Schlüsselwörter Pneumokokken-Erkrankungen - Routinedaten - Standardimpfung - Indikationsimpfung -
Impfraten
Keywords pneumococcal diseases - insurance claims data - standard vaccination - indicated vaccination
- vaccination rates
Hintergrund
Pneumokokken-Erkrankungen (Pneumococcal diseases – PD) sind symptomatische Infektionen,
die durch das Bakterium Streptococcus pneumoniae verursacht werden. Zu den schwerwiegenden Pneumokokken-Erkrankungen, die unter dem
Oberbegriff invasive Pneumokokken-Erkrankungen (Invasive Pneumococcal Diseases – IPD)
zusammengefasst werden, gehören u.a. die Pneumokokken-Meningitis und die Bakteriämie
[1 ]. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sterben jedes Jahr 1,6 Millionen
Menschen weltweit an PD [2 ]. Die Pneumokokken-Pneumonie ist die häufigste klinische Form der PD bei Erwachsenen.
Die Sterblichkeitsrate liegt bei 5–7% und kann bei älteren Erwachsenen oder Personen
mit bestimmten Grunderkrankungen wesentlich höher ausfallen [3 ]. Otitis media und Sinusitis sind häufige, aber weniger schwerwiegende Erscheinungsformen
der PD. In den Industrieländern tragen Kinder im Alter von weniger als 2 Jahren und
ältere Menschen die Hauptlast der Krankheit [2 ].
In der Europäischen Union sind Impfstoffe zur Vorbeugung von PD als 2 Impfstoffarten
erhältlich: zum Erhebungszeitpunkt der vorliegenden Studie als Pneumokokken-Polysaccharid-Impfstoff
(PPSV), der 23 Serotypen abdeckt (PPSV23), und Pneumokokken-Konjugat-Impfstoffe (PCV),
die 10 (PCV10) bzw. 13 Serotypen (PCV13) abdecken [4 ]. Nach Durchführung der Analyse fand im 2. Quartal 2022 als Folge der Zulassung durch
die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) der Launch von PCV15 [5 ] und PCV20 [6 ] statt, was sich nicht auf die Erkenntnisse der Analyse auswirkt, jedoch die Bedeutung
der Impfstoffentwicklung aufzeigt. Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt die
Standardimpfung mit PPSV23 für alle Erwachsenen ab 60 Jahren. Für Kinder unter 2 Jahren
wird eine PCV-Impfung in einem Schema von 2+1, also 3 Dosen, empfohlen [7 ]
[8 ]
[9 ]. Neben dem Alter stellt das Vorliegen von chronischen oder immunkompromittierenden
Krankheiten einen weiteren impfrelevanten, altersunabhängigen Risikofaktor dar. Diesbezüglich
können 2 Risikogruppen differenziert werden. Einerseits zählen Patienten, bei denen
eine chronische Grunderkrankung wie Herzinsuffizienz oder Asthma bronchiale diagnostiziert
wurde, zu der „At-risk“ -Personengruppe, für die die Pneumokokken-Indikationsimpfung in Deutschland empfohlen
wird [7 ]
[8 ]
[9 ]. Anderseits besteht die „High-risk“- Personengruppe aus Patienten, bei denen eine immunkompromittierende Krankheit wie
T-Zell-Defizienz oder eine HIV-Infektion diagnostiziert wurde und für die die Pneumokokken-Indikationsimpfung
in Deutschland ebenfalls empfohlen wird [7 ]
[8 ]
[9 ]. Für die „At-risk“ -Patienten wird entweder die sequenzielle Indikationsimpfung für Kinder und Jugendliche
zwischen 2 und 15 Jahren oder ausschließlich der PPSV23-Impfstoff für Erwachsene ab
16 Jahren empfohlen. Für die „High-risk“- Patienten wird unabhängig vom Alter die sequenzielle Pneumokokken-Indikationsimpfung
empfohlen, bei der zunächst ein 13-valenter Konjugat-Impfstoff (PCV13) genutzt wird,
gefolgt von PPSV23 nach 6–12 Monaten. Aufgrund der begrenzten Dauer des Impfschutzes
soll die Impfung mit PPSV23 in allen Risikogruppen mit einem Mindestabstand von 6
Jahren wiederholt werden [7 ]
[8 ]
[9 ].
