Schlüsselwörter
Brustimplantat - Lymphom - BIA-SCC - Immunstimulation - texturierte Implantate - Plattenepithelkarzinom
- implantatassoziierte Tumoren - BIA-ALCL
Einleitung
Der mit weitem Abstand häufigste Tumor dieses Formenkreises ist das brustimplantatassoziierte
anaplastische großzellige Lymphom (BIA-ALCL), ein sehr seltener Subtyp der Non-Hodgkin-Lymphome.
Im Gegensatz zum primären, sporadischen ALCL der Brust handelt es sich nicht um einen
Tumor des Brustgewebes. Es tritt ganz überwiegend nach der Implantation von texturierten
Silikonimplantaten innerhalb der Implantatkapsel auf.
Die genaue Anzahl der weltweiten Fälle ist schwierig zu bewerten, da die unstrukturierten
Meldungen zum Teil unvollständig oder redundant in unterschiedlichen Datenbanken sind
[1]. Zudem fehlen häufig Angaben zur Implantathistorie, zum klinischen Verlauf und zur
Histologie. Neben unverlässlichen Daten zur Inzidenz
liegen auch keine belastbaren Verkaufs- bzw. Implantationsdaten vor. Es bestehen erhebliche
Unterschiede gemeldeter Fälle im Ländervergleich, deren Grund bisher nicht geklärt
werden konnte
(vgl. [Tab. 1]) [2].
Tab. 1
Registrierte BIA-ALCL-Fälle der PROFILE-Datenbank.
|
Einwohner Mio.
|
Fälle
|
verstorben
|
Modifiziert nach https://www.plasticsurgery.org/documents/Health-Policy/ALCL/PROFILE-Data-Summaries_Sept22.pdf
Die hier registrierten Fälle entsprechen nicht den Meldungen an die FDA [1].
|
Argentinien
|
45,8
|
17
|
0
|
Australien
|
25,7
|
112
|
4
|
Österreich
|
9
|
6
|
0
|
Belgien/Luxembourg
|
12,2
|
26
|
0
|
Brasilien
|
214
|
31
|
1
|
Kanada
|
28,3
|
38
|
1
|
Chile
|
19,6
|
2
|
0
|
China
|
1412
|
1
|
0
|
Dänemark
|
5,9
|
13
|
0
|
Frankreich
|
67,7
|
99
|
4
|
Deutschland
|
84
|
46
|
0
|
Griechenland
|
10,6
|
1
|
0
|
Ungarn
|
9,7
|
1
|
0
|
Israel
|
9,4
|
9
|
0
|
Italien
|
59,1
|
73
|
2
|
Japan
|
125,7
|
4
|
0
|
Mexiko
|
126,7
|
14
|
0
|
Holland
|
17,5
|
70
|
2
|
Neuseeland
|
5,1
|
20
|
1
|
Norwegen
|
5,4
|
13
|
0
|
Polen
|
37,7
|
10
|
0
|
Russland
|
144,7
|
8
|
0
|
Spanien
|
47,6
|
74
|
3
|
Schweiz
|
8,7
|
11
|
0
|
Schweden
|
10,6
|
8
|
2
|
Vereinigtes Königreich
|
67,5
|
78
|
1
|
Vereinigte Staaten
|
332
|
402
|
8
|
andere
|
|
60
|
2
|
Total
|
|
1233
|
31
|
Bei den gemeldeten Fällen gab es eine auffällige Häufung von makrotexturierten Implantaten
zum Zeitpunkt der Explantation. Trotz unbefriedigender Datenlage wurden daraufhin
im April 2019
sämtliche makrotexturierten Implantate vom Markt genommen. Mikrotexturierte Implantate
sind deutlich weniger häufig betroffen, glattwandige, soweit bekannt, gar nicht.
Um zu einem besseren Verständnis der Erkrankung zu gelangen, aber auch um zukünftige
implantatbasierte Probleme frühzeitiger zu detektieren, sind die bestehenden passiven
Vigilanzsysteme
nicht ausreichend. Vielmehr muss international eine verbindliche Datenkollektion mit
Vernetzung der Auswertung aller Registerdaten erfolgen [3]. In Deutschland wird dies durch das Implantateregistergesetz als weltweiter Vorreiter
derzeit realisiert [4].
