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DOI: 10.1055/a-1934-8303
Tuberkulose im Erwachsenenalter
Eine S2k-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie, Chemoprävention und Chemoprophylaxe der Tuberkulose im Erwachsenenalter des Deutschen Zentralkomitees zur Bekämpfung der Tuberkulose e. V. (DZK) und der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin e. V. (DGP)[*] Tuberculosis in adulthoodThe Sk2-Guideline of the German Central Committee against Tuberculosis (DZK) and the German Respiratory Society (DGP) for the diagnosis and treatment of adult tuberculosis patients- Zusammenfassung
- Abstract
- Zusammensetzung der Leitliniengruppe
- Beteiligte Fachgesellschaften und Organisationen
- Patientenbeteiligung
- Danksagungen
- Zielsetzung, Adressaten und Methodik
- Finanzierung der Leitlinie
- 1 Einleitung und Diagnosestellung
- 2 Labordiagnostik der Tuberkulose
- 3 Standardtherapie der medikamentensensiblen Tuberkulose
- 4 Therapie bei Unverträglichkeiten oder bei Resistenzen gegen Medikamente der Standardtherapie
- 5 HIV-Infektion und Tuberkulose
- 5.2 Therapie der medikamentensensiblen Tuberkulose bei HIV-Infektion
- 6 Therapeutisches Medikamentenmanagement
- 7 Versorgungsaspekte der Tuberkulose und supportive Therapie
- 8 Diagnose und präventive Therapie bei einer latenten tuberkulösen Infektion (LTBI)
- 9 Medikamente zur Behandlung der Tuberkulose
- Literatur
Zusammenfassung
Die Tuberkulose ist in Deutschland eine seltene, überwiegend gut behandelbare Erkrankung. Weltweit ist sie eine der häufigsten Infektionserkrankungen mit ca. 10 Millionen Neuerkrankungen/Jahr. Auch bei einer niedrigen Inzidenz in Deutschland bleibt Tuberkulose insbesondere aufgrund der internationalen Entwicklungen und Migrationsbewegungen eine wichtige Differenzialdiagnose. In Deutschland besteht, aufgrund der niedrigen Prävalenz der Erkrankung und der damit verbundenen abnehmenden klinischen Erfahrung, ein Informationsbedarf zu allen Aspekten der Tuberkulose und ihrer Kontrolle. Diese Leitlinie umfasst die mikrobiologische Diagnostik, die Grundprinzipien der Standardtherapie, die Behandlung verschiedener Organmanifestationen, den Umgang mit typischen unerwünschten Arzneimittelwirkungen, die Besonderheiten in der Diagnostik und Therapie resistenter Tuberkulose sowie die Behandlung bei TB-HIV-Koinfektion. Sie geht darüber hinaus auf Versorgungsaspekte und gesetzliche Regelungen wie auch auf die Diagnosestellung und präventive Therapie einer latenten tuberkulösen Infektion ein. Es wird ausgeführt, wann es der Behandlung durch spezialisierte Zentren bedarf.
Die Aktualisierung der S2k-Leitlinie „Tuberkulose im Erwachsenenalter“ soll allen in der Tuberkuloseversorgung Tätigen als Richtschnur für die Prävention, die Diagnose und die Therapie der Tuberkulose dienen und helfen, den heutigen Herausforderungen im Umgang mit Tuberkulose in Deutschland gewachsen zu sein.
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Abstract
In Germany tuberculosis is a rare disease and usually well treatable. Worldwide it is one of the most common infectious diseases with approximately 10 million new cases every year.
Even with low incidences in Germany, tuberculosis is an important differential diagnosis especially due to international developments and migration movements. With a decreasing experience there’s a continuous demand on accurate and up-to-date information. This guideline covers all aspects of microbiological diagnostics, basic principles of standard therapy, treatment of extrapulmonary tuberculosis, management of side effects, special features of diagnosis and treatment of resistant tuberculosis, and treatment in TB-HIV coinfection. Also, it explains when treatment in specialized centers is required, aspects of care and legal regulations and the diagnosis and preventive therapy of latent tuberculosis infection.
The update of the S2k guideline “Tuberculosis in Adults” is intended to serve as a guideline for prevention, diagnosis, and treatment of tuberculosis for all those involved in tuberculosis care and to help meet the current challenges in dealing with tuberculosis in Germany.
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Im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin e. V. (DGP)
Robert-Koch-Platz 9
10115 Berlin
Phone: +49-30-29 36 27 0
info@pneumologie.de
Zusammensetzung der Leitliniengruppe
Leitlinienkoordination/Leitliniensekretariat:
DZK – Deutsches Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose e. V.
Walterhöferstr. 11, Haus Q
14165 Berlin
Tel.: +49-30-81 49 09 22
info@dzk-tuberkulose.de
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Beteiligte Fachgesellschaften und Organisationen
Mitglieder der Leitliniengruppe/Mandatsträger und Mandatsträgerinnen der jeweiligen Fachgesellschaften für den gesamten Leitlinienprozess in alphabetischer Reihenfolge:
Leitlinienautorinnen und Autoren |
Fachgesellschaft/Organisation |
Prof. Dr. T. Bauer |
Deutsches Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose e. V. (DZK) |
Dr. F. Brinkmann |
Gesellschaft für pädiatrische Pneumologie e. V. (GPP) |
Dr. C. Feiterna-Sperling |
Deutsche Gesellschaft für pädiatrische Infektiologie e. V. (DPGI) |
Dr. H. Geerdes-Fenge |
Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin e. V. (DGP) |
Prof. Dr. P. Hartmann |
Deutsche Gesellschaft für Infektiologie e. V. (DGI) |
Dr. B. Häcker |
Deutsches Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose e. V. (DZK) |
Dr. B. Hauer |
Robert Koch-Institut (RKI) |
Prof. Dr. W. Haas |
Robert Koch-Institut (RKI) |
Prof. Dr. J. Heyckendorf |
Deutsches Zentrum für Infektionsforschung e. V. (DZIF) |
Prof. Dr. Dr. h. c. C. Lange |
Deutsches Zentrum für Infektionsforschung e. V. (DZIF) |
Prof. Dr. F.P. Maurer |
Deutsche Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie e. V. (DGHM) |
Prof. Dr. A. Nienhaus |
Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e. V. (DGUV) |
Dr. R. Otto-Knapp |
Deutsches Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose e. V. (DZK) |
Dr. M. Priwitzer |
Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes e. V. (BVÖGD) |
PD Dr. E. Richter |
Deutsche Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie e. V. (DGHM) |
Dr. H. J.F. Salzer |
Österreichische Gesellschaft für Pneumologie (ÖGP) |
Prof. Dr. O.D. Schoch |
Schweizerische Gesellschaft für Pneumologie (SGP) |
Prof. Dr. T. Schaberg |
Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin e. V. (DGP) |
Dr. N. Schönfeld |
Verband pneumologischer Kliniken e. V. (VPK) |
Prof. Dr. R. Stahlmann |
Deutsche Gesellschaft für experimentelle und klinische Pharmakologie und Toxikologie e. V. (DGPT) |
Weitere Teilnehmende |
Organisation, Funktion |
Dr. M. Nothacker |
Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF), Moderation und methodische Beratung |
C. Trost |
Deutsches Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose e. V. (DZK), Leitlinienkoordination |
Punktuell oder abschließend beratend tätig waren folgende Fachgesellschaften mit Vertretung durch:
-
Deutsche AIDS Gesellschaft e. V. (DAIG) – PD Dr. med. C. Boesecke, Bonn
-
Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie e. V. (DGHNOKHC) – PD Dr. med. A. Koch, Luxemburg
-
Deutsche Gesellschaft für Thoraxchirurgie e. V. (DGT) – Dr. med. P. Schneider, Berlin
-
Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie e. V. (DGRh) – Prof. Dr. med. C. Kneitz, Rostock
-
Deutsche Gesellschaft für Urologie e. V. (DGU) – Prof. Dr. med. G. Bonkat, Basel, Schweiz
-
Deutsche Dermatologische Gesellschaft e. V. (DDG) – Prof. Dr. M. Fabri, Köln
-
Deutsche Arbeitsgemeinschaft niedergelassener Ärzte in der Versorgung HIV-Infizierter e. V. (Dagnä) – PD Dr. med. M. Bickel, Frankfurt/Main
-
Deutsche Röntgengesellschaft e. V. (DRG) – Prof. Dr. med. C. P. Heußel, Heidelberg
-
Deutsche Gesellschaft für Neurologie e. V. (DGN) – PD Dr. med. A. Spreer, Braunschweig
-
Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft e. V. (DOG) – Prof. Dr. R. Grajewski, Köln
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Patientenbeteiligung
Es konnte keine Patientenorganisation in Deutschland gefunden werden, die die Interessen der sehr heterogenen Gruppe der Tuberkulosepatientinnen und -patienten in Deutschland vertritt. Die Leitliniengruppe hat sich bemüht, alle Patientenrechte zur berücksichtigen. Da es sich bei der Tuberkulose um eine Erkrankung handelt, die dem Infektionsschutzgesetz unterliegt, können dadurch Individualrechte eingeschränkt werden.
Abkürzungen
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Danksagungen
Wir danken Professor Jan-Wilhem Alffenaar für den fachlichen Input für das Kapitel Therapeutisches Drug-Monitoring; Dr. Basel Karo, PD Dr. Markus Bickel und PD Dr. Christoph Boesecke für die Ergänzungen zum Thema HIV-Koinfektion und Dr. Ulrike Wolf für die Anmerkungen zu LTBI bei beruflich exponierten Personen. Dr. Katharina Starzacher und Vanessa Igbokwe danken wir für das genaue Korrekturlesen und die redaktionelle Unterstützung und ganz besonders Christine Trost für die Leitlinienkoordination und Organisation der Leitlinientreffen. Dem Team von „Leila“ sei gedankt für die didaktischen Hinweise für das Leitlinienupdate und für die Onlineaufbereitung der Leitlinie und Frau Dr. Monika Nothacker, AWMF, für die Beratung zur Methodik der Leitlinienüberarbeitung. Allen Beteiligten danken wir herzlich für ihren Einsatz trotz Pandemiezeiten.
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Zielsetzung, Adressaten und Methodik
Ziel der überarbeiteten Leitlinie ist es, den aktuellen Wissensstand zu Diagnose und Therapie der Tuberkulose für Deutschland darzustellen. Sie richtet sich an alle in der Prävention, Diagnostik und Behandlung der Tuberkulose tätigen Ärztinnen, Ärzte und weiteren medizinischen Berufsgruppen und dient als Informationsquelle für den stationären sowie ambulanten Bereich. Die Empfehlungen gelten für erwachsene Patientinnen und Patienten mit Tuberkulose oder latenter tuberkulöser Infektion. Für die Tuberkulose im Kindesalter verweisen wir auf die entsprechende Leitlinie. Die Aktualisierung der Leitlinie richtete sich nach der Systematik und den Richtlinien der Arbeitsgemeinschaft für wissenschaftliches Arbeiten (AWMF, http://www.awmf.org/leitlinien/awmf-regelwerk.html) und erfolgte durch eine strukturierte Konsensfindung. Die Umsetzung wurde durch das Deutsche Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose (DZK) unter Beteiligung von Expertinnen und Experten der für die Tuberkulose relevanten Fachgesellschaften und Institutionen realisiert. Bei der Aktualisierung wurde die Leitliniengruppe durch Fr. Dr. M. Nothacker, AWMF, methodisch begleitet und der strukturierte Konsensprozess darüber hinaus unabhängig moderiert.
Die Zusammensetzung der Leitliniengruppe orientierte sich dabei an der Zusammenstellung der Autorinnen und Autoren der vorherigen Leitlinienversion. Da es sich um eine S2k-Leitlinie handelt, fanden keine systematische Literaturrecherche und Evidenzbewertung statt. Berücksichtigt wurden u. a. die aktuellen Empfehlungen des DZK, der Weltgesundheitsorganisation (WHO), der American Thoracic Society (ATS), der European Respiratory Society (ERS), der Centers for Disease Control and Prevention (CDC), des National Institute for Care and Clinical Excellence (NICE), der Mikrobiologisch-infektiologischen Qualitätsstandards (MiQ) sowie die Empfehlungen der Schweizer Lungenliga (www.tbinfo.ch). Die beteiligten Mandatsträger und Mandatsträgerinnen wurden in der konstituierenden, virtuellen Leitliniensitzung in sieben Arbeitsgruppen eingeteilt. Diese überarbeiteten die Kapitel der Leitlinie und gaben Vorschläge für weitere Empfehlungen ab. Diese wurden der gesamten Leitliniengruppe zur Kommentierung zur Verfügung gestellt. Die Empfehlungen wurden online kommentiert und abgestimmt. In den virtuell durchgeführten Leitliniensitzungen wurden geänderte Textabschnitte, Empfehlungen und Empfehlungsstärken unter Hinzunahme der Delphi-Technik konsentiert. Die Empfehlungsstärken wurden wie folgt festgelegt:
-
Starke Empfehlung: „soll“ oder „soll nicht“ (+ + oder – –)
-
Empfehlung: „sollte“ oder „sollte nicht“ (+ oder –)
-
Schwache Empfehlung: „kann erwogen werden“ oder „kann verzichtet werden“ (+/–)
Als Besonderheit der Leitlinie wurde in Einzelfällen auch die Empfehlung „müssen“ verwendet. Dies gilt im Rahmen gesetzlich vorgeschriebener Pflichten und bei spezifischen Laborvorgaben oder -Anforderungen.
Es wurde die Mindestzahl abstimmender Mandatsträger von > 75 % eingehalten. Bewusste Enthaltungen oder Fehlen von Mandatsträgern bei der Abstimmung wurden bei der Berechnung der Konsensstärke im Nenner nicht berücksichtigt. Bei den Empfehlungen von Kapiteln, bei denen potenzielle Interessenskonflikte angegeben wurden, erfolgte eine Doppelabstimmung. Dies heißt, die Abstimmung erfolgte einmal ohne und einmal mit den entsprechenden Mandatsträgern, die einen potenziellen Interessenkonflikt aufwiesen. Die beiden Ergebnisse wurden jeweils separat notiert. Die Konsensstärke der Empfehlungen wird wie folgt unter Angabe der Zustimmenden/Abstimmenden angegeben:
-
Starker Konsens > 95 % der Stimmberechtigten
-
Konsens > 75–95 % der Stimmberechtigten
-
Mehrheitliche Zustimmung > 50–75 % der Stimmberechtigten
In der App-Version wird die Konsensstärke als absolute Prozentzahl angegeben.
Nach Fertigstellung des überarbeiteten Manuskriptes wurde dieses allen beteiligten Fachgesellschaften und Institutionen zur Verabschiedung vorgelegt und eine Frist von 4 Wochen zur Kommentierung eingeräumt. Alle Korrekturen und Anpassungen wurden geprüft, eingearbeitet und wenn diese inhaltlicher Natur waren, mit allen Leitlinienmitgliedern abgestimmt.
Die Gültigkeit der Leitlinie beträgt fünf Jahre. Bei vorzeitigem, dringendem Änderungs- oder Aktualisierungsbedarf werden diese ggf. gesondert publiziert und durch das Leitliniensekretariat kommuniziert.
Alle möglichen Interessenskonflikte wurden vor Beginn der Leitlinienüberarbeitung online erhoben und durch das Leitliniensekretariat mithilfe der AWMF bewertet. Als protektive Faktoren gegen potenzielle Interessenkonflikte werden neben den oben genannten Doppelabstimmungen die Diskussion und der offene Umgang mit potenziellen Interessen, die multidisziplinäre Zusammensetzung der Leitliniengruppe sowie die strukturierte Konsensfindung unter AWMF-Moderation gewertet. Weitere Informationen zu Methodik und Interessenkonflikten finden Sie auf den Seiten der AWMF.
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Finanzierung der Leitlinie
Die Aktualisierung der Leitlinie Tuberkulose im Erwachsenenalter wurde durch die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DPG e. V.) beauftragt und in den Jahren 2020 und 2021 mit je 20.000 Euro unterstützt. Die Arbeit der Autorinnen und Autoren erfolgte vollständig ehrenamtlich.
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1 Einleitung und Diagnosestellung
1.1 Präambel
Die internationalen Empfehlungen für die Diagnostik und Therapie der Tuberkulose sind einem raschen Wandel unterworfen. Es ist zu erwarten, dass die Therapieempfehlungen dieser Leitlinie bereits in naher Zukunft aktualisiert werden müssen. Bei vorzeitigem Aktualisierungsbedarf werden diese gesondert publiziert und über die DZK-Internetseite (https://www.dzk-tuberkulose.de) als koordinierende Organisation und im DZK-Newsletter zusammengefasst.
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1.2 Anamnese und Diagnostik bei der Verdachtsdiagnose Tuberkulose
1.2.1 Grundprinzipien der Tuberkulosediagnostik und Therapieplanung
Vor der Therapieeinleitung sind eine Reihe von grundsätzlichen Gesichtspunkten zu beachten. Diese sind nachfolgend dargestellt:
Sorgfältige Anamneseerhebung zu
-
Tuberkulosevorerkrankung
-
Tuberkulosevorbehandlung (verwendete Medikamente, Dauer, Ergebnis)
-
Kontakt zu Tuberkulosekranken
-
Begleiterkrankungen
-
Immunsuppression durch Medikamente oder weitere Erkrankungen
-
Begleitmedikation
-
Alkohol- und Drogenanamnese
-
Risikofaktoren für das Vorliegen einer resistenten Tuberkulose (Herkunft, Vorbehandlung, Kontakt zu resistentem Tuberkulosefall oder zu Risikogruppen)
Diagnostik
-
Bakteriologische Diagnostikmöglichkeiten ausschöpfen; auch molekularbiologische Verfahren zur Resistenzbestimmung nutzen
-
Immer kulturelle Sicherung mit phänotypischer Resistenztestung anstreben
-
Organbezogene Bildgebung (Röntgenuntersuchung des Thorax, ggf. CT Thorax; bei extrapulmonaler Tuberkulose Sonographie, CT, MRT, PET/CT erwägen)
-
Standardlaboruntersuchungen einschließlich Blutbild, Leber- und Nierenfunktionswerten
-
HIV-Testung und Hepatitisserologie anbieten
Therapieplanung
-
Interaktionen und potentielle unerwünschte Wirkungen der Tuberkulose-Medikamente berücksichtigen (siehe Kapitel Therapeutisches Medikamentenmanagement)
-
Nutzung von länderspezifischen Informationen zur Resistenzsituation, z. B. von WHO oder ECDC
-
Therapieplanung durch oder unter Begleitung einer/eines in der Tuberkulose-Therapie erfahrenen Ärztin/Arztes/Zentrums
-
Einschätzung der Mitarbeit der/des Erkrankten (direkt überwachte oder unterstützte Therapie indiziert? siehe Kapitel Therapieadhärenz und direkt überwachte Behandlung [DOT])
-
Sorgfältige Aufklärung der Erkrankten, ggf. unter Nutzung fremdsprachlichen schriftlichen (z. B. DZK-Infomaterial) oder audiovisuellen Materials (z. B. ExplainTB), Sprachmittler; Ansprechbarkeit auch unter Therapie
-
Sorgfältige Dokumentation der Therapie und des Verlaufs (z. B. DZK-Therapiepass)
-
Einsatz von fixen Medikamenten-Kombinationen prüfen (in Deutschland nicht verfügbar).
-
Kommunikation mit dem zuständigen Gesundheitsamt: Meldepflicht (Erkrankung, Therapieabbruch und -verweigerung, Tod); Information über Entlassung aus dem Krankenhaus; Unterstützung bei der Ermittlung von Kontaktpersonen; Mitteilung der Resistenz- und Therapieergebnisse; Information über relevante Änderungen (z. B. Wegzug, mangelnde Mitarbeit etc.); Absprache bei überwachter Therapie; Sicherung der Weiterbehandlung nach Wegzug.
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1.2.2 Aufklärung vor Therapieeinleitung und Dokumentation
Zu Beginn einer antituberkulösen Therapie sind die Tuberkuloseerkrankten und ggf. ihre Angehörigen oder Betreuerinnen und Betreuer umfassend und verständlich über die Grundprinzipien der Tuberkulose-Therapie sowie die wichtigsten und häufigsten unerwünschten Arzneimittelwirkungen aufzuklären. Wegen der Komplexität der Behandlung ist eine ergänzende schriftliche Information für die Patientinnen und Patienten empfehlenswert. Bei Sprachbarrieren sollen Sprachmittler hinzugezogen werden. Die Verwendung fremdsprachlichen Informationsmaterials wird ebenfalls empfohlen (z. B. ExplainTB). Die Patientinnen und Patienten sollen genauestens über die Notwendigkeit informiert sein, im Fall einer relevanten unerwünschten Arzneimittelwirkung unverzüglich die Ärztin oder den Arzt zu konsultieren [1] [2].
Wir empfehlen, die Aufklärung über die Therapie zu Beginn der Therapie sorgfältig zu dokumentieren. Wenn möglich sollte auch eine schriftliche Einverständniserklärung der der Patientin oder des Patienten vorliegen. Als sehr günstig hat sich die Ausgabe von Therapiepässen erwiesen, in denen Angaben und Daten zum Therapieregime, zu den Verlaufskontrollen und zu Therapiebesonderheiten eingetragen werden (z. B. DZK-Therapiepass und Verlaufsbogen für die stationäre Therapie Verlaufsbogen für die stationäre Therapie. Dieses Vorgehen erleichtert es allen aktuell und zukünftig in die Therapie eingebundenen Personen, sich einen raschen Überblick zu verschaffen.
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1.3 Basisuntersuchungen
Empfehlung 3 |
Neu, Stand 2022 |
Vor Beginn der Therapie sollen folgende Untersuchungen erfolgen: NAT inklusive molekularbiologischer Resistenztestung, Mikroskopie, Einleitung einer kulturellen Anzucht und Resistenztestung, Röntgenaufnahme des Thorax oder eine andere angemessene bildgebende Diagnostik, Routinelabor-Untersuchung, HIV-Serologie und bei Verdacht Hepatitis-Serologie und eine augenärztliche Untersuchung. Näheres ist der [Abb. 1] zu entnehmen. |
|
Konsensstärke: starker Konsens (18/18) |
|
Empfehlungsstärke: + + |
1.3.1 Klinische und laborchemische Untersuchungen
Vor Beginn der Tuberkulosetherapie soll ein umfassender klinischer Status (pathologische Organbefunde, Körpergewicht, neurologischer Untersuchungsbefund etc.) erhoben werden. Hierzu gehört immer die Erfassung von Standardlaborparametern (Blutbild, Nieren- und Leberfunktionswerte). Eine HIV-Serologie soll nach entsprechender Beratung und Einwilligung durchgeführt werden. Bei Hinweisen auf Leberfunktionseinschränkungen (Anamnese, Laborwerte) soll eine Hepatitis-Serologie ebenfalls durchgeführt werden. Eine augenärztliche Kontrolle (Farbsehvermögen, Gesichtsfeld) soll in der Initialphase bei Beschwerdefreiheit vor Beginn einer EMB-Gabe erfolgen. Aus Gründen der Zeitersparnis kann vor dem Therapiebeginn eine Prüfung des Farbsehvermögens mit Hilfe von Farbtafeln erfolgen. Dies darf aber nicht die fachärztliche Augenuntersuchung ersetzen, die zeitnah nachgeholt werden soll.
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1.3.2 Bildgebung
Die Tuberkulose soll mit geeigneten bildgebenden Verfahren vor Beginn der Therapie dokumentiert werden. Bei den pulmonalen Tuberkulosen reicht hierzu i. d. R. eine Röntgenaufnahme des Thorax in zwei Ebenen. Unter besonderen Umständen (z. B. komplexe Differenzialdiagnose, unklarer Röntgenbefund des Thorax, u. a.) kann es auch nötig sein, eine CT-Untersuchung des Thorax zu veranlassen. Bei strahlenempfindlichen Patientinnen und Patienten z. B. bei einem Alter < 40 Jahre kann unter Umständen statt der CT auch die MRT als strahlenfreie Alternative genutzt werden. Hierzu ist mit der Radiologie Rücksprache zu nehmen.
Eine Röntgenuntersuchung des Thorax sollte auch bei Schwangeren bei Verdacht auf eine Tuberkulose oder zum Ausschluss einer Tuberkulose nach der Diagnose einer latenten tuberkulösen Infektion erfolgen [3]. Nach individueller Risiko-/Nutzenabwägung kann die Röntgenaufnahme erst nach Abschluss der Organogenese, d. h. nach dem ersten Trimenon durchgeführt werden. Alternativ kann auch hier nach Absprache mit der Radiologie eine native MRT-Untersuchung erfolgen. Bei extrapulmonalen Tuberkulosen kommen weitere Techniken der Bildgebung zum Einsatz (z. B. CT, MRT und Sonografie).
Das diagnostische Vorgehen beim Tuberkulose-Screening nach § 36 Infektionsschutzgesetz kann hiervon abweichen und ist nicht Gegenstand dieser Leitlinie.
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1.3.3 Mikrobiologische Basisdiagnostik
Zur mikrobiologischen Diagnostik siehe Kapitel Labordiagnostik der Tuberkulose.
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2 Labordiagnostik der Tuberkulose
2.1 Einleitung
Die Diagnose einer Tuberkulose wird durch den Nachweis der Erreger mit einer Kombination von mikroskopischen, kulturellen und molekularbiologischen Verfahren sichergestellt. Der alleinige mikroskopische Nachweis von säurefesten Stäbchen ist nicht ausreichend. Der Nachweis einer Immunantwort über Interferon-γ Release Assays (IGRA) oder einen Tuberkulin-Hauttest (THT) kann allenfalls eine umfassende Diagnostik ergänzen. Als alleinige Untersuchungen sind IGRAs und THT nicht geeignet, eine Tuberkulose sicher zu beweisen oder auszuschließen (siehe Kapitel Diagnose der LTBI). Der alleinige Nachweis von Lipoarabinomannan (LAM) aus dem Urin zur Diagnose einer Tuberkulose wird derzeit für Deutschland aufgrund der niedrigen Sensitivität bei HIV-negativen Patientinnen und Patienten ebenfalls nicht empfohlen.
Die Erreger der Tuberkulose werden unter dem Begriff M. tuberculosis-Komplex (Tuberkulosebakterien) zusammengefasst:
-
Mycobacterium tuberculosis (weltweit verbreitet)
-
M. africanum (Hauptverbreitungsgebiet Westafrika)
-
M. bovis ssp. bovis (Synonym M. bovis)
-
M. bovis ssp. caprae (Synonym M. caprae)
-
M. microti
-
M. pinnipedii
Diese Spezies werden bei Patientinnen und Patienten in Deutschland nachgewiesen, wenn auch M. microti oder M. pinnipedii nur in einzelnen Fällen. M. bovis ssp. caprae kann, wie der klassische Erreger M. bovis ssp. bovis, Auslöser der Rindertuberkulose sein. Im Alpenraum wird sein Reservoir v. a. bei Rotwild beschrieben, wodurch immer wieder ein Eintrag in die Rinderherden erfolgt. Neben diesen auch in Europa vorkommenden TB-Erregern wurden v. a. in Afrika und Asien weitere aus Tieren isolierte Stämme beschrieben, die zum M. tuberculosis-Komplex gerechnet werden und in Einzelfällen auch bei Menschen nachgewiesen wurden (M. mungi, M. orygis, M. suricattae, Dassie bacillus‚ Chimpanzee bacillus).
M. canettii, ebenfalls ein Erreger der Tuberkulose, wird in der Literatur uneinheitlich als Mitglied des M. tuberculosis-Komplexes oder als nächste verwandte Spezies beurteilt. Er wird als Vorläufer aller TB-Stämme eingeschätzt. Sein Verbreitungsgebiet ist auf das Horn von Afrika begrenzt.
Der von M. bovis ssp. bovis durch Attenuation abgeleitete Impfstamm M. bovis BCG (Bacille Calmette-Guérin) wird nicht zu den pathogenen Erregern der Tuberkulose gerechnet. Der Stamm wird in Deutschland zur Therapie des oberflächlichen Blasenkarzinoms eingesetzt. Der Nachweis von M. bovis BCG im Urin dieser Patienten ist somit nicht zwingend mit einer behandlungsbedürftigen Infektion gleichzusetzen.
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2.2 Präanalytik
Die Qualität des Untersuchungsmaterials (Art, Menge, Gewinnung, Transport, Lagerung) hat erheblichen Einfluss auf die Aussagekraft der Labordiagnostik [4] [5]. Der behandelnden Ärztin oder dem behandelnden Arzt kommt somit eine wichtige Rolle bei der Auswahl und der Gewinnung der Proben zu. Ferner ist zu beachten, dass Untersuchungen mit der Frage nach Mykobakterien explizit beim Labor angefordert werden müssen, da Mykobakterien-Kulturen nicht im Rahmen der bakteriologischen Standardanalytik angesetzt werden. Nach Möglichkeit empfiehlt es sich, getrennte Proben für bakteriologische und mykobakteriologische Untersuchungen zu entnehmen (siehe [Tab. 1]).
1 |
Einleitung und Diagnosestellung |
735 |
1.1 |
Präambel |
735 |
1.2 |
Anamnese und Diagnostik bei der Verdachtsdiagnose Tuberkulose |
735 |
1.2.1 |
Grundprinzipien der Tuberkulosediagnostik und Therapieplanung |
735 |
1.2.2 |
Aufklärung vor Therapieeinleitung und Dokumentation |
735 |
1.3 |
Basisuntersuchungen |
736 |
1.3.1 |
Klinische und laborchemische Untersuchungen |
736 |
1.3.2 |
Bildgebung |
736 |
1.3.3 |
Mikrobiologische Basisdiagnostik |
737 |
2 |
Labordiagnostik der Tuberkulose |
737 |
2.1 |
Einleitung |
737 |
2.2 |
Präanalytik |
737 |
2.3 |
Diagnostische Verfahren zum Nachweis von Tuberkulosebakterien |
739 |
2.3.1 |
Mikroskopie |
739 |
2.3.2 |
Kultur |
739 |
2.3.3 |
Molekularbiologische Methoden zum Nachweis von Tuberkulosebakterien |
740 |
2.3.4 |
Molekularbiologische Methoden zum Nachweis von Medikamentenresistenzen |
741 |
2.4 |
Diagnostische Verfahren zur Empfindlichkeitsprüfung |
742 |
2.4.1 |
Basisempfehlungen |
742 |
2.4.2 |
Phänotypische Resistenztestung |
742 |
2.4.3 |
Genotypische Resistenztestung |
743 |
3 |
Standardtherapie der medikamentensensiblen Tuberkulose |
744 |
3.1 |
Voraussetzungen für eine Standardtherapie der Tuberkulose |
744 |
3.2 |
Standardtherapie der medikamentensensiblen Tuberkulose |
744 |
3.2.1 |
Zusammensetzung der Standardtherapie und Therapiedauer |
744 |
3.2.2 |
Einnahme |
745 |
3.2.3 |
Intermittierende Therapie |
745 |
3.2.4 |
Fixe Medikamenten-Kombinationen |
745 |
3.3 |
Anmerkungen zur Standardtherapie der Tuberkulose |
746 |
3.3.1 |
Anzahl der Medikamente der Standardtherapie, Unverträglichkeit und Therapieverlängerung |
746 |
3.3.2 |
Überprüfung der Standardtherapie anhand der Resistenztestung |
746 |
3.3.3 |
Rezidive der Tuberkulose nach erfolgreicher Standardtherapie |
747 |
3.3.4 |
Meldepflicht und Definition der Therapieergebnisse |
747 |
3.4 |
Verlaufsuntersuchungen während der Therapie |
747 |
3.4.1 |
Überblick über Kontrolluntersuchungen |
747 |
3.4.2 |
Mikrobiologische Verlaufsdiagnostik |
747 |
3.4.3 |
Radiologische Verlaufsdiagnostik |
748 |
3.4.4 |
Überwachung der Therapieadhärenz |
748 |
3.4.5 |
Adjuvante Therapieformen |
748 |
3.5 |
Besondere Therapiesituationen bei der Standardtherapie der Tuberkulose |
748 |
3.5.1 |
Diagnostik und Therapie der Tuberkulose ohne Sicherung der Diagnose |
748 |
3.5.2 |
Behandlung vorbehandelter Patientinnen und Patienten |
749 |
3.5.3 |
Therapie nach Therapieabbruch oder Rezidiv |
749 |
3.5.4 |
Therapie nach Therapieversagen |
749 |
3.6 |
Besondere Patientinnen, Patienten und Personengruppen |
749 |
3.6.1 |
Tuberkuloseerkrankte mit Niereninsuffizienz |
749 |
3.6.2 |
Tuberkuloseerkrankte mit Leberinsuffizienz |
750 |
3.6.3 |
Tuberkuloseerkrankte unter intensivmedizinischer Behandlung |
750 |
3.6.4 |
Tuberkuloseerkrankte mit der Notwendigkeit für eine parenterale Therapie |
750 |
3.6.5 |
Tuberkuloseerkrankte mit Verdacht auf eine verminderte enterale Resorption |
751 |
3.6.6 |
Tuberkulose bei Patientinnen und Patienten unter Behandlung mit TNF-Inhibitoren oder anderen Biologika |
751 |
3.6.7 |
Tuberkuloseerkrankte mit aus anderer Indikation unverzichtbarer Glukokortikoid-Therapie |
751 |
3.6.8 |
Patientinnen und Patienten nach Organtransplantation |
751 |
3.6.9 |
Patientinnen und Patienten mit einer Silikotuberkulose |
752 |
3.6.10 |
Patientinnen und Patienten nach chirurgischer Resektion eines pulmonalen Tuberkuloms |
752 |
3.6.11 |
Therapie in der Schwangerschaft und in der Stillzeit |
752 |
3.6.12 |
Patientinnen im gebärfähigen Alter |
752 |
3.6.13 |
Tuberkulose bei Menschen in höherem Lebensalter (≥ 65 Jahre) |
753 |
3.7 |
Management unerwünschter Arzneimittelwirkungen (UAWs) |
753 |
3.7.1 |
Einleitung |
753 |
3.7.2 |
Hepatotoxizität |
753 |
3.7.3 |
Myelosuppressive unerwünschte Arzneimittelwirkungen |
754 |
3.7.4 |
Kutane unerwünschte Arzneimittelwirkungen |
754 |
3.7.5 |
Renale Unverträglichkeitsreaktionen |
754 |
3.7.6 |
Retrobulbäre Neuritis |
754 |
3.7.7 |
Polyneuropathie |
755 |
3.7.8 |
Epileptische Anfälle |
755 |
3.7.9 |
Psychiatrische unerwünschte Arzneimittelwirkungen |
755 |
3.7.10 |
Arthralgie und Hyperurikämie unter PZA-Therapie |
755 |
3.7.11 |
Übelkeit |
755 |
3.8 |
Extrapulmonale Tuberkulose |
756 |
3.8.1 |
Einleitung und Besonderheiten der Diagnostik extrapulmonaler Tuberkulosen |
756 |
3.8.2 |
Pleuritis tuberculosa |
756 |
3.8.2.1 |
Diagnostik |
756 |
3.8.2.2 |
Therapie |
756 |
3.8.2.3 |
Verlauf |
758 |
3.8.3 |
Lymphknotentuberkulose |
758 |
3.8.3.1 |
Diagnostik |
758 |
3.8.3.2 |
Therapie |
758 |
3.8.3.3 |
Verlauf |
758 |
3.8.4 |
Tuberkulose im HNO-Bereich |
758 |
3.8.4.1 |
Diagnose |
758 |
3.8.4.2 |
Therapie |
758 |
3.8.4.3 |
Verlauf |
759 |
3.8.5 |
Urogenitaltuberkulose (UGTB) |
759 |
3.8.5.1 |
Diagnose |
759 |
3.8.5.2 |
Bildgebung |
759 |
3.8.5.3 |
Therapie |
759 |
3.8.5.4 |
Verlauf |
759 |
3.8.6 |
Abdominal-Tuberkulose |
759 |
3.8.6.1 |
Diagnose |
759 |
3.8.6.2 |
Therapie |
760 |
3.8.6.3 |
Verlauf |
760 |
3.8.7 |
Tuberkulose des Perikards |
760 |
3.8.7.1 |
Diagnose |
760 |
3.8.7.2 |
Therapie |
760 |
3.8.7.3 |
Verlauf |
760 |
3.8.8 |
Knochen- und Gelenk-Tuberkulose |
760 |
3.8.8.1 |
Diagnose |
760 |
3.8.8.2 |
Therapie |
760 |
3.8.8.3 |
Verlauf |
761 |
3.8.9 |
Tuberkulose des ZNS |
761 |
3.8.9.1 |
Diagnose |
761 |
3.8.9.2 |
Therapie |
761 |
3.8.9.3 |
Verlauf |
762 |
3.8.10 |
Miliartuberkulose und andere disseminierte Tuberkuloseformen |
762 |
3.8.10.1 |
Diagnose |
762 |
3.8.10.2 |
Therapie |
762 |
3.8.10.3 |
Verlauf |
762 |
3.9 |
Infektionen mit M. bovis |
762 |
3.10 |
Entzündliche Reaktionen nach Bacillus Calmette-Guérin (BCG)-Instillation beim Harnblasenkarzinom |
762 |
4 |
Therapie bei Unverträglichkeiten oder bei Resistenzen gegen Medikamente der Standardtherapie |
763 |
4.1 |
Einleitung und Definitionen |
763 |
4.1.1 |
Einleitung |
763 |
4.1.2 |
Epidemiologie der medikamentenresistenten Tuberkulose in Deutschland |
764 |
4.1.3 |
Risikofaktoren |
764 |
4.1.4 |
Definition der Medikamentenresistenz(en) |
764 |
4.1.5 |
Definitionen für die Behandlungsergebnisse medikamentenresistenter Tuberkulosen |
764 |
4.2 |
Therapieempfehlungen |
764 |
4.2.1 |
Präambel |
764 |
4.2.2 |
Interpretation der Resistenztestung |
764 |
4.2.2.1 |
„borderline“-Rifampicin-Resistenz |
764 |
4.2.2.2 |
Moxifloxacin-Resistenz |
765 |
4.2.3 |
Therapie bei Monoresistenz oder Unverträglichkeit gegenüber einem Standardmedikament |
765 |
4.2.4 |
Therapie bei Polyresistenz oder Unverträglichkeiten gegenüber mehr als einem Medikament der Standardtherapie |
766 |
4.2.5 |
Therapie bei MDR-Tuberkulose oder bei Medikamentenunverträglichkeiten gegenüber mindestens Rifampicin und Isoniazid |
766 |
4.3 |
Therapiedauer der MDR-TB |
767 |
4.4 |
Strukturelle Voraussetzungen zur Behandlung einer MDR-TB |
768 |
4.5 |
Besondere Therapiesituationen bei medikamentenresistenter TB |
769 |
4.5.1 |
Therapie medikamentenresistenter TB in der Schwangerschaft |
769 |
4.5.2 |
Therapie medikamentenresistenter TB bei HIV-Koinfektion |
769 |
4.6 |
Verlaufskontrollen unter MDR-Therapie |
770 |
5 |
HIV-Infektion und Tuberkulose |
772 |
5.1 |
Klinik und Diagnostik der Tuberkulose bei HIV-Infektion |
772 |
5.2 |
Therapie der medikamentensensiblen Tuberkulose bei HIV-Infektion |
772 |
5.2.1 |
Medikamentenmanagement und interdisziplinäre Therapieplanung bei HIV-Infektion und Tuberkulose |
772 |
5.2.2 |
Dauer der Tuberkulose-Therapie bei HIV-Infektion |
773 |
5.2.3 |
Zeitpunkt des ART-Beginns bei HIV-Erstdiagnose und Tuberkulose |
773 |
5.2.4 |
Auswahl der ART bei HIV-Erstdiagnose und Tuberkulose |
774 |
5.2.5 |
ART bei HIV-Infektion und Tuberkulose unter vorbestehender ART |
775 |
5.2.6 |
Immunrekonstitutionssyndrom bei HIV-Infektion und Tuberkulose (TB-IRIS/tuberculosis-immune reconstitution inflammatory syndrome) |
776 |
5.2.6.1 |
Paradoxes TB-IRIS |
776 |
5.2.6.2 |
Demaskierendes TB-IRIS |
776 |
6 |
Therapeutisches Medikamentenmanagement |
776 |
6.1 |
Therapieplanung und Überwachung |
776 |
6.2 |
Therapeutisches Drug-Monitoring (TDM) |
777 |
6.2.1 |
Indikationen für ein TDM |
777 |
6.2.2 |
Methodik zur Überprüfung der Medikamentenkonzentrationen |
777 |
6.2.3 |
Zeitpunkt zur Überprüfung der Medikamentenkonzentrationen |
778 |
7 |
Versorgungsaspekte der Tuberkulose und supportive Therapie |
778 |
7.1 |
Versorgungsaspekte der Tuberkulose |
778 |
7.1.1 |
Ambulante und stationäre Behandlungsmöglichkeiten; Isolierung (Isolation) |
778 |
7.1.2 |
Behandlungskosten der Tuberkulose |
779 |
7.1.3 |
Therapieadhärenz und direkt überwachte Behandlung (DOT) |
780 |
7.1.4 |
Unterstützende Maßnahmen zur Sicherung des Behandlungserfolgs |
780 |
7.1.5 |
Maßnahmen nach dem Infektionsschutzgesetz: Zwangsweise Absonderung |
781 |
7.2 |
Sozialmedizinische und aufenthaltsrechtliche Aspekte |
781 |
7.3 |
Supportive Therapie bei sensibler und medikamentenresistenter TB |
782 |
7.3.1 |
Patientenzentrierte Versorgung (patient-centered care) |
782 |
7.3.2 |
Ernährung und adjuvante Therapie |
782 |
7.3.3 |
Psychische Erkrankungen |
783 |
7.3.4 |
Rauchen und andere Abhängigkeitssyndrome |
783 |
7.3.5 |
Chirurgische Therapie |
783 |
7.3.6 |
TB-Folgeerkrankungen (Post-TB lung disease; PTLD) und Rehabilitation |
784 |
7.3.7 |
Palliativmedizinische Versorgung |
784 |
8 |
Diagnose und präventive Therapie bei einer latenten tuberkulösen Infektion (LTBI) |
785 |
8.1 |
Einleitung |
785 |
8.2 |
Begriffsdefinitionen zur LTBI |
785 |
8.2.1 |
Latente tuberkulöse Infektion/LTBI (Synonyme: latente Infektion mit Mycobacterium tuberculosis, latente Tuberkuloseinfektion) |
785 |
8.2.2 |
Tuberkulose |
786 |
8.2.3 |
Präventive Therapie der LTBI (Synonyme: Präventive Chemotherapie, Chemoprävention) |
786 |
8.2.4 |
Chemoprophylaxe (Synonym: medikamentöse Prophylaxe) |
786 |
8.2.5 |
Abgrenzung Chemoprophylaxe und präventive Therapie |
786 |
8.3 |
Diagnose der LTBI |
786 |
8.3.1 |
Testverfahren |
786 |
8.3.2 |
Interferon-Gamma Release Assays/IGRA |
786 |
8.3.3 |
Tuberkulin Hauttest/THT |
786 |
8.3.4 |
Diagnosestellung |
786 |
8.4 |
Überlegungen vor Einleitung einer präventiven Therapie |
787 |
8.5 |
Empfehlungen für ausgewählte Personengruppen mit erhöhtem Progressionsrisiko |
788 |
8.6 |
Empfehlungen für Personengruppen mit besonderen Begleitumständen |
790 |
8.7 |
Präventive Therapie |
790 |
8.7.1 |
Präventive Therapieregime (Chemoprävention) |
790 |
8.7.2 |
Chemoprophylaxe |
791 |
8.7.3 |
Präventive Therapie bei Kontaktpersonen von infektiöser multiresistenter Lungentuberkulose |
791 |
8.7.4 |
LTBI und präventive Therapie bei Kindern und Schwangeren |
792 |
8.7.5 |
LTBI und präventive Therapie bei beruflich exponierten Beschäftigten im Gesundheitswesen |
792 |
8.8 |
Unerwünschte Arzneimittelwirkungen |
793 |
8.8.1 |
Kontrolluntersuchungen und Dauer der protektiven Wirkung nach Abschluss einer präventiven Chemotherapie |
793 |
8.9 |
Erneute Exposition nach präventiver Therapie |
793 |
9 |
Medikamente zur Behandlung der Tuberkulose |
794 |
9.1 |
Einleitung und Begriffsdefinition |
794 |
9.2 |
Alphabetische Liste der Medikamente zur Tuberkulosetherapie* |
795 |
9.2.1 |
Amikacin (Am) |
795 |
9.2.2 |
Aminoglykoside (AG) |
796 |
9.2.3 |
Amoxicillin/Clavulansäure (Amx/Clv) |
796 |
9.2.4 |
Bedaquilin (Bdq) |
796 |
9.2.5 |
Carbapeneme |
797 |
9.2.6 |
Clavulansäure |
797 |
9.2.7 |
Clofazimin (Cfz) |
797 |
9.2.8 |
Cycloserin (Cs) |
797 |
9.2.9 |
Delamanid (Dlm) |
797 |
9.2.10 |
Ethambutol (EMB, E) |
798 |
9.2.11 |
Ethionamid (Eto) |
799 |
9.2.12 |
Fluorchinolone (FQ) |
799 |
9.2.13 |
Imipenem/Cilastin (Ipm-Cln) |
799 |
9.2.14 |
Isoniazid (INH, H) |
799 |
9.2.15 |
Levofloxacin (Lfx) |
800 |
9.2.16 |
Linezolid (Lzd) |
801 |
9.2.17 |
Meropenem (Mpm) |
802 |
9.2.18 |
Moxifloxacin (Mfx) |
802 |
9.2.19 |
Para-Aminosalicylsäure (PAS) |
803 |
9.2.20 |
Pretomanid |
804 |
9.2.21 |
Protionamid (Pto) |
804 |
9.2.22 |
Pyrazinamid (PZA, Z) |
804 |
9.2.23 |
Rifabutin (Rfb) |
805 |
9.2.24 |
Rifampicin (RMP, R, RIF) |
805 |
9.2.25 |
Rifapentin (RPT, P) |
806 |
9.2.26 |
Streptomycin (SM, S) |
807 |
9.2.27 |
Terizidon (Trd) |
807 |
Das Untersuchungsmaterial sollte vor Therapiebeginn entnommen werden. Die genaue Art und Herkunft der Probe sollen angegeben werden. Bei Patientinnen und Patienten mit Verdacht auf Lungentuberkulose ist Sputum das wichtigste Untersuchungsmaterial.
Zur Erstdiagnose einer Lungentuberkulose sollten drei Sputumproben hoher Qualität (z. B. Morgensputum) untersucht werden [6] [7] [8] [9]. Für die Schweiz gilt eine davon abweichende Empfehlung, die sich näher an den WHO-Empfehlungen orientiert. Dort wird die unverzügliche direkte Untersuchung des ersten Sputums durch einen Nukleinsäureamplifikationstest (NAT) und eine weitere Sputumprobe mit zusätzlicher mikroskopischer und kultureller Untersuchung empfohlen [6]. Aufgrund der geringeren Sensitivität der NAT-Verfahren im Vergleich zur kulturellen Untersuchung wird diese Empfehlung nicht für diese Leitlinie übernommen. Wenn eine Patientin oder ein Patient Sputum nicht direkt produzieren kann, sollte provoziertes Sputum nach Inhalation gewonnen werden. Falls die Sputumdiagnostik keine wegweisenden Resultate ergibt, sollte eine Bronchoskopie mit gezielter Materialgewinnung erfolgen. Hier stellt die Entnahme einer zusätzlichen Sputumprobe nach der Untersuchung (postbronchoskopisches Sputum) eine wertvolle ergänzende diagnostische Möglichkeit dar [10] [11]. Zur Häufigkeit der Untersuchung von Proben zur Verlaufskontrolle unter Therapie siehe [Abb. 1].
Das Untersuchungsmaterial soll möglichst schnell ins Labor gesandt werden. Ist dies nicht sofort möglich, soll es bei 2–8 °C gelagert werden.
#
2.3 Diagnostische Verfahren zum Nachweis von Tuberkulosebakterien
2.3.1 Mikroskopie
Die mikroskopische Untersuchung ist das schnellste und kostengünstigste Verfahren zum Nachweis von Tuberkulosebakterien [12] [13]. Durch sie können Patientinnen und Patienten mit hoher Erregerlast, die somit besonders infektiös sind, sehr schnell erkannt werden. Die Dauer der Isolierung der Patientin oder des Patienten [14] sowie der Umfang der Umgebungsuntersuchung [15] orientieren sich am mikroskopischen Ergebnis der Sputumuntersuchung. Daher soll die mikroskopische Untersuchung des Sputums im Rahmen der Erstuntersuchung bei Tuberkuloseverdacht immer zur Anwendung kommen.
Die Mikroskopie hat eine geringere Sensitivität als die Kultur (20–80 %) [16]. Erst bei einer Keimdichte von etwa 104 Keimen/ml Sputum kann mit einem positiven Mikroskopie-Ergebnis gerechnet werden. In Deutschland waren im Jahr 2020 50 % der TB-Erkrankten mit pulmonaler Erkrankung auch mikroskopisch positiv [13]. Die Sensitivität ist am höchsten bei Sputumproben von Patientinnen und Patienten mit kavernöser Lungentuberkulose und gering bei Patientinnen und Patienten mit wenig ausgeprägter Klinik. Nicht-respiratorische Proben aus extrapulmonalen Foci sind im allgemeinen paucibazillär, sodass die mikroskopische Untersuchung häufig negativ ausfällt. Die Wertigkeit eines positiven Befundes in diesen Proben ist dadurch umso höher. Als Methoden stehen bevorzugt fluoreszenzmikroskopische Verfahren (Auramin-, Auramin-Rhodamin-, Acridinorange-Färbung) oder auch lichtmikroskopische Verfahren (Ziehl-Neelsen- oder Kinyoun-Färbung) zur Verfügung [13]. Durch die mikroskopische Untersuchung kann nicht zwischen Tuberkulosebakterien und nicht-tuberkulösen Mykobakterien sowie zwischen vermehrungsfähigen und nicht vermehrungsfähigen Mykobakterien unterschieden werden.
Die sofortige Information der oder des Einsendenden ermöglicht einen raschen Therapiebeginn und die zeitnahe Einleitung von Isolierungsmaßnahmen.
Im schriftlichen positiven Befund soll die Menge der säurefesten Stäbchen in einer semiquantitativen Beurteilung gemäß des Bewertungsschemas der deutschen Richtlinien [4] [12] angegeben werden.
Die Labormeldung nach IfSG § 7 entbindet den behandelnden Arzt nicht von einer Meldung nach IfSG § 6. Diese muss innerhalb von 24 Stunden an das zuständige Gesundheitsamt erfolgen.
Weitere Informationen zur Meldepflicht nach § 6, siehe auch Meldepflicht und Definition der Therapieergebnisse.
#
2.3.2 Kultur
Die kulturelle Untersuchung ist die sensitivste Methode zum Nachweis von Tuberkuloseerregern und soll daher im Rahmen der Erstuntersuchung bei Tuberkuloseverdacht sowie zur Verlaufskontrolle unter Therapie immer zur Anwendung kommen.
Das Wachstum von Tuberkulosebakterien in einer Kultur beweist das Vorliegen einer Tuberkulose. Da in Deutschland nur etwa die Hälfte der Fälle mit offener Lungentuberkulose auch mikroskopisch positiv sind, werden die anderen Erkrankten erst mit der positiven Kultur diagnostiziert, sofern keine molekularbiologische Untersuchung durchgeführt wurde.
Alle nicht-sterilen Proben müssen vor der Kultivierung durch eine Vorbehandlung, üblicherweise mit einer N-Acetyl-L-Cystein-NaOH-Lösung, dekontaminiert, homogenisiert und konzentriert werden [17]. Die kulturelle Untersuchung soll mithilfe einer Flüssig- und zweier Festkulturen durchgeführt werden. I. d. R. beträgt die Kultivierungszeit bis zu einem positiven Ergebnis mit modernen Verfahren etwa ein bis drei Wochen. Nur bei negativen Ergebnissen muss die Gesamtkulturzeit von acht Wochen abgewartet werden, bei keimarmen und schwierig zu gewinnenden Proben bis zu 12 Wochen.
Wegen der aufwändigen manuellen Probenverarbeitung kann es, besonders bei mikroskopisch positiven Untersuchungsmaterialien, zu einer unerwünschten Übertragung von Tuberkulosebakterien von einer Probe auf die nächste kommen. Laboratorien müssen deshalb strikte Verfahrensabläufe zur Vermeidung derartiger Laborkontaminationen einhalten. Hinweise auf eine mögliche Laborkontamination können sein, wenn nur eine von mehreren Proben einer Person positiv wird, wenn die Kultur sehr spät positiv wird oder nur eines der drei Nährmedien positiv wird. Einsendende sollten den kulturellen Nachweis von Tuberkulosebakterien kritisch hinterfragen, wenn eine Diskrepanz zur klinischen Einschätzung vorliegt und dies dem Labor kommunizieren. Zur Aufklärung können Typisierungsverfahren (z. B. Sequenzierung des Erregergenoms) eingesetzt werden [18].
Sobald eine Kultur mit Mykobakterien positiv geworden ist, muss unverzüglich untersucht werden, ob Tuberkulosebakterien oder nicht-tuberkulöse Mykobakterien (NTM) gewachsen sind. Diese Untersuchung kann innerhalb von Minuten mit immunochromatografischen Schnelltests oder innerhalb weniger Stunden mit molekularbiologischen Methoden (z. B. Streifenhybridisierungsverfahren) durchgeführt werden. Das Ergebnis ‚Wachstum von Mykobakterien‘ darf wegen der Möglichkeit des Nachweises von NTM keinesfalls als Befund erstellt werden. Der Befund muss eine eindeutige Aussage dazu enthalten, ob Tuberkulosebakterien nachzuweisen waren oder NTM. Nachfolgend soll bei jeder Patientin und jedem Patienten von mindestens einer Kultur eine genaue Speziesidentifizierung der Tuberkulosebakterien durchgeführt werden.
Neben der epidemiologischen Bedeutung hat dies auch eine therapeutische Relevanz, bspw. da M. bovis ssp. bovis eine natürliche Resistenz gegenüber PZA aufweist und somit eine Anpassung der Therapie erfolgen muss. M. bovis ssp. caprae ist dagegen sensibel gegenüber PZA. Auch sollte M. bovis BCG erkannt und von allen anderen Erregern aus dem M. tuberculosis-Komplex unterschieden werden. Wie die klassischen M. bovis-Stämme ist auch M. bovis BCG intrinsisch resistent gegenüber PZA. Eine BCGitis kann bei im Ausland geimpften jungen Kindern als Impfkomplikation auftreten (siehe dazu auch S2k-Leitlinie „Tuberkulose im Kindes- und Jugendalter“). Bei älteren deutschen Patientinnen und Patienten kann M. bovis BCG entweder aus dem Urin oder auch aus anderen Organen isoliert werden, wenn sie nach der Diagnose eines Harnblasenkarzinoms durch Instillationen mit dem BCG-Stamm therapiert wurden (siehe auch: Entzündliche Reaktionen nach Bacillus Calmette-Guérin (BCG)-Instillation beim Harnblasenkarzinom). Infektionen durch M. bovis BCG sind nach Infektionsschutzgesetz (IfSG) nicht meldepflichtig.