Um den Impfstatus der Bevölkerung zu ermitteln, führt das RKI im Rahmen des Projektes
„KV-Impfsurveillance“ zur Überwachung (Surveillance) der Impfquoten eine bundesweite
Statistik zu den Pneumokokken-Impfquoten [10 ]. Hierfür werden Abrechnungsdaten von allen 17 kassenärztlichen Vereinigungen (KVen)
genutzt. Die zum Zeitpunkt der Studiendurchführung veröffentlichten Impfquoten beziehen
sich auf die Standardimpfung für Erwachsene im Alter von 60–73 Jahren ohne impfrelevante
Grunderkrankungen und auf Personen ab 18 Jahren mit impfrelevanten Grunderkrankungen
[11 ]. Zielgruppenspezifische Impfdaten sind wichtige Voraussetzungen, um Trends, regionale
Unterschiede und soziodemografische Besonderheiten beim Impfschutz darzustellen, aber
auch zur Entwicklung gezielter Kommunikationsstrategien [10 ]. Trotzdem findet in der RKI-Statistik eine Stratifizierung der Impfquoten weder
nach medizinischen Indikationen (bestimmten Krankheiten) noch regional nach Altersgruppen
statt [11 ].
Die vorliegende Studie schließt diese Forschungslücke und verfolgt 2 primäre Forschungsziele:
die Ermittlung der Pneumokokken-Impfquoten einerseits für höhere Altersgruppen ab
60 Jahren und andererseits für Versicherte von mind. 16 Jahren mit chronischen, impfrelevanten
Grunderkrankungen. Dabei werden die Auswertungen nach Krankheitsgruppen (bspw. chronische
Herzkrankheiten) und -entitäten (bspw. Herzinsuffizienz) der Pneumokokken-Indikationsimpfung
und der Pneumokokken-Wiederholungsimpfung stratifiziert. Als sekundäres Ziel der Studie
gilt es außerdem festzustellen, ob es regionale Unterschiede bei den Pneumokokken-Impfquoten
in den Studienpopulationen der primären Ziele gibt und durch welche ärztlichen Fachgruppen
die Impfungen verabreicht wurden.
Methoden
Für die retrospektive Analyse wurde die Forschungsdatenbank des Instituts für angewandte
Gesundheitsforschung (InGef) genutzt. Diese Datenbank umfasst anonymisierte Krankenkassendaten
von insgesamt 8,8 Millionen Versicherten, die in einer der datenliefernden Krankenkassen
(vornehmlich Betriebs- und Innungskrankenkassen) versichert sind. Aus dieser Grundgesamtheit
wird eine hinsichtlich Alter und Geschlecht für die deutsche Bevölkerung repräsentative
Stichprobe im Umfang von 4,3 Millionen Versicherten gezogen [12 ]. Aus datenschutzrechtlichen Gründen konnte ein Zeitraum von 6 Jahren beobachtet
werden, weshalb die vorliegende Studie den Zeitraum vom 1. Januar 2014 bis 31. Dezember
2019 umfasst.
Im Rahmen der Analyse wurde der Impfschutz sowohl bei der Standard-Pneumokokken-Impfung
aufgrund fortgeschrittenen Alters über die Abrechnungsziffer 89119 der GKV als auch
bei der Indikationspneumokokken-Erstimpfung über die Abrechnungsziffer 89120 und über
die Abrechnungsziffer 89120R (bzw. 89119R[1 ]) für die Wiederholungsimpfung betrachtet. Es wurden nur GKV-Versicherte in die Untersuchung
einbezogen, die in der Betrachtungsperiode ununterbrochen bei einer der Krankenkassen
versichert waren, welche Daten an die InGef-Datenbank weitergeleitet haben. Um die
Vergleichbarkeit mit den Empfehlungen der STIKO zu den Risikogruppen zu ermöglichen
und den Informationsgewinn durch die vorliegenden Ergebnisse zu den regelmäßig publizierten
Pneumokokken-Impfquoten des RKI herauszustellen, wurden sowohl die Umsetzung der STIKO-Empfehlungen
in der Schutzimpfungsrichtlinie (SI-RL) [9 ] als auch die Methodik des RKI in den epidemiologischen Bulletins [8 ]
[13 ] als Referenz für die Bildung der Analysepopulationen in der Stichprobe herangezogen.
