Schlüsselwörter COVID-19 - SARS-Cov-2 - bipolare Störung - Lebensstil
Key words COVID-19 - SARS-Cov-2 - bipolar disorder - lifestyle
Einleitung
COVID-19 (Coronavirus disease 2019) ist eine infektiöse Erkrankung, welche
durch das „severe acute respiratory syndrome coronavirus type 2“
(SARS-CoV-2) ausgelöst wird, und über den Respirationstrakt eine
akute Lungenentzündung mit Fieber und trockenem Husten sowie Kurzatmigkeit
und weitere Symptome verursachen kann. Der Verlauf der Erkrankung variiert von
asymptomatisch über mild bis hin zu einer lebensbedrohlichen Sepsis [1 ].
Am 6. April 2020 gab es bereits über 1,3 Millionen positive
COVID-19-Fälle und über 70.000 Todesfälle weltweit. In
Österreich waren zu diesem Zeitpunkt mehr als 12.000 Fälle bekannt
und 220 Menschen waren bereits an COVID-19 gestorben [2 ]. Mit Ausbruch der COVID-19-Pandemie wurden
auch in Österreich Schutzmaßnahmen verordnet, welche von 16.
März bis Anfang Mai 2020 andauerten. Hierzu zählten u. a.
die Schließung von Gastronomie, Handel, Schulen, Universitäten,
Bundesgärten, Kuranstalten und Sporteinrichtungen. Es wurden Empfehlungen
für Homeoffice erteilt und das Eigenheim durfte etwa nur für
notwendige Besorgungen zur Deckung von Grundbedürfnissen verlassen werden
[3 ].
Viele Menschen litten unter den psychologischen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie
im
Zusammenhang mit den Maßnahmen und Quarantänebestimmungen [4 ]. Erste Studien zeigten vermehrte depressive
Symptomatik und Ängste sowie erhöhte Stresslevel bei Befragten [5 ]
[6 ].
Auch Brooks et al. (2020) berichteten von den negativen Auswirkungen der
Quarantäne wie posttraumatische Stresssymptome, Infektions-Ängste,
Langeweile, Frustration, Verlust der Tagesstruktur, Verringerung der Sozialkontakte
sowie finanzielle Sorgen [7 ]. Es wurde
vermutet, dass bestimmte Personengruppen (z. B. Ältere oder Menschen
mit psychiatrischen Erkrankungen) empfänglicher für negative
psychische Konsequenzen der Pandemie sind [8 ].
Besonders bei Personen mit bipolarer Störung scheint die Pandemie
Auswirkungen auf die psychische Gesundheit zu haben [9 ]. Dies ist nicht verwunderlich, da die bipolare Störung zu den
affektiven Erkrankungen gehört, die durch ein rezidivierendes Auftreten von
(hypo-)manischen sowie depressiven Phasen gekennzeichnet ist [10 ]. Es ist auch bekannt, dass Menschen mit
bipolar affektiven Störungen verglichen mit psychisch gesunden Personen
für belastende Lebensereignisse vulnerabler sind. Heutzutage geht man in der
Krankheitsgenese vom „Vulnerabilitäts-Stress-Modell“ aus
[10 ]. Die psychische Belastung durch die
Pandemie und deren notwendigen Hygienemaßnahmen (z. B. social
distancing) sowie die akute Ansteckungsgefahr und Angst können bei
vulnerablen Bevölkerungsgruppen eine emotionale Phase begünstigen.
Nicht nur der pandemiebedingte Stress, sondern auch der eingeschränkte,
erschwerte Zugang zu psychiatrischen Diensten könnte das
Rückfallrisiko erhöhen [11 ],
was den Therapiefortschritt gefährden könnte [12 ].
Viele Metaanalysen bestätigten, dass körperliche Bewegung als
protektiver Faktor im Verlauf einer psychischen Erkrankung zu sehen ist [13 ]. Vancampfort et al. (2015) beobachteten in
diesem Zusammenhang, dass Patient*innen mit bipolarer Erkrankung im
Vergleich zu einer gesunden Kontrollgruppe im Allgemeinen signifikant weniger
Minuten pro Woche körperlich aktiv waren, signifikant kürzere
Strecken beim Spazierengehen zurücklegten und eine beeinträchtigte
funktionelle Trainingskapazität aufwiesen [14 ]. Ammar et al. (2020) berichteten, dass Schutzmaßnahmen
(z. B. Lockdown) zu einer weiteren Verringerung der körperlichen
Aktivität und zu einer Erhöhung des sitzenden Verhaltens
führten [15 ].
Ein weiterer wichtiger Lebensstilfaktor ist das Rauchverhalten. Menschen mit
bipolarer Erkrankung weisen im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung eine
3.5fach höhere Wahrscheinlichkeit auf, mit dem Rauchen zu beginnen. Es ist
darüber hinaus bekannt, dass 45% der bipolaren Menschen
Raucher*innen sind [16 ]. Die
Maßnahmen rund um den Lockdown könnten das Risiko für
Substanz- und Alkoholkonsum in dieser gefährdeten Gruppe nochmals
erhöhen [17 ].
Menschen mit bipolarer Erkrankung neigen, vor allem in Phasen der atypischen
Depression, zu einem ungesunden Ernährungsverhalten, welches kohlenhydrat-,
fett- und zuckerreiche Lebensmittel einschließt. Lackner et al. (2015) [18 ] zeigten, dass Patient*innen mit
einer bipolaren Störung im Vergleich zu gesunden Personen eine Tendenz zu
erhöhtem Food Craving haben. Food Craving (FC) [19 ] ist definiert als das Verlangen nach
bestimmten Lebensmitteln, wie zum Beispiel fettige Lebensmittel, Fast-Food,
kohlenhydrathaltige Lebensmittel sowie Süßigkeiten, und steht mit
erhöhter Nahrungsaufnahme und Übergewicht im Zusammenhang [20 ]. Menschen mit bipolarer Erkrankung weisen
überdurchschnittlich häufig Übergewicht auf [21 ], welches auch mit einem negativen
Krankheitsverlauf assoziiert ist [22 ].
Darüber hinaus müssen bestehende Komorbiditäten
berücksichtigt werden, da Personen, die aufgrund einer COVID-19-Infektion
eine Intensivbehandlung benötigen, Vorerkrankungen wie arterielle
Hypertonie, Diabetes mellitus, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und
zerebrovaskuläre Erkrankungen hatten [23 ]. Dies ist hochrelevant, da diese Erkrankungen bei bipolaren
Störungen überproportional häufig als Komorbiditäten
auftreten [24 ]
[25 ]
[26 ].
Da kardiovaskuläre Komorbiditäten gravierende gesundheitliche
Konsequenzen darstellen können, wurde in der vorliegenden Studie der
Lebensstil von Menschen mit bipolarer Störung während des ersten
österreichischen Lockdowns im April 2020 anhand einer
Patient*innen-Umfrage untersucht. Das Ziel dieser Studie war es, zu
untersuchen, ob sich Lebensstilvariablen im Vergleich zu einer gesunden
Kontrollgruppe durch den Lockdown subjektiv verändert haben und ob diese mit
psychischen Symptomen im Zusammenhang stehen.
Es wurde die Hypothese aufgestellt, dass sich während des Lockdowns 1) die
emotionale Belastung durch soziale Distanzierung, COVID-19-Ängste und
Depressivität bei Menschen mit bipolarer Störung von gesunden
Kontrollproband*innen unterscheidet. Darüber hinaus wurde bei
bipolaren Patient*innen verglichen mit Kontrollpersonen angenommen, dass 2)
eine Abnahme der subjektiv berichteten körperlichen Aktivität, 3)
eine Zunahme des subjektiven Alkohol- und Nikotinkonsums, 4) eine Abnahme der
allgemeinen Leistungsfähigkeit (im Beruf, Haushalt usw.) und 5) eine
Änderung der Ernährungsgewohnheiten und im Food Craving
vorliegen.
