezeigt
[22]. Im Kontrast dazu ist die Exsudatproduktion bei kritisch-kolonisierten und infizierten
Wunden durch Zunahme der kapillären Durchlässigkeit meist übermäßig. Dies führt zu
Nässe im Wundgebiet, mit der Folge von Hautmazerationen der Wundumgebung, ggf. auch
zu einer toxisch-irritativen Dermatitis, mit der Gefahr der Wundvergrößerung. Die
zunehmenden Schmerzen, ein oft unangenehmer Geruch und der notwendige, meist tägliche
Verbandwechsel werden von Patienten und Patientinnen häufig als Belastung empfunden
[23]. Die Komplexität der Therapie dieser Wunden erfordert ein standiengerechtes Wundmanagement.
Dazu wird ein abgestuftes Prozedere in Abhängigkeit von einer sehr starken bis starken
oder mittelgradigen Exsudation empfohlen [21] ([Abb. 4]). Bei gering- bis mäßig-gradiger Exsudation sollten polyester- und viskosehaltige
Wundauflagen sowie Alginate Anwendung finden, bei stark exsudierenden Wunden hingegen
in erster Linie PU-Schaumstoffe, Gelbildner und stark absorptionsfähige Polymere,
sog. Superabsorber.
Abb. 4 Wahl der Wundauflagen in Abhängigkeit vom Wundstatus und der Exsudatmenge chronischer
Wunden [21].
Da eine sehr starke Wundexsudation häufig mit einer bakteriellen Kontamination oder
sogar lokalen Infektion einhergeht, sollte der o. g. Primärverband einen antimikrobiellen
Wirkstoff enthalten. Zur Frage, wann welcher Wirkstoff am besten eingesetzt werden
sollte, gibt es keine ausreichende Evidenz, sondern ausschließlich Expertenempfehlung
[2]
[8]. In der AWMFLeitlinie werden PHMB-, Silber- oder Octenidinhydrochloridhaltige Wundauflagen/Gele
sowie Cadexomer-Iod, PVP-Iod-Salbe, PVP-Iod-Gel oder PVP-Iod-Gaze als gleichermaßen
wirksam bewertet. Für Wundauflagen mit Silberanteil sollte die Therapiedauer 14 Tage
nicht überschreiten bzw. dann spätestens erneut kritisch überprüft werden [24]. Sollte ein Sekundärverband aufgrund der hohen Exsudatmenge notwendig sein, so empfehlen
sich dafür sog. Superabsorber [22]
[24].
Antibiotikatherapie
Im Zusammenhang mit einer (drohenden) Infektion chronischer Wunden wird die Verordnung
einer begleitenden systemischen Antibiotikatherapie im Rahmen des „Antibiotic Stewartship“
kritisch diskutiert [25], da diese zu rezidivierenden Infektionen neigen. Bei häufiger Antibiotika-Einnahme
ist eine Resistenzentwicklung wahrscheinlich, d. h. die bakterielle Wundkolonisation
verschiebt sich zugunsten resistenter Bakterien. Auch die S2k-Leitlinie „Kalkulierte
parenterale Initialtherapie bakterieller Erkrankungen bei Erwachsenen – Update 2018“
[26] sieht die Indikation zur systemischen sequentiellen Antibiotikagabe – allerdings
bei schlechter Studienlage und bei bisher fehlender Evidenz – nur bei systemischen
Zeichen einer Infektion, stark eingeschränkter Durchblutung (z. B. pAVK), einem Übergang
in eine tiefer reichende, schwere Phlegmone und bei Wunden an den Beugesehnen bzw.
im Gesicht. Die Indikation zur systemischen Antibiotikaverordnung bleibt somit eine
patientenzentrierte Entscheidung der behandelnden Ärzte und Ärztinnen. Eine lokale
Applikation von Antibiotika ist heute auch wegen der möglichen Kontaktsensibilisierung
obsolet.
Anders als für einige Antibiotika besteht – wie vereinzelt postuliert – bisher keine
bakterielle, klinisch-relevante Antiseptika-Resistenz. Letztere haben verschiedene
„Angriffspunkte“, z. B. an der bakteriellen Zellwand, der Zellmembran oder auch im
Inneren der Bakterienzelle, wie sie deren Replikation verhindern oder sie töten [27]. Dementsprechend ist für Bakterien eine Resistenzentwicklung gegen Antiseptika deutlich
schwieriger als gegen Antibiotika.
Neue lokale Therapieoptionen
Neue lokale Therapieoptionen
Einen völlig anderen Ansatz in der Therapie chronischer Wunden haben Wundauflagen,
die in die (patho-)physiologischen Abläufe der Wundheilungskaskade aktiv eingreifen.
