Wenn es nach dem Willen der Bundesregierung geht, soll Deutschland bis zum Jahr 2045
klimaneutral sein. Der Gesundheitssektor gehört zu den Branchen mit dem größten Ressourcenverbrauch.
Je nach Quelle ist er für die Produktion von 4,4 bis 5,2 Prozent der globalen Treibhausgase
verantwortlich. Die von ihm produzierten Emissionen liegen über denen von Flugverkehr
und Schifffahrt. Wenn wir auf die Radiologie schauen: Welchen Stellenwert hat sie
beim Energieverbrauch im Gesundheitswesen und wodurch treibt sie ihn so hoch?
Dr. Palm: Tatsächlich trägt die Radiologie mit ihren Großgeräten einen signifikanten
Anteil am Energieverbrauch im Gesundheitswesen. In den circa 800 radiologischen Fachabteilungen
in rund 2200 Kliniken sowie etwa 1000 Praxen waren im Jahr 2016 rund 2800 CTs und
2800 MRTs im Einsatz. Die Zahlen waren damals schon steigend, sodass man jetzt von
etwa 3000 Geräten je Modalität ausgehen kann. Damit ist Deutschland tatsächlich europaweit
führend. Schon 2016 hatten wir die höchste Gerätedichte mit ungefähr 34,5 MRTs pro
eine Million Einwohner. Korrespondierend dazu waren wir auch weltweit führend mit
circa 211 Bildgebungen je 1000 Einwohner jährlich. Dies verteilte sich auf 60 Prozent
CT-Untersuchungen und 40 Prozent MRT-Einsatz. Und dieser steigende Trend hat sich
weiter fortgesetzt. Privatdozent Dr. med. Tobias Heye (Anmerk. d. Redaktion: Leitender Arzt, Leitung Informationstechnologie, stellvertretende
Leitung abdominelle und onkologische Diagnostik am Universitätsspital Basel), einer der führenden Forschenden in diesem Bereich, hat sich mit dem Energieverbrauch
der Großgeräte beschäftigt. Er konnte zeigen, dass ein CT pro Jahr circa 26 000 Kilowattstunden
verbraucht und ein MRT 134 000 Kilowattstunden. Das heißt, ein CT und ein MRT zusammen
verbrauchen so viel wie 31 Vier-Personen-Haushalte im Jahr. Zu den Großgeräten kommen
noch kleinere ressourcenverbrauchende Faktoren wie unsere PACS-Systeme, Klimaanlagen,
Licht, Verpackungsmaterialien und so weiter hinzu.
Professor Dr. med. Andreas G. Schreyer
Dr. Viktoria Palm
Sie haben im letzten Jahr innerhalb Ihrer Fachgesellschaft die Kommission Nachhaltigkeit
gegründet. Was waren die Gründe dafür und welche Ziele hat diese Kommission Nachhaltigkeit
innerhalb der DRG?
Prof. Schreyer: Wir sind aus einem kleinen Kreis von zunächst 4/5 Leuten entstanden,
die das große Ziel der Nachhaltigkeit vereinte. Natürlich lag unser erster Fokus auf
Geräten und der Gebäudetechnik. Wir haben aber schnell gemerkt, dass wir alle 3 Säulen
der Nachhaltigkeit in den Blick nehmen wollen: die Ökonomie, die Ökologie und die
soziale Verantwortung, die wir haben. Ähnlich wie beim Klimawandel haben wir es mit
einem unglaublich komplexen System zu tun, das ineinandergreift.
Wir sind dann sehr schnell konkret geworden, etwa mit unserem Zehn-Punkte-Plan für
mehr Nachhaltigkeit in der Radiologie. Darüber hinaus haben wir entsprechende Themen
auf dem 103. Deutschen Röntgenkongress 2022 auf die Agenda gesetzt.
Unsere Motivation ist, Nachhaltigkeit ernst zu nehmen und sie mit konkreten Aktionen
voranzubringen. Und zwar in allen ihren Aspekten. Wir wollen quasi der Stachel, die
Motivation für dieses Thema in der DRG sein. Wir müssen hier Kommunikatoren sein –
und im Zweifel kritisch Untersuchungen einschränken beziehungsweise Untersuchungen
auch empfehlen. Das ist auch unser Job.
