Schlüsselwörter Leitlinie - Schwangerschaftsabbruch - medikamentös - operativ - 1. Trimenon
I Leitlinieninformationen
I Leitlinieninformationen
Leitlinienprogramm der DGGG, OEGGG und SGGG
Informationen hierzu finden Sie am Ende der Leitlinie.
Zitierweise
Abortion in the First Trimester. Guideline of the DGGG (S2k-Level, AWMF Registry No. 015-094,
December 2022) – Part 1 with Recommendations on Care Structures, Information and Advice
on
Decision-Making, Measures Before Abortion and Medical Abortion. Geburtsh Frauenheilk
2023; 83: 1205–1220
Leitliniendokumente
Die vollständige deutsche Langfassung dieser Leitlinien sowie eine Aufstellung der
Interessenkonflikte aller Autorinnen und Autoren befinden sich auf der Homepage der
AWMF: http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/015-094.html
Leitliniengruppe
Siehe [Tab. 1 ] und [2 ].
Tab. 1 Federführender und/oder koordinierender Leitlinienautor.
Autor/-in
AWMF-Fachgesellschaft
Prof. Dr. Matthias David
Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG)
Prof. Dr. Stephanie Wallwiener
Deutsche Gesellschaft für Psychosomatik in Frauenheilkunde und Geburtshilfe (DGPFG)
Tab. 2 Beteiligte Leitlinienautoren/-innen.
Autor/-in
Mandatsträger/-in
DGGG-Arbeitsgemeinschaft (AG)/ AWMF/Nicht-AWMF-Fachgesellschaft/ Organisation/Verein
Anne Achtenhagen
Bundesverband donum vitae zur Förderung des Schutzes des menschlichen Lebens
Prof. Dr. Christian Bamberg
Deutsche Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin
Dr. Cornelia Bormann
Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische Endoskopie
Prof. Dr. Matthias David
Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe
Prof. Dr. Ursula Felderhoff-Müser
Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin
Sylvia Groth
Arbeitskreis Frauengesundheit in Medizin, Psychotherapie und Gesellschaft
Kristina Hänel
Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin
Dr. Klaus König
Berufsverband der Frauenärzte
Prof. Dr. Matthias Korell
Deutsche Gesellschaft für gynäkologische Endokrinologie und Fortpflanzungsmedizin
Prof. Dr. Susanne Michl
Akademie für Ethik in der Medizin
Prof. Dr. Silke Redler
Deutsche Gesellschaft für Humangenetik
Prof. Dr. Ekkehard Schleußner
Deutsche Gesellschaft für Perinatalmedizin
Helga Seyler
Bundesverband pro familia – Deutsche Gesellschaft für Familienplanung, Sexualpädagogik
und Sexualberatung
Prof. Markus Wallwiener
Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische Onkologie
Prof. Stephanie Wallwiener
Deutsche Gesellschaft für Psychosomatik in Frauenheilkunde und Geburtshilfe
Die folgenden Fachgesellschaften/Arbeitsgemeinschaften/Organisationen/Vereine haben
Interesse an der Mitwirkung bei der Erstellung des Leitlinientextes und der Teilnahme
an der
Konsensuskonferenz bekundet und Vertreterinnen und Vertreter dafür benannt ([Tab. 2 ]).
Die Moderation der Leitlinie wurde dankenswerterweise von Dr. Monika Nothacker (AWMF-zertifizierte
Leitlinienberaterin/-moderatorin) übernommen.