Epidemiologie des BIA-ALCL
Epidemiologie des BIA-ALCL
Das sporadische ALCL der Brust ist eine sehr seltene Erkrankung mit einer Inzidenz
von ca. 0,037 je 1 Mio. Frauen. Zudem sind diese meistens vom B-Zell-Typ. Die T-Zell-Typen
betreffen weniger
als 6 % [5]
[6]. Das Auftreten von implantatkorreliertem ALCL ist im Vergleich hierzu
immer noch sehr selten, aber häufiger, als es von den sporadischen Formen zu erwarten
wäre [7]
[8]. Die retrospektiven Untersuchungen hierzu unterliegen Limitationen. Erst seit 2013
ist diese Form als eigenständige Entität gelistet. Bisher sind beide selbst durch
immunhistochemische oder genetische Analysen schwierig zu unterscheiden. Aufgrund
besserer Diskriminierungstechniken ist die vorläufige Einstufung verlassen worden
[9]
[10]
[11].
Die Anzahl der weltweit durchgeführten Eingriffe mit Brustimplantaten ist unbekannt.
Nach konservativen Schätzungen sind etwa 35 Mio. Patientinnen Träger von Brustimplantaten.
Laut der
globalen Umfrage der ISAPS (International Society of Aesthetic Plastic Surgery), werden
jährlich etwa 1,68 Mio. Implantationen durchgeführt [12].
Der Food and Drug Administration (FDA) wurden bis April 2022 insgesamt 1130 Fälle
gemeldet, davon 59 Todesfälle [13]. Kanada hat bisher
64 bestätigte Fälle und 25 Verdachtsfälle gemeldet; hiervon 3 Todesfälle (Stand: 6.
April 2022) [14]. Australische Behörden erhielten bis
September 2022 Meldungen über 112 Fälle. In der EU hat die Task Force on BIA-ALCL,
die sich aus regulatorischen Behörden zusammensetzt, 398 Fälle gemeldet bekommen,
wovon 345 konfirmiert
werden konnten [15]. In Deutschland ist die Erkrankung meldepflichtig. Aktuell sind 46 BIA-ALCL-Fälle
beim Bundesinstitut für
Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) registriert, darunter kein Todesfall (Update
vom 06.03.2023) [16].
Die Meldungen in der EU sind im Vergleich zu Australien und Neuseeland sehr niedrig.
Dies spiegelt sich auch in den wenigen epidemiologischen Studien. Zusammengefasst
variieren die Angaben
zum Lebenszeitrisiko zwischen 1,65 und 35 Fällen je 100000 Frauen mit Implantaten
[5]
[17]
[18]
[19]
[20]. Bei der Schätzung der erforderlichen Anzahl von Implantaten, um ein BIA-ALCL zu
induzieren, berichten Cordeiro et al. über 10 eigene Fälle aus einer Kohorte von 3546
Frauen. Dies entspricht einer kumulierten Inzidenz von 1 : 355 Patientinnen [19]. Demgegenüber gehen Doren et al. von einem absoluten
kumulativen Risiko von 29/1 Mio. Frauen bis 50 Jahre und einem Anstieg auf 82/1 Mio.
im Alter von 75 Jahren aus. Die geschätzte Rate liegt zwischen 1 : 6600 und 1 : 53300,
abhängig vom
verwendeten Implantattyp [17]. Für Australien und Neuseeland wird das Risiko mit 1 : 2832 für Polyurethan-, 1 : 3345
für Biocell-
(BIOCELL, Allergan, Dublin, Ireland) und 1 : 86029 für Siltex-Oberflächen (Siltex,
Mentor, Deutschland) angegeben [21].
Da weder verlässliche Verkaufs- noch Implantationsdaten vorliegen, haben alle Autoren
unterschiedliche Ansätze verfolgt. So extrapolierten De Boer et al. die Prävalenz
von Implantaten aus
3000 zufällig ausgewählten Röntgenuntersuchungen und haben daraus die Prävalenz von
Implantatträgerinnen in Holland von 3,3 % zugrunde gelegt. Die Angaben zu den Implantattypen
resultieren aus
Angaben der Hersteller zu den landesweiten Verkaufszahlen, nicht jedoch den tatsächlich
verwendeten Produkten [5].