Ein Beispiel aus meinem Alltag: Ich habe gerade ein Großgerät für meine Klinik gekauft.
Da musste ich feststellen, dass es keinerlei Orientierungspunkte für den Ressourcenverbrauch
gibt, etwa ein Energieverbrauchslabel wie bei Kühlschränken. Aber es geht nicht nur
um den Stromverbrauch, sondern auch um Fragen der Herstellung: Wie ist es mit seltenen
Erden, mit Materialien, mit Nachhaltigkeit im Abbau? Handelt es sich um ein Helium-freies
Gerät etc.? Wir brauchen hier Labels.
„Wir brauchen Antworten auf Fragen des Energieverbrauchs, die sich uns in unserer
täglichen Arbeit stellen.“
Dr. Palm: Ich kann Ihnen nur beipflichten. Wir haben festgestellt, dass es an Lösungsansätzen
für eine klimaneutrale Radiologie mangelt. Doch zunächst einmal müssen wir wissen,
wie die Faktenlage ist. Viele Praxen, Krankenhäuser, Ärzt*innen, Patient*innen, Unternehmen,
aber insbesondere natürlich wir als Radiolog*innen wissen nicht, wie man an diese
Informationen kommen soll. Und genau da greifen wir als Nachhaltigkeits-AG ein. Wir
wollen den Status quo eruieren, interdisziplinär Lösungsansätze diskutieren und schließlich
umsetzen. Und diese wollen wir über die Grenzen unseres Fachs hinaus weitertragen.
Prof. Schreyer: Wir brauchen Antworten auf Fragen, die wir uns in unserer täglichen
Arbeit stellen. Etwa, ob es der Röhre schadet, wenn ich das CT jeden Abend herunterfahre.
Computer, die man ein- und ausschaltet, gehen sie dadurch unter Umständen schneller
kaputt? Vielleicht ist es gar nicht gut, was wir machen? Wir brauchen hier die Unterstützung
der Industrie. Wir müssen einfach immer wieder fordern und darauf aufmerksam machen:
Tut was! Helft uns und lasst uns hier gemeinsam vorangehen.
Dr. Palm: Ja, es gibt viele wichtige Fragestellungen beim Geräteeinsatz. Etwa, wie
man zwischen den Untersuchungen die Grundspannung entweder reduzieren oder in einen
effektiven Standby-Modus bringen kann, um so den Energieverbrauch zu optimieren. Tobias
Heye hat eruiert, dass die energieintensive Gerätekühlung der MRTs ohne Schaden verringert
werden könnte. Allerdings können bei einer derartigen eigenmächtigen Geräteoptimierung
im Zweifel die gesetzlichen Garantieansprüche verfallen. Unter anderem aus diesem
Grund ist hier der Diskurs mit der Industrie gefragt.
„Es sollte unser Ziel sein, den unvermeidbaren Ressourcenverbrauch im Sinne der Netto-Null-Emission
auszugleichen.“
Welche Rolle spielt der Ansatz der sogenannten „Value Based“ Radiologie bei Ihren
Überlegungen zur Nachhaltigkeit in der Kommission – also der Radiologie, die den Nutzen
für die Patient*innen und die Gesellschaft explizit berücksichtigt?
Dr. Palm: Die „Value Based“ Radiologie gewinnt, denke ich, zunehmend an Bedeutung.
2020 ist dazu ein Buch erschienen (Anmerk. d. Redaktion: Silva, Carlos Francisco (Hrsg.): Value-based Radiology: A Practical
Approach (Medical Radiology), Springer; 1st ed. 2020). 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche wollen wir den Patient*innen das Maximum an Therapie
und Diagnostik zukommen lassen. Aber wie viel davon ist letztendlich notwendig, und
wie viel ist vielleicht auch einfach ein Add-on? Jede Untersuchung bindet Ressourcen.
Andererseits sind eine Sicherstellung der Versorgung 365 Tage im Jahr, radiologische
Screeningprogramme und die Forschung ein essenzieller Teil der modernen Hochleistungsmedizin.