Verwendete Abkürzungen
AWMF:
Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften
β-hCG:
humanes Choriongonadotropin
NIH:
National Institutes of Health
NSAR:
nicht steroidales Antirheumatikum
NIPT-RhD:
nicht invasiver Pränataltest zur Bestimmung des fetalen Rhesusfaktors
p. c.:
post conceptionem
SchKG:
Gesetz zur Vermeidung und Bewältigung von Schwangerschaftskonflikten
StGB:
Strafgesetzbuch
WHO:
World Health Organization
II Leitlinienverwendung
Fragestellung und Ziele
Darstellung der medizinischen Grundlagen und der wissenschaftlichen Evidenz zu Methoden
und Indikationen sowie zur Beratung der Betroffenen, zur Durchführung, Methodenwahl,
Versorgung und
Überwachung beim Schwangerschaftsabbruch bis zur 12 + 0 SSW p. c.
Versorgungsbereich
Anwenderzielgruppe/Adressatinnen und Adressaten
Diese Leitlinie richtet sich an folgende Personenkreise:
Gynäkologinnen/Gynäkologen in der Niederlassung
Gynäkologinnen/Gynäkologen mit Klinikanstellung
weitere Ärztinnen und Ärzte, die mit der Beratung zu und Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen
befasst sind
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Beratungsstellen gemäß § 218/219 StGB
Verabschiedung und Gültigkeitsdauer
Die Gültigkeit dieser Leitlinie wurde durch die Vorstände/Verantwortlichen der beteiligten
Fachgesellschaften/Arbeitsgemeinschaften/Organisationen/Vereine sowie durch den Vorstand
der DGGG
und die DGGG-Leitlinienkommission im November 2022 bestätigt und so mit ihrem gesamten
Inhalt genehmigt.
Diese Leitlinie ist gültig vom 26.01.2023 bis 25.01.2026. Diese Dauer ist aufgrund
der inhaltlichen Zusammenhänge geschätzt. Eine frühere Aktualisierung kann sich aus
neuen Publikationen
oder Änderungen in Versorgungsnotwendigkeiten ergeben (siehe nächster Abschnitt).
III Methodik
Grundlagen
Die Methodik zur Erstellung dieser Leitlinie wird durch die Vergabe der Stufenklassifikation
vorgegeben. Das AWMF-Regelwerk (Version 1.0) gibt entsprechende Regelungen vor. Es
wird zwischen
der niedrigsten Stufe (S1), der mittleren Stufe (S2) und der höchsten Stufe (S3) unterschieden.
Die niedrigste Klasse definiert sich durch eine Zusammenstellung von Handlungsempfehlungen,
erstellt durch eine nicht repräsentative Expertengruppe. Im Jahr 2004 wurde die Stufe
S2 in die systematische evidenzrecherchebasierte (S2e) oder strukturelle konsensbasierte
Unterstufe
(S2k) gegliedert. In der höchsten Stufe S3 vereinigen sich beide Verfahren.
Diese Leitlinie entspricht der Stufe: S2k .
Empfehlungsgraduierung
Die Evidenzgraduierung nach systematischer Recherche, Selektion, Bewertung und Synthese
der Evidenzgrundlage und eine daraus resultierende Empfehlungsgraduierung einer Leitlinie
auf
S2k-Niveau ist nicht vorgesehen. Es werden die einzelnen Statements und Empfehlungen
nur sprachlich – nicht symbolisch – unterschieden ([Tab. 3 ]).
Tab. 3 Graduierung von Empfehlungen (deutschsprachig).
Beschreibung der Verbindlichkeit
Ausdruck
starke Empfehlung mit hoher Verbindlichkeit
soll/soll nicht
einfache Empfehlung mit mittlerer Verbindlichkeit
sollte/sollte nicht
offene Empfehlung mit geringer Verbindlichkeit
kann/kann nicht
Statements
Sollten fachliche Aussagen nicht als Handlungsempfehlungen, sondern als einfache Darlegung
Bestandteil dieser Leitlinie sein, werden diese als „Statements“ bezeichnet. Bei diesen
Statements
ist die Angabe von Evidenzgraden nicht möglich.