Methode
Ablauf
Im Zeitraum vom 9. bis 28. April 2020 wurde die Online-Befragung
„Psychische Belastung und Auswirkungen der Corona-Virus-Pandemie bei
bipolarer Störung“ in Österreich durchgeführt.
Die Umfrage wurde via LimeSurvey (www.limesurvey.org) an Patient*innen
mit einer diagnostizierten bipolaren affektiven Störung und an
frühere Kontrollpersonen der BIPLONG-Studie per E-Mail ausgeschickt. Die
BIPLONG-Studie ist eine longitudinale Studie, welche an der
Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapeutische
Medizin in Graz über die Spezialambulanz für bipolare
Störungen seit 2012 durchgeführt wird und klinische Parameter
(u. a. Labordiagnostik, psychologische Fragebögen, kognitive
Testungen, Lebensstilvariablen und anthropometrische Daten) bei
Patient*innen mit bipolarer Störung alle sechs Monate im
Langzeitverlauf analysiert. Die zusätzlich durchgeführte
Online-Studie wurde von der Ethikkommission der Medizinischen
Universität Graz gemäß der aktuellen Deklaration von
Helsinki genehmigt (EK-Nummer: 25-335 ex 12/13).
Stichprobe
Patient*innen mit der Diagnose einer bipolaren Störung nach
DSM-IV, die bereits in die BIPLONG-Studie eingeschlossen worden waren, wurden
per E-Mail angeschrieben. Alle Proband*innen gaben ihr schriftliches
Einverständnis zur Teilnahme an der Studie (Informed Consent) und
mussten für die Teilnahme ein Mindestalter von 18 Jahren aufweisen. Als
weiteres Einschlusskriterium für Kontrollpersonen galt das Fehlen einer
psychischen Erkrankung in der Gegenwart oder Vergangenheit sowohl bei ihnen
selbst als auch bei Verwandten ersten Grades, dies wurde im Rahmen der
BIPLONG-Studie sowie in der Online-Umfrage überprüft. In die
vorliegenden Analysen wurden nur Daten von Proband*innen aufgenommen,
die die Fragebögen weitgehend vollständig beantwortet hatten,
somit umfasste die endgültige Stichprobe 35 Patient*innen und 40
Kontrollpersonen. Keine*r der Proband*innen war zum Zeitpunkt
der Untersuchung jemals wissentlich an einer COVID-Infektion erkrankt
gewesen.
Inventare
Die Fragebogenbatterie umfasste einige psychologische Inventare. Zur Bewertung
der Schwere einer depressiven Symptomatik wurde das Beck Depression Inventory-2
(BDI-II) [27 ] verwendet. Der Fragebogen
umfasst insgesamt 21 Items, die nach aufsteigendem Schweregrad gegliedert sind.
Der Summenwert ergibt den Grad der Schwere einer klinischen Depression; ein Wert
ab 18 gilt als klinisch auffällig [27 ]. Der BDI-II in deutscher Version besitzt eine interne Konsistenz
mit einem Cronbachs α=0,89 und einer Zuverlässigkeit von
r≥0,75. Die Altman Self Rating Mania Scale (ASRM) [28 ] ist eine Beurteilungsskala, die
Stimmung, Selbstvertrauen, Schlafstörungen, Sprache und
Aktivitätsniveau innerhalb einer Woche erfasst. Jede Frage kann mit 0
bis 4 Punkte bewertet werden, bei über 5 Punkte spricht man von einer
Manie. Das Food Craving Inventury (FCI) [19 ] misst die Häufigkeit des intensiven Verlangens nach
bestimmten Nahrungsmitteln anhand von vier Subskalen (Fett Craving, Fast-Food
Craving, Kohlenhydrat Craving und Süßigkeiten Craving). Der
Fragebogen umfasste 28 Items. Für diesen Fragebogen liegen
Prä-Pandemie-Daten der Patient*innen und Kontrollpersonen der
BIPLONG-Studie vor. Des Weiteren wurden soziodemografische Variablen
(u. a. Geschlecht, Alter, Ausbildung), Größe und Gewicht
erhoben. Für die Erbhebung zu COVID-19-Ängsten und zum
emotionalen Stresserleben durch soziale Distanzierung (social distancing) wurden
eigens Fragebögen von der Klinik für Psychiatrie und
Psychotherapeutische Medizin der Medizinischen Universität Graz
entwickelt. Die emotionale Belastung durch soziale Distanzierung wurde folgend
abgefragt: „Durch die räumliche Distanzierung fühle ich
mich
einsam/gelangweilt/frustriert/ängstlich/hoffnungslos“.
Die emotionale Belastung umfasste eine 5-stufige Bewertungsskala, gemessen von 0
(überhaupt nicht) bis 4 (sehr stark). Die Summe der Fragen wurde durch 5
dividiert und ein Index gebildet. Die COVID-19-Ängste im Rahmen der
Pandemie wurden anhand der drei Fragen erfasst: 1) „Wie stark
schätzen Sie Ihre Sorgen und Ängste rund um das Coronavirus
ein?“, 2) „Wie groß ist Ihre Angst, sich mit dem
Coronavirus anzustecken?“ und 3) „Wie groß ist Ihre
Angst, andere mit dem Coronavirus anzustecken?“ und ein Mittelwert
daraus gebildet. Die Teilnehmer*innen bewerteten ihre Angst auf einer
Skala von 0 (keine Angst) bis hin zu 10 (große Angst). Außerdem
wurden Fragen zum Lebensstil bezugnehmend auf Empfehlungen der
Weltgesundheitsorganisation (WHO) gestellt.
Menschen mit bipolarer Erkrankung und Kontrollpersonen wurden befragt, ob sie
regelmäßig zu Fuß oder mit dem Rad unterwegs seien.
Außerdem wurden die genauen Minutenangaben zur sportlichen
Betätigung pro Woche und die Gartenzeit erhoben (zu Fuß gehen,
Rad fahren, Kraftsport, Sport mit mittlerer bis höherer
Intensität). Auch die Häufigkeit der
Freizeitbeschäftigungen (Hobbys, Entspannungsmethoden) wurde untersucht.
Alle Teilnehmer*innen wurden befragt, ob sie rauchen und wie viele
Zigaretten sie konsumieren würden. Darüber hinaus wurde erfragt,
ob es diesbezüglich subjektiv zu Veränderungen während
des Lockdowns im Vergleich zu Prä-Pandemie-Zeiten gekommen sei. Ebenso
wurden qualitative Fragen hinsichtlich negativer und psychischer Auswirkungen
mittels Kommentarfunktion gestellt – siehe [Tab. 1 ].
Tab. 1 Fragebogen zur Erhebung der subjektiven
Veränderung der Lebensstilvariablen.
„Hat sich Ihr Gewicht in der Zeit der
Ausgangsbeschränkungen/Quarantäne
verändert?“
Nein, keine gröbere
Gewichtsveränderung
Ja, ich habe mehr als 5 Kilogramm abgenommen
Ja, ich habe mehr als 5 Kilogramm zugenommen
„Wie schätzen Sie Ihre derzeitige
Leistungsfähigkeit (im Beruf, im Haushalt,
etc.), im Vergleich zu vor dem COVID-Ausbruch,
ein?“
Ich bin gleich leistungsfähig, wie vor dem
COVID-Ausbruch
Ich bin jetzt weniger leistungsfähig
Ich bin jetzt leistungsfähiger
„Waren Sie in den letzten Wochen (vor der
COVID-19-Pandemie) im Hinblick auf die zuvor genannten
Aktivitäten anders körperlich aktiv als
derzeit?“
Nein, ich bin jetzt gleich aktiv wie vor der
COVID-19-Pandemie
Ja, weniger aktiv
Ja, mehr aktiv
„Haben Sie derzeit eine fixe Tagesstruktur? D.h.,
gibt es fixe Zeiten zum Arbeiten, Essen, Schlafen etc.
oder sonstige fixe Tätigkeiten im
Alltag?“
Nein, Teilweise, Ja
„Haben sich Ihre Ernährungsgewohnheiten in
der letzten Woche gegenüber der Zeit vor dem
COVID-Ausbruch verändert?“
Nein, ich esse gleich wie vor dem COVID-Ausbruch
Ja, ich esse jetzt weniger gesund
Ja, ich esse jetzt gesünder
„Hat sich Ihr Alkoholkonsum gegenüber der
Zeit vor dem COVID-Ausbruch
verändert?“
Nein, ich trinke jetzt gleich viel wie vor dem
COVID-Ausbruch
Ja, ich trinke jetzt weniger Alkohol
Ja, ich trinke jetzt mehr Alkohol
„Hat sich Ihr Rauchverhalten gegenüber der
Zeit vor dem COVID-Ausbruch
verändert?“
Nein, ich rauche jetzt gleich viel wie vor dem
COVID-Ausbruch
Ja, ich rauche jetzt weniger
Ja, ich rauche jetzt mehr
„Haben Sie das Gefühl, dass sich die
Auswirkungen der Corona-Virus-Pandemie (inkl.
