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DOI: 10.1055/a-1975-6015
Entspannte und erfolgreiche Vorstellungsgespräche – Bewerbungsgespräche führen
- Vorbereitung ist das A und O
- Rahmenbedingungen schaffen
- Phasen eines Vorstellungsgesprächs
- Das erleichtert Ihnen das Vorstellungsgespräch
- Nachbereitung des Gesprächs
- Hospitation – ja oder nein?
Die Suche nach geeigneten Bewerber*innen wird zunehmend schwieriger. Kommt es dann zum Vorstellungsgespräch, haben Praxisinhaber*innen oft das Gefühl, dass sie es sind, die sich um den neuen Mitarbeitenden bewerben, und dass dadurch die Gesprächsführung nicht mehr in ihrer Hand liegt. Der folgende Beitrag gibt Tipps, wie Sie sich in Ihren Vorstellungsgesprächen wieder wohler fühlen.
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Viele Praxisinhaber*innen stehen sehr unter Druck, sie suchen händeringend Mitarbeiter*innen, möchten das Team entlasten und die kilometerlange Warteliste wenigstens ansatzweise abbauen. In diesen Zeiten kommt jede Bewerbung wie gerufen und führt schnell dazu, dass bei der Einstellung zwei bis zweihundert Augen zugedrückt werden. Prinzipien und Werte werden über Bord geworfen oder zumindest kurz zur Seite geschoben. In den Coachings mit den Praxisinhaber*innen höre ich dann oft „ich hatte die ganze Zeit kein gutes Bauchgefühl, aber ich hatte doch keine andere Wahl“. Das ist wohl der klassische Fall eines Dilemmas. Diese „Notentscheidungen“ – ich möchte sie ungern als „Fehlentscheidungen“ betiteln – sind auf Dauer teuer und zeitintensiv. Zudem bringen sie viel Unruhe ins Team und führen oft dazu, dass Klient*innen nur kurzzeitig einen Therapieplatz haben und diesen dann auch wieder verlieren, weil die Therapeutin oder der Therapeut doch nicht so gut ins Team passte. Der größte Wunsch, der sich daraus ergibt, ist der, dass Ruhe einkehrt. Und das kann durch gut vorbereitete Vorstellungsgespräche geschehen.
Vorbereitung ist das A und O
Das Vorstellungsgespräch beginnt bereits, bevor die Bewerber*innen da sind. Insbesondere in Zeiten, wo Druck und Not im Spiel sind, ist es unabdingbar, einen klaren Kopf zu bewahren. Das gelingt am besten durch eine gute Vorbereitung. Machen Sie sich bewusst, wen Sie genau suchen. Natürlich werden es Therapeut*innen oder Unterstützung für die Anmeldung sein – aber das meine ich nicht. Stellen Sie sich viel eher Fragen wie:
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Wie müsste die Person sein, damit sie gut ins Team passt und sich alle wohlfühlen?
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Worauf lege ich als Führungsperson sehr viel Wert?
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Welche Kompetenzen sollte die Person mitbringen?
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Welche Kompetenzen wären erlernbar?
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Welche Werte vertreten wir als Praxis und als Team?
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Welche Ressourcen sind bei uns in der Praxis unabdingbar?
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Was wäre ein Ausschlusskriterium für mich?
Mit solchen oder ähnlichen Fragen kalibrieren Sie sich wie ein Kompass. Damit ist die Wahrscheinlichkeit geringer, dass Sie sich verlaufen und woanders ankommen, als ursprünglich geplant. Machen Sie sich ebenfalls bewusst, was Sie aus den vergangenen Gesprächen gelernt haben beziehungsweise was genau Ihnen bewusst geworden ist. So vermeiden Sie, dass Sie die gleichen „Fehler“ erneut machen.
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Rahmenbedingungen schaffen
Kurz vor dem Gespräch sollten Sie den Raum, in dem das Gespräch stattfindet, vorbereiten und für eine angenehme Atmosphäre sorgen. Stellen Sie ausreichend Stühle hin und eliminieren Sie Störfaktoren wie Telefonklingeln oder Hereinkommen von Mitarbeitenden. Stellen Sie auch gern Getränke bereit. Falls Sie das Gespräch mit der fachlichen Leitung oder der zweiten Praxisleitung gemeinsam führen, besprechen Sie Ablauf, zeitlichen Rahmen und Vorgehen.