Um diese hohen medizinischen Standards halten zu können, sollte es deshalb unser Ziel
sein, den Ressourcenverbrauch zu verringern, zum Beispiel durch eine Geräteoptimierung
– und zugleich den unvermeidbaren Verbrauch im Sinne der Netto-Null-Emission auszugleichen.
„Wir existieren als Radiologen nur, weil wir Untersuchungen machen. Deshalb dürfen
wir aber nicht unnötige Untersuchungen durchführen.“
Prof. Schreyer: Ich sehe das wie Sie. Wir existieren als Radiologen nur, weil wir
Untersuchungen machen. Deshalb dürfen wir aber nicht unnötige Untersuchungen durchführen.
Auch sind es ja nicht wir, die die Untersuchungen initiieren. Es gibt britische Publikationen
dazu, die besagen, dass jedes Jahr etwa 10 Prozent mehr CTs und MRTs durchgeführt
werden. Ich kenne es aus meiner eigenen Klinik. Hier waren es zuletzt 12 Prozent Steigerung
in jeder Modalität. Und wir sehen alle, dass viel „Sinnlosigkeit“ dabei ist.
Nicht alle Bildgebungen wären nach den aktuellen Leitlinien indiziert, nicht alle
ergeben Sinn. Welche Möglichkeiten haben Sie, hier Einfluss zu nehmen?
„Ich fände es gut, wenn wir eine Art Stewardship in der Radiologie etablieren würden.“
Prof. Schreyer: Ich fände es gut, wenn wir eine Art Stewardship in der Radiologie
etablieren würden. Wenn wir den Luxus hätten, Expert*innen einzustellen, die Befunde
anschauen, sie kritisch mit den Kolleg*innen diskutieren und Fragen stellen wie: „Braucht
es das wirklich?“ „Welche Konsequenz hat diese Untersuchung?“. Somit könnten wir die
Zahlen reduzieren.
„Warum haben wir eigentlich Leitlinien, wenn nicht entsprechend agiert wird?“
Dr. Palm: Aber so, wie es jetzt ist, stehen wir mit einem Bein im Gefängnis, wenn
wir Bildgebungen ablehnen. Ich kenne die Leitlinien. Ich weiß, dass demnach nicht
zwangsläufig immer ein CT gefahren werden muss. Auf Nachfragen erhalte ich gelegentlich
eine Antwort vom Zuweiser, welche darauf schließen lässt, dass diagnostische Leitfäden
(zum Beispiel die Beachtung des Wells-Scores bei Verdacht auf Lungenarterienembolie)
nicht berücksichtigt wurden. Aber warum haben wir eigentlich Leitlinien, wenn nicht
entsprechend agiert wird?
Allerdings, wenn bestimmte Untersuchungen, insbesondere sogenannte Ausschlussdiagnostik,
nicht gemacht werden und etwa eine mögliche intrakranielle Blutung bei einer demenzkranken
alten Dame nicht abgeklärt wird, muss die Patientin zur neurologischen Überwachung
stationär aufgenommen werden. Und das belastet dann wiederum das Gesundheitssystem.
Wir befinden uns hier auf einem schmalen Grat: Natürlich, man könnte bestimmte Untersuchungen
vermeiden, hat dann aber den Ressourcenverbrauch an einer anderen Stelle. Deswegen
müssen wir den interdisziplinären Charakter der Medizin mehr beleuchten.
Können Sie das bitte näher erläutern?
Dr. Palm: Wir Radiolog*innen befinden uns mit den meisten Fachrichtungen stetig im
Diskurs, da wir eine zentrale Schnittstelle bei der Patient*innenversorgung sind.
„Wir müssen beim Thema Nachhaltigkeit über alle Fachdisziplinen hinweg zusammen an
einem Strang ziehen.“
Deswegen sehe ich unsere Position beim Thema Nachhaltigkeit im Gesundheitssystem ebenfalls
als zentral an. Nicht nur bezogen auf den Energieverbrauch, sondern auch klinisch
interdisziplinär. Das heißt, natürlich kann eine Klinik nicht zur Netto-Null-Emission
kommen, indem unsere Geräte nachhaltig gemacht oder keine Untersuchungen mehr gefahren
werden. Aber unser Ziel sollte es sein, die Nachricht des medizinisch bedingten Ressourcenverbrauchs
zu transportieren. Und dann müssen wir über alle Fachdisziplinen hinweg zusammen an
einem Strang ziehen, um gemeinsam eine qualitätsbasierte ressourcenorientierte Versorgung
zu erbringen. Dabei muss jeder seinen Beitrag dazu leisten – im Rahmen der Ökonomie,
Ökologie und sozialen Verantwortung.
