Einleitung
In den letzten beiden Dekaden hat sich unser Leben durch technische Entwicklungen
so schnell gewandelt wie selten zuvor. Viele Bereiche unseres Alltags sind bereits
„digital transformiert“ und wir nutzen ganz selbstverständlich die daraus entstehenden
Möglichkeiten. Virtuelle Konferenzen, digitale Wohnungsbesichtigungen, Datenspeicherung
in „Clouds“ und omnipräsente Verfügbarkeit des globalen Wissens am eigenen Smartphone
haben unseren Umgang mit Wissen nachhaltig verändert.
Doch welchen Einfluss hat die Digitalisierung auf die Ultraschallausbildung? Haben
wir die Möglichkeiten der digitalen Wissensvermittlung in der Ultraschalllehre bereits
ausreichend genutzt? In diesem Editorial sollen die Facetten und Möglichkeiten digitaler
Wissensvermittlung im Ultraschall und die damit verbundenen Anforderungen an die Ultraschallfachgesellschaften
beleuchtet werden.
In den letzten beiden Jahren hat die pandemische Lage mit weitreichenden Kontaktbeschränkungen
traditionelle Formate der ärztlichen Aus- und Weiterbildung stark beeinträchtigt und
hierdurch die Entwicklung digitaler Lehrangebote beschleunigt. Dies hat insbesondere
Lehrverantwortliche und Ultraschall-Kursleiter vor die Herausforderung gestellt etablierte
Präsenzformate in kurzer Zeit mithilfe digitaler Werkzeuge in Hybrid- und Distanzangebote
umzuwandeln, um auch in Pandemiezeiten eine fundierte Ultraschallausbildung gewährleisten
zu können. Hieraus sind unterschiedliche Formate entstanden, die von klassischen Podcasts
mit simpler Tonspur bis hin zu völlig neuen, praxisorientierten Lehrkonzepte reichen.
Beispielhaft zu nennen sind Livedemonstrationen mit kameragestützter Visualisierung
der Schallkopfführung [1 ] und für Studierende der Einsatz von Virtual Reality Formaten mit Einblendung anatomischer
Strukturen in den Patientenkörper [2 ]. Diese z. T. komplexen digitalen Produktionen haben den Referierenden und auch den
Kursteilnehmern sowohl die Vorzüge als auch die technischen Herausforderungen der
neuen digitalen Angebote vor Augen geführt.
Ein wesentliches Merkmal dieser digitalen Ausbildungsformate tritt besonders hervor:
im Gegensatz zu Präsenzformaten kann eine breite Zuhörerschaft erreicht werden, sodass
bisher kleine Angebote in Seminargröße nun schnell hunderte Zuhörer in virtuellen
Konferenzräumen erreichen können.
Welche digitalen Wissensangebote stehen im Ultraschall bisher zu Verfügung und wie
kann eine Integration qualitativ hochwertiger digitaler Ausbildungsformate in bestehende
Kurssysteme funktionieren?