#
2.3.3 Molekularbiologische Methoden zum Nachweis von Tuberkulosebakterien
Mit molekularbiologischen Methoden (Nukleinsäureamplifikationstests, NAT; z. B. PCR) kann sehr schnell und mit einer höheren Sensitivität als mit der Mikroskopie der Nachweis von Tuberkulosebakterien im Untersuchungsmaterial durchgeführt werden. Hierzu sind verschiedene hochsensitive Testsysteme kommerziell verfügbar [19] [20]. Sensitivität und Spezifität der molekularbiologischen Methoden sind bei mikroskopisch positiven Proben nahezu 100 %. Ein negativer NAT für M. tuberculosis-Komplex aus einem mikroskopisch positiven Untersuchungsmaterial weist somit auf das Vorliegen von NTM hin. Bei mikroskopisch negativen respiratorischen Materialien ist die diagnostische Sensitivität des NAT im Vergleich zu Kultur und klinischer Diagnose geringer (60–80 %; z. B. neue Version eines Kartuschentests 77,5 % [21]).
Bei extrapulmonalen Proben, die in aller Regel besonders keimarm sind, wird weltweit vorwiegend der NAT im Kartuschenformat mit gleichzeitiger Detektion der RMP-Resistenz eingesetzt. Die Sensitivität ist, abhängig vom eingesetzten Untersuchungsmaterial, z. T. noch niedriger als bei respiratorischen Proben (50–70 % bei Pleurapunktaten, 70–90 % bei Liquor, 70–90 % bei Lymphknotenproben [22]). Ein negativer NAT bei mikroskopisch negativen Materialien schließt somit eine Tuberkulose nicht aus. Die Sensitivität des Nachweises durch molekularbiologische Verfahren kann durch die Untersuchung mehrerer Proben erhöht werden.
Von besonderer Bedeutung ist der molekularbiologische Erregernachweis bei schwer oder nicht wiedergewinnbaren Proben wie z. B. Gewebsproben, Perikardpunktaten oder Liquor cerebrospinalis. Diese Materialien sind i. d. R. keimarm und damit mikroskopisch meist negativ, sodass hier der Nukleinsäurenachweis eine Diagnose erheblich beschleunigen kann. Bei der Untersuchung von Liquor cerebrospinalis steigert die Untersuchung großer Probenvolumina (> 5 ml) und die Wiederholung der Liquoranalytik die Sensitivität.
Gewebsproben werden – bei fehlendem klinischen TB-Verdacht – immer wieder ausschließlich als Formalin-fixiertes Material zu histopathologischen Untersuchung weitergeleitet. Eine mikroskopische wie auch eine molekularbiologische Untersuchung können daran durchgeführt werden, jedoch reduziert die Formalin-Behandlung die Sensitivität der molekularbiologischen Untersuchung beträchtlich. Eine kulturelle Untersuchung aus Formalin-fixiertem Material ist nicht möglich. Zur TB-Diagnostik sollte deshalb stets Nativmaterial untersucht werden, bei Bedarf durch Neugewinnung von Untersuchungsmaterial, auch um die kulturelle Untersuchung zu ermöglichen [23] [24].
Da der positive Vorhersagewert von der TB-Prävalenz der untersuchten Patientenkohorte abhängt, sollen NAT nur gezielt und nicht ohne ausreichenden Vorverdacht eingesetzt werden [4]. Da auch nicht vermehrungsfähige Bakterien ein positives Ergebnis im NAT hervorrufen können, sind NAT nicht zur Therapiekontrolle geeignet.
#
2.3.4 Molekularbiologische Methoden zum Nachweis von Medikamentenresistenzen
Neben dem positiven Nachweis von Tuberkulosebakterien können heute mittels NAT zeitgleich im Untersuchungsmaterial auch Mutationen im Genom der Tuberkulosebakterien detektiert werden, die mit Medikamentenresistenzen korrelieren und es somit ermöglichen, resistente Stämme sehr frühzeitig zu erkennen.
Mit einem Kartuschensystem zum automatisierten Nachweis von Tuberkulosebakterien durch eine Real-Time-Polymerase-Kettenreaktion (PCR) können bspw. gleichzeitig Mutationen im rpoB-Gen der Tuberkulosebakterien detektiert werden, die mit einer Resistenz gegen RMP einhergehen [25]. Resistenzen gegenüber RMP beruhen auf Mutationen im rpoB Gen, das die β-Untereinheit der bakteriellen RNA Polymerase kodiert [26]. Eine Analyse der deutschen Meldedaten (2006–2017) zeigte bei 86,5 % der RMP-resistenten Stämme eine gleichzeitige INH-Resistenz [27]. Wenn initial nur das Ergebnis einer rpoB-Mutation vorliegt, muss daher zunächst von einer MDR-Tuberkulose ausgegangen werden. Zur Therapieplanung sind dennoch weitere Resistenzanalysen erforderlich. Wenn der Direktnachweis ein RMP-resistentes Ergebnis bei einer Patientin oder einem Patienten mit geringem Risiko für Multiresistenz ergibt, sollte zudem eine Kontrolle des Resistenztestergebnisses, z. B. durch einen Streifenhybridisierungstest oder einen anderen NAT, wenn möglich noch direkt aus dem Untersuchungsmaterial, erfolgen. Ist dies nicht möglich, sollte die Bestätigungsuntersuchung sofort aus einer bewachsenen Kultur durchgeführt werden. Etwa 1–2 % aller RMP-resistenten Stämme werden durch den Direkttest falsch als sensibel detektiert, da die für die Resistenz verantwortlichen Mutationen außerhalb des analysierten Bereichs liegen.
Mit neueren NAT können, neben dem Nachweis von TB-Bakterien und einer RMP-Resistenz, auch Mutationen, die für eine INH-Resistenz verantwortlich sind, detektiert werden [28]. Der Nachweis der INH-Resistenz beruht auf dem Nachweis von Mutationen im katG-Gen sowie in der Promotor-Region des fabG1-inhA-Operons. Die Sensitivität des Resistenznachweises von INH liegt mit ca. 70–90 % geringer als bei RMP, sodass bei einem sensiblen genotypischen Ergebnis eine INH-Resistenz nicht sicher ausgeschlossen werden kann. Der Nachweis einer dieser Mutationen ist allerdings hoch aussagekräftig, sodass dann von einer Resistenz gegen INH ausgegangen werden muss.
Im Fall des Nachweises von Resistenzen gegen RMP bzw. RMP und INH sollte eine Analyse von weiteren Mutationen gegen Medikamente der Nicht-Standardtherapie angestrebt werden. Kommerziell erhältliche Verfahren und weitergehende Erfahrung sind vorwiegend für die Analyse von Resistenzen gegen Fluorchinolone (gyrA- und gyrB-Gene) und gegen Amikacin (rrs-Gen) vorhanden. Neben Streifenhybridisierungstests, die v. a. bei mikroskopisch positiven Proben eingesetzt werden können, gibt es Real-Time-PCR-Verfahren wie z. B. als Erweiterung des o. g. Kartuschensystems. Auch bei diesen Tests werden nicht alle Resistenz-vermittelnden Mutationen erfasst, sodass ein sensibles Ergebnis keinen sicheren Ausschluss einer Resistenz bedeutet. Ein resistentes genotypisches Ergebnis ist aber ein valider Hinweis auf eine therapeutische Unwirksamkeit. In Fall einer Fluorchinolonresistenz in diesen Tests ist von einem prä-XDR bzw. XDR-Stamm auszugehen [29].
Mit der zurzeit modernsten Technologie, der „targeted next generation Sequenzierung“ (targeted NGS), kann parallel eine Vielzahl von resistenzassoziierten Bereichen des Erregergenoms bereits im Untersuchungsmaterial untersucht sowie eine vorläufige Erregertypisierung vorgenommen werden [30] [31]. Der Erfolg der Untersuchung korreliert mit der Erregerlast im Ausgangsmaterial und ist bei mikroskopisch positiven Proben größer als bei negativer Mikroskopie. Die Methode ermöglicht einen Überblick über die gesamte Resistenzsituation des vorliegenden Stammes inklusive vieler Nicht-Standardmedikamente und darüber hinaus einen Hinweis auf das Vorhandensein von resistenten Subpopulationen (Heteroresistenz). Auch hier gilt jedoch die Einschränkung, dass Resistenzen durch sehr seltene oder bislang unbekannte Genomveränderungen unter Umständen nicht erkannt werden.
#
#
2.4 Diagnostische Verfahren zur Empfindlichkeitsprüfung
2.4.1 Basisempfehlungen
Vom ersten verfügbaren Bakterienisolat soll bei jeder Patientin bzw. jedem Patienten mit Tuberkulose eine Empfindlichkeitsprüfung gegen die Medikamente der Standardtherapie (INH, RMP, EMB, PZA) durchgeführt werden. Streptomycin wird nicht mehr zu den Medikamenten der Standardtherapie gerechnet. Bei Nachweis von Resistenzen muss eine Resistenzprüfung für Medikamente der Nicht-Standardtherapie erfolgen. Werden nach mehr als 8 Wochen Therapie kulturell immer noch Tuberkulosebakterien nachgewiesen, muss die Empfindlichkeitsprüfung mit einem neuen Isolat wiederholt werden. Auch das Ergebnis der Empfindlichkeitsprüfung muss nach dem Infektionsschutzgesetz gemeldet werden (IfSG § 7).
#
2.4.2 Phänotypische Resistenztestung
Bei der phänotypischen Resistenztestung wird, anders als bei anderen Bakterien, keine Bestimmung der minimalen Hemmkonzentration (s. unten) vorgenommen, sondern es werden Empfindlichkeitsprüfungen bei nur jeweils einer bestimmten Konzentration (der kritischen Konzentration) durchgeführt [32]. Zeigt ein M. tuberculosis-Komplex-Isolat Wachstum bei der kritischen Konzentration, wird es als resistent berichtet, ansonsten als sensibel.
Mit einem fluoreszenzbasierten Flüssigkulturverfahren beträgt die Analysezeit dieser Testung etwa 7–10 Tage. Die Methode ist sehr gut standardisiert und umfangreich evaluiert [33]. V. a. für INH sind die Ergebnisse sehr gut reproduzierbar. Dagegen wurden, als Folge zunehmender Kenntnisse über die molekularen Grundlagen der Medikamentenresistenz, bei RMP in seltenen Fällen diskrepante Ergebnisse zwischen phänotypischen und molekularbiologischen Analysen beobachtet. Diese als „borderline“-resistent bezeichneten Stämme weisen bestimmte Mutationen im Resistenz-definierenden Abschnitt des rpoB-Gens auf, sind aber in der phänotypischen Testung sensibel [34] [35]. Allerdings ergeben sich für diese Stämme häufig leicht erhöhte minimale Hemmkonzentrationen unterhalb der kritischen Testkonzentration. In einem Anfang 2021 veröffentlichten Technischen Report der WHO wird zur Verbesserung des Nachweises von „borderline“-Rifampicin-Resistenzen in der phänotypischen Empfindlichkeitsprüfung empfohlen, die Testkonzentrationen von Rifampicin im fluoreszenzbasierten Flüssigkulturverfahren von bislang 1,0 mg/l auf 0,5 mg/l zu verringern [36]. Da jedoch auch mit der verringerten kritischen Konzentration nicht alle „borderline“-Rifampicin-resistenten Stämme gefunden werden, sollte im Rahmen der diagnostischen Abklärung einer Tuberkulose auch eine molekularbiologische Analyse der mit RMP-Resistenz assoziierten Genabschnitte erfolgen (siehe Kapitel Genotypische Resistenztestung). Zur klinischen Bedeutung der „borderline“-Rifampicin-Resistenz für die Therapie siehe Kapitel „borderline“-Rifampicin-Resistenz.
Die phänotypische Testung von EMB ist bei sonst sensiblen Stämmen ebenfalls verlässlich, bei MDR-Stämmen ist die Reproduzierbarkeit geringer. Die phänotypische Testung von PZA ist im Vergleich zur Testung von INH und RMP fehleranfälliger und kann v. a. zu falsch resistenten Ergebnissen führen. Bei PZA-monoresistenten Stämmen, die nicht als M. bovis identifiziert wurden, sollte das Ergebnis hinterfragt und überprüft werden.
Ist ein M. tuberculosis-Komplex-Isolat resistent gegenüber einem oder mehreren Medikamenten der Standardtherapie, müssen weitere Substanzen der Nicht-Standardtherapie gemäß den Therapieempfehlungen (siehe Kapitel Therapie bei Unverträglichkeiten oder bei Resistenzen gegen Medikamente der Standardtherapie) getestet werden.
Eine Empfehlung der WHO gibt kritische Testkonzentrationen für Medikamente der Standard- und der Nicht-Standardtherapie an [37]. Bei Vorliegen einer resistenten oder MDR-Tuberkulose können und sollen folgende Medikamente der Nicht-Standardtherapie im Flüssigmedium getestet werden:
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Moxifloxacin (Medikament der WHO-Gruppe A): Stämme, die bei der kritischen Konzentration resistent sind, sollten mit der höheren klinischen ‚Breakpoint‘-Konzentration nachgetestet werden [37] [38].
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Levofloxacin (Medikament der WHO-Gruppe A): Hier wird nur die kritische Konzentration getestet (Medikament der WHO-Gruppe A).
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Bedaquilin (Medikament der WHO-Gruppe A)
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Linezolid (Medikament der WHO-Gruppe A)
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Clofazimin (Medikament der WHO-Gruppe B)
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Delamanid (Medikament der WHO-Gruppe C)
-
Amikacin (Medikamente der WHO-Gruppe C)
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ggf. Streptomycin
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ggf. Rifabutin
Die Testkonzentrationen von Protionamid und PAS (Medikamente der WHO-Gruppe C) wurden durch die WHO nicht evaluiert [36], es sind jedoch Testkonzentrationen für Flüssigmedien beschrieben. Obwohl Cycloserin/Terizidon durch die WHO in die Gruppe B der empfohlenen Medikamente der Nicht-Standardtherapie aufgenommen wurde [38], gibt es zurzeit kein Protokoll zur Testung von Cycloserin/Terizidon in Flüssigkulturmedien. Auch die Testung auf Festmedien wird wegen unzureichender Daten nicht empfohlen. Für die Testung von Carbapenemen (Medikamente der WHO-Gruppe C) gibt es aufgrund der ausgeprägten Instabilität der Substanzen ebenfalls keine standardisierten Protokolle zur Empfindlichkeitsprüfung.
Zunehmend werden Verfahren zur Bestimmung der minimalen Hemmkonzentration (MHK), d. h. der Bestimmung der niedrigsten Medikamentenkonzentration, die das Wachstum der TB-Bakterien hemmt, auch für M. tuberculosis entwickelt und evaluiert. MHK-Bestimmungen sind insbesondere in Situationen von Interesse, in denen Mutationen in resistenzassoziierten Genen gefunden wurden, die zwar nicht zu einer nachweisbaren Resistenz im Standard-Flüssigkulturansatz führen, die aber dennoch mit einer herabgesetzten Medikamentenempfindlichkeit assoziiert sein können (siehe Genotypische Resistenztestung). Die genaue Bestimmung der minimalen Hemmkonzentration ist eine wichtige Voraussetzung für Therapien mit erhöhten Medikamentendosierungen. Letztlich kann ein Index aus MHK-Werten und pharmokokinetischen Daten (Cmax oder AUC) für einige Medikamente eine patientenspezifische Vorhersage der Wirksamkeit einzelner Medikamente unterstützen.
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2.4.3 Genotypische Resistenztestung
Zur Beschleunigung der Resistenzbestimmung sollte von der ersten positiven Kultur eines Patienten auch eine genotypische Resistenztestung für INH und RMP durchgeführt werden, sofern noch keine entsprechenden Ergebnisse von Untersuchungen direkt aus dem Patientenmaterial vorliegen (siehe Molekularbiologische Methoden zum Nachweis von Medikamentenresistenzen).
Die meisten dieser Mutationen, darunter die häufigste Mutation Ser531Leu (E. coli Nummerierung, entspricht Ser450Leu in der M. tuberculosis-Nomenklatur), korrelieren mit einer hohen MHK gegenüber RMP. Seltene „borderline“-Mutationen, die mit MHK-Erhöhungen unterhalb der kritischen Testkonzentration assoziiert sind, können in der phänotypischen Standardtestung nicht zuverlässig nachgewiesen werden (siehe Kapitel Phänotypische Resistenztestung) [36].
Die beiden Hauptmechanismen der INH-Resistenz, die mit den gängigen Verfahren erfasst werden, sind durch Mutationen in einem Gen (katG-Gen) bzw. einem Gen-Regulationsbereich (fabG1-inhA-Promotor) verursacht. Mutationen im katG-Gen führen überwiegend zu einem hohen MHK-Wert (High-Level-Resistenz). Dagegen führen Mutationen im fabG1-inhA-Regulationsbereich vorwiegend zu gering erhöhten MHK-Werten (Low-Level-Resistenz). Zu beachten ist, dass zusätzliche Mutationen in anderen Genen bei Vorliegen einer fabG1-inhA-Promotormutation dennoch gelegentlich zu einer High-Level-Resistenz führen können [39] [40]. Wird eine Hochdosis-INH-Therapie in Betracht gezogen, sollte daher eine MHK-Bestimmung angestrebt werden, um eine niedrige MHK zu belegen. Da mit den weit verbreiteten molekularen Untersuchungsmethoden (z. B. Streifenhybridisierungstests) nicht alle Mutationen, v. a. bei INH-Resistenz, erfasst werden, muss immer auch eine phänotypische Resistenztestung erfolgen.
Bei Ethambutol-resistenten Stämmen werden häufig Mutationen im embCAB-Operon gefunden, wobei als häufigste Position das embB-Codon 306 betroffen ist (bei etwa 50–70 % aller resistenten Stämme). Weitere, seltener vorkommende Mutationen betreffen die embB-Codons 406 und 497. Allerdings werden auch Stämme mit Mutationen im embB-Gen als phänotypisch sensibel getestet, wobei auch hier eine nur geringfügig erhöhte MHK unterhalb der kritischen Konzentration diskutiert wird [41].
Eine Resistenz gegen Pyrazinamid korreliert in den meisten Fällen mit Mutationen im pncA-Gen. Im Gegensatz zu z. B. INH und RMP können im Fall von pncA die Mutationen im gesamten Gen (561 Bp) vorkommen. Es gibt also nicht einzelne, definierte Mutationen, die gezielt analysiert werden können, sondern das gesamte Gen muss durch Sequenzierung analysiert und auf Mutationen untersucht werden. Neben bekannten, eindeutig mit Resistenz assoziierten Mutationen treten dabei auch Mutationen auf, für die eine klinische Unwirksamkeit von PZA nicht mit gleicher Sicherheit gegeben ist [42].
Eine Resistenz gegen Fluorchinolone wird überwiegend durch Mutationen im gyrA-Gen, in seltenen Fällen im gyrB-Gen, verursacht. Eine Korrelation zwischen spezifischen Mutationen und den MHK-Werten ist nicht gesichert [43]. Auch eine Sensibilität gegenüber einzelnen Fluorchinolonen (z. B. Moxifloxacin) kann bei spezifischen Mutationen nicht belegt werden [44].
Resistenzen gegenüber Bedaquilin (Bdq) treten vornehmlich im Rv0678-Gen sowie selten im atpE-Gen auf [45]. Mutationen in Rv0678 führen zu geringgradigen, aber dennoch als klinisch-relevant erachteten MHK-Erhöhungen, wohingegen atpE-Mutationen mit einer High-Level-Resistenz gegenüber Bdq assoziiert sind. Da Resistenzen in Rv0678 an verschiedenen Stellen des Gens auftreten können, ist eine molekularbiologische Resistenzprädiktion derzeit nur mittels DNA-Sequenzierungsverfahren möglich. Inzwischen wurden erste Resistenzen gegenüber Bdq auch in Deutschland beschrieben [46] [47].
Mutationen im Rv0678-Gen werden auch bei Resistenzen gegenüber Clofazimin beschrieben, sodass von einer Kreuzresistenz zu Bedaquilin ausgegangen werden muss. Mutationen in anderen Genen sind beschrieben, aber nicht ausreichend abgesichert, v. a., da Resistenzen gegen Clofazimin weltweit selten sind [26] [45].
Resistenzen gegenüber Linezolid werden durch eine begrenzte Zahl von Mutationen in den Genen rrl und rplC hervorgerufen, wobei bei klinischen Isolaten vorwiegend rplC betroffen ist. Insgesamt sind Resistenzen gegen Linezolid selten.
Resistenzen gegen Amikacin werden überwiegend durch Mutationen im rrs-Gen, das für die 16S rRNA kodiert, sowie selten durch Mutationen in anderen Genen (z. B. eis-Gen) verursacht. Die häufigste beobachtete Mutation (rrs a1401 g) führt zu einer High-Level-Resistenz gegenüber Amikacin und schließt den Einsatz der Substanz im Rahmen der Therapie einer MDR-TB aus.
Für Thioamide (Protionamid und Ethionamid) besteht eine Kreuzresistenz bei Vorliegen einer INH-Resistenz, wenn diese durch eine Mutation im fabG1-inhA-Regulationsbereich verursacht wird. Diese Kreuzresistenz gilt nicht für die durch eine Mutation im katG-Gen verursachte INH-Resistenz. Neben Mutationen im fabG1-inhA-Regulationsbereich gibt es noch weitere Mutationen (z. B. im ethA-Gen), die unabhängig von INH zu einer Thioamidresistenz führen können [48].
Da inzwischen für nahezu alle in der Tuberkulose-Therapie eingesetzten Antibiotika Mutationen bekannt sind, die mit Resistenzen korrelieren, kann durch Gesamtgenomanalysen (whole genome sequencing, WGS) ein umfassendes Bild zur möglichen Resistenzsituation des untersuchten Stammes gewonnen werden [49] [50] [51] [52]. Auch in speziellen Fällen, z. B. bei diskrepanten Ergebnissen (wie phänotypisch resistent – molekularbiologisch sensibel), bei nicht eindeutigen oder grenzwertigen Ergebnissen der phänotypischen Testung oder bei hochresistenten Stämmen können Gesamtgenomanalysen hilfreich sein. Die Genomsequenzierung erlaubt neben einer Resistenzbestimmung auch eine umfassende Erregercharakterisierung und hilft bei der Einordnung in das aktive Infektionsgeschehen, z. B. im Rahmen von Ausbruchsuntersuchungen, zur Klärung einer möglichen Reinfektion oder einer Laborkontamination. WGS wird in Deutschland zunehmend auch zur Transmissionssurveillance mit dem Ziel einer bundesweiten integrierten molekularen Surveillance eingesetzt (IMS) [53] [54]. Für neu diagnostizierte, kulturell positive Tuberkulosefälle kann am Nationalen Referenzzentrum für Mykobakterien im Rahmen der integrierten molekularen Surveillance eine kostenfreie Genomsequenzierung durchgeführt werden.
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3 Standardtherapie der medikamentensensiblen Tuberkulose
3.1 Voraussetzungen für eine Standardtherapie der Tuberkulose
Nach der Diagnose der Tuberkulose ist die Standardtherapie an zwei unverzichtbare Voraussetzungen gebunden:
Erstens: Es darf keine Resistenz gegenüber einem der hier eingesetzten Medikamente der Standardtherapie (Isoniazid [INH], Rifampicin [RMP], Pyrazinamid [PZA] und Ethambutol [EMB]) vorliegen. Da zu Beginn einer Behandlung nur genotypische Resistenzhinweise vorliegen können, soll auf anamnestisch zu erfragende Risikofaktoren für das Vorliegen eines resistenten Stammes geachtet werden. Wichtige Risikofaktoren sind: Jede bekannte oder anamnestisch berichtete und länger als 4 Wochen durchgeführte Tuberkulose-Therapie (Vortherapie), die Herkunft aus Regionen mit erhöhter Prävalenz resistenter Stämme oder der Kontakt zu einem Indexfall mit bekannter Resistenz [7] [9] [55] [56] [57]. Bei Tuberkulosen ohne Erreger-Nachweis erfolgt die Therapieplanung allein auf der Basis der anamnestischen Abklärung der oben genannten Risikofaktoren.
Zweitens: Es sollen voraussichtlich alle Medikamente der Standardtherapie über den vorgesehenen Therapiezeitraum eingesetzt werden können. Die Medikamente der Standardtherapie (Isoniazid, Rifampicin, Pyrazinamid und Ethambutol) sind nicht ohne Konsequenzen (v. a. für die Therapiedauer) gegen Medikamente der Nicht-Standardtherapie austauschbar [7] [9] [55] [56] [57].
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3.2 Standardtherapie der medikamentensensiblen Tuberkulose
3.2.1 Zusammensetzung der Standardtherapie und Therapiedauer
Unter Berücksichtigung der für Deutschland bekannten Resistenzsituation wird für Patientinnen und Patienten ohne Risikofaktoren für eine Resistenz entsprechend den Leitlinien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und anderen internationalen Empfehlungen [7] [9] [55] [56] [57] [58] eine initiale Vierfachtherapie mit den Medikamenten der Standardtherapie Isoniazid (INH), Rifampicin (RMP), Pyrazinamid (PZA) und Ethambutol (EMB) über zwei Monate (Initialphase) empfohlen. In der Kontinuitätsphase der Therapie sollen INH und RMP über weitere vier Monate bis zum Abschluss der sechsmonatigen Gesamttherapiedauer gegeben werden ([Tab. 2] und [Tab. 3]).
Substanz |
Dosis[1]
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Dosisbereich |
Minimal- und Maximaldosis |
Dosis bei 70 kg Körpergewicht |
Isoniazid (INH)[3] |
5 |
4–6 |
200/300 |
300 |
Rifampicin (RMP)[4] |
10 |
8–12 |
450/600 |
600 |
Pyrazinamid (PZA) |
25 |
20–30 |
1500/2500 |
1750 |
Ethambutol (EMB)[5] |
15 |
15–20 |
800/1600 |
1200 |
1 Dosisanpassung bei steigendem Körpergewicht im Heilungsverlauf beachten!
2 Zur Berechnung der gewichtsadaptierten Dosis siehe auch Dosierungsrechner des DZK
3 Zur Vermeidung der Neurotoxizität bei Schwangerschaft und Vorerkrankungen in Kombination mit Vit. B6/Pyridoxin.
4 Höhere Dosen werden geprüft [59].
5 Die optimale Dosis ist nicht bekannt, jedoch sind unerwünschte okuläre Arzneimittelwirkungen in dieser Dosierung deutlich seltener als bei höherer Dosis.
Im Juni 2021 hat die WHO eine Stellungnahme zur Verkürzung der Standardtherapie veröffentlicht [60]. Danach sieht die WHO die Möglichkeit als gegeben an, die Standardtherapie mit den Medikamenten Rifapentin, Isoniazid, Pyrazinamid und Moxifloxacin – täglich verabreicht über 4 Monate – durchzuführen. Da Rifapentin zum Zeitpunkt der Erstellung der Leitlinie in Deutschland nicht verfügbar ist, empfehlen wir die 4-monatige Kurzzeittherapie zum jetzigen Zeitpunkt nicht.
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3.2.2 Einnahme
Bei schlechter Verträglichkeit kann die Einnahme nach einem leichten, fettarmen Frühstück erfolgen ([Tab. 4]).
Medikament[*] |
Empfohlene Einnahme zur Verbesserung der Bioverfügbarkeit |
Isoniazid Rifampicin Pyrazinamid |
Auf nüchternen Magen, am besten mindestens ½ Stunde vor dem Frühstück oder mindestens 2 Stunden nach einer Mahlzeit. |
Ethambutol |
Unabhängig von den Mahlzeiten, aber immer zusammen mit den anderen Medikamenten der Standardtherapie. |
* Medikamente der Nicht-Standardtherapie: siehe [Tab. 10]
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3.2.3 Intermittierende Therapie
Empfehlung 20 |
Neu, Stand 2022 |
Eine intermittierende Therapie soll nicht erfolgen. |
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Konsensstärke: starker Konsens (18/18) |
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Empfehlungsgrad: – – |
Auch wenn intermittierende Therapieformen prinzipiell möglich sind, empfehlen wir wegen der größeren Therapiesicherheit die tägliche Einnahme der Medikamente über die gesamte Therapiedauer (6 Monate) [55].
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3.2.4 Fixe Medikamenten-Kombinationen
Empfehlung 21 |
Neu, Stand 2022 |
Fixe Medikamenten-Kombinationen können eingesetzt werden. |
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Konsensstärke: starker Konsens (18/18) |
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Empfehlungsgrad: +/– |
Zur Erhöhung der Therapieadhärenz und um Medikationsfehler bei der Zusammenstellung der Therapie zu vermeiden können fixe Medikamenten-Kombinationen, falls diese verfügbar sind, eingesetzt werden [61]. Fixe Medikamenten-Kombinationen werden routinemäßig in der Schweiz eingesetzt und auch in anderen Leitlinien empfohlen [55]. In Deutschland sind zum Zeitpunkt der Drucklegung keine fixen Medikamenten-Kombinationen verfügbar.
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3.3 Anmerkungen zur Standardtherapie der Tuberkulose
3.3.1 Anzahl der Medikamente der Standardtherapie, Unverträglichkeit und Therapieverlängerung
Empfehlung 22 |
Neu, Stand 2022 |
Eine Dreifachtherapie in der Initialphase soll nicht eingesetzt werden. |
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Konsensstärke: starker Konsens (15/15) |
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Empfehlungsstarke: – – |
Die Gabe von nur drei Medikamenten (INH, RMP, PZA) in der Initialphase wird für Erwachsene nicht mehr empfohlen. Die große Gefahr einer initialen Dreifachtherapie mit INH, RMP und PZA liegt v. a. in einer nicht bekannten INH-Resistenz [27], da in einem solchen Fall wegen der Unwirksamkeit des PZA im nicht-sauren pH-Milieu de facto eine RMP-Monotherapie verabreicht wird, die in großen Erregerpopulationen zu einer Selektion RMP-resistenter Mutationen führen kann. Eine solche Selektion kann durch EMB als viertes Medikament verhindert werden [7] [9] [55].
Nicht eindeutig kann die Frage beantwortet werden, ob es sinnvoll ist, nach dem Vorliegen der phänotypischen Resistenztestung und dem Nachweis voller Sensibilität gegenüber INH, RMP und PZA die Gabe von Ethambutol in der Initialphase einzustellen. Die WHO sieht dies wegen der Gefahr falscher Ergebnisse der PZA-Resistenzprüfung nicht vor [55]. Wir schließen uns dieser Empfehlung an. Allerdings wird dies in den Leitlinien der ATS, der CDC und der IDSA aus dem Jahre 2016 anders gesehen [9]. Hier wird der Verzicht auf EMB bei voller Sensibilität gegenüber INH, RMP und PZA als möglich beschrieben. Wir sehen dies aber vor allem bei kavernösen Lungentuberkulosen kritisch.
Die 6-monatige Standardtherapie setzt zwingend voraus, dass die Substanzen INH, RMP, PZA und EMB zum Einsatz kommen. Kann auch nur eine der Substanzen aus Verträglichkeitsgründen (Kontraindikation oder unerwünschte Arzneimittelwirkung) nicht gegeben werden, so ist analog zu verfahren, wie bei einer Monoresistenz gegenüber der unverträglichen Substanz (siehe Kapitel Therapie bei Monoresistenz oder Unverträglichkeit gegenüber einem Standardmedikament).
Bei ausgedehnter kavernöser Lungentuberkulose und/oder einem mikroskopischen Nachweis von M. tuberculosis-Komplex über zwei Monate nach Behandlungsbeginn hinaus kann eine Gesamttherapiedauer von neun Monaten (2 Monate INH, RMP, PZA, EMB + 1 Monat INH, RMP, PZA + 6 Monate INH, RMP) bei erneut nachgewiesener bzw. bestätigter Medikamentensensibilität sinnvoll sein, um das erhöhte Risiko eines Rezidivs zu reduzieren [62].
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3.3.2 Überprüfung der Standardtherapie anhand der Resistenztestung
Empfehlung 25 |
Neu, Stand 2022 |
Die Standardtherapie soll beim Eintreffen der Ergebnisse der Resistenztestung überprüft werden. |
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Konsensstärke: starker Konsens (18/18) |
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Empfehlungsstärke: + + |
Bei jedem Eintreffen von Ergebnissen der phänotypischen oder genotypischen Resistenztestung aus Kulturen oder direkt aus Untersuchungsmaterialien soll unmittelbar überprüft werden, ob bisher eine adäquate Therapie durchgeführt worden ist.
Unterbrechungen der Tuberkulosebehandlung können ärztlicherseits im Rahmen von unerwünschten Arzneimittelwirkungen notwendig sein oder aber durch die Patientin oder den Patienten infolge fehlender Therapieadhärenz bedingt sein. Unterbrechungen, die länger als zwei Monate dauern, gelten definitionsgemäß als Therapieabbruch und sind dem Gesundheitsamt zu melden. In diesem Fall ist die Therapie neu zu beginnen. Dabei soll v. a. bei mangelhafter Therapieadhärenz geprüft werden, ob sich die erneute Therapie jetzt an den Therapievorschlägen für vorbehandelte Patientinnen und Patientinnen orientieren muss (siehe Kapitel Behandlung vorbehandelter Patientinnen und Patienten). Das Vorgehen bei kürzerer Therapieunterbrechung ist von der Art der Erkrankung und Vorbehandlung (Medikamentensensibilität), der Länge der Therapieunterbrechung, dem Zeitpunkt der Therapiepause (in der Initial- oder Kontinuitätsphase) und ggf. der Menge der ausgeschiedenen Erreger (mikroskopischer/kultureller Nachweis) abhängig. Je früher die Unterbrechung der Behandlung erfolgt und je länger sie andauert, umso eher muss die Therapie gänzlich von vorne begonnen werden [9] [63]. Grundsätzlich sollte das weitere Vorgehen in Abstimmung mit einer Ärztin oder einem Arzt erfolgen, die/der über eine ausreichende Erfahrung in der Therapie der Tuberkulose verfügt, da in diesen Fällen das Risiko für das Vorliegen bzw. die Entwicklung von Resistenzen erheblich ist. In solchen Fällen empfiehlt sich eine erneute Diagnostik und Materialgewinnung, um aktuelle Informationen zur Erreger-Sensibilität zu erhalten. Wenn Therapieunterbrechungen durch die Patientin oder den Patienten wegen mangelnder Adhärenz verursacht sind, soll eine direkt überwachte Therapie durchgeführt werden. Wenn diese im Vorfeld der Therapieunterbrechung bereits stattgefunden hat, sind weitere Maßnahmen, die die Therapieadhärenz fördern können, zu überlegen und zu ergreifen. Als letzte Maßnahme ist bei unkooperativen infektiösen Erkrankten – nach richterlichem Beschluss – eine zwangsweise Absonderung in einer dafür vorgesehenen Abteilung möglich (§ 30, Abs. 2 IfSG, siehe Kapitel Maßnahmen nach dem Infektionsschutzgesetz: Zwangsweise Absonderung).
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3.3.3 Rezidive der Tuberkulose nach erfolgreicher Standardtherapie
Empfehlung 27 |
Neu, Stand 2022 |
Eine Kontrolle auf ein Rezidiv nach abgeschlossener Standardtherapie soll nach sechs und zwölf Monaten erfolgen[*]. |
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Konsensstärke: starker Konsens (1 /18) |
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Empfehlungsstärke: + + |
* In der Schweiz sind Kontrollen nach Therapieabschluss nicht vorgesehen.
Im Allgemeinen sind Rezidive einer sensiblen Tuberkulose nach einer abgeschlossenen Standardtherapie über sechs Monate selten (weniger als 5 %). Wenn Rezidive auftreten, dann überwiegend innerhalb der ersten sechs (78 %) bzw. zwölf Monate (91 %) nach Ende der vorausgegangenen Behandlung [62].
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3.3.4 Meldepflicht und Definition der Therapieergebnisse
Die Therapieergebnisse werden nach Kriterien des RKI standardisiert erfasst. Diese haben für die Kliniker weniger praktische Bedeutung, sind aber für die Gesundheitsämter und die Tuberkulose-Surveillance im Sinne einer Prüfung der Behandlungsqualität in Deutschland von großer Bedeutung und werden daher von den Gesundheitsämtern nach spätestens 12 Monaten von den Behandelnden erfragt. Auch der Therapieabbruch ist nach § 6 (2) IfSG meldepflichtig.
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3.4 Verlaufsuntersuchungen während der Therapie
3.4.1 Überblick über Kontrolluntersuchungen
Empfehlung 29 |
Neu, Stand 2022 |
Während der Therapie der unkomplizierten Lungentuberkulose sollen entsprechende Kontroll-Untersuchungen (Routine-Labor, Sputum-Mikroskopie und -Kultur, Röntgen-Thorax-Bilder und augenärztliche Untersuchungen) erfolgen. In [Abb. 1] sind die Kontrollintervalle dargestellt. |
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Konsensstärke: starker Konsens (18/18) |
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Empfehlungsstärke: + + |
Die folgenden Routine-Kontrollintervalle werden empfohlen: Laborwerte (Blutbild, Leberfunktionswerte, Nierenfunktionswerte) sollen zwei und vier Wochen nach Behandlungsbeginn und bei unauffälligen Befunden im Anschluss daran vierwöchentlich überprüft werden. Das Körpergewicht soll vierwöchentlich kontrolliert werden, da die Medikamente nach Körpergewicht dosiert werden. Nach der Laborkontrolle in Woche 12 kann über die weiteren Laborkontrollen individuell entschieden werden. Bei sehr guter Verträglichkeit kann auf diese zugunsten von klinischen Kontrollen verzichtet werden (siehe [Abb. 1]).
Eine augenärztliche Kontrolle (Farbsehvermögen, Gesichtsfeld) soll unter EMB-Gabe in vierwöchentlichen Abständen bis zur Beendigung der EMB-Therapie erfolgen.
Bei eingeschränkten Funktionswerten vor Therapiebeginn oder bei der Entwicklung auffälliger/pathologischer Resultate sollen alle oben genannten Kontrollen engmaschiger erfolgen, sofern sie nicht zum Absetzen der verursachenden Substanz führen. Auch in diesem Fall sollen bis zur Normalisierung der Werte engmaschige Kontrollen erfolgen. Organspezifische körperliche Untersuchungen können je nach individueller Notwendigkeit ergänzt werden.
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3.4.2 Mikrobiologische Verlaufsdiagnostik
Mikroskopische Kontrollen der bakteriologischen Befunde unter Therapie sollen bei primär mikroskopisch positiven Lungentuberkulosen bis zur Konversion (Wechsel vom mikroskopisch positiven zum mikroskopisch negativen Befund) des Sputums durchgeführt werden, um die Ansteckungsfähigkeit beurteilen zu können. Die empfohlenen Kontrollintervalle sind der [Abb. 1] zu entnehmen. Erneute kulturelle Untersuchungen sollen jeweils nach vier, acht und 12 Wochen erfolgen. Zur Dokumentation des Therapieerfolges sollte eine kulturelle Sputum-Konversion am Ende der Initialphase und in der Kontinuitätsphase gegen Ende der Therapie nachgewiesen werden [2]. Bei Tuberkulosekranken, die kein Sputum mehr produzieren können, müssen keine invasiven Materialentnahmen (z. B. Bronchoskopie) erfolgen. Werden nach 8–12 Wochen noch Erreger kulturell nachgewiesen, soll eine erneute phänotypische und ggf. genotypische Empfindlichkeitsprüfung erfolgen. Unabhängig hiervon muss betont werden, dass erneute mikrobiologische Untersuchungen immer dann indiziert sind, wenn der klinische und/oder radiologische Verlauf der Erkrankung nicht den Erwartungen entspricht.
Bei bakteriologisch bestätigten extrapulmonalen Tuberkulosen ist wegen der schwierigen Materialgewinnung eine bakteriologische Verlaufskontrolle oft nicht durchführbar. Eine Ausnahme stellt die Urogenitaltuberkulose dar.
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3.4.3 Radiologische Verlaufsdiagnostik
Eine Verlaufskontrolle der Röntgenaufnahmen des Thorax soll bei thorakalen Tuberkulosen (Lunge, intrathorakale Lymphknoten, Pleura) nach acht Wochen erfolgen. Je nach dem Ausgangsbefund und dem klinischen Verlauf können jedoch auch kürzere Kontrollintervalle notwendig sein. Abhängig vom Erfolg der Therapie sind weitere Kontrollen festzulegen. In jedem Fall soll eine Thorax-Röntgen-Aufnahme am Ende der Therapie erfolgen, da sie Teil der Erfolgsbeurteilung der Therapie und Ausgangspunkt der weiteren Verlaufsbeobachtung ist. Bei klinisch günstigem Therapieverlauf empfehlen wir Röntgenkontrollen des Thorax wenigstens sechs und 12 Monate nach Beendigung der Behandlung (siehe [Abb. 1]).
Computertomografische Thoraxuntersuchungen sind kein Standard in der Verlaufsbeobachtung einer thorakalen Tuberkulose. Sollte sich in Einzelfällen eine Indikation hierfür ergeben, sollen bevorzugt Low-Dose-Techniken zum Einsatz kommen.
Sollten bei Kindern, Jugendlichen oder jungen Erwachsenen Verlaufskontrollen pulmonaler Tuberkulosen mit Schnittbildverfahren erforderlich werden, ist aus Strahlenschutz-Gründen der Einsatz der MRT zu bevorzugen (siehe auch S2k-Leitlinie „Tuberkulose im Kindes- und Jugendalter“).
Bei extrapulmonalen Tuberkuloseformen erfolgt die Verlaufsbeobachtung unter Verwendung des am besten geeigneten bildgebenden Verfahrens (Sonografie, Computertomografie, Kernspintomografie) in geeigneten Zeitintervallen und am Ende der Therapie. Über entsprechende Kontrollen in der Verlaufsbeobachtung nach der Therapie muss im Einzelfall entschieden werden.
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3.4.4 Überwachung der Therapieadhärenz
Empfehlung 30 |
Neu, Stand 2022 |
Auf die Überwachung der Therapieadhärenz soll über den gesamten Therapieverlauf geachtet werden. |
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Konsensstärke: starker Konsens (18/18) |
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Empfehlungsstärke: + + |
Die Therapieleitlinien der WHO [1] [2] [55] betonen die Zusammenarbeit aller an der Behandlung der Tuberkulose Beteiligten. Die Tuberkulosekranken sollen dabei als aktive Partnerinnen und Partner beteiligt werden. Auf Seiten des behandelnden Teams werden eine gute kultur- und sprachsensitive Kommunikationsfähigkeit, Sensibilität für mögliche Nicht-Adhärenz und respektvoller Umgang gefordert. Aufmerksamkeit bezüglich möglicher unerwünschter Arzneimittelwirkungen und ein adäquater Umgang damit fördern die Therapieadhärenz. Einfach zu erhebende Parameter für den Nachweis der Medikamenteneinnahme sind die Rotfärbung des Urins durch RMP und der Anstieg der Harnsäure durch PZA.
Zur Frage der überwachten Therapie (DOT) wird auf das Kapitel Therapieadhärenz und direkt überwachte Behandlung (DOT) verwiesen.
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3.4.5 Adjuvante Therapieformen
Adjuvante Therapieformen umfassen u. a. die Ernährung, die Mobilisation und die psychologische/psychiatrische Betreuung. Detaillierte Informationen dazu siehe Kapitel Supportive Therapie bei sensibler und medikamentenresistenter TB.
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3.5 Besondere Therapiesituationen bei der Standardtherapie der Tuberkulose
3.5.1 Diagnostik und Therapie der Tuberkulose ohne Sicherung der Diagnose
Bei negativen Befunden der Sputummikroskopie und der molekularbiologischen Diagnostik soll zunächst eine Diagnosesicherung aus anderen Materialien angestrebt werden.
Eine weiterführende Diagnostik unter Einschluss einer Bronchoskopie mit bronchoalveolärer Lavage (BAL) und anschließendem postbronchoskopischen Sputum sowie einem endobronchialen Ultraschall (EBUS) zur transbronchialen Lymphknotenbiopsie wird dringend empfohlen. Auch andere invasivere Techniken (CT-gestützte Punktion, chirurgische Biopsie) mit entsprechender Materialgewinnung (Histologie, unfixiertes Material für Mikroskopie, NAT und Kultur) sollen – sofern möglich – in allen bakteriologisch negativen Fällen einer thorakalen Tuberkulose zur Anwendung kommen (siehe [Tab. 1]).
Erfolgt keine bakteriologische (kulturelle) Sicherung der Diagnose, wird in gleicher Weise mit der Standardtherapie behandelt wie bei bakteriologisch gesicherten Tuberkulosen, sofern keine Risikofaktoren für eine Resistenz des Erregers vorliegen. Auch ist eine Behandlungsdauer von sechs Monaten ausreichend.
Ergibt sich ein begründeter Verdacht auf eine Resistenz (vorbehandelter Patient, Herkunft aus Ländern mit hoher Resistenz-Prävalenz, Kontakt zu Indexfall mit resistentem Stamm), soll die Therapie entsprechend modifiziert werden (siehe Kapitel Therapieempfehlungen).
Da INH weltweit die höchsten Resistenzraten aufweist (WHO country profiles), soll die Therapie von Tuberkulosekranken, bei denen ein Verdacht auf eine INH-Resistenz besteht, nach Rücksprache mit einem spezialisierten TB-Behandlungszentrum modifiziert werden.
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3.5.2 Behandlung vorbehandelter Patientinnen und Patienten
Die Therapie vorbehandelter Tuberkuloseerkrankter gehört stets in die Hand damit langjährig erfahrener Ärztinnen und Ärzte oder entsprechend spezialisierter TB-Behandlungszentren, da auch in Deutschland die Vorbehandlung ein wesentlicher Risikofaktor für eine Erkrankung durch resistente Stämme ist. Epidemiologische Daten zeigen, dass in Deutschland bei Erkrankten mit Vorbehandlung deutlich häufiger eine Resistenz gegenüber einem Medikament der Standardtherapie vorliegt als bei Erkrankten ohne vorhergehende Tuberkulosetherapie. Die aktuelle Entwicklung der epidemiologischen Situation ist dabei zu beachten (www.rki.de/tuberkulose).
Bei vorbehandelten Erkrankten soll differenziert werden, ob es sich um Patientinnen oder Patienten handelt, die nach einem Therapieabbruch die Behandlung wiederaufnehmen (Therapieabbruch), die ein Rezidiv nach erfolgreicher Therapie erleiden (Rezidiv) oder deren vorherige Behandlung versagt hat (Therapieversagen). Nach Therapieabbruch und beim Rezidiv ist die Wahrscheinlichkeit einer MDR-Tuberkulose (engl.: multidrug-resistant tuberculosis) geringer als nach einem Therapieversagen, bei dem die MDR-Tuberkulose-Wahrscheinlichkeit als hoch angesehen werden muss.
Da jedoch prinzipiell bei allen vorbehandelten Erkrankten ein deutlich erhöhtes Risiko für das Vorliegen von resistenten Erregern besteht [2] [55] [57] [64], soll vor Behandlungsbeginn immer mittels molekularbiologischer Methoden untersucht werden, ob Resistenz-assoziierte Mutationen für RMP und INH vorhanden sind. Darüber hinaus sollen der kulturelle Erregernachweis und eine phänotypische Resistenztestung in jedem Fall angestrebt werden. Nähere Informationen hierzu in Kapitel Diagnostische Verfahren zur Empfindlichkeitsprüfung.
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3.5.3 Therapie nach Therapieabbruch oder Rezidiv
Liegt das Ergebnis der molekularbiologischen Untersuchungen vor, kann die initiale Therapie am entsprechenden Resistenzmuster ausgerichtet werden. Liegt keine Resistenz gegen INH und/oder RMP vor, so empfehlen wir als Therapie in der Initialphase analog zur WHO [1] [2] [55] eine Therapie mit INH, RMP, PZA und EMB bis zum Vorliegen der Ergebnisse der phänotypischen Resistenztestung.
Können keine phänotypischen Resistenztests durchgeführt werden, soll bei einem klinischen Erfolg nach der 2-monatigen Initialtherapie für einen weiteren Monat mit INH, RMP, PZA und EMB und für weitere fünf Monate mit INH, RMP und EMB behandelt werden (acht Monate Gesamttherapiedauer) [2].
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3.5.4 Therapie nach Therapieversagen
Haben mikrobiologische und molekularbiologische Untersuchungen nach einem Therapieversagen kein Ergebnis erbracht, kann laut WHO empirisch entsprechend den Therapieprinzipien einer MDR-Tuberkulose behandelt werden, da in dieser Gruppe eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit für das Vorhandensein multipler Resistenzen besteht.
Nach einem Therapieversagen wird es unter den Gegebenheiten in Deutschland, Österreich und der Schweiz sinnvoller sein, zunächst umfängliche diagnostische Materialgewinnungsmaßnahmen durchzuführen (z. B. Bronchoskopie, CT-gestützte Punktionen u. a.), um eine aktuelle molekularbiologische und im Verlauf dann auch phänotypische Resistenzprüfung zu ermöglichen. Die initiale Therapie soll anhand der Ergebnisse molekularbiologischer Resistenztests ausgerichtet werden und im Verlauf nach Kenntnis der phänotypischen Resistenz ggf. entsprechend modifiziert werden siehe Kapitel Therapieempfehlungen.
Liegen keine molekularbiologischen Untersuchungsergebnisse vor, kann es unter bestimmten Umständen (z. B. geringe klinische Krankheitsschwere, mikroskopisch negative Sputumuntersuchungen und geringe radiologische Ausdehnung) sinnvoll sein, mit dem Therapiebeginn zu warten, bis Aussagen zur Resistenz möglich sind.
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3.6 Besondere Patientinnen, Patienten und Personengruppen
3.6.1 Tuberkuloseerkrankte mit Niereninsuffizienz
Die Medikamente INH und RMP können bei Niereninsuffizienz in unveränderter Dosis und mit unverändertem Dosierungsintervall gegeben werden [65] [66].
PZA und EMB sollen ab einer GFR < 30 ml/min/KOF intermittierend 3 × pro Woche in normaler Dosis gegeben werden ([Tab. 5]). Weitere Angaben zu den Medikamenten sind im Kapitel Medikamente zur Behandlung der Tuberkulose und in den Fachinformationen nachzulesen. Bei Peritoneal- oder Hämodialyse sollen die entsprechenden Vorschriften der Hersteller hinsichtlich des Dosierungszeitpunktes, der Dosis und des Dosierungsintervalls beachtet werden.
Substanz |
Dosis |
GFR 80–30 |
GFR < 30 |
Isoniazid |
5 |
täglich |
täglich |
Rifampicin |
10 |
täglich |
täglich |
Pyrazinamid |
25[1] |
täglich |
3 × /Woche |
Ethambutol |
15 |
täglich |
3 × /Woche[2] |
1 Bei Menschen in höherem Lebensalter (≥ 65 Jahre) Pyrazinamid-Dosis innerhalb von zwei Wochen von 15 auf 25 mg/kg KG steigern.
2 Serum-Spiegelbestimmungen durchführen, siehe Kapitel Therapeutisches Drug-Monitoring (TDM).
Beispielhaft kann bei der Hämodialyse die tägliche Gabe von INH und RMP in voller Dosis und von PZA und EMB in voller Dosis 3 × pro Woche empfohlen werden. Die Medikamente sollen an den Dialysetagen unmittelbar nach der Dialyse eingenommen werden. Da eine Medikamentenakkumulation möglich ist, können Blutspiegelkontrollen erwogen werden.
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3.6.2 Tuberkuloseerkrankte mit Leberinsuffizienz
Empfehlung 35 |
Neu, Stand 2022 |
Bei hepatischen Vorerkrankungen sollen unter der Standardtherapie engmaschige Laborwert-Kontrollen erfolgen. |
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Konsensstärke: starker Konsens (18/18) |
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Empfehlungsgrad: + + |
Hepatische Vorerkrankungen wie eine Hepatitis, ein Zustand nach Hepatitis (Leberzirrhose, chronisch aktive Hepatitis, positiver Antigennachweis für Hepatitis B oder C) oder ein Alkoholabusus erschweren die Therapie mit den potenziell hepatotoxischen Medikamenten (INH, RMP, PZA) unter Umständen erheblich [9] [67] [68]. Bei diesen Tuberkuloseerkrankten sind je nach Ausmaß der Lebervorschädigung wöchentliche bis mehrfach wöchentliche Kontrollen der entsprechenden Laborparameter in den ersten Monaten unverzichtbar. Bei Alkoholkarenz nach Abusus oder Transaminasenerhöhungen auf dem Boden einer Herzinsuffizienz, die auf eine kardiale/diuretische Therapie gut anspricht, kommt es trotz primär deutlich erhöhter Transaminasenwerte häufig rasch zu einer spontanen Remission, sodass die antituberkulöse Therapie hier unter entsprechenden Kontrollen weitergeführt werden kann und nicht verzögert werden sollte. Es muss abgewogen werden, ob eine schrittweise Dosiserhöhung sinnvoll ist (siehe Kapitel Hepatotoxizität).
Nicht hepatotoxisch ist EMB, das durch ein renal eliminiertes Fluorchinolon wie z. B. Levofloxacin ergänzt werden kann. In jedem Fall muss aber auch bei eingeschränkter Leberfunktion versucht werden, zumindest eines der Medikamente INH oder RMP in die Therapie einzuführen, um eine suffiziente Therapie zu gewährleisten. Wird nur eines der beiden hepatotoxischen Medikamente vertragen, so ist abzuwägen, ob die schnellere Bakterizidie des INH oder die sterilisierende Wirkung des RMP im individuellen Fall von Vorteil sind. I. d. R. sollte daher in der Initialphase der Therapie bei hoher Keimausscheidung INH eingesetzt werden und in der Kontinuitätsphase RMP.
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3.6.3 Tuberkuloseerkrankte unter intensivmedizinischer Behandlung
Die Behandlungsprinzipien gelten auch unter intensivmedizinischen Bedingungen. Besonderes Augenmerk ist auf die höhere Rate unerwünschter Arzneimittelwirkungen und -interaktionen zu legen. INH, RMP und EMB stehen auch für die parenterale Gabe zur Verfügung. Die Gabe von INH, RMP, PZA und EMB ist auch über eine Magensonde möglich, wenn die Resorption gesichert erscheint.
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3.6.4 Tuberkuloseerkrankte mit der Notwendigkeit für eine parenterale Therapie
Die Medikamente INH, RMP und EMB können parenteral appliziert werden. INH, RMP und EMB können i. d. R. zusammen in 500 ml 5 %-Glukoselösung in 1–2 Stunden infundiert werden (dabei sind jedoch prinzipiell die aktuellen Informationen der Hersteller zu beachten). PZA kann über eine Magensonde verabreicht werden.