Auch unvollständige Angaben zur Implantathistorie verhindern eine zuverlässige Bewertung.
In den meisten Ländern werden vorwiegend texturierte Implantate verwendet. Daher ist
es
nachvollziehbar, weshalb Meldungen überwiegend diesen Oberflächentyp betreffen. Im
Gegensatz hierzu werden in den USA fast ausschließlich glattwandige Produkte verwendet.
Dennoch wiesen von
den 1130 gemeldeten Fälle der FDA 798 zum Zeitpunkt der Explantation texturierte Implantate
auf, nur bei 37 Fällen glattwandige Oberflächen (vergl. [Tab. 2]).
Tab. 2
Angaben zur Oberflächentextur der FDA gemeldeten Fälle zum Zeitpunkt der Explantation
[12].
Angabe zur Oberflächentextur
|
n = 1130
|
|
|
keine Angabe
|
295 (26%)
|
|
|
texturiert
|
798 (71%)
|
|
|
glattwandig
|
37 (3%)
|
davon:
|
|
|
|
8
|
mindestens 1 texturiertes Implantat in Vorgeschichte
|
|
|
10
|
vorausgegangenes Implantat, ohne Angaben zur Oberfläche
|
|
|
18
|
keine Angaben zur Vorgeschichte
|
|
|
1
|
1 glattwandiges Implantat und kein bekanntes texturiertes in Vorgeschichte
|
Angaben zur Inzidenz, insbesondere zur Bewertung spezifischer Implantate müssen somit
zurückhaltend bewertet werden. In der Zusammenschau muss ein kausaler Zusammenhang
mit makrotexturierten
Implantaten angenommen werden. Das Fehlen eines verlässlichen Denominators (Anzahl
der insgesamt eingebrachten Implantate) erlaubt bisher keine Risikokalkulation für
andere Implantattypen. Die
verfügbaren Daten weisen darauf hin, dass Patientinnen mit Brustimplantaten ein niedriges
absolutes, aber hohes relatives Risiko für die Entwicklung eines BIA-ALCL haben.
In diesem Zusammenhang muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass der ganz überwiegende
Anteil der Erkrankungen bei makrotexturierten Implantaten aufgetreten ist. Diese Implantate
sind
inzwischen vom Markt, sodass eine prospektive Risikobewertung kaum möglich ist. Zudem
ist unklar, ob wir uns aufgrund des hohen Verwendungsgrades dieser Produkte erst am
Anfang eines Problems
befinden und wie Operateure im Fall von Revisionseingriffen mit der Kapsel dieser
Implantate verfahren sollen.
Ursachen
Die Pathogenese des Tumors konnte bisher nicht geklärt werden. Es werden verschiedene
Hypothesen diskutiert, die auf eine multifaktorielle Genese hindeuten. In jedem Fall
scheint eine
Immunstimulation durch eine subklinische chronische Entzündungsreaktion eine relevante
Rolle zu spielen. Es wird vermutet, dass diese anhaltende Stimulation der T-Zellen
ihre deregulierte
klonale Expansion triggert. Auslöser könnten implantatbezogen sein, also eine Entzündungsreaktion
durch die Implantathülle selber, ein Abrieb von Silikonpartikeln oder eine allergische
Hypersensibilität, aber auch eingriffsbezogen, etwa eine bakterielle Kontamination
mit bestimmten Keimen und Ausbildung eines Biofilms. Zudem könnte eine alterierte
Immunantwort durch
genetische Charakteristika der Patientin eine Rolle spielen [22]
[23]. Für keine
dieser Hypothesen liegen derzeit ausreichende wissenschaftliche Belege vor.
Diskutiert wird ebenfalls, ob es sich bei den aktivierten T-Lymphozyten zumindest
in einem Teil der Fälle lediglich um eine lymphoproliferative Reaktion handelt, wie
sie bei anderen, meist
viralen inflammatorischen Prozessen gesehen wird, ohne dass es obligat zu einer malignen
Transformation kommt. Dies wäre eine potenzielle Erklärung für die relativ geringe
Anzahl von
therapiebedürftigen ALCL-Fällen in der Vergangenheit [15]
[24]
[25].