Konsensusfindung und -stärke
Im Rahmen einer strukturierten Konsenskonferenz nach dem NIH-Typ (S2k/S3-Niveau) stimmen
die berechtigten Teilnehmer der Sitzung die ausformulierten Statements und Empfehlungen
ab. Der
Ablauf ist im Wesentlichen wie folgt: Vorstellung der Empfehlung, inhaltliche Nachfragen,
Vorbringen von Änderungsvorschlägen, Abstimmung aller Änderungsvorschläge. Bei Nichterreichen
eines
Konsensus (> 75% der Stimmen) Diskussion und erneute Abstimmung. Abschließend wird
abhängig von der Anzahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Stärke des Konsensus
ermittelt ([Tab. 4 ]).
Tab. 4 Einteilung zur Zustimmung der Konsensusbildung.
Symbolik
Konsensusstärke
prozentuale Übereinstimmung
+++
starker Konsens
Zustimmung von > 95% der Teilnehmer/-innen
++
Konsens
Zustimmung von > 75 – 95% der Teilnehmer/-innen
+
mehrheitliche Zustimmung
Zustimmung von > 50 – 75% der Teilnehmer/-innen
–
kein Konsens
Zustimmung von < 51% der Teilnehmer/-innen
Expertenkonsens
Hierbei handelt es sich um Konsensusentscheidungen speziell für Empfehlungen/Statements
ohne vorige systematische Literaturrecherche (S2k) oder aufgrund von fehlender Evidenz
(S2e/S3). Der
Expertenkonsens (EK) ist gleichbedeutend mit den Begrifflichkeiten aus anderen Leitlinien
wie „Good Clinical Practice“ (GCP) oder „klinischer Konsensuspunkt“ (KKP).
Die Empfehlungsstärke graduiert sich gleichermaßen, wie bereits im Kapitel Empfehlungsgraduierung
beschrieben, ohne die Benutzung der aufgezeigten Symbolik und rein semantisch („soll“/„soll
nicht“ bzw. „sollte“/„sollte nicht“ oder „kann“/„kann nicht“).
IV Leitlinie
Einführung
Eine Schwangerschaft kann prinzipiell medikamentös oder operativ abgebrochen werden.
Welche Methode im Einzelfall am besten geeignet ist, sollte in einem ergebnisoffenen
Gespräch gemeinsam
mit der schwangeren Frau entschieden werden.
Die vorliegende Leitlinie wurde nach den Regularien der AWMF (Arbeitsgemeinschaft
Wissenschaftlich-Medizinischer Fachgesellschaften) erstellt. Entsprechend den Vorgaben
für eine
S2k-Leitlinie wurden die Inhalte basierend auf einer systematischen Literaturrecherche
in einer interdisziplinären, für das Leitlinienthema repräsentativen Gruppe aus Expertinnen
und
Experten formal konsentiert.
Details zum methodischen Vorgehen können dem Leitlinienreport entnommen werden.
Diese Leitlinie richtet sich vor allem an Ärztinnen und Ärzte, die selbst Schwangerschaftsabbrüche
durchführen, und an jene Professionen, die in die Betreuung und Beratung von Frauen,
die
einen Schwangerschaftsabbruch durchführen lassen wollen, einbezogen sind.
Ebenso soll sie ratsuchenden Frauen, in Beratungsstellen nach § 218/219 StGB Tätigen
sowie Patientinnen und ihren Angehörigen Hilfestellung leisten.
Die nachfolgenden Empfehlungen befassen sich mit Versorgungsstrukturen, Informationen
und Beratung zur Entscheidungsfindung, Maßnahmen vor dem Schwangerschaftsabbruch und
mit dem
medikamentösen Schwangerschaftsabbruch.
Versorgungsstrukturen
Konsensbasierte Empfehlung 2.E1
Expertenkonsens
Konsensusstärke ++
Ein Schwangerschaftsabbruch sollte, wenn die Frau entschieden ist, so früh wie möglich
erfolgen, da dieser in frühen Schwangerschaftswochen mit geringen Komplikationsraten
verbunden ist.