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3.6.5 Tuberkuloseerkrankte mit Verdacht auf eine verminderte enterale Resorption
Empfehlung 37 |
Neu, Stand 2022 |
Bei V. a. eine verminderte enterale Resorption sollten Medikamenten-Spiegel im Blut gemessen werden. |
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Konsensstärke: starker Konsens (16/16) |
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Empfehlungsstärke: + |
Magen-Darm-Erkrankungen, Malabsorptionssyndrome, das Wasting-Syndrom bei AIDS-Kranken, zystische Fibrose und ein Zustand nach Darmteilresektionen können zur verminderten Resorption der Medikamente führen. In diesen Fällen ist die Resorption nach Rücksprache mit einem entsprechenden Labor mittels Blutspiegel-Untersuchungen (siehe Kapitel Therapeutisches Drug-Monitoring (TDM)) zu prüfen und gegebenenfalls eine parenterale Therapie durchzuführen.
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3.6.6 Tuberkulose bei Patientinnen und Patienten unter Behandlung mit TNF-Inhibitoren oder anderen Biologika
Aufgrund der Vielzahl an Substanzen, die unter dem Begriff Biologika zusammengefasst werden, sowie aufgrund der raschen Entwicklung von neuen Substanzen möchten wir an dieser Stelle auch auf die Fachinformationen sowie aktuelle Empfehlungen zu einzelnen Substanzen und Substanzgruppen [69] [70] und auf das Kapitel Empfehlungen für ausgewählte Personengruppen mit erhöhtem Progressionsrisiko zur latenten tuberkulösen Infektion verweisen.
Eine Tuberkulose unter TNFi entsteht häufig früh in den ersten acht Wochen nach Gabe dieser Medikamente, kann aber auch noch Monate nach Absetzen der Substanz auftreten [69] [71] [72] [73] [74]. Es kommt in vielen Fällen zu extrapulmonalen Tuberkulosen (ca. 50 %) und schweren Verläufen [75]. Auch unter anderen immunsuppressiven Therapien kann das Risiko für die Entwicklung einer Tuberkulose erhöht sein [76]. Für die meisten immunsuppressiven Therapien gibt es hierzu nur Einzelfallbeschreibungen, aber keine belastbaren Daten. Die Therapie der Tuberkulose sollte unverzüglich begonnen werden, dabei gelten die Empfehlungen zur Standardtherapie. Die Therapie mit einem TNFi oder einer anderen immunsuppressiven Therapie, für die ein erhöhtes Risiko für die Entstehung einer Tuberkulose beschrieben ist, soll im Falle der Entwicklung einer Tuberkulose sofort beendet werden. Aufgrund der Immunrekonstitution, die nach Absetzen der immunsuppressiven Therapie erfolgt, ist auf eine Verschlechterung der Tuberkulose im Sinne eines Immunrekonstitutionsyndroms (IRIS) zu achten [69] [71] [72] [73] [74] (siehe Kapitel Immunrekonstitutionssyndrom bei HIV-Infektion und Tuberkulose [TB-IRIS/tuberculosis-immune reconstitution inflammatory syndrome]).
Es ist unklar, wann unter einer laufenden Tuberkulosetherapie die Behandlung mit TNFi oder Biologika wiederaufgenommen werden kann. Da hierzu nur wenige Daten aus kleineren Fallserien existieren, schließt sich die Leitliniengruppe den amerikanischen Empfehlungen an, dass diese Entscheidung individuell getroffen werden soll [77] [78] [79]. Sofern wegen der Grunderkrankung die dringende Notwendigkeit einer Wiederaufnahme der immunsuppressiven Therapie besteht, sollte diese erst nach eindeutigem Ansprechen der Tuberkulosetherapie erfolgen und das Immunsuppressivum mit dem geringsten Risikopotential gewählt werden [9]. Auch Behandlungsalternativen mit wahrscheinlich geringerem Risikopotential sollten während der Tuberkulosetherapie unter strenger Risiko-Nutzen-Abwägung eingesetzt werden [69] [71] [72] [73] [74].
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3.6.7 Tuberkuloseerkrankte mit aus anderer Indikation unverzichtbarer Glukokortikoid-Therapie
Unter RMP-Therapie sinkt der Serumspiegel der Glukokortikoide um ca. 50 %. Die Glukokortikoid-Dosis soll daher entsprechend erhöht werden.
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3.6.8 Patientinnen und Patienten nach Organtransplantation
Empfehlung 40 |
Neu, Stand 2022 |
Auch bei organtransplantierten Patientinnen und Patienten soll die Standardtherapie angewendet werden. Auf Medikamenten-Interaktionen soll geachtet werden. |
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Konsensstärke: starker Konsens (18/18) |
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Empfehlungsstärke: + + |
Durch die medikamentöse Immunsuppression besteht sowohl ein höheres Infektions- als auch Reaktivierungsrisiko für Tuberkulose [80] [81] [82]. Die Therapie der Tuberkulose unterscheidet sich nicht von der Standardtherapie. Für eine häufig praktizierte langfristige Fortsetzung der INH-Therapie über das Ende einer Standardtherapie hinaus gibt es keine überzeugende Evidenz [82]. Auf das vielfältige Interaktionspotenzial mit Immunsuppressiva und anderen antimikrobiell wirksamen Substanzen soll geachtet werden.
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3.6.9 Patientinnen und Patienten mit einer Silikotuberkulose
Liegt als Grunderkrankung eine Silikose vor, erfolgt die Initialtherapie in üblicher Weise als Standardtherapie über zwei Monate. Allerdings sollte die Therapiedauer in der Kontinuitätsphase auf sechs bis 10 Monate verlängert werden (Gesamtbehandlungsdauer 8–12 Monate), da von einer erschwerten Penetration der Medikamente in die fibrotisch veränderten Lungenareale sowie von einer eingeschränkten Alveolarmakrophagenfunktion ausgegangen werden muss [9] [83].
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3.6.10 Patientinnen und Patienten nach chirurgischer Resektion eines pulmonalen Tuberkuloms
Empfehlung 42 |
Neu, Stand 2022 |
Nach der Resektion eines Tuberkuloms soll eine Standardtherapie erfolgen. |
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Konsensstärke: Konsens (16/17) |
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Empfehlungsgrad: + + |
Obwohl zwei aktuelle, retrospektive Studien mit einem Follow-up von im Mittel < 3 Jahren keine vermehrten Tuberkulosefälle nach Resektion eines Tuberkuloms zeigen konnten [84] [85], spricht sich die Leitliniengruppe mehrheitlich für eine vollständige Tuberkulosetherapie auch nach vollständiger Resektion eines Tuberkuloms aus, da die Operation nicht sicher zur Elimination aller vitalen Erreger führt, die sich z. B. noch in drainierenden Lymphknoten befinden und im langfristigen Verlauf zu einer Reaktivierung führen können [86] [87]. Zu beachten ist dabei aber, dass stets eine sorgfältige Risikoabwägung zwischen der Standardtherapie und einem abwartenden beobachtenden Verhalten erfolgen muss, da auch bei einer generell gut verträglichen Standardtherapie unerwünschte Arzneimittel-Wirkungen auftreten können.
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3.6.11 Therapie in der Schwangerschaft und in der Stillzeit
Eine TB-Erkrankung soll auch während der Schwangerschaft behandelt werden, da sie ein Risiko für Mutter und Kind darstellt. Die Medikamente der Standardtherapie Isoniazid, Rifampicin, Pyrazinamid und Ethambutol werden als ausreichend sicher bewertet, um sie auch während der Schwangerschaft und Stillzeit zu geben [88].
Die Behandlung einer Tuberkulose während einer Schwangerschaft soll, sofern kein Anhalt für eine Medikamentenresistenz besteht, mit der Standardtherapie INH + Pyridoxin), RMP, EMB und PZA über zwei Monate, gefolgt von INH und RMP über vier Monate für eine Gesamttherapiedauer von 6 Monaten erfolgen. Der Einsatz von PZA in der Schwangerschaft wird von internationalen Organisationen und Experten empfohlen [2]
[7]
[9]
[89], die American Thoracic Society hingegen lehnt die routinemäßige Anwendung in der Schwangerschaft aufgrund mangelnder Daten zur Teratogenität von PZA ab [9]. Wird auf PZA verzichtet, ist die verlängerte Therapiedauer von neun Monaten (2 Monate INH, RMP und EMB, 7 Monate INH und RMP) zu berücksichtigen.
Eine antituberkulöse Therapie mit INH, RMP, PZA und EMB stellt im Falle einer unter Behandlung eintretenden oder bereits bestehenden Schwangerschaft keine Indikation zum Schwangerschaftsabbruch dar [2] [7]
Während einer Therapie mit den Medikamenten der Standardtherapie kann gestillt werden, da die mit der Milch vom Säugling aufgenommenen Substanzkonzentrationen zu gering sind, um beim Säugling unerwünschte Wirkungen zu erzeugen [90]. Bei gleichzeitiger antituberkulöser Therapie von Mutter und Kind sind zwar die Wirkstoffspiegel beim gestillten Kind leicht erhöht, es dürfen aber deshalb keine reduzierten Dosen in der Therapie des Kindes eingesetzt werden. Zu berücksichtigen sind allerdings möglicherweise vermehrte unerwünschte Arzneimittelwirkungen beim Kind [89].
Die Therapie der resistenten Tuberkulose (siehe Kapitel Therapie medikamentenresistenter TB in der Schwangerschaft) und die präventive Therapie in der Schwangerschaft (siehe Kapitel LTBI und präventive Therapie bei Kindern und Schwangeren) sind in den jeweiligen Kapiteln der Leitlinie beschrieben.
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3.6.12 Patientinnen im gebärfähigen Alter
Empfehlung 44 |
Neu, Stand 2022 |
Unter einer RMP-Therapie sollen keine oralen hormonellen Kontrazeptiva angewendet werden. |
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Konsensstärke: starker Konsens (18/18) |
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Empfehlungsstärke: – – |
Unter einer RMP-Therapie ist die Wirksamkeit von systemisch wirksamen (oralen) hormonellen Kontrazeptiva eingeschränkt. Es sollen daher immer alternative Verhütungsmaßnahmen ergriffen werden.
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3.6.13 Tuberkulose bei Menschen in höherem Lebensalter (≥ 65 Jahre)
Empfehlung 45 |
Neu, Stand 2022 |
Unter einer Standardtherapie sollen Personen ≥ 65 Jahre engmaschig klinisch überwacht werden. |
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Konsensstärke: starker Konsens (18/18) |
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Empfehlungsstärke: + + |
Wir sind uns der Schwierigkeit der Altersdefinition bewusst. Gleichwohl ergeben sich in dieser Gruppe einige Besonderheiten, obgleich die Prinzipien der Therapie die gleichen sind. Zu achten ist v. a. auf das gehäufte Auftreten von unerwünschten Arzneimittelwirkungen und mögliche Interaktionen mit anderen Medikamenten. Der Einsatz von EMB ist möglich, bedarf jedoch bei entsprechenden Einschränkungen der Sehkraft einer besonders engmaschigen augenärztlichen Überwachung. Da die Kombination von INH, RMP und PZA beim alten Menschen nicht selten eine relevante Hepatotoxizität induziert, raten Experten dazu, die PZA-Dosis mit 15 mg/kg KG zu beginnen und innerhalb von zwei Wochen auf 25 mg/kg KG zu steigern.
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3.7 Management unerwünschter Arzneimittelwirkungen (UAWs)
3.7.1 Einleitung
Die Medikamente der Standardtherapie sind i. d. R. gut verträglich. Bedingt durch die sehr hohe Zahl der bisher mit Kombinationstherapien behandelten Tuberkuloseerkrankten verfügen wir über sehr gute Daten zur Verträglichkeit dieser Therapie [1] [2] [7] [9] [55]. Abgesehen von Patientinnen und Patienten mit einem erhöhten Risiko für Unverträglichkeitsreaktionen (z. B. bei Komorbidität) ist die Rate von Therapieabbrüchen wegen Medikamentenunverträglichkeiten bei der Standardtherapie insgesamt sehr gering. Medikamente der Nicht-Standardtherapie sind hingegen häufig deutlich schlechter verträglich (siehe Kapitel Verlaufskontrollen unter MDR-Therapie).
Wichtige unerwünschte Arzneimittelwirkungen der einzelnen Medikamente und Hinweise zum therapeutischen Medikamentenmanagement siehe die Kapitel Medikamente zur Behandlung der Tuberkulose und Therapeutisches Medikamentenmanagement. Darüber hinaus wird auf die aktuellen Fachinformationen der Hersteller verwiesen.
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3.7.2 Hepatotoxizität
Klinisch am bedeutendsten ist die additive Hepatotoxizität der drei Medikamente INH, RMP und PZA, die insbesondere bei Tuberkuloseerkrankten mit hepatischen Vorerkrankungen und in fortgeschrittenem Lebensalter eine Rolle spielt [1] [2] [7] [9] [55] [91]. In diesen beiden Gruppen ergibt sich häufig die Notwendigkeit zum Ersatz eines der drei Medikamente (meist PZA) durch ein weniger hepatotoxisches Medikament.
Die Hepatotoxizität kann zu einer medikamentös bedingten Hepatitis und/oder intrahepatischen Cholestase führen. Bei Normalwerten vor Beginn der Therapie soll auch bei einer Erhöhung der Serum-Transaminasen SGOT (international: ALAT) und SGPT (international: ASAT) bis zum Fünffachen des oberen Normwertes unter engmaschiger Beobachtung und Kontrolle die Therapie fortgesetzt werden [1] [2] [7] [9] [55] [91]. Für die Gamma-GT und die alkalische Phosphatase (AP) kann eine Erhöhung über die oben genannten Grenzwerte hinaus in Einzelfällen unter engmaschigen Kontrollen toleriert werden. Es soll jedoch auch nach anderen möglichen Ursachen für die Erhöhung dieser Laborparameter gesucht werden [67] [92] [93]. Zu berücksichtigen ist, dass eine isolierte Erhöhung von Gamma-GT und AP auch ein Hinweis auf eine hepatische Tuberkulose sein kann [94].
Steigen die Werte der SGOT und SGPT über die oben genannten Grenzwerte weiter an oder entwickelt sich eine Hyperbilirubinämie (Bilirubin > 2-fach oberer Normwert), so soll die Therapie mit allen Medikamenten pausiert werden, um nach dem Absetzen der hepatotoxischen Medikamente eine Monotherapie mit Ethambutol zu vermeiden.
Laut US-amerikanischen Empfehlungen wird eine Leberwerterhöhung (SGPT, SGOT) bei begleitenden Symptomen (z. B. Übelkeit, Erbrechen, abdominelle Schmerzen, Gelbsucht oder bei unerklärter Müdigkeit) nur bis zum 3-Fachen der oberen Normwerte toleriert. Bei vorbestehender Leberwerterhöhung soll eine 2- bis 3-fache Erhöhung über den Ausgangswert zur Therapieunterbrechung führen [9]. Bei präventiver Behandlung der latenten tuberkulösen Infektion (siehe Kapitel Präventive Therapieregime [Chemoprävention]) und mit Risikofaktoren für eine Hepatotoxizität sollte die präventive Therapie bereits bei einem 2- bis 3-fachen Anstieg der Transaminasen über den Ausgangswert oder Hyperbilirubinämie unterbrochen werden [92].
An eine mögliche kumulative Toxizität von Alkohol und antituberkulösen Medikamenten soll gedacht werden. Liegt in einer solchen Situation eine zwingende Therapieindikation vor, so kann wie im Abschnitt „Leberinsuffizienz“ verfahren werden (kurzfristige Therapie mit EMB und Levofloxacin). Nach weitgehender oder eindeutiger Normalisierung der Leberfunktionswerte (Transaminasen < 2-fach oberer Normwert) sollte die Therapie mit den Medikamenten der Standardtherapie wiederaufgenommen werden. Die Gabe des ersten Medikamentes sollte dabei jeweils für 3–7 Tage bis zur Erweiterung der Therapie um die zweite bzw. dritte Substanz erfolgen. Dabei hat sich in der klinischen Praxis bei Erwachsenen eine schrittweise Erhöhung bis zur gewichtsadaptieren Dosis bewährt: INH: Beginn mit 50 mg/d – Steigerung der Dosis in 3–7 Tagen; RMP: Beginn mit 75 mg/d – Steigerung der Dosis in 3–7 Tagen; Beginn mit PZA: 500 mg/d – Steigerung der Dosis in 3–7 Tagen. Ergibt sich nach dem Hinzufügen eines Medikamentes erneut eine deutliche Hepatotoxizität, so soll das entsprechende Medikament endgültig aus der Therapie herausgenommen werden. Hinsichtlich der weiteren Therapieplanung ist darauf zu achten, dass mindestens drei Medikamente mit nachgewiesener Wirksamkeit gegeben werden sollen, und es sind die verlängerten Gesamttherapiezeiten zu beachten (siehe Kapitel Therapie bei Monoresistenz oder Unverträglichkeit gegenüber einem Standardmedikament). Bei der Auswahl der Medikamente, mit der die Therapie zunächst wiederaufgenommen wird, spricht die klinische Erfahrung zwar dafür, dass sich die Hepatotoxizität von INH am ehesten in einem Anstieg der SGOT und SGPT manifestiert, wohingegen RMP eher für eine Erhöhung der Cholestase-Parameter verantwortlich ist; dies ist jedoch durch Studien bisher nicht belegt.
Eine schwere Hepatitis mit Leberversagen und Todesfällen kann vor allem durch INH ausgelöst werden, ist aber auch für die Kombination RMP und PZA beschrieben worden [95].
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3.7.3 Myelosuppressive unerwünschte Arzneimittelwirkungen
Bei klinisch relevanter Neutropenie, Thrombozytopenie oder hämolytischer Anämie soll die Therapie nach Expertenmeinung bis zur Restitution des Knochenmarkes bzw. bis zum Ende der Hämolyse unterbrochen werden [91]. Unter engmaschigen Kontrollen erfolgt dann ein Therapieaufbau unter strikter Vermeidung des mit der größten Wahrscheinlichkeit verantwortlichen Medikamentes. RMP und die Rifamycine sind am häufigsten für Myelotoxizität und Hämolyse verantwortlich. Steht RMP als myelotoxisches Medikament fest, soll keine erneute Exposition zu einem Medikament aus der Gruppe der Rifamycine erfolgen (Fortführung der Therapie ohne RMP siehe Kapitel Therapie bei Monoresistenz oder Unverträglichkeit gegenüber einem Standardmedikament). Bei nicht durch RMP ausgelöster und nur mäßig ausgeprägter Leukozytopenie ist nach Meinung einiger Expertinnen und Experten ein Therapieversuch mit systemischen Glukokortikoiden gerechtfertigt. Evidenz für eine solche Empfehlung existiert jedoch unseres Wissens nicht.
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3.7.4 Kutane unerwünschte Arzneimittelwirkungen
Gering ausgeprägte kutane Reaktionen können unter engmaschiger Beobachtung bei Fortsetzung der Standardtherapie toleriert werden [67] [91] [96]. Insbesondere bei jugendlichen Tuberkuloseerkrankten sollte bei einer durch INH induzierten Akne ein Behandlungsangebot erfolgen. Bei PZA kommt es gelegentlich zu Beginn der Therapie zu einer durch Histamin-Ausschüttung bedingten Flush-Reaktion, die unter einem vorsichtigen Therapieaufbau (Tag 1: 500 mg, Tag 2: 1000 mg, Tag 3: 1500 mg, Tag 4: volle Dosis) i. d. R. nicht wiederauftritt. Es handelt sich hierbei nicht um eine Arzneimittel-induzierte allergische Reaktionen. Bei zu Therapiebeginn auftretenden kutanen Reaktionen auf RMP und EMB kann in spezialisierten TB-Behandlungszentren eine orale Hyposensibilisierung versucht werden [97]. Bei schwerwiegenden kutanen Reaktionen (z. B. schwere Mukositis, exfoliative Dermatitiden, schwere Typ 1/IgE-Reaktionen [98], petechiales Exanthem mit Thrombozytopenie) muss die Therapie abgesetzt werden [67] (Fortführung der Therapie ohne einzelne Standardmedikamente siehe Kapitel Therapie bei Monoresistenz oder Unverträglichkeit gegenüber einem Standardmedikament). Bei leichtem Juckreiz können Antihistaminika systemisch und topisch eingesetzt werden. PZA erhöht die Photosensibilität der Haut. Bei PZA-Einnahme ist daher eine Sonnenlichtexposition zu meiden. Das gilt auch für Fluorchinolone.
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3.7.5 Renale Unverträglichkeitsreaktionen
Insbesondere unter Therapie mit RMP kann es zu einem akuten Nierenversagen kommen. Die Substanz soll sofort abgesetzt werden und darf nicht wieder gegeben werden [67] [91] [99] (Fortführung der Therapie ohne RMP siehe Kapitel Therapie bei Monoresistenz oder Unverträglichkeit gegenüber einem Standardmedikament).
Renale Unverträglichkeitsreaktionen unter anderen antituberkulösen Medikamenten sind beschrieben, jedoch insgesamt sehr selten. Die Orange-Rotfärbung des Urins und anderer Körperflüssigkeiten (cave: Tränenflüssigkeit, die Kontaktlinsen verfärben kann) unter Rifampicin ist regelhaft und keine Unverträglichkeitsreaktion.
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3.7.6 Retrobulbäre Neuritis
Die retrobulbäre Neuritis im Rahmen der antituberkulösen Therapie wird fast ausschließlich und dosisabhängig (cave renale Störungen) durch EMB verursacht und äußert sich durch den Verlust oder die Einschränkung des Visus, Gesichtsfeld-Ausfälle (v. a. zentrale und zentrozökale Skotome) und/oder Störungen des Farbsehvermögens (meist Rot-Grün-Farbsehschwäche). Vor Einleitung der Therapie soll eine augenfachärztliche Untersuchung erfolgen. Erstes klinisches Zeichen der Neuritis ist i. d. R. eine Rot-Grün-Farbsehschwäche, daher sollte das Farbsehvermögen für jedes Auge getrennt zu Beginn einer Therapie durch ein Farbtafelbuch (z. B. Ishihara-Tafeln) geprüft werden, wenn keine unmittelbare augenärztliche Untersuchung erfolgen kann. Diese sollte nach Möglichkeit innerhalb von 2 Wochen nach Therapiebeginn erfolgen. Aus neurologisch-fachärztlicher Sicht kann ergänzend auch die Durchführung von visuell evozierten Potenzialen zur frühzeitigen Erfassung noch subklinischer Affektionen des N. opticus (paraklinische Erfassung einer Afferenzstörung der Sehbahn) in Erwägung gezogen werden.
Wegen der Gefahr der Erblindung muss bei Auftreten der oben genannten Sehstörungen EMB sofort abgesetzt und eine entsprechende augenfachärztliche Untersuchung veranlasst werden. Die Einschränkungen können reversibel sein, es sind jedoch auch dauerhafte Einschränkungen bis zur Erblindung beschrieben worden [100] [101] [102] [103].
Bei einer nachgewiesenen Sensibilität der Erreger gegenüber INH, RMP und PZA kann die Therapie ohne EMB fortgeführt werden.
Bessern sich die Sehstörungen nach dem Absetzen von EMB nicht, sollte INH abgesetzt werden, das in selten Fällen auch für eine Neuritis verantwortlich sein kann [91] [104] [105] (Fortführung der Therapie ohne INH siehe Kapitel Therapie bei Monoresistenz oder Unverträglichkeit gegenüber einem Standardmedikament).
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3.7.7 Polyneuropathie
Polyneuropathien, insbesondere der unteren Extremitäten, können durch eine Vielzahl von antituberkulösen Medikamenten allein oder in Kombination ausgelöst werden. Insbesondere von INH ist bekannt, dass sich unter der Therapie Polyneuropathien neu entwickeln oder dass sich vorbestehende Neuropathien (z. B. metabolischer Genese: diabetogen, alkoholtoxisch, urämisch; Mangel an Vitamin B6, B12, oder Folsäure-, medikamentös-toxischer, autoimmuner, paraneoplastischer Genese oder genetisch bedingt) verschlechtern können. Eine Vorbeugung durch die gleichzeitige Gabe von Pyridoxin (50 mg/Tag Vitamin B6) ist bei Vorerkrankungen und einer Schwangerschaft sinnvoll [9] [91] [106]. Eine generelle Gabe von Pyridoxin bei allen Patientinnen und Patienten erscheint zwar entbehrlich, jedoch werden Isoniazidpräparate z. T. in fixer Kombination mit Pyridoxin angeboten. Eine Pyridoxin-Überdosierung (z. B. durch Selbstmedikation eines Vielfachen der empfohlenen Dosis) kann ebenfalls zu einer Polyneuropathie führen.
Nur bei einem sehr seltenen schwerwiegenden klinischen Bild trotz der Gabe von Pyridoxin stellt die Polyneuropathie einen Grund für das Absetzen von INH dar.
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3.7.8 Epileptische Anfälle
Empfehlung 49 |
Neu, Stand 2022 |
Bei Epilepsie soll die Therapieplanung in Zusammenarbeit mit Neurologinnen und Neurologen erfolgen. |
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Konsensstärke: starker Konsens (18/18) |
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Empfehlungsstärke: + + |
Isoniazid kann die zerebrale Anfallsbereitschaft senken. Bei einer Epilepsie oder stattgehabten epileptischen Anfällen soll daher die Therapieplanung in Rücksprache mit Ärztinnen oder Ärzten erfolgen, welche im Fachbereich Neurologie/Epileptologie spezialisiert sind [107]. Da Rifampicin die Serumspiegel von Antiepileptika senken kann, bedarf es entsprechender Korrekturen und auch hier einer Rücksprache mit den neurologischen Fachärztinnen und Fachärzten.
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3.7.9 Psychiatrische unerwünschte Arzneimittelwirkungen
Empfehlung 50 |
Neu, Stand 2022 |
Auf das Auftreten psychiatrischer Reaktionen unter der Standardtherapie soll geachtet werden. |
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Konsensstärke: starker Konsens (18/18) |
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Empfehlungsstärke: + + |
Isoniazid kann in seltenen Fällen Depressionen auslösen oder vorbestehende Störungen verschlechtern [91]. In solchen Fällen bedarf es einer engen Zusammenarbeit mit Ärztinnen und Ärzten aus dem Fachbereich der Psychiatrie, um zu prüfen, ob die INH-Therapie unter Anwendung entsprechender supportiver und/oder medikamentöser Behandlungsmaßnahmen fortgesetzt werden kann. Zu beachten ist dabei auch, dass depressive Verstimmungen die Therapieadhärenz erheblich herabsetzen können [108]. Psychosen sind unter INH beschrieben, bei höheren Dosierungen auch eine Suizidalität [91].
Durch INH kann die Alkoholtoleranz herabgesetzt werden, sodass es zum Bild eines pathologischen Rausches kommen kann.
Ebenso ist zu bedenken, dass die Serumspiegel von Psychopharmaka (z. B. Antidepressiva, Neuroleptika) durch RMP herabgesetzt werden können [108].
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3.7.10 Arthralgie und Hyperurikämie unter PZA-Therapie
Empfehlung 51 |
Neu, Stand 2022 |
Eine Therapie der Hyperurikämie unter PZA-Gabe soll nur bei einer klinischen Gichterkrankung erfolgen. |
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Konsensstärke: starker Konsens (16/16) |
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Empfehlungsstärke: + + |
Arthralgien unter PZA haben i. d. R. keinen Bezug zur Serum-Harnsäure und sind i. d. R. nicht Ausdruck einer Gicht. Mit einer symptomatischen analgetischen Therapie können Arthralgien i. d. R. unter Fortsetzung der PZA-Gabe toleriert werden.
Unter PZA-Therapie tritt nahezu regelhaft eine klinisch nicht relevante Hyperurikämie auf. Eine Gabe von Harnsäure-senkenden Medikamenten braucht grundsätzlich nicht zu erfolgen, lediglich bei sehr seltenem Auftreten eines Gichtanfalles soll entsprechend behandelt werden [109].
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3.7.11 Übelkeit
Übelkeit unter der antituberkulösen Standardtherapie kommt nicht selten vor und sollte supportiv oder symptomatisch behandelt werden. Allerdings ist darauf zu achten, dass erhebliche Übelkeit und Inappetenz insbesondere Zeichen einer hepatischen Unverträglichkeit siehe Kapitel Hepatotoxizität und in seltenen Fällen auch einer Nierenfunktionsstörung sein können. Daher sind entsprechende Kontrollen zu veranlassen und Differenzialdiagnosen zu beachten. Die abendliche Einnahme der Medikamente kann zwar die Verträglichkeit in manchen Fällen verbessern, sie führt aber unter Umständen zu einer verminderten Resorption und ist daher mit dem Risiko nicht ausreichend wirksamer Serumkonzentrationen verbunden [110]. Sie sollte daher nur in gut begründeten Ausnahmen erfolgen.
Die Gabe von Protonenpumpen-Inhibitoren kann versucht werden. Antazida mit zwei- oder dreiwertigen Kationen (Calcium, Magnesium, Aluminium) sollten nicht eingesetzt werden, da sie die Resorption der Tuberkulosemedikamente behindern können [9].
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3.8 Extrapulmonale Tuberkulose
3.8.1 Einleitung und Besonderheiten der Diagnostik extrapulmonaler Tuberkulosen
In diesem Kapitel können nur häufige Manifestationen der extrapulmonalen Tuberkulose abgebildet werden. Die Diagnostik und Behandlung einer Tuberkulose mit seltener Lokalisation (z. B. Auge, Haut u. a.) soll durch einen erfahrenen Facharzt in Rücksprache mit einem spezialisierten TB-Behandlungszentrum erfolgen. Prinzipiell kann die Tuberkulose jedes Organ/Gewebe betreffen. Eine Konsultation der zuständigen Fachrichtungen ist immer zu empfehlen.
Die Gewinnung von Material zur histologischen und mikrobiologischen Untersuchung gestaltet sich bei extrapulmonalen Tuberkulosen häufig schwieriger als bei der Lungentuberkulose. Es ist von sehr großer Bedeutung, dass alle diese Materialien mit maximalem mikrobiologischem Aufwand einschließlich einer NAT untersucht werden können. Hierzu ist die Einsendung von unfixiertem Gewebe in 0,9 % NaCl-Lösung unabdingbar, da Formalin-fixiertes Material nicht kulturell aufgearbeitet werden kann und die molekularbiologischen Nachweismethoden eine geringere Sensitivität haben.
Da extrapulmonale Tuberkulosen auch mit einer Lungentuberkulose einhergehen können, soll stets auch eine entsprechende Bildgebung sowie eine mikroskopische und kulturelle Sputumuntersuchung erfolgen.
Die Therapie extrapulmonaler Tuberkulosen der Pleura, der Lymphknoten, des Urogenitalsystems, abdomineller Tuberkulosen und des Perikards folgt den Grundprinzipien der Standardtherapie der pulmonalen Tuberkulose. Eine Anpassung der Standardtherapie hinsichtlich der Länge der Behandlungsdauer sowie der Indikation zu einer adjuvanten Steroidtherapie ist i. d. R. bei Tuberkulosen, die den Knochen oder das ZNS betreffen, sowie bei der Miliartuberkulose notwendig ([Tab. 6]).
Lokalisation |
Medikamente der Initialphase |
Dauer der Initialphase |
Medikamente der Kontinuitäts-Phase |
Dauer der Kontinuitäts-Phase |
Mindest-Gesamtdauer der Therapie |
Adjuvante Glukokortikoide |
Pleuritis tuberculosa |
INH, RMP, PZA, EMB |
2 |
INH, RMP |
4 |
6 |
nein |
Lymphknoten |
||||||
HNO-Bereich |
||||||
Urogenital-TB |
||||||
Abdominal-TB |
||||||
Perikard |
INH, RMP, PZA, EMB |
2 |
INH, RMP |
4 |
6 |
nein, aber individuelle Indikation prüfen (siehe Text) |
Knochen, Gelenke |
INH, RMP, PZA, EMB |
2 |
INH, RMP |
7 |
9 |
nein |
miliare Ausbreitung |
INH, RMP, PZA, EMB |
2 |
INH, RMP |
10[1] |
12[1] |
uneinheitliche Empfehlungen, wahrscheinlich jedoch von Vorteil bei ZNS-Beteiligung oder bei respiratorischer Insuffizienz: z. B. Prednisolon Tag 1–5: 2 × 40 mg, Tag 6–10: 1 × 40 mg, Tag 11–21: 1 × 20 mg, dann langsam reduzieren und absetzen |
ZNS |
INH, RMP, PZA, EMB[2] |
2 |
INH, RMP |
10[1] |
12[1] |
empfohlen: 2 × 40 mg[3] Prednisolon/Tag; Reduktion nach 2–3 Wochen um jeweils 10 mg/Woche |
1 Die WHO empfiehlt bei ZNS-Tuberkulosen eine achtmonatige Therapie. Wir empfehlen die längere Therapiedauer (siehe Text).
2 Individuelle Prüfung, ob weitere gut liquorgängige Medikamente indiziert sind (siehe Text)
3 Dosierung bei Gabe von RMP, ansonsten Dosisreduktion um 50 %
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3.8.2 Pleuritis tuberculosa
3.8.2.1 Diagnostik
Die Sensitivität der mikrobiologischen Untersuchungen (NAT, Mikroskopie, Kultur) ist aufgrund der geringen Keimzahlen im Pleuraerguss niedrig. Hinweis auf eine spezifische Genese in Abgrenzung zu einem parapneumonischen Erguss oder Empyem kann ein Exsudat mit Überwiegen der mononukleären Zellen und ein normaler pH sein. Einen weiteren Hinweis gibt die Durchführung eines IGRA aus dem Pleuraerguss [111], auch wenn hierdurch die Diagnose nicht gesichert werden kann. In allen nicht eindeutigen Fällen ist eine Video-assistierte Thorakoskopie (VATS) oder konventionelle Thorakoskopie mit histologischer und mikrobiologischer Untersuchung des gewonnenen unfixierten Materials (Pleurabiopsate, Fibrinsegel) indiziert. Das Material aus Pleurastanzen kann ebenfalls histologisch und unfixiert mikrobiologisch untersucht werden.
3.8.2.2 Therapie
Empfehlung 55 |
Neu, Stand 2022 |
Bei ausgedehnten Pleuraergüssen soll die Indikation zu einer Drainagebehandlung überprüft werden. |
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Konsensstärke: starker Konsens (18/18) |
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Empfehlungsstärke: + + |
Zusätzlich zur Standardtherapie empfiehlt sich bei ausgedehnten Pleuraergüssen eine suffiziente Drainagetherapie mit anschließender intensiver physikalischer Therapie zur Vermeidung von funktionellen Einschränkungen durch verbleibende Pleuraschwarten. Weder die systemische noch die topische Gabe von Glukokortikoiden bringen ein besseres Behandlungsergebnis [112] [113].
3.8.2.3 Verlauf
Bei Pleuraschwarten am Ende der Behandlung sollte geprüft werden, ob die Funktionseinschränkungen eine elektive Dekortikation notwendig machen.
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3.8.3 Lymphknotentuberkulose
Lymphknotentuberkulosen treten meist zervikal, seltener mediastinal/hilär, abdominal, axillär, inguinal oder multilokulär auf [7] [114]. Anders als bei einer Lymphadenitis durch nicht-tuberkulöse Mykobakterien ist selbst nach vollständiger Entfernung eines einzelnen zervikalen Lymphknotens eine antituberkulöse Standardtherapie erforderlich, da kleine weitere tuberkulöse Läsionen nicht ausgeschlossen werden können und Rezidive an anderer Stelle vorkommen.
3.8.3.1 Diagnostik
Die histologische und mikrobiologische Sicherung (Unfixiertes Material für Mikroskopie, NAT, Kultur) der tuberkulösen Ätiologie ist bei dieser Manifestation durch geeignete Techniken (z. B. endobronchiale (EBUS) oder ösophageale Ultraschalluntersuchung (EUS), Exzision) anzustreben, da differenzialdiagnostisch eine durch nicht-tuberkulöse Mykobakterien oder andere Erreger ausgelöste Infektion ebenso zugrunde liegen kann wie ein malignes Lymphom [115] oder die Metastase eines malignen Tumors. Bei der Punktion von zervikalen Lymphknoten sollte die Punktion oder Stanzbiopsie möglichst in kranio-kaudaler Richtung erfolgen, um eine Fistelung durch den Punktionskanal zu erschweren.
3.8.3.2 Therapie
Die Standardtherapie ist die Therapie der Wahl, die auch nach chirurgischer Exzision zu erfolgen hat, da mit weiteren tuberkulösen Läsionen im Körper gerechnet werden muss.
Zusätzlich zur Standardtherapie können verlaufsabhängig chirurgische Interventionen, insbesondere bei zervikaler Lymphknotentuberkulose, mit Inzision und Abszessdrainage oder Exzisionen in Betracht kommen. Eine alleinige chirurgische Sanierung ist in aller Regel nicht möglich.
3.8.3.3 Verlauf
Trotz resistenzgerechter Therapie kann es im Rahmen einer immunologisch vermittelten paradoxen Reaktion zu einer Vergrößerung der Lymphknoten in den ersten Wochen und Monaten kommen. Bei mediastinaler Lymphknotentuberkulose findet sich i. d. R. eine adäquate Rückbildung der Lymphknoten unter Therapie. Bei zervikalem Lymphknotenbefall werden z. T. protrahierte Verläufe beobachtet, die auch unter antituberkulöser Therapie mit fortbestehender Fistelbildung oder einem Progress der Lymphome (in ihrer Größe und/oder Anzahl) einhergehen können [116]. Eine Therapie mit Prednisolon kann bei Größenzunahme der Lymphknoten zum Rückgang führen, einschmelzende und fistelnde Lymphknoten können nach chirurgischer Therapie und VAC-Therapie (vacuum assisted closure therapy) unter Fortführung der medikamentösen Therapie ausheilen [117].
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3.8.4 Tuberkulose im HNO-Bereich
Neben der zervikalen Lymphadenitis, welche bereits unter „Lymphknotentuberkulose“ erläutert wurde, findet sich die Tuberkulose auch im Bereich des Larynx und selten auch an der Zunge (Zungentuberkulom). Im Larynx kann die Tuberkulose als asymmetrische oder einseitige Laryngitis (Monochorditis) oder teils exophytische, teils exulzerierende Infektion imponieren. Manchmal verbirgt sich eine Tuberkulose hinter einem Befund, der ursprünglich klinisch für ein Karzinom gehalten wurde. Und schließlich gibt es in seltenen Fällen auch Larynxkarzinome, welche tuberkulös infiziert sind. Auch seltene Fälle von Ohrtuberkulose kommen vor. Da die Tuberkulose im HNO-Bereich insgesamt selten ist, sind das „daran denken“ und die konsequente Einleitung einer entsprechenden spezifischen Diagnostik entscheidend.
3.8.4.1 Diagnose
Empfehlung 58 |
Neu, Stand 2022 |
Ein Tuberkuloseverdacht im HNO-Bereich soll gesichert werden (Histologie, Mikroskopie, NAT, Kultur). |
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Konsensstärke: starker Konsens (18/18) |
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Empfehlungsstärke: + + |
Die Diagnose der hoch-infektiösen Larynxtuberkulose erfolgt i. d. R. aufgrund einer Biopsie (Histologie, unfixiertes Material für Mikroskopie, NAT, Kultur) im Rahmen einer indirekten oder besser direkten Laryngoskopie. Nicht immer findet man in Fällen von Larynxtuberkulose parallel auch eine Lungentuberkulose. Bei Verdacht auf eine Larynxtuberkulose soll aber immer auch Sputumuntersuchung erfolgen und in diesen Fällen ebenfalls die Lunge mit abgeklärt werden.
3.8.4.2 Therapie
Die medikamentöse Therapie der medikamentensensiblen Larynxtuberkulose soll als sechsmonatige Standardtherapie durchgeführt werden.
3.8.4.3 Verlauf
Die Prognose nach entsprechender medikamentöser Therapie ist i. d. R. gut und eine chirurgische Behandlung (z. B. partielle oder totale Laryngektomie) nicht indiziert. Eine chirurgische Therapie (erweiterte zervikale Lymphadenektomie, Exzision einer trotz medikamentöser Vorbehandlung weiterbestehenden zervikalen Fistel) ist in einzelnen Fällen nach entsprechender medikamentöser Vorbehandlung sinnvoll und sollte aufgrund der vorliegenden Befunde interdisziplinär diskutiert werden.
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3.8.5 Urogenitaltuberkulose (UGTB)
Alle Organe des Urogenitaltraktes können betroffen sein. Am häufigsten sind Tuberkulosen der Niere und der ableitenden Harnwege. Hinweisend kann eine sterile Leukozyturie (Leukozyturie ohne kulturellen Nachweis anderer Erreger) sein.
Eine Endometriumtuberkulose kann eine seltene Ursache von Sterilität sein. Die tuberkulöse Adnexitis ist häufig mit einer Peritonealtuberkulose vergesellschaftet, hier ist eine histologische Abklärung im Hinblick auf maligne Differenzialdiagnosen zwingend erforderlich. Bei Männern kann die Urogenitaltuberkulose in der Prostata, den Hoden und den Nebenhoden auftreten. Auch die Nebennieren können uni- oder bilateral betroffen sein und einen Funktionsverlust erleiden (M. Addison).
3.8.5.1 Diagnose
Die Diagnostik soll durch die Untersuchung des Morgenurins mittels NAT und kulturell erfolgen. Eine Mikroskopie des Urins wird wegen der geringen Sensitivität nicht mehr empfohlen. In allen unklaren Fällen (z. B. klinischer Verdacht bei fehlendem Nachweis von Mykobakterien) sind Biopsien des betroffenen Organs indiziert (Histologie, unfixiertes Material für Mikroskopie, NAT, Kultur).
3.8.5.2 Bildgebung
Ein positiver Erregernachweis im Urin allein ist weder für die exakte Lokalisation einer UGTB noch für deren Einfluss auf die Funktion des betroffenen Organs hinweisend. Hier kommt der Bildgebung eine bedeutende Rolle zu. Diese dient der Lokalisierung der Krankheitsherde und der Erfassung einer Organschädigung. Entsprechende Befunde können einer gezielten Biopsie zugeführt werden. Bildgebende Verfahren der Wahl sind Computertomografie (CT), Magnetresonanztomografie (MRT) und Ultraschall.
3.8.5.3 Therapie
Bei der UGTB ist die Dosierung einiger Medikamente an die möglicherweise eingeschränkte Nierenfunktion anzupassen (siehe [Tab. 5]). Zusätzlich zur Standardtherapie können ergänzende chirurgische Behandlungsverfahren in Betracht kommen. Sie sind i. d. R. notwendig bei einer fehlenden Ausheilung mit erheblichen strukturellen Defekten der betroffenen Organe. Weitere Hinweise für die ergänzende chirurgische Therapie finden sich in der Leitlinie der Europäischen Gesellschaft für Urologie (EAU) zum Management der UGTB [118]. Für die in dieser Leitlinie aufgestellte Forderung, vor einer chirurgischen Intervention (außer vor der Einlage einer Ureterschiene) eine antituberkulöse Therapie über vier Wochen zu verabreichen, sehen wir keine überzeugende Evidenz.
3.8.5.4 Verlauf
Während der Initialphase der medikamentösen Therapie einer UGTB der ableitenden Harnwege kann es durch ein Schleimhautödem zu Abflussbehinderungen kommen. Hier muss ggf. mit einer Harnleiterschiene der Abfluss des Urins aus den Nieren in die Blase gewährleistet werden. Daher sind regelmäßige engmaschige sonografische Kontrollen in Hinblick auf eine Hydronephrose auch unter Therapie zu veranlassen.
Ein Nutzen einer adjuvanten systemischen Therapie mit Glukokortikoiden ist nicht belegt, jedoch kann es bei einer Tuberkulose der Nebennieren zur Entwicklung eines Morbus Addison kommen. Wenn in einem solchen Fall Glukokortikoide substituiert werden müssen, ist daran zu denken, dass Rifampicin deren Serumspiegel um zirka 50 % senkt und eine entsprechende Dosisanpassung notwendig macht.
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3.8.6 Abdominal-Tuberkulose
3.8.6.1 Diagnose
Die häufigsten Differenzialdiagnosen der Abdominal-Tuberkulose sind die Appendizitis, Malignome einschließlich Peritonealkarzinose und chronisch entzündliche Darmerkrankungen wie der Morbus Crohn.
Die Ileozökalregion und das Colon ascendens sind die häufigsten Lokalisationen einer Darmtuberkulose. Die dabei auftretenden Schleimhaut-Ulzera sind makroskopisch und mikroskopisch nicht von denen bei einem M. Crohn zu unterscheiden. Die tuberkulöse Appendizitis unterscheidet sich klinisch nicht von einer Appendizitis anderer Genese. Eine Lebertuberkulose kann disseminiert oder makronodulär auftreten. Bei der Peritonealtuberkulose gelingt der Erregernachweis aus dem Aszites nur selten, laparoskopisch zeigen sich typischerweise multiple kleinknotige Veränderungen des parietalen und viszeralen Peritoneums, die makroskopisch einer Peritonealkarzinose ähneln.
Vor Behandlung einer vermeintlichen Abdominal-Tuberkulose soll daher immer eine definitive Diagnosesicherung endoskopisch oder, wenn notwendig, auch mit chirurgischen Techniken zur Gewinnung von geeignetem Untersuchungsmaterial angestrebt werden (unfixiertes Material für Mikroskopie, Mikroskopie, NAT, Kultur) [119].
Die mikrobiologische Diagnostik ist immer notwendig, da sich histologisch Granulome mit oder ohne verkäsende Nekrosen und häufig ohne den mikroskopischen Nachweis säurefester Stäbchen zeigen.
Zur Stuhldiagnostik finden sich Informationen in [Tab. 1].
3.8.6.2 Therapie
Die abdominelle Tuberkulose (Darm, Peritoneum) soll mit einer sechsmonatigen Standardtherapie behandelt werden [120].
3.8.6.3 Verlauf
Bei Abdominal-Tuberkulosen besteht nach der Literatur in bis zu 75 % der Fälle die Notwendigkeit einer chirurgischen Intervention. Die häufigsten Indikationen sind: Diagnosesicherung, intestinale Obstruktionen mit Ausbildung eines akuten Abdomens oder Darmperforationen. Postoperative Komplikationen und ungünstige Heilungsverläufe sind nach Darmperforationen häufig [7].
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3.8.7 Tuberkulose des Perikards
3.8.7.1 Diagnose
Der Verdacht ergibt sich i. d. R. auf der Basis echokardiografischer Befunde und einer MRT-Untersuchung. Angestrebt werden sollen immer eine diagnostische Perikardpunktion und eine mikrobiologische Untersuchung der Probe (Mikroskopie, NAT, Kultur) sowie eine histologische Untersuchung von Biopsien und eine Zytologie.
3.8.7.2 Therapie
Eine Therapie mit Glukokortikoiden wird zusätzlich zur sechsmonatigen Standardtherapie nicht mehr generell empfohlen [9]. Bei ausgedehntem Perikarderguss, einer hohen Zahl von Entzündungszellen im Erguss oder frühen Zeichen einer Konstriktion ist allerdings eine Behandlung mit Glukokortikoiden gerechtfertigt [9]. Als Behandlungsdosis werden initial 60 mg Prednisolon (bei gleichzeitiger Rifampicin-Therapie) pro Tag – mit schrittweiser Dosisreduktion um 10 mg/Woche über sechs Wochen – empfohlen [121]. Bei einer kalzifizierenden konstriktiven Perikarditis kann bei hämodynamischer Relevanz eine Perikardektomie indiziert sein.
3.8.7.3 Verlauf
Empfehlung 64: |
Neu, Stand 2022 |
Bei ausgedehntem Perikarderguss sollte eine Drainage durch ein Kathetersystem erfolgen. |
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Konsensstärke: starker Konsens (17/17) |
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Empfehlungsstärke: + |
Bei ausgedehnten Perikardergüssen, die hämodynamische Relevanz haben, sollte ein Perikardkatheter zur Drainage implantiert werden [121]. Sollte unter der antituberkulösen Therapie nach 6–8 Wochen eine zunehmende Konstriktion des Perikards auftreten, so besteht ebenfalls eine Indikation zur operativen Therapie [122].
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3.8.8 Knochen- und Gelenk-Tuberkulose
3.8.8.1 Diagnose
Der klinische Verdacht soll durch CT- und MRT-Befunde erhärtet werden. Eine Diagnosesicherung (CT-gestützte Punktion, chirurgische Biopsie) soll immer angestrebt werden (Histologie, unfixiertes Material für Mikroskopie, NAT und Kultur).
3.8.8.2 Therapie
Die im Knochen und im Gelenkknorpel erreichten Konzentrationen der Medikamente INH, RMP und PZA sind wahrscheinlich ausreichend hoch, um auch diese Form der Tuberkulose bei angenommener oder bestätigter Medikamentensensibilität mit einer sechsmonatigen Standardtherapie zu behandeln [123]. Dennoch empfehlen wir, wie die WHO, generell eine neunmonatige Therapie (2 Monate INH, RMP, PZA, EMB und 7 Monate INH, RMP) [2]. In Einzelfällen kann auch eine deutlich längere Therapie notwendig sein. Zusätzliche chirurgische Interventionen können, insbesondere bei relevanten neurologischen Komplikationen oder der Instabilität tragender Knochen, frühzeitig indiziert sein.
3.8.8.3 Verlauf
Periossäre Abszesse und Senkungsabszesse sollten primär drainiert werden. Für die Instillation von Medikamenten gibt es keine Evidenz.
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3.8.9 Tuberkulose des ZNS
3.8.9.1 Diagnose
Bei klinischem Verdacht auf eine Beteiligung des zentralen Nervensystems soll eine zerebrale und spinale Bildgebung erfolgen, um frühzeitig raumfordernde Komplikationen zu erkennen (idealerweise cMRT und spinales MRT). Eine diagnostische Liquorpunktion darf beim Vorliegen von Hinweisen auf eine zerebrale Druckerhöhung (auf das ZNS hinweisende Fokalneurologie, erstmalige epileptische Anfälle, Vigilanzminderung, Vorliegen von Stauungspapillen) oder bei Immunsupprimierten erst nach einer zerebralen Bildgebung erfolgen (cCT, cMRT). Sofern kein erhöhter Hirndruck vorliegt, sollen eine qualifizierte Liquoranalytik und eine Messung des Liquoreröffnungsdrucks erfolgen (DD: Hydrocephalus malresorptivus). Der Liquor soll außerdem mikroskopisch, kulturell und mittels NAT mikrobiologisch untersucht werden.
Typische Liquorbefunde einer Neurotuberkulose sind:
-
leichte bis mäßige Liquorpleozytose 10–1.000 Zellen/μl, zytologisch Zellbild je nach Erkrankungsstadium variabel, überwiegend Nachweis einer „bunten“ Mischpleozytose aus Granulozyten, Monozyten und Lymphozyten
-
sehr hohe Gesamteiweißwerte von 2.000–10.000 mg/l („Spinngewebsgerinnsel“)
-
ausgeprägte Schrankenfunktionsstörung mit einem Albumin-Liquor/Serum-Quotient (QAlb) > 25 × 10–3 [124]
-
regelhaft erhöhter Laktatwert im Liquor (Normalwerte altersabhängig 0,9–2,7 mmol/l, oder reduzierte Glukose-Ratio (CSF/Plasma Quotient < 50 %) [125]
-
typischerweise Nachweis einer intrathekalen IgA-Synthese anhand der Quotientendiagramme [126]
3.8.9.2 Therapie
Eine Anpassung der medikamentösen Therapie ergibt sich aus dem unterschiedlichen Penetrationsvermögen der Medikamente durch die Blut-Hirn-Schranke in Abhängigkeit vom Grad der Entzündung. Während INH und PZA eine ausreichende Penetration zeigen, ist diese bei RMP weniger gut [124] [126].
EMB durchdringt die Blut-Hirn-Schranke nur im mäßigen Ausmaß [127] [128]. Diese Substanzen erreichen nicht immer die notwendigen CSF-Konzentrationen für eine ausreichende Aktivität gegen Tuberkulosebakterien, insbesondere bei Abnahme der Inflammation der Meningen im Krankheitsverlauf. Da aber bei einer Neurotuberkulose auch mit Beteiligung anderer Organe gerechnet werden muss, soll die Therapie mit EMB dennoch erfolgen.
SM ist zwar gut liquorgängig, jedoch zurzeit nicht verfügbar.
Die Therapieempfehlungen verschiedener internationaler Fachgesellschaften unterscheiden sich in Hinblick auf die Dauer der Therapie wie auch in der Zusammensetzung der Medikamentenkombination. Wir empfehlen als Standardtherapie die Gabe von INH, RMP, PZA und EMB über zwei Monate, gefolgt von mindestens 10 Monaten INH und RMP [7] [9] [129].
Es gibt Hinweise, dass eine Erhöhung der Rifampicin-Dosierung ausreichend sicher ist und zu besseren Therapieergebnissen bei der Behandlung der tuberkulösen Meningitis führen könnte. Die Datenlage zur RMP-Hochdosistherapie ist jedoch noch nicht eindeutig, sodass sie nur in begründeten Einzelfällen als individueller Therapieversuch erwogen werden kann. Die Gabe weiterer gut liquorgängiger Substanzen, wie Ethionamid/Protionamid, Fluorchinolone, Linezolid, Terizidon oder von neueren Medikamenten als zusätzliche Optionen bei einer tuberkulösen Meningitis soll im individuellen Fall geprüft werden.
In Einzelfällen (z. B. bei intrazerebralen Abszessen) kann eine Verlängerung der Therapiedauer (12 Monate plus 3 Monate über den Zeitpunkt der Normalisierung des MRT-Befundes hinaus) notwendig sein.
Es wird empfohlen, bei allen Formen der tuberkulösen Meningitis, begleitend zur antituberkulösen Chemotherapie, zusätzlich Dexamethason oder Prednisolon zu verabreichen [130] [131]. Wir empfehlen für Deutschland in Übereinstimmung mit den NICE-Empfehlungen daher beim Erwachsenen (> 15 Jahre) eine Prednisolon-Dosis von 2 × 40 mg/Tag ([Tab. 6]) (ohne RMP-Gabe: 2 × 20 mg/Tag), die nach 2–3 Wochen um jeweils 10 mg/Woche (ohne RMP-Gabe: 5 mg/Woche) reduziert und dann ausgeschlichen werden kann [7] [131].
Bei therapierefraktären, raumfordernden Läsionen oder bei Vorliegen eines Hydrocephalus occlusus oder malresorptivus sollte eine neurochirurgische Therapie geprüft werden. Bei einer antiepileptischen Therapie einer vorbestehenden oder bei einer akuten symptomatischen Epilepsie sollen die potenzielle Medikamentenwechselwirkungen berücksichtigt werden.