Eine ähnliche Vorgehensweise wurde für vergleichbare Studien bereits angewendet [14 ].
Um die Pneumokokken-Impfquote im Jahr 2019 bei GKV-Versicherten ab 60 Jahren zu bestimmen,
wurde eine 3-stufige Analyse durchgeführt. Zunächst wurde die Pneumokokken-Standardimpfquote
von Versicherten im Alter von 60–65 Jahren im Jahr 2019 berechnet. Im 2. Schritt wurde
die Impfquote im Jahr 2019 von Versicherten im Alter von 66 Jahren und älter, die
zwischen 2014 und 2018 keine Impfung erhalten hatten, ausgewertet. Darauf basierend
wurde die kumulative Pneumokokken-Standardimpfquote für Versicherte im Alter von 66
Jahren und älter im Jahr 2019 ermittelt. Da Versicherte im Alter ab 60 Jahren eine
Standardimpfung (Abrechnungsziffer 89119), aber auch aufgrund des Vorliegens einer
impfrelevanten Grundkrankheit eine Indikationsimpfung (Abrechnungsziffer 89120) erhalten
können, wurden die Impfquoten für die beiden Abrechnungsziffern durch eine Sensitivitätsanalyse
getrennt ermittelt.
Zur Bestimmung der Impfquote der Pneumokokken-Indikationsimpfung wurden GKV-Versicherte
im Alter von mindestens 16 Jahren mit einer impfrelevanten chronischen Grunderkrankung
(d.h. die „At-risk“ -Personengruppe) anhand der ICD-10-GM-Codes im Jahr 2019 aufgegriffen. Die Versicherten
mussten hierbei mindestens 2 ambulante Diagnosen in 2 verschiedenen Quartalen oder
mindestens 1 stationäre Diagnose einer bestimmten Krankheitsgruppe oder Krankheitsentität
im Jahr 2019 aufweisen. Darauf basierend wurde der Impfschutz für diese Personengruppe
für die 6 Jahre von 2014–2019 ausgewertet. Schließlich wurden die Impfquoten nach
4 Krankheitsgruppen, 9 Krankheitsentitäten sowie 8 Altersgruppen stratifiziert.
In einem 3-stufigen Verfahren wurde die Impfquote der Pneumokokken-Wiederholungsimpfung
ermittelt. Zuerst wurden GKV-Versicherte, die 2019 das 16. Lebensjahr vollendet und
an einer chronischen, impfrelevanten Grunderkrankung gelitten haben, herangezogen.
Beim Aufgriff der Versicherten wurden dieselben Diagnosekriterien wie beim Aufgriff
der Versicherten für die Indikationsimpfung genutzt. Hiervon wurden diejenigen selektiert,
die 2012 oder 2013 eine Indikationsimpfung hatten; da die Jahre 2012 und 2013 nur
bezüglich des Vorliegens einer Impfung herangezogen wurden, durften diese im Rahmen
einer datenschutzrechtlichen Ausnahme genutzt werden. Da die STIKO Wiederholungsimpfungen
im Abstand von mindestens 6 Jahren empfiehlt, wurde der Zeitraum von 2018–2019 als
Auswertungszeitraum für die Bewertung der Wiederholungsimpfungen herangezogen. Dies
reduziert das Risiko, dass die in der Regel innerhalb von 6–12 Monaten nach der Erstimpfung
folgende, sequenzielle Impfung bei Menschen mit Immunschwäche oder unter Immunsuppressiva
fälschlicherweise als Wiederholungsimpfung klassifiziert wird.
Die deskriptiven Auswertungen wurden als relative Häufigkeiten in den jeweiligen Impfkohorten
ausgewiesen. Alle Werte sind hochgerechnet auf die GKV.