Konsensbasierte Empfehlung 2.E2
Expertenkonsens
Konsensusstärke ++
Ärztinnen und Ärzte wie auch Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in Beratungsstellen
sollten alle Methoden und Verfahren kennen (operativ, medikamentös, telemedizinisch,
Home Use,
verschiedene Narkosemöglichkeiten), und die Wahlfreiheit der schwangeren Frau unterstützen,
die gewünschte Methode zeit- und wohnortnah in Anspruch nehmen zu können.
Konsensbasierte Empfehlung 2.E3
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Administrative Abläufe sollten transparent sein, sodass die Orientierung für Frauen
einfach ist und sie sich leicht zurechtfinden.
Konsensbasierte Empfehlung 2.E4
Expertenkonsens
Konsensusstärke ++
Schwangeren Frauen sollen zielgruppengerecht verständliche, evidenzbasierte und nondirektive
Informationen und Entscheidungshilfen in unterschiedlichen Medienformaten zur
Verfügung gestellt werden.
Konsensbasierte Empfehlung 2.E5
Expertenkonsens
Konsensusstärke ++
Alle Verfahren und Methoden einschließlich der dazu notwendigen Medikamente sollten
zur Verfügung stehen, um einen gleichen Zugang zu gewährleisten.
Konsensbasierte Empfehlung 2.E6
Expertenkonsens
Konsensusstärke ++
Um die Annehmbarkeit zu erleichtern, sollten Ärztinnen und Ärzte wie auch Mitarbeiter
und Mitarbeiterinnen in Beratungsstellen die autonome Entscheidung der Frau und ihre
Würde
respektieren, die Privatsphäre wahren, Vertraulichkeit sichern und Stigmata reduzieren,
persönliche Überzeugungen zurückstellen und den Zugang nicht verzögern.
Konsensbasierte Empfehlung 2.E7
Expertenkonsens
Konsensusstärke ++
Die Vermittlung von Handlungs- und Begründungswissen zum Schwangerschaftsabbruch (medizinisch,
methodisch, ethisch, juristisch, historisch, kommunikativ und
gesellschaftlich-kulturell) sollte im Kerncurriculum in der ärztlichen Ausbildung
verankert und umgesetzt werden.
Konsensbasierte Empfehlung 2.E8
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Um eine transparente Qualität in der Versorgung zu gewährleisten, sollten vorhandene
Instrumente zur Qualitätssicherung genutzt werden.
Information und Beratung zur Entscheidungsfindung
Konsensbasierte Empfehlung 3.E9
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch erwägen, sollen frühzeitig evidenzbasierte
Informationen und Unterstützung angeboten bekommen, die sie befähigen, eine informierte,
selbstbestimmte Entscheidung zu treffen.
Konsensbasierte Empfehlung 3.E10
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Schwangere sollen alle sie betreffenden rechtlichen Informationen erhalten.
Konsensbasierte Empfehlung 3.E11
Expertenkonsens
Konsensusstärke ++
Eine Verzögerung des Ablaufs durch das in § 12 SchKG festgehaltene Recht auf Weigerung,
an einem Abbruch teilzunehmen, sollte vermieden werden. Die schwangere Frau sollte
in
diesem Fall ohne Verzögerung weitervermittelt werden.
Konsensbasierte Empfehlung 3.E12
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Ein respektvoller Umgang mit den Bedürfnissen und Ressourcen der schwangeren Frau,
die Sicherstellung von Vertraulichkeit, ausreichend Zeit sowie eine wertneutrale,
nicht
bewertende Haltung der Professionellen gegenüber der Entscheidung der Betroffenen
sollen die Kommunikation mit der schwangeren Frau kennzeichnen.