Implantate
BIA- ALCL treten nicht ausschließlich bei Brustimplantaten auf, sondern wurden auch
bei orthopädischen Materialien, Zahnimplantaten, nach bariatrischen Eingriffen sowie
bei Verwendung
flüssiger Silikonfiller beschrieben. Dies betrifft jedoch nur jeweils wenige Einzelfälle,
zudem mit zum Teil anderen Lymphomtypen. Der kausale Zusammenhang muss daher derzeitig
sehr
vorsichtig interpretiert werden. In jedem Fall besteht bei keinem dieser Implantate
eine Häufung, wie wir sie bei Brustimplantaten sehen.
Implantierte Fremdkörper lösen immer eine inflammatorische Reaktion und eine kapsuläre
Einscheidung aus. Eine komplexe Wundheilungskaskade führt zu einer Leukozytenstimulation
und
Differenzierung. Bisher liegen keine Kenntnisse darüber vor, welche spezifischen Aspekte
z. B. einer texturierten Oberfläche diesen Ablauf im Vergleich zu anderen Implantatoberflächen
ändern
und zu einer malignen Entartung führen. Jedoch wird postuliert, dass texturierte Implantatoberflächen
im Vergleich zu glatten Oberflächen vermehrt zur Biofilmbildung neigen könnten; zudem
ist die Kontaktfläche und die Fläche kontinuierlicher Friktion zwischen Implantat
und Implantatkapsel sowie auch die Anzahl freigesetzter Silikonpartikel größer, was
die chronische
Entzündungsreaktion verstärken könnte [15]
[26]
[27]
[28].
Auch der Einfluss einer unterschiedlichen Beschaffenheit, aber gleich „hohen“ Oberfläche
durch unterschiedliche Herstellungsverfahren ist unklar. Beispiele sind das Salt-Loss-Verfahren,
bei
dem Salzkristalle im Rahmen der Herstellung wieder herausgewaschen werden und scharfkantige
Vertiefungen hinterlassen. Eine Gasdiffusion zum Zeitpunkt der Vulkanisation führt
zu einer
geringeren Tiefe und im Vergleich runderen Poren, die beim Aufdruckverfahren noch
einmal verringert werden. Polyurethanschaum schließlich hat eine vollkommen andere
Produktionsweise. Dennoch
werden viele diese Oberflächen gleich klassifiziert.
Obwohl der Einfluss der Oberfläche nicht abschließend zu bewerten ist, schwankt die
Inzidenz bei unterschiedlichen Oberflächen erheblich. Zwar wird im allgemeinen Sprachgebrauch
von makro-,
mikro- und nanotexturieren Implantaten im Vergleich zu glattwandigen Implantaten gesprochen,
jedoch existiert bisher keine allgemein akzeptierte Klassifikation. Daher können Oberflächen
von
den Herstellern unterschiedlich bewertet und dargestellt werden. Polyurethan-Oberflächen
werden als makrotexturiert eingestuft, können mit ihrer schaumartigen Struktur jedoch
nur schwerlich
mit den vorgegebenen Parametern klassifiziert werden. Am weitesten verbreitet ist
die ISO 14607:2018, die eine Einteilung nach der durchschnittlichen Rauigkeit vornimmt.
Diese Einteilung ist
lediglich deskriptiv und klinisch nicht validiert. Messtechnik und Produktionsabweichungen
limitieren zusätzlich die Aussagekraft. Auch die oben angesprochenen Besonderheiten
werden nicht
adressiert. Derzeit gibt es Ansätze, klinische Aspekte zu integrieren [12].
Die Fokussierung auf die alleinige Oberflächenstruktur erklärt bisher nicht die unterschiedliche
Verhaltensweise. Implantate mit derselben Oberflächenklassifikation müssten auch eine
vergleichbare Inzidenz von BIA-ALCL aufweisen.
Bakterielle Kontamination
Trotz größter Achtsamkeit und Bemühungen um ein steriles Arbeitsumfeld ist eine Kontamination
mit Keimen nicht immer zu vermeiden. Spätkontaminationen können auf hämatogenem Weg
entstehen.