Haben Sie ein Beispiel?
Prof. Schreyer: Wir haben das Thema Nachhaltigkeit im Programm des 103. Radiologenkongresses
eingebracht. Dort haben wir etwa diskutiert, ob man beim Screening, sei es in der
Mammadiagnostik oder bei einer Darmuntersuchung, jeden Befund abklären muss. Es gibt
die deutschen Leitlinien, die schon exzellent sind. Es gibt die britischen NICE Guidelines,
die in jeder Hinsicht relativ strikt sind. Im Grunde müssen wir gemeinsam darauf hinarbeiten,
dass sie strenger eingehalten werden.
„Studien zeigen: 30 Prozent der energiesparenden Maßnahmen kosten nichts.“
Dr. Palm: Wir müssen zusammen klein anfangen. So wurden im Projekt KLIK green, Krankenhaus trifft Klimaschutz) vom Bund Mitarbeiter*innen von Kliniken zu Klima-Manager*innen ausgebildet. Sie
erlernten Maßnahmen, um klimaschädliche Emissionen der Kliniken zu reduzieren und
kehrten dann als Abgesandte und Multiplikator*innen in ihre Einrichtungen zurück.
Hier zeigten Studien, dass 30 Prozent der energiesparenden Maßnahmen nichts kosten,
wie etwa abends das Licht auszuschalten. 40 Prozent erfordern lediglich geringe Investitionen,
etwa Zeitschalter. Und diese 70 Prozent der Maßnahmen führen bereits zu einer Reduktion
der Emissionen um 40 Prozent! Die letzten 30 Prozent sind dann stark investive Maßnahmen,
etwa Sanierungen, Umbaumaßnahmen, Umstellung auf nachhaltige Energien.
Wir haben vorhin auch schon unseren Zehn-Punkte-Plan für die DRG erwähnt, der weit
über das klinische Setting hinausgeht. Darin thematisieren wir einen umweltschonenden
Umgang mit Dienstreisen beziehungsweise deren weitestmöglichen Ersatz durch Online-Veranstaltungen.
Wir schlagen papierlose Büros und Konferenzen vor. Auch unser Fachgesellschafts-Organ,
die RöFo, kann wahlweise digital bezogen werden. Beim Catering möchten wir saisonale
und regionale Kost bevorzugen und Einmalprodukte meiden. Auf der Agenda stehen auch
die nachhaltige Beschaffung von Geräten, die Wiederverwendung von Materialien, das
bevorzugte Nutzen nachhaltiger Werkstoffe und natürlich, wie gesagt, ein umfassender
Blick auf die Thematik.
Wie passen Ihre Maßnahmen zu den wirtschaftlichen Zielen der Kliniken? Die müssen
vermutlich versuchen, möglichst wenig Geld auszugeben und preiswert einzukaufen, um
in den aktuellen Bilanzen gute Zahlen schreiben zu können. Die Nachhaltigkeit wiederum,
die zahlt sich ja oft erst Jahre später aus.
Prof. Schreyer: Hier ist die Politik gefragt: Klimaschutz muss ein Ziel von Kliniken
und Verwaltungen werden. Da wird kein Weg daran vorbei gehen.
„Jede Klinik muss klimaneutral werden. Dazu gibt es keine Alternative.“
Dr. Palm: Die Ziele, die wir haben, sind nicht verhandelbar. Letztendlich ist klar,
dass wir alle klimaneutral werden müssen: Jedes Unternehmen muss klimaneutral werden,
jede Klinik muss klimaneutral werden. Dazu gibt es keine Alternative. Und ohne die
Förderung durch die Politik ist das ohnehin schon strapazierte Gesundheitssystem mit
dieser Aufgabe überfordert. Das heißt Industrie, Politik und auch das Gesundheitswesen,
die Kliniken, müssen hier zusammenarbeiten, um für diese Ziele einen gemeinsamen Lösungsweg
zu finden.