Ausgangsbeschränkungen und soziale
Distanzierung) auf Ihre psychische Situation
auswirken?“
Ja, Nein
„Wirkt sich die COVID-Pandemie negativ auf Ihre
psychische Situation aus?“
Ja, Nein und warum mittels Kommentarfunktion
„Wirkt sich die COVID-Pandemie positiv auf Ihre
psychische Situation aus?“
Ja, Nein und warum mittels Kommentarfunktion
Die Variablen für die Korrelationen wurden sorgfältig
ausgewählt, um einen Zusammenhang zwischen Lebensstilvariablen und dem
FC mit den psychischen Auswirkungen darzustellen. Die Sportvariablen wurden
ausgewählt, da es einen Hinweis darauf gibt, dass Kraftsport die
depressive Symptomatik reduziert [29 ].
Nikotinkonsum wird in der Literatur als mögliche Coping-Strategie gegen
negative psychische Auswirkungen genannt [30 ]. Menschen mit bipolarer Erkrankung zeigten auch
präpandemisch ein erhöhtes Verlangen nach bestimmten
Lebensmitteln, weshalb das Food Craving miteingebunden wurde [18 ]. Außerdem wurde auch die
Freizeitvariable „Gartenzeit“ eingebunden; auf die Variable
„Rad in Minuten“ wurde aufgrund von zu wenigen
Teilnehmer*innen verzichtet.
Statistische Analysen
Die Berechnung der Gruppenunterschiede zwischen Kontrollpersonen und Personen mit
bipolarer Erkrankung erfolgte mit Chi-Quadrat-Tests für nominale
Datensätze, T-tests für metrische Daten und Mann-Whitney-U-Tests
für metrische Daten ohne Normalverteilung. Zwei statistische
Ausreißer in Bezug auf die sportlichen Aktivitäten in Minuten
wurden eliminiert. Bei der statistischen Berechnung der Variable „Mit
Rad in Minuten“ wurden 61 Teilnehmer*innen ausgeschlossen,
welche „0 Minuten“ angaben.
Die Unterschiede im Food Craving vor und während der Pandemie wurden mit
einer zweifaktoriellen multivariaten Kovarianzanalyse mit Messwiederholung
(MANCOVA mit Messwiederholung) berechnet. Der erste Wert wurde im Rahmen der
BIPLONG-Studie, welche den Langzeitverlauf der bipolaren Störung
untersucht, im Zeitraum von 2014 bis 2020 (Messzeitpunkt 1,
Prä-Pandemie) erhoben und der zweite Messzeitpunkt erfolgte im Rahmen
der Umfrage im April 2020 (Messzeitpunkt 2, Pandemie). Als unabhängige
Variablen wurden die Messzeitpunkte 1 und 2 sowie die Gruppe (Kontrollgruppe
versus Individuen mit bipolarer Störung) und als abhängige
Variable der Wert im FCI zu beiden Messzeitpunkten eingefügt. Als
Kontrollvariablen wurden Alter, Geschlecht und die Zeitdauer in Jahren zwischen
Messzeitpunkt 1 und Messzeitpunkt 2 in die Berechnung einbezogen. Die Stichprobe
der Messwiederholung war mit 11 Patient*innen und 14 Kontrollpersonen
sehr klein.
Die Gruppenunterschiede in den FCI-Subskalen zum zweiten Messzeitpunkt (Pandemie)
wurden mit einer multivariaten Varianzanalyse berechnet. Als abhängige
Variablen fungierten die Subskalen Fett Craving, Fast-Food Craving, Kohlenhydrat
Craving und Süßigkeiten Craving, als unabhängige
Variable die Gruppe (Bipolare Erkrankung vs. Kontrolle) und als Kovariablen
Alter und Geschlecht. Zusammenhänge zwischen Lebensstil, emotionaler
Belastung durch soziale Distanzierung, COVID-19-Ängsten und BDI-II
wurden mit Spearman Korrelationsanalysen (Spearman’sches Rho)
untersucht.
Für die Überprüfung der Normalverteilung wurde der
Kolmogorov-Smirnov-Test durchgeführt. Die statischen Ergebnisse wurden
mit der IBM SPSS-Software Version 26 berechnet.
Ergebnisse
[Tab. 2 ] zeigt die Werte in den
soziodemografischen Variablen, der emotionalen Belastung durch soziale
Distanzierung, den COVID-19-Ängsten sowie in der affektiven Symptomatik
(BDI-II, ASRM) der Stichprobe zum Zeitpunkt der Online-Befragung. In den Variablen
Alter und Body-Mass-Index (BMI) unterschieden sich die beiden Gruppen signifikant
voneinander. Die Kontrollgruppe hatte signifikant mehr Studienabschlüsse im
Vergleich zur Patient*innengruppe. Im BDI-II und der emotionalen Belastung
durch soziale Distanzierung hatten bipolare Patient*innen signifikant
höhere Werte als Teilnehmer*innen der Kontrollgruppe. Kein
signifikanter Unterschied zeigte sich bei COVID-19-Ängsten zwischen
Patient*innen und Kontrollpersonen.
Tab. 2 Soziodemografische Variablen sowie affektive
Symptomatik von Patient*innen mit bipolarer Störung und
gesunden Kontrollpersonen zum Zeitpunkt des Lockdowns.
Gruppe
PG (n =35) M (±SD)
KG (n =40) M (±SD)
Statistik
p
Effekt-stärke
Weiblich (n,%)
15 (42,9%)
29 (72,5%)
Männlich (n,%)
20 (57,1%)
11 (27,5%)
χ² =6,76
0,011*
Φ =0,30
Alter
48,34 (±13,60)
32,10 (±7,93)
Min, Max
23, 77
22, 56
MR
51,21
26,44
U= 237,50
<0,001***
r=− 0,57
BMI [kg/m²]
29,61 (±8,38)
24,52 (±3,99)
Min, Max
20,07, 59,52
19,15, 41,91
MR
46,30
30,74
U= 409,50
0,002**
r=− 0,36
Ausbildung
Pflichtschulabschluss
2 (5,7%)
0 (0%)
Lehrausbildung
11 (31,4%)
1 (2,5%)
Matura
12 (34,3%)
7 (17,5%)
Bachelorstudium
2 (5,7%)
9 (22,5%)
Masterstudium
8 (22,9%)
16 (40,0%)
Doktorat/PhD
0 (0%)
7 (17,5%)
χ² =25,55
<0,001***
a
Φ =0,58
BDI-II
16,97 (±12,38)
3,38 (±2,79)
Min, Max
0, 44
0, 10
MR
50,38
26,55
U= 242,00
<0,001***
r =−0,55
ASRM
1,62 (±3,06)
0,65(±1,17)
Min, Max
0, 11
0, 5
MR
39,09
36,15
U= 626,00
0,500
Emotionale Belastungb
1,64 (±1,16)
0,85 (±0,74)
Min, Max
0, 4
0, 3,40
MR
45,93
31,06
U= 422,50
0,003**
r=− 0,34
COVID-19-Ängstec
3,70 (±2,53)
3,98 (±1,95)
Min, Max
0, 9
0,67, 7,67
T
72 =− 0,54
0,594
Notiz: PG=Patient*innengruppe; KG=Kontrollgruppe;
BMI=Body-Mass-Index; BDI-II=Beck Depression Inventory II;
ASRM=Altman Self-Rating Mania Scale; M=Mittelwert;
SD=Standardabweichung; Min=Minimum; Max=Maximum;
MR=Mittlerer Rang; a Exakter Test nach Fisher; b Durch die
räumliche Distanzierung fühle ich mich
einsam/gelangweilt/frustriert/hoffnungslos/ängstlich;
Mittelwert aus allen 5 Skalen mit jeweils einer Punkteskala von 0–4;
c COVID-19-Ängste „Wie stark schätzen Sie Ihre
Sorgen und Ängste rund um das Corona-Virus ein?”,
„Wie groß ist Ihre Angst, sich mit dem Corona-Virus
anzustecken?“, „Wie groß ist Ihre Angst, andere mit
dem Corona-Virus anzustecken?” Mittelwert aus allen 3 Skalen mit
jeweils einer Punkteskala von 0–10; ***
p<0,001, **p<0,01,
*p<0,05.