Ergebnisse
Insgesamt umfasste die Standardimpfkohorte 100 9763 GKV-Versicherte, die Indikationsimpfkohorte
1 379 680 und die Wiederholungsimpfkohorte 12 328. Die Population der Standardimpfung
wurde nach Altersgruppe (60–64, 65–69, 70–74, 75+) und Bundesland stratifiziert, wohingegen
die Indikations- und Wiederholungsimpfkohorten nach Altersgruppe (16–29, 30–39, 40–49,
50–59, 60–64, 65–69, 70–74, 75+), nach spezifischer Krankheitsgruppe und Krankheitsentität
sowie nach Bundesland differenziert betrachtet wurden. Die nachfolgende [Abb. 1 ] zeigt eine Übersicht zu den Analysepopulationen der jeweiligen Impfkohorten. Die
anschließenden Abschnitte enthalten detaillierte Erläuterungen zu den wichtigsten
Erkenntnissen, bezogen auf die verschiedenen Impfkohorten.
Abb. 1 Übersicht der Selektionsschritte für die Analysepopulationen der jeweiligen Impfkohorten.
Impfschutz der GKV-Versicherten ab 60 Jahren
Die Pneumokokken-Impfquote bei Versicherten im Alter von mindestens 60 Jahren betrug
im Jahr 2019 insgesamt 45,9% von n= InGef-Standard-Impfkohorte: 1 009 763. Bei einer
differenzierten Betrachtung je Altersgruppe, wie in [Abb. 2 ] dargestellt, zeigt sich ein Anstieg der Impfquote mit zunehmendem Alter: Versicherte
in der Altersgruppe der 60- bis 64-Jährigen hatten die geringste Impfquote (13%),
während Versicherte im Alter von mindestens 75 Jahren mit 69,2% die höchste Impfquote
aufwiesen.
Abb. 2 Impfquote der Pneumokokken-Impfung bei Versicherten im Alter von mindestens 60 Jahren,
stratifiziert nach Altersgruppe und Abrechnungsziffer für die Standard- bzw. Indikationsimpfung.
Da Personen im Alter von 60 Jahren und älter sowohl aufgrund ihres Alters als auch
aufgrund einer Indikation eine Impfung erhalten können, wurde die Impfquote im Rahmen
einer Sensitivitätsanalyse nach der genutzten Abrechnungsziffer stratifiziert. Diese
Analyse zeigte, dass die altersbedingte Standardimpfung (Abrechnungsziffer 89119)
zu einer Impfquote von 35,9% führte, während 10% der Impfungen aufgrund einer medizinischen
Indikation erfolgten (Abrechnungsziffer 89120). Beide Impfquoten nehmen mit steigendem
Alter zu.
Bei einer regionalen Betrachtung der Impfquoten unter Personen ab 60 Jahren zeigt
sich ein höherer Impfschutz bei Versicherten in östlichen Bundesländern (inkl. Berlin),
verglichen mit denen in westlichen Bundesländern ([Abb. 3 ]). So war altersgruppenübergreifend betrachtet die Impfquote in Bayern am niedrigsten
(34,4%) und in Sachsen-Anhalt am höchsten (62,6%). Dieser Trend zeigte sich auch bei
den Altersgruppen von 60–64 Jahren (7,7% gegenüber 23,9%), von 65–69 Jahren (22,1%
gegenüber 50,8%) und von 70–74 Jahren (35,3% gegenüber 68,3%). Bei Versicherten im
Alter von mindestens 75 Jahren hatte ebenfalls Sachsen-Anhalt mit 86,11% die höchste
Impfquote – und das Saarland (55,2%) sowie Bayern (55,3%) hatten die niedrigsten Impfquoten.
Abb. 3 Impfquote der Pneumokokken-Impfung bei Versicherten im Alter von mindestens 60 Jahren,
stratifiziert nach Bundesland.
Impfschutz der GKV-Versicherten ab 16 Jahren mit chronischen Grunderkrankungen
Die Impfquoten der Pneumokokken-Indikationsimpfung für GKV-Versicherte ab 16 Jahren
mit n= InGef-Indikationsimpfkohorte: 1 379 680 wurden stratifiziert nach Krankheitsgruppe
und -entität, hier in [Tab. 1 ] dargestellt. Der Aufgriff und die Einteilung der Indikationen orientierten sich
am Klassifikationsmodell für den Risikostrukturausgleich (Ausgleichsjahr 2020), die
ICD-Codes wurden in einem ersten Schritt den Diagnosegruppen, daraufhin hierarchisierten
Morbiditätsgruppen und schließlich Krankheitsgruppen zugeordnet [15 ].