Bei der Neurotuberkulose muss in Einzelfällen, auch bei HIV-negativen Patientinnen und Patienten, mit dem Auftreten einer paradoxen Reaktion (IRIS) gerechnet werden, die mit Glukokortikoiden behandelt werden kann. Bei refraktärem ZNS-TB-IRIS gibt es kleinere Fallberichte, bei denen auch andere Immunsuppressiva wie bspw. TNFi erfolgreich eingesetzt wurden [132] [133].
3.8.9.3 Verlauf
Je nach Klinik sind cMRT-Kontrollen (ggf. spinales MRT) und ggf. erneute Liquoranalysen während der Therapie indiziert. Zu Beginn und im Verlauf der Therapie sollten VEP (visuell evozierte Potenziale) und Audiogramme erfolgen, da Schädigungen der Hirnnerven häufig sind und auch der VIII. Hirnnerv betroffen sein kann.
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3.8.10 Miliartuberkulose und andere disseminierte Tuberkuloseformen
3.8.10.1 Diagnose
Die Verdachtsdiagnose Miliartuberkulose wird durch bildgebende Verfahren gestellt. Eine mikrobiologische Diagnostik soll immer angestrebt werden. Allerdings sind Sputumuntersuchungen hinsichtlich der Mikroskopie oft negativ. Daher soll eine bronchoskopische Abklärung, möglichst auch mit histologischer Probenentnahme (z. B. periphere transbronchiale Biopsie = TBB), erfolgen. Eine hohe diagnostische Nachweisrate hat auch die Leberpunktion. Auch der Urin kann untersucht werden.
Der Therapiebeginn soll bei hochgradigem Verdacht nicht verzögert werden.
3.8.10.2 Therapie
Bei dieser disseminierten Tuberkuloseform wird die sechsmonatige Standardtherapie in der Regel nicht als ausreichend angesehen, da eine Beteiligung des ZNS und/oder der Meningen nicht sicher ausgeschlossen werden kann. Somit wird eine 12-monatige Therapie wie bei der Tuberkulose des ZNS empfohlen [7].
Bei Miliartuberkulose mit hypoxämisch respiratorischer Insuffizienz kann analog zur Therapie bei schweren Pneumocystis-Pneumonien die Gabe von Glukokortikoiden in den ersten Wochen der Erkrankung zur Behandlung einer Diffusionsstörung als Folge eines alveolo-kapillären Blocks sinnvoll sein ([Tab. 6]).
3.8.10.3 Verlauf
Protrahierte Verläufe sind nicht selten.
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3.9 Infektionen mit M. bovis
Empfehlung 72 |
Neu, Stand 2022 |
Bei einer Infektion mit M. bovis ssp. bovis soll PZA nicht eingesetzt werden. |
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Konsensstärke: starker Konsens (19/19) |
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Empfehlungsstärke: – – |
M. bovis ssp. bovis, nicht jedoch M. bovis ssp. caprae, weist eine natürliche Resistenz gegen PZA auf. Die Therapiedauer beträgt daher unter Verzicht auf PZA neun Monate (2 Monate INH, RMP, EMB, gefolgt von 7 Monaten INH und RMP). Bei ausgedehnten Befunden sollte über eine Erweiterung der Therapie z. B. durch Levofloxacin diskutiert werden.
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3.10 Entzündliche Reaktionen nach Bacillus Calmette-Guérin (BCG)-Instillation beim Harnblasenkarzinom
Bei der Therapie des Harnblasenkarzinoms wird als adjuvante, immunmodulatorische Therapie eine Bacillus Calmette-Guérin (BCG)-Instillation in die Blase vorgenommen [134]. Nach der Instillation unterscheiden die Empfehlungen der „International Bladder Cancer Group“ vier Schweregrade der inflammatorischen und infektiösen Komplikation [135] [136]. Eine Graduierung erfolgt hier über Höhe des Fiebers, sodass Reaktionen mit einer Temperatur < 38,5 Grad Celsius als moderat und darüber als schwerwiegend eingestuft werden (≥ 38,5 Grad Celsius). Darüber hinaus ist es von Belang, ob von einer lokal begrenzten Infektion oder von einer generalisierten Erkrankung ausgegangen wird:
Schweregrad 1: Temperaturerhöhung moderat (entsprechend T < 38,5 °C) und < 48 h
Schweregrad 2: Temperaturerhöhung schwerwiegend (entsprechend T ≥ 38,5 °C) und/oder > 48 h
Schweregrad 3: lokale, regionale, systemische und immunoallergische Reaktion (Systemische BCG-Reaktion)
Schweregrad 4: BCG-Sepsis (disseminierte Erkrankung)
Eine moderate klinische Reaktion mit Fieber für weniger als 48 Stunden (Schweregrad 1) kommt in 30 % der BCG-therapierten Patienten vor. Sie soll symptomatisch behandelt werden und stellt keine Indikation für eine systemische antibiotische Therapie dar [136]. Eine antibiotische Therapie soll erfolgen, wenn das Fieber über 48 Stunden hinaus persistiert und der Infekt auf ein Organ, z. B. die Blase, beschränkt bleibt (Schweregrad 2). Da Infekte nach BCG-Instillation in hohem Anteil auch katheterisierungsbedingt durch andere Erreger (nicht-BCG) verursacht sein können, wird nach Gewinnung einer Urinkultur Levofloxacin (Dosierung 1 × 500 mg täglich) empfohlen und bei Nachweis eines Levofloxacin-resistenten Erregers die zusätzliche Gabe eines aktuell wirksamen Antibiotikums [137].
Spricht die Erkrankung innerhalb von 1–2 Wochen klinisch rasch an, so ist eine Therapiedauer von 3–4 Wochen ausreichend. Zeigt sich nach 1–2 Wochen kein Ansprechen, so wird aus urologisch-fachärztlicher Sicht eine Hochdosistherapie mit Levofloxacin (2 × 500 mg täglich) oder die zusätzliche Gabe von Rifampicin und eine Therapiedauer von drei Monaten als ausreichend angesehen [138] [139]. Aus infektiologischer Sicht ist die Erweiterung der Therapie durch Rifampicin der Dosiserhöhung vorzuziehen, es sei denn, es liegt eine MHK des BCG-Stammes vor, die ein solches Vorgehen rechtfertigt. Der Einsatz von Ciprofloxacin wird bei wahrscheinlicher Infektion mit M. bovis BCG nicht empfohlen.
Bei einer systemischen Infektion (Schweregrad 3 und 4) besteht immer die Indikation zu einer kombinierten antituberkulösen Dreifachtherapie (INH, RMP und EMB) für mindestens sechs Monate, denn gegenüber PZA ist BCG intrinsisch resistent. In vitro wurde auch Levofloxacin bei BCG ausnahmslos als wirksam getestet [140], sodass dieses Fluorchinolon mit hoher Wahrscheinlichkeit auch in vivo eine Wirksamkeit besitzt.
Es sollte initial zwischen der systemischen BCG-Reaktion (Schweregrad 3) und der BCG-Sepsis bzw. disseminierten Erkrankung (Schweregrad 4) unterschieden werden. Bei der systemischen BCG-Reaktion sollten zusätzlich Glukokortikoide bis zum Sistieren der klinischen Reaktion erwogen werden, da es sich hier zusätzlich um ein allergieähnliches Krankheitsbild handelt [141] [142].
Beweisend für eine disseminierte Erkrankung durch M. bovis BCG wäre der Erregernachweis aus anderen Materialien als dem Urin, da der Urin langfristig durch die instillierten Bakterien kontaminiert sein kann. Allerdings gelingt der Erregernachweis selbst mit allen zur Verfügung stehenden Methoden (Mikroskopie, NAT und/oder Kultur und/oder der Nachweis einer Tuberkulose-kompatiblen Histologie) in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle nicht. Daher muss die Entscheidung zur Therapieeinleitung i. d. R. klinisch gefällt werden. Häufig ist die Lunge in Form einer miliaren Aussaat betroffen, sodass oft eine Röntgen- oder eine CT-Thorax-Untersuchung für die Diagnosestellung allein entscheidend sind. Eine miliare Form mit Multiorganbeteiligung [143] oder die Ausbreitung über den nahe gelegenen Venenplexus mit der Folge einer Spondylodiszitis sind selten [144]. In diesem Fall sollte sich die Behandlungsdauer an der Knochentuberkulose orientieren ([Tab. 6]) [144].
Bei einer Sepsis durch M. bovis BCG können Glukokortikoide im Rahmen der Sepsis-Behandlung ebenfalls indiziert sein. Beide systemischen BCG-Reaktionen treten in geringerer Häufigkeit auf, wenn der Beginn der BCG-Therapie frühestens zwei Wochen nach einer transurethralen Tumorresektion (TURBT, „transurethral resection of bladder tumors“) und nur bei symptomfreien Patienten ohne Hämaturie erfolgt.
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4 Therapie bei Unverträglichkeiten oder bei Resistenzen gegen Medikamente der Standardtherapie
4.1 Einleitung und Definitionen
4.1.1 Einleitung
Die medikamentenresistente TB und Unverträglichkeiten gegen Medikamente der Standardtherapie stellen eine besondere Herausforderung für die Behandlung der betroffenen Patientinnen und Patienten dar. Aufgrund der zunehmend besseren Evidenzlage, auch zu neu verfügbaren Substanzen und Medikamentenkombinationen, sind die internationalen Empfehlungen in den letzten Jahren mehrfach geändert worden, und die Medikamente wurden entsprechend ihrer Wirksamkeit neu eingruppiert. Dies führte in der Folge auch zu einer Anpassung der Definition für die extensiv-resistente TB (XDR-TB) [145].
Die Leitliniengruppe unterstützt die aktuellen Empfehlungen der WHO und ordnet diese für die Behandlung in Deutschland, Österreich und der Schweiz ein. Die multiresistente TB (MDR-TB) ist dabei im deutschen Sprachraum weiterhin eine sehr seltene Erkrankung, deren Behandlung einer besonderen Expertise bedarf. Durch den Einsatz moderner Diagnostik und neuer Medikamente können gute Behandlungserfolge erzielt werden. Da die optimalen Voraussetzungen zur Behandlung der polyresistenten TB und MDR-TB nicht überall verfügbar sein können, sollte die Behandlung in spezialisierten Behandlungszentren erfolgen oder mit diesen koordiniert werden.
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4.1.2 Epidemiologie der medikamentenresistenten Tuberkulose in Deutschland
Eine aktuelle Darstellung der epidemiologischen Situation der medikamentenresistenten TB in Deutschland ist im jährlichen Bericht zur Epidemiologie der Tuberkulose auf der Webseite des RKI, die Daten für die Europäische Region sind beim ECDC (European Centre for Disease Prevention and Control) und die weltweiten Daten auf der Webseite der WHO zu finden.
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4.1.3 Risikofaktoren
Analysen der in Deutschland gemeldeten medikamentenresistenten TB-Fälle zeigen seit vielen Jahren, dass eine antituberkulöse Vorbehandlung das Risiko für das Vorliegen von Medikamentenresistenzen erhöht [27]. Auch bei Erkrankten, die im Ausland geboren sind, werden signifikant häufiger resistente Erreger isoliert. So war im Jahr 2020 der Anteil der MDR-TB bei im Ausland geborenen Patientinnen und Patienten mit 3,3 % etwa 2,5-mal so hoch wie der entsprechende Anteil bei in Deutschland geborenen (1,3 %) [146]. Bei an TB vorerkrankten und vorbehandelten, im Ausland geborenen Patientinnen und Patienten liegt der MDR-TB Anteil sogar deutlich höher [147]. Dieser Unterschied wird vornehmlich durch einen hohen Anteil an medikamentenresistenten Fällen bei Menschen aus den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion (NUS) verursacht, in denen Medikamentenresistenzen häufiger sind.
Diese Zahlen sind kongruent mit Ergebnissen anderer europäischer Studien, die MDR-TB in Niedriginzidenzländern prädominant als eine Erkrankung von Menschen mit Migrationsgeschichte ausweisen, welche die Epidemiologie der MDR-TB im jeweiligen Herkunftsland abbildet. Neben einer Vorbehandlung weisen größere europäische Studien auch ein Alter < 45 Jahre als unabhängigen Risikofaktor aus. Eine moderate Risikoassoziation konnte auch für das männliche Geschlecht und für Obdachlosigkeit gezeigt werden [148]. Ein weiterer Risikofaktor ist der enge Kontakt zu einem Indexfall, der an MDR-TB erkrankt ist.
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4.1.4 Definition der Medikamentenresistenz(en)
Die unterschiedlichen Niveaus der Medikamentenresistenzen von M. tuberculosis sind wie folgt definiert:
Monoresistenz (engl.: mono-resistance): Resistenz gegenüber nur einem Medikament der Standardtherapie bei Kenntnis der Empfindlichkeit gegenüber den anderen Medikamenten der Standardtherapie (siehe Kapitel Zusammensetzung der Standardtherapie und Therapiedauer).
Polyresistenz (engl.: poly-resistance): Resistenz gegenüber mehr als einem Medikament der Standardtherapie, jedoch nicht gleichzeitig gegenüber Rifampicin und Isoniazid.
Multiresistenz (engl.: multidrug resistance; MDR): Resistenz gegenüber mindestens Rifampicin und Isoniazid.
Multiresistenz/RR (engl.: MDR/RR): International wird eine RMP-Resistenz, die alleinig molekularbiologisch nachgewiesen wurde, mit einer MDR-TB gleichgesetzt. Oftmals fehlen diagnostische Ressourcen zur weiteren Testung, und i. d. R. sind RMP-resistente TB-Stämme auch gegenüber INH resistent [57]
Prä-extensive Resistenz [1] (engl.: pre-extensive drug resistance; preXDR): ist eine MDR-TB, die zusätzlich gegen eines der Fluorchinolone resistent ist.
Extensive Resistenz [1] (engl.: extensive drug resistance; XDR): ist eine MDR-TB, die zusätzlich gegen eines der Fluorchinolone und gegen mindestens ein weiteres Medikament der WHO Gruppe A (Bedaquiline und/oder Linezolid) resistent ist (siehe [Tab. 8]).
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4.1.5 Definitionen für die Behandlungsergebnisse medikamentenresistenter Tuberkulosen
Zum Zeitpunkt der Erstellung dieser Leitlinie werden durch die WHO neue Definitionen für TB-Behandlungsergebnisse erarbeitet, die gleichermaßen für die sensible und resistente TB gelten sollen und optional zu Forschungszwecken eine Nachbeobachtungzeit für die Dokumentation eines nachhaltigen Therapieerfolgs einschließen [29]. Die in Deutschland gültigen Definitionen für die Beurteilung der Therapieergebnisse werden jeweils im aktuellen Bericht zur Epidemiologie der Tuberkulose veröffentlicht.
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4.2 Therapieempfehlungen
4.2.1 Präambel
Die internationalen Empfehlungen für die Diagnostik und Therapie der Tuberkulose insgesamt, in besonderem Maße aber für die MDR-TB sind einem raschen Wandel unterworfen. Es ist daher anzunehmen, dass die Therapieempfehlungen für resistente Tuberkulosen dieser Leitlinie in absehbarer Zeit aktualisiert werden müssen. Das DZK wird als koordinierende Organisation entsprechende Aktualisierungen gesondert publizieren und über die DZK-Internetseite und im Newsletter des DZK zusammengefasst zugänglich machen.
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4.2.2 Interpretation der Resistenztestung
4.2.2.1 „borderline“-Rifampicin-Resistenz
Bei einem genotypisch resistenten Ergebnis für Rifampicin kann in seltenen Fällen nach der phänotypischen Testung ein diskordant sensibles Resultat erhalten werden (zur „borderline“-Resistenz siehe Kapitel Molekularbiologische Methoden zum Nachweis von Medikamentenresistenzen). Als Folge der durch die WHO empfohlenen Absenkung der Rifampicin-Testkonzentration von 1,0 auf 0,5 mg/l zur Bestimmung der phänotypischen Resistenz reduziert sich der Anteil dieser Fälle, jedoch werden weiterhin TB-Stämme mit diskrepanten Ergebnissen in der genotypischen und phänotypischen Resistenztestung auftreten. Mutationen im für die Rifampicin-Resistenz verantwortlichen rpoB-Gen können auch dann therapeutische Konsequenzen haben, wenn die Kultur in der phänotypischen Testung als sensibel bewertet wird. Bei „borderline“-Resistenzen empfiehlt die Leitliniengruppe individuell und nach Rücksprache mit einem spezialisierten TB-Behandlungszentrum über das therapeutische Vorgehen zu entscheiden.
4.2.2.2 Moxifloxacin-Resistenz
Die kritische Konzentration zur Bestimmung der Resistenz gegen Moxifloxacin in der Flüssigkultur wurde durch die WHO von 0,5 auf 0,25 mg/l (MGIT) gesenkt. Bis zum klinischen Breakpoint von 1,0 mg/l (MGIT) kann nach WHO-Empfehlung jedoch eine Hochdosistherapie mit 800 mg Moxifloxacin einmal täglich erwogen werden. Die Datengrundlage für diese Empfehlungen ist limitiert und die unerwünschten Arzneimittelwirkungen bei dieser Dosiserhöhung sind schwer abzuschätzen [37] [38]. Daher soll die Hochdosistherapie nur bei fehlenden Alternativen und unter engmaschiger Kontrolle der unerwünschten Arzneimittelwirkungen erfolgen.
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4.2.3 Therapie bei Monoresistenz oder Unverträglichkeit gegenüber einem Standardmedikament
Fehler in der Therapie der monoresistenten TB und bei Unverträglichkeit gegenüber einem Standardmedikament können rasch zur Entwicklung weiterer Resistenzen führen und sollten unbedingt vermieden werden. Vor Beginn der TB-Therapie sollte daher neben der Testung der Medikamente der Standardtherapie zumindest die Empfindlichkeit gegen Fluorchinolone genotypisch getestet werden, sofern diese verwendet werden sollen. Wenn innerhalb von zwei Monaten nach Therapiebeginn keine Konversion der Sputumkulturen erzielt wurde, soll die Resistenztestung wiederholt werden (siehe Kapitel Mikrobiologische Verlaufsdiagnostik). Die Dauer der Therapie sollte sich an der Schwere und Ausdehnung der Erkrankung orientieren und sollte an den Therapieverlauf angepasst werden.
Bei einer Isoniazid-Monoresistenz empfiehlt die WHO eine Therapie mit den 4 Medikamenten Rifampicin, Levofloxacin, Pyrazinamid oder Ethambutol über die gesamte Therapiedauer von 6 Monaten. Die WHO empfiehlt in dieser Kombination bevorzugt Levofloxacin zu verwenden, da die Kombination von Moxifloxacin mit Rifampicin aufgrund von Interaktionen eine erhebliche Senkung des Serumspiegels von Moxifloxacin zur Folge haben kann [38].
Die Leitliniengruppe unterstützt diese WHO-Empfehlung ([Tab. 7]). Die WHO-Empfehlung basiert allerdings auf Ergebnissen einer Metaanalyse, der wenig Patientendaten zum verkürzten Einsatz von Pyrazinamid oder Ethambutol zur Verfügung standen [149]. In den amerikanischen Therapieempfehlungen wird in ausgewählten Situationen (nicht kavitäre Erkrankung, geringe Ausdehnung der TB oder PZA-Toxizität) eine Verkürzung der PZA-Therapiedauer auf 2 Monate vorgeschlagen [2]. Eine Verkürzung der Pyrazinamid- und Ethambutol-Gabe bei der Therapie der INH-Monoresistenz erscheint prinzipiell möglich (2 Monate Rifampicin, Levofloxacin, Pyrazinamid, Ethambutol, anschließend zur Erhaltungstherapie 4 Monate Rifampicin, Levofloxacin). Wenn ein solches Vorgehen in Erwägung gezogen wird, sollte nach Meinung der Leitliniengruppe bei ausgedehnter, kavernöser Erkrankung mit hoher Erregerlast die Erhaltungstherapie mit Rifampicin und Levofloxacin verlängert werden (analog zur Standardtherapie, siehe Kapitel Anzahl der Medikamente der Standardtherapie, Unverträglichkeit und Therapieverlängerung).
Monoresistenz oder Unverträglichkeit |
Therapieempfehlung |
Gesamttherapiedauer |
Rifampicin |
Bdq, Lfx oder Mfx, Lzd, H |
18[*] Monate |
Isoniazid |
R, Lfx, Z, E |
6[*] Monate |
* Orientiert an Therapieverlauf, Schwere und Ausdehnung der Erkrankung kann es notwendig sein, die Therapiedauer zu verlängern. Auch eine Therapieverkürzung kann bei Rifampicin-Monoresistenz nach Rücksprache mit einem spezialisierten TB-Behandlungszentrum möglich sein (siehe Kapitel Therapie bei Unverträglichkeiten oder bei Resistenzen gegen Medikamente der Standardtherapie).
Im Fall einer Rifampicin-Resistenz, bei der keine Informationen über weitere Medikamentenresistenzen zu erhalten sind (siehe Definition MDR/RR-TB in Kapitel Definition der Medikamentenresistenz(en)), empfiehlt die WHO eine MDR-TB-Therapie. In dieser in Deutschland, Österreich und der Schweiz seltenen Ausnahmesituation unterstützt die Leitliniengruppe die Empfehlung der WHO. Die im deutschsprachigen Raum vorhandenen Möglichkeiten zur Resistenztestung weiterer Medikamente sollten jedoch unbedingt ausgeschöpft werden (siehe Kapitel Diagnostische Verfahren zur Empfindlichkeitsprüfung). Bei einer Rifampicin-Monoresistenz mit nachgewiesener Wirksamkeit von Isoniazid empfiehlt die Leitliniengruppe die 3 Medikamente der WHO-Gruppe A um Isoniazid als viertes Medikament zu ergänzen. Bei ausgedehnter, kavernöser Erkrankung mit hoher Erregerlast oder anderen Risikofaktoren für einen ungünstigen Therapieverlauf sollte die Therapiedauer mindestens 18 Monate betragen. Anderenfalls kann eine Verkürzung der Therapie auf 9–12 Monate erwogen werden ([Tab. 7]). Analog zu den Empfehlungen bei einer MDR-TB-Therapie wird bei Rifampicin-Monoresistenz die Einleitung der Therapie in einem spezialisierten TB-Behandlungszentrum empfohlen. Auch die ambulante Weiterbehandlung sollte in spezialisierten TB-Behandlungszentren stattfinden oder mindestens alle 4 Wochen mit einem spezialisierten TB-Behandlungszentrum konsiliarisch koordiniert werden.
Eine Pyrazinamid- oder Ethambutol-Monoresistenz ist in Deutschland sehr selten [27] und sollte individuell nach Rücksprache mit einem spezialisierten TB-Behandlungszentrum therapiert werden.
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4.2.4 Therapie bei Polyresistenz oder Unverträglichkeiten gegenüber mehr als einem Medikament der Standardtherapie
Angesichts unzureichender Evidenz und individuell sehr unterschiedlicher klinischer Fallkonstellationen kann in dieser Leitlinie für die seltene Situation einer Polyresistenz keine standardisierte Empfehlung gegeben werden. Bei einer Polyresistenz soll daher vor Therapiebeginn Rücksprache mit einem spezialisierten TB-Behandlungszentrum erfolgen.
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4.2.5 Therapie bei MDR-Tuberkulose oder bei Medikamentenunverträglichkeiten gegenüber mindestens Rifampicin und Isoniazid
Empfehlung 77 |
Neu, Stand 2022 |
Falls Substanzen der Gruppe A oder Gruppe B wegen Resistenzen oder Unverträglichkeiten entfallen, sollte durch Ergänzung von Medikamenten der WHO-Gruppe C ([Tab. 8]) eine MDR-TB-Therapie in der Regel aus mindestens 4 Substanzen mit nachgewiesener Wirksamkeit zusammengestellt werden. |
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Konsensstärke: starker Konsens (15/15) |
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Empfehlungsstärke: + |
Die TB-Therapie soll nach Möglichkeit auf Basis einer molekularbiologischen Analyse von Medikamentenresistenzen begonnen werden. Bei Vorliegen von Resistenz-assoziierten Mutationen soll die jeweilige Substanz nicht verwendet oder eine Dosisanpassung mit einem spezialisierten TB-Behandlungszentrum diskutiert werden. Im weiteren Verlauf müssen die molekularbiologisch identifizierten Resistenzen mit den phänotypischen Kulturergebnissen abgeglichen werden, da die Ergebnisse nicht immer deckungsgleich sind (siehe Kapitel Diagnostische Verfahren zur Empfindlichkeitsprüfung und Kapitel Interpretation der Resistenztestung).
Bedaquilin, Levofloxacin oder Moxifloxacin und Linezolid (WHO-Gruppe A) sind nach einer retrospektiven Analyse der individuellen Daten von > 12.000 Patientinnen und Patienten die wirksamsten Medikamente in der MDR-TB-Therapie [150]. Für die Gabe von Clofazimin und Cycloserin (WHO-Gruppe B) gibt es ebenfalls einen signifikanten Behandlungsvorteil [150]. Wenn keine Informationen vorliegen, welche die Unwirksamkeit oder Unverträglichkeit eines Medikamentes für die MDR-TB Therapie nahelegen, sollte bis zum Erhalt weiterer Informationen aus der genotypischen Untersuchung von Medikamentenresistenzen (siehe Kapitel Diagnostische Verfahren zur Empfindlichkeitsprüfung) oder der phänotypischen Resistenztestung das initiale Therapieregime aus allen drei WHO-Gruppe A Medikamenten Bedaquilin, Levofloxacin oder Moxifloxacin, Linezolid und mindestens einem der zwei WHO-Gruppe B Medikamente Clofazimin und/oder Terizidon bestehen ([Tab. 8]) [151].
WHO-Gruppen (und Empfehlung) |
Medikamente (WHO-Abkürzung), in alphabetischer Reihenfolge |
Gruppe A (alle 3 Medikamente verwenden) |
Bedaquilin (Bdq) Levofloxacin (Lfx) oder Moxifloxacin (Mfx) Linezolid (Lzd) |
Gruppe B (eines oder beide Medikamente hinzufügen) |
Clofazimin (Cfz) Terizidon (Trd)[1] |
Gruppe C (Medikamente hinzufügen, wenn es nicht möglich ist, die Therapie mit Medikamenten der Gruppe A und B zu vervollständigen) |
Delamanid (Dlm) Ethambutol (E) Imipenem – Cilastin (Ipm-Cln) oder Meropenem (Mpm) beide in Kombination mit Amoxicillin/Clavulansäure[4] Para-Aminosalicylsäure (PAS) Protionamid (Pto)[5] Pyrazinamid (Z) |
1 Terizidon wird im deutschsprachigen Raum anstelle von Cycloserin verwendet.
2 Amikacin (idealerweise über einen Port als einmal tägliche Applikation) sollte nur dann Teil der Kombinationsbehandlung sein, wenn das Auftreten von unerwünschten Arzneimittelwirkungen engmaschig überwacht werden kann.
3 Streptomycin wird von der WHO als Alternative genannt, ist aber im deutschsprachigen Raum zum Zeitpunkt der Erstellung dieser Leitlinie nicht erhältlich.
4 Meropenem sollte 2–3-mal täglich intravenös zeitgleich mit Clavulansäure oral (nur als Amoxicillin-Clavulansäure im Handel), idealerweise über einen Port, appliziert werden.
5 Protionamid wird im deutschsprachigen Raum anstelle von Ethionamid verwendet.
Wenn keine ausreichende Anzahl von wirksamen Substanzen für eine MDR-TB-Therapie aus Medikamenten der WHO-Gruppen A und B zusammengestellt werden kann, sollte die Therapie nach den Ergebnissen der Resistenztestung mit Medikamenten der WHO-Gruppe C komplettiert werden, bis die Kombinationstherapie aus mindestens 4 wirksamen Substanzen besteht ([Tab. 8]).
Für die Medikamente der WHO-Gruppe C ist ein positiver Einfluss auf die Behandlungsergebnisse der MDR-TB nur für Carbapeneme (Meropenem/Amoxicillin-Clavulansäure) ausreichend belegt [150], weshalb an manchen Zentren die Behandlung mit Meropenem/Amoxicillin-Clavulansäure die erste Wahl unter den WHO-Gruppe C Medikamenten ist. Im Übrigen gibt es international keine Einigkeit darüber, welche der Medikamente der Gruppe C zu bevorzugen sind oder wie eine Therapie gestaltet werden kann, wenn weniger als 4 wirksame Substanzen zur Verfügung stehen.
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4.3 Therapiedauer der MDR-TB
Die Dauer der MDR-TB-Therapie sollte im Regelfall mindestens 18 Monate betragen [57] [150]. In Abhängigkeit von der Schwere der Erkrankung, dem Spektrum der Antibiotikaresistenzen und Begleiterkrankungen können Patientinnen und Patienten individuell auch nach kürzerer Therapiedauer geheilt werden. Biomarker zur Individualisierung der Therapiedauer werden aktuell klinisch getestet. Für eine generelle Empfehlung sind sie aber noch nicht ausreichend validiert [152]. Daher sollte eine kürzere Therapiedauer nur nach Rücksprache mit einem spezialisierten TB-Behandlungszentrum erfolgen.
Die WHO empfiehlt vorrangig die Behandlung der MDR-TB mit einer Kurzzeittherapie über 9–12 Monate durchzuführen [153]. Diese Kurzzeittherapie soll aus einer vollständig oralen, fixen Medikamentenkombination mit Bedaquilin, Levofloxacin, Protionamid, Ethambutol, Pyrazinamid, Hochdosis-Isoniazid und Clofazimin (4–6 Bdq(6)-Lfx(Mfx)-Eto-E-Z-Hh-Cfz / 5 Lfx(Mfx) Cfz-Z-E).
Kontraindikationen[2] für die WHO-Kurzzeittherapie bei Erwachsenen liegen vor bei:
-
Resistenz gegen oder vermuteter Unwirksamkeit eines der Medikamente der fixen Medikamentenkombination nach WHO (bei einer Low-Level-Isoniazid-Resistenz kann die WHO-Kurzzeittherapie mit Hochdosis-Isoniazid eingesetzt werden),
-
vorbehandelter MDR-Tuberkulose,
-
schwerer und/oder ausgedehnter Erkrankung oder extrapulmonaler TB.
In Europa kommt die WHO-Kurzzeittherapie vermutlich nur für wenige Patientinnen und Patienten in Frage, da ein hoher Anteil der MDR-TB Fälle zusätzliche Resistenzen aufweist [27] [148] [154] [155]. Die von der WHO empfohlene bevorzugte Anwendung kann daher für Deutschland, Österreich und die Schweiz nicht gelten. Im deutschsprachigen Raum kann der Beginn einer WHO-Kurzzeittherapie in Einzelfällen und nach Ausschluss von Kontraindikationen erwogen werden. Bei Komplikationen, die eine Umstellung der Therapie notwendig machen, soll auf eine individuell zusammengestellte MDR-Therapie über mindestens 18 Monate Gesamttherapiedauer umgestellt werden.
Seit 2020 ist mit Pretomanid in Kombination mit Bedaquilin und Linezolid (sog. BPaL-Therapieregime) ein weiteres Medikament für Patientinnen und Patienten mit MDR-TB mit einer kurzen Therapiedauer von 6–9 Monaten zugelassen worden [156], sofern keine andere wirksame Therapie zusammengestellt werden kann und eine Empfindlichkeit des TB-Stammes gegenüber Bedaquilin und Linezolid nachgewiesen wurde. Allerdings traten in der Zulassungsstudie häufig unerwünschte Arzneimittelwirkungen auf, v. a. periphere Neuropathien und Myelosuppressionen [157]. Den Autorinnen und Autoren der Leitlinie sind aktuell im deutschsprachigen Raum keine Fälle bekannt, die für das BPaL-Therapieregime in Frage kommen würden.
Im Mai 2022 kündigte die WHO in einer rapid communication eine Aktualisierung der Behandlungsempfehlungen für die Therapie von Patientinnen und Patienten mit einer MDR/RR-TB an [158]. In diesem WHO-Dokument wird ein 6-monatiges Kurzzeitregime mit Bedaquilin, Pretomanid, Linezolid (in einer Dosis von 600 mg/d) und Moxifloxacin (BPaLMx) empfohlen. Für das Regime BPaLMx besteht zum Zeitpunkt der Leitlinienerstellung keine Zulassung für Europa. Es liegen zum aktuellen Zeitpunkt nicht genügend Daten vor, um dieser Empfehlung im deutschsprachigen Raum zu folgen oder eine individualisierte MDR-TB-Therapie, basierend auf den Ergebnissen der Antibiotikaempfindlichkeitstestung, routinemäßig zu ersetzen.
Zum anderen wird eine Modifikation der oben diskutierten 9–12-monatigen WHO-Kurzzeittherapie mit einer fixen Kombination aus 4–6 Monaten Bedaquilin, Levofloxacin (Moxifloxacin), Linezolid (600 mg/d, 2 Monate) anstelle von Protionamid, Ethambutol, Pyrazinamid, Hochdosis-Isoniazid und Clofazimin, gefolgt von 5 Monaten Levofloxacin (Moxifloxacin), Clofazimin, Ethambutol und Pyrazinamid (4–6 Bdq-Lfx[Mfx]-Lzd[2]-E-Z-Hh-Cfz / 5 Lfx[Mfx]-Cfz-Z-E) als Behandlungsmöglichkeit skizziert. Auch für dieses modifizierte WHO-Kurzzeitregime ist nach Ausschluss der Kontraindikationen nur mit einer geringen Einsatzmöglichkeit in Deutschland und Europa zu rechnen (siehe oben).
Die WHO schreibt zudem ausdrücklich, dass nur optimale Strukturvoraussetzungen für Überwachung und Behandlung sowie begrenzte Krankheitsbilder es überhaupt erlauben, Kurzzeitregime dieser Art in Betracht zu ziehen.
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4.4 Strukturelle Voraussetzungen zur Behandlung einer MDR-TB
Die MDR-TB ist im deutschsprachigen Raum eine seltene Diagnose. Die komplexe und langwierige Behandlung bedarf umfangreicher Erfahrung und struktureller Voraussetzungen, um die verfügbaren Möglichkeiten an Diagnostik und Therapie auszuschöpfen. Durch individualisierte Behandlungskonzepte können in spezialisierten Behandlungseinrichtungen auch für Patientinnen und Patienten mit einer MDR-TB oder in Behandlungssituationen, die einer MDR-TB gleichkommen, hohe Heilungsraten erzielt werden [159] [160]. Daher sollte in Deutschland zumindest die Einleitung der MDR-TB-Therapie in spezialisierten TB-Behandlungszentren stattfinden ([Tab. 9]).
Deutschland |
Deutsches Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) am Klinischen Tuberkulosezentrum des Forschungszentrums Borstel und Nationales Referenzzentrum für Mykobakterien Tel.: + 49(0)4537-188-0 |
Deutsches Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose (DZK) am Standort der Lungenklinik Heckeshorn in Berlin Tel.: + 49(0)30-81490922 |
Österreich |
Kepler Universitätsklinikum, Abteilung für Lungenheilkunde, Krankenhausstraße 9, 4021 Linz, Österreich Tel.: + 43(0)5768083-78520 https://www.kepleruniklinikum.at/kliniken-einrichtungen/innere-medizin-4-pneumologie/was-wir-tun/ |
Tuberkulosestation Severin, Klinik Penzing in Wien, Baumgartner Höhe 1, 1140 Wien, Österreich Tel.: + 43(0)1916041420 https://klinik-penzing.gesundheitsverbund.at/leistung/abteilung-fuer-atemwegs-und-lungenkrankheiten/ |
Schweiz |
Expertengruppe aus Klinikern, Mikrobiologen und Public Health-Spezialisten koordiniert durch die Schweizer Lungenliga Tel.: + 43(0)800388388 |
Nach Einschätzung der Leitliniengruppe sollten in Deutschland und Österreich folgende Voraussetzungen in spezialisierten TB-Behandlungszentren vorhanden sein:
-
jährliche Behandlung von mindestens 50 stationären Tuberkulosefällen (A15.- bis A19.-),
-
die Möglichkeit zur Speziesbestimmung, zur phänotypischen Resistenzbestimmung (auch in Kooperation möglich) und zur genotypischen Resistenzbestimmung gegen Rifampicin und Isoniazid innerhalb von 24 Stunden nach Probeneingang (auch in Kooperation möglich),
-
eine getrennte Infektionsstation zur Behandlung von ansteckungsfähigen Tuberkulosen,
-
die Möglichkeit der Behandlung von Patientinnen und Patienten mit ansteckungsfähiger Tuberkulose auf einer Intensivstation,
-
eine Zusammenarbeit mit dem Nationalen Referenzzentrum (NRZ) für Tuberkulose und
-
die Möglichkeit zur ambulanten Weiterbehandlung oder regelmäßigen konsiliarischen (ggf. telemedizinischen) Mitbetreuung von Patientinnen und Patienten mit MDR-TB.
In der Schweiz sollen alle MDR-TB-Fälle in der MDR-TB-Expertengruppe des Kompetenzzentrums Tuberkulose der Lungenliga Schweiz vorgestellt werden, wo für jeden Fall ein individuelles Behandlungsschema und Behandlungskonzepte (ambulant, stationär, direkt überwachte Therapie, Verlaufskontrollen etc.) diskutiert und festgelegt werden.
Zur ambulanten Weiterbehandlung sollten in Deutschland die Strukturen der ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung (ASV) im Sinne einer patientenzentrierten, wohnortnahen Therapieführung genutzt werden. Wenn die Behandlung einer MDR-TB nicht vollständig in einem spezialisierten TB-Behandlungszentrum durchgeführt werden kann, sollte die Therapie in Abhängigkeit vom Therapieverlauf mindestens alle 4 Wochen mit einem spezialisierten TB-Behandlungszentrum konsiliarisch besprochen werden. Hierzu können auch die Möglichkeiten der Telemedizin genutzt werden. Treten schwere unerwünschte Arzneimittelreaktionen oder sonstige Komplikationen auf, die eine Änderung der Therapie notwendig machen, soll ambulanten MDR-TB-Patientinnen und -Patienten die Überweisung/Einweisung in ein spezialisiertes TB-Behandlungszentrum angeboten werden.
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4.5 Besondere Therapiesituationen bei medikamentenresistenter TB
4.5.1 Therapie medikamentenresistenter TB in der Schwangerschaft
Viele Medikamente der Nicht-Standardtherapie sind in der Schwangerschaft kontraindiziert oder relativ kontraindiziert. Die Kontraindikationen beruhen dabei eher auf theoretischen Überlegungen hinsichtlich möglicher unerwünschter Effekte bei Schwangeren und deren ungeborenen Kindern. Daten liegen i. d. R. nur begrenzt vor und sind nicht durch umfangreiche Studien abgesichert. In den Informationen für Fachkreise sind meistens kurze Zusammenfassungen der tierexperimentellen Daten verfügbar. Praxisrelevante Informationen zur Sicherheit der Anwendung und zu möglichen Risiken sind über die Internetseite www.embryotox.de verfügbar. Grundsätzlich sollen Patientinnen auf eine sichere Kontrazeption während einer (MDR-)TB-Therapie hingewiesen werden.
Selbstverständlich ist eine medikamentenresistente Tuberkulose auch in der Schwangerschaft eine behandlungsbedürftige Erkrankung. Da eine Tuberkulose das Leben von Mutter und Kind gefährden kann [161], wird die Risiko-Nutzen-Abwägung i. d. R. zugunsten einer Therapie ausfallen. Die Therapie der medikamentenresistenten Tuberkulose soll abhängig von Schwere und Progress der Erkrankung, sofern vertretbar, nach dem 1. Trimenon (Abschluss der Organogenese) begonnen werden. In die Risiko-Nutzen-Abwägung, die Therapieeinleitung und Durchführung sollen ein spezialisiertes TB-Behandlungszentrum sowie eine in der Versorgung von TB-Patientinnen erfahrene gynäkologische Abteilung einbezogen werden.
Bei einer INH-Monoresistenz in der Schwangerschaft ist der Einsatz von Fluorchinolonen nach den Empfehlungen der WHO relativ kontraindiziert. Es wird daher von der WHO eine Therapie mit Isoniazid, Rifampicin, Pyrazinamid und Ethambutol über 6 Monate empfohlen [57]. Die WHO empfiehlt die Verwendung von INH trotz Resistenz, da in den international gebräuchlichen fixen Medikamentenkombinationen oft INH enthalten ist. Im deutschsprachigen Raum sollte nur bei einer Low-Level-INH-Resistenz eine INH-Gabe als Hochdosistherapie mit 10–15 mg/kg KG erwogen werden. Zur Verträglichkeit der INH-Hochdosistherapie in der Schwangerschaft gibt es allerdings wenige Daten, daher sollte diese engmaschig überwacht werden. Abhängig von Therapieverlauf, Schwere und Ausdehnung der Erkrankung kann die Gabe von Levofloxacin notwendig sein. Daten zur Sicherheit von Levofloxacin in der Schwangerschaft liegen nur begrenzt vor. Erkenntnisse aus wenigen Publikationen und Datenbanken fanden bisher keinen Hinweis auf ein erhöhtes Fehlbildungsrisiko oder Knorpelschäden bei exponierten Neugeborenen (siehe auch www.embryotox.de). Nutzen und Risiken sollten vor Anwendung von Levofloxacin in der Schwangerschaft sorgfältig abgewogen werden. Die Therapie sollte – wenn möglich – nach dem 1. Trimenon begonnen werden. Ein Aminoglykosid soll keinesfalls ergänzt werden.
Die Therapie einer Rifampicin-resistenten TB oder MDR-TB sollte auch in der Schwangerschaft individualisiert zusammengestellt und über mindestens 18 Monate durchgeführt werden. Wenn möglich sollte dabei in Schwangerschaft und Stillzeit auf Amikacin und Protionamid verzichtet werden, da potenziell teratogene Effekte beobachtet wurden [57]. Die Gabe dieser Substanzen in Unkenntnis einer Schwangerschaft stellen jedoch keine Indikation zum Schwangerschaftsabbruch oder für eine invasive pränatale Diagnostik dar (http://www.embryotox.de) [162].
Zur Einschätzung der Verträglichkeit von Bedaquilin in der Schwangerschaft lagen der WHO Daten von nur wenigen Patientinnen aus Südafrika vor [57]. Die Anwendung von Bedaquilin war in einer Studie, an der überwiegend HIV-Patientinnen teilnahmen (83 %), mit einem niedrigen Geburtsgewicht ohne Auswirkung auf die Entwicklung 12 Monate nach der Geburt assoziiert [163]. Die WHO empfiehlt, eine individualisierte Therapie mit Medikamenten zu bevorzugen, die ein besser beschriebenes Sicherheitsprofil vorweisen. Nach Ansicht der Leitliniengruppe kann der Einsatz von Bedaquilin in Abhängigkeit von Therapieverlauf, Schwere und Ausdehnung der Erkrankung auch in der Schwangerschaft gerechtfertigt sein.
Eine Kurzzeittherapie über 9–12 Monate ist nach WHO-Empfehlungen in der Schwangerschaft kontraindiziert, auch da diese neben Bedaquilin auch Ethionamid/Protionamid enthält [57]. Nach Ansicht der Leitliniengruppe kann in der Schwangerschaft eine WHO-Kurzzeittherapie nach Ausschluss anderer Kontraindikationen und in Rücksprache mit einem spezialisierten TB-Behandlungszentrum sowie einer in der Versorgung von TB-Patientinnen erfahrenen gynäkologischen Abteilung in Frage kommen.
Wegen fehlender Daten zum Muttermilchtransfer der einzelnen Medikamente und deren Auswirkungen auf das gestillte Kind empfehlen die Autorinnen und Autoren der Leitliniengruppe während der MDR-TB-Therapie auf das Stillen zu verzichten. Wird dennoch gestillt, sollte die Auswahl der Medikamente mit einem spezialisierten TB-Behandlungszentrum und einer in der Versorgung von TB-Patientinnen erfahrenen gynäkologischen Abteilung diskutiert werden.
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4.5.2 Therapie medikamentenresistenter TB bei HIV-Koinfektion
Die Therapieergebnisse für die Behandlung einer MDR-TB bei Menschen, die mit HIV leben (PLWH), sind schlechter als bei Menschen ohne HIV-Infektion, v. a. in der im deutschsprachigen Raum seltenen Situation einer unbehandelten HIV-Infektion [150] [164]. Die Therapie wird oft durch Interaktionen zwischen den MDR-TB-Medikamenten und der antiretroviralen Therapie (ART) sowie durch additive Toxizitäten verkompliziert [165]. Daher soll insbesondere bei PLWH mit MDR-TB die Therapieeinleitung und die Behandlung von Komplikationen in spezialisierten TB-Behandlungszentren oder in enger Kooperation mit einem spezialisierten TB-Behandlungszentrum erfolgen (siehe Kapitel Strukturelle Voraussetzungen zur Behandlung einer MDR-TB). Darüber hinaus soll eine Infektiologin oder ein Infektiologe mit Erfahrung in der HIV-Therapie zur Einleitung der ART und zur Weiterbehandlung hinzugezogen werden (siehe Kapitel Medikamentenmanagement und interdisziplinäre Therapieplanung bei HIV-Infektion und Tuberkulose). Gleiches gilt bei Diagnose einer Tuberkulose nach Beginn einer ART – insbesondere bei schlechtem Immunstatus < 200 CD4-T-Helferzellen/µl.
Analog zu den Empfehlungen bei Menschen ohne HIV-Infektion gelten die beschriebenen Empfehlungen zur Behandlung von Mono- und Polyresistenzen auch für PLWH. Bei PLWH mit MDR-TB soll ebenfalls analog zu den Empfehlungen bei HIV-negativen Personen im Regelfall eine individuelle Zusammenstellung der MDR-Therapie erfolgen, und die Behandlungsdauer soll mindestens 18 Monate betragen. Die HIV-Infektion ist keine Kontraindikation für eine verkürzte Therapiedauer (WHO-Kurzzeittherapie oder BPaL-Therapieregime) [38] [166], da die vorhandenen Studiendaten keine zusätzlichen Sicherheitsrisiken vermuten lassen [157] [167] [168]. Es gelten jedoch auch für PLWH in Deutschland, Österreich und der Schweiz die im Kapitel Therapiedauer der MDR-TB genannten Einschränkungen für die verkürzten Therapieoptionen.
Die Auswahl der Medikamente zur ART bei MDR-TB und der Zeitpunkt des Beginns der ART soll analog zu den Empfehlungen für PLWH mit medikamentensensibler TB erfolgen (siehe Kapitel Therapie der medikamentensensiblen Tuberkulose bei HIV-Infektion) [38] [169]. Vor Beginn der Therapie sollen insbesondere bei PLWH mögliche Wechselwirkungen der MDR-TB-Therapie und der Ko-Medikation inklusive ART erfolgen [165]. Eine Messung der Konzentrationen einiger Tuberkulosemedikamente sowie der von Wechselwirkungen betroffenen antiretroviralen Medikamente sollte bei PLWH mit MDR-TB erwogen werden (siehe Kapitel Therapeutisches Medikamentenmanagement).
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4.6 Verlaufskontrollen unter MDR-Therapie
Empfehlung 81 |
Neu, Stand 2022 |
Die MDR-TB-Therapie soll dem individuellen Therapieverlauf entsprechend engmaschig kontrolliert werden. Die mindestens notwendigen Kontrolluntersuchungen und -intervalle sind in [Tab. 11] aufgeführt. |
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Konsensstärke: starker Konsens (14/14) |
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Empfehlungsstärke: + + |
Im Verlauf der Therapie einer MDR-TB treten häufig schwere unerwünschte Arzneimittelwirkungen auf, die den Therapieerfolg gefährden und zu Therapieänderungen führen können [38] [170]. Die aktive Überwachung häufiger unerwünschter Arzneimittelwirkungen ist eine notwendige Voraussetzung für die MDR-TB-Therapie. Die mindestens notwendigen Kontrolluntersuchungen und -intervalle in Anlehnung an das „active drug safety monitoring“ (aDSM) der WHO [171] werden in [Tab. 11] dargestellt und sollen an den individuellen Therapieverlauf angepasst werden.
Teilweise ist die Bioverfügbarkeit der Medikamente zur Behandlung der MDR-TB abhängig von der Nahrungsaufnahme ([Tab. 10]). Zur Therapieplanung sollen die Fachinformationen beachtet und mögliche Interaktionen vollständig geprüft werden (siehe Kapitel Therapeutisches Medikamentenmanagement). Die Serumkonzentration von Terizidon bei Nierenerkrankungen sowie von Amikacin, Fluorchinolonen und Linezolid sollten bei Risiken für schwerwiegende Toxizitäten oder medikamentöse Interaktionen bestimmt werden (siehe Kapitel Therapeutisches Medikamentenmanagement).
Medikament |
Empfohlene Einnahme zur Verbesserung der Bioverfügbarkeit |
Levofloxacin, Moxifloxacin |
unabhängig von den Mahlzeiten[2] |
Linezolid |
unabhängig von den Mahlzeiten |
Bedaquilin |
zusammen mit Nahrung |
Delamanid |
zusammen mit Nahrung |
Clofazimin |
mit fetthaltiger Nahrung |
1 Medikamente der Standardtherapie siehe [Tab. 4].
2 Keine gleichzeitige Gabe von 2- oder 3-wertigen Kationen enthaltenden Medikamenten oder Nahrungsmitteln (cave: Milchprodukte!)
Name: |
Datum des Therapiebeginns: |
Wohnanschrift: |
Krankenhaus ID: |
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32 M |
38 M |
44 M |
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Sputum-Mikroskopie |
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Molekularbiologische Resistenztestung |
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Nieren- und Leberfunktionswerte, Elektrolyte |
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Thorax-CT (vorzugsweise Low- Dose-CT) |
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EKG[7] mit korrigierter QT-Zeit |
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1 Eine Überprüfung der Medikamentenempfindlichkeit/-wirksamkeit soll wiederholt werden, wenn die Mykobakterienkultur nach 2 Monaten Therapie noch positiv ist.
2 Bei Behandlung mit Protionamid oder PAS soll die Funktion der Schilddrüse überwacht werden.
3 Für das Screening auf Depression können evaluierte Fragebögen verwendet werden, beispielsweise der aus 2 Fragen bestehende PHQ-2 oder der PHQ-9 (z. B. in verschiedenen Sprachen: https://multiculturalmentalhealth.ca/clinical-tools/screening-for-common-mental-disorders/).
4 Regelmäßige Hörtests sollen durchgeführt werden, wenn Aminoglykoside verwendet werden.
5 Regelmäßige Augenarztkontrollen sollen bei allen Patienten durchgeführt werden, die Ethambutol oder Linezolid erhalten.
6 Durchführung erst möglich, wenn Patienten nicht mehr ansteckungsfähig sind.
7 QT-Zeit-Verlängerung durch verschiedene MDR-TB-Medikamente möglich.
Damit ein Therapieversagen frühzeitig identifiziert werden kann, sollen während des gesamten Behandlungsverlaufs in monatlichen Abständen Sputum-Proben mikrobiologisch untersucht werden, auch wenn bereits eine Konversion der Sputumkulturen stattgefunden hat. Wenn spontan kein Sputum gewonnen werden kann, sollte eine Sputuminduktion erwogen werden. Thorax-CTs (vorzugsweise in Niedrigdosis-Technik [Low-Dose] ohne Kontrastmittel) können besser zur Therapieüberwachung geeignet sein als Thorax-Röntgenbilder. Ein Thorax-CT, ggf. Low-Dose-CT, als Referenzaufnahme zum Zeitpunkt des Therapieendes ist hilfreich, um später eine Reinfektion oder ein Rezidiv ausschließen zu können.
Dem zuständigen Gesundheitsamt müssen relevante Daten zum Therapieverlauf (u. a. Krankenhausaufnahme und -entlassung, Abbruch oder Versagen der Behandlung) und das Therapieergebnis gemeldet werden (siehe Kapitel Meldepflicht und Definition der Therapieergebnisse und RKI Ratgeber Tuberkulose). Es sollte eine Nachbeobachtung von mindestens 2 Jahren nach Therapieende erfolgen und dokumentiert werden. Folgeerkrankungen nach der MDR-TB-Therapie und der sich daraus ergebende Rehabilitationsbedarf sollten nach Therapieende evaluiert werden, da Medikamentenresistenzen zu den Risikofaktoren für Folgeerkrankungen gehören (siehe Kapitel TB-Folgeerkrankungen [Post-TB lung disease; PTLD] und Rehabilitation).
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5 HIV-Infektion und Tuberkulose
5.1 Klinik und Diagnostik der Tuberkulose bei HIV-Infektion
Zahlreiche epidemiologische Studien zeigen, dass eine HIV-Infektion die Entwicklung einer Tuberkulose begünstigt [172]. Im Jahr 2019 – vor der SARS-CoV-2-Pandemie – waren von den weltweit geschätzten 10 Millionen Menschen mit einer Tuberkulose etwa 820.000 (8.2 %) mit HIV-koinfiziert [173]. Die HIV-Koinfektion erhöht die Tuberkulose-assoziierte Morbidität und Mortalität. Obwohl letztere durch eine effektive antiretrovirale Therapie (ART) gesenkt werden kann [174] [175], ist die Tuberkulose weltweit noch immer die Haupttodesursache bei Menschen, die mit HIV leben (people living with HIV, PLWH). Eine Syndemie von HIV und Tuberkulose zeigt sich v. a. in Subsahara-Afrika. In Deutschland waren nach einer Schätzung des Robert Koch-Instituts für 2002–2009 ca. 4,5 % der Tuberkulose-Patientinnen und Patienten mit HIV-koinfiziert [176]. Das European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC) schätzte diesen Anteil für Deutschland im Jahre 2019 auf 2,7 % [177].
Bei PLWH mit TB können sich das klinische Bild und die radiologischen Befunde in Abhängigkeit von der Schwere des HIV-assoziierten Immundefektes atypisch präsentieren [178] [179]. V. a. bei niedriger CD4-T-Zellzahl (< 200/µl) sind die radiologischen Befunde des Thorax häufig untypisch. Mit Zunahme der Ausprägung des Immundefektes steigt das Risiko für extrapulmonale und schwere Formen der Tuberkulose (ZNS-/meningeale Beteiligung und/oder disseminierte TB) [180] [181]. Entsprechend ist bei klinischem Verdacht auf eine Tuberkulose eine intensivierte mikrobiologische und radiologische Diagnostik (CT, MRT) erforderlich [182]. Die Sensitivität der Erregerdiagnostik kann durch den Einsatz der molekularbiologischen Schnelltestung gesteigert werden [20] [166] (siehe Kapitel Molekularbiologische Methoden zum Nachweis von Medikamentenresistenzen). Differenzialdiagnostisch müssen die bei HIV-Infektion mit schlechtem Immunstatus häufig vorkommenden opportunistischen Erreger bspw. nicht-tuberkulöse Mykobakterien abgegrenzt werden.
Zur Diagnostik und präventiven Therapie der latenten tuberkulösen Infektion (LTBI) bei PLWH wird auf das Kapitel Diagnose der LTBI und die darauffolgenden verwiesen.