Therapeutische Ansatzpunkte sind hier bspw. Wachstumsfaktoren, Makrophagen, Hypoxie,
pH-Wert oder auch Matrix-Metalloproteinasen (MMP). Für diese sehr wichtigen und interessanten
Aspekte liegen derzeit keine ausreichenden wissenschaftlichen Daten vor. Eine Ausnahme
sind dabei die MMP-hemmenden Produkte. MMPs sind ein zentral wichtiger Aspekt für
die Entwicklung der Chronizität von Wunden unterschiedlicher Genese. In insgesamt
16 relevanten klinischen Studien zum Einsatz MMP-inhibierender Wundauflagen in der
Behandlung von DFU, Ulcus cruris venosum (UCV) und Dekubitalulzera zeigte sich eine
gute Evidenz für eine Verbesserung der Heilung [1]. Hervorzuheben ist hier insbesondere eine RCT zum Nano-Oligo-Saccharid-Faktor (NOSF)
bei 240 Patienten und Patientinnen mit neuro-ischämischen DFU [27].
Bei einem weiteren multizentrischen RCT konnte eine signifikant bessere Wundheilung
bei 269 Patienten und Patientinnen mit therapierefraktären DFU durch das LeucoPatch-System
gezeigt werden [28]. Hier wurde venöses Eigenblut für die Herstellung einer autologen plättchenreichen
Fibrin- und Leukozyten-Wundabdeckung genutzt.
Unterdruck-Wundtherapie (NPWT)
Unterdruck-Wundtherapie (NPWT)
Die Unterdruck-Wundtherapie wird synonym auch oft als Vakuumtherapie oder negative
pressure wound therapy (NPWT) bezeichnet und seit mehr als 20 Jahren für verschiedene
Aspekte der Wundbehandlung erfolgreich eingesetzt. Sie wird primär zur Förderung der
Durchblutung und der Wundbettgranulation sowie zur Verringerung des Wundvolumens eingesetzt.
Über einen offenporigen Schwamm in der Wunde, welcher mit einer transparenten, semipermeablen
Folie bedeckt ist, wird ein Unterdruck im Wundbett erzeugt, der überschüssiges Wundexsudat
entfernt, was sich u. a. positiv auf die bakterielle Wundkolonisation auswirkt und
gleichzeitig die interstitielle Flüssigkeit reduziert. Dies führt zur Steigerung der
Mikrozirkulation und zur Ödemreduktion [29]. Typische Indikationen sind die Wundkonditionierungen vor Spalthauttransplantationen
und tiefe Wunden, bspw. Dekubitalulzera. Die NPWT wird auch bei Verbrennungen II.
Grades, nach Spalthauttransplantation und in Einzelfällen auch zur Wundspülung (VAC
Instill) eingesetzt. Zur Thematik NPWT gibt es zahlreiche klinische Studien und auch
einige RCTs, die insbesondere den Nutzen für die Wundheilung bei DFU oder auch die
verkürzte Verweildauer im Krankenhaus mit guter Evidenz belegen [30]. Mittlerweile wurde daher durch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit
(IQWIG) bestätigt, dass NPWT sowohl bei primärer als auch bei sekundärer Wundheilung
einen Evidenz-gesicherten Vorteil gegenüber der Standardbehandlung bietet (www.iqwig.de), sodass diese jetzt grundsätzlich auch ambulant zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung
(GKV) angewendet werden kann [31].
Kompressionstherapie
Die Kompressionstherapie ist ein wesentlicher Bestandteil der konservativen Therapie
für viele Patienten und Patientinnen mit chronischen Wunden der unteren Extremitäten
und Ödemen ([Abb. 2]). Sie dient der Verbesserung venöser Symptome, reduziert Ödeme, führt zur Schmerzreduktion,
beeinflusst begleitende Hauveränderungen positiv und steigert so die Lebensqualität
der Betroffenen [32]. Verschiedene Materialien in unterschiedlichen Stärken kommen bei der Kompressionstherapie
zur Anwendung. Bei Medizinischen Kompressionsstrümpfen (MKS) werden in Deutschland
die Kompressionsklassen (KKL) I-IV unterschieden. Studien haben gezeigt, dass eine
moderate Kompression (KKL I & II: 18–32 mmHg) zu einer besseren Adhärenz führt als
eine starke Kompression (KKL III: 34–46 mmHg). Jedoch hängt die Wahl der KKL von der
jeweiligen medizinischen Indikation ab: MKS der KKL I werden meist bei Ulcus cruris
mixtum und bei Wunden bedingt durch pAVK (Grad I-II) oder bei kompensierter Herzinsuffizienz
verordnet, während KKL II bei UCV, Lymph- und Lipödemen sowie als Rezidivprophylaxe
nach geheiltem UCV eingesetzt werden [33]. Für Letztere existiert eine sehr gute Evidenz [1]. So zeigte sich, dass Patienten und Patientinnen, die die Kompressionstherapie abbrachen,
eine signifikant höhere Rezidivrate der Wunden hatten [32]. In der täglichen Praxis erhalten jedoch viele Patienten und Patientinnen diese
sehr wichtige Therapie nicht, obwohl sie erheblich davon profitieren würden [33]. Gründe dafür sind z. B. hygienische Aspekte bei stark exsudierenden Wunden, aber
insbesondere die Unsicherheit, ob die Durchblutungssituation des Beines oder auch
die kardiale Situation eine Kompressionstherapie überhaupt zulässt. Die wenigen Kontraindikationen
zur Kompressionstherapie sind die fortgeschrittene pAVK (kritische Ischämie mit einem
Ankle-Brachial-Index (ABI) < 0,5 und Knöchelarteriendruck < 60 mmHg bzw. Zehendruck
< 30 mmHg) [34], die dekompensierte Herzinsuffizienz (NYHA III & IV), die septische Phlebitis und
die Phlegmasia coerulea dolens.Andernfalls kann meist eine Kompressionstherapie mit
adäquaten Ruhedruckwerten durchgeführt werden [33].