Überblick über digitale Ausbildungsformate
Analog zur Vielfalt klassischer Ultraschalllehrbücher, die sich mit unterschiedlichen
Konzepten sowohl an Einsteiger als auch an Ultraschallexperten richten und von didaktisch
aufwändig konzipierten Kursbüchern bis hin zu umfassenden Monographien reichen, präsentieren
sich auch die digitale Angebote in mannigfaltiger Vielfalt und Qualität. Zu Beginn
der Digitalisierung beschränkten sich die Angebote meist auf die Einbettung simpler
QR-Codes in bestehende Ultraschalllehrbücher oder die Beilage von Datenträgern mit
digitalem Bildmaterial [3 ]
[4 ]
[5 ]. Hierdurch konnten die klassischen Standbilder durch aussagekräftigere Videoclips
ergänzt werden und somit dem Anspruch einer dynamischen Untersuchungsmethode besser
Rechnung getragen werden. Ein weiterer Entwicklungsschub entstand durch die ubiquitäre
Verfügbarkeit moderner Endgeräte mit großem Datenspeicher und somit der Möglichkeit
umfangreiche Nachschlagewerke mit Einbindung effizienter Volltextsuchalgorithmen einem
großen Auditorium zugänglich zu machen [6 ]
[7 ]
[8 ]. Neben dieser inhaltlich meist identischen hybriden Nutzung klassischer Lehrbücher
sowohl in digitaler und auch in analoger Form haben sich in den letzten Jahren vermehrt
auch ausschließlich digital verfügbare Wissensdatenbanken mit zum Teil ebenfalls lehrbuchartigem
Charakter großer Beliebtheit erfreut [7 ]
[8 ], die in Zeiten zunehmender Arbeitsverdichtung im klinischen Alltag einen raschen
Zugriff auf medizinisches Fachwissen erlauben. Für die Qualität solcher Wissensportale
sind zwei Punkte wesentlich: (1) es bedarf einer fundierten fachlich-redaktionellen
Betreuung, nach Möglichkeit mit peer review Verfahren. (2) Ein professioneller Support
durch Grafiker und EDV-Spezialisten ist Voraussetzung um die Einbettung komplexer
multimedialer Inhalte zu ermöglichen und dadurch die Chancen digitaler Wissensvermittlung
umfänglich zu nutzen. Durch die SARS-Cov-2-Pandemie entstanden ein großer Bedarf und
Interesse an einer schnellen Vermittlung neuer diagnostischer Erkenntnisse. Zum Beispiel
wurden zahlreiche Studien zur Anwendung der Thoraxsonographie bei Covid-19-positiven
Patienten durchgeführt. Hieraus resultierten z. T. umfangreiche Lungensonographieprotokolle
[9 ]. Der Zugriff auf diese Protokolle gelang schnell über die Homepage der DEGUM [10 ] und wurde unmittelbar nach Veröffentlichung in bestehende Online-Lehrbücher integriert
und so einem breiten Publikum zugänglich gemacht werden [11 ]
[12 ].
Einen schnellen Zugriff auf Ultraschallpathologien ermöglichen durch klinisch tätige
Ultraschallexperten initiierte und ständig aktualisierte digitale Ultraschallbild-
und Videosammlungen [13 ]
[14 ]
[15 ]
[16 ]
[17 ]. Diese nicht kommerziellen und frei verfügbaren Ultraschallatlanten eignen sich
für die Einordnung eigener Ultraschallbefunde im klinischen Alltag oder auch für Ultraschallfortbildungen.
Daneben entwickeln sich in der Sonographie „Education-Plattformen“, die von der muskuloskelettalen
Sonographie über die Notfallsonographie bis hin zu Echokardiographie und zum Gefäßultraschall
fast alle klinisch relevanten Themenfelder umfassen und deren Zielgruppen teilweise
auch nichtärztliche Berufsgruppen (z. B. physician assistants) ansprechen wollen.
Einige Plattformen werden durch die Gerätehersteller moderner und kompakter Handheld-Geräten
vorgehalten und erinnern an umfangreiche und z. T. aufwendig produzierte „YouTube-Tutorials“
[18 ]. In einfacher, leicht verständlicher Art und Weise werden komplexe Untersuchungsschritte
durch multimedial aufwendig erstellte Tutorials gelehrt. Häufig werden hierzu Experten
auf den jeweiligen Gebieten aus der ganzen Welt angefragt und die Tutorials in englischer
Sprache aufgezeichnet [19 ]
[20 ]. Die kommerziellen Plattformen beinhalten jedoch in der Regel nur Bildmaterial zu
den eigenen Ultraschallgeräten und deren Ultraschallverfahren und sind somit nicht
Herstellerunabhängig. Insbesondere für die Ausbildung von Studierenden gibt es eine
Vielzahl von Lehrtutorials, die häufig durch einzelne Ultraschallinitiativen, Vereine
oder studentische Gruppen zunächst für kleinere Gruppen (lokale Universitäten, Ultraschallkurse)
konzipiert wurden und dann über Webseiten, YouTube oder ähnliche Multimediakanäle
weiterverbreitet werden [18 ]. Häufig handelt es sich hierbei um aufwändig erstelle Lehrinhalte, die auch von
jungen Weiterbildungsassistenten genutzt werden. Neben diesen in der Regel auf einzelne
Themen fokussierte Lehrinhalte stehen mittlerweile auch vollständige Kursangebote
in digitalen Formaten als zeitlich und örtlich unabhängiges Angebot zu Verfügung [11 ]
[21 ]. Diese Kurskonzepte sind in der Regel jedoch nicht durch Fachgesellschaften oder
Berufsverbände zertifizierungsfähig und beinhalten meist keine praktischen Übungsanteile.