Tab. 1 Impfquote der Pneumokokken-Indikationsimpfung bei Versicherten mit chronischen, impfrelevanten
Erkrankungen im Alter von mindestens 16 Jahren, stratifiziert nach Krankheitsgruppe
und nach Krankheitsentität.
Krankheitsgruppen aufgeschlüsselt nach Krankheitsentitäten
Impfquote GKV in %
Chronische Herzkrankheiten, darunter explizit ausgewertet:
24,1
26,7
26,7
27,6
25
Chronische Erkrankungen der Atemwege,
darunter explizit ausgewertet:
21,5
17,6
31,5
39
Stoffwechselkrankheiten, darunter explizit ausgewertet:
18,5
24,3
Neurologische Erkrankungen, darunter explizit ausgewertet:
19
14,2
9,2
Jegliche Indikationskrankheit
17,1
Nach Krankheitsgruppen stratifiziert, war die Impfquote bei Versicherten mit chronischen
Herzerkrankungen im Jahr 2019 am höchsten (24,1%), gefolgt von Versicherten mit chronischen
Erkrankungen der Atemwege (21,5%) und mit neurologischen Erkrankungen (19%). Am niedrigsten
war die Impfquote hingegen für die Krankheitsgruppe der Stoffwechsel-Erkrankungen
(18,5%).
Stratifiziert nach Krankheitsentitäten wiesen Versicherte ab 16 Jahren mit einem zugrunde
liegenden Lungenemphysem mit 39% die höchste Impfquote auf, gefolgt von Versicherten
mit chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (31,5%). Unter den untersuchten Krankheitsentitäten
war die Impfquote bei Versicherten mit einer zugrunde liegenden Zerebralparese am
niedrigsten (9,2%). Insgesamt hatten nur 17,1% der GKV-Versicherten ab 16 Jahren,
die als Risikopatienten galten, eine Impfung wegen einer zugrunde liegenden chronischen
Indikationskrankheit verabreicht bekommen.
Die Pneumokokken-Impfquoten für Versicherte ab 16 Jahren mit einer chronischen Krankheit,
für die eine Pneumokokken-Impfung empfohlen wird, wurden wiederum nach Altersgruppen
stratifiziert ([Abb. 4 ] und [Abb. 5 ]). Insgesamt war die Impfquote bei älteren Versicherten höher als bei jüngeren und
stieg mit zunehmendem Alter an. Die höchste Impfquote wiesen Versicherte in der Altersgruppe
der 70- bis 74-Jährigen (30,9%) auf, gefolgt von Versicherten im Alter zwischen 65
und 69 Jahren (30,2%). Zwischen den Altersgruppen der 50- bis 59-Jährigen und der
60- bis 64-Jährigen wurde ein deutlicher Sprung der Pneumokokken-Indikationsimpfquote
bei chronisch Erkrankten von 6,2% auf 19,8% beobachtet. Ein weiterer steiler Anstieg
folgte zu der Personengruppe im Alter zwischen 65 und 69 Jahren auf 30,2%. Alle Altersgruppen
unter 60 Jahren wiesen eine Pneumokokken-Impfquote von weniger als 10% auf.
Abb. 4 Impfquote der Pneumokokken-Indikationsimpfung bei Versicherten mit chronischen, impfrelevanten
Erkrankungen im Alter von mindestens 16 Jahren, stratifiziert nach Altersgruppe.
Abb. 5 Impfquote der Pneumokokken-Indikationsimpfung bei Versicherten mit chronischen, impfrelevanten
Erkrankungen im Alter von mindestens 16 Jahren, stratifiziert nach Krankheits- und
Altersgruppen
In der gemeinsamen Betrachtung von Alters- und Krankheitsgruppen zeigte sich, dass
die 16- bis 29-Jährigen den geringsten Impfschutz hatten. Die Impfquote lag hier bei
1,6% für Stoffwechselkrankheiten, 1,6% für neurologische Erkrankungen, 2,8% für chronische
Herzkrankheiten und 3% für chronische Erkrankungen der Atemwege. In der Altersgruppe
der 70- bis 74-Jährigen waren die Impfquoten – wenn man alle Altersgruppen betrachtet
– bei allen 4 Krankheitsgruppen am höchsten: 31,1% für Stoffwechselkrankheiten, 31,5%
für neurologische Krankheiten, 31,8% für chronische Herzkrankheiten und 37,8% für
chronische Erkrankungen der Atemwege.