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5.2 Therapie der medikamentensensiblen Tuberkulose bei HIV-Infektion
5.2.1 Medikamentenmanagement und interdisziplinäre Therapieplanung bei HIV-Infektion und Tuberkulose
Die Wechselwirkungen der ART mit den TB-Medikamenten führen für einzelne Substanzen beider Gruppen zu erheblichen Veränderungen hinsichtlich der Pharmakodynamik und -kinetik [165]. Die Kombination der ART ist daher v. a. wegen der zahlreichen Arzneimittelinteraktionen mit den TB-Medikamenten und den potenziellen additiven Toxizitäten von Relevanz.
Rifampicin und in geringerem Ausmaß Rifapentin oder Rifabutin induzieren Enzyme der Cytochrom P450 (CYP) Familie, die zahlreiche Substanzen metabolisieren [183]. Die Verabreichung von Rifamycinen kann daher die Verfügbarkeit und/oder Wirksamkeit anderer gleichzeitig verabreichter Medikamente verändern [184]. Alle antiretroviralen Medikamentenklassen sind hiervon betroffen, am meisten jedoch die Protease-Inhibitoren (PIs) und Integrase-Inhibitoren (INIs).
Rifampicin ist auch bei HIV-koinfizierten Tuberkulose-Patientinnen und -Patienten das Rifamycin der Wahl. Alternativ kann Rifabutin (RBT) eingesetzt werden, das eine schwächere Enzyminduktion (Cytochrom-P-450) aufweist und eine Option sein kann, wenn ein PI-haltiges ART-Regime verwendet wird [166] [185]. Die Bioverfügbarkeit von RBT ist niedrig und zeigt beträchtliche Variabilität zwischen einzelnen Patientinnen und Patienten. Zudem ist seine In-vitro-Wirksamkeit schwierig zu bestimmen. Wenn RBT eingesetzt wird, muss die Therapie engmaschig bezüglich möglicher unerwünschter Arzneimittelwirkungen wie z. B. der RBT-assoziierten Uveitis überwacht werden. Bei Verdacht auf eine Uveitis muss die Behandlung mit RBT unverzüglich eingestellt werden und eine sofortige augenärztliche Untersuchung erfolgen. In Kombination mit PIs ist die RBT Dosis wegen der Enzyminduktion zu reduzieren, um subtherapeutische Spiegel des PIs bzw. toxische Rifabutinspiegel zu vermeiden. Die Dosierung einzelner PIs bei Kombination mit RBT ist beispielsweise in den Empfehlungen der European AIDS Clinical Society (EACS) beschrieben [185].
Die Steuerung der Wirkspiegel einzelner Substanzen ist am besten durch das therapeutische drug-monitoring (TDM, siehe Kapitel Therapeutisches Medikamentenmanagement) gewährleistet [186]. Zur Überprüfung möglicher Medikamenteninteraktionen stehen Internetseiten zur Verfügung, z. B. der Liverpool University (HIV drug interactions website) oder des Toronto General Hospitals. Die CDC hat detaillierte Empfehlungen zur gemeinsamen Verabreichung von ART und TB-Medikamenten veröffentlicht, die von den Verfassern der deutschen Leitlinie unterstützt werden [187]. Auch die Leitlinien der EACS [188] und der British HIV Association (BHIVA [166]) bieten dazu eine gute Übersicht.
Die Diagnostik, Therapieplanung sowie das Management von UAWs und Wechselwirkungen sind bei PLWH mit Tuberkulose herausfordernd und sehr komplex. Dieser Komplexität kann an dieser Stelle nicht in all ihren Facetten Rechnung getragen werden. Zudem kann die Einleitung einer ART unter TB-Therapie ein Immunrekonstitutions-Syndrom (IRIS) auslösen, dessen Erkennung und Behandlung besondere Erfahrung erfordert (siehe Kapitel Immunrekonstitutionssyndrom bei HIV-Infektion und Tuberkulose). Die Leitliniengruppe empfiehlt daher, v. a. Fachärztinnen und Fachärzte für Infektiologie oder HIV-Spezialistinnen und Spezialisten mit der Zusatzweiterbildung Infektiologie oder HIV-Schwerpunkt in die Betreuung von PLWH mit Tuberkulose einzubeziehen.
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5.2.2 Dauer der Tuberkulose-Therapie bei HIV-Infektion
Die Standardtherapie der Tuberkulose soll auch bei PLWH mit INH, RMP, PZA und EMB für zwei Monate, gefolgt von INH und RMP für weitere 4 Monate durchgeführt werden. Für eine generelle Verlängerung der Standardtherapie unter ART findet sich keine ausreichende Evidenz, sofern keine tuberkulöse ZNS-Beteiligung vorliegt, die bei PLWH mit schlechtem Immunstatus allerdings häufiger zu beobachten ist [9] [169] [189] [190]. Die Kriterien für eine Therapieverlängerung bei schwerer Tuberkulose (siehe Kapitel Anzahl der Medikamente der Standardtherapie, Unverträglichkeit und Therapieverlängerung) oder speziellen Formen der extrapulmonalen TB (siehe Kapitel Extrapulmonale Tuberkulose), insbesondere bei Verdacht auf eine ZNS-Beteiligung, gelten auch für PLWH.
Auch aufgrund von Therapieunterbrechungen – bspw. durch Medikamentenunverträglichkeiten oder -wechselwirkungen oder andere Erkrankungen – kann eine verlängerte Therapiedauer notwendig werden [164]. Eine intermittierende Therapie soll generell vermieden werden [169] [191]. Falls aus irgendwelchen Gründen keine ART verabreicht wird (z. B. Patientin oder Patient lehnt ART ab) oder der Immunstatus trotz ART dauerhaft schlecht bleibt, sollte die Tuberkulose-Therapiedauer auf mindestens 9 Monate verlängert werden [9]. Die Dosierungen der Medikamente der Standardtherapie sind bei HIV-Infektion unverändert (siehe DZK-Dosierungsrechner), es soll jedoch wegen des erhöhten Polyneuropathie-Risikos Vitamin B6 (Pyridoxin) ergänzt werden.
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5.2.3 Zeitpunkt des ART-Beginns bei HIV-Erstdiagnose und Tuberkulose
Studien, die den geeigneten Zeitpunkt des Beginns der ART bei therapienaiven und gleichzeitig an Tuberkulose erkrankten PLWH untersucht haben, zeigen in der Tendenz einen Überlebensvorteil für diejenigen, bei denen die ART zeitnah (2–4 Wochen) nach Beginn der Tuberkulosetherapie begonnen wird [192] [193]. Dieser Überlebensvorteil zeigte sich deutlicher bei PLWH mit einem schlechten Immunstatus und war signifikant bei PLWH mit < 50 CD4-T-Zellen/µl bei Therapiebeginn [194] [195] [196].
Problematisch bei gleichzeitigem Beginn der ART und der TB-Therapie können mögliche additive medikamenten-assoziierte Toxizitäten sowie Wechselwirkungen sein (siehe Kapitel ART bei HIV-Infektion und Tuberkulose unter vorbestehender ART). Allerdings zeigte eine Metaanalyse keine Unterschiede zwischen frühem und späterem Therapiebeginn bezüglich schwerer unerwünschter Arzneimittelwirkungen (UAWs) und Todesfällen durch Medikamententoxizität [193].
Dennoch besteht bei frühem ART-Beginn ein erhöhtes Risiko für das paradoxe Tuberkulose-Immunrekonstitutionssyndrom (TB-IRIS, engl.: IRIS = immune reconstitution inflammatory syndrome; siehe Kapitel Immunrekonstitutionssyndrom bei HIV-Infektion und Tuberkulose), welches in ca. 2 % der Fälle tödlich verlaufen kann [190] [197]. Bei frühem ART-Beginn muss daher der Vorteil einer Reduktion der Gesamtmortalität dem Risiko der IRIS-assoziierten Mortalität gegenübergestellt werden [198]. Bei schwerer Immunsuppression (< 50 CD4-T-Zellen/µl) überwiegt der Nutzen eines frühen ART-Beginns, während sich bei PLWH mit > 220 CD4-T-Zellen/µl in einer prospektiven Studie kein Mortalitätsunterschied zwischen frühem (2 Wochen) und späterem (6 Monate) ART-Beginn nach Beginn der TB-Therapie zeigte [199]. Analysen aus mehreren anderen Studien zeigten jedoch Vorteile für den früheren Beginn der ART [169] [190] [193] [200].
Die European AIDS Clinical Society (EACS) empfiehlt in ihren Guidelines vom Oktober 2021 einen Beginn der ART innerhalb von 2 Wochen nach Beginn der Tuberkulosetherapie, unabhängig vom CD4-Helferzellstatus [185]. Die Leitliniengruppe spricht sich ebenfalls für einen frühen ART-Beginn aus. Analog zu anderen internationalen Empfehlungen und basierend auf der aktuellen Datenlage räumt sie allerdings für PLWH mit > 50/µl CD4-Helferzellen ein größeres Zeitfenster von bis zu 8 Wochen ein [9] [169]. Ein größeres Zeitfenster von bis zu 8 Wochen erleichtert auch die Identifikation und Bewertung von UAWs der TB-Therapie und ihrer Abgrenzung von UAWs der ART. Die ART soll jedoch grundsätzlich so zeitnah wie möglich nach Beginn der TB-Therapie begonnen werden. Eine Ausnahme stellt hierbei die ZNS-TB dar, insbesondere bei tuberkulöser Meningitis. Häufig steht die dem TB-IRIS zugeschriebene Mortalität im Zusammenhang mit einer tuberkulösen Beteiligung des ZNS, insbesondere der Meningen [197]. Bei PLWH mit TB-Meningitis in Vietnam zeigte sich in einer randomisierten Studie keine Reduktion der Mortalität durch einen frühen Beginn der ART. Gleichzeitig traten jedoch vermehrt schwere UAWs auf [201]. Die Übertragbarkeit dieser Daten auf die Behandlung und Rahmenbedingungen im deutschsprachigen Raum kann diskutiert werden. Dennoch empfiehlt die Leitliniengruppe in Übereinstimmung mit den britischen und US-amerikanischen Empfehlungen, dass bei ZNS-TB, insbesondere bei TB-Meningitis, unabhängig von der CD4-T-Helferzellzahl, kein ART-Beginn innerhalb der ersten 8 Wochen nach Beginn der TB-Therapie erfolgen sollte [9] [169].
Die Leitlinien der EACS empfehlen dagegen, bei TB-Meningitis die ART 4 Wochen nach Beginn der TB-Therapie zu beginnen, bei CD4-Zellen von < 50 (100)/µl kann der EACS nach sogar innerhalb von 2 Wochen begonnen werden. Nach Ansicht der Leitliniengruppe sollte die ART bei TB-Meningitis aber nur in begründeten Ausnahmefällen innerhalb der ersten 8 Wochen TB-Therapie erfolgen. Unabhängig vom Zeitpunkt des ART-Beginns ist eine engmaschige Überwachung der TB-Meningitis-Therapie und die Einbeziehung von neurologischen und infektiologischen Spezialistinnen und Spezialisten (siehe Empfehlungen E84, Medikamentenmanagement und interdisziplinäre Therapieplanung bei HIV-Infektion und Tuberkulose) eine notwendige Voraussetzung.
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5.2.4 Auswahl der ART bei HIV-Erstdiagnose und Tuberkulose
Empfehlung 90 |
Neu, Stand 2022 |
PLWH mit Tuberkulose und Rifampicin-haltiger TB-Therapie sollen zur ART bevorzugt Efavirenz (EFV) oder gleichwertig in doppelter Standard-Dosierung Dolutegravir (DTG) oder Raltegravir (RAL) erhalten. Als Kombinationspartner soll Emtricitabin/Tenofovir-Disoproxil (FTC/TDF) oder Lamivudin/Tenofovir-Disoproxil (3TC/TDF) oder alternativ Abacavir/Lamivudin (ABC/3TC)[1] verwendet werden. |
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Konsensstärke: starker Konsens (13/13)[2] |
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Empfehlungsstärke: + + |
1 wenn HLA B57:01 negativ und HBsAg negativ
2 Starker Konsens mit 6 Enthaltungen aufgrund fehlender Erfahrung in der Behandlung von HIV (siehe Leitlinienreport zur Leitlinie).
Die meisten Studiendaten bei Tuberkulose liegen für Efavirenz plus zwei Nukleosid-Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NRTIs) bei PLWH unter Rifampicin-haltiger TB-Therapie vor [194] [196] [199] [202]. In Kohortenstudien zeigten Efavirenz-basierte ART-Regime bei gleichzeitiger Rifampicin-haltiger TB-Therapie eine gute Wirksamkeit und Verträglichkeit [203]. Da bei Komedikation mit Rifampicin nur eine mäßige Senkung der Plasma-Konzentrationen von Efavirenz zu erwarten ist, wird Efavirenz auch in dieser Situation in der Standarddosis (600 mg 1 × täglich) empfohlen. In der Fachinformation findet sich ein Hinweis, dass wenn Efavirenz zusammen mit Rifampicin bei Patientinnen und Patienten mit einem Gewicht von 50 kg oder mehr angewendet wird, eine Dosiserhöhung von Efavirenz auf 800 mg/Tag in Betracht gezogen werden kann. Für einen Vorteil dieser Dosisanpassung findet sich jedoch keine ausreichende Evidenz. Aufgrund der dafür umfassendsten Studiendatenlage empfehlen die aktuellen US-amerikanischen, europäischen und britischen Leitlinien Efavirenz (Standarddosis von 600 mg 1 × täglich) in Kombination mit Tenofovir-Disoproxil/Emtricitabin oder Tenofovir-Disoproxil/Lamivudine (cave: nicht bei Niereninsuffizienz) oder alternativ Abacavir/Lamivudin (nur wenn HLA B57:01 negativ und Hepatitis B [HBsAg] negativ) als bevorzugtes Regime [9] [166] [188]. Zu beachten sind v. a. die neuropsychiatrischen UAW von Efavirenz bis hin zur Suizidalität. Diese sind von psychischen Symptomen, die auch im Zusammenhang mit einer Tuberkulose und unter TB-Medikamenten wie INH auftreten können, nicht immer zu differenzieren.
Bei Zusammenstellung der ART müssen die individuellen Voraussetzungen beachtet werden. Dazu gehören HI-Viruslast, Begleitmedikation, Begleiterkrankungen (z. B.: Hepatitis B-Virus-Infektion) und Risikofaktoren für bestimmte UAW (z. B. für das Hypersensitivitätssyndrom unter Abacavir bei Trägern des HLA-B*57:01-Gens) ebenso wie die persönlichen Umstände der Patientin oder des Patienten. Da die Plasmaspiegel von Tenofovir bei der Anwendung von Tenofoviralafenamid (TAF) in Kombination mit Rifampicin reduziert sein können, wird diese Kombination derzeit in Unkenntnis der klinischen Auswirkungen nicht empfohlen [166]. Weitere Details zur Auswahl eines Regimes finden sich in den Empfehlungen der EACS und der BHIVA [166] [185].
Aufgrund der guten antiviralen Wirksamkeit, des geringen Risikos von Medikamenteninteraktionen und der guten Verträglichkeit werden Integrase-Inhibitoren (INIs) für PLWH ohne TB als Bestandteil der bevorzugten initialen ART national und international empfohlen und gegenüber Efavirenz bevorzugt [204] [205]. Auch bei an Tuberkulose erkrankten PLWH zeigten die INIs Dolutegravir (DTG) und Raltegravir (RAL) in Studien eine gute Verträglichkeit, Sicherheit und Wirksamkeit. In randomisierten, kontrollierten Studien wurde RAL (400 mg 2 × täglich oder 800 mg 2 × täglich) und DTG (50 mg 2 × täglich) mit Efavirenz verglichen [206] [207] [208]. Die Studienergebnisse zeigten einen Nutzen der beiden INIs bei HIV-TB-Koinfizierten mit Rifampicin-haltiger TB-Therapie, allerdings waren die Studien nicht vergleichend und z. T. nicht groß genug angelegt, um die Überlegenheit eines der Regime zeigen zu können. In die internationalen Empfehlungen wurden basierend auf den bisher erhobenen Daten RAL und DTG jeweils in Kombination mit Tenofovir-Disoproxil/Emtricitabin oder Tenofovir-Disoproxil/Lamivudine als Alternative zu einem ART-Regime mit Efavirenz für die Therapie HIV-TB-Koinfizierter aufgenommen [9] [166] [188].
Diskutiert wird die optimale Dosierung von DTG und RAL bei gleichzeitiger RMP-Gabe. Aufgrund der Senkung der DTG- und RAL-Spiegel bei Komedikation mit Rifampicin ist eine Erhöhung der Dosierungen der beiden INIs erforderlich, um adäquate Medikamentenspiegel zu erreichen. In der randomisierten Phase-II-Studie Reflate TB bei HIV-TB-Koinfizierten, die Rifampicin erhielten, wurden RAL 400 mg 2 × tgl., RAL 800 mg 2 × tgl. und EFV 600 mg 1 × tgl. verglichen. Nach 24 Wochen zeigten die Daten für RAL eine mit EFV vergleichbare virologische Wirksamkeit. Signifikante Unterschiede zwischen der RAL-Standarddosis (2 × 400 mg) wurden im Vergleich zur doppelten Dosis nicht beobachtet [206]. In der nachfolgenden Phase-3-Studie Reflate TB2 (Vergleich RAL 2 × 400 mg mit EFV) konnten die Daten nach 48 Wochen keine Nichtunterlegenheit für RAL (Standarddosis) im Vergleich zu EFV demonstrieren [209], sodass die Frage der optimalen RAL-Dosis bei HIV-TB-Koinfizierten ungeklärt bleibt. In den britischen und europäischen Leitlinien wird die doppelte RAL-Standarddosis empfohlen [166] [188]. Die Leitliniengruppe schließt sich dem an und empfiehlt, RAL in Kombination mit einer RMP-haltigen TB-Therapie in der Dosierung von 2 × 800 mg zu verwenden, um das Risiko einer RAL-Unterdosierung zu vermeiden. Hierbei ist eine potenzielle Steigerung der Lebertoxizität zu beachten.
In den europäischen Leitlinien wird DTG (Dosierung: 2 × täglich 50 mg) bei HIV-TB-Koinfizierten als Alternative zu EFV empfohlen [188]. Pharmakologische Daten zeigen verminderte DTG-Spiegel bei gleichzeitiger Gabe von RMP [210]. Klinische Daten zur 2 × täglichen Gabe von DTG vs. EFV bietet die randomisierte, nicht vergleichende INSPIRING-Studie [207]. Hier war DTG (2 × 50 mg täglich) bei HIV-TB-Koinfizierten mit RMP-haltiger TB-Therapie sicher und wirksam. Bei 89 % der mit EFV und 81 % der mit DTG behandelten Studienpatienten zeigte sich nach 24 Wochen Therapie eine Suppression der HIV-RNA < 50 Kopien/ml bei guter Wirksamkeit der TB-Therapie. Resistenzentwicklung oder TB-assoziiertes IRIS zeigten sich unter beiden Therapien gleich selten. Unter DTG traten weniger Therapieabbrüche wegen Toxizitäten auf. Daten einer Beobachtungsstudie aus Botswana zeigten vergleichbare Ansprechraten (virale Suppression) bei Koinfizierten, die DTG zusammen mit einer RMP-haltigen TB-Therapie in der Standarddosis (50 mg 1 × täglich) oder 50 mg 2 × täglich eingenommen hatten [208]. Abweichend von der EACS empfiehlt die Leitliniengruppe DTG oder RAL in Kombination mit einer RMP-haltigen TB-Therapie als gleichwertige Alternative zu Efavirenz.
Die DTG-Dosierung sollte bis 2 Wochen über die TB-Therapie hinaus auf 2 × 50 mg verdoppelt werden, um das Risiko einer Unterdosierung zu vermindern [204]. Wenn möglich sollten die DTG-Wirkspiegel unter Therapie bestimmt werden. V. a. da eine Resistenzentwicklung unter DTG seltener beobachtet wurde, wird es bei PLWH ohne TB gegenüber RAL bevorzugt empfohlen [204] [205]. Die Leitliniengruppe schließt sich dieser Einschätzung für PLWH und Tuberkulose an. Auch wenn es mehr Erfahrungen zur Gabe von EFV mit RMP gibt, kann die Verträglichkeit und insbesondere das Risiko von psychischen UAWs für den Einsatz von DTG oder RAL sprechen.
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5.2.5 ART bei HIV-Infektion und Tuberkulose unter vorbestehender ART
PLWH, bei denen im Verlauf ihrer bekannten HIV-Infektion eine Tuberkulose diagnostiziert wird, sind i. d. R. bereits mit einer ART behandelt. Eine wirksame und verträgliche ART soll vorzugsweise beibehalten werden. Dafür ist eine sorgfältige Prüfung aller Arzneimittelinteraktionen vor Beginn der TB-Therapie, ggf. mit Dosierungsanpassung, eine notwendige Voraussetzung. Sollten relevante Wechselwirkungen vorhersehbar sein, müssen ART und/oder TB-Therapie angepasst werden. Auch in dieser Situation wird die Einbeziehung von HIV-Spezialistinnen und -Spezialisten zur Festlegung des Regimes empfohlen (siehe Kapitel Medikamentenmanagement und interdisziplinäre Therapieplanung bei HIV-Infektion und Tuberkulose).
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5.2.6 Immunrekonstitutionssyndrom bei HIV-Infektion und Tuberkulose (TB-IRIS/tuberculosis-immune reconstitution inflammatory syndrome)
5.2.6.1 Paradoxes TB-IRIS
Unter einer TB-Therapie kann es bei gleichzeitiger ART zu einer überschießenden Immunreaktion kommen mit einer Verschlechterung der klinischen Symptomatik (Fieber, Dyspnoe, Lymphadenopathie), einem Anstieg der Inflammationsparameter und/oder einer Verschlechterung radiologischer Befunde (neue Infiltrate, Pleura- und Perikardergüsse). Ist dies in zeitlichem Zusammenhang mit dem Beginn der ART der Fall, wird dies als paradoxes Immunrekonstitutions-Inflammatorisches Syndrom (IRIS, engl.: immune reconstitution inflammatory syndrome) bezeichnet [211].
Bekannte Risikofaktoren sind:
-
niedrige CD4-T-Zell-Zahlen und eine hohe HI-Viruslast bei Beginn der ART,
-
ein schneller Anstieg der CD4-T-Zellen nach Beginn der ART,
-
ein kurzes Zeitintervall zwischen Beginn der ART und Beginn der TB-Therapie,
-
extrapulmonale disseminierte Tuberkulose (insbesondere bei Befall des ZNS/der Meningen).
Zur Therapie eines paradoxen TB-IRIS hat sich Prednisolon (1,5 mg/kg KG über 2 Wochen gefolgt von 0,75 mg/kg KG für weitere 2 Wochen) in einer randomisierten, Placebo-kontrollierten Studie als wirksam erwiesen [212]. Durch die Behandlung wurde eine schnellere Besserung der Symptome und der Lebensqualität erreicht. Der klinische Effekt der Prednisolontherapie scheint durch die Suppression vorwiegend proinflammatorischer Zytokine vermittelt zu sein [213]. Aufgrund der Studiendaten empfehlen die CDC und die BHIVA bei einem klinisch relevanten TB-IRIS, das zu schwerwiegenden lokalen oder systemischen Symptomen führt, die Gabe von Prednisolon in einer initialen Dosierung von 1,25 mg/kg KG (50–80 mg/Tag) für 2–4 Wochen, die Dosis soll danach über 6–12 Wochen oder länger schrittweise reduziert und dann abgesetzt werden [9] [166]. Die Leitliniengruppe schließt sich dieser Empfehlung an.
Zur Prävention eines paradoxen TB-IRIS konnte eine prophylaktische Glukokortikoidgabe über 4 Wochen (Prednisolon 40 mg 1 × täglich für 14 Tage, anschließend 20 mg 1 × täglich für weitere 14 Tage), die zeitgleich mit der ART-Initiierung begonnen wird, in einer randomisierten, Placebo-kontrollierten Studie ein TB-IRIS bei PLWH mit TB und hohem Risiko für ein paradoxes TB-IRIS (CD4-T-Zellen < 100/μl, kurzes Zeitintervall von weniger als 30 Tagen zwischen Beginn der ART und Beginn der TB-Therapie) verhindern [214].
5.2.6.2 Demaskierendes TB-IRIS
Vom paradoxen IRIS ist das demaskierende IRIS zu unterscheiden, bei dem eine überschießende Immunreaktion nach Beginn der ART zur Demaskierung einer bis dahin klinisch unauffälligen (opportunistischen) Infektion führt. Auch eine Tuberkulose kann bei Beginn einer ART durch ein IRIS demaskiert werden und sollte sobald wie möglich behandelt werden.
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6 Therapeutisches Medikamentenmanagement
6.1 Therapieplanung und Überwachung
Die in der Tuberkulosetherapie verwendeten Medikamente können zu medikamentösen Wechselwirkungen untereinander und mit anderen Medikamenten führen. Vor der Einleitung einer medikamentösen Therapie sollen möglicherweise auftretende Wechselwirkungen analysiert werden, z. B. mithilfe internationaler Online-Datenbanken wie Drugs.com oder zur TB-Behandlung bei HIV-Infektion der Liverpool University (HIV Drug Interactions) oder des Toronto General Hospitals (hivclinic.ca) (siehe auch Kapitel Medikamentenmanagement und interdisziplinäre Therapieplanung bei HIV-Infektion und Tuberkulose). Die Therapieplanung soll den Ergebnissen der Analyse angepasst werden.
Die UAWs der einzelnen Medikamente sind in den entsprechenden Fachinformationen zu finden. Im Medikamentenglossar dieser Leitlinie ist eine Auswahl relevanter UAWs aufgeführt (siehe Kapitel Medikamente zur Behandlung der Tuberkulose). TB-Patientinnen und Patienten sollen individuell über die möglichen UAWs aufgeklärt werden (siehe Kapitel Aufklärung vor Therapieeinleitung und Dokumentation). Die aktive Überwachung unerwünschter Arzneimittelwirkungen ggf. aDSM-WHO [215] (siehe Kapitel Management unerwünschter Arzneimittelwirkungen (UAWs), Verlaufskontrollen unter MDR-Therapie und Therapeutisches Drug-Monitoring (TDM) sind wichtige Instrumente des Medikamentenmanagements.
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6.2 Therapeutisches Drug-Monitoring (TDM)
6.2.1 Indikationen für ein TDM
Die vorhandene Evidenz zur Überwachung der therapeutischen Medikamentenspiegel ist nicht ausreichend für eine starke Empfehlung. Aufgrund des vorhandenen Potenzials zur Verbesserung des Therapieerfolges, der Vermeidung von Medikamentenresistenzen und von UAWs empfiehlt die Leitliniengruppe in bestimmten Situationen dennoch im Sinne einer individualisierten und patientenzentrierten Tuberkulosetherapie die Messung der Konzentration von Tuberkulosemedikamenten im Blut [216]. Die Möglichkeit zur standardisierten Bestimmung der pharmakologischen Spiegel für Tuberkulosemedikamente ist bislang in Deutschland, Österreich und der Schweiz nur in wenigen Laboren vorhanden. Die Etablierung notwendiger Strukturen, die zu einer besseren Verfügbarkeit entsprechender Labormethoden führen, soll durch diese Empfehlung gefördert werden.
Die Blutspiegel der Tuberkulosemedikamente variieren inter- und intraindividuell erheblich und können Einfluss auf den Therapieerfolg und die Entwicklung von Medikamentenresistenzen haben [217] [218] [219] [220] [221].
Einflussfaktoren sind u. a.:
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der Zeitpunkt der Nahrungsaufnahme im Verhältnis zur Einnahme der Medikamente (Bioverfügbarkeit der Medikamente der Standardtherapie, siehe [Tab. 4] und [Tab. 10]),
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die Einnahme weiterer Medikamente
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und individuelle Besonderheiten, die Auswirkungen auf die Pharmakokinetik haben.
Auch spezifische Eigenschaften der Medikamente selbst oder der abbauenden Enzyme können Einfluss auf diese Variabilität haben. So kann der Serumspiegel von Rifampicin durch Autoinduktion im Verlauf der Therapie um bis zu 40 % sinken [222]. Die Geschwindigkeit der Acetylierung und damit des Abbaus von Isoniazid ist von einem genetischen Polymorphismus der N-acetyltransferase 2 (NAT2) abhängig. Somit beeinflusst der NAT2-Polymorphismus die Isoniazid-Serumkonzentration und kann Auswirkungen sowohl auf die Wirksamkeit als auch die Toxizität haben [223] [224].
Da die zu erwartenden pharmakologischen Spiegel klinisch oft schwer vorherzusagen sind, kann die Bestimmung der Medikamentenkonzentrationen im Blut helfen, Unter- und Überdosierungen zu erkennen und die Medikation anzupassen.
Orientiert an den internationalen Empfehlungen [9] [38] [56], empfiehlt die Leitliniengruppe eine Bestimmung der Medikamentenspiegel v. a. in folgenden Situationen:
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bei Verdacht auf Therapieversagen 2–3 Monate nach Therapiebeginn, wenn keine (zusätzlichen) Medikamentenresistenzen nachgewiesen wurden,
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bei Risiken für Aufnahme- und Eliminationsstörungen (z. B. Niereninsuffizienz, Hämodialyse, Peritonealdialyse, kritisch kranke Patienten, Diabetes mellitus oder bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen),
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bei Risiken für schwerwiegende Toxizitäten (z. B. Hepatotoxizität) [225],
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bei Risiken für therapierelevante medikamentöse Interaktionen, z. B.:
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bei fraglicher Adhärenz.
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6.2.2 Methodik zur Überprüfung der Medikamentenkonzentrationen
Die beste Vorhersage der Wirksamkeit eines Medikamentes ist Substanz-spezifisch und scheint für die meisten Tuberkulosemedikamente über die Parameter AUC0–24/MHK und Cmax/MHK möglich [219] [226]. Für die Wirksamkeit der Medikamente der Standardtherapie und von Moxifloxacin ist durch die Bestimmung der AUC0–24/MHK die beste Vorhersage möglich. Die Bestimmung der AUC0–24 ist allerdings aufwändig, da mehrzeitige Messungen der Konzentration eines Medikamentes notwendig sind. Die optimalen Messzeitpunkte unterscheiden sich von Medikament zu Medikament. Sogenannte „limited sampling“-Strategien können mit weniger Messungen eine Annäherung an die tatsächliche AUC liefern [227] [228] [229] [230] [231].
Die Bestimmung der Cmax liefert weniger zuverlässige Informationen zur Vorhersage der Wirksamkeit. Sie zeigt orientierend, ob die Medikamentenexposition im Normalbereich liegt. Die Zeitpunkte zur Bestimmung der Cmax sind ebenfalls medikamentenspezifisch. Da eine Verzögerung der Cmax bspw. durch Aufnahmestörungen möglich ist, sind auch zur Bestimmung der Cmax i. d. R. Mehrfachanalysen notwendig, bspw. 2 und 6 Stunden nach der Einnahme für Medikamente der Standardtherapie [9]. Simultane Bestimmungen mehrerer Medikamente können sinnvoll sein.
Die genauen Modalitäten sollen vor Bestimmung der Medikamentenkonzentrationen mit einem sachkundigen Experten des zuständigen Labors vor Ort abgestimmt werden. Die Labore sollten ihre Methodik internen und, wenn möglich, auch externen Qualitätskontrollen unterziehen [232].
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6.2.3 Zeitpunkt zur Überprüfung der Medikamentenkonzentrationen
Bei TB-Patientinnen und Patienten kann eine Bestimmung der Medikamentenkonzentration im Blut
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2 Wochen nach Therapiebeginn, wenn ein erhöhtes Risiko für Aufnahme- und Eliminationsstörungen, für schwerwiegende Toxizitäten oder therapierelevante medikamentöse Interaktionen besteht,
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2–3 Monate nach Therapiebeginn bei Verdacht auf Therapieversagen, wenn keine (zusätzlichen) Medikamentenresistenzen nachgewiesen wurden,
-
und jederzeit bei schwerwiegenden UAWs oder fraglicher Adhärenz
angezeigt sein [224].
Um den Bedarf für eine Dosisanpassung zu beurteilen, sollten, wenn möglich, auch die MHK und ggf. molekulare Resistenzmutationen des zu behandelnden Bakterienstammes beachtet werden. 1–2 Wochen nach jeder Dosisanpassung sollte der Effekt durch eine erneute Bestimmung der Medikamentenkonzentration überprüft werden. Wenn durch Dosisanpassungen keine ausreichende Medikamentenkonzentration erreicht werden kann, sollte eine Umstellung von oraler auf intravenöse Medikamentengabe versucht werden [225].
Glossar |
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AUC |
steht für „area under the concentration-time curve“ und bezeichnet die Fläche unter der Konzentrations-Zeit-Kurve des Medikamentes im Blut. Sie ist die Größe, durch welche die Bioverfügbarkeit eines Medikaments ausgedrückt wird. |
AUC0–24/MHK |
bezeichnet den Zeitraum während 24 Stunden, in dem sich die Konzentrations-Zeit-Kurve des Medikaments im Blut über der Minimalen Hemmkonzentration (MHK) befindet. |
Cmax |
unter Cmax versteht man die maximale Plasmakonzentration, die ein Medikament erreicht. |
Cmax/MHK |
bezeichnet die Spanne zwischen der maximalen Plasmakonzentration und der Minimalen Hemmkonzentration. |
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7 Versorgungsaspekte der Tuberkulose und supportive Therapie
7.1 Versorgungsaspekte der Tuberkulose
7.1.1 Ambulante und stationäre Behandlungsmöglichkeiten; Isolierung (Isolation)
Eine vollständig ambulante Abklärung und Behandlung ist bei Tuberkuloseerkrankten ohne medizinische und psychosoziale Risikofaktoren möglich, sofern die häuslichen Rahmenbedingungen dies zulassen. Die überwiegende Mehrheit der Tuberkulose wird in Deutschland jedoch im Krankenhaus diagnostiziert und/oder (an-)behandelt (89,3 % im Jahr 2019 [147]). In der Schweiz waren es in den Jahren 2002–2015 durchschnittlich 81 % mit einer mittleren Aufenthaltsdauer von 14 Tagen [233]. Die Notwendigkeit einer vollstationären Krankenhausbehandlung im Sinne des § 39 SGB V wird auf der Basis einer Vielzahl von Kriterien festgestellt, von denen im Einzelfall v. a. die Schwere der Grunderkrankung, etwaige Begleiterkrankungen und unerwünschte Arzneimittelwirkungen für die Dauer der stationären Behandlung maßgebend sind.
Eine stationäre Aufnahme ins Krankenhaus wird von der Leitliniengruppe empfohlen bei:
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Hämoptysen bei Lungentuberkulose bzw. bei Verdacht auf Lungentuberkulose.
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Verdacht auf Lungentuberkulose mit Poly- oder Multiresistenz oder Herkunft aus Ländern mit vermehrt MDR-Tuberkulose zur Etablierung einer kalkulierten, resistenz- bzw. leitliniengerechten Kombinationstherapie.
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Verdacht auf Lungentuberkulose mit respiratorischer Insuffizienz und/oder deutlich reduziertem Allgemeinzustand, der eine ambulante Abklärung für die Patientensicherheit nachteilig erscheinen lässt.
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Schwerer extrapulmonaler Tuberkulose (z. B. Knochentuberkulose mit Wirbelkörper-Frakturen oder ZNS-Tuberkulose).
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Tuberkulose bzw. Verdacht auf Tuberkulose bei bekannten schwerwiegenden Begleiterkrankungen mit besonderem Einfluss auf den klinischen Krankheitsverlauf (z. B. immunsupprimierten Menschen nach Organtransplantation bzw. immundefiziente Menschen mit HIV und niedriger CD4-Zellzahl, Leukämien oder Lymphomen oder Niereninsuffizienz).
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Manifester Tuberkulose bzw. Verdacht auf Tuberkulose bei psychiatrischen Begleitkrankheiten (z. B. Demenz oder Psychosen), Alkohol- und Drogenabhängigkeit.
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Überprüfung bzw. Neueinstellung einer begonnenen antituberkulösen Therapie bei ambulant aufgetretenen oder bei entsprechenden Vorschädigungen drohenden schweren unerwünschten Arzneimittelwirkungen (z. B. medikamentös induzierte Hepatitis oder Niereninsuffizienz).
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Ungenügender Infrastruktur für eine ambulante Diagnosesicherung und -behandlung (z. B. zu geringe Facharztdichte).
Vor Krankenhausentlassung sollte eine wirksame antituberkulöse Therapie unter Berücksichtigung bestehender Komorbiditäten und eventuell bekannter Resistenzen vollständig etabliert worden sein, um eine adäquate Behandlung ambulant fortführen zu können. Einen festgelegten Zeitraum für die Dauer einer stationären Versorgung gibt es nicht. Über die Entlassung entscheiden v. a. klinische Kriterien, wie z. B. Entzündungswerte, Besserung der Hustensymptomatik bzw. des Sputumbefundes, der Röntgenverlauf, der Allgemeinzustand sowie die Verträglichkeit der Therapie und die Sicherstellung und Qualität der ambulanten Betreuung nach Entlassung [234]. Um zu vermeiden, dass im Nachhinein Behandlungstage nach Überprüfung durch die Krankenkasse gestrichen und nicht erstattet werden, empfiehlt es sich dringend, den klinischen Zustand der Patientin oder des Patienten im Rahmen des stationären Aufenthaltes regelmäßig und sorgfältig zu dokumentieren (in der Kliniksoftware oder separat, z. B. auf den vom DZK bereitgestellten Verlaufsbögen).
Eine besondere Konstellation kann entstehen, wenn sich der Zustand der Patientin oder des Patienten soweit stabilisiert hat, dass keine der oben genannten Kriterien für eine stationäre Behandlung im Sinne des § 39 SGB V mehr bestehen, jedoch weiterhin von einer Ansteckungsfähigkeit ausgegangen werden muss (i. d. R. belegt durch den wiederholten mikroskopischen und/oder kulturellen Bakteriennachweis im Sputum). Wenn in einem solchen Fall keine ambulante Behandlung unter häuslicher Isolierung möglich ist, wie z. B. in Gemeinschaftsunterkünften für Obdachlose oder Asylbewerberinnen und -bewerber, oder wenn sich Personen aus vulnerablen Gruppen im Haushalt des Erkrankten befinden, kann eine sogenannte Absonderung nach § 30 Abs. 1 IfSG im Krankenhaus erforderlich sein, bis die Patientin oder der Patient nicht mehr ansteckend ist. Für die Anordnung und die Kosten einer solchen Isolierung aus Gründen des Infektionsschutzes ist die nach Landesrecht bestimmte Behörde zuständig (i. d. R. das Ordnungsamt auf Basis der fachlichen Empfehlung des Gesundheitsamtes). Nach der einschlägigen Rechtsprechung sind in solchen Fällen die gesamten Kosten des Aufenthaltes durch die zuständige Behörde zu übernehmen. Es empfiehlt sich, rechtzeitig im Vorfeld entsprechende Vereinbarungen zwischen Klinik und zuständiger Behörde zu treffen. Letztere entscheidet dann auch über die Dauer der Absonderung. Sofern die Klinik über eine Zulassung zur ambulanten spezialfachärztlichen Behandlung nach § 116b Abs. 3 SGB V (ASV) verfügt, können die Kosten für Diagnostik und Medikamente prinzipiell auch über diese Ambulanz abgerechnet werden.
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7.1.2 Behandlungskosten der Tuberkulose
Die rasche Diagnose einer Tuberkulose mit Bestimmung des jeweiligen stammbezogenen Resistenzprofils ist nicht nur für die frühe Behandlung und die damit verbundene Vermeidung einer Übertragung von Bedeutung. Sie ist auch essentiell für die effiziente Nutzung begrenzter wirtschaftlicher Ressourcen [235]. In Deutschland gilt seit dem 1. Januar 2004 für die Vergütung von Krankenhausleistungen das G-DRG-System, in welchem jeder Tuberkulosefall in Abhängigkeit von der Schwere eventueller Begleiterkrankungen dem Relativgewicht einer von zwei Kategorien (E76B oder E 76C) zugeordnet wird. Aus der Multiplikation dieses Relativgewichts mit einem festen länderspezifischen „Basisfallwert“ resultiert – unabhängig von den tatsächlich entstandenen Kosten – der Erlös für das behandelnde Krankenhaus. Sofern eine Krankenhausbehandlung über 13 Tage hinaus erforderlich ist (Kategorie E76A), zahlen die Träger der gesetzlichen Krankenkassen lokal vereinbarte Tagessätze, die jedoch i. d. R. unter dem Durchschnitt der täglichen Erstattung für die ersten 13 Tage liegen. Daraus resultiert, dass die Dauer eines Krankenhausaufenthalts pro Tuberkulosepatientin oder Tuberkulosepatienten so kurz wie möglich gehalten wird [236] [237]. Insbesondere die Kostenerstattung für die Therapie der MDR-Tuberkulose, bei der allein die Medikamentenkosten für ein konventionelles MDR-Tuberkulose-Basisregime durchschnittlich 66.854 Euro und je nach Resistenzprofil noch weit mehr betragen, ist nicht kostendeckend [238]. Zusätzliche hohe Kosten für neu oder zukünftig entwickelte Medikamente sind hierbei noch nicht berücksichtigt. So sind z. B. für die 2014 zugelassenen Therapeutika Delamanid und Bedaquilin Tagestherapiekosten von 141 Euro [239] [240] bzw. 692 Euro [240] in Woche 1 und 2, anschließend 148 Euro pro Tag zu veranschlagen [241].
Problematisch ist zudem die unklare Kostenübernahme bei der Behandlung von EU-Bürgern, sofern diese in ihrem Heimatland nicht krankenversichert sind. Für solche Patientinnen und Patienten gibt es zunächst keinen Kostenträger, der zur Übernahme der Behandlungskosten verpflichtet ist. Im Rahmen der ambulanten Behandlung ist eine Kostenübernahme nach § 19 IfSG möglich; hierfür haben die Bundesländer in Verordnungen die jeweils zuständige Stelle festgelegt (i. d. R. das Gesundheitsamt oder ein überörtlicher Kostenträger). Für die stationäre Behandlung gibt es keine entsprechende Regelung und somit zunächst auch keine Zuständigkeit der örtlichen Sozialhilfeträger. Hier kommt allenfalls eine Kostenübernahme einer initial notfallmäßigen Behandlung bei akut lebensbedrohlichen Zuständen nach § 25 SGB XII durch das Sozialamt infrage.
Für die stationäre Aufnahme nicht krankenversicherter Immigrantinnen und Immigranten, die mit Tuberkulose-suspekten Röntgenbefunden aus der Untersuchung nach § 36 Absatz 4 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) bzw. nach § 62 des Asylgesetzes (AsylG) zugewiesen werden, besteht dem Grunde nach ein Behandlungsanspruch gemäß § 4 und § 6 des Asylbewerberleistungsgesetzes. Es empfiehlt sich, für jede durch den Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) veranlasste Diagnostik und/oder Therapie von Verdachtsfällen bzw. an Tuberkulose Erkrankten im Krankenhaus eine Kostenübernahme mit dem zuständigen Kostenträger zu vereinbaren. Dies betrifft auch die alleinige Unterbringung als notwendige Infektionsschutzmaßnahme im Sinne des IfSG.
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7.1.3 Therapieadhärenz und direkt überwachte Behandlung (DOT)
Nach Entlassung aus der vollstationären Therapie oder bei primär ambulanter Tuberkulosebehandlung kommt dem zuständigen Gesundheitsamt eine wichtige Lenkungs- und Koordinierungsfunktion in der weiteren Therapiebegleitung zu. Das Gesundheitsamt muss daher rechtzeitig vor Entlassung über die Kontaktdaten der ausgewählten ambulant betreuenden Ärztinnen und Ärzte, eventueller Betreuerinnen und Betreuer oder der ambulanten Pflegedienste in Kenntnis gesetzt werden, um auf eventuelle Therapieunterbrechungen oder -abbrüche frühzeitig reagieren zu können. Dies betrifft insbesondere die Einschätzung der Notwendigkeit einer direkt überwachten Behandlung (DOT = directly observed treatment) bei Anhaltspunkten für eine mangelnde Therapieadhärenz. Da eine direkt überwachte Behandlung nicht auf gesetzlicher Grundlage angeordnet werden kann, ist es die Aufgabe des Gesundheitsamtes und aller weiteren Behandlungspartnerinnen und -partner, Rahmenbedingungen zu schaffen, die es der Patientin oder dem Patienten ermöglichen, eine überwachte Behandlung bis zu deren geplanter Beendigung zu akzeptieren und durchzuführen.
Eine direkt überwachte Behandlung (DOT) sollte erwogen werden bei Patientinnen und Patienten mit:
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bekanntem Missbrauch von Alkohol und Drogen (auch in der Vorgeschichte),
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schweren psychiatrischen Erkrankungen,
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erheblichen Gedächtnisstörungen (z. B. Demenz),
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disziplinarischen Problemen während des Krankenhausaufenthaltes,
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Therapie bei poly-, multi- oder extensiv-resistenten Erregern [6],
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Rezidiven nach früherer Tuberkulose-Therapie oder Therapieversagen aufgrund unzureichender Medikamenteneinnahme [6],
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ungünstigen Wohn- oder Unterbringungsverhältnissen, fehlendem festem Wohnsitz, Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften, in Alten- und Pflegeheimen, in Justizvollzugsanstalten,
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Pflegebedürftigkeit,
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unzureichender ambulanter Betreuungsmöglichkeit und/oder fehlender Krankenversicherung,
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problematischer Verständigung [6].
Die direkt überwachte Medikamenteneinnahme kann außer im Gesundheitsamt durch weitere Institutionen durchgeführt werden:
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durch medizinisches oder anderes Fachpersonal in Einrichtungen der stationären Pflege und Betreuung (z. B. Altenpflege-, Behinderten- und Obdachlosenheimen oder Justizvollzugsanstalten),
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durch ambulante Pflegedienste im Rahmen der Verordnung häuslicher Krankenpflege gemäß § 37 Absatz 1 und 2 SGB V,
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im Rahmen einer Substitutionsbehandlung in Schwerpunktpraxen oder Methadon-Ausgabestellen,
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in Arztpraxen sowie im Rahmen einer ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung nach § 116b Absatz 3 SGB V/ASV im Krankenhaus,
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durch Video-assistierte Medikamentengabe (VOT = video observed therapy).
Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die gute Kooperation der verschiedenen Leistungserbringer und anderer Akteure, idealerweise mit gutem Management der Schnittstellen zwischen ambulanter und stationärer Versorgung sowie öffentlichem Gesundheitsdienst.
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7.1.4 Unterstützende Maßnahmen zur Sicherung des Behandlungserfolgs
Je nach den Umständen des Einzelfalls kann eine direkt überwachte Medikamenteneinnahme zwar angezeigt, aber nicht realisierbar sein. In diesem Fall sind andere Maßnahmen notwendig, die es der Patientin oder dem Patienten ermöglichen, die Behandlung erfolgreich abzuschließen. Zur Therapiesicherung ist in erster Linie der Aufbau einer vertrauensvollen professionellen Beziehung zwischen Fallbetreuerin oder Fallbetreuer und Patientin oder Patient essentiell. Neben dem selbstverständlichen Angebot von muttersprachlichem Informations- und Aufklärungsmaterial (z.B. Explain TB), ggf. auch einer dolmetschenden Person, können die folgenden Maßnahmen das Ziel der Behandlungssicherung unterstützen, gegebenenfalls auch in Kooperation mit karitativen Einrichtungen. Diese sind:
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Sozialdienstliche Betreuung, z. B. zur Klärung des Krankenversicherungsstatus bzw. der Kostenübernahme für die antituberkulöse Therapie (ggf. nach § 19 IfSG).
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Übernahme von Zuzahlungen für Medikamente durch das Gesundheitsamt.
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Klärung der Unterbringung von Patientinnen und Patienten ohne festen Wohnsitz.
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Unterstützung bei der Wohnungssuche.
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Bereitstellung adäquater krankheitsangemessener Unterbringung in Gemeinschaftseinrichtungen.
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Hilfe bei Antragsstellungen.
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Unterstützung bei behördlichen Angelegenheiten.
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Vermittlung von Spenden- oder Stiftungsgeldern für die Deckung von Grundbedürfnissen und wohnraumbezogene Anschaffungen, solange (noch) kein Anspruch auf Sozialleistungen besteht.
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Persönliche oder telefonische Kontaktaufnahme durch das Gesundheitsamt in regelmäßigen Abständen.
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Praktische Hilfestellungen durch das Gesundheitsamt (wie z. B. kostenlose Fahrkarten).
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Digitale Unterstützung zur Medikamenteneinnahme (z. B. Video-observierte Therapie/VOT).
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7.1.5 Maßnahmen nach dem Infektionsschutzgesetz: Zwangsweise Absonderung
Bei Patientinnen und Patienten mit infektiöser Lungentuberkulose, welche die Therapie verweigern oder unterbrechen, ist als letzte Maßnahme – nach richterlichem Beschluss – eine zwangsweise Absonderung in einer dafür vorgesehenen Einrichtung möglich (§ 30 Absatz 2 IfSG). Der entsprechende Antrag bei Gericht wird auf Vorschlag des Gesundheitsamtes durch die zuständige Ortspolizeibehörde (Ordnungsamt) gestellt. Im Einzelfall kann eine zwangsweise Absonderung auch dann infrage kommen, wenn eine Patientin oder ein Patient zu einem frühen Zeitpunkt im Behandlungsverlauf die Therapie abbricht und dadurch ein besonders hohes Rezidivrisiko besteht, auch wenn möglicherweise keine aktuellen mikroskopisch oder kulturell positiven bakteriologischen Untersuchungsbefunde vorliegen. Dies gilt insbesondere bei Patientinnen und Patienten mit (multi-)resistenten Tuberkulosen. Eine zwangsweise Therapie gegen den Willen der Patientin oder des Patienten ist jedoch – außer im Rahmen einer gesetzlichen Betreuung – nicht möglich.
Liegen die Voraussetzungen für zwangsweise Absonderung nicht vor, so kommen bei unkooperativen Patientinnen und Patienten im Einzelfall auch andere Maßnahmen nach dem Infektionsschutzgesetz infrage – insbesondere Ermittlungen (d. h. medizinische Untersuchungen), Beobachtung und Schutzmaßnahmen –, die auf Antrag des Gesundheitsamtes durch das zuständige Ordnungsamt unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit angeordnet werden können, erforderlichenfalls auch unter Androhung ordnungsrechtlicher Zwangsmittel (z. B. Zwangsgeld oder unmittelbarer Zwang).
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7.2 Sozialmedizinische und aufenthaltsrechtliche Aspekte
Tuberkulosepatientinnen und -patienten können Krankheitsfolgen aufweisen, die mit einer Schwerbehinderung einhergehen (§ 152 SGB IX). Eine dementsprechende versorgungsamtliche Feststellung ist sinnvoll, wenn die Betroffenen nicht nur vorübergehend (mindestens 6 Monate), d. h. dauerhaft beeinträchtigt sind und insbesondere nicht selbst für ihre Existenz sorgen können und deswegen eine besondere Schutzbedürftigkeit aufweisen. Dies hat auch sozialrechtliche und aufenthaltsrechtliche Auswirkungen. Bei Komorbiditäten erhöht sich die Wahrscheinlichkeit für einen Bescheid mit einem Grad der Behinderung von 50 % oder mehr (Schwerbehinderung), sodass alle Erkrankungen sorgfältig in den Antrag aufgenommen werden sollen.
Tuberkulosepatientinnen und -patienten mit ungesichertem Aufenthaltsstatus sollen durch aussagekräftige fachärztliche Stellungnahmen in ihren Verfahren unterstützt werden, weil nur eine hinreichende Sicherheit des Aufenthalts eine sachgerechte Durchführung einer antituberkulösen Therapie und damit die Einhaltung der Vorgaben des Infektionsschutzgesetzes ermöglicht. Solche Stellungnahmen können entscheidend sein für die Feststellung von Abschiebungsverboten gem. § 60 Abs. 7 AufenthG bzw. einen solchen Antrag auslösen. Das schließt auch Folgeanträge auf Asyl gem. § 71 AsylG nach zuvor negativem Ausgang eines Asylverfahrens ein (behandlungsbedürftige Tuberkulose als neuer Sachgrund gem. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG). Bei der Erstellung ist auf die formalen Erfordernisse genau zu achten:
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Die Bescheinigung soll nach dem Gesetzestext die tatsächlichen Umstände enthalten, auf deren Grundlage die fachliche Beurteilung erfolgt ist,
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die Methode der Tatsachenerhebung,
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die konkreten Diagnosen mit Angabe der ICD-Bezeichnung,
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den Schweregrad der Erkrankung
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sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, auch unter Berücksichtigung eines Abbruchs der aktuellen Medikation oder sonstigen Therapien,
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und die zur Behandlung erforderlichen Medikamente mit der Angabe ihrer Wirkstoffe mit internationaler Bezeichnung.
Weiterhin kann es angezeigt sein, individuell zur vollständigen Durchführung einer Tuberkulose-Therapie ein ärztliches Reiseverbot auszusprechen, das auf Basis einer Anordnung durch die zuständige Behörde (je nach Bundesland Ordnungs- oder Gesundheitsamt) der Vollziehung einer Abschiebungsanordnung bis zum Therapieende wirkungsvoll entgegensteht (vgl. Verwaltungsgericht Berlin Az. VG 34 L 132 /20 A). In bestimmten Fällen mit hoher Krankheitslast sowie bei Ansteckungsfähigkeit kann darüber hinaus ärztlich eine Reise- oder Transportunfähigkeit festgestellt werden.
Patientinnen und Patienten, die einen Antrag auf Asyl bzw. auf die hilfsweise Feststellung von Abschiebungsverboten gestellt haben, erhalten in den ersten 18 Monaten medizinische Leistungen nach dem AsylbLG und können damit alle notwendigen Therapieformen im Rahmen der Tuberkulosebehandlung erhalten. Nach 18 Monaten Aufenthalt im Bundesgebiet erhalten sie Analogleistungen nach dem SGB XII, die über die Leistungen nach AsylbLG hinausgehen. I. d. R. erfolgt die Abrechnung der medizinischen Leistungen in den meisten Kommunen über eine gesetzliche Krankenversicherung. Wird ein Antrag auf Gewährung von Sozialhilfe nach dem SGB XII gestellt, so ist darauf zu dringen, dass das zuständige Sozialamt die Patientin oder den Patienten insbesondere angesichts häufig vorhandener Komorbiditäten, wenn möglich, auch krankenversichert, da dies nicht automatisch erfolgt. Ein Ausweis über die Befreiung von Zuzahlungen ist bei jeglicher Inanspruchnahme von Sozialhilfe oder Leistungen nach dem AsylbLG möglichst gleich bei Beginn der Therapie zu beantragen, da bereits geringe Zuzahlungen die Therapieadhärenz gefährden können. Angeregt werden kann bereits bei Therapiebeginn die Anordnung einer Betreuung nach § 1896 BGB, wenn eine psychische Krankheit oder eine geistige, seelische oder körperliche Behinderung vorliegt, die dazu führt, dass die oder der Betroffene ihre oder seine Angelegenheiten nicht oder nicht mehr zu besorgen vermag.