Konsensbasierte Empfehlung 3.E13
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Informationen über den zeitlichen Ablauf und die beteiligten Stellen – die unterschiedlichen
Anbieterinnen und Anbieter, Beratungsstellen und Unterstützungsangebote – sollen
baldmöglichst und auf eine Weise erfolgen, die es der Frau ermöglicht, sich im Gesundheitswesen
zurechtzufinden, ihre weitere gesundheitliche Versorgung in Anspruch zu nehmen und
die weiteren Schritte zu einem Schwangerschaftsabbruch oder dem Fortführen der Schwangerschaft
zu unternehmen.
Konsensbasierte Empfehlung 3.E14
Expertenkonsens
Konsensusstärke ++
Fachkräfte sollten die vorhandenen multimodalen Informationsquellen kennen und bedürfnisgerecht
anbieten können.
Konsensbasierte Empfehlung 3.E15
Expertenkonsens
Konsensusstärke ++
Verständliche, evidenzbasierte Informationen in unterschiedlichen Formaten wie auch
Beratung sollen das Wissen und die Gesundheitskompetenz einer schwangeren Frau stärken,
sodass
sie sich gut informiert für oder gegen einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden kann.
Konsensbasierte Empfehlung 3.E16
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Frauen sollten ermutigt werden, sich bei Bedarf Unterstützung zu suchen, privat wie
auch professionell.
Konsensbasierte Empfehlung 3.E17
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Informationen zu Methoden, Prozedere, Schmerzen und Blutungen, Verhalten nach Abbruch,
Sexualität und Verhütung, Verhalten bei Notfällen und Komplikationen sollen bereitgestellt
werden.
Konsensbasierte Empfehlung 3.E18
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Patientinnen mit speziellen Bedarfen und Bedürfnissen sollen mit Sensibilität und
Professionalität, und ggf. in Kooperation mit anderen spezialisierten medizinischen
Fachdisziplinen, versorgt werden.
Maßnahmen vor dem Schwangerschaftsabbruch
Konsensbasierte Empfehlung 4.E19
Expertenkonsens
Konsensusstärke ++
Bevor ein Schwangerschaftsabbruch durchgeführt wird, soll die Schwangerschaft ärztlich
festgestellt werden.
Konsensbasierte Empfehlung 4.E20
Expertenkonsens
Konsensusstärke ++
Insbesondere soll dann eine Ultraschalluntersuchung zur Datierung der Schwangerschaftswoche
durchgeführt werden, wenn der Menstruationszyklus der Patientin unregelmäßig, der
erste
Tag der letzten Regel nicht sicher bekannt oder die palpatorische Uterusgröße nicht
mit der errechneten Schwangerschaftswoche übereinstimmend ist.
Konsensbasierte Empfehlung 4.E21
Expertenkonsens
Konsensusstärke ++
Auffälligkeiten in sonografischen und/oder genetischen Screeninguntersuchungen können
Schwangere stark verunsichern. Betroffene Schwangere sollen bei der Befundmitteilung
über die
Möglichkeit falsch positiver Screeningbefunde aufgeklärt und ihnen soll eine qualifizierte
diagnostische Abklärung bei pränataldiagnostischen Spezialisten/Spezialistinnen angeboten
werden.
Konsensbasierte Empfehlung 4.E22
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Die Schwangerschaft soll mindestens mit einem positiven Urin-β-hCG-Test nachgewiesen
sein. Quantitative β-hCG-Wert-Bestimmungen eignen sich nicht zur Festlegung des
Schwangerschaftsalters und sollten daher mit diesem Ziel nicht erfolgen.
Konsensbasierte Empfehlung 4.E23
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Rhesus-negative Frauen, die mit > 9 + 0 Schwangerschaftswoche einen Schwangerschaftsabbruch
haben, sollten eine Anti-D-Prophylaxe erhalten.