[Tab. 3 ] zeigt die Unterschiede der
Lebensstilvariablen zwischen Patient*innen mit bipolarer Störung und
Kontrollpersonen im Untersuchungszeitraum. Die bipolare Gruppe wies zu dieser Zeit
signifikant weniger mittlere bis intensive Sporteinheiten auf, weniger Kraftsport
und fuhr weniger mit dem Fahrrad als die Kontrollgruppe. Zudem rauchten Menschen mit
bipolarer Störung mehr im Vergleich zur Kontrollgruppe. Im Gegensatz dazu
gab es keinen signifikanten Unterschied beim Zufußgehen, in der Gartenzeit
und in der Anwendung von Entspannungsverfahren. Darüber hinaus gingen
(42,9%) der Patient*innen mit bipolarer Erkrankung vs.
(20,0%) der Kontrollproband*innen ihren Hobbys nach. Die MANCOVA zur
Berechnung der Unterschiede in den FC Komponenten zeigte keinen signifikanten
Gruppenunterschied (F(4/62) =0,73, p =0,578,
η² =0,045) zum Messzeitpunkt April 2020.
Abb. 1 subjektive Veränderung der Leistungsfähigkeit;
Fragestellung = „Wie schätzen Sie Ihre derzeitige
Leistungsfähigkeit (im Beruf, im Haushalt, etc.), im Vergleich zu
vor dem COVID-Ausbruch, ein?“ Antwort=ich bin gleich
leistungsfähig, wie vor dem COVID-Ausbruch; ich bin jetzt weniger
leistungsfähig; ich bin jetzt leistungsfähiger;
N=Teilnehmer*innen-Anzahl;
Patient*innengruppe=Personen mit bipolarer Störung,
Kontrollgruppe=Personen ohne bipolare Störung
Tab. 3 Lebensstilvariablen von Patient*innen mit
bipolarer Störung und gesunden Kontrollpersonen zum Zeitpunkt
des Lockdowns zum Thema: Sport, Entspannungsmethoden, Suchtverhalten und
Food Craving.
Gruppe
PG (n =35) M (±SD)
KG (n =40) M (±SD)
Statistik
p
Effekt-stärke
Zu Fuß
Ja
24 (68,6%)
29 (72,5%)
Nein
11 (31,4%)
11 (27,5%)
x
2
= 0,14
0,801
Zu Fuß in Min
187,94 (±234,02)
209,10(±211,42)
Min, Max
0, 1020
0, 860
MR
36,23
39,55
U= 638,00
0,508
Mit Rad
Ja
3 (8,6%)
11 (27,5%)
Nein
32 (91,4%)
29 (72,5%)
x
2
= 4,41
0,042*
Φ =−0,24
Mit Rad in Min
130 (±85,44)
132,73 (±66,80)
Min, Max
50, 220
30, 220
T
12
=− 0,06
0,953
Sport
104,29(±156,83)
164,75(±134,26)
Min, Max
0, 550
0, 500
MR
30,26
44,78
U= 429,00
0,003**
r =−0,34
Kraftsport
45,00 (±67,51)
72,50(±82,76)
Min, Max
0,300
0,400
MR
32,56
42,76
U= 509,50
0,039*
r =−0,24
Garten
193,49 (±316,72)
286,65 (±469,50)
Min, Max
0,1380
0,1800
MR
36,33
39,46
U= 641,50
0,521
Hobbys
Nie
1 (2,9%)
0 (0%)
Selten
7 (20,0%)
8 (20,0%)
Manchmal
12 (34,3%)
24 (60,0%)
Oft
15 (42,9%)
8 (20,0%)
x
2
= 6,90
0,053 a
Entspannung
Nie
19 (54,3%)
14 (35,0%)
Selten
4 (11,4%)
10 (25,0%)
Manchmal
8 (22,9%)
13 (32,5%)
Oft
4 (11,4%)
3 (7,5%)
x
2
= 4,35
0,241 a
Zigarettenanzah l
18,67(±8,20)
4,75(±3,59)
Min, Max
3,30
2,10
MR,N
10,17, 12
3,50, 4
U= 4,00
0,015*
r =−0,62
Rauchen
Ja
13 (37,1%)
4 (10,0%)
Nein
22 (62,9%)
36 (90,0%)
x
2=
7,85
0,006**
a
Φ =−0,32
FC April 2020
FC Summe
29,97 (±15,99)
20,79 (±17,58)
F=1,43
0,235
FC Fastfood
3,93 (±2,70)
3,30 (±3,04)
F=0,79
0,376
FC Kohlenhydrate
7,87 (±6,21)
6,21 (±5,84)
F=0,19
0,665
FC Sweets
11,10 (±6,52)
8,26 (±7,70)
F=1,93
0,170
FC Fett
7,07 (±5,51)
3,03 (±3,55)
F=1,45
0,233
Notiz: PG=Patient*innengruppe; KG=Kontrollgruppe;
M=Mittelwert; SD=Standardabweichung; MR=Mittlerer
Rang; N=Teilnehmer*innen-Anzahl; FC=Food Craving; Zu
Fuß=„Bezogen auf die aktuelle Woche; sind Sie
regelmäßig zu Fuß unterwegs?“; zu
Fuß in Min=„Wie viele Minuten pro Woche sind Sie zu
Fuß unterwegs?“ (zur Arbeit, zum Einkaufen, zum Spazieren
oder Wandern); Mit Rad=„Bezogen auf die aktuelle Woche; sind
Sie regelmäßig mit dem Rad unterwegs?“; Mit Rad in
Min=„Wie viele Minuten pro Woche sind Sie mit dem Rad
unterwegs?“ (Heimtrainer, Radtouren, zur Arbeit oder zum Einkaufen;
Muskelaufbau=„Wie viele Minuten pro Woche führen Sie
derzeit Kraftsport durch?“; Sport=„Wie viele Minuten
pro Woche bewegen Sie sich derzeit mit mittlerer und höherer
Intensität?“ (Joggen, Walken, Tanzen, Radfahren, etc,);
Garten=„Wie viele Minuten verbringen Sie derzeit pro Woche
mit Gartenarbeit?“+„Wie viele Minuten verbringen Sie
derzeit pro Woche zur Ruhe und Erholung im Garten?“;
Hobbys=„Wie häufig gehen Sie üblicherweise
in Ihrer Freizeit nicht-sportlichen Aktivitäten/Hobbys nach,
die Sie genießen können oder Sie entspannen (Musizieren,
Lesen, Handarbeiten, etc.)?“; Entspannung=„Wie
häufig nutzen Sie derzeit Entspannungsmethoden im Alltag (PMR,
Autogenes Training, Yoga etc.)?“;
Zigarettenanzahl=„Wie viele Zigaretten rauchen Sie pro
Tag?“ ; Rauchen=„Rauchen Sie aktuell?“
a=Exakter Test nach Fisher; ***
p <0,001, **p <0,01,
*p <0,05
In der subjektiven Veränderung des Lebensstiles zum Zeitpunkt des Lockdowns
im Vergleich zu vor der COVID-19-Pandemie zeigte sich ein signifikanter
Gruppenunterschied in der Veränderung der allgemeinen
Leistungsfähigkeit bei Menschen mit bipolarer Erkrankung im Vergleich zur
Kontrollgruppe ([Abb. 1 ]);
(χ²(2) =6,06, p =0,047,
Φ =0,28). Auch die Variable Gewichtsveränderung
war im Gruppenvergleich signifikant (χ²(2) =9,470,
p =0,006, Φ =0,36) ([Abb. 2 ]). Ebenfalls gaben
Patient*innen mit (65,7%) signifikant öfter an, psychische
Veränderungen (χ²(2) =4,95,
p =0,037, Φ =−0,26) durch die
Corona-Virus-Pandemie zu bemerken (im Gegensatz zur Kontrollgruppe mit
40,0%). In der Art der Veränderung (positiv/negativ) konnte
jedoch kein signifikanter Unterschied zwischen den Gruppen gefunden werden.