Wiederholungsimpfquote nach indizierter Erstimpfung bei chronischen Krankheiten
Die Pneumokokken-Wiederholungsimpfquoten bei GKV-Versicherten ab 16 Jahren mit einer
chronischen, impfrelevanten Grunderkrankung mit n= InGef-Wiederholungsimpfkohorte:
12 328 sind, stratifiziert nach Altersgruppen, in [Tab. 2 ] zusammengefasst. Insgesamt lag die Wiederholungsimpfquote bundesweit bei 23,9%,
d.h. weniger als jede 4. geimpfte Person mit einer Risikokrankheit erhielt nach 6
Jahren die von der STIKO empfohlene Wiederholungsimpfung. Die Impfquote war bei Versicherten
im Alter von 16–29 Jahren am niedrigsten (9,7%) und stieg mit zunehmendem Alter an.
Die insgesamt höchste Impfquote mit 28,1% wurde in der Altersgruppe der 65- bis 69-Jährigen
festgestellt. Diese Altersgruppe hatte auch in allen 4 Krankheitsgruppen den höchsten
Impfschutz.
Tab. 2 Impfquoten der Pneumokokken-Wiederholungsimpfungen bei Versicherten im Alter von mindestens
16 Jahren, stratifiziert nach Altersgruppen.
Altersgruppe
Impfquote GKV in %
16–29
9,7
30–39
16,5
40–49
15,9
50–59
22,7
60–64
26,6
65–69
28,1
70–74
24,2
75+
25,2
16+
23,9
Die impfenden Ärzte
Die Analyse zeigte, dass der Großteil der Impfungen sowohl in der Standard-Impfkohorte
(Versicherte ab 60 Jahren) als auch in den Indikations- und Wiederholungsimpfkohorten
(Versicherte ab 16 Jahren mit chronischen Grunderkrankungen) von Allgemeinärzten verabreicht
wurden. Die durchschnittliche Wahrscheinlichkeit, dass ein Allgemeinmediziner die
Impfung in der Standard-Impfkohorte verabreichte, lag bundesweit bei 95,2% [95%-Konfidenzintervall:
95%; 95,3%]; sie war mit 98,3% in Sachsen am höchsten und mit 88,7% in Hamburg am
niedrigsten. Für die Indikations- und Wiederholungsimpfungen lag dieselbe Wahrscheinlichkeit
bei 94,4% bzw. 93,1%. Unter den Fachärzten haben die Pneumologen mit einer Wahrscheinlichkeit
von jeweils 1,5%, 2,3% und 3,1% den Impfstoff in den Standard-, Indikations- und Wiederholungsimpfkohorten
am häufigsten verabreicht.
Diskussion
Die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit stellen eine wertvolle Ergänzung zu der RKI-Statistik
dar, die ausschließlich die Pneumokokken-Standardimpfquoten für Erwachsene im Alter
von 60–73 Jahren ohne Grunderkrankungen und für Personen ab 18 Jahren mit einer impfrelevanten
Grunderkrankung aufführt [11 ]. Die Studie konnte unseres Wissens erstmals Impfquoten der Pneumokokken-Indikationsimpfung
bei Versicherten im Alter von mindestens 16 Jahren, stratifiziert nach zugrunde liegender,
impfrelevanter, chronischer Krankheit darstellen. Trotz der ausdrücklichen Empfehlungen
der STIKO zur Pneumokokken-Impfung bei Risikokrankheiten fiel die Impfquote der „At-risk“ -Personengruppe vorliegend sehr niedrig aus. Nur 17,1% der Patienten ab 16 Jahren
mit einer für die Pneumokokken-Impfung relevanten, chronischen Risikoindikation waren
im Jahr 2019 geimpft. Bei 2 der betrachteten Krankheitsgruppen hatte nicht einmal
jeder 5. Patient einen Impfschutz: Die Impfquote unter Patienten mit Stoffwechsel-Erkrankungen
betrug 18,5%, während Risikopersonen mit neurologischen Erkrankungen eine Impfquote
von 19% aufwiesen. Auffällig gering waren zudem die Impfquoten bei allen Altersgruppen
der „At-risk“- Patienten unter 60 Jahren, über alle Krankheitsgruppen hinweg: Die Impfquoten lagen
hier jeweils unter 10% und mit 2% war die Impfquote bei den 16- bis 29-Jährigen am
niedrigsten. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass das Alter als zusätzliche Indikation,
neben den schon impfrelevanten chronischen Erkrankungen, von den Ärzten für die Verabreichung
des Impfstoffs empfunden wird. Aufgeschlüsselt nach den einzelnen Krankheitsbildern
stellte sich heraus, dass Patienten ab 16 Jahren mit Zerebralparese insgesamt den
niedrigsten Impfschutz (9,2%) hatten, während 39% der von einem Lungenemphysem Betroffenen
eine Pneumokokken-Impfung bekamen.