Konsensbasierte Empfehlung 4.E24
Expertenkonsens
Konsensusstärke ++
Bei Rhesus-D-negativen Frauen mit Anti-D-Antikörpern oder wenn der nicht invasive
Pränataltest zur Bestimmung des fetalen Rhesusfaktors (NIPT-RhD) aus maternalem Blut
ab der
11 + 0 Schwangerschaftswochen einen negativen Rhesusfaktor ergab, soll nach dem Schwangerschaftsabbruch
einer Einlingsschwangerschaft keine Anti-D-Immunglobuline injiziert
werden.
Konsensbasierte Empfehlung 4.E25
Expertenkonsens
Konsensusstärke ++
Die Bestimmung von Laborwerten wie Hämoglobin sollte sich an der Anamnese orientieren.
Konsensbasierte Empfehlung 4.E26
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Vor einem medikamentösen Schwangerschaftsabbruch kann bei Frauen ein Screening auf
eine Infektion mit Chlamydien durchgeführt werden.
Konsensbasierte Empfehlung 4.E27
Expertenkonsens
Konsensusstärke ++
Vorerkrankungen und besondere psychosoziale Rahmenbedingungen sollten bei der individuellen
Risikoaufklärung und Darstellung der Methoden berücksichtigt werden, um der Schwangeren
eine informierte Entscheidung zu ermöglichen.
Konsensbasierte Empfehlung 4.E28
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Frauen sollen darüber aufgeklärt werden, dass ein Schwangerschaftsabbruch eine sichere
medizinische Behandlung ist und ernste Komplikationen selten sind.
Konsensbasierte Empfehlung 4.E29
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Frauen sollen darüber aufgeklärt werden, dass bei ernsten Komplikationen wie z. B.
starkem Blutverlust, Uterus- oder Zervixverletzung eine stationäre Aufnahme erforderlich
werden
kann, ggf. mit Bluttransfusion, Laparoskopie oder Laparotomie.
Konsensbasierte Empfehlung 4.E30
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Frauen sollen darüber aufgeklärt werden, dass in seltenen Fällen die Schwangerschaft
fortbesteht oder Reste von Schwangerschaftsgewebe verbleiben und ein weiterer Eingriff
erforderlich ist.
Konsensbasierte Empfehlung 4.E31
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Frauen sollen darüber aufgeklärt werden, dass bei Auftreten von Fieber oder Krankheitssymptomen
eine ärztliche Untersuchung und ggf. weitere medizinische Behandlung erforderlich
ist.
Konsensbasierte Empfehlung 4.E32
Expertenkonsens
Konsensusstärke ++
Frauen sollen darüber aufgeklärt werden, dass das Risiko von Fertilitätsstörungen,
Früh- und Fehlgeburten, ektopen Graviditäten und einer Placenta praevia nach Abbrüchen
im 1.
Trimenon wahrscheinlich nicht erhöht ist.
Konsensbasierte Empfehlung 4.E33
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Patientinnen sollten ermutigt werden, ihre informierte Entscheidung zu finden, indem
sie ihre Werte, Präferenzen und persönlichen Lebensumstände einbringen und bedenken,
was für
sie wichtig ist.
Konsensbasierte Empfehlung 4.E34
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Ärztinnen und Ärzte sollten der Frau den möglichen Nutzen, mögliche Risiken und Konsequenzen
jeder Methode (Risikokommunikation) des Schwangerschaftsabbruchs bezogen auf die
persönliche Lebenssituation der betroffenen Frau verständlich und evidenzbasiert darstellen.
Medikamentöser Schwangerschaftsabbruch
Konsensbasierte Empfehlung 5.E35
Expertenkonsens
Konsensusstärke ++
Anders als bei Mifepriston sollen die Patientinnen die Wahlmöglichkeit erhalten, ob
sie die Einnahme des Prostaglandins in Einrichtungen wie Kliniken oder Praxen oder
zu Hause
vornehmen wollen.
Konsensbasierte Empfehlung 5.E36
Expertenkonsens
Konsensusstärke ++
Ein medikamentöser Abbruch kann ergänzend telemedizinisch begleitet werden.