Eine Arbeitsgruppe in Australien fand eine Häufung von spezifischen Keimen in der
Kapsel von BIA-ALCL-Patienten im Vergleich zu benignen Kapselfibrosen. Zudem wurde
eine höhere Keimzahl
nachgewiesen [26]. Die Befunde konnten bisher von anderen Gruppen nicht bestätigt werden [27]. Die klinische Relevanz bleibt ungeklärt, zumindest der Einfluss spezifischer Keime
wird inzwischen für unwahrscheinlich gehalten.
Die Kolonisation der Implantatoberfläche führt zur Ausbildung eines Biofilms. Die
hierdurch hervorgerufene subklinische Inflammation könnte durch die daraus folgende
chronische Stimulation
von T-Zellen über mehrere Schritte und unter Beteiligung individueller immunmodulierender
Faktoren zu deren maligner Transformation beitragen [29]. Hierbei wird vermutet, dass ein höheres Oberflächenrelief auch eine höhere Bakterienlast
bergen kann und hierdurch ein höheres Risiko für die T-Zell-Stimulation
resultiert [30].
Abrieb von Mikropartikeln
Der Abrieb von Silikonpartikeln betrifft mutmaßlich besonders Implantate mit einer
rauen Oberfläche. Das Phänomen ist seit Längerem bekannt, zuletzt aber auch im Zusammenhang
mit der
histologischen Aufarbeitung von BIA-ALCL-betroffenen Kapseln beschrieben [4]. Auch hier wird letztlich über verschiedene Pfade eine
Aktivierung des Immunsystems postuliert. Ein ursächlicher Zusammenhang zur Ausbildung
eines Tumors konnte bisher nicht belegt werden.
Bei defekten Implantaten geht die Freisetzung von größeren Partikeln mit einer inflammatorischen
Reaktion auf den Fremdkörper u. a. mit der Ausbildung von Granulomen einher. Ob dies
auch
bei Mikropartikeln der Fall ist, lässt sich in der aktuellen Literatur nicht belegen.
Die hierdurch aktivierten Makrophagen können Zytokine exprimieren, die eine Proliferation
von T-Zellen
stimulieren. Auch der Transport in lokale Lymphknoten ist bekannt [6]. Die klinische Relevanz ist bisher nicht geklärt.
Genetische Disposition
Eine geringe Anzahl von BIA-ALCL-Meldungen trat bei Patientinnen mit einem bekannten
familiären Risiko für ein Mammakarzinom auf. Auffallend war die unterdurchschnittliche
Zeit nach
Implantation [15]
[31]. Einige Studien haben sich auch bemüht, die genetischen
Alterationen im ursprünglichen Brusttumor mit denen des BIA-ALCL abzugleichen bzw.
genetische Auffälligkeiten im Tumormaterial bei Patientinnen ohne vorheriges Mammakarzinom
zu finden, die
für die Pathogenese eine Rolle spielen könnten. Mehrfach wurde hierbei eine Mutation
in Genen gefunden, welche die Aktivität des JAK/STAT-Mechanismus beeinflussen. Dieser
ist für die
Herabregulierung von immunologischen Reaktionen mitverantwortlich. Eine Störung könnte
somit für eine anhaltende Immunstimulation verantwortlich sein [32]. Aktuell wird der Einfluss genetischer Faktoren als wesentlich für die Genese betrachtet
[22].
Hypoxie
Gewebehypoxie wird aktuell als eine der wahrscheinlichsten ursächlichen Faktoren für
die Entstehung des BIA-ALCL angesehen. So wurde im Rahmen von RNA-Sequenzierungen
eine dramatische
Heraufregulierung des hypoxieassoziierten Biomarkers Carboanhydrase 9 (CA-9) in BIA-ALCL-Gewebe
im Vergleich zu nicht-BIA ALCL-Gewebe gezeigt [33].
Klinik und Diagnose
BIA-ALCL entstehen innerhalb der Implantathülle und können entweder in situ, also
beschränkt auf ein Serom bzw. adhärent an der Kapsel, oder infiltrativ auftreten.
In den meisten Fällen
entwickelt sich in kurzer Zeit ein ausgedehntes Serom, das Tumorzellen enthält. Das
Auftreten erfolgt mindestens 1 Jahr nach Implantation, durchschnittlich nach 7 bis
10 Jahren, wobei
rekonstruktive und ästhetische Implantationen etwa gleich häufig vertreten sind. Kleinere
Serome um ein Implantat sind häufig zu sehen und erfordern bei ansonsten unauffälliger
Klinik und
Bildgebung keine weitere Diagnostik. Etwa 8–24% der Patientinnen haben isoliert oder
begleitend einen soliden Tumor. Nur sehr selten finden sich systemische Symptome wie
Hautausschlag und
Fieber. Die infiltrativen Stadien können eine Lymphknotenbeteiligung aufweisen, unabhängig
vom Vorliegen eines soliden Anteils [34].