Es ist daher umstritten, inwieweit solche Angebote zu einer strukturierten und fachlich
qualifizierten Ultraschalllehre beitragen können. Um den fehlenden Praxisanteil zu
kompensieren, werden einige dieser Onlinekursangebote mittlerweile durch lokale Präsenzveranstaltungen
in Kleingruppen ergänzt [22 ]
[23 ]. Auch ein „praktisches“ Training am heimischen Computer ist durch Simulator-basierte
Anwendungen, die häufig Smartphone-basiert arbeiten, in Zukunft denkbar und bzw. wird
bereits eingesetzt [24 ]. Die Weiter- und Fortbildung in der Ultraschalldiagnostik erfolgt auch über internationale
wissenschaftliche Konferenzen oder im Rahmen von Initiativen der Entwicklungshilfe.
Auch hierbei ist die digital unterstützte Meeting- und Ausbildungskultur wertvoll.
Zusätzlich können erhebliche zeitliche, finanzielle und nicht zuletzt ökologische
Ressourcen eingespart werden. Gerade in der Entwicklungshilfe kann hierdurch eine
kontinuierliche und anhaltende Unterstützung und Supervision erfolgen [25 ]. Auch die telemedizinische Betreuung, insbesondere zu Ausbildungszwecken, kann neue
spannende Perspektiven eröffnen [26 ]
[27 ].
Bei allen positiven Bestrebungen einer digitalen Ultraschallausbildung bleibt das
Dilemma einer zwingend notwendigen praxisorientierten Ausbildungskomponente. Gerade
das strukturierte Erlernen praktischer Abläufe und des Schallkopfhandlings und die
unmittelbare Supervision und Interaktion durch den erfahrenen Ausbilder lassen sich
bisher nur bedingt virtuell realisieren. Die bisherigen Zertifizierungsanforderungen
der Ultraschallfachgesellschaften fordern zu Recht einen hohen Anteil an praktischer
Ausbildung in Kleingruppen durch qualifizierte Tutoren. Die Integration praktischer
Wissensvermittlung in digitale Lehrformate muss deshalb von Anfang an mit bedacht
werden. Nur so kann die dringend erforderliche Zertifizierung digitaler Kursangebote
durch Ultraschallfachgesellschaften ermöglicht werden, um auch zukünftig die hohen
Qualitätsansprüchen gerecht werden zu können. In den zurückliegenden Jahren wurden
deshalb Konzepte erprobt um auch praktische Skills „in der virtuellen Welt“ anbieten
zu können. Die Vorschläge und Angebote reichen von Smartphone-basierten Ultraschallsimulationen
[28 ]
[29 ] über kostengünstige technische Möglichkeiten mit einem an einem Computer anschließbaren
„Übungsschallkopf“ zum Training des Schallkopfhandlings [30 ] bis hin zu aufwendigen Simulatoren, die sogar eine Einblendung anatomischer Leitstrukturen
in digitale Ultraschallvolumina basierend auf virtual-reality Anwendungen ermöglichen
[2 ]
[31 ].