Immer wieder werden in Bezug auf die Kompressionstherapie auf die sog. „relativen
Kontraindikationen“, wie Diabetes mellitus, nässende Hautveränderungen, Polyneuropathie
oder auch leichte/mittelschwere pAVK hingewiesen. Für diese vermeintlichen Kontraindikationen
gibt es jedoch keine hinreichende Evidenz und zudem heute oft spezielle Materialien
[33]
[35].
Physikalische Wundtherapie
Physikalische Wundtherapie
Zur physikalischen Wundtherapie stehen Verfahren wie z. B. atmosphärisches Kaltplasma,
Magnetfelder, inkl. der BEMER-Therapie, Photobiomodulationstherapie, Strom- oder Laser-Therapie
zur Verfügung. Auch für diese Anwendungen gibt es wenig Evidenz. Für die Praxis kommt
erschwerend hinzu, dass die Therapiekosten i. d. R. nicht von den gesetzlichen Krankenkassen
übernommen werden.
Von den o. g. Therapien ist der Einsatz von Kaltplasma bei chronischen Wunden am weitesten
verbreitet. Neben einigen klinischen Studien und Fallberichten belegen neuere randomisierte,
klinische Studie seine Effektivität [36], [37], [38], wobei Kaltplasma stets in Kombination mit einer stadiengerechten Wundtherapie angewendet
werden sollte. Im Kontrast zur Kaltplasma-Anwendung ist die Magnetfeldtherapie weniger
verbreitet. Die wenigen Studien dazu adressieren meist die Wundheilung in der Plastischen
Chirurgie [39]. Der Erfolg oder Misserfolg der Magnetfeld-Therapie ist stark von den eingesetzten
physikalischen Parametern wie Frequenz, Amplitude, Dauer, etc. abhängig; die sog.
BEMER-Therapie scheint hier über eine Stimulation der Mikrozirkulation die größten
Effekte zu haben [39]. Auch bei den Lasertherapien gibt es große Unterschiede hinsichtlich der eingesetzten
Methoden, deren Wirkung und ihres dementsprechenden Einsatzes [40]
[41]. Nah-infrarotes und rotes Licht (1000–750 nm) dringt tief ins Gewebe ein. Ihm wird
eine Stimulation der Heilung von Haut, Schleimhaut und Sehnengewebe zugeordnet, während
blaues (500–420 nm) und violettes Licht (420–380 nm) Bakterien tötet und somit eher
zur Infektionstherapie Anwendung findet. In der Wundheilung wird vorwiegend die Photobiomodulationstherapie
oder auch Low-Level-Lasertherapie (610–660 nm) eingesetzt. Die wenigen Studien beschreiben
gute Effekte, sowohl für die Stimulation der Hautzellen als auch i. S. einer Biofilm-Reduktion
[41]
[42]. Die Studien zur Verwendung von Blaulicht bzw. UV-Licht in der Wundheilung setzen
sich eher mit der Frage der Effektivität bei Acne inversa und Acne vulgaris [43]
[44] auseinander.
Fazit
Chronische Wunden sind keine eigenständige Diagnose, sondern ein Symptom verschiedener
Grunderkrankungen, wie bspw. pAVK, CVI, Diabetes oder (auto-)immunologischer Genese,
was sie zu einer erheblichen diagnostischen und therapeutischen interprofessionellen
Herausforderung macht. Die Evidenzlage zum Thema „lokale Wundtherapie“ ist deutlich
schlechter als bei den meisten anderen, besser definierten Erkrankungen. Eine Ausnahme
mit sehr guter Evidenzlage stellt lediglich die Kompressionstherapie des UCV dar.
Ansonsten kommt die zurzeit in Novellierung befindliche, entsprechende S3-Leitlinie
nur selten über einen Evidenzlevel IV (Expertenkonsens) hinaus. Ein Grund dafür sind
sicher die Vorgaben durch das MPG, was – anders als das AMG – keine randomisiert-kontrollierten,
klinischen Studien für die Zulassung von (Wund-)Produkten mit Nachweis einer Gleichwertigkeit
oder Überlegenheit fordert. So stehen heute den behandelnden Ärzten und Ärztinnen
meist nur nationale und internationale Konsensus-Empfehlungen und Positionspapiere
zur Verfügung, welche allerdings die vorhandenen Expertisen und Erkenntnisse oft sehr
gut in konkrete Handlungsempfehlungen münden lassen.
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