Die weiterführende Diagnostik erfolgt mittels Ultraschall. Die Sensitivität und Spezifität
zur Detektion eines Ergusses werden mit 84% bzw. 75% angegeben, für solide Anteile
mit 46% bzw. 100%
[35]. Insbesondere zum Screening ist daher der Ultraschall die geeignete Methode. Gemäß
der Konsensusleitlinie sollen hierbei neben dem
Flüssigkeitsverhalt bzw. einer Raumforderung die ableitenden Lymphabflusswege auf
suspekte Veränderungen untersucht werden. Bei Unklarheiten wird eine NMR-Untersuchung
(Nuclear Magnetic
Resonance) empfohlen. CT-Untersuchungen spielen eine untergeordnete Rolle. Ein PET-CT
wird bei Fragen zur systemischen Ausbreitung empfohlen [36]
[37].
Die Diagnose erfolgt durch eine Analyse des Seroms. Hierbei ist wichtig, ausreichend
Zellmaterial für eine Flow-Zytometrie zu gewinnen. Mindestens 50 ml sind erforderlich.
Serielle Punktionen
sollen vermieden werden, da der Dilutionseffekt die Diagnostik erschwert. Zusätzlich
sollte eine bakterielle Untersuchung erfolgen [38].
Solide Tumoren werden biopsiert.
Wenn die Zellmorphologie Auffälligkeiten zeigt, wird die Immunhistochemie ergänzt.
Diese erfolgt auch, um andere maligne oder benigne Prozesse auszuschließen, die ein
ähnliches Bild wie
BIA-ALCL aufweisen können. CD30 und ALK sind die bekanntesten Marker, wovon Ersterer
konsistent positiv und Letzterer immer negativ ist. Sie sind jedoch für sich betrachtet
nicht beweisend für
ein BIA-ALCL. Auch andere kutane oder systemische Formen des ALCL können ALK-negativ
sein. CD30 ist ein unspezifischer Marker, der auch auf benignen aktivierten T- und
B-Zellen zu finden ist,
z. B. im Zusammenhang mit viralen Infekten. Auch spärliche CD30-positive Lymphozyten
mit unauffälliger Morphologie bedürfen keiner weiteren Abklärung. Die Marker müssen
in Zellen nachgewiesen
werden, welche die typischen zytologischen Eigenschaften eines ALCL aufweisen. Daher
sind ggf. auch andere Marker zu ergänzen [30]
[39]
[40].
Wesentlich für die weitere Therapie und Prognose ist die Bewertung einer Kapselinfiltration.
Nach vollständiger En-bloc-Resektion der Kapsel werden hierfür mindestens 12 Biopsien
empfohlen,
um die Resektionsränder zu beurteilen [41].
Therapie des BIA-ALCL
Für die Behandlung liegen Leitlinien und Empfehlungen vor [34]. Im Vordergrund und entscheidend für die Prognose ist die vollständige
chirurgische Resektion des Tumors mitsamt der Implantatkapsel (En-bloc-Resektion).
Im Falle einer unvollständigen Resektion oder systemischer Beteiligung kann eine adjuvante
Therapie
erforderlich sein. Diese ist in Ermangelung von erkrankungsspezifischen Erfahrungen
bislang weitgehend an die Therapie des systemischen ALCL angelehnt.
Die Entfernung des Sentinellymphknotens wird nicht empfohlen, bei auffälligen Lymphknoten
sollte eine Exzisionsbiopsie erfolgen. In bis zu 4,6% trat der Tumor beidseits auf.
Es wird daher
empfohlen, ein kontralaterales Implantat ebenfalls zu entfernen. Eine Sofortrekonstruktion
mit einem glattwandigen Implantat wird ebenso diskutiert wie eine primäre oder sekundäre
Rekonstruktion mit Eigengewebe. Hierfür sowie für die Nachsorge liegen bisher keine
standardisierten, international konsentierten Empfehlungen vor [34].
