Blutplasmaprodukte – Versorgung absehbar gefährdet!
Seit einigen Jahren weisen die Verbände in konzertierten Aktionen die Politik darauf
hin, dass die Sicherstellung der Versorgung mit Blutplasmaprodukten zunehmend gefährdet
ist und ein hohes Risiko für Engpässe besteht. Bisher gab es leider kaum Verbesserungen.
Die Politik hat zwar die zugespitzte Lage mittlerweile erkannt, doch Maßnahmen wie
das Verbot der Diskriminierung bei der Spenderauswahl für Blut- und Plasmaspenden
oder die sehr begrenzte Ausnahme von Immunglobulinen vom erweiterten Preismoratorium
sind nicht ausreichend, um der unverändert kritischen Versorgungssituation entgegenzuwirken.
Die Verbände begrüßen die Aktivitäten im „Arbeitskreis Blut“ des Robert Koch-Instituts,
doch diese schreiten zu langsam voran, denn die Lage hat sich in den letzten Jahren
dramatisch verschlechtert.
Blutplasmaprodukte sind anders als andere Arzneimittel
Blutplasma ist ein einzigartiger biologischer Rohstoff, der nicht synthetisch hergestellt
werden kann. Für daraus hergestellte Präparate wird es auch auf absehbare Zeit keine therapeutischen
Alternativen geben. Die Verfügbarkeit von Blutplasma ist von der freiwilligen Bereitschaft zur Blut-
bzw. Plasmaspende abhängig und somit per se begrenzt. Die Herstellung von Blutplasmaprodukten
ist hochkomplex, erfordert eine mehrmonatige Produktionsvorlaufzeit, notwendige strenge
Qualitätskontrollen und viel Know-how. Es gibt nur wenige qualifizierte und hochspezialisierte
Anbieter, die sich den Herausforderungen der Wirkstoffherstellung und -produktion
stellen. Rohstoffengpässe führen – wie bei keinem anderen Arzneimittel – zeitverzögert
(7-12 Monate bis zum fertigen Präparat) zu Lieferengpässen, welche sich in Versorgungsengpässen
manifestieren können.
Die aktuelle Situation ist dramatisch
Der limitierten Verfügbarkeit von Blutplasma und Blutplasmaprodukten, dramatisch verstärkt
durch den Corona-Pandemie-bedingten Einbruch der Spendenanzahl, steht ein stetig wachsender
Bedarf an Blutplasmapräparaten gegenüber. Dieser wird in den nächsten Jahren durch
bessere und schnellere Diagnostik, ein erweitertes Indikationsspektrum verbunden mit
dem demografischen Wandel und einer steigenden Lebenserwartung, noch größer werden.
Die weltweite Blutplasmaknappheit wirkte sich auch in Deutschland auf die Verfügbarkeit
von Immunglobulin-Präparaten aus, wobei die gemeldeten Lieferengpässe (BfArM-Lieferengpassliste) letztlich zu einem massiven Versorgungsengpass führten. Für viele Patientinnen und
Patienten sind die Lieferengpässe in ihrem Alltag deutlich spürbar (z. B. reduzierte
Dosierungen, Ausweitung der Anwendungsintervalle) – mit teils dramatischen Auswirkungen.
Da Blutplasmapräparate häufig bei der Behandlung von seltenen Erkrankungen zum Einsatz
kommen, sind sie in besonderem Maße versorgungsrelevant. Viele Patientinnen und Patienten
sehen sich daher einer bedrohlichen Situation ausgesetzt, bei den Patientenorganisationen
laufen die Telefone heiß. Laut einer kleinen Anfrage an die Bundesregierung (Drucksache 20/4072) vom 16.11.2022 sieht die Bundesregierung allerdings unverständlicherweise keine
Gefährdung der Versorgung mit Blutplasmaprodukten und bezieht sich dabei auf Daten
des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI). Das aktuelle Meldesystem zur Herstellung und zum
Verbrauch von Blutprodukten scheint demnach nicht geeignet zu sein, auftretende Versorgungsengpässe
frühzeitig zu erkennen, denn das PEI veröffentlicht die Berichte gemäß § 21 TFG zu
den Auswertungen erst mit großer Zeitverzögerung. Folglich besteht gar nicht die Möglichkeit,
Versorgungsengpässe zeitnah erkennen zu können.
Was eilig politisch umzusetzen wäre…
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Verbesserung von Informationsangeboten zur Aufklärung der Bevölkerung über die Möglichkeiten
der Blutplasmaspende
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Verbesserung der Rahmenbedingungen für Blutplasmaspende und -sammlung
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Verringerung der Abhängigkeit von Blutplasmaimporten aus dem nicht-europäischen Ausland
durch Ausweitung der Blutplasmaspende EU-weit. Neben weiteren Maßnahmen beinhaltet
dies u.a. auch die Positionierung Deutschlands für den Erhalt der Möglichkeit, Spendern
eine pauschale Aufwandsentschädigung zu gewähren.