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Phasen eines Vorstellungsgesprächs
Ein „klassisches“ Vorstellungsgespräch lässt sich in fünf Phasen einteilen.
Phase 1: Small Talk
Diese Phase kann auch als Warm-up bezeichnet werden. Alle Beteiligten des Gesprächs kommen erst mal in der Situation an, stellen sich vor, und häufig erkundigen sich die Führungspersonen nach der Anreise und dem Befinden. Zudem werden Getränke angeboten.
Phase 2: Kennenlernen/Praxisvorstellung
Nun können Sie die Praxis, die Schwerpunkte und das Arbeiten in der Praxis vorstellen. Wie könnte ein Arbeitstag bei Ihnen aussehen? Wie groß ist das Team? In welchem Bereich wird der/die Bewerber*in arbeiten? Was zeichnet Ihre Praxis aus? Was ist Ihnen als Führungsperson besonders wichtig?
Phase 3: Bewerber*innen stellen sich vor
Jetzt können Sie den Bewerber*innen die Möglichkeit geben, sich vorzustellen. Sie können den bisherigen Werdegang und gemachte Erfahrungen erfragen. Sie können fragen, warum sich die Bewerber*innen in Ihrer Praxis beworben haben, was ihnen an ihrer Arbeit am meisten Spaß macht und in welchen Bereichen sie ihre Stärken sehen würden. Fragen Sie hier alles, was Ihnen wichtig ist. Greifen Sie hier vor allem auf offene Fragestellungen zurück.
Regeln fürs Gespräch-Duett
Wenn Sie das Gespräch mit einer Kollegin/einem Kollegen gemeinsam führen, ist es manchmal schwierig, währenddessen Abstimmungen zu treffen. Oftmals werden Blicke ausgetauscht oder Gesichtsausdrücke versucht zu interpretieren, doch es gibt noch eine andere Möglichkeit, die wesentlich zuverlässiger ist. Zeichnen Sie auf Ihre Gesprächsunterlagen oben rechts in die Ecke ein Viereck. Einigen Sie sich darauf, dass in das Viereck ein Kreuz oder ein Haken gezeichnet wird, wenn die Bewerber*innen zur Hospitation eingeladen werden, und das Viereck leer bleibt, wenn Sie sich danach besprechen möchten. Wenn beide das Viereck angekreuzt oder abgehakt werden, wird direkt nach dem Gespräch ein Hospitationstermin vereinbart, und wenn nur eine*r oder keine*r das Viereck angekreuzt oder abgehakt hat, wird den Bewerber*innen mitgeteilt, dass Sie sich melden werden. Die Praxisinhaber*innen, die ich auf solche Gespräche vorbereite, haben in der Vergangenheit sehr von diesem kleinen Praxisprofi-Tipp profitiert.
Phase 4: Offene Fragen beantworten
Hier haben beide Parteien die Möglichkeit, offene Fragen loszuwerden. Welche Details sollten noch besprochen werden? Was ist noch wichtig? Welche weiteren Informationen brauchen Sie? Wichtig ist, dass Sie nach dieser Phase ein umfassendes Bild der Bewerber*innen sammeln konnten.
Phase 5: Abschluss
Bedanken Sie sich nun für das Gespräch und erläutern Sie das weitere Vorgehen. Möchten Sie die Person zur Hospitation einladen? Wollen Sie das Gespräch zunächst reflektieren und sich dann telefonisch oder per E-Mail melden?
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Zeitpunkt der Gespräche: ist optimalerweise so zu wählen, dass Sie vorher und nachher einen Zeitpuffer von 30 Minuten haben
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Dauer: 45–60 Minuten
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Setting: ruhige Atmosphäre
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Frageart: offene Fragestellungen
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Must have: Vorbereitung durch Leitfäden und Vorbereitungsfragen
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Abschluss: Hospitation oder Telefonanruf
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Redeanteil: 1:1
Viele Praxisinhaber*innen handhaben es mittlerweile so, dass sich die Bewerber*innen in der Praxis melden, ob Sie die Stelle antreten möchten. Ich möchte an dieser Stelle die Empfehlung aussprechen, dass Sie das weitere Vorgehen vorgeben. Sonst entsteht die oben beschriebene Situation, dass Sie sich bei den Bewerber*innen bewerben.