Bei der Nachhaltigkeit geht es letztendlich auch um eine breitere Öffentlichkeit,
eine allgemeine Awareness. Ist denn in diesem Zusammenhang angedacht, auch die Patient*innen
beim Energiesparen in der Radiologie einzubeziehen? Sollten Sie etwa erfahren, wie
groß der CO2-Fußbbdruck ihrer aktuellen MRT-Untersuchung ist?
Prof. Schreyer: Ich finde: Nein. Denn im Grunde würden wir damit bei einer Untersuchung,
die wir für medizinisch sinnvoll halten, die Patient*innen unnötig verunsichern. Es
sollte eigentlich unsere Aufgabe sein, uns Gedanken über die Notwendigkeit der Untersuchung
zu machen und den Patient*innen zu helfen. Was soll er damit anfangen, wenn wir ihm
sagen „Du musst jetzt eine Untersuchung machen, die aber schlecht für die Umwelt ist“?
Sie reden jetzt von den notwendigen, den medizinisch indizierten Untersuchungen. Aber
was ist etwa mit MRT-Screenings, die sich etwa Privatzahler wünschen, um sicher zu
sein, dass alles in Ordnung ist?
Dr. Palm: Ich denke, das ist eine schwierige Frage. Denn letztendlich spielt sie sich
auf 2 verschiedenen Ebenen ab. Zum einen kommen hier die persönlichen Bedürfnisse
der Patient*innen zum Tragen. Sie möchten natürlich so gesund wie möglich bleiben
und nehmen deshalb zum Beispiel Screeninguntersuchungen in Anspruch. Und das betrifft
jeden, das eigene Leben. Und die andere Frage ist, welche Folgen das für die Umwelt
hat.
Hier kommt die Verantwortung des Einzelnen gegenüber der Gesellschaft ins Spiel. Und
das ist ein schmaler Grat. Auf wie viel meines Wohls bin ich bereit zu verzichten
für das Wohlergehen aller? In jedem Fall sehe ich unsere Aufgabe weniger in der Frage
nach der Reduktion der Untersuchungszahlen, sondern primär darin, die Emissionen,
zum Beispiel durch die Optimierung der Geräte oder Workflows, zu verringern. Und all
das, was wir nicht auf null reduzieren können, sollten wir ausgleichen oder mit erneuerbaren
Energien betreiben.
Das ist sicherlich nicht immer einfach für Sie?
Dr. Palm: Wir müssen bei all diesen Vorhaben unseren Patient*innen auch weiterhin
eine maximale Versorgung bieten. Denn letztendlich leben wir heute so lang und oft
auch gesund, weil es diese medizinische Maximalversorgung gibt und weil die medizinische
Forschung vorangetrieben wird. Für uns Ärzt*innen sollte die bestmögliche medizinische
Versorgung weiterhin unsere oberste Prämisse bleiben – das schließt die Klimaneutralität
ja nicht aus.
„Eine qualitätsbasierte Vergütung würde die Zahl der Untersuchungen sinken lassen.“
Sehen Sie einen Interessenkonflikt darin, dass die Radiologie letztendlich davon lebt,
Bildgebung zu machen und andererseits unnötige Bildgebung einsparen möchte?
Prof. Schreyer: Nachdem die Zahlen jährlich steigen, steht das momentan nicht im Fokus.
Wir können ohnehin die Anforderungen nicht bedienen. Ich glaube eher, dass wir, wenn
wir uns gesundschrumpfen würden, bessere Qualität liefern könnten. Also ich sehe keinen
generellen Interessenkonflikt. Es ist ein Randproblem, sicherlich, aber kein allzu
großes Problem.