Umfänglich und vorausschauend sind Unversicherte zu betreuen. Für die ambulante Diagnostik und Therapie von Tuberkuloseerkrankten nach § 19 IfSG sind die Kosten aus öffentlichen Mitteln zu bestreiten, wenn kein anderer Kostenträger zur Kostentragung verpflichtet ist (§ 69 IfSG). Für die stationäre Behandlung greift § 19 IfSG nicht; hier gelten für nicht krankenversicherte Personen, die auch nicht im Sozialhilfebezug stehen, im Zweifelsfall die Regelungen des § 25 SGB XII, nach denen dem Leistungserbringer (Krankenhaus) im Notfall bei stationärer Behandlungsbedürftigkeit die angefallenen Aufwendungen vom örtlichen Sozialamt erstattet werden, auch wenn dieses formal nicht zuständig ist. Für Patientinnen und Patienten (unversichert wie krankenversichert), die nur zum Zweck der Absonderung und ohne anderweitigen medizinischen Grund nach § 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG stationär behandelt werden sollen, sind die Absonderungskosten von der zuständigen Behörde (i. d. R. das Ordnungsamt) zu tragen. Um die Übernahme solcher Kosten sicherzustellen, empfiehlt sich die enge, vorausschauende Abstimmung mit dem zuständigen Gesundheitsamt. Allerdings ist es unter solchen Umständen sehr viel schwieriger, komplementäre und soziale Therapieangebote aufzustellen, da die Kostentragung hierfür oft nicht zu sichern ist. Hierbei sollte auf freie Träger, die die Unterstützung Unversicherter in jeglicher Form anbieten und die i. d. R.l in Großstädten präsent sind, zurückgegriffen werden.
Tuberkulosekranke Jugendliche bedürfen der besonderen Fürsorge, da Erkrankung und langzeitige Therapie an Heranwachsende vergleichsweise hohe Anforderungen für die Therapieadhärenz stellen. Insbesondere bei ungeordneten Lebensumständen, wie sie bei Einreise regelmäßig bei unbegleiteten, minderjährigen Geflüchteten vorliegen, sollte so schnell wie möglich ein Einzelvormund nach BGB und SGB VIII gefunden werden, welcher der oder dem Jugendlichen eine stabile Vertrauensbeziehung bietet, um sie oder ihn in der Therapie und allen Aspekten zur Stabilisierung des Lebens bestmöglich zu unterstützen. Dies ist vom Gesetzgeber seit 2022 auch so vorgesehen. Auch für Jugendliche können mit Begründung ihrer Erkrankung erfolgreich Anträge zu § 60 Abs. 7 AufenthG und § 152 SGB IX gestellt werden. Da sowohl Krankheit als auch Lebensumstände häufig mit seelischen Beeinträchtigungen einhergehen, sollte bereits bei Therapiebeginn an eine fachgerechte Evaluation und die Beantragung einer Eingliederungshilfe für Kinder und Jugendliche wegen einer drohenden seelischen Gefährdung gem. § 35a SGB VIII gedacht werden.
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7.3 Supportive Therapie bei sensibler und medikamentenresistenter TB
7.3.1 Patientenzentrierte Versorgung (patient-centered care)
Patientenzentrierte Versorgung bedeutet, dass bei der medizinischen Behandlung die individuellen Bedürfnisse und Lebensumstände der Patientin oder des Patienten berücksichtigt werden. Insbesondere in der Tuberkulosetherapie ist eine patientenzentrierte Versorgung aufgrund der Stigmatisierung der Erkrankung, der langen Behandlungsdauer sowie der möglicherweise erforderlichen Therapiekontroll- und Isolierungsmaßnahmen von großer Bedeutung. Es soll daher bewusst darauf geachtet werden, dass individuell das bestmögliche ganzheitliche Behandlungskonzept gefunden wird [242]. Im Einzelnen heißt das:
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Die muttersprachliche Aufklärung und Möglichkeit einer zugewandten und kultursensitiven Kommunikation während der gesamten Behandlung.
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Adäquate Infektionsschutzmaßnahmen, dabei Prüfung der Möglichkeit ambulanter, wohnortnaher Versorgung.
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Nutzung digitaler Unterstützungsangebote (z. B. Video-observierte Therapie [VOT] oder andere digitale Adhärenztechnologien [DATs]).
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Erfassung von Begleiterkrankungen und sozialen Faktoren, die den Erfolg der Tuberkulosetherapie gefährden können (z. B. Diabetes mellitus, psychische Erkrankungen, Essstörungen, Mangelernährung, Wohnungslosigkeit, Armut, soziale Deprivation).
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Klärung von Fragen der finanziellen Absicherung/Kostenübernahme.
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Unterstützung bei aufenthaltsrechtlichen Problemen.
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Unterstützung bei dringlichen organisatorischen Herausforderungen (z. B. für Kinderbetreuung, Betreuung pflegebedürftiger Angehörige).
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7.3.2 Ernährung und adjuvante Therapie
Unterernährung ist ein Risikofaktor für die Entwicklung der Tuberkulose. Aber auch die Tuberkulose selbst kann zu Gewichtsabnahme und damit Unter- oder Mangelernährung führen. Studien legen einen Zusammenhang zwischen einer Gewichtszunahme bzw. optimaler Nährstoffzusammensetzung und einer früheren Sputumkonversion nahe [243]. Auch mit Blick auf eine im Therapieverlauf erforderliche Anpassung der gewichtsadaptierten Medikamentendosierung sollte das Körpergewicht zum Behandlungsbeginn und bei jeder klinischen Vorstellung dokumentiert und eine Gewichtszunahme gewürdigt werden. Da eine Mangelernährung auch das Auftreten von unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAWs) begünstigt, sollten diätische Maßnahmen sowie bei Bedarf die Beratung durch eine qualifizierte Ernährungsfachkraft in das Therapiekonzept mit einbezogen werden.
Im Fall einer Mangelernährung bzw. Kachexie ist bei Hilfeempfangenden ein Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung beim Sozialamt bzw. bei der Agentur für Arbeit zu beantragen (§ 21 Abs. 5 SGB II, § 30 Abs. 5 SGB XII). Dafür ist ein ärztliches Attest notwendig (https://www.arbeitsagentur.de/datei/anlagemeb_ba013060.pdf). Die Richtwerte für die Krankenkostzulage gelten i. d. R. auch für Kinder und Jugendliche. Für Patientinnen und Patienten, die in Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht sind (Asylbewerberinnen und Asylbewerber), kann es hilfreich sein, eine Selbstverpflegung zu ermöglichen (landestypische Kost zur Milderung von Inappetenz oder gastrointestinalen UAW unter vorgefertigter Vollverpflegung). Dies ist z. B. durch einen frühzeitigen Wechsel in eine Gemeinschaftsunterkunft möglich (gem. § 49 AsylG in Verbindung mit den Vorgaben des IfSG), wenn keine Ansteckungsgefahr mehr besteht.
Ein Zusammenhang zwischen Vitamin D-Mangel und Tuberkulose wird vermutet, allerdings ist die Datenlage kontrovers [244] [245]. Ein therapeutischer Nutzen einer vorbeugenden Substitution mit Vitamin D (Nahrungsergänzung) ist bisher nicht ausreichend nachgewiesen worden [246]. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass aufgrund der Photosensibilisierung bei Einnahme bestimmter antituberkulöser Medikamente (Rifampicin, Fluorchinolone, Pyrazinamid), wie auch krankheitsbedingt und eventuell kulturell, die UV-B-Exposition herabgesetzt sein kann. Es sollte daher bei allen Patientinnen und Patienten eine Bestimmung des Vitamin-D-Spiegels (25-OH-Vitamin D) im Serum erwogen werden. Bei erniedrigten Vitamin-D-Spiegeln wird empfohlen, eine gezielte Substitution gemäß den aktuellen Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung vorzunehmen [247].
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7.3.3 Psychische Erkrankungen
Da viele Tuberkulosepatientinnen und -patienten eine belastende Migrationsgeschichte haben oder Geflüchtete sind, wird von einer hohen Prävalenz posttraumatischer Belastungsstörungen (PTBS) ausgegangen [248]. Deswegen empfiehlt die vorliegende Leitlinie die regelhafte Evaluation dieser Patientinnen und Patienten im Hinblick auf eine PTBS, depressive und andere psychiatrische Erkrankungen. Auch ist zu berücksichtigen, dass sowohl durch Isolierungsmaßnahmen bzw. durch die Trennung von der Familie oder vom gewohnten Umfeld als auch durch einige Tuberkulosemedikamente psychische Erkrankungen verstärkt oder ausgelöst werden können. Psychopharmakologische UAWs sind insbesondere für Isoniazid, Terizidon und Delamanid beschrieben. Insbesondere während eines stationären Aufenthaltes kann es durch eine langzeitige Isolierung zur Manifestation und Exazerbation posttraumatischer Belastungsstörungen oder depressiven Verstimmungen kommen.
Neben psychologischer Betreuung sollten Patientinnen und Patienten auch durch ergo- und physiotherapeutische Maßnahmen unterstützt werden. Möglichkeiten zu regelmäßiger körperlicher (z. B. Bewegung im Freien oder Ergometertraining) und geistiger Aktivität (z. B. Sprachkurs) sollten angeboten werden. Interkulturelle und interreligiöse Seelsorge kann im Fall einer starken Bindung an religiöse Gewohnheiten eine hilfreiche Brücke bilden. Auch ehrenamtlich Tätige, bei Bedarf mit interkultureller Erfahrung oder Fremdsprachenkenntnissen, können durch Kontaktpflege und Kommunikation zum Behandlungserfolg beitragen.
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7.3.4 Rauchen und andere Abhängigkeitssyndrome
Die gesundheitlichen Schäden durch Tabakkonsum sind für verschiedene Erkrankungen durch viele Studien belegt. Raucherinnen und Raucher haben auch ein höheres Risiko, sich mit Tuberkulose zu infizieren, ein höheres Progressionsrisiko, ein schlechteres Therapieergebnis und eine höhere Mortalitätsrate als Nichtraucherinnen und Nichtraucher [249] [250] [251]. Das Rauchverhalten soll daher regelmäßig erfragt werden, und Patientinnen und Patienten soll Unterstützung für eine Rauchentwöhnung angeboten werden [252].
Gleiches gilt auch für eine Alkoholabhängigkeit oder Drogenkonsum in jeder Form. Diese Abhängigkeiten sind oft mit verschiedenen Faktoren assoziiert, die eine Erkrankung an Tuberkulose begünstigen, wie Mangelernährung, schwierige Wohnverhältnisse und Folgeerkrankungen (Diabetes, Immunsuppression). Auch sind Abhängigkeitssyndrome mit einer erhöhten Rate von Therapieabbrüchen und einer erhöhten UAW-Rate unter der Tuberkulosetherapie verbunden. Alkohol- und anderweitiger Substanzmissbrauch sollte daher aktiv erfragt und ggf. auch psychiatrisch evaluiert sowie die Möglichkeiten für eine Entzugs- und/oder Substitutionsbehandlung (z. B. Methadonsubstitution) frühzeitig eruiert werden.
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7.3.5 Chirurgische Therapie
Chirurgische Verfahren waren früher eine wesentliche Säule der Behandlung der Tuberkulose, wurden aber durch die medikamentöse Therapie fast vollständig abgelöst. Chirurgische Verfahren können ergänzend bei schwierig zu behandelnden, medikamentenresistenten Tuberkulosefällen oder extrem ausgedehnten Befunden als individueller Behandlungsansatz nach interdisziplinärer Diskussion in Betracht gezogen werden. Aufgrund fehlender randomisierter, kontrollierter Studien existieren keine eindeutigen evidenzbasierten Empfehlungen, wann ein operatives Vorgehen indiziert ist. Insgesamt kann man jedoch das Indikationsspektrum auf folgende Gruppen zusammenfassen:
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Operationen zur histologischen Sicherung oder Diagnosefindung/Differenzialdiagnostik,
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Operationen zur Beseitigung eines Keimreservoirs bei persistierendem Erregernachweis trotz medikamentöser Therapie,
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Operationen bei Komplikationen einer Tuberkulose.
Operationen zur histologischen Sicherung oder Diagnosefindung/Differenzialdiagnostik
Meistens werden chirurgische Verfahren eingesetzt, um im Rahmen der Diagnosestellung pulmonale Rundherde oder unklare Infiltrate abzuklären bzw. Differenzialdiagnosen wie maligne Erkrankungen auszuschließen. Ist dies bronchoskopisch nicht möglich, können sowohl thorakoskopische als auch offen-chirurgische Vorgehen gewählt werden. Auch zur Diagnosesicherung bei extrapulmonalen Tuberkulosemanifestationen können chirurgische Verfahren notwendig sein. Wichtig ist, dass neben einer Gewebeentnahme für die histopathologische Untersuchung auch natives (nicht Formalin-fixiertes) Material in 0,9 % NaCl-Lösung (siehe auch [Tab. 1]) zur mikrobiologischen Untersuchung auf Tuberkulose asserviert wird.
Operationen zur Beseitigung eines Keimreservoirs bei persistierendem Erregernachweis trotz medikamentöser Therapie
Die kleine Gruppe von anhaltend mikroskopisch-positiven Patientinnen und Patienten ist sehr heterogen und umfasst diejenigen, welche nach einer erfolgreichen medikamentösen Therapie ein Rezidiv erleiden, ebenso wie diejenigen mit einem Therapieversagen. Dies betrifft insbesondere Patientinnen und Patienten mit MDR/XDR-Tuberkulose. Die WHO hat daher 2008 empfohlen, die Operation in diesen Fällen als additives adjuvantes Therapieverfahren anzusehen und die Indikation zur operativen Therapie interdisziplinär zu stellen. Ziel der operativen Therapie ist die Reduktion der Erregerlast im erkrankten Gewebe. Besonders Patientinnen und Patienten mit lokalisiertem Befund (z. B. häufig sehr dickwandige Kavernen) profitieren von einer operativen Therapie, wobei ein möglichst parenchymsparendes Operationsverfahren zu bevorzugen ist. Dieser sollte laut WHO-Leitlinien eine mindestens zweimonatige adäquate medikamentöse Therapie vorausgegangen sein und auch postoperativ sollte eine mehrmonatige medikamentöse Therapie erfolgen. Die Operationsindikation zur adjuvanten Resektion wird jedoch nur bei sehr wenigen Patientinnen und Patienten gestellt. Es gibt keine vergleichenden Studien zur Wirksamkeit hinsichtlich der Verringerung der Rezidivhäufigkeit [253].
Operationen bei Komplikationen einer Tuberkulose
Tuberkulöse Kavernen, Aspergillome und Bronchiektasen sind Komplikationen der Tuberkulose, welche die Ursache für rezidivierende Hämoptysen und Hämoptoe darstellen können. Das Auftreten einer anderweitig nicht zu stoppenden, schweren Hämoptoe stellt immer eine Operationsindikation dar. Kritischer muss die Indikation zur Operation bei Hämoptysen gestellt werden. Anhaltende Hämoptysen können auch interventionell mittels Embolisation von Bronchialarterien behandelt werden [254].
Aspergillome können nach einer Tuberkulose in Kavernen entstehen und zeigen CT-morphologisch das typische Bild aus kompaktem Pilzball sowie typischer Luftsichel in einer – häufig in den Oberlappen lokalisierten – Höhle. Das Aspergillom stellt nur dann eine Operationsindikation dar, wenn die Komplikationen, die dadurch verursacht werden, nicht anders zu beherrschen sind. Präoperativ ist eine zweiwöchige Therapie mit einem Antimykotikum zu empfehlen [255]. Nach kompletter Resektion wird keine adjuvante antimykotische Therapie empfohlen [256].
Die sogenannte destroyed lung bzw. der destroyed lobe (zerstörte Lunge bzw. Lungenlappen) ist streng genommen kein Krankheitsbild, sondern die radiologische Umschreibung einer durch die Tuberkulose zerstörten und somit funktionslosen Lunge mit Hohlraumbildung, Bronchiektasien sowie atelektatischen Bezirken. Beim Auftreten von Symptomen (z. B. Hämoptysen, rezidivierende Infektionen) ist die Indikation zur Lob- bzw. Pneumonektomie interdisziplinär zu prüfen. Zu beachten ist weiterhin, dass vor jeder geplanten anatomischen Resektion (z. B. Lob- oder Pneumonektomie) eine Bronchoskopie mit endobronchialer Probenentnahme zum Ausschluss von Granulomen der Bronchusschleimhaut erfolgen muss.
Die Therapie des tuberkulösen Pleuraempyems orientiert sich am stadienadaptierten Vorgehen des nicht spezifischen Pleuraempyems.
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7.3.6 TB-Folgeerkrankungen (Post-TB lung disease; PTLD) und Rehabilitation
Einige Patientinnen und Patienten leiden nach abgeschlossener TB-Therapie unter residuellen Symptomen und verminderter Belastbarkeit, die die Lebensqualität beeinträchtigen [257] [258] [259]. Zu den Folgeerkrankungen nach einer (erfolgreich) behandelten Tuberkulose, welche unter TB-sequelae oder post-tuberculosis-lung-disease (PTLD) zusammengefasst werden, gibt es allerdings nur wenige systematische Studien. Die Definition einer PTLD wird dadurch erschwert, dass es sich nicht um eine einzelne Krankheitsentität handelt. Verschiedene Folgeerkrankungen wie COPD, Bronchiektasen, bakterielle und fungale Sekundärinfektionen von Kavernen, restriktive Ventilationsstörungen (z. B. bei Narbenbildung, destruierten Lungenabschnitten oder auch nach thoraxchirurgischen Interventionen) werden darunter zusammengefasst [260] [261]. Verbleibende Symptome bei PTLD müssen nicht mit radiologischen oder lungenfunktionellen Veränderungen korrelieren [258] [262]. Zu den Risikofaktoren für PTLD zählen eine verzögerte Diagnose, mehrfache Erkrankungsepisoden, Medikamentenresistenzen und möglicherweise das Rauchen [257].
Die Prävalenz der PTLD in Deutschland ist unbekannt, dennoch weisen internationale Daten darauf hin, dass die Langzeitmortalität nach einer Tuberkulosebehandlung erhöht ist und ein erhöhtes TB-Rezidivrisiko besteht [257] [258]. Daher sollten Patientinnen und Patienten nach abgeschlossener TB-Therapie auf das Vorliegen einer PTLD evaluiert werden. Zur Diagnostik sollten neben radiologischen und lungenfunktionellen Untersuchungen auch Symptomscores[4] [263] [265] und Fragebögen zur Lebensqualität[5] [259] [266] verwendet werden [263].
Die Therapie richtet sich nach dem jeweilig vorliegenden Krankheitsbild und Ausprägungsgrad der PTLD und kann eine begleitende Physio- oder Atemtherapie beinhalten. Bei Folgeerkrankungen nach einer behandelten Tuberkulose ist auch die Indikation für eine pneumologische Rehabilitation zu prüfen. Dabei sollte der Rehabilitationsbedarf nicht nur anhand funktioneller Parameter, sondern auch anhand der verbleibenden Symptomatik und den psycho-sozialen Folgen eingeschätzt werden [258] [263].
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7.3.7 Palliativmedizinische Versorgung
Eine palliativmedizinische Versorgung sollte kein Ersatz für eine suffiziente Tuberkulosetherapie sein und ist im deutschen Kontext bisher nur in Einzelfällen zu erwägen. Dabei umfasst die palliativmedizinische Versorgung nach WHO-Definition die Verhinderung oder Linderung von physischen, psychischen, sozialen und spirituellen Leiden bei lebensbedrohlichen oder unheilbaren Erkrankungen. Dabei können und sollen Konzepte der Symptomlinderung auch bei heilbaren Erkrankungen angewendet werden [267] [268]. Dies trifft insbesondere auf die Symptomlinderung der Erkrankung wie bspw. Luftnot oder Schmerzen, aber auch auf die Behandlung von UAWs durch die Therapie wie z. B. Übelkeit zu (siehe Kapitel Management unerwünschter Arzneimittelwirkungen [UAWs]). Insbesondere bei älteren multimorbiden Patientinnen und Patienten, bei schwer behandelbarer MDR/XDR-Tuberkulose, ausgedehnten Befunden sowie nach Therapieversagen trotz Ausschöpfung aller Möglichkeiten sollte die Indikation für eine palliativmedizinische Begleitung geprüft werden [269]. Es besteht allerdings kein internationaler Konsens, ob die Tuberkulose-Therapie dann fortzusetzen oder beendet werden kann [270]. Hier sollte immer der individuelle Fall betrachtet werden. Auf einen konsequenten Infektionsschutz auch in einer palliativen Situation ist zu achten [260] [271] [272].
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8 Diagnose und präventive Therapie bei einer latenten tuberkulösen Infektion (LTBI)
8.1 Einleitung
Bei einer Infektion können die Tuberkulosebakterien durch die Immunantwort der infizierten Person in den meisten Fällen kontrolliert werden, wodurch die Entwicklung zu einer Tuberkulose (Progression) verhindert wird. Dem Immunsystem gelingt es jedoch nicht immer, alle Erreger zu eliminieren bzw. abzutöten, sodass lokal einige wenige lebensfähige Tuberkulosebakterien persistieren können. Diese Persistenz vitaler Tuberkulosebakterien im menschlichen Körper wird als latente tuberkulöse Infektion oder kurz LTBI bezeichnet (international auch TBI/tuberkulöse Infektion [273]). Die infizierten Personen sind klinisch gesund und nicht ansteckend für ihre Umgebung. Die LTBI ist nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) nicht meldepflichtig.
Verschiebt sich das Gleichgewicht zwischen immunologischer Kontrolle und bakterieller Aktivität zu Ungunsten der Immunabwehr, kann es auch viele Jahre nach der Primärinfektion zu einer Progression kommen, siehe [Abb. 2]. Nicht alle mit Tuberkulosebakterien infizierten Personen erkranken an einer Tuberkulose. Das lebenslange Risiko für Immungesunde wird mit etwa 5–10 % angenommen, es kann aber unter bestimmten Voraussetzungen deutlich höher sein [274] [275] [276]. Das Erkrankungsrisiko ist in den ersten zwei Jahren nach Infektion am höchsten und nimmt dann kontinuierlich ab [277] [278].
Mit einer präventiven medikamentösen Behandlung lässt sich die Progression einer LTBI zu einer Tuberkulose wirksam verhindern (siehe Kapitel Präventive Therapieregime [Chemoprävention], [Tab. 12] und Kapitel Überlegungen vor Einleitung einer präventiven Therapie). Da Menschen mit einer LTBI ein Reservoir für Neuerkrankungen darstellen [279], ist die Identifikation und Behandlung derjenigen, die ein hohes Risiko für die Entwicklung einer Tuberkulose haben, essentiell für die Tuberkuloseprävention und -kontrolle.
Im Gegensatz zur Tuberkulose, für die grundsätzlich eine klare Behandlungsindikation besteht, wird die präventive Therapie einer LTBI vorrangig für diejenigen Personen empfohlen, die ein relevantes Progressionsrisiko haben. Als Risikofaktoren gelten verschiedene immunsupprimierende Umstände, die das immunologische Gleichgewicht stören können. Entsprechend wichtig ist es, diese Risikofaktoren bzw. -gruppen zu kennen (siehe Kapitel Empfehlungen für ausgewählte Personengruppen mit erhöhtem Progressionsrisiko) und besonders gefährdete Personen auch gezielt auf eine LTBI hin zu untersuchen und zu behandeln.
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8.2 Begriffsdefinitionen zur LTBI
8.2.1 Latente tuberkulöse Infektion/LTBI (Synonyme: latente Infektion mit Mycobacterium tuberculosis, latente Tuberkuloseinfektion)
Die LTBI ist durch ein positives Ergebnis eines immunologischen Tests wie dem Interferon-Gamma Release Assay (IGRA) und/oder dem Tuberkulin-Hauttest (THT) definiert, sofern nach eingehender Diagnostik kein Anhalt für das Vorliegen einer Tuberkulose besteht. Letzteres ist eine unabdingbare Voraussetzung, da beide Testverfahren nicht zwischen einer LTBI und der Tuberkulose unterscheiden können.
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8.2.2 Tuberkulose
Tuberkulose bezeichnet immer den Krankheitszustand und ist somit von der LTBI abzugrenzen. Synonym werden im deutschen Sprachgebrauch u. a. auch die Bezeichnungen „aktive Tuberkulose“, „klinisch apparente Tuberkulose“, „Tuberkuloseerkrankung“ und „behandlungsbedürftige Tuberkulose“ verwendet.
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8.2.3 Präventive Therapie der LTBI (Synonyme: Präventive Chemotherapie, Chemoprävention)
Unter einer präventiven Therapie wird die medikamentöse Behandlung einer LTBI verstanden. Deren Ziel ist es, die wenigen persistierenden Tuberkulosebakterien abzutöten, um ihre Reaktivierung, im Sinne einer unkontrollierten Vermehrung, und die damit verbundene Progression zur Tuberkulose zu verhindern.
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8.2.4 Chemoprophylaxe (Synonym: medikamentöse Prophylaxe)
Von Chemoprophylaxe wird gesprochen, wenn prophylaktisch Medikamente verabreicht werden, noch bevor eine Reaktion des Immunsystems auf den Kontakt mit Tuberkulosebakterien nachweisbar ist (d. h. unverzüglich nach Kontakt zu einer infektiösen Person). Ziel einer Chemoprophylaxe ist es, eine Infektion zu verhindern bzw. zeitnah eine bereits bestehende, aber noch nicht mittels der in Kapitel Testverfahren genannten Testverfahren nachweisbare Infektion zu behandeln.
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8.2.5 Abgrenzung Chemoprophylaxe und präventive Therapie
Auf der internationalen Ebene wird die Unterscheidung zwischen einer prophylaktischen Medikamentengabe i. S. einer Chemoprophylaxe und einer präventiven Therapie häufig nicht oder nicht konsequent vorgenommen, vielmehr wird beides unter präventiver Therapie („preventive therapy“) subsummiert. Die Leitliniengruppe hält eine Unterscheidung jedoch für wichtig, da die Chemoprophylaxe eine wichtige infektionspräventive Maßnahme für besonders vulnerable Gruppen darstellt (Säuglinge und Kleinkinder, hochgradig immunsupprimierte Personen etc., siehe dazu auch S2k-Leitlinie „Tuberkulose im Kindes- und Jugendalter“).
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8.3 Diagnose der LTBI
8.3.1 Testverfahren
Für die Diagnose einer LTBI stehen derzeit zwei Testverfahren zur Verfügung: Interferon-Gamma Release Assays (IGRA) und der Tuberkulin-Hauttest (THT). Beide Testverfahren zeigen lediglich, ob sich das Immunsystem mit Tuberkulosebakterien auseinandergesetzt hat, und erlauben nicht die Unterscheidung zwischen Tuberkulose und LTBI. Bei Erwachsenen und Jugendlichen ab 15 Jahren soll bevorzugt ein IGRA eingesetzt werden. Ein positiver Tuberkulin-Hauttest sollte, zumindest vor Einleitung einer Chemoprävention, immer mit einem IGRA verifiziert werden [15].
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8.3.2 Interferon-Gamma Release Assays/IGRA
Interferon-Gamma Release Assays messen quantitativ die Interferon-Gamma-Freisetzung sensibilisierter T-Lymphozyten nach Stimulation mit Tuberkulose-spezifischen Antigenen (ESAT-6, CFP-10) im Vollblut. Diese Antigene sind bei Erregern des M. tuberculosis-Komplexes und nur bei wenigen nicht-tuberkulösen Mykobakterien (NTM, z. B. M. kansasii, M. marinum) vorhanden. Da sie nicht in BCG-Impfstämmen vorkommen, kommt es bei BCG-Geimpften nicht zu Kreuzreaktionen und nicht zu falsch-positiven Resultaten (hohe Spezifität). Die nach Antigenstimulation resultierende Interferon-Gamma (IFN-γ)-Produktion wird mittels enzyme-linked immunosorbent assay (ELISA) beim QuantiFERON-TB Gold Plus Test in IU/ml oder beim T-SPOT.TB Test mittels enzyme-linked immuno spot assay (ELISPOT) gemessen und das Ergebnis in der Anzahl IFN-γ-produzierender Spots angegeben.
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8.3.3 Tuberkulin Hauttest/THT
Für den Tuberkulin-Hauttest werden 0,1 ml Tuberkulin (in Deutschland, Österreich und der Schweiz entspricht dies 2 TU PPD RT 23 SSI der AJ Vaccines A/S, Kopenhagen) oder eine bio-äquivalente Dosis einer anderen Tuberkulin-Präparation nach Empfehlung des Herstellers mittels einer Tuberkulinspritze (1 ml-Spritze mit Kanüle 26G oder 27G) an der Beugeseite des Unterarmes nach der Mendel-Mantoux-Methode streng intrakutan appliziert. Im Fall einer Infektion mit Tuberkulosebakterien wird eine Hypersensitivitätsreaktion vom verzögerten Typ ausgelöst, also eine T-Zell-abhängige Entzündung, die zu einer Induration an der Einstichstelle führt. Das Ergebnis wird nach (48–)72 Stunden als maximaler transversaler Indurationsdurchmesser in mm ermittelt. Hierbei sind die aktuellen Herstellerangaben zu beachten (Fachinformation [15] [282]). Eine Hautrötung allein ist ohne diagnostischen Wert und wird bei der Ausmessung nicht berücksichtigt. Der THT kann aufgrund von Kreuzreaktivität mit NTM sowie nach einer BCG-Impfung falsch positiv ausfallen und hat daher eine geringere Spezifität als die IGRAs [283]. Neue, auf die Antigene ESAT-6 und CFP-10 basierende Hauttests sind in Entwicklung [284] [285].
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8.3.4 Diagnosestellung
Für Erwachsene und Jugendliche ab 15 Jahren wird wegen der höheren Spezifität ein IGRA empfohlen [15]. Der THT wird häufiger bei Kleinkindern eingesetzt (siehe Leitlinie Tuberkulose im Kindes- und Jugendalter). Allerdings sind beide verfügbaren Testverfahren zur Diagnostik einer LTBI weder 100 % sensitiv noch 100 % spezifisch. Ihre Anwendung sollte daher gezielt und nur dann erfolgen, wenn (a) ein erhöhtes Infektions- und/oder Progressionsrisiko angenommen wird und (b) bei nachgewiesener LTBI eine präventive Therapie erfolgen soll bzw. (c) falls eine präventive Therapie nicht durchgeführt werden kann, auf der Basis des Ergebnisses eine entsprechende Information und Aufklärung sowie Nachbeobachtung erfolgen sollen (siehe Kapitel Überlegungen vor Einleitung einer präventiven Therapie).
Bei negativem Testausfall kann bei Annahme einer hohen Infektionsgefährdung und daher hohen Vortestwahrscheinlichkeit sowie einem hohen Progressionsrisiko im Falle einer LTBI (z. B. bei Immunsupprimierten) ein zweiter Test mit einem alternativen Testsystem sinnvoll sein. Ein diskordantes Ergebnis ist dann mit einem höheren Erkrankungsrisiko assoziiert als ein zweifach negatives Ergebnis [286].
Definitionsgemäß kann die Diagnose einer LTBI nur dann gestellt werden, wenn eine Tuberkulose ausgeschlossen ist. Dafür ist eine sorgfältige Anamnese, die Erfragung Tuberkulose-verdächtiger Symptome (Fieber, Nachtschweiß, Gewichtsabnahme, Husten, Auswurf etc.) und eine gründliche klinische Untersuchung notwendig. An apparativen Untersuchungen soll eine Thorax-Röntgen-Untersuchung in p. a., wenn notwendig in zwei Ebenen, durchgeführt werden. Bei auffälligen Befunden oder Hinweisen auf das Vorliegen einer extrapulmonalen Manifestation (z. B. Lymphknotenschwellungen, Spondylodiszitis etc.) soll eine weitere Abklärung mit geeigneten Untersuchungsverfahren erfolgen (siehe Kapitel Extrapulmonale Tuberkulose).
Der Ausschluss einer Tuberkulose vor Einleitung einer präventiven Therapie oder einer Chemoprophylaxe ist nicht zuletzt so bedeutend, weil die Behandlung einer Tuberkulose eine Kombinationstherapie mit mindestens vier antimykobakteriellen Substanzen erfordert. Zur Behandlung einer LTBI reicht dagegen eine Mono- bzw. Zweifachtherapie aus, um die wenigen, niedrig replikativen Tuberkulosebakterien effektiv zu eliminieren. Bei einer unerkannten Tuberkulose mit einer ungleich höheren Bakterienlast kann eine präventive Behandlung zur Selektion resistenter Bakterienstämme führen.
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8.4 Überlegungen vor Einleitung einer präventiven Therapie
Die präventive Therapie setzt immer eine individuelle Risiko-Nutzen-Abwägung voraus. Zu Risikogruppen bzw. Risikofaktoren, die mit einem erhöhten Ansteckungs- bzw. Progressionsrisiko verbunden sind, verweisen wir auf das Kapitel Empfehlungen für ausgewählte Personengruppen mit erhöhtem Progressionsrisiko. Die Anzahl der Personen, die chemopräventiv behandelt werden müssen, um eine Tuberkulose zu verhindern (number needed to treat, NNT), liegt bei Immunkompetenten zwischen 30 und 89 und bei Immunkomprimierten zwischen 14 und 80 [287].
Das auf Modellierungen basierte Tool „Periskope TB“ kann dabei helfen, das Progressionsrisiko abzuschätzen, ersetzt aber nicht die klinische Evaluation und Indikationsstellung.
Für die Indikationsstellung einer präventiven Behandlung sollen zusätzlich die folgenden Voraussetzungen erfüllt sein und diese Kriterien geprüft werden:
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Bei Immungesunden: Liegt eine neu erworbene, frische Infektion mit entsprechend erhöhtem Progressionsrisiko vor? Davon ist insbesondere bei Personen mit kürzlicher, definierter Exposition auszugehen, auch wenn eine frühere unbehandelte oder behandelte LTBI bekannt ist oder für möglich gehalten wird (z. B. bei Herkunft aus einem TB-Hochprävalenzland). Zu den Besonderheiten bei beruflicher Exposition siehe Kapitel LTBI und präventive Therapie bei beruflich exponierten Beschäftigten im Gesundheitswesen.
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Falls der Index- oder Quellfall bekannt ist: Liegen Resistenzen vor, die bei der Wahl des Therapieregimes zu berücksichtigen sind (siehe auch Kapitel Präventive Therapie bei Kontaktpersonen von infektiöser multiresistenter Lungentuberkulose?)
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Liegen Faktoren vor, die das individuelle Progressionsrisiko erhöhen (z. B. Grund- und Begleiterkrankungen wie HIV oder Diabetes mellitus, iatrogene Immunsuppression, Schwangerschaft) (siehe auch Kapitel Empfehlungen für ausgewählte Personengruppen mit erhöhtem Progressionsrisiko)?
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Zählt die Person zu einer Risikogruppe für einen schwereren Erkrankungsverlauf (z. B. HIV-Infektion, Diabetes mellitus [288])?
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Bestehen Kontraindikationen, d. h., ist das Risiko einer präventiven Behandlung höher zu bewerten als der erwartete Nutzen (siehe Kapitel Medikamente zur Behandlung der Tuberkulose)? Hier sind mögliche Medikamentenwechselwirkungen oder -unverträglichkeiten, Komorbiditäten sowie ein mit dem Lebensalter zunehmendes Hepatotoxizitäts-Risiko zu beachten [289].
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Frauen im gebärfähigen Alter sind nach einer Schwangerschaft zu fragen (zum Vorgehen bei Schwangerschaft siehe Kapitel LTBI und präventive Therapie bei Kindern und Schwangeren). Bei Gabe von RMP ist über den möglichen Wirkverlust oraler hormoneller Kontrazeptiva und die Notwendigkeit der Verwendung anderweitiger Verhütungsmethoden zu informieren [290].
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Ist nach Aufklärung und Beratung sowohl ein ausreichendes Verständnis als auch die Bereitschaft zu einer präventiven Therapie vorhanden, sodass von einer Therapieadhärenz ausgegangen werden kann? Falls nicht, können im Umfeld Unterstützungsmöglichkeiten genutzt werden (z. B. Angehörige, siehe Kapitel Versorgungsaspekte der Tuberkulose)?
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Sind die Rahmenbedingungen gegeben, dass eine präventive Behandlung nicht nur begonnen, sondern auch konsequent fortgeführt und erfolgreich abgeschlossen werden kann? Dazu zählen die ärztliche Therapiebegleitung inklusive Managements möglicher unerwünschter Arzneimittelwirkungen, die Durchführung einer abschließenden Thorax-Röntgen-Untersuchung sowie die Frage der Kostenübernahme.
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Für eine mutter- bzw. fremdsprachliche Aufklärung eignet sich z. B. die multilinguale Anwendung ExplainTB, die kostenfrei auf Smartphones oder auf dem PC genutzt werden kann.
Mit einer präventiven Therapie lässt sich eine Tuberkulose nicht immer verhindern, entweder aufgrund eines Therapieversagens oder weil eine bereits bestehende Tuberkulose trotz der Voruntersuchungen nicht erkannt wurde. Die Wirksamkeit der verfügbaren präventiven Therapieregime wird mit 60–90 % angegeben [291]. Dazu liegt insbesondere für INH eine ausreichende Zahl kontrollierter Studien vor, die sowohl für HIV-negative [292] als auch für HIV-positive Personen [293] in einer Cochrane-Metaanalyse analysiert wurden. Die auf Rifamycin-Derivaten basierenden Therapieregime sind in ihrer Wirksamkeit vergleichbar und haben aufgrund der kürzeren Therapiedauer eine höhere Komplettierungsrate [294].
Eine gute Aufklärung der infizierten Person ist daher immer erforderlich, um im Erkrankungsfall die Tuberkulose möglichst rasch zu diagnostizieren und zu therapieren sowie Folgeinfektionen oder -erkrankungen im Umfeld zu verhindern.
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8.5 Empfehlungen für ausgewählte Personengruppen mit erhöhtem Progressionsrisiko
Das Risiko, sich zu infizieren und zu erkranken, ist individuell unterschiedlich und wird durch verschiedene Faktoren beeinflusst [295]. Für alle nachfolgend genannten Risikogruppen mit ihren jeweiligen spezifischen Risiken für eine Progression gelten unabhängig davon die im Kapitel Überlegungen vor Einleitung einer präventiven Therapie genannten grundsätzlichen Vorüberlegungen.
Bei den genannten Personengruppen ist aus den folgenden Gründen von einem erhöhten Risiko auszugehen, bei einem positiven immunologischen Test eine Tuberkulose zu entwickeln:
Enge Kontaktpersonen zu Menschen mit ansteckender Lungentuberkulose,
da von einer kürzlich erworbenen Infektion ausgegangen werden kann. Das Erkrankungsrisiko ist hier in den ersten (zwei) Jahren nach Kontakt am höchsten [278]. Aus diesem Grund sollen enge Kontaktpersonen entsprechend den Empfehlungen des DZK untersucht werden und bei Nachweis einer LTBI eine präventive Therapie erhalten [15]. Für das Vorgehen und die Besonderheiten im Kindesalter verweisen wir auf die entsprechende Leitlinie Tuberkulose im Kindes- und Jugendalter [89], da ein deutlich erhöhtes Progressionsrisiko besteht.
Menschen, die mit HIV leben (PLWH),
haben im Fall einer Koinfektion mit Tuberkulosebakterien ein erhöhtes Progressionsrisiko. Dies ist auch noch unter antiretroviraler Therapie (ART) und optimaler Viruskontrolle erhöht [166]
[286]
[296]
[297]. Es ist unstrittig, dass PLWH in Ländern mit einer mittleren und hohen TB-Inzidenz aufgrund des erhöhten Tuberkulose-Progressionsrisikos im Falle einer TB-Koinfektion von einem Screening auf LTBI und einer präventiven Therapie profitieren. Der Nutzen eines LTBI-Screenings bei PLWH in ressourcenstarken Ländern mit geringer TB-Inzidenz ist hingegen wissenschaftlich nicht eindeutig belegt [293]
[298]. Das liegt u. a. an der guten Verfügbarkeit von antiretroviralen Kombinationstherapien, die das Tuberkulose-Progressionsrisiko bei latent koinfizierten Personen deutlich senken [299]
[300]
[301]. Eine Auswertung von Daten der deutschen ClinSurv HIV-Kohorte weist darauf hin, dass eine Tuberkulose nach 2 Jahren wirksamer ART seltener auftritt [302], das Risiko bleibt jedoch Daten aus Großbritannien zufolge auch unter einer ART gegenüber der Allgemeinbevölkerung deutlich erhöht [166]
[297].
Die Sensitivität der immunologischen Diagnostik für LTBI bei PLWH mit fortgeschrittenem Immundefekt v. a. bei CD4-T-Zellen < 200/µl ist herabgesetzt, was zu falsch negativen bzw. intermediären Ergebnissen im IGRA führen kann [303]. In einer großen Metaanalyse, die auch einige Studien aus ressourcenreicheren Ländern einbezog, fiel die TB-Inzidenz bei PLWH und mit positivem TST oder IGRA nach dem Jahr 2006 von 40,2 auf 9,5/1000 Personenjahre ab [286]. Dies ist u. a. auf die Optimierung der ART durch die Einführung neuer Substanzen (Darunavir) und Substanzklassen (Integraseinhibitoren, CCR5-Hemmer) in den Jahren 2006 und 2007 zurückzuführen. Das Risiko, eine Tuberkulose zu entwickeln, blieb aber bei Menschen, die mit HIV leben und einen positiven IGRA aufweisen, um den Faktor 11 erhöht, verglichen mit Personen der gleichen Population mit einem negativen IGRA. Das zeigt die Bedeutung des IGRA für die Risikobewertung einer LTBI bei Menschen, die mit HIV leben, und gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass der IGRA aufgrund des HIV-bedingten Immundefektes Einschränkungen hinsichtlich seiner Sensitivität und Spezifität aufweisen kann [304] [305].
Aufgrund der aktuellen Datenlage schließt sich die Leitliniengruppe den Empfehlungen der British HIV Association für ein differenziertes Vorgehen bei Screening und präventiver Therapie für PLHW unter Beachtung zusätzlicher Risikofaktoren für eine Tuberkulose-Progression an [166].
In Deutschland, Österreich und der Schweiz sollen PLWH zumindest einmal auf eine LTBI getestet und ggf. präventiv behandelt werden, wenn sie die folgenden Kriterien erfüllen:
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Herkunft aus Ländern mit hoher und mittlerer TB-Inzidenz (nach NICE-Guidelines: hohe TB-Inzidenz > 150/100.000, mittlere TB-Inzidenz 40–150/100.000) anlässlich der Erstdiagnose der HIV-Infektion oder des Erstkontakts mit dem Gesundheitssystem,
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PLWH, die > 2 Jahre mit einer ART versorgt wurden und eine gute Immunrekonstitution haben (≥ 400 CD+-Zellen/μl), können von dieser Empfehlung ausgenommen werden [301] [302], sofern keine anderen Risikofaktoren für eine Prävention sprechen (siehe Kapitel Überlegungen vor Einleitung einer präventiven Therapie),
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Herkunft aus Ländern mit niedriger Tuberkulose-Inzidenz, nur wenn zusätzliche Risikofaktoren für eine Progression zur Tuberkulose vorliegen (siehe Kapitel Überlegungen vor Einleitung einer präventiven Therapie). Zu diesen gehört auch eine ART Versorgung < 2 Jahren und/oder eine schlechte Immunrekonstitution (≤ 400 CD+-Zellen/μl).
Anlassbezogen sollen PLWH, analog zu HIV-negativen Personen, – ggf. auch wiederholt – bei Schwangerschaft oder TB-Kontakt mit relevantem Risiko auf LTBI getestet und ggf. präventiv behandelt werden.
Patienten und Patientinnen vor Beginn einer Therapie mit TNFi und ggf. mit anderen Biologika und JAK-Inhibitoren
sollen auf eine LTBI getestet und bei positivem Testergebnis präventiv behandelt werden [69]
[72]. Während das erhöhte Erkrankungsrisiko unter TNFi-Therapie gut untersucht ist, ist die Datenlage für andere Biologika (bDMARDs) und Januskinase-(JAK)-Inhibitoren (tsDMARDs) bislang unzureichend. In vielen Studien zu neueren Biologika wurden allerdings Patientinnen und Patienten mit einer LTBI ausgeschlossen oder präventiv behandelt, sodass keine sichere Aussage zum „realen“ Progressionsrisiko möglich ist. Bis zum Vorliegen valider Daten sollte deshalb wie vor einer Behandlung mit TNFi vorgegangen werden [69]. Nichtsdestotrotz erscheint das Risiko für nicht-TNF-alpha-Antagonisten geringer zu sein. Insbesondere für CD-20-B-Zell-depletierende Therapien wie Rituximab scheint kein erhöhtes Risiko zu bestehen, sodass hier ein Screening vor Gabe nicht vorgeschrieben ist [306]
[307]
[308]. Auch ist zu bedenken, dass sowohl durch die Grunderkrankung selbst als auch durch eine immunsupprimierende Therapie mit z. B. hochdosierten Glukokortikoiden das relative Risiko für eine Tuberkulosereaktivierung erhöht sein kann [76]
[309]. Bei anderen klassischen csDMARDs, ebenso wie auch hochdosierten Glukokortikoiden, kann sich aufgrund der vorliegenden Daten und kleinen Fallzahlen aber nicht für ein generelles Screening ausgesprochen werden. Hier sind auch andere Risikofaktoren für das Vorliegen einer LTBI, für eine Neuinfektion oder eine Progression zu berücksichtigen (siehe Kapitel Überlegungen vor Einleitung einer präventiven Therapie). Da unter dem Begriff „Biologika“ bzw. DMARDs eine Vielzahl von Substanzen zusammengefasst werden und eine rasche Entwicklung neuer Substanzen zu beobachten ist, verweisen wir an dieser Stelle auch auf die aktuellen Fachinformationen der Einzelsubstanzen.
Zu beachten ist, dass sowohl durch die Grunderkrankung als auch durch eine Vorbehandlung mit Glukokortikoiden, csDMARDs oder anderen Biologika die Sensitivität der immunologischen Tests, insbesondere des THT, abnimmt und diese falsch negativ ausfallen können [310] [311]. In Deutschland ist daher primär ein IGRA empfohlen [72]. Darüber hinaus sollte zum Ausschluss einer Tuberkulose vor Beginn einer immunsuppressiven Therapie insb. bei einer geplanten Therapie mit TNFi immer eine klinische Untersuchung mit besonderer Berücksichtigung der tuberkulosespezifischen Anamnese und eine Thorax-Röntgen-Untersuchung durchgeführt werden [72] [312].
In Niedriginzidenzländern gibt es keine Daten, die eine serielle IGRA-Testung unter einer immunsuppressiven Therapie unterstützen. Eine erneute Testung soll aber bei Personen erfolgen, die nach einem Screening Kontakt zu Patientinnen oder Patienten mit einer ansteckungsfähigen Lungentuberkulose hatten. Wurde wegen einer LTBI eine präventive Therapie durchgeführt, muss bei unveränderter Risikokonstellation vor Einstellung auf ein zweites Biologikum i. d. R. keine erneute präventive Therapie erfolgen [69].
Im Falle einer Kontraindikation gegen eine präventive Therapie soll unter Risiko-Nutzen-Abwägung und im Einverständnis mit der oder dem Betroffenen auf ein Biologikum mit einem niedrigeren Risiko einer LTBI-Aktivierung zurückgegriffen oder gegebenenfalls auf die Gabe der immunmodulatorischen Substanz verzichtet werden.
Auch ist unklar, ab wann frühestens eine immunsupprimierende Therapie nach dem Nachweis einer LTBI und begonnener Chemoprävention begonnen (oder fortgesetzt) werden kann. In der Literatur wird der Beginn einer immunsuppressiven Therapie nach mindestens 4–8 Wochen einer präventiven Therapie als sicher angesehen. Es sollte trotz alledem engmaschig auf das Auftreten von tuberkulosetypischen Symptomen geachtet werden [77].
Personen mit hämatologischen Grunderkrankungen haben im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung ein 2–40-fach höheres Risiko für die Progression einer LTBI zu einer Tuberkulose [313]. Das Risiko ergibt sich aus der eingeschränkten Immunabwehr, bedingt durch die hämatologische Systemerkrankung, und zusätzlich durch die immunsuppressive Therapie [314]. Empfänger hämatopoetischer Stammzellen entwickeln in Hochinzidenz-Ländern in 1–4 % der Fälle eine Tuberkulose, während das Risiko in Gegenden mit niedriger Inzidenz gegen Null geht [315] [316] [317] [318] [319] [320]. Entsprechend gilt es auch hier, die Tuberkulosesituation im Herkunftsland bei der Risikoevaluation einzubeziehen.
Das Risiko Organ-transplantierter Personen, an einer Tuberkulose zu erkranken, ist in den ersten 9 Monaten nach Transplantation am größten [321] [322]. Bei bestimmten Organimplantaten, inklusive Lebertransplantaten, ist eine präventive Therapie vor der Transplantation wegen der Gefahr eines akuten Leberversagens nicht möglich. Die präventive Therapie soll in solchen Fällen nach der Transplantation erfolgen.
Menschen, die aus TB-Hochprävalenzländern stammen, haben insbesondere in den ersten 2–5 Jahren nach der Zuwanderung ein erhöhtes Risiko, eine im Heimatland oder während der Migration erworbene LTBI zu reaktivieren [323] [324] [325]. Dies spiegelt auch die epidemiologische Situation in Deutschland wider: Bei Menschen mit nicht-deutscher Staatsangehörigkeit zeigt sich, insbesondere bei jüngeren Erwachsenen, eine vielfach höhere Tuberkuloseinzidenz [147]. Die präventiven Anstrengungen sollten daher gerade in dieser vulnerablen Risikogruppe verstärkt werden [326].
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8.6 Empfehlungen für Personengruppen mit besonderen Begleitumständen
Im Folgenden sind Personengruppen aufgeführt, für die im Falle einer LTBI ein unterschiedlich hohes, aber grundsätzlich relevantes Progressionsrisiko beschrieben ist. Es gilt daher auch für sie, strenggenommen, eine „Sollte“, oder zumindest eine „Kann“-Empfehlung für die Durchführung einer präventiven Therapie. Erfahrungsgemäß sind jedoch die im Kapitel Überlegungen vor Einleitung einer präventiven Therapie aufgeführten Kriterien bzw. Voraussetzungen, welche hier besonders sorgfältig zu prüfen sind, häufig nicht erfüllt.
Bei Dialysepatienten liegen häufig weitere Grunderkrankungen neben der Niereninsuffizienz vor. Hier ist die Indikation zur präventiven Therapie sorgfältig unter Einbeziehung aller in die ärztliche Betreuung involvierten Fachdisziplinen zu stellen [313] [327].
Bei Personen mit i. v. Drogenabhängigkeit (IVDU) ist die präventive Therapie in Verbindung mit der regelmäßigen Methadonausgabe sinnvoll, um die notwendige Therapieadhärenz zu gewährleisten [328].
Bei obdachlosen Personen und Menschen, die in Justizvollzugsanstalten untergebracht sind, werden weltweit Tuberkulosefallfindungsraten beobachtet, die deutlich höher ausfallen als in der Allgemeinbevölkerung [329] [330] [331]. Die logistischen Voraussetzungen für die erfolgreiche Durchführung einer präventiven Therapie sind vor allem im Vollzugssetting (zumindest bei ausreichend langer Aufenthaltsdauer) gegeben.
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8.7 Präventive Therapie
8.7.1 Präventive Therapieregime (Chemoprävention)
Es stehen vier unterschiedliche Regime zur Behandlung einer LTBI zur Auswahl, von denen keines im Vergleich zu den anderen hinsichtlich seiner Wirksamkeit eindeutig überlegen ist. Eine Zusammenstellung der verschiedenen Therapiemöglichkeiten zur präventiven Therapie bei Erwachsenen unter Berücksichtigung des Evidenzlevels findet sich in [Tab. 12].
Wirkstoff |
Evidenzlevel |
Dosierung (bei täglicher Gabe) |
Dosierung (bei wöchentlicher Gabe) |
Therapiedauer |
INH Mono [333] |
A |
5 mg/kg KG, max. 300 mg |
9 Monate |
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RMP Mono [291] |
A |
10 mg/kg KG, max. 600 mg |
4 Monate |
|
INH und RMP [291] |
A |
analog zur jeweiligen Monotherapie |
3 Monate |
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B (Studiendaten bisher nur für überwachte Gabe/DOT) |
Isoniazid 900 mg plus Rifapentin 900 mg |
12 Wochen |
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A |
Rifapentin 600 mg plus INH 300 mg |
4 Wochen |
1 in Deutschland zum Zeitpunkt der Publikation der Leitlinie noch nicht zugelassen und daher für Deutschland zurzeit nicht empfohlen.
Die höchste Evidenz hinsichtlich der Wirksamkeit der präventiven Therapie liegt mit randomisierten Studien für Therapieschemata mit 12 Monaten INH oder drei Monaten RMP plus INH vor [332]. Die größten Erfahrungen liegen mit einer INH-Monotherapie vor. Da es hier keine direkten Vergleichsstudien (6 vs. 9 vs. 12 Monate) gibt, basiert die Äquivalenzprüfung dieser Behandlungsdauern auf einer Re-Analyse früher Daten aus den 1950er- und 60er-Jahren, die eine Therapiedauer von neun Monaten für eine optimale Protektion favorisiert [333], wie sie auch in Deutschland sowie in Österreich und der Schweiz empfohlen wird.
Die Kombination von INH und RMP täglich über 3 Monate, eine RMP-Monotherapie über 4 Monate wie auch die einmal wöchentliche Gabe von Rifapentin (in Deutschland bisher nicht zugelassen) in Kombination mit INH in erhöhter Dosierung über drei Monate zeigten in Metaanalysen randomisierter Studien im Vergleich zur mindestens sechsmonatigen täglichen Gabe von INH keine Unterlegenheit hinsichtlich der Wirksamkeit bei ähnlicher oder geringerer Häufigkeit und Schwere einer Hepatotoxizität [334] [335] [336]. Die Komplettierungsrate wird bei den kürzeren Therapieschemata als besser beschrieben [337] [338], daher werden sie, übereinstimmend mit den Empfehlungen der WHO, von der Leitliniengruppe favorisiert [291].
Zur Behandlung der LTBI gilt eine Mono- bzw. Zweifachtherapie als ausreichend sicher hinsichtlich ihrer Wirksamkeit und der möglichen Gefahr der Resistenzinduktion (Ausnahme: angenommene Infektion durch INH- bzw. RMP-resistente Erreger) [339]. Das liegt daran, dass im Gegensatz zur Tuberkulose die Keimpopulationen bei LTBI wahrscheinlich sehr klein sind. Diese Annahme basiert auf den Ergebnissen tierexperimenteller Studien [340].