Patient*innen gaben im Fragebogen mittels Kommentarfunktion
bezüglich der negativen psychischen Auswirkung Folgendes an: „Sie
fühlten sich eingeschränkt, eingesperrt, isoliert, gelangweilt und
die realen sozialen Kontakte fehlten ihnen“. „Zur bipolaren
Erkrankung kam zusätzlich Dauerstress hinzu. Sie fanden vieles
beängstigend, das Zu-Hause-Lernen fiel ihnen schwer und sie hatten
große Angst, schwer depressiv zu werden“. Ebenso gaben sie an, dass
sie sich in der Wohnsituation mit aggressiven Familienmitgliedern gefangen
fühlten. Für Ältere hingegen war es schwer, ihre Kinder und
Enkelkinder nicht zu sehen. Die Proband*innen der bipolaren Gruppe gaben
zudem an, weniger leistungsfähig zu sein (42,9%) im Vergleich zur
Kontrollgruppe (17,5%). In den Variablen
Aktivitätsveränderung, Hobbys, Tagesstruktur,
Ernährungsgewohnheiten, Alkoholkonsum und Rauchverhalten konnten keine
signifikanten Unterschiede zwischen Patient*innen und Kontrollpersonen
gefunden werden. Die Mehrheit der Patient*innen (53,8%) gab an, im
Gegensatz zu vor der Krise mehr zu rauchen, ebenso die Hälfte der
Kontrollgruppe (50,0%). Entgegen den Erwartungen gaben (22,9%) der
Kontrollpersonen an, mehr Alkohol zu trinken, bei den Patient*innen waren es
nur (4,5%). Der überwiegende Anteil der gesamten Stichprobe
berichtete, einen vollständigen oder einen teilweise strukturierten
Tagesablauf zu haben.
Abb. 2 subjektive Veränderung der Gewichtsveränderung;
Fragestellung=„Hat sich Ihr Gewicht in der Zeit der
Ausgangsbeschränkung/Quarantäne verändert?“
Antwort=nein, keine=nein, keine gröbere
Gewichtsveränderung; Ja, abgenommen=Ja, ich habe mehr als 5
Kilogramm abgenommen; Ja, zugenommen=Ja, ich habe mehr als 5
Kilogramm zugenommen; N=Teilnehmer*innen-Anzahl ;
Patient*innengruppe = Personen mit bipolarer
Störung, Kontrollgruppe = Personen ohne bipolare
Störung
Abb. 3 Food Craving Gesamtwert, Veränderung über die
Zeit von Zeitpunkt der Erstvisite bis zum Zeitpunkt April 2020. Dargestellt
sind die Mittelwerte beider Gruppen.
N=Teilnehmer*innen-Anzahl ; Patient*innengruppe
= Personen mit bipolarer Störung, Kontrollgruppe =
Personen ohne bipolare Störung.
Eine ANCOVA mit Messwiederholung (kontrolliert für Alter, Geschlecht und
Zeitunterschied zwischen Messzeitpunkt 1 und 2) zeigte einen signifikanten
Zeiteffekt im Food Craving (F(1/20) =12,24, p =0,002,
η²=0,380) dahingehend, dass Food Craving insgesamt
über die Zeit abnahm. Es gab einen signifikanten Gruppeneffekt
(F(1/20) =5,63, p =0,028,
η² =0,220), aber die Wechselwirkung Zeit x Gruppe war
nicht signifikant (F(1/20) =0,51, p =0,485,
η² =0,025). Insgesamt war die Stichprobe
für diese Berechnung mit 11 bipolaren Patient*innen und 14
Kontrollpersonen sehr klein (siehe [Abb. 3 ]).
Tab. 4 Korrelationen zwischen den Lebensstilvariablen (zu
Fuß gehen, Sport, Kraftsport, Gartenarbeit, Zigaretten), den
Food Craving Subskalen und den psychischen Auswirkungen (COVID-19-Angst,
emotionale Belastung durch soziale Distanzierung und BDI-II) im April
2020.
PG
KG
COVID-19- Ängste
Emotionale Belastung
BDI-II
COVID-19- Ängste
Emotionale Belastung
BDI-II
Lebensstil
Zu Fuß in Min
r= − 0,16
r =− 0,24
r =−0,30
r =0,21
r =0,21
Sport
r= − 0,05
r =− 0,11
r =0,06
r =− 0,06
r =0,11
r =− 0,02
p= 0,375
p=0, 163
p= 0,097
p=0, 203
p= 0,184
p=0, 547
p =0,786
p =0,550
p =0,738
p=0, 729
p=0, 515
p=0, 926
Kraftsport
r= 0,16
r
=− 0,35*
r
=
−
0,43*
r =− 0,07
r =0,13
r =− 0,15
p= 0,378
p
=0,042
p=
0,010
p=0, 658
p=0, 431
p=0, 345
Gartenzeit
r= − 0,01
r =− 0,12
r =0,09
r =0,050
r
=− 0,31*
r
=− 0,32*
p= 0,938
p =0,483
p= 0,613
p=0, 766
p=
0,049
p=
0,048
Zigaretten
r
=−
0,75**
r =− 0,37
r =0,39
r =0,40
r =0,11
r =− 0,95
p=
0,005
p =0,235
p= 0,207
p=0, 600
p=0, 895
p=0, 051
FC-Summe
r =− 0,15
r =0,17
r =0,27
r =0,30
r =0,12
r =0,30
p=− 0,418
p= 0,368
p= 0,158
p=0, 062
p=0, 462
p=0, 073
FC-Süßes
r =− 0,06
r =0,26
r
=0,47*
r
=0,36*
r =0,29
r =0,30
p= 0,743
p= 0,174
p=
0,009
p=
0,023
p=0, 076
p=0, 063
FC-Fat
r =0,04
r =0,22
r =−0,2
r =0,23
r =−0,10
r =0,12
p= 0,833
p= 0,237
p= 0,908
p=0, 168
p=0, 560
p=0, 452
FC-Fastfood
r =− 0,11
r =0,18
r =0,10
r =0,29
r =− 0, 11
r =0,13
p= 0,561
p= 0,351
p= 0,616
p=0, 078
p=0, 523
p=0, 424
FC-Kohlen-hydrate
r =− 0,13
r =0,02
r =0,13
r =0,26
r =0,13
r =0,21
p= 0,509
p= 0,934
p= 0,482
p=0, 113
p=0, 415
p=0, 202
Notiz: PG=Patient*innengruppe; KG=Kontrollgruppe;
*p<0,05; **p<0,01
Korrelationen
In der Patient*innengruppe bestand im Kraftsport eine negativ moderate
Beziehung mit der emotionalen Belastung durch soziale Distanzierung
(r(33) =− 0,35*,
p =0,042) und dem BDI-II-Wert
(r(33) =− 0,43*, p= 0,010).
