Krieg in der Ukraine: die Zahl der Geflüchteten steigt
Der Arbeitskreis Migration der BDK sieht schnellen Handlungsbedarf, Strukturen der
interkulturellen Öffnung in den psychiatrischen Kliniken zu verankern. Der Krieg in
der Ukraine hat es deutlich gemacht: Das psychiatrische Versorgungssystem wird immer
wieder mit unerwarteten Herausforderungen konfrontiert. Waren es 2015 und 2016 vorwiegend
junge Männer, die ohne Familienanhang nach Deutschland kamen, so sind es jetzt vor
allem junge Frauen – mit oder ohne Kinder – und ältere Menschen, die Schutz in Deutschland
suchen. Die Zahl der Traumatisierten ist hoch, die Ungewissheit, wie es zurückgebliebenen
Familienangehörigen im Kriegsgebiet ergeht, steigert die Vulnerabilität. Gerade auf
die knappen Kapazitäten kinder- und jugendpsychiatrischer Kliniken kommen ungeahnte
Herausforderungen zu. Das betrifft aber auch die Kliniken der Erwachsenenpsychiatrie.
Migrationsbeauftragte können helfen
Im Gegensatz zu 2015 werden viele Menschen privat untergebracht. Das ist einerseits
gut und hilfreich für die Integration, da neben der Wohnung meist auch Hilfe und Unterstützung
bei der Klärung behördlicher und persönlicher Angelegenheiten sowie bei Schulbesuch
und Arbeitssuche verbunden ist. Die hochgradig belasteten amtlichen Hilfsstrukturen
werden so entlastet. Andererseits wird bei privater Unterbringung der Zugang zu psychiatrischer
Hilfe erschwert, denn die Wege zur Inanspruchnahme sind oft intransparent und für
Privatpersonen nur schwer zu durchschauen. Deswegen ist es Aufgabe der Kliniken, ihre
Hilfsangebote offen und aktiv zu kommunizieren und mit den zuständigen Stellen in
den Gemeinden, meist den Sozialdiensten eng zu kooperieren. Für diese Aufgabe eignen
sich Migrations-/Integrationsbeauftragte in besonderem Maße und erleichtern für alle
Beteiligte den Zugang zu benötigten Therapien, sei es ambulant oder stationär.
Es geht nicht ohne professionelle Dolmetscherdienste
Nur wenige Kliniken haben Strukturen aufgebaut, um plötzlich auftretenden Anforderungen
– aktuell nach Sprachmittlung in Ukrainisch – gerecht werden zu können. Russisch ist
oftmals bei Traumatisierungen nicht die passende sprachliche Alternative, obwohl diesbezüglich
in vielen Kliniken – allerdings für Sprachmittlung ungeschulte – Mitarbeiter zur Verfügung
stünden. Auf einen funktionierenden Dolmetscherdienst zurückgreifen zu können, ist
bei solchen Herausforderungen eine unschätzbare Hilfe. Die Vitos-Kliniken in Hessen
haben die Sprachmittlung beispielsweise nach einem Drei-Säulen-Modell ausgerichtet:
Geschulte hausinterne Dolmetschende stehen neben Gemeindedolmetscherdiensten oder
vertraglich gebundenen Dolmetscherbüros zur Verfügung, Videodolmetschen ist die dritte
– leicht erreichbare Alternative. Aber auch LWL und LVR in NRW, die Charité in Berlin
oder Kliniken in und um Hannover sowie Hamburg haben eigene Organisationsformen für
die Sprachmittlung entwickelt. Auch wenn diese Aufzählung nicht vollständig sein mag,
gibt es bei der Mehrzahl der Kliniken Handlungsbedarf.
Für den 10. und 11. November 2022 ist in Berlin eine Tagung geplant, die sich explizit
dem Thema der Sprachmittlung widmet und einen Passus des Koalitionsvertrages aufgreift,
der eine Finanzierung der Sprachmittlung im Gesundheitswesen umsetzen will. Bislang
ist Sprachmittlung in Krankenhäusern und Arztpraxen nicht finanziert und die Kosten
müssen aus Eigenmitteln getragen werden. Ein unhaltbarer Zustand, der die Misere der
Sprachmittlung im Gesundheitswesen mitverschuldet hat. Die BDK ist Mitveranstalter
dieser Tagung und somit an der Initiative beteiligt, Sprachmittlung endlich zu finanzieren
und in der Regelversorgung verfügbar zu machen. Die Organisation von Sprachmittlung
wird erleichtert, wenn mit Migrations-/Integrationsbeauftragten kompetente Ansprechpartner
zur Verfügung stehen. Es bedarf aber auch der Schulung der Mitarbeiter, wie die Regeln
bei der Sprachmittlung einzusetzen sind, um wirklich zu einem professionellen Ergebnis
zu Kommen.
Fort- und Weiterbildung in interkultureller Kompetenz
Das Personal trägt die Verantwortung für die Behandlungsabläufe und ist auf regelmäßige
Fort- und Weiterbildung angewiesen. Sei es hausinterne Fortbildung oder Angebote bei
Akademien der Träger – hier besteht Handlungsbedarf, ebenso wie bei Supervision durch
Gruppenleiter mit transkultureller Erfahrung.
Ausblick:
Der Arbeitskreis Migration arbeitet in seinen regelmäßigen Treffen und dem Austausch
mit dem Vorstand an Empfehlungen zur Umsetzung verschiedener Maßnahmen. Dies wird
Prof. Dr. Hans-Jörg Assion ab 2023 als neu gewählter Sprecher des AK gemeinsam mit
den Mitgliedern auch in Zukunft vertreten.
Eckhardt Koch, Marburg und Hans-Jörg Assion, Dortmund