Konsensbasierte Empfehlung 5.E37
Expertenkonsens
Konsensusstärke ++
Patientinnen sollen nach ausführlicher Aufklärung über die unterschiedlichen Vorgehensweisen
eine informierte Entscheidung treffen können.
Konsensbasierte Empfehlung 5.E38
Expertenkonsens
Konsensusstärke ++
Die Patientin soll eine schriftliche Befund- und Behandlungsdokumentation sowie eine
Notfall-Telefonnummer erhalten.
Konsensbasierte Empfehlung 5.E39
Expertenkonsens
Konsensusstärke ++
Auch bei Minderjährigen kann ein medikamentöser Schwangerschaftsabbruch durchgeführt
werden.
Konsensbasierte Empfehlung 5.E40
Expertenkonsens
Konsensusstärke ++
Beim medikamentösen Schwangerschaftsabbruch sollten Anwendungsbeschränkungen sowie
besondere gesundheitliche Risiken bei der Anwendung beachtet werden.
Konsensbasierte Empfehlung 5.E41
Expertenkonsens
Konsensusstärke ++
Eine Antibiotikaprophylaxe sollte bei einem medikamentösen Schwangerschaftsabbruch
nicht routinemäßig erfolgen.
Konsensbasierte Empfehlung 5.E42
Expertenkonsens
Konsensusstärke ++
Prinzipiell für eine Antibiotikaprophylaxe geeignet sind Doxycyclin, Metronidazol
und β-Lactam-Antibiotika wie Cephalosporine, um das Infektionsrisiko nach einem medikamentösen
Schwangerschaftsabbruch zu verringern; diese Wirkstoffe sollten daher bei erhöhtem
Infektionsrisiko verwendet werden.
Konsensbasierte Empfehlung 5.E43
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Bei Frauen mit einem entsprechenden Risiko für oder dem Verdacht auf eine sexuell
übertragbare Infektion sollte vor der Durchführung des medikamentösen Schwangerschaftsabbruchs
ein Zervixabstrich für die anschließende weitere Untersuchung entnommen werden.
Konsensbasierte Empfehlung 5.E44
Expertenkonsens
Konsensusstärke ++
Für einen medikamentösen Schwangerschaftsabbruch sollte die Kombination aus 200 mg
Mifepriston und 24 bis 48 Stunden später 800 µg Misoprostol bukkal, sublingual oder
vaginal bis
zur Schwangerschaftswoche 9 + 0 verabreicht werden.
Konsensbasierte Empfehlung 5.E45
Expertenkonsens
Konsensusstärke ++
Alternativ können 600 mg Mifepriston und 24 bis 48 Stunden später 400 µg Misoprostol
bukkal, sublingual oder vaginal bis Schwangerschaftswoche 7 + 0 bzw. 800 µg Misoprostol
in
Schwangerschaftswoche 7 + 1 bis 9 + 0 vaginal gegeben werden.
Konsensbasierte Empfehlung 5.E46
Expertenkonsens
Konsensusstärke ++
Frauen sollen vor einem medikamentösen Schwangerschaftsabbruch darüber aufgeklärt
werden, dass ab 7 + 1 Schwangerschaftswochen die Anwendung von Misoprostol in Kombination
mit
Mifepriston „off label use“ ist.
Konsensbasierte Empfehlung 5.E47
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Ab 3 Stunden nach Misoprostol-Einnahme kann bei ausbleibender Blutung eine zweite
Dosis 400 µg Misoprostol verabreicht werden.
Konsensbasierte Empfehlung 5.E48
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Zur Verbesserung der Symptomkontrolle sollte die Einnahme von NSAR wie Ibuprofen und
eines Antiemetikums unmittelbar nach der Misoprostol-Einnahme empfohlen werden.