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Das erleichtert Ihnen das Vorstellungsgespräch
Gehen Sie mit einem Gesprächsleitfaden ins Vorstellungsgespräch. Nutzen Sie den immer gleichen Leitfaden für die Gespräche. So können Sie die Gespräche besser auswerten, da Sie ein systematisches Vorgehen und eine identische Grundlage haben. Gleichzeitig unterstützen Leitfäden Sie in der Gesprächsführung und -strukturierung. Vielen Praxisinhaber*innen bieten Gesprächsleitfäden Sicherheit und einen Überblick, sodass keine wichtige Frage vergessen wird. Hier sollten Sie sich auch während des Gesprächs Notizen machen.
Erfahrungsgemäß bieten sich die Leitfäden vor allem dann an, wenn Sie das Gespräch zu zweit führen, da der Gesprächsflow immer aufrecht erhalten bleibt und Unterbrechungen reduziert werden.
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Nachbereitung des Gesprächs
Nehmen Sie sich nach dem Gespräch einen Moment, um das Vorstellungsgespräch anhand von drei bis vier Fragen zu reflektieren.
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Wie haben Sie sich im Gespräch gefühlt? Wie ist Ihr erster Eindruck?
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Was hat Ihnen besonders gut gefallen?
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Was bereitet Ihnen vielleicht schon jetzt Bauchschmerzen?
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Was sind Ihre Gedanken nach dem Gespräch?
Jetzt ist der optimale Zeitpunkt für eine solche Reflexion, weil Ihre Eindrücke noch nicht überlagert werden oder durch die Zeit „verschwimmen“. In diesem Moment ist Ihr Bauchgefühl am klarsten – wenn das Gespräch erst einmal ein paar Tage in der Vergangenheit liegt, haben Sie weniger Zugriff auf den wahrhaftigen ersten Eindruck. In diesen Tagen spüren Sie womöglich wieder die Not, dass Sie dringend jemanden brauchen, der Druck wächst, und plötzlich wird aus einem nicht so guten Bauchgefühl ein „ach, das wird schon“, was Sie wenige Monate später bereuen. Deshalb empfehle ich Ihnen dringend, das Gespräch zu reflektieren, ob im Dialog mit Kolleg*innen, die ebenfalls beim Vorstellungsgespräch dabei waren, oder anhand einer schriftlichen Kurzreflexion. So vermeiden Sie das, was ich schon so oft gehört habe: „Ich hatte, wenn ich ehrlich zu mir bin, die ganze Zeit kein gutes Bauchgefühl.“
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Hospitation – ja oder nein?
Praxisinhaber*innen handhaben es sehr unterschiedlich, ob sie Hospitationen stattfinden lassen oder nicht. Aus „Zeitdruck“ wird mittlerweile oft auf eine Hospitation verzichtet. Ich persönlich bin eine glühende Verfechterin von Hospitationen. Dafür gibt es mehrere Gründe:
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Sie sehen die Bewerber*innen ein zweites Mal und können Ihren ersten Eindruck bestätigen oder widerlegen.
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Das Team lernt die Bewerber*innen kennen und kann auch eigene Eindrücke schildern.
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Sie haben mehrere Situationen, die Bewerber*innen zu beobachten, etwa in der Interaktion mit Klient*innen und Teammitgliedern.
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Eine Hospitation bietet wenigstens schon einen kleinen Vorgeschmack darauf, wie es werden könnte, würde die/der Bewerber*in in der Praxis anfangen.
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Sie können sich mit den Bewerber*innen über Klient*innen austauschen und einen kleinen Eindruck über das mögliche therapeutische Vorgehen der Bewerber*innen bekommen.
Ein Praxistag unterscheidet sich nun einmal sehr von einem Vorstellungsgespräch. Das bietet viele Möglichkeiten für Beobachtungen und kurze Konversationen. Ich bin der Überzeugung, dass eine Entscheidung dadurch viel nachhaltiger gefällt werden kann. Zudem ist es wichtig, dass die bestehenden Teammitglieder sich mit den neuen Kolleg*innen wohlfühlen. Nehmen Sie sich also gern Zeit für eine Hospitation.
Lisa Holtmeier
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Publikationsverlauf
Artikel online veröffentlicht:
04. April 2023
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