Der Zigarettenkonsum korrelierte negativ mit den COVID-19-Ängsten
(r(10) =− 0,75*,
p =0,005). FC-Süßigkeiten korrelierte stark mit
dem BDI-II-Wert (r(28) =0,47*, p =0,009). In
der Kontrollgruppe konnte man moderate Korrelationen der Gartenzeit mit den
Variablen emotionaler Belastung durch soziale Distanzierung
(r(38) =− 0,31*, p= 0,049)
und dem BDI-II-Wert (r(38) =− 0,32*,
p =0,048) feststellen. In der Kontrollgruppe korrelierte
FC-Süßigkeiten (r(37) =0,36*,
p =0,023) moderat mit den COVID-19-Ängsten. Die
Korrelationen zwischen den Lebensstilvariablen (zu Fuß gehen, Sport,
Kraftsport, Gartenarbeit, Zigaretten) und dem Food Craving (Fett Craving,
Fast-Food Craving, Kohlenhydrat Craving und Süßigkeiten Craving)
mit den psychischen Auswirkungen (COVID-19-Ängste, emotionale Belastung,
BDI-II) lieferten nach der Bonferroni Korrektur (0,05/15=0,003)
keine signifikanten Ergebnisse in beiden Gruppen [Tab. 4 ].
Diskussion
Die vorliegende Studie untersuchte Unterschiede in Bezug auf verschiedene
Lebensstilvariablen zwischen Menschen mit bipolarer Erkrankung und einer gesunden
Kontrollgruppe zu Beginn der COVID-19-Pandemie im April 2020, während des
ersten österreichischen Lockdowns. Wie erwartet, gab die
überwiegende Mehrheit beider Gruppen an, dass sich die Pandemie und die
damit verbundenen Maßnahmen auf die psychische Gesundheit auswirkten.
Menschen mit bipolarer Erkrankung gaben zudem im Vergleich zur Kontrollgruppe an,
durch die soziale Distanzierung emotional noch mehr belastet zu sein. Hinsichtlich
der erhobenen Lebensstilvariablen (wie körperliche Aktivität,
Substanzkonsum, Gartenarbeit, Entspannungsmethoden, Hobbys,
Gewichtsveränderungen, Tagesstruktur, Leistungsfähigkeit oder
Ernährungsgewohnheiten) zeigte sich, dass Menschen mit bipolarer
Störung im Vergleich zur Kontrollgruppe während des Lockdowns
weniger Sport betrieben und mehr rauchten. Wir vermuten hier eine kompensatorische
Handlung aufgrund der Pandemie, die genauen Motive für den erhöhten
Nikotinkonsum können jedoch nicht restlos geklärt werden.
Darüber hinaus gaben bipolare Patient*innen an, subjektiv mehr an
Gewicht zugenommen zu haben und weniger leistungsfähig zu sein. In den
anderen Variablen – Alkoholkonsum, Tagesstruktur,
Aktivitätsveränderung, Rauchverhalten, Gartenarbeit,
Entspannungsmethoden, Hobbys und Ernährungsgewohnheiten – fanden
sich keine Unterschiede zwischen den beiden Gruppen.
Menschen mit bipolarer Störung berichteten in unserer Erhebung im Gegensatz
zu Gesunden über eine höhere Gewichtszunahme während der
COVID-19-Pandemie und darüber, weniger Sport zu betreiben. Die subjektiv
eingeschätzte Gewichtsveränderung (Zu- oder Abnahme) von mehr als
fünf Kilogramm erscheint in einer kurzen Zeitspanne von 3 bis 4 Wochen
relativ hoch. Gewichtsschwankungen von ein bis zwei Kilogramm fallen in der Regel
nicht unbedingt auf, weshalb bewusst dieser Wert gewählt wurde. Luo et al.
(2018) fanden in ihrer Studie heraus, dass Frauen im Durchschnitt ihr Gewicht
niedriger angeben; das hängt unter anderem auch mit Alter, Bildung, Ethnie
und BMI zusammen [31 ]. Die Neigung zu
Gewichtszunahme ist nicht verwunderlich, da Ergebnisse früherer
Untersuchungen zeigen, dass Patient*innen mit bipolarer Erkrankung meist
einen höheren BMI aufweisen als Kontrollpersonen [21 ]
[32 ].
Zum einen kann die Vulnerabilität für Gewichtszunahme durch
geringere Aktivität zu sehen sein [33 ]
und zum anderen nehmen Patient*innen mit bipolarer Störung auch
häufig im Verlauf ihrer Erkrankung an Gewicht zu. Unter anderem kann die
Gewichtszunahme als Nebenwirkung mancher Psychopharmaka gesehen werden, jedoch ist
das Phänomen überwiegend multifaktoriell [34 ] und auch bei Patient*innen ohne
medikamentöse Therapie zu beobachten [35 ]. Menschen mit bipolarer Erkrankung und Übergewicht haben
einen schwereren und längeren Krankheitsverlauf zu verzeichnen [22 ]
[36 ].
Laut einer aktuellen Studie von Marchitelli et al. (2020) [37 ] gaben 66% der
Teilnehmer*innen mit einer psychiatrischen Diagnose und Adipositas eine
Gewichtszunahme während der Quarantäne-Zeit an. Diese
Patient*innen wiesen im Vergleich zu Gesunden mit Übergewicht
erhöhte psychische Symptome (unter anderem Depressionen, Stress und
Ängste) auf. Die Autor*innen führten die Gewichtszunahme auf
erhöhtes „Binge-Eating“-Verhalten während des
Lockdowns zurück. Binge-Eating-Verhalten wurde in der vorliegenden Studie
nicht gemessen, allerdings wurde Food Craving als Indikator für
erhöhte Nahrungsaufnahme und Gewichtszunahme erhoben [38 ]. Im Gegensatz zu Marchitelli et al. (2020)
berichteten die Teilnehmer*innen dieser Untersuchung zum Zeitpunkt des
Lockdowns über eine reduzierte Häufigkeit des Food Cravings im
Gegensatz zu davor. Einen Rückgang des Verlangens nach fetten und
süßen Speisen bei jungen Frauen publizierten auch Freitas et al.
(2021) in einer Online-Studie während der COVID-19-Pandemie [39 ]. Die Autor*innen schlussfolgerten,
dass die Teilnehmer*innen seltener das Eigenheim verließen und so
mehr Verlangen nach traditionellen Speisen hatten, wodurch das Verlangen nach
Süßem abnahm [39 ]. Es zeigte
sich während des ersten Lockdowns in unserer Studie auch kein Unterschied im
intensiven Verlangen nach bestimmten Nahrungsmitteln (Fett Craving, Fast-Food
Craving, Kohlenhydrat Craving und Süßigkeiten Craving) zwischen
bipolaren Patient*innen und Kontrollpersonen. Auch im
Ernährungsverhalten verzeichneten die beiden Gruppen keinen signifikanten
Unterschied zum Zeitpunkt der Pandemie April 2020. Der überwiegende Anteil
beider Gruppen gab an, ihre Ernährungsgewohnheiten nicht verändert
zu haben. Aufgrund der Zusammenhänge zwischen bipolarer Störung und
Übergewicht [21 ] sollten
Ernährungsverhalten und Food Craving jedenfalls im Verlauf der
COVID-19-Pandemie mit einer größeren Teilnehmer*innenzahl
weiter untersucht werden. Möglicherweise nahmen an der vorliegenden
Untersuchung nur Patient*innen mit bipolarer Erkrankung teil, die in einem
besseren Gesundheitszustand waren, wodurch keine Effekte zu finden waren.