Konsensbasierte Empfehlung 5.E49
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Ein adäquates Schmerzmanagement soll erfolgen. Geeignet sind nicht steroidale Antiphlogistika.
Metamizol oral kann gegeben werden. Paracetamol sollte wegen geringer Wirksamkeit
nicht angewendet werden.
Konsensbasierte Empfehlung 5.E50
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Nach dem WHO-Stufenschema der Schmerztherapie kann der betroffenen Frau ein schwaches
Opioid wie Tramadol zur Verfügung gestellt werden.
Konsensbasierte Empfehlung 5.E51
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Aufgrund des häufigen Auftretens von Übelkeit und Erbrechen bei der Anwendung von
Misoprostol sollte ein Antiemetikum, z. B. Dimenhydrinat, Metoclopramid oder Ondansetron,
angeboten werden.
Konsensbasierte Empfehlung 5.E52
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Treten im Verlauf eines medikamentösen Schwangerschaftsabbruchs starke vaginale bzw.
uterine Blutungen auf, soll umgehend eine Vakuumaspiration durchgeführt werden.
Konsensbasierte Empfehlung 5.E53
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Bei Anzeichen einer Infektion soll unmittelbar eine Antibiotikatherapie begonnen werden.
Konsensbasierte Empfehlung 5.E54
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Intrauterine Gewebereste können mit abwartendem Vorgehen, einer Prostaglandingabe
oder einer Vakuumaspiration behandelt werden.
Konsensbasierte Empfehlung 5.E55
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Bei weiterbestehender Gravidität soll die Patientin über die Therapieoptionen Prostaglandingabe
und Vakuumaspiration aufgeklärt und ihr dies zur Schwangerschaftsbeendigung
angeboten werden.
Konsensbasierte Empfehlung 5.E56
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Der Verdacht auf eine ektope Gravidität soll durch weitere diagnostische Maßnahmen
abgeklärt werden.
Konsensbasierte Empfehlung 5.E57
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Nach einem medikamentösen Abbruch soll in geeigneter Weise kontrolliert werden, ob
die Schwangerschaft beendet ist.
Konsensbasierte Empfehlung 5.E58
Expertenkonsens
Konsensusstärke ++
Frauen sollen sich nach einer Aufklärung über Vor- und Nachteile zwischen den unterschiedlichen
Möglichkeiten der Nachkontrolle entscheiden können.
Konsensbasierte Empfehlung 5.E59
Expertenkonsens
Konsensusstärke ++
Eine sonografische Kontrolle kann der Frau etwa 2 Wochen nach der Blutungsinduktion
angeboten werden. Hierbei sollte die Dicke des Endometriums bei Symptomfreiheit der
Frau allein
kein Kriterium für die Notwendigkeit einer weiteren Intervention sein.
Konsensbasierte Empfehlung 5.E60
Expertenkonsens
Konsensusstärke ++
Bei einer telemedizinischen ärztlichen Nachkontrolle soll die Beendigung der Schwangerschaft
mittels eines etwa 2 Wochen nach der Blutungsinduktion durch die betroffene Frau
durchgeführten Schwangerschaftstests mit einer Sensitivität von 1000 IU/l festgestellt
werden. Bei persistierenden subjektiven Schwangerschaftssymptomen oder positiv ausfallendem
1000-IU/l-Test sollte eine Abklärung mittels Ultraschalluntersuchung oder seriellen
β-hCG-Bestimmungen erfolgen.
Konsensbasierte Empfehlung 5.E61
Expertenkonsens
Konsensusstärke ++
Zum sicheren Ausschluss einer weiterbestehenden intrauterinen oder ektopen Schwangerschaft
kann auch eine serielle Messung des Serum-hCG zum Zeitpunkt der Mifepriston-Einnahme
und
eine Woche danach durchgeführt werden.
Das ausführliche Literaturverzeichnis findet sich in der Langfassung der Leitlinie.