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8.7.2 Chemoprophylaxe
Empfehlung 105 |
Neu, Stand 2022 |
Im Erwachsenenalter sollte nur besonders vulnerablen (hochgradig immungeschwächten) engen Kontaktpersonen eine Chemoprophylaxe angeboten werden.[1] |
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Konsensstärke: Konsens (17/18) |
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Empfehlungsstärke: + |
1 In der Schweiz ist die Chemoprophylaxe nur bei Kindern empfohlen.
Ziel einer Chemoprophylaxe ist es, eine Infektion zu verhindern bzw. zeitnah eine bereits bestehende, aber noch nicht nachweisbare Infektion effektiv zu behandeln (siehe Kapitel Begriffsdefinitionen zur LTBI).
Für Kinder unter 5 Jahren besteht ein hohes Risiko, sehr zeitnah nach einer Infektion mit Tuberkulosebakterien und oft auch schwer an Tuberkulose zu erkranken. Daher soll nach einem relevanten Kontakt zu ansteckender Tuberkulose immer eine Prophylaxe erfolgen. Für weitere Details verweisen wir auf die Leitlinie Tuberkulose im Kindes- und Jugendalter [89].
Im Erwachsenenalter kann eine Chemoprophylaxe im Einzelfall indiziert sein, wenn besonders vulnerable Personen, wie hochgradig Immungeschwächte (bspw. unbehandelte HIV-Infizierte, iatrogen schwer Immunsupprimierte), exponiert waren [15]. Die Chemoprophylaxe sollte (nach Ausschluss einer Tuberkulose) zeitnah nach dem Kontakt zu einer an ansteckender Lungentuberkulose erkrankten Person begonnen werden. Sie erfolgt beim Erwachsenen mit INH 300 mg/d, sofern beim Indexfall keine Resistenz gegenüber INH bekannt ist. Über die Wirksamkeit anderer Chemoprophylaxe-Regime liegen keine Erkenntnisse vor.
Frühestens acht Wochen nach dem letzten Kontakt soll die chemoprophylaktisch behandelte Person erneut auf eine LTBI getestet werden (IGRA) [341]. Ob die Chemoprophylaxe bei negativem Kontrolltestergebnis beendet werden kann, soll nach individueller Risikoabwägung entschieden werden. Bei positivem IGRA wird die Chemoprophylaxe nach Ausschluss einer Organtuberkulose als präventive Therapie fortgesetzt.
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8.7.3 Präventive Therapie bei Kontaktpersonen von infektiöser multiresistenter Lungentuberkulose
Nach individueller Risiko-Nutzen-Abwägung sollte Kontaktpersonen von ansteckenden MDR-TB-Erkrankten bei Diagnose einer LTBI eine präventive Therapie angeboten werden. In der Empfehlung von 2017 war bisher nur eine alleinige Beobachtung (watch-and-wait) vorgesehen. Die Änderung der Empfehlung begründet sich in der zwar noch geringen, aber doch verbesserten Studienlage sowie der verstärkten präventiven Schwerpunktsetzung in der Tuberkulosekontrolle [56] [291].
Die Zusammenstellung der präventiven Therapie sollte sich nach dem Resistenzprofil der Indexperson richten und in Konsultation mit einem spezialisierten TB-Behandlungszentrum erfolgen [342] [343]. Bei nachgewiesener Empfindlichkeit des Erregers sollte eine Behandlung mit einem Fluorchinolon (Levofloxacin oder Moxifloxacin) als Mono-Therapie oder in Kombination mit einem anderen wirksamen Medikament erfolgen. Aufgrund einer höheren Therapieabbruchrate wegen unerwünschter Arzneimittelwirkungen sollte Pyrazinamid nicht verwendet werden [344], zudem ist die PZA-Resistenzrate bei MDR-TB in Deutschland hoch [27]. Die empfohlene Dauer einer präventiven Therapie bei Infektion mit multiresistentem Tuberkuloseerreger wird aktuell mit 6–12 Monaten angegeben [56] [345].
Auch im Fall einer Chemoprävention empfiehlt die Leitliniengruppe, ebenso wie bei einer alleinigen Watch-and-wait-Strategie, eine Aufklärung über mögliche Symptome einer Tuberkulose und eine längere Nachbeobachtung (klinisch und ggf. radiologisch, z. B. vierteljährlich über mindestens 2 Jahre).
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8.7.4 LTBI und präventive Therapie bei Kindern und Schwangeren
Kinder
Zum Vorgehen einer präventiven Therapie im Kindesalter (Chemoprophylaxe und präventive Therapie) wird auf die geltende Leitlinie Tuberkulose im Kindes- und Jugendalter verwiesen [89].
Schwangere
Eine Tuberkulose in der Schwangerschaft ist in Deutschland ein seltenes Ereignis, kann jedoch schwerwiegende Folgen nicht nur für die Mutter, sondern auch für das Un- bzw. Neugeborene haben [346]. Im Fall einer LTBI in der Schwangerschaft sollte daher eine Progression nach Möglichkeit verhindert werden.
Internationale Leitlinien zur TB-Prävention berücksichtigen den Aspekt der Schwangerschaft nur im begrenzten Maße [327] [347] [348]. Übereinstimmend mit den Empfehlungen der Centers for Disease Control and Prevention (CDC) empfiehlt die Leitliniengruppe, auch Schwangere nur auf eine latente tuberkulöse Infektion zu testen, wenn spezifische Risikofaktoren für das Vorliegen einer LTBI oder ein hohes Progressionsrisiko bestehen [349] [350]. Von einem hohen Progressionsrisiko ist auszugehen (i) bei kürzlich zurückliegender Infektion nach Kontakt zu einer Person mit einer ansteckenden Lungentuberkulose sowie (ii) bei Immunsuppression, insbesondere HIV-Infektion [351] [352]. Die aktuellen Deutsch-Österreichischen Leitlinien zur HIV-Therapie in der Schwangerschaft empfehlen daher bei HIV-positiven Schwangeren mit anzunehmendem Risiko für eine LTBI eine immunologische Testung mittels IGRA [353].
Bei einem positiven Testergebnis besteht auch bei Schwangeren die Indikation für eine Thorax-Röntgen-Untersuchung zum Ausschluss einer pulmonalen Tuberkulose und ggf. eine weiterführende Diagnostik zum Ausschluss einer extrapulmonalen Tuberkulose [3]. Generell soll in der Schwangerschaft die Indikation zur präventiven Therapie besonders sorgfältig gestellt werden. Sie kann mit jedem der präventiven Therapieregime erfolgen, die auch für nicht-schwangere Personen empfohlen werden, mit Ausnahme von INH und Rifapentin aufgrund der unzureichenden Datenlage für Schwangere [349] [350].
Nach den Empfehlungen der CDC soll bei einem hohen Progressionsrisiko (siehe Kapitel Überlegungen vor Einleitung einer präventiven Therapie) eine präventive Therapie zeitnah begonnen werden. Für latent infizierte Schwangere ohne die genannten Risikofaktoren halten die CDC die Verschiebung der präventiven Therapie auf einen Zeitpunkt 2–3 Monate post partum unter entsprechender Aufklärung und Beobachtung der Schwangeren für vertretbar.
Die Leitliniengruppe schließt sich dieser Haltung prinzipiell an. Sie hält es jedoch für vertretbar, mit der präventiven Behandlung ab dem 2. Trimenon zu beginnen. Sie empfiehlt zudem im Fall einer erst postpartalen präventiven Therapie, diese direkt im Anschluss an die Entbindung zu beginnen, da es für eine erhöhte INH-Hepatotoxizität während oder im Anschluss an die Schwangerschaft keine hinreichende Evidenz gibt [88] [354]. Im Fall einer infektionsrelevanten Exposition gegenüber einer infektiösen MDR-TB soll in der Schwangerschaft keine präventive Behandlung, sondern ein engmaschiger Watch-and-wait-Ansatz verfolgt werden und ggf. eine präventive Therapie nach Entbindung eingeleitet werden.
Für Schwangere und stillende Frauen, die Isoniazid erhalten, wird zur Prävention einer peripheren Neuropathie eine Komedikation mit Pyridoxin (Vitamin B6), i. d. R. 60 mg/Tag, empfohlen. Unabhängig davon soll auch beim Neugeborenen eine Pyridoxin-Supplementierung für die Dauer der präventiven Therapie der Mutter erfolgen [89]. Bei Gabe von Rifampicin kann es zu einer (harmlosen) Orangefärbung der Muttermilch kommen.
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8.7.5 LTBI und präventive Therapie bei beruflich exponierten Beschäftigten im Gesundheitswesen
Beschäftigte im Gesundheitswesen haben im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung ein erhöhtes Risiko für Tuberkulose [355]. Jedoch sind nicht alle gleichermaßen gegenüber Tuberkulosebakterien exponiert. Ein erhöhtes Risiko besteht nur bei bestimmten Tätigkeiten oder in bestimmten Bereichen, z. B. Tuberkulose- und Infektionsstationen, Notaufnahmen, Geriatrie, Bronchoskopie-Einheiten, sowie bei Kontakt zu Risikogruppen [356]. Ein generelles LTBI-Screening aller im Gesundheitswesen Beschäftigten wird daher nicht als sinnvoll erachtet. In der Verordnung zur Arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV [357]) ist eine regelmäßige Vorsorge (Pflichtvorsorge) nur bei Beschäftigten in der Pneumologie, im Labor oder Forschungseinrichtungen mit regelmäßigem Kontakt zu Tuberkulosepatienten, infizierten Proben oder Tieren sowie kontaminierten Gegenständen oder Materialien oder infektiösen Proben vorgesehen.
Bei allen anderen Beschäftigten muss der Arbeitgeber lediglich nach Kontakt zu einem Tuberkulosepatienten oder infektiösen Materialien eine Vorsorge anbieten (Angebotsvorsorge, ArbMedVV Anhang Teil 2 Abs. 2 Nr. 2 a). Die arbeitsmedizinische Vorsorge kann in diesem Fall eine Umgebungsuntersuchung durch das Gesundheitsamt nach dem IfSG ersetzen. Betriebsmedizin und Gesundheitsamt sollten sich zum Vorgehen absprechen.
Seit der ArbMedVV-Novellierung im Jahr 2013 wird sowohl bei der Pflicht- als auch bei der Angebotsvorsorge zwischen Beratung und Untersuchung unterschieden. Nach entsprechender Beratung kann der oder die Beschäftigte eine Untersuchung mit IGRA (oder Röntgen) auch ablehnen. Das erscheint insbesondere dann sinnvoll, wenn bereits ein positiver IGRA bekannt und eine Testwiederholung wenig aussagekräftig ist.
Die Prävalenz positiver THT bzw. IGRA beträgt bei Untersuchungen nach der ArbMedVV rund 20 % bzw. 10 % [358] und ist etwa viermal so hoch wie bei altersgleichen nicht exponierten Kontrollpersonen [359]. Die Reversionsrate (aktuell negativer Test nach vorherigem positiven Test) nach einem positiven IGRA beträgt bei Beschäftigten im Gesundheitswesen etwa 37 % [360], die klinische Bedeutung einer Reversion ist noch unklar. Die Prävalenz positiver IGRAs ist bei Beschäftigten im deutschen Gesundheitswesen altersabhängig, bei bis zu 25-Jährigen liegt sie unter 2 % und bei über 50-Jährigen über 20 % [360]. Ein positiver IGRA kann bei älteren Beschäftigten möglicherweise auf eine bereits länger bestehende Infektion zurückzuführen sein. Das beobachtete Progressionsrisiko liegt bei Beschäftigten im Gesundheitswesen innerhalb von 2 Jahren nach einem positiven IGRA bei 0–1 % [360] [361]. Die Indikation für eine präventive Chemotherapie sollte daher hier im Einzelfall nach sorgfältiger Risiko-Nutzen-Abwägung gestellt werden.
Die Kosten für ein pneumologisches Konsil und eine evtl. indizierte Chemoprävention können von den Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung im Rahmen eines Berufskrankheitsverfahrens übernommen werden. Bei Tätigkeiten außerhalb des Gesundheitsdienstes, der Wohlfahrt oder von Laboren, die von der Berufskrankheitenverordnung nicht berücksichtigt sind, können auch Leistungen im Rahmen eines Arbeitsunfalles erbracht werden.
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8.8 Unerwünschte Arzneimittelwirkungen
Analog zur Therapie der Tuberkulose müssen auch chemoprophylaktisch und präventiv behandelte Personen hinsichtlich unerwünschter Arzneimittelwirkungen (UAW) insbesondere auf eine Hepatotoxizität aufgeklärt und kontrolliert werden (zu den spezifischen unerwünschten Arzneimittelwirkungen von INH und RMP bzw. Rifapentin (siehe Kapitel Medikamente zur Behandlung der Tuberkulose).
Die weltweit bisher größte prospektive Studie des US Public Health Service (USPHS) dokumentierte eine Häufigkeit schwerwiegender hepatischer UAW bei mit 300 mg INH täglich über 12 Monate präventiv behandelten Personen von 1,7 % [362]. Hinsichtlich des Hepatitis-Risikos ist eine Altersabhängigkeit sowie ein erhöhtes Risiko bei Personen mit vorgeschädigter Leber (z. B. bei Alkoholkrankheit) vorhanden, wobei nicht sicher unterschieden werden kann, ob beide Faktoren koinzident sind [362]. Für eine altersabhängige Hepatotoxizität liegt für RMP keine Evidenz vor. Unter einer RMP-Monotherapie treten schwerwiegende hepatische UAW mit 1–2 % auf. Die Abbruchrate einer präventiven Therapie mit RMP aufgrund von UAW liegt bei 1–4 % [363] [364] [365]. Die Monotherapie mit RMP hat bei vorwiegend HIV-negativen Personen gegenüber einer neunmonatigen INH-Gabe zu einer geringeren Hepatotoxizität und besseren Akzeptanz geführt [363] [364]. In der gleichen Größenordnung traten UAW bei chemopräventiver Therapie mit RMP in Kombination mit INH auf [366].
8.8.1 Kontrolluntersuchungen und Dauer der protektiven Wirkung nach Abschluss einer präventiven Chemotherapie
Empfehlung 109 |
Neu, Stand 2022 |
Nach dem Abschluss einer präventiven Therapie sollte in Abhängigkeit von der Therapieindikation eine Thorax-Röntgen-Untersuchung erfolgen[1]. |
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Konsensstärke: starker Konsens (15/15) |
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Empfehlungsstärke: + |
1 In der Schweiz gibt es davon teilweise abweichende Empfehlungen.
Auch bei regelmäßiger Medikamenteneinnahme wird eine weitere Röntgenuntersuchung des Thorax nach Therapieabschluss empfohlen, um eine mögliche Progredienz (z. B. bei Versagen der präventiven Therapie aufgrund einer unbekannten INH-Resistenz oder bei mangelnder Therapieadhärenz) zu einer Tuberkulose auszuschließen. Eine erneute Testung auf LTBI soll nicht stattfinden.
Bei Zweifeln hinsichtlich der Therapieadhärenz oder falls sich gegen eine präventive Therapie entschieden wurde, wird empfohlen, den Verlauf durch eine weitere Thorax-Röntgen-Untersuchung nach einem Jahr erneut zu kontrollieren [15] [367]. Präventiv behandelte Personen sind über das verbleibende geringe Restrisiko einer Erkrankung an Tuberkulose und über die Möglichkeit einer Reinfektion aufzuklären (siehe Kapitel Überlegungen vor Einleitung einer präventiven Therapie).
Basierend auf der bisherigen Datenlage kann bei HIV-negativen Personen von einer langdauernden Protektion (> 5 Jahre bis 19 Jahre) ausgegangen werden [368] [369] [370]. Bei Menschen, die mit HIV leben, ist der Langzeitschutz bei fortbestehendem Immundefekt jedoch unzureichend, sofern es nicht unter antiretroviraler Therapie (ART) zu einer Rekonstitution des Immunsystems kommt [299] [371]. Wie häufig Reinfektionen nach durchgeführter präventiver Therapie vorkommen, ist bisher nicht hinreichend untersucht und vermutlich in hohem Maße abhängig von der TB-Prävalenz im Lebensumfeld.
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8.9 Erneute Exposition nach präventiver Therapie
Eine durchgemachte Tuberkulose schützt nicht vor einer exogenen Neuinfektion und einer erneuten Erkrankung. Daher ist anzunehmen, dass es auch nach einer früheren LTBI, unabhängig davon, ob diese empfehlungsgerecht präventiv behandelt wurde, zu einer erneuten Infektion mit einem entsprechenden Progressionsrisiko kommen kann. Ein positiver IGRA ist in diesen Fällen in seiner Aussagekraft eingeschränkt, da sich keine Hinweise auf den Zeitpunkt der Infektion daraus ableiten lassen, ein negativer Test macht das Vorliegen einer frisch erworbenen Infektion jedoch unwahrscheinlich [372]. Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es keine Evidenz für eine erneute präventive Therapie nach Reexposition. Trotzdem sollte in diesem Fall individuell eine erneute präventive Therapie (bzw. Chemoprophylaxe) bei Personen mit besonderem Risiko (z. B. Immunschwäche) angeboten werden.
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9 Medikamente zur Behandlung der Tuberkulose
9.1 Einleitung und Begriffsdefinition
Die niedrigste Konzentration einer Prüfsubstanz im Kulturmedium, bei der das Wachstum von Tuberkulosebakterien Resistenz gegen das entsprechende Chemotherapeutikum anzeigt [32].
Konzentration oder die Konzentrationen eines TB-Medikamentes, definiert durch eine MHK oberhalb der kritischen Konzentration. Diese Konzentration oder Konzentrationen werden abgeleitet durch Korrelation der verfügbaren klinischen Daten zum Behandlungsergebnis, der MHK-Verteilungen, genetischen Markern und PK/PD Daten einschließlich der Medikamentendosierung. Eine Dosiserhöhung bis zur maximal verträglichen Dosis kann nach Abwägung der Risiken bei TB-Stämmen erfolgen, die bei der kritischen Konzentration resistent sind. Der Klinische Breakpoint ist die MHK-Obergrenze. Für TB-Stämme mit höheren MHK-Werten wird eine Therapie mit höheren Dosen nicht empfohlen. Der klinische Breakpoint dient zur Orientierung bei individuellen klinischen Therapieentscheidungen. Er soll nicht für die Surveillance der Resistenzsituation verwendet werden.
Die niedrigste Konzentration eines Antibiotikums, die noch in der Lage ist, das Wachstum der Bakterien vollständig zu hemmen.
Die Pharmakokinetik beschreibt die Konzentrationsveränderungen von Arzneistoffen im Organismus in Abhängigkeit von der Zeit. Als Resorption bezeichnet man die Aufnahme des Stoffes in den Organismus, unter Verteilung versteht man den Stofftransport vom Blut in die Gewebe. Das Pharmakon kann im Plasma und im Gewebe gebunden oder gespeichert werden. Schließlich kommt es durch Biotransformation und Exkretion, zusammen als Elimination bezeichnet, zur Konzentrationsabnahme des Wirkstoffes.
Unter dem Begriff Pharmakodynamik werden die Wirkungen von Arzneistoffen und ihre Wirkungsmechanismen zusammengefasst. Die Stoffe können sowohl auf den menschlichen Organismus als auch auf Krankheitserreger wirken.
Die pharmakologischen Indizes T > MHK, Cmax > MHK, AUC0–24/MHK werden angewandt, um den Therapieerfolg mit einer antimikrobiell wirksamen Substanz abzuschätzen. Sie stellen jeweils eine Kombination aus einem pharmakokinetischen Parameter und der minimalen Hemmkonzentration dar. Die Zuordnung eines Index zu einem Wirkstoff ist nicht immer eindeutig, da es Mischformen gibt und die Datenbasis für die einzelnen Wirkstoffe sehr unterschiedlich ist.
Viele der in der Therapie der Tuberkulose verwendeten Arzneimittel unterliegen im Kindesalter nicht nur besonderen Anforderungen an Dosierung und Zubereitung, sondern sind aufgrund altersabhängiger unerwünschter Arzneimittelwirkungen oder fehlender Studien für bestimmte Altersgruppen oder alle Kinder und Jugendlichen nicht zugelassen. Die Indikation für eine „Off-label“-Verordnung muss individuell geprüft werden. Die betroffenen Familien sollen hierüber sowie über unerwünschte Arzneimittelwirkungen und ggf. über mögliche Alternativen aufgeklärt werden. Eine Einwilligung muss schriftlich dokumentiert werden.
Als QT-Zeit bezeichnet man das Intervall im Elektrokardiogramm (EKG) vom Beginn der Q- bis zum Ende der T-Welle, das die Erregungsausbreitung und -rückbildung der Ventrikel darstellt. Da die Länge des Zeitintervalls von der Herzfrequenz abhängig ist, wird die QT-Zeit auf die Herzfrequenz korrigiert angegeben (QTc). Hierzu existieren verschiedene Formeln. Zur Einschätzung von unerwünschten Arzneimittelwirkungen wird i. d. R. die Formel nach Fredericia (QTcF) verwendet. Es sollte das jeweils längste Intervall aller beurteilbaren Ableitungen dokumentiert werden. Eine verlängerte QT-Zeit wird mit Torsades de Pointes (TdP) und malignen Herzrhythmusstörungen in Verbindung gebracht. Kontraindikationen für die Gabe von QT-Zeit-verlängernden Medikamenten, wie bspw. das Long-QT-Syndrom, müssen streng beachtet werden.
Als QT-Zeit-Verlängerung gilt eine korrigierte QT-Zeit über 450 ms (Männer) bzw. 470 ms (Frauen) oder eine QT-Zeit-Verlängerung von über 60 ms gegenüber dem Ausgangswert. Diese sollte eine Überprüfung der gesamten Medikation und den Ausgleich möglicher Elektrolytstörungen zur Folge haben. Bei einer QTc- Zeit über 500 ms sollten alle QT-Zeit-verlängernden Medikamente sofort beendet werden. Die Indikation zur stationären telemetrischen Überwachung sollte v. a. bei Synkopen oder instabilen EKG-Veränderungen durch einen Kardiologen geprüft werden [373].
Arzneimittel zur Behandlung der TB, die die QT-Zeit verlängern, sind bspw. Moxifloxacin, Levofloxacin, Clofazimin, Bedaquilin, Delamanid und Pretomanid. Es existieren einige Daten, die die Sicherheit des Einsatzes dieser Medikamente auch in Kombination belegen [38] [57] [374] [375]. Der plötzliche Herztod ist dabei ein sehr seltenes, aber mögliches Ereignis. Die Abwägung von Risiko und Nutzen fällt insbesondere bei fehlenden Therapiealternativen in der Behandlung resistenter Tuberkulosestämme häufig zugunsten der Kombination mehrerer Arzneimittel mit Potential zur QT-Zeit-Verlängerung aus und sollte durch ein engmaschiges Monitoring begleitet werden.
Wenn Arzneimittel mit Potenzial zur QT-Zeit-Verlängerung verwendet werden, sollten zu Beginn der Therapie, nach 2 und 4 Wochen und anschließend mindestens monatlich EKG-Kontrollen erfolgen [64]. Da das Risiko von QT-Zeit-Verlängerungen bei Kombination dieser Medikamente steigt, sollte in dem Fall ein kürzeres, z. B. wöchentliches Intervall für die EKG-Kontrollen gewählt werden. Es existieren keine validierten Daten zur Festlegung von EKG-Kontrollintervallen, daher müssen diese unter Beachtung von Risikofaktoren (z. B. verlängerte QT-Zeit vor Therapie, Elektrolytstörungen, Risiken für ventrikuläre Arrhythmien) individuell festgelegt werden.
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9.2 Alphabetische Liste der Medikamente zur Tuberkulosetherapie[6]
9.2.1 Amikacin (Am)
Antibiotikum, bakterizid, gehört zur Gruppe der Aminoglykoside. Medikament der Nicht-Standardtherapie, WHO (2020): Gruppe C.
Amikacin sollte zur Behandlung der MDR- und XDR-Tuberkulose eingesetzt werden, wenn eine ausreichende Kombinationstherapie allein aus den Medikamentengruppen A und B nicht zusammengestellt werden kann. Amikacin sollte nur bei nachgewiesener Empfindlichkeit und unter engmaschiger Kontrolle potentieller Nebenwirkungen eingesetzt werden [376]. Voraussetzung sind regelmäßige Audiometrieuntersuchungen, bei denen auch die aktive Mitarbeit von Patientenseite möglich sein muss.
Dosierempfehlungen (Leitlinie): Erwachsene: gewichtsadaptiert 15 mg/kg in 1 ED, Maximaldosis 1 × 1000 mg (i. v. oder i. m.).
Kritische Konzentration: in MGIT 1,0 mg/l, auf LJ-Festmedium 30 mg/l [37].
Resistenz-assoziierte Gene/DNA-Abschnitte: wichtigstes Resistenz-vermittelndes Gen ist rrs. Kreuzresistenzen zwischen den Aminoglykosiden sind beschrieben.
Relevante Aspekte der Pharmakokinetik: Aminoglykoside sind hydrophile Stoffe und haben ein kleines Verteilungsvolumen, das ungefähr dem Extrazellulärraum entspricht. Die erreichbaren Gewebekonzentrationen sind relativ niedrig, ausreichende ZNS-Konzentrationen werden nur bei entzündeten Meningen erreicht. Elimination: Die Elimination findet als unveränderte Substanz überwiegend renal statt, wo sie das 25–100-Fache der Serumkonzentration erreichen können.
Schwangerschaft und Stillzeit: Kontraindiziert in Schwangerschaft, Stillen nach Risikoeinschätzung (siehe Kapitel Therapie medikamentenresistenter TB in der Schwangerschaft).
Kontraindikationen (siehe Fachinformation) [6]: Myasthenia gravis. Vorbestehende schwere Nierenfunktionseinschränkung. Vorbestehende Innenohrschädigung. Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder sonstige Bestandteile.
Wichtige unerwünschte Arzneimittelwirkungen (Fachinformation) [6] : Alle Aminoglykoside haben ein oto-, nephro und neurotoxisches Potenzial. Nierenfunktionseinschränkung durch eine diffuse tubuläre Schädigung möglich. Eine Anpassung der Dosis bei reduzierte Nierenfunktion ist notwendig. Vor Beginn und unter Therapie mit Amikacin ist eine regelmäßige, objektive Überprüfung des Hörvermögens durch eine Audiometrie sowie des Gleichgewichts notwendig. Bei klinischen Beschwerden (Tinnitus, Hörverlust, evtl. Schwindel) sollte die Therapie sofort unterbrochen werden. Die Schädigung der Nierenfunktion und v. a. die Neuro- und Ototoxizität können irreversibel sein. Bei Auftreten von unerwünschten Nebenwirkungen muss die Therapie sofort beendet werden. Das Risiko für toxische Wirkungen nimmt v. a. mit der Zeitdauer der Therapie zu. Weitere Risikofaktoren sind ein höheres Lebensalter, eine vorbestehende Nierenfunktionseinschränkung oder Innenohrschädigung sowie die Gabe anderer Medikamente mit vergleichbarem Toxizitätsspektrum.
Wichtige Wechselwirkungen [6]: Schnell wirksame Diuretika und Cephalosporine verstärken die Oto- und Nephrotoxizität der Aminoglykoside. Die Gabe weiterer potenziell oto-, neuro- oder nephrotoxischer Substanzen wie z. B. andere Aminoglykoside, Amphotericin B, Vancomycin, Polymyxin B, Colistin, Carboplatin (in hohen Dosierungen), Cisplatin, Oxaliplatin (besonders bei Patientinnen und Patienten mit vorbestehender Niereninsuffizienz), Ciclosporin und Tacrolismus sollte nach Möglichkeit vermieden werden. Bei gleichzeitiger Gabe von Linezolid ist eine additive Neurotoxizität möglich.
V. a. wegen Nephro- und Ototoxizität müssen engmaschige Kontrollen (Labor, Audiometrie) erfolgen. Die Bestimmung der Serumspiegel (siehe Kapitel Therapeutisches Medikamentenmanagement), v. a. der Talspiegel, kann helfen Toxizitäten zu vermeiden.
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9.2.2 Aminoglykoside (AG)
Die Stellung der Aminoglykoside für die Behandlung der (resistenten) Tuberkulose wurde 2019 neu bewertet [64]. Streptomycin war vormals ein Medikament der Standardtherapie und wird nun als Medikament der Nicht-Standardtherapie nur noch als Ersatz für Amikacin eingestuft.
Amikacin sollte zur Behandlung der MDR- und XDR-Tuberkulose nur eingesetzt werden, wenn eine ausreichende Kombinationstherapie allein aus den Medikamentengruppen A und B nicht zusammengestellt werden kann. Voraussetzung ist eine nachgewiesene Empfindlichkeit und die engmaschige Kontrolle potentieller Nebenwirkungen [376].
Kanamycin und Capreomycin werden für die Tuberkulosetherapie nicht mehr empfohlen.
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9.2.3 Amoxicillin/Clavulansäure (Amx/Clv)
Antibiotikum, bakterizid, gehört zur Gruppe der Betalaktame.
Amoxicillin/Clavulansäure soll in der Tuberkulosetherapie nur zusammen mit Imipenem/Cilastin oder Meropenem verwendet werden, da beide Medikamente jeweils mit Clavulansäure kombiniert werden sollen und Clavulansäure nicht als Einzelsubstanz erhältlich ist. Amoxicillin/Clavulansäure wird dabei nicht als zusätzlich wirksames Tuberkulosemedikament gezählt [38] [57].
Dosierempfehlungen (Leitlinie): Erwachsene: 500/125 mg nur in Kombination mit Meropenem oder Imipenem/Cilastin (per os 30 Minuten vor jeder Infusion).
Relevante Aspekte der Pharmakokinetik: Variable Bioverfügbarkeit der Clavulansäure, Amoxicillin wird gut resorbiert. Im Falle gastrointestinaler unerwünschter Arzneimittelwirkungen wird möglicherweise eine intravenöse Verabreichung besser toleriert. Elimination: Amoxicillin wird hauptsachlich über die Nieren ausgeschieden, während Clavulansäure sowohl über renale als auch über nicht-renale Mechanismen ausgeschieden wird.
Schwangerschaft und Stillzeit: siehe Kapitel Therapie medikamentenresistenter TB in der Schwangerschaft.
Kontraindikationen: siehe Fachinformation.
Wichtige unerwünschte Arzneimittelwirkungen (Fachinformation) [6]: Exanthem, Durchfall, Übelkeit, Erbrechen, pseudomembranöse Kolitis, cholestatischer Ikterus, Leberfunktionsstörungen.
Wichtige Wechselwirkungen (Fachinformation) [6]: Penicilline können die Ausscheidung von Methotrexat verringern. Dosisanpassungen bei oralen Antikoagulantien können notwendig werden. Die gleichzeitige Anwendung von Probenecid kann erhöhte und länger anhaltende Blutspiegel von Amoxicillin (aber nicht von Clavulansäure) zur Folge haben und wird nicht empfohlen. Reduktion der Talspiegel von Mycophenolsäure.
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9.2.4 Bedaquilin (Bdq)
Arzneimittel zur Behandlung der Tuberkulose, bakterizid, gehört zur Gruppe der Diarylchinoline. Medikament der Nicht-Standardtherapie, WHO (2020): Gruppe A.
Aufgrund guter Wirksamkeitsdaten soll Bedaquilin, sofern möglich, Bestandteil der Kombinationstherapie zur Behandlung der multiresistenten Tuberkulose sein. Eine Therapie über den empfohlenen Zeitraum von 6 Monaten hinaus kann als individueller Heilversuch unter engmaschigem Monitoring erfolgen [57].
Dosierempfehlungen: Erwachsene: Woche 1 + 2: 400 mg täglich, Woche 3–24: 200 mg dreimal wöchentlich mit mindestens 48 Stunden Abstand zwischen den Einzeldosen (per os).
Kritische Konzentration: in MGIT 1,0 mg/l [37].
Resistenz-assoziierte Gene/DNA-Abschnitte: atpE, Rv0678. Kreuzresistenz gegen Clofazimin möglich.
Relevante Aspekte der Pharmakokinetik: Die orale Bioverfügbarkeit ist gut, Einnahme mit Nahrung erhöht die Plasmaspiegel um das 2-Fache [377]. Sehr lange mittlere terminale Halbwertszeit von 5 Monaten. Die reduzierte Dosierung nach 2 Wochen soll ausreichende Plasma- und Gewebekonzentrationen gewährleisten. Im Mausmodell gute Gewebepenetration und schlechte Liquorgängigkeit. Beim Menschen werden im Sputum mit den Serumspiegeln vergleichbare Konzentrationen gefunden. Daten zur Penetration in Knochen oder andere Gewebe existieren nicht [377]. Risikofaktoren für Über- und Unterdosierung sollten beachtet werden [378]. Elimination: sehr langsam, überwiegend über den Stuhl.
Schwangerschaft und Stillzeit: Daten einer südafrikanischen Studie [163] haben aktuell zu einer WHO-Empfehlung für den Einsatz von Bedaquilin in der Schwangerschaft geführt [57]. Der Ausgang von Schwangerschaft, Therapie und der Verlauf postpartum sollten dokumentiert werden, um weitere Daten zu schaffen (siehe Kapitel Therapie medikamentenresistenter TB in der Schwangerschaft).
Kontraindikationen (siehe Fachinformation) [6]: Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder sonstige Bestandteile.
Wichtige unerwünschte Arzneimittelwirkungen (Fachinformation) [6]: Kopfschmerzen, Übelkeit und Gelenkschmerzen; Hepatotoxizität, daher sollten die Leberwerte zumindest alle 4 Wochen kontrolliert werden. Bei einer Erhöhung der Leberwerte über das 5-Fache sollte die Therapie abgebrochen werden. QT-Zeit-Verlängerung, daher Kontrolle der Elektrolyte und des EKG. Bei gleichzeitiger Gabe von anderen QT-Zeit-verlängernden Medikamenten, insbesondere bei Kombination mit Delamanid, Fluorchinolonen, Clofazimin, Pretomanid und Clarithromycin ist eine besonders sorgfältige Überwachung von EKG-Veränderungen notwendig (siehe QT-Zeit-Verlängerung).
Wichtige Wechselwirkungen (Fachinformation) [6]: Metabolisierung über Cytochrom P450–3A4 (CYP3A4), daher bspw. Reduktion des Serumspiegels um etwa die Hälfte bei gleichzeitiger Gabe von Rifamycinen [379]. Die gleichzeitige Gabe von moderaten bis starken CYP3A4-Induktoren wie Efavirenz, Etravirin, Rifampicin, Rifapentin, Rifabutin, Carbamazepin, Phenytoin oder Johanniskraut (Hypericum perforatum) sollte vermieden werden. Eine gleichzeitige Behandlung über 14 Tage hinaus mit moderaten bis starken Inhibitoren des CYP3A4 wie z. B. Erythromycin, Clarithromycin, Fluconazol und anderen Azolen oder Ritonavir und anderen Protease-Inhibitoren sollte ebenfalls vermieden werden. Zumindest sollte in jedem Fall eine Nutzen-Risiko-Bewertung der Komedikation erfolgen.
V. a. in Kombination mit anderen QT-Zeit-verlängernden Medikamenten regelmäßige EKG-Kontrollen und Kontrolle der Elektrolytwerte notwendig (siehe QT-Zeit-Verlängerung). Einnahme mit der Nahrung erhöht die Plasmaspiegel.
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9.2.5 Carbapeneme
Siehe Imipenem/Cilastin.
Siehe Meropenem.
Ertapenem: Es existieren zum Zeitpunkt der Fertigstellung dieser Leitlinie keine ausreichenden Daten zum Einsatz von Ertapenem in der Tuberkulosetherapie.
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9.2.6 Clavulansäure
Siehe Amoxicillin/Clavulansäure
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9.2.7 Clofazimin (Cfz)
Wirkstoff gegen Mykobakterien (Lepramedikament), bakteriostatisch/schwach bakterizid. Medikament der Nicht-Standardtherapie, WHO (2020): Gruppe B.
Wegen ausreichender Daten zu Wirksamkeit und Sicherheit wird Clofazimin zur Behandlung der MDR-Tuberkulose ergänzend zu den Medikamenten der Gruppe A empfohlen.
Dosierempfehlungen (Leitlinie): Erwachsene: 100 mg täglich (per os).
Kritische Konzentration: in MGIT 1,0 mg/l [37].
Resistenz-assoziierte Gene/DNA-Abschnitte: Rv0678, Kreuzresistenz zu Bedaquilin möglich.
Relevante Aspekte der Pharmakokinetik: Clofazimin wird relativ langsam resorbiert. Die Verabreichung des Medikaments zusammen mit Nahrung erhöht die Bioverfügbarkeit. Clofazimin ist stark lipophil und reichert sich hauptsächlich im Fettgewebe und in den Makrophagen des retikulo-endothelialen Systems und in Organen an. Zur Verteilung im ZNS existieren nur wenige Daten. Elimination: Clofazimin wird sehr langsam aus dem Plasma eliminiert und unverändert über die Galle ausgeschieden.
Schwangerschaft und Stillzeit: Clofazimin passiert die Plazentaschranke, es wurden Hautverfärbungen bei Neugeborenen beobachtet. Clofazimin kann eine Verfärbung der Muttermilch bewirken. Beim Säugling kann diese Muttermilch zu Hautverfärbung führen.
Wegen der limitierten und widersprüchlichen Datenlage ist Clofazimin nicht während Schwangerschaft und Stillzeit empfohlen [38] (siehe Kapitel Therapie medikamentenresistenter TB in der Schwangerschaft).
Kontraindikationen [6]: siehe Fachinformation.
Wichtige unerwünschte Arzneimittelwirkungen (Fachinformation) [6]: Nach längerer Therapiedauer kommt es zu langanhaltenden rötlich-bräunlichen Verfärbungen der Haut, Verfärbungen von Bindehaut, Tränenflüssigkeit, Schweiß, Sputum, Urin, Faeces, Nasenschleim, Sperma und der Muttermilch. Die Hautverfärbungen sind zwar meist reversibel, unter Umständen jedoch erst Monate oder Jahre nach Beendigung der Therapie. Diese Verfärbungen sind harmlos, werden aber als besorgniserregend wahrgenommen, daher sollte über diese Nebenwirkung unbedingt aufgeklärt werden. QT-Zeit-Verlängerung möglich. Durchfall, Übelkeit, Erbrechen, Bauchschmerzen. Bei längerer Anwendung in hoher Dosierung kann es zur Akkumulation und Präzipitation von Clofazimin im Gewebe kommen, z. B. in der Dünndarmwand. Eine Enteropathie kann sich entwickeln, die in manchen Fällen einen Darmverschluss zur Folge haben kann. Treten unter der Behandlung gastrointestinale Beschwerden auf, sollte die Dosis herabgesetzt oder das Einnahmeintervall verlängert werden.
Wichtige Wechselwirkungen [6]: Clofazimin vermindert die Resorption von Rifampicin bei Leprapatienten und verlängert die Zeit bis zum Erreichen maximaler Serumkonzentrationen und die Halbwertszeit. Die Bioverfügbarkeit wurde nicht beeinträchtigt, weshalb diese Interaktion wahrscheinlich klinisch nicht signifikant ist.
Über häufig auftretende Hautverfärbungen aufklären. V. a. in Kombination mit anderen QT-Zeit-verlängernden Medikamenten regelmäßige EKG-Kontrollen und Kontrolle der Elektrolytwerte notwendig (siehe QT-Zeit-Verlängerung).
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9.2.8 Cycloserin (Cs)
Arzneimittel zur Behandlung der Tuberkulose, bakteriostatisch. Medikament der Nicht-Standardtherapie, WHO (2020): Gruppe B.
In Deutschland, Schweiz und Österreich wird Terizidon anstelle von Cycloserin eingesetzt.
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9.2.9 Delamanid (Dlm)
Antibiotikum, bakterizid, gehört zur Gruppe der Nitroimidazole. Medikament der Nicht-Standardtherapie, WHO (2020): Gruppe C.
Delamanid sollte zur Behandlung der MDR- und XDR-Tuberkulose eingesetzt werden, wenn eine ausreichende Kombinationstherapie allein aus den Medikamentengruppen A und B nicht zusammengestellt werden kann. Delamanid sollte nur bei nachgewiesener Empfindlichkeit und unter Kontrolle potenzieller UAWs eingesetzt werden. Eine Therapie über die empfohlene Dauer von 6 Monaten hinaus kann in Einzelfällen als individueller Heilversuch unter engmaschiger Kontrolle erfolgen. Auch die Kombination mit Bedaquilin ist unter engmaschiger Therapieüberwachung möglich [57] [380] [381].
Dosierempfehlungen (Leitlinie): Erwachsene: 100 mg zweimal täglich für 6 Monate (per os).
Kritische Konzentration: in MGIT 0,06 mg/L [37].
Resistenz-assoziierte Gene/DNA-Abschnitte: Mutationen in den Genen ddn, fbiA, fbiB, fbiC und fgd1 können zu Resistenzen führen [45].
Relevante Aspekte der Pharmakokinetik: Die orale Bioverfügbarkeit von Delamanid nimmt, im Vergleich zur Einnahme auf nüchternen Magen, um das ca. 2,7-Fache zu, wenn es mit einer Standard-Mahlzeit eingenommen wird. Daher wird die Einnahme von Delamanid mit Nahrung empfohlen. Delamanid bindet zu ≥ 99,5 % an Plasmaproteine, v. a. (etwa 95 %) an Albumin [382]. Bisher wurde der Metabolismus von Delamanid noch nicht komplett aufgeklärt. Die identifizierten Metabolite zeigen keine antimykobakterielle Aktivität, aber einige tragen zur QT-Zeit-Verlängerung bei. Die Konzentrationen der identifizierten Metabolite steigen fortschreitend an bis zum Erreichen eines Steady-State nach 6–10 Wochen. Elimination: Delamanid wird aus dem Plasma mit einer Eliminations-Halbwertszeit (t 1 /2) von 30–38 Stunden eliminiert und nicht im Urin ausgeschieden.
Schwangerschaft und Stillzeit: Es liegen nur sehr begrenzte Daten für die Anwendung von Delamanid bei Schwangeren vor. Die Anwendung bei Schwangeren wird nicht empfohlen. Da ein potenzielles Risiko für den gestillten Säugling nicht ausgeschlossen werden kann, wird empfohlen, während der Behandlung mit Delamanid nicht zu stillen (siehe Kapitel Therapie medikamentenresistenter TB in der Schwangerschaft).
Kontraindikationen (siehe Fachinformation) [6]: Aufgrund des erhöhten Risikos von QT-Zeit-Verlängerung bei Serum-Albumin < 2,8 g/dl und Einnahme von Arzneimitteln, die starke Induktoren von Cytochrom P450 (CYP) 3A4 sind (z. B. Carbamazepin). Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder einen der Bestandteile.
Wichtige unerwünschte Arzneimittelwirkungen (Fachinformation) [6]: gastrointestinale Nebenwirkungen wie Übelkeit, Erbrechen. QT-Zeit-Verlängerung, Palpitationen, Schwindel, Kopfschmerzen, Myalgien. Schlaflosigkeit und neuro-psychiatrische UAWs.
Wichtige Wechselwirkungen (Fachinformation) [6]: Die gleichzeitige Gabe von CYP3A4-Inhibitoren (wie bsw. Lopinavir/Ritonavir) kann zu einer Erhöhung des Metaboliten DM-6705 führen, der mit einer QT-Zeit-Verlängerung in Zusammenhang gebracht wird. Vorsicht auch bei gleichzeitiger Anwendung anderer Medikamente, die die QT-Zeit verlängern, insbesondere Fluorchinolonen. Häufigere EKG-Kontrollen sind empfohlen.
V. a. in Kombination mit anderen QT-Zeit-verlängernden Medikamenten regelmäßige EKG-Kontrollen und Kontrolle der Elektrolytwerte notwendig (siehe QT-Zeit-Verlängerung).
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9.2.10 Ethambutol (EMB, E)
Arzneimittel zur Behandlung der Tuberkulose, bakteriostatisch. Medikament der Standardtherapie. Ethambutol wird als Medikament der Standardtherapie empfohlen.
Dosierempfehlungen (Leitlinie): Erwachsene: 15 mg/kg, Maximaldosis 1600 mg (per os oder i. v.) (Dosierungsrechner Erwachsene).
Kritische Konzentration: in MGIT 5,0 mg/l, auf LJ-Festmedium 2 mg/l [37].
Resistenz-assoziierte Gene/DNA-Abschnitte: wichtiges Resistenz-vermittelndes Gen ist embB.
Relevante Aspekte der Pharmakokinetik: wird zu ca. 80–85 % aus dem Gastrointestinaltrakt resorbiert, gute Diffusion in Gewebe und Körperflüssigkeiten. Ethambutol überwindet die Blut-Hirnschranke eher schlecht. Elimination: Geringe hepatische Metabolisierung und überwiegend renale Elimination.
Schwangerschaft und Stillzeit: siehe Kapitel Therapie in der Schwangerschaft und in der Stillzeit.
Kontraindikationen (siehe Fachinformation) [6]: vorbestehende schwerwiegende Augenerkrankungen (z. B. Vorschädigung des Nervus opticus, ausgeprägte diabetische Retinopathie, u. a.), Unvermögen über Sehstörungen zu berichten (z. B. hohes Alter, komatöse Patientinnen und Patienten), schwere Nierenfunktionsstörungen. Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder sonstige Bestandteile.
Wichtige unerwünschte Arzneimittelwirkungen (Fachinformation) [6]: Die wichtigste unerwünschte Arzneimittelwirkung ist die einseitige oder beidseitige axiale retrobulbäre Neuritis des Nervus opticus. Sie kann sich als Rot-Grün-Schwäche, Visusminderung oder Zentralskotom äußern. Die periaxiale Neuritis kann sich als Einschränkung der Gesichtsfeldaußengrenzen zeigen. Wird EMB nicht rechtzeitig abgesetzt, kann es zu irreversiblen Sehschäden kommen. Es müssen daher regelmäßige augenärztliche Kontrolluntersuchungen, mindestens vor Therapiebeginn und in 4-wöchigen Abständen während der Gesamtdauer der Therapie erfolgen – bei Risikofaktoren wie Niereninsuffizienz häufiger. Patienten müssen über die Art der möglichen Sehstörungen ausführlich aufgeklärt werden, damit sie beim Auftreten von Sehstörungen EMB rasch absetzen. Aus neurologisch-fachärztlicher Sicht wird prinzipiell auch die Durchführung von visuell evozierten Potenzialen (VEPs) zur frühzeitigen Erfassung noch subklinischer Affektionen des N. opticus (paraklinische Erfassung einer Afferenzstörung der Sehbahn) vor Beginn und regelmäßig während einer Therapie mit Ethambutol empfohlen. Die Leitliniengruppe empfiehlt die Durchführung von VEPs bei unklaren Befunden. EMB-assoziierte Retrobulbär-Neuropathien können über Monate persistieren, sind jedoch i. d. R. reversibel [383], es sind jedoch auch dauerhafte Einschränkungen bis zur Erblindung beschrieben [100] [101] [102] [103].
Wichtige Wechselwirkungen (Fachinformation) [6]: verminderte Resorption und Senkung des Serumspiegels durch Aluminiumhydroxid und ähnliche Antazida. Eine Wirkungsabschwächung von Ethambutol durch Spermin, Spermidin und Magnesium wurde beschrieben. Erhöhtes Risiko für Sehschäden bei Behandlung mit Disulfiram bei Alkoholabhängigkeit.
Mindestens alle vier Wochen augenärztliche Kontrolluntersuchung, bei Risikofaktoren wie Niereninsuffizienz häufiger.
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9.2.11 Ethionamid (Eto)
Antibiotikum, bakteriostatisch, gehört zur Gruppe der Thioamide. Medikament der Nicht-Standardtherapie, WHO (2020): Gruppe C.
Ethionamid und Protionamid sind eng verwandt, kreuzresistent und können prinzipiell gegeneinander ausgetauscht werden. Ethionamid ist in Deutschland nur über internationale Apotheken verfügbar. In Deutschland, Schweiz und Österreich wird aus der Gruppe der Thioamide Protionamid eingesetzt.
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9.2.12 Fluorchinolone (FQ)
Siehe Levofloxacin.
Siehe Moxifloxacin.
Ciprofloxacin, Gatifloxacin und Ofloxacin wird in Deutschland, Schweiz und Österreich nicht zur Tuberkulosetherapie eingesetzt.
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9.2.13 Imipenem/Cilastin (Ipm-Cln)
Antibiotikum, bakterizid, gehört zur Gruppe der Betalaktame. Medikament der Nicht-Standardtherapie, WHO (2020): Gruppe C.
Carbapeneme sollten zur Behandlung der MDR- und XDR-Tuberkulose eingesetzt werden, wenn eine ausreichende Kombinationstherapie allein aus den Medikamentengruppen A und B nicht zusammengestellt werden kann [384] [385] [386]. Die Kombination mit Clavulansäure scheint bei MDR- und XDR-Tuberkulose einen zusätzlichen Nutzen zu bringen. Clavulansäure ist nur in Kombination mit Amoxicillin erhältlich und sollte in dieser Kombination mit Carbapenemen verwendet, aber nicht als eigenständiges Medikament der Kombinationstherapie gezählt werden. Meropenem/Clavulansäure zeigte etwas bessere klinische Ergebnisse als Imipenem/Cilastin bei geringerer ZNS-Toxizität [387]. Meropenem/Clavulansäure sollte v. a. bei Kindern (ZNS-Toxizität) und Meningitis bevorzugt eingesetzt werden [57].
Dosierempfehlungen (Leitlinie): Erwachsene: 2-mal täglich 1 g/1 g (i. v.) wenn möglich über ein implantierbares intravenöses Portsystem + je 125 mg Clavulansäure als 500/125 mg Amoxicillin/Clavulansäure (per os 30 Minuten vor jeder Infusion).
Kritische Konzentration: keine Testmethode etabliert.
Relevante Aspekte der Pharmakokinetik: keine orale Resorption. Ausreichende Penetration ins ZNS. Elimination: hauptsächlich in unveränderter Form über die Nieren.
Schwangerschaft und Stillzeit: siehe Kapitel Therapie medikamentenresistenter TB in der Schwangerschaft.
Kontraindikationen (siehe Fachinformation) [6]: Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder einen der Bestandteile des Imipenem. Schwere Überempfindlichkeit (z. B. anaphylaktische Reaktion, schwere Hautreaktion) gegen andere Betalaktam-Antibiotika (z. B. Penicilline oder Cephalosporine).
Wichtige unerwünschte Arzneimittelwirkungen (Fachinformation) [6]: schwerwiegende und gelegentlich tödlich verlaufende Überempfindlichkeitsreaktionen sind möglich. Übelkeit, Erbrechen, Durchfälle, Thrombophlebitis, Eosinophilie, Thrombozythämie, Erhöhung der Transaminasen, der alkalischen Phosphatase, der Laktatdehydrogenase. Ausschlag, Juckreiz, Entzündungen und Schmerzen. ZNS-Toxizität (Imipenem > Meropenem)
Wichtige Wechselwirkungen (Fachinformation) [6]: Verminderungen der Valproinsäure-Konzentration im Serum bei gleichzeitiger Einnahme, diese wird daher nicht empfohlen. Epileptische Anfälle („Grand mal“) sind bei Patientinnen und Patienten möglich, die Ganciclovir und Imipenem erhalten. Die gerinnungshemmende Wirkung von Warfarin kann verstärkt werden. Die INR sollte während und im Anschluss an eine gleichzeitige Anwendung mit einem oralen Antikoagulans engmaschig überwacht werden. Probenecid hemmt die renale Ausscheidung von Meropenem.
Sofern verfügbar, sollte Meropenem/Clavulansäure aus der Gruppe der Carbapeneme v. a. bei Kindern (ZNS-Toxizität) und Meningitis verwendet werden. Wenn der Einsatz von Imipenem nicht vermeidbar ist, Kontrolle der Leberenzyme und der Nierenfunktion notwendig.
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9.2.14 Isoniazid (INH, H)
Arzneimittel zur Behandlung der Tuberkulose, bakterizid. Medikament der Standardtherapie.
Isoniazid wird als Medikament der Standardtherapie empfohlen. Im Falle einer Low-Level-Resistenz (inhA-Mutation, besser MHK-Bestimmung) kann eine Hochdosistherapie mit INH erwogen werden.
Dosierempfehlungen (Leitlinie) Erwachsene: 5 mg/kg KG (4–6 mg/kg KG), Maximaldosis 300 mg. Hochdosistherapie 15 mg/kg KG (per os oder i. v.) [388]. Zusätzliche Gabe von Vitamin B6 (50 mg/d) bei erhöhtem Risiko für Polymeuropathie (Dosierungsrechner Erwachsene).
Kritische Konzentration: Low-Level: in MGIT 0,1 mg/l, auf LJ: 0,25 mg/l; High-Level: in MGIT 0,4 mg/l, auf LJ 1 mg/l [389]. Von der WHO werden nur die Low-Level-Konzentrationen zur Testung empfohlen.
Resistenz-assoziierte Gene/DNA-Abschnitte: katG, inhA, fabG1, ahpC, kasA. KatG ist i. d. R. assoziiert mit Resistenz mit mittlerer bis hoher MHK (High-Level) [390]. InhA ist i. d. R. assoziiert mit einer Resistenz mit niedriger MHK (Low-Level, MHK-Testung empfohlen) und resultiert in einer Kreuzresistenz zu Thioamiden (Protionamid und Ethionamid).
Relevante Aspekte der Pharmakokinetik: Das Medikament wird fast vollständig aus dem Gastrointestinaltrakt resorbiert, die Einnahme v. a. mit fetthaltiger Nahrung kann die Resorption um bis zu 50 % reduzieren [391]. Es diffundiert schnell in Gewebe und Körperflüssigkeiten und passiert die Blut-Hirn-Schranke. Isoniazid ist eine Vorstufe (Prodrug) und wird durch das Enzym Katalase/Peroxidase (KatG) in die wirksame Form überführt. Die hepatische Metabolisierung (80 %) erfolgt mittels des Enzyms N-Acetyltransferase 2 (NAT2). Aufgrund von genetischen Polymorphismen der NAT2 werden schnelle und langsame Acetylierer unterschieden. Langsame Acetylierer zeigen ein erhöhtes Risiko für Hepatotoxizität [392] [393]. Schnelle Acetylierer haben ein erhöhtes Risiko für Therapieversagen und Rezidive [218]. Die Bestimmung des Polymorphismus hat bisher noch nicht Einzug in die klinische Routine gefunden. Eine Anpassung der INH-Dosis an den Acetylatorstatus wird diskutiert [394]. Elimination: Nach Hydrolyse und Konjugation werden die Metabolite überwiegend renal eliminiert.
Schwangerschaft und Stillzeit: siehe Kapitel Therapie in der Schwangerschaft und in der Stillzeit.