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Erhalt und ggf. Ausbau der hiesigen Produktionsstandorte in Deutschland und der EU
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Abschaffung der Parallelimportförderung
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Abschaffung der Rabattverträge für Blutplasmapräparate (derzeit ausgenommen Hämophilie
A und B), wie bei den Impfstoffen
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Verbot einer ausschließlich kostengetriebenen „aut-idem“-Substitution für Blutplasmaprodukte
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Ausnahmeregelungen für Blutplasmapräparate von Standard-Kostendämpfungsmaßnahmen wie
Herstellerabschlag und Preismoratorium
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Anpassung des aktuellen Meldesystems zu Daten gemäß § 21 TFG zur frühzeitigen Erkennung
von Versorgungsengpässen
Viele dieser Maßnahmen ließen sich sofort im Rahmen des Arzneimittellieferengpassbekämpfungs-
und Versorgungsverbesserungsgesetzes (ALBVVG) umsetzen! Daher haben bereits zahlreichen
Aktivitäten mit Vertretern aus der Politik, u.a. Gesundheitsausschuss des Bundestages,
stattgefunden und werden auch zukünftig stattfinden.
Support für Siemens Atellica COAG 360 wird eingestellt!
Erst vor wenigen Jahren wurde der Gerinnungsanalyzer Atellica COAG 360 von der Siemens
Healthineers AG eingeführt, auf dem deutschen Markt beworben und vertrieben. Dessen
Performance wendet sich insbesondere an Zentren, die viele verschiedene Spezialteste
der Hämostase durchführen. Neben Koagulometrie, Photometrie und Nephelometrie können
mit diesem Testsystem auch LOCI („luminescent oxygen channeling assays“) und Aggregometrien
durchgeführt werden. Dies war auch für einen der Autoren der Beweggrund, diese Analyzer
anzuschaffen und unter schwierigen Bedingungen – bei hohem Eigengewicht mit dem Kran
über Dachfenster in der 5. Etage – vier Geräte liefern zu lassen. In Deutschland als
Hauptabsatzmarkt sind bereits 90 bis 95 dieser Geräte in Zentren und Kliniken installiert
worden, teilweise erfolgte dies erst vor wenigen Monaten.
Im Mai 2023 erreichte den Vorstand des BDDH auf Umwegen über Mitglieder, die Nachricht,
dass dieser Analyzer bald nicht mehr vom Hersteller supportet wird. Hersteller und
Vertrieb hatten bis dato erstaunlicherweise keine entsprechende Meldung ausgegeben.
Als „End of Life“ wird nun der Oktober 2024 angegeben. Dies sei eine globale Entscheidung
von Siemens Healthineers, welches sich auf das Joint Venture mit Sysmex fokussieren
wolle und so nur noch diese Gerätelinie im Konzern halten werde. Einen ähnlichen Kahlschlag
erleben zurzeit auch weitere Teile des Portfolios von Siemens Healthineers, betreffend
insbesondere ältere Geräte mit LOCI-Technologie und Blutbildautomaten.
Für die betroffenen Labore schlägt die Siemens Healthcare GmbH den Umstieg auf einen
Sysmex-Analyzer vor. Dies löst gerade in akkreditierten Laboratorien einen immensen
Arbeitsaufwand, verbunden mit hohen Kosten, mit vollständig neuer Evaluation des Systems
mit allen darauf laufenden Siemens- und Fremdtesten, Anbindung an die EDV, Festlegung
von Referenzbereichen für verschiedene Patientengruppen, u.v.m. aus.
Zumindest haben die wichtigsten Vertriebe für Fremdreagenzien diese nach CE und demnächst
auch nach IVD in Kombination mit Geräten der Firma Sysmex zertifiziert. Alternativ
steht jedem enttäuschten Kunden von Siemens Healthcare nun natürlich frei, zu einem
Mitbewerber von Siemens Healthcare abzuwandern. Manche Testverfahren müssen künftig
– unabhängig von der Art des gewählten künftigen Analyzers - auf andere Analyzer verlagert
werden, da diese nur auf dem COAG 360 zur Verfügung standen: So muss das Prothrombinfragment
(F1 + 2) künftig wieder mit einem ELISA bestimmt werden, die Aggregometrie muss mit
einem Aggregometer erfolgen.
Nicht nachvollziehbar und ärgerlich ist die Informationspolitik der Siemens Healthcare
GmbH, die solch wichtige Entscheidungen nicht adäquat kommunizierte, sondern erst
auf Nachfrage bestätigte und nicht auf alle Kunden proaktiv zugegangen ist. Auch bleibt
die Frage aktuell offen, woher bei diesem Unternehmen die Manpower kommen soll, 95
Systeme innerhalb eines Jahres zu ersetzen. Insgesamt hätten wir viel Potenzial für
die Gerinnungsanalytik mit dem COAG 360 in Deutschland gesehen und bedauern diese
Managemententscheidung, die ohne adäquate Kommunikation über die Situation und die
Erfordernisse in Deutschland hinweg getroffen wurde.
Für den Vorstand des BDDH:
PD Dr. Jürgen Koscielny
Dr. Günther Kappert
PD Dr. Christoph Sucker