Dr. Palm: Ich denke, dass die Art und Weise, wie die Radiologie vergütet wird, problematisch
ist. Hier geht es nicht um die Qualität, etwa die Anzahl der MRT-Sequenzen, die gemacht
werden. Vielmehr zählt die Anzahl der Untersuchungen beziehungsweise die Anzahl an
Patient*innen. Das hat leider auch zur Folge, dass bestimmte Untersuchungen, die viel
Zeit beanspruchen, von ökonomieorientierten Praxen häufig abgelehnt werden, wie etwa
eine Ganzkörperuntersuchung bei Patient*innen mit multiplem Myelom. Eine qualitätsbasierte
Vergütung würde die Zahl der Untersuchungen möglicherweise sinken lassen. Und dann
würde vielleicht auch mehr Value Based untersucht werden.
„Wir müssen beim Energieverbrauch jetzt wirklich auf die Bremse treten.“
Gibt es Best Practice-Beispiele in Bezug auf Nachhaltigkeit, die Sie überzeugen?
Prof. Schreyer: Mich hat Tobias Heye aus Basel inspiriert. Er hat an seiner Uni zum
Thema energieeffizientere MRT- und CT-Techniken die Initiative ergriffen, den Status
quo erhoben und dann den nächsten Schritt gemacht. Dafür hat er mit der Gebäudetechnik zusammengearbeitet und Wärme, Technik und Klimatechnik
wurden optimiert. Das finde ich vorbildlich. Das ist genau das, was wir als Gruppe
eigentlich machen wollen. Im nächsten Schritt würde ich mir das auch für unsere Kliniken
wünschen.
Wenn Sie sich jetzt selbst auf einer Skala von 1 bis 10 verorten würden, was das Erreichen
der Klimaziele bis 2045 anbelangt, wo stehen Sie momentan? Hoffnungslos, das wäre
eine 1 und hoffnungsvoll, 10.
Prof. Schreyer: Ich bin ein unglaublicher Optimist und würde mich auf etwa 8 bis 9 einstufen.
Bis 2045 ist genug Zeit. Selbst wir haben an unserem Klinikum jetzt einen Gebäudetechniker
nur für Nachhaltigkeit. Die Maßnahmen müssen jedoch jetzt verankert, die Forderung
des 126. Deutschen Ärztetages (Anmerk. d. Redaktion: 24. bis 27.5.2022 in Bremen, Reduktion von CO2-Emissionen in der Patientenversorgung wurden angemahnt) umgesetzt werden.
Dr. Palm: Wir müssen beim Tempo auf jeden Fall anziehen. Das zeigen ja auch die weltweiten
Klimadaten. Ich sehe es noch kritisch aufgrund des bisherigen Verlaufs. Von 2020 bis
2021 haben wir weltweit nochmal 2 Milliarden an CO2-Emissionen zugelegt – anstatt dass wir hier heruntergegangen sind. Das heißt, ja,
ich persönlich bin auch optimistisch, würde mich vielleicht bei einer 7 einstufen.
Aber wir müssen jetzt beim Energieverbrauch wirklich auf die Bremse treten.
Vielen Dank Ihnen beiden für das Gespräch, Frau Dr. Palm und Herr Professor Schreyer.
Erfahren Sie mehr im vierten Teil des Jubiläumspodcasts „100 Jahre RöFo & DRG – Der
Jubiläumspodcast“. Sie finden ihn auf
www.thieme.de/roefo-podcast
. Oder scannen Sie einfach den QR-Code ein.
Abb. 4
Das Gespräch führte Dr. Adelheid Liebendörfer, Thieme Communications.
Zum Weiterlesen:
Zehn-Punkte-Plan für mehr „Nachhaltigkeit@DRG“, http://www.nachhaltigkeit.drg.de/de-DE/9233/zehn-punkte-plan
KLIK green, Krankenhaus trifft Klimaschutz, http://www.klik-krankenhaus.de
Heye, Tobias et al.: The Energy Consumption of Radiology: Energy- and Cost-saving
Opportunities for CT and MRI Operation March 2020, Radiology 295(3): 192084. DOI:10.1148/radiol.2020192;084
Silva, Carlos Francisco (Hrsg.): Value-based Radiology: A Practical Approach (Medical
Radiology), Springer; 1st ed. 2020 Edition
Rahmstorf, Stefan: Klima und Wetter bei 3 Grad mehr. Eine Erde, wie wir sie nicht
kennen (wollen), www.pik-potsdam.de/stefan/Publications/Klima%20und%20Wetter%20bei%203%20Grad%20mehr.pdf