Wertvolle zusätzliche Informationen liefert auch die Sensitivitätsanalyse für Versicherte
ab 60 Jahren, unabhängig von ihrem Gesundheitszustand, die die getrennte Betrachtung
der Standard- und Indikationsimpfungen für diese Risikogruppe ermöglicht. Diesbezüglich
ergab die vorliegende Analyse, dass die Impfquote bei Personen ab 60 Jahre im Jahr
2019 insgesamt 45,9% betrug, wobei 35,9% auf das Alter und 10% auf eine chronische
Indikationskrankheit zurückzuführen waren. Dank der Stratifizierung der Standardimpfkohorte
nach Altersgruppen und der Erweiterung der Studienpopulation auf Personen, die älter
als 75 Jahre sind, konnten nun weitere Einblicke in das Impfgeschehen gewonnen werden.
So zeigte sich, dass die Impfquoten mit zunehmendem Alter anstiegen und in der Altersgruppe
der über 75-Jährigen am höchsten waren. Obwohl die STIKO-Standardempfehlung für die
Pneumokokken-Impfung bei 60 Jahren beginnt, wies die Altersgruppe der 60- bis 64-Jährigen
mit 13% eine auffällig niedrige Impfquote auf.
Die STIKO empfiehlt eine Wiederholungsimpfung nach mindestens 6 Jahren für Risikopatienten
ab 16 Jahren aufgrund vorliegender, impfrelevanter Krankheiten. Unsere Analyse zeigte
zum ersten Mal, dass die Rate der Wiederholungsimpfungen bei „At-risk“- Personen mit mindestens 16 Jahren in Deutschland im Betrachtungszeitraum bei 23,9%
lag, d.h. weniger als jeder 4. geimpfte Risikopatient erhielt nach einer indizierten
Erstimpfung die von der STIKO empfohlene Wiederholungsimpfung. Die Analyse zeigte
zudem, dass die Pneumokokken-Impfung fast ausschließlich von den Hausärzten verabreicht
wurde.
Die Ergebnisse der Studie müssen allerdings auch im Kontext von Limitationen betrachtet
werden, die weitgehend auf das Studiendesign mit Routinedaten der GKV sowie den durch
den Datenschutz eingeschränkten Beobachtungszeitraum zurückzuführen sind. Zunächst
könnte die Verwendung von Abrechnungsdaten, die per definitionem nicht zu Forschungszwecken
erhoben wurden, sondern im Rahmen der Routineversorgung entstanden sind, die Repräsentativität
der Studienergebnisse wegen Verzerrungen und des Confoundings (Störfaktoren) einschränken.
Nichtsdestotrotz ist insgesamt von einer guten Gesamtrepräsentativität der InGef-Forschungsdatenbank
für die deutsche Bevölkerung in Bezug auf Alter, Geschlecht, Morbidität, Mortalität
und Arzneimittelverbrauch auszugehen, wie es frühere Studien nachweisen konnten [16 ]. Da vor allem Betriebs- und Innungskrankenkassen ihre Abrechnungsdaten in die InGef-Datenbank
einfließen lassen, können Unterschiede zwischen der Datenbankpopulation und der allgemeinen
deutschen Bevölkerung in Bezug auf den sozioökonomischen Status, das Gesundheitsbewusstsein,
die Inanspruchnahme von Vorsorgeleistungen und den Beschäftigungsstatus allerdings
nicht ausgeschlossen werden. Aufgrund der deutschen Datenschutzbestimmungen wurde
der Beobachtungszeitraum auf 6 Jahre (2014–2019) eingegrenzt. Dies könnte dazu geführt
haben, dass die Impfhistorie – insbesondere bei älteren Versicherten – nicht genau
abgebildet werden konnte: Falls die Impfraten vor 2014 signifikant höher oder niedriger
waren als zwischen den Jahren 2014 und 2019, könnten die Impfraten für Versicherte,
die vor 2014 60 Jahre oder älter waren, unter- bzw. überschätzt werden. Eine gewisse
Unterschätzung der Wiederholungsimpfquote ist unter dem Studiendesign ebenfalls denkbar.