Kontraindikationen (siehe Fachinformation) [6]: Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder sonstige Bestandteil, akute Hepatitis, schwerwiegende Störungen der Hämostase und Hämatopoese. Relative Kontraindikationen: zerebrale Anfallsleiden, Psychosen, klinisch relevante periphere Neuropathien.
Wichtige unerwünschte Arzneimittelwirkungen (Fachinformation) [6]: Hepatotoxizität, allergische Hautreaktionen, Akne, Konzentrationsstörungen, Verwirrtheitszustände (selten Psychosyndrom und Delir), Depression (cave: Suizidalität v. a. in höherer Dosierung möglich), Polyneuropathie, Senkung der Krampfschwelle, sehr selten Blutbildveränderungen (aplastische und hämolytische Anämie, Agranulozytose). Pathologischer Rausch nach Alkoholkonsum möglich.
Wichtige Wechselwirkungen (Fachinformation) [6]: Serumspiegel wird erhöht durch Prednisolon, Para-Aminosalicylsäure (PAS), Protionamid. Erhöht den Serumspiegel von Cumarinen, Phenytoin, Valproat, Theophyllin, Carbamazepin und Diazepam. Senkt den Serumspiegel von Azolen. Interaktionen mit der antiretroviralen Therapie möglich.
Isoniazid interagiert mit Pyridoxin (Vitamin B6) und kann somit einen Vitamin B6-Mangel mit der Folge einer Neuropathie verursachen. Bei Patientinnen und Patienten mit erhöhtem Risiko oder manifester Polyneuropathie, perniziöser Anämie und/oder in der Schwangerschaft wird die zusätzliche Gabe von Pyridoxin (50 mg/d) empfohlen [395]. Isoniazid und Pyridoxin sind in Deutschland auch (in der Dosierung 300 mg INH sogar nur) als Fixkombination erhältlich. Eine Pyridoxin-Überdosierung kann ebenfalls zu einer Polyneuropathie führen, wurde aber nur durch z. B. Selbstmedikation eines Vielfachen der empfohlenen Dosis beobachtet [396].
Regelmäßige Leberwertkontrollen. Indikation für Vitamin B6 prüfen. Risiko für neurologische UAWs sowie Depression mit Risiko für Suizidalität beachten.
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9.2.15 Levofloxacin (Lfx)
Antibiotikum, bakterizid, gehört zur Gruppe der Fluorchinolone (3. Generation). Medikament der Nicht-Standardtherapie, WHO (2020): Gruppe A.
Fluorchinolone sollen bei Resistenzen oder bei Unverträglichkeiten gegen die Medikamente der Standardtherapie, insbesondere bei MDR-Tuberkulose, eingesetzt werden, auch wenn sie für andere Indikationen nicht zur Therapie über mehrere Monate zugelassen sind. Wegen der ausreichenden Evidenz zur Sicherheit und Wirksamkeit betrachtet die WHO Fluorchinolone nicht mehr als off-label, sondern als ein vorrangig einzusetzendes -Medikament für die Indikation MDR-Tuberkulose [38]. Die Wirksamkeit von Moxifloxacin und Levofloxacin wird von der WHO gleichgesetzt. Interaktionen, unterschiedliche Eliminationswege und der etwas stärkere Effekt von Moxifloxacin auf die QT-Zeit sind bei der Auswahl zu beachten. Bei einer INH-Monoresistenz sollte wegen potenzieller Interaktionen von Moxifloxacin mit Rifampicin vorrangig Levofloxacin eingesetzt werden [38].
Dosierempfehlungen (Leitlinie): Erwachsene: 750 mg ≤ 45 kg, 1000 mg > 45 kg einmal täglich (per os oder i. v.).
Kritische Konzentration: in MGIT 1,0 mg/l, auf LJ 2,0 mg/l [37].
Resistenz-assoziierte Gene/DNA-Abschnitte: gyrA, gyrB.
Relevante Aspekte der Pharmakokinetik: gute orale Bioverfügbarkeit, erreicht hohe Konzentrationen im Gewebe und im ZNS. Elimination: überwiegend renal.
Schwangerschaft und Stillzeit: siehe Kapitel Therapie medikamentenresistenter TB in der Schwangerschaft.
Kontraindikationen (siehe Fachinformation) [6]: Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder sonstige Bestandteile, Epilepsie (Rücksprache mit den Neurologen), bekannte (Archilles-)Sehnenbeschwerden nach früherer Anwendung von Fluorchinolonen.
Wichtige unerwünschte Arzneimittelwirkungen (Fachinformation) [6]: Wegen des Risikos von die Lebensqualität beeinträchtigenden, lang anhaltenden und möglicherweise irreversiblen unerwünschten Arzneimittelwirkungen existiert ein Rote-Hand-Brief vom 08.04.2019, der die Anwendung beschränkt. Aufgrund der Wirksamkeit und fehlender Alternativen ist der Einsatz von Fluorchinolonen zur Therapie der resistenten Tuberkulose im Gegensatz zur Anwendung bei anderen bakteriellen Infektionen in definierten Therapiesituationen jedoch weiterhin zu empfehlen.
Zu den schwerwiegenden Nebenwirkungen des Bewegungsapparates gehören Tendinitis, Sehnenruptur (Risiko erhöht bei gleichzeitiger Gabe von Kortikosteroiden, älteren Menschen, Patientinnen und Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion, Patientinnen und Patienten mit Organtransplantaten), Myalgie, Muskelschwäche, Arthralgie, Gelenkschwellungen und Gangstörung. Zu den schwerwiegenden Nebenwirkungen auf das periphere und zentrale Nervensystem gehören periphere Neuropathie, Schlaflosigkeit, Depressionen, Ermüdung (Fatigue), eingeschränktes Erinnerungsvermögen sowie Seh-, Hör-, Geruchs- und Geschmacksstörungen. In seltenen Fällen kann es zu epileptischen Anfällen kommen. Gastrointestinale Reaktionen wie Übelkeit, Erbrechen und Diarrhö (Clostridium difficile-assoziierte Diarrhoe ausschließen!). Aortenaneurysmen und -dissektionen. Leberschäden bis hin zum akuten Leberversagen möglich. Eine Photosensibilisierung kann vorkommen. Herzrhythmusstörungen und QT-Zeit-Verlängerung sind möglich. Bei der Therapie von Kindern und Jugendlichen muss über das Risiko von Schäden am Gelenkknorpel aufgeklärt werden.
Wichtige Wechselwirkungen (Fachinformation) [6]: Eine QT-Zeit-Verlängerung kann durch begleitende Gabe anderer QT-Zeit-verlängernder Medikamente verstärkt werden.
Wegen enteraler Komplexbindung mit di- oder trivalenten Kationen wird empfohlen, Milchprodukte und Zubereitungen, die 2-wertige oder 3-wertige Kationen enthalten, wie bspw. Eisen- oder Zinksalze oder Magnesium- oder Aluminium-haltige Antazida, 2 Stunden vor bis 2 Stunden nach der Anwendung nicht einzunehmen [397].
Mögliche Unerwünschte Arzeimittelwirkungen sorgfältig beobachten. V. a. in Kombination mit anderen QT-Zeit-verlängernden Medikamenten regelmäßige EKG-Kontrollen und Kontrolle der Elektrolytwerte notwendig (siehe QT-Zeit-Verlängerung). 2 Stunden Abstand zu Milchprodukten.
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9.2.16 Linezolid (Lzd)
Antibiotikum, bakteriostatisch, gehört zur Gruppe der Oxazolidinone. Medikament der Nicht-Standardtherapie, WHO (2020): Gruppe A.
Wegen ausreichender Evidenz zur Sicherheit und Wirksamkeit betrachtet die WHO Linezolid nicht mehr als off-label, sondern als ein vorrangig einzusetzendes Medikament der Gruppe A für die Indikation MDR-Tuberkulose [38]. Eine gute Effektivität bei MDR- und XDR-Tuberkulose scheint belegt, in der Langzeittherapie treten jedoch häufig unerwünschte Arzneimittelwirkungen auf [38] [57] [398] [399] [400].
Dosierempfehlungen (Leitlinie): Erwachsene: 600 mg 1 × täglich, bei nicht tolerierbaren UAWs kann auf 300 mg 1 × täglich reduziert werden, auch wenn nur wenig Daten über die Wirksamkeit nach Dosisreduktion existieren [38]. Maximaldosis 1200 mg täglich soll nur in Studien eingesetzt werden (per os).
Kritische Konzentration: in MGIT 1,0 mg/l [37].
Resistenz-assoziierte Gene/DNA-Abschnitte: rplC, rrl.
Relevante Aspekte der Pharmakokinetik: 100 % Bioverfügbarkeit, sehr gute Verteilung ins Gewebe. Elimination: zu 30 % unverändert und zu 70 % in metabolisierter Form über die Nieren, die Konzentration von Linezolid wird durch eine reduzierte Nierenfunktion nicht relevant beeinflusst, die Konzentration der Metabolite ist deutlich erhöht.
Schwangerschaft und Stillzeit: siehe Kapitel Therapie medikamentenresistenter TB in der Schwangerschaft.
Kontraindikationen (siehe Fachinformation) [6]: gleichzeitige Einnahme oder Einnahme innerhalb der letzten 2 Wochen von Arzneimitteln, die die Monoaminooxidase A oder B hemmen (z. B. Phenelzin, Isocarboxazid, Selegilin, Moclobemid), Einnahme von Serotonin-Wiederaufnahmehemmern. Unkontrollierte Hypertonie, Phäochromozytom, Karzinoid, Thyreotoxikose, bipolare Depression, schizoaffektive Psychose, akute Verwirrtheitszustände. Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder sonstige Bestandteile.
Wichtige unerwünschte Arzneimittelwirkungen (Fachinformation) [6]: Diarrhoe, Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen. Myelosuppression (einschließlich Anämie, Leukopenie, Thrombozytopenie oder Panzytopenie) v. a. bei Anwendung über eine Therapiedauer von 28 Tagen hinaus. Ebenfalls bei längerer Anwendung kann eine periphere Neuropathie oder optische Neuropathie auftreten, die progredient bis zum Verlust des Sehvermögens verlaufen kann. Es gibt Hinweise, dass Patientinnen und Patienten mit geringerer Dosierung von 300 mg täglich seltener eine Anämie entwickeln, dies scheint allerdings nicht für die periphere Neuropathie zu gelten [400]. Linezolid scheint auch in einer Dosis von 300 mg wirksam zu sein [398] [399] [400] [401], sodass bei nicht tolerierbaren unerwünschten Arzneimittelwirkungen ein Wechsel auf 300 mg erfolgen kann [379]. Verschiedene Strategien zur Dosierung von Linezolid werden zum Zeitpunkt der Fertigstellung dieser Leitlinie geprüft [402] [403] [404].
Wichtige Wechselwirkungen (Fachinformation) [6]: Maximale Serumkonzentration und AUC von Linezolid können durch Rifampicin vermindert werden. Linezolid ist ein reversibler, nichtselektiver Monoaminooxidase-Hemmer, dies kann Interaktionen mit adrenergen und serotonergen Wirkstoffen bedingen. Medikamente, die ebenfalls die Monoaminooxidase hemmen, sollten vermieden werden. Es kann zu einer verstärkten Wirkung von Pseudoephedrin oder Phenylpropanolaminhydrochlorid und in der Folge zu einem Anstieg des Blutdrucks kommen. Bei gleichzeitiger Einnahme von serotonergen Medikamenten, z. B. Serotonin-Wiederaufnahmehemmern, kann es zu einem Serotonin-Syndrom (Verwirrtheit, Delirium, Unruhe, Tremor, Erröten, Diaphorese, Hyperpyrexie) kommen. Die Aufnahme übermäßiger Mengen von Nahrungsmitteln und Getränken, die einen hohen Tyramingehalt aufweisen (z. B. reifer Käse, Hefeextrakte, nicht destillierte alkoholische Getränke oder fermentierte Sojabohnenprodukte wie z. B. Sojasoße) sollte vermieden werden.
Blutbildkontrollen, neurologische und augenärztliche Kontrollen erforderlich. Dosisreduktion auf 300 mg täglich bei nicht tolerierbaren unerwünschten Arzneimittelwirkungen möglich. Keine gleichzeitige Einnahme von Monoaminooxidase-Hemmern oder Serotonin-Wiederaufnahmehemmern.
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9.2.17 Meropenem (Mpm)
Antibiotikum, bakterizid, gehört zur Gruppe der Betalaktame. Medikament der Nicht-Standardtherapie, WHO (2020): Gruppe C.
Carbapeneme sollten zur Behandlung der MDR- und XDR-Tuberkulose eingesetzt werden, wenn eine ausreichende Kombinationstherapie allein aus den Medikamentengruppen A und B nicht zusammengestellt werden kann [384] [385] [386] [405]. Die Kombination mit Clavulansäure scheint bei MDR- und XDR-Tuberkulose einen zusätzlichen Nutzen zu bringen. Clavulansäure ist nur in Kombination mit Amoxicillin erhältlich und sollte in dieser Kombination mit Carbapenemen verwendet, aber nicht als eigenständiges Medikament der Kombinationstherapie gezählt werden. Meropenem/Clavulansäure zeigte etwas bessere klinische Ergebnisse als Imipenem/Cilastin bei geringerer ZNS-Toxizität [384]. Meropenem/Clavulansäure sollte vor allem bei Kindern (ZNS-Toxizität) und bei Meningitis bevorzugt eingesetzt werden [38].
Dosierempfehlungen (Leitlinie): Erwachsene: 1 g alle 8 Stunden oder 2 g alle 12 Stunden (i. v.), wenn möglich über ein implantierbares intravenöses Portsystem + je 125 mg Clavulansäure als 500/125 mg Amoxicillin/Clavulansäure (per os 30 Minuten vor jeder Infusion) [38].
Kritische Konzentration: keine Testmethode etabliert.
Relevante Aspekte der Pharmakokinetik: keine orale Resorption. Ausreichende Penetration ins ZNS. Elimination: hauptsächlich in unveränderter Form über die Nieren.
Schwangerschaft und Stillzeit: siehe Kapitel Therapie medikamentenresistenter TB in der Schwangerschaft.
Kontraindikationen (siehe Fachinformation) [6]: Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder einen der Bestandteile des Meropenem. Schwere Überempfindlichkeit (z. B. anaphylaktische Reaktion, schwere Hautreaktion) gegen andere Betalaktam-Antibiotika (z. B. Penicilline oder Cephalosporine).
Wichtige unerwünschte Arzneimittelwirkungen (Fachinformation) [6]: Schwerwiegende und gelegentlich tödlich verlaufende Überempfindlichkeitsreaktionen sind möglich. Übelkeit, Erbrechen, Durchfälle, Thrombophlebitis, Eosinophilie, Thrombozythämie, Erhöhung der Transaminasen, der alkalischen Phosphatase, der Laktatdehydrogenase. Ausschlag, Juckreiz, Entzündungen und Schmerzen. ZNS-Toxizität (Imipenem > Meropenem).
Wichtige Wechselwirkungen (Fachinformation) [6]: Verminderungen der Valproinsäure-Konzentration im Serum bei gleichzeitiger Einnahme, diese wird daher nicht empfohlen. Epileptische Anfälle („Grand mal“) sind bei Patientinnen und Patienten möglich, die Ganciclovir und Imipenem erhalten. Die gerinnungshemmende Wirkung von Warfarin kann verstärkt werden. Die INR sollte während und im Anschluss an eine gemeinsame Anwendung mit einem oralen Antikoagulans engmaschig überwacht werden. Probenecid hemmt die renale Ausscheidung von Meropenem.
Sofern verfügbar empfiehlt die Leitliniengruppe aus der Gruppe der Carbapeneme v. a. bei Kindern (ZNS-Toxizität) und bei Meningitis die Verwendung von Meropenem/Clavulansäure. Kontrolle der Leberenzyme und der Nierenfunktion.
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9.2.18 Moxifloxacin (Mfx)
Antibiotikum, bakterizid, gehört zur Gruppe der Fluorchinolone (4. Generation). Medikament der Nicht-Standardtherapie, WHO (2020): Gruppe A.
Fluorchinolone sollen bei Resistenzen oder bei Unverträglichkeiten gegen die Medikamente der Standardtherapie, insbesondere bei MDR-Tuberkulose, eingesetzt werden, auch wenn sie für andere Indikationen nicht zur Therapie über mehrere Monate zugelassen sind. Wegen der ausreichenden Evidenz zur Sicherheit und Wirksamkeit betrachtet die WHO Fluorchinolone nicht mehr als off-label, sondern als ein vorrangig einzusetzendes Medikament für die Indikation MDR-Tuberkulose [38]. Die Wirksamkeit von Moxifloxacin und Levofloxacin wird von der WHO gleichgesetzt. Interaktionen, unterschiedliche Eliminationswege und der etwas stärkere Effekt von Moxifloxacin auf die QT-Zeit sind bei der Auswahl zu beachten. Bei einer INH-Monoresistenz sollte wegen potentieller Interaktionen von Moxifloxacin mit Rifampicin vorrangig Levofloxacin eingesetzt werden [38].
Dosierempfehlungen (Leitlinie): Erwachsene: 400 mg. Hochdosistherapie (Indikation streng beachten, siehe Kapitel Moxifloxacin-Resistenz): 30–35 kg 400–600 mg, 36–45 kg 600 mg, 46–55 kg 600–800 mg, > 56 kg 800 mg niedrigere Dosis je nach Risiko für Toxizität, Messung der Serumspiegel empfohlen (siehe Kapitel Therapeutisches Drug-Monitoring [TDM]) (per os oder i. v.) [38].
Kritische Konzentration: in MGIT 0,25 mg/l, auf LJ 1,0 mg/l [37].
Klinischer Breakpoint für Hochdosistherapie: in MGIT 1,0 mg/l [37].
Resistenz-assoziierte Gene/DNA-Abschnitte: gyrA, gyrB.
Relevante Aspekte der Pharmakokinetik: gute orale Bioverfügbarkeit, erreicht hohe Konzentrationen in Gewebe und ZNS. Elimination: vorwiegend hepatisch durch Phase-2-Metabolismus (Glucuronidierung, Sulfatierung).
Schwangerschaft und Stillzeit: siehe Kapitel Therapie medikamentenresistenter TB in der Schwangerschaft.
Kontraindikationen (siehe Fachinformation) [6]: Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder sonstige Bestandteile, Epilepsie, bekannte Sehnenbeschwerden nach früherer Anwendung von Fluorchinolonen.
Wichtige unerwünschte Arzneimittelwirkungen (Fachinformation) [6]: Wegen des Risikos von die Lebensqualität beeinträchtigenden, lang anhaltenden und möglicherweise irreversiblen unerwünschten Arzneimittelwirkungen existiert ein Rote-Hand-Brief vom 08.04.2019, der die Anwendung beschränkt. Aufgrund der Wirksamkeit und fehlender Alternativen ist der Einsatz von Fluorchinolonen zur Therapie der resistenten Tuberkulose im Gegensatz zur Anwendung bei anderen bakteriellen Infektionen in definierten Therapiesituationen weiterhin zu empfehlen. Zu den schwerwiegenden Nebenwirkungen des Bewegungsapparates gehören Tendinitis, Sehnenruptur (Risiko erhöht bei gleichzeitiger Gabe von Kortikosteroiden, älteren Menschen, Patientinnen und Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion, Patientinnen und Patienten mit Organtransplantaten), Myalgie, Muskelschwäche, Arthralgie, Gelenkschwellungen und Gangstörung. Zu den schwerwiegenden Nebenwirkungen auf das periphere und zentrale Nervensystem gehören periphere Neuropathie, Schlaflosigkeit, Depressionen, Ermüdung (Fatigue), eingeschränktes Erinnerungsvermögen sowie Seh-, Hör-, Geruchs- und Geschmacksstörungen. In seltenen Fällen kann es zu epileptischen Anfällen kommen. Gastrointestinale Reaktionen wie Übelkeit, Erbrechen und Diarrhoe (Clostridium difficile-assoziierte Diarrhoe ausschließen!). Aortenaneurysmen und -dissektionen. Leberschäden bis hin zum akuten Leberversagen möglich. Eine Photosensibilisierung kann vorkommen. Herzrhythmusstörungen und QT-Zeit-Verlängerung sind möglich. Bei der Therapie von Kindern und Jugendlichen muss über das Risiko von Schäden am Gelenkknorpel aufgeklärt werden.
Wichtige Wechselwirkungen (Fachinformation) [6]: Eine QT-Zeit-Verlängerung kann durch begleitende Gabe anderer QT-Zeit-verlängernder Medikamente verstärkt werden, insbesondere bei Hochdosistherapie. Moxifloxacin wird überwiegend glucuronidiert und sulfatiert (Phase-II-Reaktionen). Bei gleichzeitiger Gabe von Rifampicin und INH resultieren wegen des Phase-II-Metabolismus erniedrigte Plasmakonzentrationen. In Kombination mit Rifampicin und Rifapentin wurden verminderte Serumkonzentrationen von Moxifloxacin gemessen, daher sollte diese Kombination mit besonderer Vorsicht angewendet und wenn möglich durch eine therapeutische Serumspiegelbestimmung (siehe Kapitel Therapeutisches Drug-Monitoring [TDM]) überwacht werden [406] [407] [408].
Wegen enteraler Komplexbindung mit di- oder trivalenten Kationen wird empfohlen, Milchprodukte und Zubereitungen, die 2-wertige oder 3-wertige Kationen enthalten, wie bspw. Eisen- oder Zinksalze oder Magnesium- oder Aluminium-haltige Antazida, 2 Stunden vor bis 2 Stunden nach der Anwendung nicht einzunehmen [397].
Mögliche unerwünschte Arzeimittelwirkungen sorgfältig beobachten. V. a. in Kombination mit anderen QT-Zeit-verlängernden Medikamenten regelmäßige EKG-Kontrollen und Kontrolle der Elektrolytwerte notwendig (siehe QT-Zeit-Verlängerung). 2 Stunden Abstand zu Milchprodukten. Insbesondere bei Kombination mit Rifampicin und bei Hochdosistherapie Medikamentenkonzentrationen im Blut messen (siehe Kapitel Therapeutisches Drug-Monitoring [TDM]).
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9.2.19 Para-Aminosalicylsäure (PAS)
Antibiotikum, bakteriostatisch, Arzneimittel zur Behandlung der Tuberkulose. Medikament der Nicht-Standardtherapie, WHO (2020): Gruppe C.
PAS sollte zur Behandlung der MDR- und XDR-Tuberkulose eingesetzt werden, wenn eine ausreichende Kombinationstherapie allein aus den Medikamentengruppen A und B nicht zusammengestellt werden kann. Seit 2014 ist mit Granupas eine magensaftresistente orale Form des Medikamentes in Europa zugelassen und kann als Alternative der Infusionstherapie genutzt werden.
Dosierempfehlungen (Leitlinie): Erwachsene: intravenös: 1 × 11,8 g täglich in 500 ml (Infusion über 4 h); per os: 3 × 4 g (12 g täglich) [38]. PAS Tab und Granupas Dosen sind identisch.
Kritische Konzentration: in MGIT 4,0 mg/l, auf LJ-Festmedium 1,0 mg/l [409].
Resistenz-assoziierte Gene/DNA-Abschnitte: folC, thyA, ribD.
Relevante Aspekte der Pharmakokinetik: Die Resorption der oralen Form ist gut. Wegen der großen Substanzmengen und der Azidität erfolgt die Gabe in Deutschland überwiegend parenteral. Dabei ist auf die durch die Infusion verabreichten hohen Natriummengen zu achten. Die Gewebspenetration und die Liquorgängigkeit sind nur mäßig. Elimination: Metabolisierung in Leber und Darm, Metabolite werden renal eliminiert.
Schwangerschaft und Stillzeit: siehe Kapitel Therapie medikamentenresistenter TB in der Schwangerschaft.
Kontraindikationen (siehe Fachinformation) [6]: Herzinsuffizienz bzw. Hypertonie und Ödeme aufgrund des Natriumgehalts, Glucose-6-Phosphat-Dehydrogenase-Mangel. Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder sonstige Bestandteile.
Wichtige unerwünschte Arzneimittelwirkungen (Fachinformation) [6]: gastrointestinale Unverträglichkeit, Hepatotoxizität (Vorsicht bei vorbestehender Leberschädigung) und toxisch oder allergisch bedingte Blutbildveränderungen. Beschrieben sind auch allergische Hautreaktionen. Eine einschleichende Dosierung kann die Verträglichkeit bessern. Auf die klinischen Zeichen einer Hypothyreose soll geachtet werden. Bei längerer Therapiedauer werden Kontrollen der Schilddrüsenfunktion empfohlen. Bei der Gabe großer Mengen kann der Kationenverlust, der mit der Nierenausscheidung organischer Säuren verbunden ist, zur Azidose führen. Besonders betroffen können hiervon Kinder sein. Bei Elektrolytstörungen sollte unter Anwendung von PAS-Infusionen der v. a. Kationengehalt überwacht werden.
Wichtige Wechselwirkungen (Fachinformation) [6]: Die Absorption von Digoxin aus dem Magen-Darm-Trakt kann reduziert werden. Patientinnen und Patienten sollten daraufhin überwacht werden. Die Absorption von Cyanocobalamin (Vitamin B12) wurde durch 5 g orale 4-Amino-2-hydroxybenzoesäure (4-Aminosalicylsäure) um mehr als 50 % reduziert, woraufhin klinisch relevante Erythrozytenanomalien auftraten. Die Acetylierung von Isoniazid kann reduziert werden und zu erhöhten Isoniazid-Serumspiegeln führen. Bei gleichzeitiger Verabreichung von Ethionamid (Protionamid) können die unerwünschten Arzneimittelwirkungen von PAS verstärkt sein. Die gleichzeitige Gabe von Phenytoin kann zu erhöhten Phenytoin-Blutspiegeln führen. Die Toxizität von Folatantagonisten wie Methotrexat kann verstärkt werden.
Einschleichende Dosierung kann die Verträglichkeit bessern. Hypernatriämie bei intravenöser Gabe möglich. Schilddrüsenfunktion kontrollieren.
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9.2.20 Pretomanid
Pretomanid ist in Kombination mit Bedaquilin und Linezolid (sog. BPaL-Therapieregime) für die Behandlung der MDR- und XDR-TB zugelassen worden [156], sofern keine andere wirksame Therapie zusammengestellt werden kann und eine Empfindlichkeit des TB-Stammes gegenüber Bedaquilin und Linezolid nachgewiesen wurde. Im deutschsprachigen Raum soll das BPaL-Therapieregime nur in Studien nach Rücksprache mit einem TB-Behandlungszentrum zur Anwendung kommen kommen.
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9.2.21 Protionamid (Pto)
Antibiotikum, bakteriostatisch, gehört zur Gruppe der Thioamide. Medikament der Nicht-Standardtherapie, WHO (2020): Gruppe C.
Protionamid sollte zur Behandlung der MDR- und XDR-Tuberkulose eingesetzt werden, wenn eine ausreichende Kombinationstherapie allein aus den MedikamentengruppenA und B nicht zusammengestellt werden kann. In Deutschland, Schweiz und Österreich wird aus der Gruppe der Thioamide Protionamid eingesetzt. Ethionamid und Protionamid sind eng verwandt, kreuzresistent und können prinzipiell gegeneinander ausgetauscht werden. Ethionamid ist in Deutschland nur über internationale Apotheken verfügbar.
Dosierempfehlungen (Leitlinie): Erwachsene: gewichtsadaptiert 15–20 mg/kg KG in 1 ED (bei Unverträglichkeit zunächst auf 2 ED aufteilen, dann wenn möglich auf Einmalgabe wechseln), Maximaldosis 1000 mg/d (per os). Bei gleichzeitiger Gabe von Isoniazid sollte die Tagesdosis von Protionamid halbiert werden.
Kritische Konzentration: Protionamid: in MGIT 2,5 mg/l, auf LJ-Festmedium 40 mg/l. Ethionamid: in MGIT 5,0 mg/l, auf LJ-Festmedium 40 mg/l [37].
Resistenz-assoziierte Gene/DNA-Abschnitte: wichtigste Resistenz-vermittelnde Gene sind inhA (Kreuzresistenz mit INH) und ethA. Vollständige Kreuzresistenz zu Ethionamid.
Relevante Aspekte der Pharmakokinetik: orale Bioverfügbarkeit circa 70 %, gute Anreicherung in Geweben und Liquor. Elimination: Metabolismus hepatisch, die Metabolite werden renal eliminiert.
Schwangerschaft und Stillzeit: siehe Kapitel Therapie medikamentenresistenter TB in der Schwangerschaft.
Kontraindikationen (siehe Fachinformation) [6]: schwere Hepatopathien und akute Hepatitis, zerebrale Anfallsleiden und Psychosen. Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder sonstige Bestandteile.
Wichtige unerwünschte Arzneimittelwirkungen (Fachinformation) [6]: ausgeprägte gastrointestinale Unverträglichkeit mit Übelkeit, Erbrechen, Appetitlosigkeit. Additive Hepatotoxizität. Hypoglykämien bei bekanntem Diabetes mellitus. Neurotoxizität mit Auftreten und Verstärkung von psychiatrischen Erkankungen, akuter Suizidalität, Schwindel und Krampfanfällen. Hormonstörungen (Schilddrüse, Sexualhormone). Schwere Hautveränderungen/Pellagra.
Wichtige Wechselwirkungen (Fachinformation) [6]: Die Dosis von Insulin und Antidiabetika sollte reduziert werden, da es zu Hypoglykämien und BZ-Schwankungen kommen kann. Erhöhung der Protionamid-Serumspiegel durch gleichzeitige Isoniazid-Gabe, Dosisanpassung notwendig (siehe oben). Verstärkung von neurotoxischen und zentral erregenden UAWs durch die gleichzeitige Gabe von INH, Cycloserin oder Terizidon und bei Alkoholkonsum. Aufgrund der gastrointestinalen Nebenwirkungen sollte eine Kombination mit PAS vermeiden werden.
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9.2.22 Pyrazinamid (PZA, Z)
Antibiotikum, im sauren Milieu (pH-Optimum 5,5) intra- und extrazellulär bakterizid und sterilisierend, Arzneimittel zur Behandlung der Tuberkulose. Medikament der Standardtherapie. Pyrazinamid wird als Medikament der Standardtherapie empfohlen.
Dosierempfehlungen (Leitlinie): Erwachsene: 25 mg/kg KG (20–30 mg/kg KG), Maximaldosis 2.500 mg (per os) (Dosierungsrechner Erwachsene).
Kritische Konzentration: in MGIT 100 mg/L [410].
Resistenz-assoziierte Gene/DNA-Abschnitte: pncA.
Relevante Aspekte der Pharmakokinetik: Die Resorption nach oraler Gabe ist gut, diffundiert schnell in Gewebe und Körperflüssigkeiten mit guter Penetration der Blut-Hirn-Schranke. Elimination: Metabolisierung vorwiegend hepatisch. Elimination der Metabolite renal.
Schwangerschaft und Stillzeit: siehe Kapitel Therapie in der Schwangerschaft und in der Stillzeit.
Kontraindikationen (siehe Fachinformation) [6]: akute Hepatitis, schwere Leberfunktionsstörungen (Child Pugh C), Arthritis urica. Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder sonstige Bestandteile.
Wichtige unerwünschte Arzneimittelwirkungen (Fachinformation) [6]: Hepatotoxizität. Hemmung der tubulären renalen Harnsäureausscheidung mit der Folge einer Hyperurikämie. Eine Therapie der Hyperurikämie (z. B. mit dem Urikosurikum Benzbromaron) ist nur bei klinischen Zeichen einer Gicht erforderlich und am ehesten bei Patientinnen und Patienten mit Niereninsuffizienz und Gichtanamnese erforderlich. Instabile Serum-Blutzuckerwerte, Übelkeit (dosisabhängig, bei empfohlener Dosierung in 10–20 % der Fälle), Erbrechen, Myopathien besonders in der Muskulatur des Schultergürtels, Gelenkschmerzen (keine Gichtanfälle), Histamin-bedingter Flush (keine Allergie! Vermeidbar durch langsame Dosissteigerung über 3–6 Tage).
Wichtige Wechselwirkungen (Fachinformation) [6] : Alkohol kann eine Leberschädigung verstärken und das Reaktionsvermögen erheblich beeinträchtigen. Gichtmittel, welche die Ausscheidung von Harnsäure beeinflussen, wie z. B. Probenecid (Harnsäureausscheidung vermindert, Ausscheidung von Probenecid verzögert). Blutzuckersenkende Mittel (Blutzuckersenkung beschleunigt).
Leberwerte kontrollieren. Häufig erhöhte Harnsäurewerte durch PZA-Einnahme, die i. d. R. nicht therapiebedürftig sind.
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9.2.23 Rifabutin (Rfb)
Antibiotikum, bakterizid, gehört zur Gruppe der Rifamycine.
Anstelle von Rifampicin kann Rifabutin wegen der schwächeren Enzyminduktion (Cytochrom-P450) unter engmaschiger Kontrolle der unerwünschten Arzneimittelwirkungen bei Menschen, die mit HIV leben (PLWH) eingesetzt werden, wenn eine antiretrovirale Therapie (ART) mit einem Proteaseinhibitor benötigt wird (siehe Kapitel Medikamentenmanagement und interdisziplinäre Therapieplanung bei HIV-Infektion und Tuberkulose).
Dosierempfehlungen für PLWH (Leitlinie): Erwachsene: abhängig von dem Proteaseinhibtor, der zur ART verwendet wird, siehe bspw. Empfehlungen der EACS (per os).
Kritische Konzentration: in MGIT 0,5 mg/l [411].
Resistenz-assoziierte Gene/DNA-Abschnitte: rpoB, (möglicherweise inkomplette) Kreuzresistenz zu Rifampicin.
Relevante Aspekte der Pharmakokinetik: Die Bioverfügbarkeit von Rifabutin ist relativ niedrig und zeigt beträchtliche Variabilität zwischen einzelnen Patientinnen und Patienten. Elimination: Urin und Fäzes.
Schwangerschaft und Stillzeit: Aufgrund fehlender klinischer Daten sollte keine Anwendung in der Schwangerschaft und Stillzeit erfolgen.
Kontraindikationen (siehe Fachinformation) [6]: schwere Leberfunktionsstörungen wie Verschlussikterus, Leberzirrhose, Hepatitis. Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder sonstige Bestandteile.
Wichtige unerwünschte Arzneimittelwirkungen (Fachinformation) [6]: ähnliches Spektrum an unerwünschten Arzneimittelwirkungen wie alle Rifamycine – Rotfärbung von Körperflüssigkeiten, Blutbildveränderungen, gastrointestinale Nebenwirkungen, Ausschlag, Arthralgien, Hepatotoxizität. Selten kann eine dosisabhängige Uveitis auftreten [412]. Diese muss zumindest vorübergehend zum Absetzen des Medikamentes führen. Eine Reexposition ist nur unter sorgfältiger Abwägung von Nutzen und Risiko bei leichter Uveitis und unter augenärztlicher Überwachung möglich.
Wichtige Wechselwirkungen (Fachinformation) [6]: vielfältige Wechselwirkungen u. a. durch Autoinduktion mikrosomaler Enzyme der Leber, insbesondere der Cytochrom-P450-abhängigen Monooxygenasen. Eine entsprechende Therapieplanung und ggf. Anpassung der Dosierung an den jeweiligen Mechanismus (beschleunigter oder verzögerter Abbau) sind unbedingt notwendig (siehe Kapitel Therapieplanung und Überwachung). Die Enzyminduktion und das damit verbundene Interaktionspotential kann im Vergleich unter Therapie wie folgt bewertet werden: Rifampicin > Rifapentin > Rifabutin.
Anwendung bei gleichzeitiger antiretroviraler Therapie mit Proteaseinhibitoren, Dosisanpassung beachten (siehe Kapitel Medikamentenmanagement und interdisziplinäre Therapieplanung bei HIV-Infektion und Tuberkulose). Engmaschige Überwachung möglicher UAWs, v. a. bezüglich der dosisabhängig möglichen Uveitis.
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9.2.24 Rifampicin (RMP, R, RIF)
Antibiotikum, bakterizid und sterilisierend, gehört zur Gruppe der Rifamycine. Medikament der Standardtherapie. Rifampicin wird als wichtigstes Medikament immer wenn möglich in der Standardtherapie empfohlen.
Dosierempfehlungen (Leitlinie): Erwachsene: 10 mg/kg KG (8–12 mg/kg) maximal 600 mg, höhere Dosen werden in Studien geprüft. V. a. bei ZNS-Beteiligung sind höhere Dosierungen nach Rücksprache mit einem TB-Behandlungszentrum möglich (per os oder i. v.) (Dosierungsrechner Erwachsene).
Kritische Konzentration: in MGIT 1,0 mg/l, auf LJ-Festmedium 40 mg/l [410]. Eine Erniedrigung der Testkonzentration in der MGIT-Testung auf 0,5 mg/L wurde durch die WHO vorgeschlagen, um Stämme mit sogenannten ‚borderline‘-Resistenzen besser zu detektieren [413].
Resistenz-assoziierte Gene/DNA-Abschnitte: rpoB.
Relevante Aspekte der Pharmakokinetik: nahezu vollständige Resorption aus dem Gastrointestinaltrakt und schnelle Diffusion in Gewebe und Körperflüssigkeiten mit mäßiger Penetration der Blut-Hirn-Schranke. Elimination: hepatische Metabolisierung, bis zu 95 % biliäre Eliminierung.
Schwangerschaft und Stillzeit: Kann in der Schwangerschaft nach sorgfältiger Risiko-Nutzen-Abwägung eingesetzt werden (siehe Kapitel Therapie in der Schwangerschaft und in der Stillzeit).
Kontraindikationen (siehe Fachinformation) [6]: schwere Leberfunktionsstörungen, Hepatitis, Leberzirrhose, Gallengangsobstruktion. Therapie mit Medikamenten wie Proteaseinhibitoren oder Voriconazol. Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder sonstige Bestandteile.
Wichtige unerwünschte Arzneimittelwirkungen (Fachinformation) [6]: Rotfärbung von Urin, Stuhl, Speichel, Tränen (cave: weiche Kontaktlinsen können sich verfärben). Leberwerterhöhung, wobei Hepatotoxizität durch Rifampicin allein (z. B. bei präventiver Therapie) seltener ist. Im Vergleich kann das Risiko einer Hepatotoxizität bei alleiniger Therapie mit Isoniazid 3-fach und Pyrazinamid 10-fach höher sein. In der Kombinationstherapie erhöht sich jedoch auch das Risiko für eine Hepatotoxizität unter Rifamycinen deutlich [413]. Allergische Reaktionen, gastrointestinale Unverträglichkeit mit Übelkeit, Erbrechen. Müdigkeit, Schwindel. Nierenversagen möglich. Selten „flu-like-syndrom“ (Grippe-ähnliche Symptome) mit Fieber und Gliederschmerzen 1–2 Stunden nach der Einnahme, v. a. bei intermittierender Gabe möglich; hält unbehandelt 6–8 Stunden an und sistiert häufig nach der Umstellung auf die tägliche Gabe. Blutbildveränderungen wie Leukopenie, Thrombozytopenie, hämolytische Anämie. Bei renaler Toxizität oder Blutbildveränderungen (v. a. Thrombozytopenie) kann es sich um eine immunologische Unverträglichkeitsreaktionen handeln. Rifampicin muss dann sofort abgesetzt werden und darf nicht wieder verwendet werden.
Wichtige Wechselwirkungen (Fachinformation) [6]: vielfältige Wechselwirkungen u. a. durch Autoinduktion mikrosomaler Enzyme der Leber, insbesondere der Cytochrom-P450-abhängigen Monooxygenasen. Eine entsprechende Therapieplanung und ggf. Anpassung der Dosierung an den jeweiligen Mechanismus (beschleunigter oder verzögerter Abbau) sind unbedingt notwendig. Durch pharmakologische Spiegelkontrollen können die Wirkspiegel bei Medikamentenkombinationen mit Interaktionspotential besser kontrolliert werden. Die Enzyminduktion und das damit verbundene Interaktionspotenzial kann im Vergleich unter Therapie wie folgt bewertet werden: Rifampicin > Rifapentin > Rifabutin (siehe Kapitel Therapieplanung und Überwachung). Die Serumspiegel u. a. von Kontrazeptiva, antiretroviralen Medikamenten, Antibiotika, Antimykotika, Betablocker, Kalziumantagonisten, ACE-Inhibitoren, Sartanen, Herzglykosiden, Statinen, Glukokortikoiden, (neuen) oralen Antikoagulatien, Immunsuppressiva, Zytostatika, Medikamenten zur Substitutionstherapie, Antiepileptika, Schmerzmitteln, Antidiabetika, Tamoxifen und L-Thyroxin können gesenkt werden (ausführliche tabellarische Übersicht in der Fachinformation).
Die gleichzeitige Gabe neuer Antikoagulantien (Rivaroxaban, Apixiban, Dabigatran) wird nicht empfohlen, da bspw. für Rivaroxaban eine Dosiserhöhung notwendig wäre. Ein Wirkungsverlust von Phenprocoumon, Warfarin und anderen Cumarinen ist möglich, sodass engmaschige Kontrollen der Quick- und INR-Werte notwendig sind.
Bei gleichzeitiger Gabe von hormonell wirkenden Kontrazeptiva sind diese aufgrund der beschleunigten Elimination nicht ausreichend wirksam sind.
Auch die Wirkspiegel antiretroviraler Medikamente können so stark beeinflusst werden, dass Dosisanpassungen notwendig sind. Bei gleichzeitiger antiretroviraler Therapie mit Protease-Inhibitoren sollte vorzugsweise Rifabutin eingesetzt werden.
Rotfärbung von Körperflüssigkeiten. Veränderte Wirkspiegel in Kombination mit vielen verschiedenen Medikamenten möglich, vorab unbedingt Interaktionen prüfen. Wirksamkeit einer hormonellen Kontrazeption gefährdet. Blutverdünnung engmaschig kontrollieren. Immunologische Unverträglichkeitsreaktionen möglich, dann sofort absetzen und und nicht wieder verwenden.
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9.2.25 Rifapentin (RPT, P)
Antibiotikum, bakterizid, gehört zur Gruppe der Rifamycine. Rifapentin hat eine Zulassung durch die FDA und wird von der WHO zur präventiven Therapie in Kombination mit INH sowie im Rahmen einer verkürzten Standardtherapie über 4 Monate empfohlen. In der EU ist zum Zeitpunkt der Fertigstellung dieser Leitinie keine Zulassung beantragt; Verfügbarkeit nur über die internationale Apotheke. Aus Gründen der Verfügbarkeit von Rifapentin kann die verkürzte Standardtherapie zum Zeitpunkt nicht empfohlen werden.
Dosierempfehlungen (Leitlinie): Erwachsene: präventive Therapie der LTBI: 900 mg RPT in Kombination mit 900 mg INH (per os) 1-mal wöchentlich für 12 Wochen. 600 mg RPT in Kombination mit 300 mg INH (per os) täglich für 4 Wochen [291]. Verkürzte Standardtherapie laut WHO: 1200 mg täglich in Kombination mit Moxifloxacin, Isoniazid und Pyrazinamid [414].
Kritische Konzentration: noch nicht etabliert.
Resistenz-assoziierte Gene/DNA-Abschnitte: rpoB [415].
Relevante Aspekte der Pharmakokinetik: gute gastrointestinale Absorbtion. 5-fach längere Halbwertszeit im Vergleich zu Rifampicin [412]. Elimination: hepatische Metabolisierung, zu 70 % biliäre Eliminiation
Schwangerschaft und Stillzeit: aufgrund fehlender klinischer Daten sollte keine Anwendung in der Schwangerschaft und Stillzeit erfolgen.
Kontraindikationen (siehe Fachinformation) [6]: Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder sonstige Bestandteile.
Wichtige unerwünschte Arzneimittelwirkungen (Fachinformation) [6]: ähnliches Spektrum an unerwünschten Arzneimittelwirkungen wie für alle Rifamycine (siehe Rifampicin) – Rotfärbung von Körperflüssigkeiten, Blutbildveränderungen, gastrointestinale Nebenwirkungen, Ausschlag, Arthralgien, Hepatotoxizität. Hypersensibilitätsreaktionen und „flu-like-Syndrome“ (Grippe-ähnliches Syndrom) treten etwas häufiger auf als bei Rifampicin [416] [417].
Wichtige Wechselwirkungen (Fachinformation) [6]: Vielfältige Wechselwirkungen unter anderem durch Autoinduktion mikrosomaler Enzyme der Leber, insbesondere der Cytochrom-P450-abhängigen Monooxygenasen. Eine entsprechende Therapieplanung und ggf. Anpassung der Dosierung an den jeweiligen Mechanismus (beschleunigter oder verzögerter Abbau) sind unbedingt notwendig. Durch pharmakologische Spiegelkontrollen können die Wirkspiegel bei Medikamentenkombinationen mit Interaktionspotential besser kontrolliert werden. Die Enzyminduktion und das damit verbundene Interaktionspotenzial kann im Vergleich unter Therapie wie folgt bewertet werden: Rifampicin > Rifapentin > Rifabutin (siehe Kapitel Therapieplanung und Überwachung).
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9.2.26 Streptomycin (SM, S)
Antibiotikum, bakterizid, gehört zur Gruppe der Aminoglykoside. Medikament der Nicht-Standardtherapie, WHO (2020): Gruppe C.
Streptomycin sollte nur noch als Ersatz für Amikacin verwendet werden, wenn dieses nicht verfügbar ist [64]. Streptomycin sollte nur bei nachgewiesener Empfindlichkeit (SM-Resistenzen sind häufig [27]) und unter engmaschiger Kontrolle potentieller Nebenwirkungen eingesetzt werden [376]. Voraussetzung sind regelmäßige Audiometrieuntersuchungen, bei denen auch die aktive Mitarbeit von Patientenseite gegeben sein muss.
Nach Informationen des Herstellers wird Streptomycin seit 2021 in Deutschland nicht mehr vertrieben. Über die internationale Apotheke ist Streptomycin nur zur i. m.-Gabe verfügbar.
Dosierempfehlungen (Leitlinie): Erwachsene: gewichtsadaptiert 15 mg/kg in 1 ED, Maximaldosis 1 × 1000 mg (i. m.), Anpassung bei Nierenfunktionseinschränkung notwendig.
Kritische Konzentration: in MGIT: 1,0 mg/l, auf LJ-Festmedium: 4 mg/l [37].
Resistenz-assoziierte Gene/DNA-Abschnitte: gidB, rpsL, rrs (andere Basenpaare als bei Amikacin und Kanamycin). Kreuzresistenzen zu anderen Aminoglykosiden sind beschrieben, aber selten.
Relevante Aspekte der Pharmakokinetik: Aminoglykoside sind hydrophile Stoffe und haben ein kleines Verteilungsvolumen, das ungefähr dem Extrazellulärraum entspricht. Die erreichbaren Gewebekonzentrationen sind relativ niedrig, ausreichende ZNS-Konzentrationen werden nur bei entzündeten Meningen erreicht. Elimination: Die Elimination findet als unveränderte Substanz überwiegend renal statt, wo sie das 25–100-fache der Serumkonzentration erreichen kann.
Schwangerschaft und Stillzeit: Kontraindiziert in Schwangerschaft, Stillen nach Risikoeinschätzung (siehe Kapitel Therapie medikamentenresistenter TB in der Schwangerschaft).
Kontraindikationen (siehe Fachinformation) [6]: Myasthenia gravis. Vorbestehende schwere Nierenfunktionseinschränkung. Vorbestehende Innenohrschädigung. Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder sonstige Bestandteile.
Wichtige unerwünschte Arzneimittelwirkungen (Fachinformation) [6] : Nephrotoxizität und v. a. Neuro- und Ototoxizität, die Schädigungen können irreversibel sein. Das Risiko für toxische Wirkungen nimmt v. a. mit der Zeitdauer der Therapie zu. Weitere Risikofaktoren sind ein höheres Lebensalter, eine vorbestehende Nierenfunktionseinschränkung oder Innenohrschädigung sowie die Gabe anderer toxischer Medikamente. Eine Anpassung der Dosis an reduzierte Nierenfunktion ist unbedingt notwendig. Nierenfunktionseinschränkung durch eine diffuse tubuläre Schädigung möglich.
Vor Beginn und unter Therapie mit Streptomycin ist eine regelmäßige, objektive Überprüfung des Hörvermögens durch eine Audiometrie sowie des Gleichgewichts notwendig. Bei klinischen Beschwerden (Tinnitus, Hörverlust, evt. Schwindel) sollte die Therapie sofort unterbrochen werden. Das Risiko für toxische Wirkungen nimmt v. a. mit der Zeitdauer der Therapie zu. Weitere Risikofaktoren sind ein höheres Lebensalter, eine vorbestehende Nierenfunktionseinschränkung oder Innenohrschädigung sowie die Gabe anderer Medikamente mit vergleichbarem Toxizitätsspektrum.
Wichtige Wechselwirkungen (Fachinformation) [6]: Schnell wirksame Diuretika und Cephalosporine verstärken die Oto- und Nephrotoxizität der Aminoglykoside. Die Gabe weiterer potenziell oto-, neuro- oder nephrotoxischer Substanzen wie z. B. andere Aminoglykoside, Amphotericin B, Vancomycin, Polymyxin B, Colistin, Carboplatin (in hohen Dosierungen), Cisplatin, Oxaliplatin (besonders bei Patientinnen und Patienten mit vorbestehender Niereninsuffizienz), Ciclosporin und Tacrolismus sollte nach Möglichkeit vermieden werden. Bei gleichzeitiger Gabe von Linezolid ist eine additive Neurotoxizität möglich.
V. a. wegen Nephro- und Ototoxizität müssen engmaschige Kontrollen (Labor, Audiometrie) erfolgen. Die Bestimmung der Serumspiegel (siehe Kapitel Therapeutisches Medikamentenmanagement), v. a. der Talspiegel, kann helfen Toxizitäten zu vermeiden. Streptomycin ist in Deutschland nur über die internationale Apotheke erhältlich.
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9.2.27 Terizidon (Trd)
Chemotherapeutikum, bakteriostatisch, Arzneimittel zur Behandlung der Tuberkulose. Medikament der Nicht-Standardtherapie, WHO (2020): Gruppe B.
Terizidon ist ein Cycloserin-Abkömmling bestehend aus einem Cycloserin-Doppelmolekül mit weniger unerwünschten Arzneimittelwirkungen. Wegen ausreichender Daten zu Wirksamkeit und Sicherheit wird Terizidon zur Behandlung der MDR-Tuberkulose ergänzend zu den Medikamenten der Gruppe A empfohlen.
Dosierempfehlungen (Leitlinie): Erwachsene: 10–15 mg/kg KG in 3–4 ED, Maximaldosis 1000 mg (per os).
Kritische Konzentration: in MGIT nicht etabliert, auf LJ-Festmedium: keine Empfehlung mehr durch WHO [37].
Resistenz-assoziierte Gene/DNA-Abschnitte: relevante Gene nicht gesichert. Hinweise auf Beteiligung von Mutationen im alr-Gen [418].
Relevante Aspekte der Pharmakokinetik: Nach oraler Gabe ist die Resorption gut. Konzentration im ZNS ähnlich den Serumkonzentrationen. Elimination: Die Ausscheidung erfolgt renal.
Schwangerschaft und Stillzeit: siehe Kapitel Therapie medikamentenresistenter TB in der Schwangerschaft.
Kontraindikationen (siehe Fachinformation) [6]: schwere Niereninsuffizienz (Serumkreatinin > 2 mg/dl), hochgradige Zerebralsklerose, Alkoholismus, psychische Störungen (Depression, schwere Angstzustände, Psychosen), Epilepsie, Infektionen mit Mycobacterium bovis BCG (Resistenz). Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder sonstige Bestandteile.
Wichtige unerwünschte Arzneimittelwirkungen (Fachinformation) [6]: Kann schwere unerwünschte Arzneimittelwirkungen des zentralen Nervensystems verursachen, v. a. Konzentrationsstörungen, Krampfanfälle, Depression, Psychosen und Suizidgedanken, die i. d. R. mit maximalen Serumkonzentrationen von über 35 mg/L verbunden sind, aber auch bei normalen Serumspiegeln auftreten können. Daher wird v. a. bei Niereninsuffizienz die Messung der Serumspiegel empfohlen [56]. Periphere Neuropathie und Hautprobleme wie lichenoide Erscheinungen und Stevens-Johnson-Syndrom kommen vor, seltener Visusstörungen und gastrointestinale Unverträglichkeit.
Wichtige Wechselwirkungen (Fachinformation) [6]: Bei gleichzeitiger Anwendung mit Isoniazid, Protionamid oder Ethionamid können unerwünschte Arzneimittelwirkungen auf das zentrale Nervensystem verstärkt werden. Verstärkung der Wirksamkeit oraler Antikoagulantien, z. B. Cumarine. Verzögerte hepatische Elimination von Phenytoin. Verlängerung der Wirksamkeit von Succinylcholin. Erhöhtes Risiko für unerwünschte Arzneimittelwirkungen auf das zentrale Nervensystem (Krämpfe, epileptoide Anfälle) durch Alkohol.
Kann v. a. in Kombination erhebliche zentralnervöse UAWs haben und Psychosen auslösen. Gleichzeitige Einnahme von Pyridoxin (Vitamin B6) wird v. a. bei Kindern empfohlen. Messung der Serumspiegel v. a. bei Niereninsuffizienz empfohlen (siehe Kapitel Therapeutisches Drug-Monitoring [TDM]).
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Interessenkonflikt
Eine Übersicht der Interessenkonflikte findet sich im Internet unter http://awmf.org; AWMF-Registriernummer 020-019
* Version: Erstveröffentlichung Pneumologie 2017; 71: 325–397; aktuelles Update 2022
1 Basierend auf den bereits 2019 durch die WHO geänderten Therapieempfehlungen werden die Medikamente für die Behandlung der resistenten TB seitdem in neue Gruppen eingeteilt (siehe [Tab. 8]). Entsprechend dieser neuen Einteilung wurden auch die Falldefinitionen für prä-XDR und XDR-Tuberkulose angepasst. Diese ersetzen rückwirkend zum 01.01.2021 die vorherigen Falldefinitionen aus dem Jahr 2006.
2 Die WHO nennt auch eine Schwangerschaft als Kontraindikation. Nach Ansicht der Leitliniengruppe soll eine MDR-TB-Therapie in der Schwangerschaft immer von einem spezialisierten TB-Behandlungszentrum durchgeführt werden. Auch eine WHO-Kurzzeittherapie kann hierbei in Frage kommen (siehe Kapitel Therapie medikamentenresistenter TB in der Schwangerschaft).
4 z. B. SGRQ: St. Georgeʼs Respiratory Questionnaire, CAT: COPD Assessment Test oder MMRC: Modified Medical Research Council.
5 z. B. EUROHIS-QOL: European Health Interview Survey-Quality of Life oder WHOQOL-BREF: abbreviated World Health Organization Quality of Life.
6 Auswahl der Leitliniengruppe. Die vollständigen Daten sind der Fachinformation zu entnehmen und beim jeweiligen Hersteller erhältlich.
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