Vorschlag zur Integration digitaler Lehrinhalte in die sonographische Aus- und Weiterbildung
Digitale Angebote gibt es bereits in großer Vielfalt und das Angebot wächst nahezu
täglich. [Abb. 1 ] zeigt exemplarisch einen Überblick über verschiedene Konzepte. Bisher erfolgt keine
zentrale Registrierung der Formate z. B. durch Ultraschallfachgesellschaften, wie
dies bei DEGUM-zertifizierten Kursangeboten in Präsenzform bisher üblich ist. Aufgabe
der wissenschaftlichen Ultraschallfachgesellschaften muss es sein, diese Vielfalt
an digitalen Ultraschalllehrangeboten einzuordnen und in Anlehnung an das etablierte
Zertifizierungssystem für Präsenzkurse Standards für Qualität und Inhalte zu definieren
[32 ]. Die klinische Sonographie ist eine intellektuell anspruchsvolle Kombination aus
theoretischem Wissen mit fundierten praktischen Fertigkeiten und klinischem Denken
in direkter Interaktion mit dem Patienten. Die hierfür benötigten Kompetenzen können
durch gut strukturierte Ultraschallkurse vermittelt werden. Ausschließlich digitale
Lehrangebote, aber auch die Aneinanderreihung von Frontalvorträgen werden diesem Anspruch
nicht gerecht. Es ist eine Verknüpfung verschiedener didaktischer Lehrkonzepte notwendig,
die an den jeweiligen Kenntnisstand der Teilnehmer angepasst werden sollten. Für Anfänger
steht das Erlernen praktischer Fertigkeiten im Vordergrund, wohingegen für Experten
eine Fokussierung auf komplexen pathologischen Veränderungen und deren Differenzialdiagnose
relevant ist. [Abb. 2 ] soll Vorschläge und Denkanreize zur Integration digitaler Inhalte in die sonographische
Aus- und Weiterbildung liefern. Abhängig vom Wissen- und Ausbildungstand müssen unterschiedliche
Inhalte und Fertigkeiten trainiert werden. Insbesondere theoretische Inhalte können
bereits vor Beginn der Präsenzveranstaltung in digitaler Form vermittelt werden und
zum Beispiel in Form von Antestaten vor Kursbeginn online überprüft werden.
Abb. 1 Exemplarische Übersicht digitaler Ausbildungsformate im Ultraschall. Source: 123Sonography
GmbH; Amboss GmbH; Deepscope; © 2022 Scanbooster UG (haftungsbeschränkt), www.scanbooster.com – Scanbooster® is a registered trademark in Germany; Used with permission. Copyright 2022 SonoSim,
Inc; Ultraschall Klinikum Erlangen; Sonokurs Gießen; Dr. med. Valentin Blank.
Abb. 2 Vorschlag zur Integration digitaler Lehrkonzepte in die Aus- und Weiterbildung. Orange = Theoretische
Gundlagen (digital); grün = praktische Übungen (Präsenzformat/Supervision); blau = Überprüfung
der Handlungskompetenz (Präsenzformat). IUS = interventional ultrasound; CEUS = contrast
enhanced ultrasound.
Zusammenfassung
Der Bedarf strukturierter Ultraschallausbildung ist weiterhin sehr hoch und übersteigt
aktuell das Angebot an Präsenzkursen deutlich. Die Situation hat sich durch das reduzierte
Kursangebot während der Covid-Pandemie nochmals zugespitzt. Durch ergänzende digitale
Formate können die Angebote erweitert und einer höheren Teilnehmerzahl angeboten werden.
Für eine gleichbleibend hohe Qualität der strukturierten Aus- und Weiterbildung müssen
jedoch diese Inhalte durch Fachgesellschaften bewertet und zertifiziert werden. Eine
Diskussion über die Integration vorhandener Onlineangebote durch die DEGUM und die
Entwicklung zertifizierter Kursformate sind dringend notwendig.