Hinsichtlich der sportlichen Aktivität konnten wir zeigen, dass Menschen mit
bipolarer Erkrankung über weniger Kraftsport während des Lockdowns
berichteten und weniger mittlere und intensive Sporteinheiten betrieben als die
Kontrollgruppe. Die Literatur zeigte, dass Kraftsport die depressive Symptomatik
vermindern kann [29 ]. Demzufolge sind weitere
Studien notwendig, um zu klären, ob regelmäßiger Kraftsport
auch eine geeignete Präventionsmaßnahme gegen depressive Stimmung
während der COVID-19-Pandemie sein kann. In der Patient*innengruppe
fanden wir im Kraftsport eine negativ moderate Beziehung mit der emotionalen
Belastung durch soziale Distanzierung und dem BDI-II-Wert. Dies ist allerdings mit
Vorsicht zu interpretieren, denn nach der Bonferroni-Korrektur waren die
Zusammenhänge nicht mehr signifikant. Umgekehrt könnte auch die
aktuelle psychische Symptomatik von Menschen mit bipolarer Erkrankung einen Einfluss
auf das Aktivitätsverhalten gehabt haben. Dies kann jedoch mit der
vorliegenden Studie nicht beantwortet werden. Während des Lockdowns waren
sämtliche Sporteinrichtungen und die Bundesgärten geschlossen [3 ], das könnte auch wesentlich dazu
beigetragen haben, dass wir Unterschiede im Kraftsport und im Sport fanden. Wo die
Proband*innen normalerweise ihre Krafteinheiten absolvierten (zu Hause mit
Fitnessgeräten oder in den Fitnesscentern) und ob sie
Fitnessverträge hatten, wurde im Zuge der Studie nicht abgefragt,
könnte aber auch Einfluss auf die Minutenangabe gehabt haben. Die
Sportvariable konzentrierte sich aufs Joggen, Walken, Tanzen und Rad fahren, diese
Sportarten sind in der freien Natur auch gut möglich. Viele
Österreicher*innen nutzten vermutlich aufgrund der Zunahme von
Freizeit ihre Zeit für sportliche Aktivitäten.
Eine Metaanalyse von Vancampfort et al. (2017) zeigte, dass psychisch schwer
erkrankte Personen durchschnittlich 476 min pro Tag in sitzender
Tätigkeit verbringen. Außerdem sind sie nur 38,4 Minuten pro Tag
mäßig oder stark körperlich aktiv [33 ]. Die Reduktion mittlerer und intensiver
Sporteinheiten geht mit der Einnahme von Antidepressiva, männlichem
Geschlecht, Arbeitslosigkeit, nicht vorhandenem Nikotinkonsum und Isolierung einher.
Nur die Hälfte der psychisch Erkrankten erreichte das von der WHO definierte
Ziel von 150 Minuten mäßiger sportlicher Aktivitäten pro
Woche in der Zeit vor der Pandemie [33 ]. Auch
in dieser Studie während des Lockdowns bewegten sich die befragten
Patient*innen zu wenig (104,29 min Sport mit mittlerer und
höherer Intensität sowie 45 min Kraftsport). Da wir wissen,
dass sitzendes Verhalten bei bipolaren Menschen zu einer Steigerung der Symptomlast
(mehr Stimmungsstörungen, Schlafstörungen und Ängste)
führen kann, vermuten wir, dass die eingeschränkte Aktivität
sich zusätzlich negativ auf die Patient*innen ausgewirkt haben
könnte. Demgegenüber steht vermehrte körperliche
Aktivität mit Gewichtsabnahme und gesteigerter Leistungsfähigkeit
(kognitiv, zwischenmenschlich, beruflich) in Zusammenhang [40 ].
Diese Studie zeigte bezüglich des Substanzkonsums, dass Menschen mit
bipolarer Erkrankung im Vergleich zur Kontrollgruppe während des Lockdowns
im April 2020 mehr Zigaretten pro Tag rauchten, auch vor der Pandemie kam man zu
diesem Ergebnis [16 ]. Reddy et al. (2020)
[41 ] fanden in einer Metaanalyse heraus,
dass Raucher*innen ein höheres Risiko für einen schweren
Verlauf durch COVID-19 haben. Laut Thornton et al. (2017) [30 ] ist für Menschen mit psychischen
Erkrankungen der Konsum von Substanzen (Alkohol und Tabak) eine mögliche
Bewältigungsstrategie, um besser mit negativen Auswirkungen wie Stress,
Heißhunger, Langeweile und Einsamkeit umzugehen. Möglicherweise ist
der Tabakkonsum aber auch eine Bewältigungsstrategie gegen
COVID-19-Ängste, denn der Zigarettenkonsum korrelierte negativ mit den
COVID-19-Ängsten. Dieser Wert war nach der Bonferroni-Korrektur nicht mehr
signifikant, und somit ist auch dieses Ergebnis mit Vorsicht zu interpretieren.
Unsere Daten zeigten allerdings, dass es keine Unterschiede im subjektiven
Rauchverhalten zwischen Patient*innen und Kontrollpersonen gab. Auch der
Alkoholkonsum unterschied sich nicht signifikant zwischen den beiden Gruppen. Die
Kontrollgruppe gab sogar an, mehr Alkohol als vor der Pandemie zu konsumieren. Ein
gesteigerter Alkoholkonsum während des Lockdowns steht mit erhöhten
Ängsten und Depressionen im Zusammenhang [42 ]. Anzumerken ist auch, dass die Veränderung mancher
Lebensstilvariablen aufgrund der Maßnahmen abrupt erfolgte. Da die Literatur
in Bezug auf den ersten Lockdown noch rar ist, finden wir es sehr interessant, die
ersten subjektiven Folgen abbilden zu können. Da es zum Zeitpunkt der Studie
nicht absehbar war, wie und wie lange der Lockdown dauern würde und die
Pandemie-Situation für alle Menschen eine völlig neue
Herausforderung darstellte, war es unser Hauptziel, die Anpassungsleistung von
Menschen mit bipolarer Erkrankung an den ersten Lockdown und die herausfordernde
Situation zu untersuchen und eine Momentaufnahme dieser vulnerablen
Proband*innengruppe zu schaffen. Zum Thema psychische Auswirkungen gab die
Mehrheit der bipolaren Teilnehmer*innen unserer Studie an, dass sich die
Pandemie auf die psychische Situation auswirkte. In der Art der Auswirkung
(negativ/positiv) zeigte sich kein signifikanter Unterschied zwischen den
beiden Gruppen. Andere Studien beschrieben, dass eine Pandemie und damit
einhergehende Lockdowns, Isolation und Ängste überwiegend negative
Auswirkungen auf das psychische Wohlbefinden hätten [7 ]. In unserer Studie konnten wir jedoch keinen
Unterschied in den COVID-19-Ängsten zwischen den Gruppen finden.
González-Blanco et al. (2020) [43 ]
fanden in ihrer Studie heraus, dass Ängste bei Menschen mit schweren
psychischen Störungen im Gegensatz zu Kontrollpersonen höher
ausfallen. Die emotionale Belastung durch soziale Distanzierung unterschied sich
signifikant zwischen den beiden Gruppen und fiel bei Teilnehmer*innen mit
bipolarer Erkrankung höher aus. Hierbei wurde speziell nach emotionalen
Belastungen wie Einsamkeit, Langeweile, Frustration, Ängstlichkeit und
Hoffnungslosigkeit durch die sozialen Distanzierungsmaßnahmen gefragt. Orhan
et al. (2021) [44 ] fanden heraus, dass
Einsamkeit mit einer schwereren depressiven Symptomatik und Ängsten
einhergeht. Auch in der Studie von Franchini et al. (2020) [45 ], welche 101 Teilnehmer*innen
einschloss (darunter 49 bipolare Patient*innen), waren Frustration und
Langweile mit 76% die größten Stressoren während der
COVID-Pandemie, aber auch die Angst vor einer Infektion und psychische
Ängste waren mit über 40% sehr hoch. Menschen mit bipolarer
Störung waren zudem zum Beginn der Pandemie depressiver als
Kontrollpersonen, das entspricht anderen Studienergebnissen [6 ]. Höhere BDI-II Werte finden sich bei
bipolaren Patient*innen im Vergleich zu Kontrollpersonen jedoch auch
pandemieunabhängig [46 ].
