Als ich während des Lockdowns alleine und müde nach der Arbeit im Zug saß, las ich
überall Berichte über die wertvolle Arbeit der Pflege, der Physiotherapeut*innen und
der Hebammen. „Nur wir Ergos werden mal wieder nicht erwähnt“, dachte ich frustriert.
Um mich abzulenken, blätterte ich in der Zeitschrift ergopraxis. Da stach mir der
Artikel „Unterschätze niemals die Kraft einer guten Geschichte“ ins Auge (ERGOPRAXIS
4/20, S. 40).
Hochmotiviert telefonierte ich mit Angela Nacke, einer pensionierten, erfolgreichen
Ergotherapeutin und Unternehmerin. Gemeinsam wollten wir das in dem Artikel vorgestellte
Projekt aus Großbritannien auch in der Schweiz umsetzen mit dem Ziel, die Ergotherapie
bekannter zu machen, unsere Berufsidentität zu stärken und dem zunehmenden Fachkräftemangel
entgegenzuwirken. Schließlich erleben wir im Alltag so viele Erfolgsgeschichten mit
Klient*innen – davon sollen Gesellschaft und Politik erfahren. Gesagt, getan: Wir
starteten das Projekt „ergostories“, um unseren Erfolgsgeschichten eine Plattform
zu bieten.
Britisches Vorbild
Grundlage waren zwei Kampagnen des britischen Ergotherapieverbands: Mit „Occupational
Therapy: Improving Lives, Saving Money“ und „Small Change, Big Impact“ zeigten die
britischen Ergothera-peut*innen der Öffentlichkeit, wer sie sind, was sie machen und
dass die Profession für die Gesundheitsversorgung unentbehrlich ist. Im Sinne von
„Unterschätze niemals die Kraft einer guten Geschichte“ nutzten sie das Storytelling
als Kommunikationsmittel und berichteten von echten Erfolgsgeschichten der Ergotherapie
[1].
Dem Fachkräftemangel entgegenwirken
Dem Fachkräftemangel entgegenwirken
Der Bedarf an Fachkräften in den Gesundheitsberufen wird stetig steigen [2]. Für die Ergotherapie entsteht eine prognostizierte Erhöhung des Bedarfs von 49
Prozent in der Deutschschweiz, wenn man sowohl die Bevölkerungsentwicklung als auch
ein Wachstum der Inanspruchnahme berücksichtigt [2]. Die Ergotherapie in der Schweiz sieht sich mit einem Fachkräftemangel konfrontiert,
der sich in den nächsten Jahren noch verschärfen dürfte [3]. Die Förderung des Berufsverbleibs der aktuell tätigen Ergotherapeut*innen ist eine
Möglichkeit, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken [2]. Ein Faktor, der das Verbleiben beeinflussen kann, ist unsere Berufsidentität [4], [5]. Diese klar zu entwickeln und selbstbewusst nach außen zu vertreten ist jedoch etwas,
womit sich die Ergotherapie seit ihrer Entstehung schwertut. Auf der individuellen
Ebene kann eine geschwächte Berufsidentität zu Berufsunzufriedenheit führen und das
Krankheitsrisiko einer Person erhöhen [6].
Storytelling als Medium
Eine lebendig erzählte Geschichte gewinnt die Aufmerksamkeit anderer Menschen leichter
als eine logisch-sachliche Darlegung von Fakten. Deswegen wird Storytelling seit Jahrtausenden
in vielen Kulturen zur Weitergabe von komplexem Wissen angewandt. Storytelling ist
eine Erzählmethode, mit der man Wissen in Form von Geschichten weitergibt. Seit dem
späten 20. Jahrhundert wird die Rolle von Storytelling im Bereich Gesundheit und Medizin
zunehmend reflektiert [7]–[9]. Geschichten, die innerhalb einer Profession erzählt werden, sind für die Kultur
und die Identität der Professionsangehörigen prägend [10]. Auf individueller Ebene sind Geschichten dazu da, Emotionen sowie das Nachdenken
über zentrale Aspekte des Lebens anzuregen. Durch das Berichten erfreulicher Geschichten
aus der Therapie kann das Wohlbefinden von Ergotherapeut*innen gesteigert werden [11].