Prognose
BIA-ALCL haben eine sehr günstige Prognose, wenn sie zeitnah erkannt und konsequent
behandelt werden. Nach bisherigem Kenntnisstand sind In-situ-Tumoren durch alleinige
Kapselresektion
kurativ behandelt. Eine spontane Rückbildung wurde in Einzelfällen beschrieben [24]. Problematisch hierbei ist, dass bisher keine
Parameter zur Identifikation benigner Verläufe vorliegen [42]. Infiltrative Stadien, die chirurgisch nicht vollständig saniert werden
können, haben eine ungünstigere Prognose mit einer Mortalität von bis zu 40% in 2
Jahren [5]
[15].
Weitere brustimplantatassoziierte Tumoren
Weitere brustimplantatassoziierte Tumoren
Virale Infektionen sind für 15–20% aller menschlicher Tumoren verantwortlich [43]. Das Epstein-Barr-Virus (EBV) verursacht u. a.
B-Zell-Lymphome, Burkitt-Lymphome und diffuse großzellige B-Zell-Lymphome. Auch dass
chronische Inflammationen zu einer malignen Transformation und Plattenepithelkarzinomen
führen können, ist
seit Langem bekannt. Marjolin-Ulzera entstehen auf der Basis von Entzündungen und
Ulzera am Bein.
In den letzten Jahren wurden zusätzlich zum BIA-ALCL auch implantatassoziierte, diffus
großzellige B-Zell-Lymphome (DLBCL) beschrieben, wie das brustimplantatassoziierte,
EBV-positive, diffus
großzellige B-Zell-Lymphom [44]
[45]
[46]
[47]. Diese sind meist negativ für ALK, CD2, CD3, und B-Zell-Marker [48], jedoch u. a. CD20- [44]
[47]
[48]
[49], CD5-, BCL-2-, CD21-, CD23-, IgD-, IgM-positiv [49], im Falle von EBV-positiven, diffus großzelligen B-Zell-Lymphomen CD20-, CD30-,
CD79a-, MUM1- und PAX-5-positiv [44]
[47]
[48] und ähnlich zum
BIA-ALCL in den meisten Fällen mit texturierten Implantaten assoziiert [45]
[47].
In einem Fall wurde ein DLBCL jedoch auch nach Implantation eines glattwandigen Implantats
beschrieben [50]. Die Prothesenimplantation
erfolgte häufig deutlich über 10 Jahre zuvor [44]
[45]
[47]
[48]. Die FDA hat anhand von Literaturrecherchen weniger als 30 Fälle dokumentiert;
12 Fälle wurden bisher gemeldet (Stand: 08. September 2022) [51].
Ähnlich zu BIA-ALCL soll auch hier die chronische Inflammation eine übergeordnete
Rolle in der Pathogenese der DLBCL spielen [52].
Bacon und O’Donoghue argumentieren jedoch, dass in einigen der beschriebenen, vermeintlich
implantatassoziierten Lymphome [53]
[54] kein ursächlicher Zusammenhang zwischen Lymphom und Implantat wahrscheinlich ist,
insbesondere wenn dieses nur in nächster Nähe [53] oder auf der abluminalen Oberfläche [54] der Implantatkapsel gefunden wurde [55]. Zudem wiesen einige Patientinnen auch ein systemisches Lymphom auf. Im Gegensatz
hierzu sehen sie bei den mit chronischer Inflammation
assoziierten DLBCL (DLBCL-CI) oder fibrinassoziierten DLBCL (FA-DLBCL) einen potenziellen
Zusammenhang [55].
Da DLBCL-CI/FA-DLBCL mit ähnlichen Symptomen wie das BIA-ALCL einhergehen und daher
bei Vorliegen eines CD-30-positiven großzelligen Lymphoms auch als ein solches verkannt
werden können [48], sollten auch diese Erkrankungen bei Vorliegen eines Spätseroms ausgeschlossen werden.
Für die serologische Aufarbeitung sollte bei
Verdacht EBER (EBV-encoded RNA) in dem immunohistochemischen Panel ergänzt werden.
