Die Zahl der Todesfälle aufgrund von Krebs liegt bei etwa 230.000 Menschen, die Zahl
der Krebsneuerkrankungen bei rund 510.000 pro Jahr, wie das Deutsche Krebsforschungszentrum
angibt. Was lösen solche Zahlen in Ihnen aus?
Professor Diederich: In der westlichen Welt gibt es zwei Erkrankungsgruppen, die überdurchschnittlich
häufig tödlich verlaufen: Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs. Das ist bei anderen
Krankheiten deutlich seltener, was auch auf medizinische Fortschritte zurückzuführen
ist. Die Zahlen sind nicht schön, aber für mich kein Grund für Frustration. Selbstverständlich
haben wir Ärztinnen und Ärzte den Anspruch, mit den uns zur Verfügung stehenden diagnostischen
und therapeutischen Mitteln eine Heilung herbeizuführen. Beschwerden zu lindern und
qualitative Lebenszeit zu ermöglichen sind aber ebenfalls Ziele, die zwar nicht gleichwertig
sind, aber doch eine wichtige Rolle spielen. Ich begleite viele Krebspatientinnen
und -patienten, deren Leid ich teils durch minimal-invasive Eingriffe unmittelbar
lindern und so für einen Zugewinn an Lebensqualität sorgen kann. Außer Frage steht
jedoch, dass Krebs für viele Menschen ein Schreckgespenst ist. Auch ich habe vor bestimmten
Krebsarten Angst, was dazu führt, dass ich mich mit meinem Leben bewusster auseinandersetze:
Was ist gut, was bedeutet mir viel, was möchte ich auf jeden Fall noch machen und
nicht auf die lange Bank schieben?
Häufig liest man von dem großen Durchbruch bei der Behandlung von Krebs. Aber Ärztinnen
und Ärzte arbeiten noch immer vor allem mit Operationen, Chemotherapien und Bestrahlungen.
Ja. Dies sind immer noch die zentralen Säulen der Therapie, die je nach Krebsart,
Stadium und Organbefall einen sehr unterschiedlichen Stellenwert haben. Das war so
und wird sich in absehbarer Zeit auch nicht ändern. Zugleich entwickeln die Strahlentherapeutinnen
und -therapeuten immer bessere Konzepte, um eine hohe Strahlendosis in den Tumor zu
bekommen und dies bei einer gleichzeitig möglichst geringen Strahlendosis für das
anliegende gesunde Gewebe. Die medikamentöse Therapie hat ebenfalls große Fortschritte
gemacht und ist heute mehr als die klassische Chemotherapie. Auch die chirurgischen
Operationstechniken haben sich weiterentwickelt.
Die Überlebensraten bei Krebserkrankungen haben sich in Deutschland in den letzten
30 Jahren stark erhöht. Welchen Anteil hat daran die onkologische Bildgebung?
Die Bedeutung der Bildgebung spielt in vielen Bereichen eine herausragende Rolle.
Es gibt aber leider kaum Forschung darüber, welchen Einfluss auf das Überleben einer
Patientin oder eines Patienten die Bildgebung hat beziehungsweise die Entscheidung
darüber, wann welche bildgebende Methode eingesetzt wird und ob dies in einem High
Volume Center geschieht, in dem das Expertenwissen gebündelt ist – oder aber in einer
Einrichtung, in der die durchführende Radiologin oder der Radiologe täglich ganz unterschiedliche
Fragen beantworten muss.
Können Sie ein konkretes Beispiel für die Rolle der onkologischen Bildgebung nennen?
Ja. Bei Bauchspeicheldrüsenkrebs etwa ist auch aktuell meist die einzige realistische
Chance auf Heilung eine Operation. Früher hat man Betroffene operiert, um nachzuschauen,
ob der Tumor entfernt werden konnte. Wenn ja, wurde er entfernt, und Patientinnen
oder Patienten hatten eine Heilungschance. War der Tumor inoperabel, wurde der Bauch
einfach wieder zugemacht. In diesem Fall war die Operation überflüssig und nur mit
Schmerzen, Risiken, Belastungen verbunden. Das kann man heute durch moderne Bildgebung,
speziell durch Magnetresonanz- oder Computertomografie, in den meisten Fällen vermeiden.
Wie bewerten Sie – vor dem Hintergrund des Gesamtspektrums onkologischer Therapien
– die Relevanz und Akzeptanz minimal-invasiver Verfahren der interventionellen Onkologie?