Bewegende Erfolgsgeschichten
Bewegende Erfolgsgeschichten
Darum startete ich zusammen mit Angela Nacke das Projekt „ergostories – bewegende
Erfolgsgeschichten” während des Lockdowns 2020. Basierend auf dem Projekt aus England
möchten wir dazu beitragen, Ergotherapeut*innen in ihrer Berufsidentität und ihrer
Berufszufriedenheit zu stärken, um so dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Gleichzeitig
wollen wir den Beruf in der Gesellschaft bekannter machen und zeigen, dass Ergotherapie
wertvoll für die Gesundheitsversorgung ist. Dazu möchten wir das Erzählen und Schreiben
von Erfolgsgeschichten in der Schweiz, in Österreich und in Deutschland fördern. Eindrucksvolle
Erfolgsgeschichten können wiederum andere Ergotherapeut*innen motivieren und inspirieren
sowie Gesellschaft und Politik die Potenziale der Ergotherapie aufzeigen.
Entwicklung des Projekts
Mit einer großzügigen Unterstützung der Stiftung für Ergotherapie (www.ergo-stiftung.ch) haben wir eine Homepage für Erfolgsgeschichten erstellt: www.ergostories.ch. In
Workshops schulen wir Ergotherapeut*innen im wirkungsvollen Erzählen ihrer Geschichten,
was für alle Teilnehmenden identitätsstärkend ist. Fördergelder der Schweizer Agentur
für Innovationsförderung Innosuisse halfen uns, ein Literaturreview und eine Evaluation
der Workshops von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften erstellen zu
lassen. Das Literaturreview wurde im September 2022 in der ergoscience publiziert
[12]. Unterdessen entstanden an der ZHAW zwei Bachelorarbeiten zum Projekt [13], [14]. Außerdem haben wir einen Verein gegründet und zwei weitere Ergotherapeutinnen für
die aktive Mitarbeit gewonnen. Als Nächstes steht der Aufbau von Social Media an.
Blick in die Zukunft
In den letzten zweieinhalb Jahren ist viel entstanden. Erfolgsgeschichten können uns
helfen, die Berufsidentität sowie die öffentliche Wertschätzung und Anerkennung der
Ergotherapie zu stärken. Um dieses Ziel zu erreichen, brauchen wir viele Ergotherapeut*innen,
die ihre Erfolge teilen. Welche erfreuliche Geschichte haben Sie in letzter Zeit erlebt?
Erzählen Sie davon unter www.ergostories.ch!
Barbara Aegler
Fallbeispiel – Eine Erfolgsgeschichte
Fallbeispiel – Eine Erfolgsgeschichte
Herausforderung: Ein 27-jähriger Automechaniker hatte sich vor neun Jahren eine Fraktur seiner Mittelhandknochen
zugezogen. Es folgten viele Operationen und Schmerzen in Hand, Schultern, Knie und
Rücken. Dass er all die Jahre nicht arbeiten konnte, frustrierte ihn sehr. Seine Rechtschutzversicherung
schickte ihn vorbereitend auf eine Umschulung zur Ergotherapie.
Veränderung: In der Ergotherapie arbeiten wir z. B. mit Pacing, Instruktion von selbstständigem
Krafttraining, ergonomischer Arbeitsplatzeinrichtung und Selbstwirksamkeitstraining.
Wirkung: 10 Monate später glaubt er daran, die Büro-Umschulung zu packen. Seine Schmerzen
sind fast alle weg. Er trainiert alleine weiter, um auch die Schmerzen in der Hand
in den Griff zu bekommen.
Podcast – Ein Erfolgsprojekt
Podcast – Ein Erfolgsprojekt
Bei „Performance Skills“ sprechen Barbara Aegler und Céline Delmée über das Projekt
ergostories und was sie damit erreichen wollen: ein Wir-Gefühl erzeugen, die Berufsidentität
stärken und mehr Motivation für Ergos und Klient*innen. Einfach QR-Code scannen und
reinhören!