Bezüglich der Therapie existiert im Hinblick auf die Seltenheit noch kein globaler
Konsens, es wird jedoch analog zum BIA-ALCL [36] eine
zeitnahe En-bloc-Resektion empfohlen [49]
[56]. Zudem sollte wie auch bei Verdacht
auf ein BIA-ALCL bei später als 6 Monate nach Operation aufgetretenem periprothetischem
Serom eine Punktion sowie zytologische Untersuchung der oben beschriebenen Marker
veranlasst werden
[49]
[50].
Das brustimplantatassoziierte Plattenepithelkarzinom (BIA-SCC)
Das Auftreten von brustimplantatassoziierten Plattenepithelkarzinomen (SCC) wurde
bereits im Jahre 1994 beschrieben [57]. Bisher
dokumentierte die FDA anhand von Literaturrecherchen 19 Fälle (Stand: 08. März 2023)
[51]. Diese extrem seltene Erkrankung geht sowohl
mit texturierten als auch mit glatten Implantaten einher [51]
[58]
[59]
[60]
[61]. Auch ein Fall
eines nach Injektion von flüssigem Silikon in die Brust entstandenen SCC wurde dokumentiert
[62]. In den meisten Fällen wird eine über
10 Jahre zurückliegende Erst-Prothesenimplantation beschrieben [57]
[59]
[60]
[61]
[63]
[64]
[65].
Die Herkunft des Plattenepithels ist unklar. Möglich wäre die Metaplasie der Kapselzellen
durch einen chronischen inflammatorischen Reiz. Es wird aber ebenfalls eine Abriebsimplantation
im
Rahmen der Implantatinsertion bzw. eine Lazeration der Drüsengänge diskutiert [57].
Ähnlich zum BIA-ALCL geht auch das implantatassoziierte SCC mit einem Spätserom einher;
histopathologisch zeigt sich hier jedoch im Vergleich zum BIA-ALCL zusätzlich zum
periprothetischen
Serom meist ein umschriebener Tumor [57]
[58]
[64]. Bei der Aufarbeitung sollten Antikörper gegen Cytokeratin ergänzt werden.
Aufgrund der bisher sehr selten beschriebenen Fälle existiert bez. der Therapie auch
hier noch kein klarer Konsens. Es handelt sich jedoch um einen hochaggressiven Tumor
mit rascher
Infiltration über die Kapsel hinaus und schlechter Prognose. Eine zügige und radikale
Behandlung ist somit vordringlich. Auch hier wird eine En-bloc- bzw. R0-Resektion
empfohlen, die in
einigen Fällen durch eine adjuvante Radio- oder Radiochemotherapie ergänzt wurde [61]
[64]
[66]. In 3 Fällen wurde trotz R0-Resektion mit adjuvanter Radiatio oder Radiochemotherapie
eine schnelle
Progression mit Metastasierung beschrieben [61]
[64]; in mehreren Fällen wurde
bez. des Follow-ups keine Angabe gemacht [57]
[60]. Einzig Palletta et al.
beschrieben nach 1 Jahr Follow-up weder lokale noch systemische Regredienz [65].
Schlussfolgerung
Das BIA-ALCL (brustimplantatassoziierte anaplastische großzellige Lymphom) ist eine
seltene Komplikation, die vorwiegend im Zusammenhang mit makrotexturieren Brustimplantaten
auftritt. Die
Pathogenese ist bisher weitgehend unbekannt. Es werden mehrere Theorien mit unterschiedlichen
Ansätzen diskutiert, die möglicherweise multifaktoriell wirken. Bei allen Hypothesen
spielt jedoch
eine chronische Entzündungsreaktion die treibende Rolle.
Die Prognose ist bei frühzeitiger Therapie sehr günstig. Da weiter fortgeschrittene
Stadien jedoch einen deutlich ungünstigeren Verlauf aufweisen, sind eine umfassende
präoperative
Risikoabwägung, Aufklärung und dauerhafte Nachsorge der Patienten unumgänglich. Die
weiteren im Zusammenhang mit Brustimplantaten beschriebenen Tumoren sind extrem selten.
SCC haben jedoch
eine wesentlich schlechtere Prognose und müssen frühzeitig detektiert und radikal
therapiert werden. Eine prophylaktische Entfernung klinisch und in der Bildgebung
unauffälliger Implantate
wird nicht empfohlen.