Die Akzeptanz auf Seiten der Patientinnen und Patienten ist immer gegeben, weil die
minimal-invasiven Verfahren der interventionellen Onkologie genau dem entsprechen,
was sie sich wünschen: kleiner Schnitt, kleiner Schmerz, kleines Risiko. Oft werden
diese Verfahren aber trotzdem unterschätzt, da viele minimal-invasive Eingriffe unter
Vollnarkose durchgeführt werden. In den medizinischen Fächern wird die Intervention
zunächst oft als Konkurrenz empfunden. Je mehr man sich aber miteinander beschäftigt,
desto schneller löst sich die Distanz auf. Das sieht man gut in der Onkologie. Hier
sitzt man im Tumorboard zusammen und bespricht gemeinsam, wie mit Patientinnen und
Patienten weiter zu verfahren ist. So kann es sein, dass die Chirurginnen oder Chirurgen
erst einmal operieren sollen, um zu entfernen, was operativ entfernt werden kann.
Dann bleibt vielleicht eine Metastase übrig, die man chirurgisch schlecht behandeln
kann. Diese wird dann minimal-invasiv durch die Radiologie abgetragen.
Es gibt bis zu 300 Krebsarten und Subtypen, wobei 500.000 neue Krebsfälle jährlich
auch für 500.000 neue, individuell unterschiedliche Tumorgeschichten stehen. Eine
Antwort darauf lautet individualisierte Tumortherapie. Wie ändert sich damit die Rolle
der Bildgebung?
Damit einhergeht ein weiterer Bedeutungszuwachs der Bildgebung. Aber es wird auch
komplizierter. Individualisierte Medizin bedeutet ja, dass einzelne Patientinnen oder
Patienten keine Einheitstherapie mehr erhalten. Bei Brustkrebs etwa gibt es harmlose
Varianten, die lange unentdeckt sind, kaum wachsen und bei denen dann zum Zeitpunkt
der Diagnose trotzdem kein Lymphknotenbefall oder eine Fernmetastasierung vorliegt.
Zum Brustkrebs gehört aber auch der ein Zentimeter große Tumor einer jungen Frau,
der bereits zu einem sehr frühen Diagnosezeitpunkt Fernmetastasen aufweist. Dieser
Tumor ist biologisch nicht verwandt mit dem vorher beschriebenen Tumor. Diese unterschiedlichen
Ausprägungen können mit der Bildgebung teils frühzeitig klassifiziert werden, sodass
auch eine Prognose getroffen werden kann, um welchen Tumortypen es sich im konkreten
Fall handelt. Es gibt spannende Ansätze im MRT, über die man Aussagen über die biologische
Aggressivität eines Tumors treffen kann. Oder: Es gibt die Perfusions-CT, die Erkenntnisse
über die Durchblutung eines Tumors liefert. Die Bildgebung ist auch entscheidend etwa
bei der Frage, ob ein Tumor vorbehandelt werden soll, etwa mit einer Chemotherapie,
einer Bestrahlung oder beidem.
Welches sind aus Ihrer Sicht besonders interessante Entwicklungen in der onkologischen
Bildgebung?
Ein spannendes Thema ist die Immuntherapie. Hier werden Medikamente eingesetzt, die
den Krebs nicht direkt attackieren, sondern das körpereigene Immunsystem so stärken,
dass es seinerseits den Krebs angreifen kann. Wichtig dabei ist, dass diese Medikamente
im Körper andere Effekte auslösen können als man sie von einer klassischen Chemotherapie
kennt. Eine wirksame Chemotherapie macht den Tumor kleiner, eine erfolgreiche Immuntherapie
hingegen kann den Tumor unter Umständen erst einmal größer machen. Die Radiologin
oder der Radiologe, der diese Patientinnen und Patienten untersucht und befundet,
muss wissen, dass gerade zu Beginn der Immuntherapie der Tumor durchaus erst einmal
schwellen darf, da Entzündungszellen aus dem Immunsystem in den Tumor einströmen,
um ihn dann zu zerstören. Sehr wichtig ist auch die Response-Beurteilung. Dabei geht
es um die Frage: Woran erkenne ich, dass ein Tumor auf eine Therapie anspricht? Es
ist, wie bereits gesagt, nicht mehr allein eine Frage der Tumorgröße. Wir können heute
die Perfusion des Tumors beurteilen, den Glukose-Stoffwechsel erfassen, oder Änderungen
in der Binnenstruktur erkennen. Im IT-Bereich gibt es Entwicklungen, die in der Radiologie
immer stärker an Bedeutung gewinnen. Hierzu zählen insbesondere die strukturierte
Befundung und das maschinenbasierte Lernen. Auch im Bereich der onkologischen Interventionen
passiert gerade viel. So sind die perkutane Tumortherapie wie auch die transvaskuläre
Tumortherapie Verfahren, die eine möglichst effektive Behandlung mit einer bestmöglichen
Lebensqualität Betroffener verbinden.