Im Hinblick auf die Zukunft sollte der Lebensstil von Menschen mit bipolarer
affektiver Störung noch weiter während der andauernden Pandemie
erforscht werden und auch die Langzeitfolgen auf den Lebensstil sollten genau
untersucht werden. Als Folge von Stress und Belastung durch die COVID-19-Pandemie
könnte der Substanzkonsum noch weiter steigen und auch Auswirkungen auf die
körperliche Aktivität und damit einhergehende Gewichtszunahme sind
zu erwarten. Zudem sind Menschen mit bipolarer Störung meistens durch
Komorbiditäten vorbelastet. Die Pandemie und deren Konsequenzen
könnte die körperliche Gesundheit dieser Personengruppe
zusätzlich gefährden und dadurch könnte die Lebenserwartung
weiter abnehmen. Zudem sind auch negative Effekte auf den Krankheitsverlauf
möglich.
Verschiedene Patient*innen(schulungs)programme zum Thema sportliche
Aktivität und Ernährungsverhalten könnten einen gesunden
Lebensstil fördern und sind auch in Zeiten sozialer Distanzierung
über Online-Tools durchführbar. Somit ließen sich negative
gesundheitliche Folgen minimieren und die Lebensqualität verbessern, sofern
die Bereitschaft zur Erhaltung und das Bewusstsein für einen gesunden
Lebensstil bei bipolaren Patient*innen gestärkt wird [47 ]. Aufgrund unserer Ergebnisse empfehlen wir,
Raucherentwöhnungsprogramme dringend in die Therapie psychisch kranker
Menschen zu integrieren und besonders während der weltweiten Pandemie
vermehrt anzubieten. Die Metaanalyse von Pearsall et al. (2019) [48 ] evaluierte verschiedene Arten der
Unterstützung von Raucherentwöhnungsprogrammen bei Menschen mit
schweren psychischen Störungen und zeigten gute Effekte des Medikaments
Vareniclin zur Raucherentwöhnung.
Eine ideale Lösung zur Behandlung von Angstzuständen und
Stimmungsstörungen in Zeiten, die von sozialer Isolation geprägt
sind, wären Online-Videokonferenzen mit den Behandler*innen, sofern
kein psychiatrischer Notfall vorliegt [49 ].
Einschränkungen/Limitationen
Einschränkungen/Limitationen
Die vorliegende Studie unterliegt einigen Limitationen. Als Erstes gilt zu nennen,
dass die Durchführung online stattgefunden hat. Eine objektive
Fremdbeurteilung der aktuellen psychischen Symptomatik (stabil bipolar, bipolar
depressiv, bipolar hypoman oder bipolar manisch) der Patient*innen durch
eine*n Psychiater*in/Psycholog*in war somit nicht
möglich, dennoch handelt es sich bei allen Teilnehmer*innen um
regelmäßig behandelte Patient*innen der Spezialambulanz
für bipolare Störungen. Darüber hinaus möchten wir
ergänzen, dass die Symptomatik durch das Online-Format der Studie mit
Fragebögen zur Selbstbeurteilung erhoben wurde und
selbsteingeschätzte Symptomatik bei bipolaren Patient*innen oft
durch soziale Erwünschtheit oder verzerrte Antworttendenzen
eingeschränkt interpretierbar ist. Darüber hinaus war die
Reliabilität gering [50 ], weshalb wir
darauf verzichtet haben, die klinische Symptomatik zu berücksichtigen. Die
erhobenen Variablen wurden während des ersten österreichischen
Lockdowns zu Beginn der Pandemie erhoben. Es fehlen allerdings
Prä-Pandemie-Daten, weswegen wir nicht ausschließen können,
dass die Unterschiede zwischen Patient*innen und Kontrollpersonen nicht
schon vor dem Lockdown bestanden haben. Die selbst erstellten Fragebögen zum
Lebensstil, zu den COVID-19-Ängsten und der emotionalen Belastung durch
soziale Distanzierung sind nicht-standardisiert, es existieren keine Referenzwerte
und die Lebensstilvariablen beruhen auf selbst geschätzten subjektiven
Angaben. In der Studie wurde zudem nicht abgefragt, wie viele Personen vor dem
Lockdown Sporteinrichtungen besuchten. Die Stichprobe war mit 75
Teilnehmer*innen (davon 35 Patient*innen) zu klein, um eine
Subgruppenunterteilung (BP-I und BP-II) vorzunehmen. Die Datenbank umfasste 570
potenzielle Teilnehmer*innen, die für die Online-Studie
angeschrieben wurden. Insgesamt nahmen aber nur 101 Personen (49
Patient*innen, 49 Kontrollpersonen der BIPLONG-Studie und 3 unbekannte
Teilnehmer*innen) teil, wovon 25 Personen nicht alles vollständig
ausgefüllt haben. Außerdem ist zu erwähnen, dass der
Beobachtungszeitraum sehr kurz war und zu einem Zeitpunkt zu Beginn der Pandemie
gewählt wurde, um die unmittelbaren Auswirkungen des Lockdowns unter
möglichst gleichbleibenden externen Bedingungen zu untersuchen, denn kurz
nach Ende der Umfrage wurden die Maßnahmen wieder gelockert, was diesem Ziel
entgegengewirkt hätte. Eine weitere Limitation ist der signifikante
Altersunterschied zwischen Kontrollgruppe und Patient*innengruppe. Um dies
auszugleichen, wurde die ANCOVA mit Messwiederholung für die Variablen
Alter, Geschlecht und Zeitunterschied statistisch korrigiert. Die Korrelationen sind
zwar statistisch signifikant, aber mit Vorsicht zu interpretieren, denn im Lockdown
waren Gärten und Sporteinrichtungen geschlossen, zudem war die
Patient*innengruppe im Durchschnitt 16 Jahre älter. Nach der
Bonferroni-Korrektur waren die Korrelationen nicht mehr signifikant. Die
Lebensstilparameter wurden im Rahmen der longitudinalen BIPLONG-Studie vor der
Pandemie nicht abgefragt, jedoch deuten die Angaben zu subjektiven
Lebensstilveränderungen auf eine negative Veränderung hin. Durch
eine objektive Messung des Food Cravings zwischen zwei Messzeitpunkten vor und
während der Pandemie können zumindest Aussagen getroffen werden.
Jedoch wurden diese Berechnungen mit einer kleineren Stichprobe
durchgeführt, folglich sind die Daten somit eingeschränkt zu
interpretieren.
Konklusion
Diese Studie gibt erste Hinweise auf einen selbstberichteten ungünstigeren
Lebensstil bei Menschen mit bipolarer Erkrankung im Vergleich zur Kontrollgruppe im
April 2020. Patient*innen mit bipolarer Störung gaben an, mehr als
die Allgemeinbevölkerung unter der Pandemie zu leiden. Durch diese Studie
soll die Aufmerksamkeit auf die psychosoziale Problematik von Menschen mit
psychischen Erkrankungen während Krisenzeiten gelenkt und aufgezeigt werden,
dass eine gute psychiatrische/psychologische Betreuung die Behandlung von
ungünstigen Lebensstilvariablen unbedingt einschließen sollte. Um
einen gesunden Lebensstil in dieser vulnerablen Personengruppe zu fördern,
könnte man Patient*innen eine gesündere Ernährung,
Sportprogramme und Suchtentwöhnungsprogramme über Online-Programme
nahelegen.
Finanzielle Unterstützung
Finanzielle Unterstützung
Die vorliegende Forschungsstudie erhielt keinen finanziellen Zuschuss aus dem
öffentlichen, kommerziellen oder gemeinnützigen Sektor.