Die STIKO empfiehlt für Risikopatienten eine Wiederholungsimpfung nach mindestens
6 Jahren. Vorliegend wurden Patienten mit einer Erstimpfung im Jahr 2012 oder 2013
eingeschlossen und die Jahre 2018 und 2019 für die Wiederholungsimpfung ausgewertet.
Wenn Ärzte die Impfung erst nach 8 Jahren oder später verabreicht haben, entspricht
dies zwar den STIKO-Empfehlungen, jedoch blieben diese Impfungen in der vorliegenden
Analyse unberücksichtigt. Schließlich interessierten uns im Zuge unserer Untersuchungen
die Pneumokokken-Indikationsimpfquoten von Risikopatienten insgesamt. Aus diesem Grund
wurden die „High-risk“- Patienten aus der Indikationsimpfkohorte der „At-risk“- Personen nicht ausgeschlossen. Dies könnte zu höheren Impfquoten in der Indikationsimpfkohorte
geführt haben. Allerdings schätzen wir dies als eine unerhebliche Einschränkung der
Studie ein, da frühere Untersuchungen gezeigt haben, dass nur 4,4% aller Patienten
mit einer immunkompromittierenden Erkrankung innerhalb von 2 Jahren nach der ersten
Diagnose gegen Pneumokokken geimpft wurden [17 ].
Anhand der Studienergebnisse lässt sich feststellen, dass die Empfehlungen der STIKO
zur Pneumokokken-Impfung bei Patienten, die aufgrund des Alters oder aufgrund einer
chronischen, impfrelevanten Grunderkrankung besonders gefährdet sind, in Deutschland
nicht in ausreichendem Maße umgesetzt werden, was auch neueste Erhebungen zeigen.
In Anbetracht der alternden Gesellschaft und der Prävalenzzunahme chronischer Krankheiten
stellt dies einen besorgniserregenden Zustand dar. Um potenziellen Erkrankungen angemessen
vorzubeugen, sollte das Bewusstsein für die Krankheitslast durch Pneumokokken und
die Bedeutung von Schutzimpfungsprogrammen – sowohl bei Patienten als auch bei den
behandelnden Ärzten – geschärft werden. Höhere Impfraten könnten vermutlich durch
ein stringenteres Impfmanagement in den Praxen erreicht werden [18 ]. Durch geeignete Softwarelösungen würden Ärzte an durchzuführende Impfungen erinnert
und es könnte darüber auch der Lagerbestand kontrolliert werden. Hierbei wäre überlegenswert,
inwiefern das Impfmanagement in den Praxen durch monetäre Anreize intensiviert werden
könnte. Unabhängig hiervon könnte bei der Gestaltung von Disease-Management-Programmen
die Dokumentation des Impfstatus erwogen werden, was sowohl bei Patienten als auch
bei Ärzten die Bedeutung des Impfstatus in der Wahrnehmung erhöhen würde.
Mit den Erkenntnissen der vorliegenden Analyse können einzelne, vulnerable Zielgruppen
gezielt angesprochen werden, wodurch der Erfolg der Impfkampagne maßgeblich unterstützt
wird.
Die Pneumokokken-Impfquote bei Personen ab 60 Jahren betrug insgesamt 45,9%.
Von allen Patienten mit chronischen Grunderkrankungen ab 16 Jahren besaßen nur 17,1%
einen Impfschutz.
Stratifiziert nach Krankheitsentitäten wiesen Versicherte mit einem zugrunde liegenden
Lungenemphysem mit 39,0% die höchste Impfquote auf.
Von den Versicherten, die eine indizierte Erstimpfung erhalten haben, ließen sich
nach 6 Jahren nur 23,9% erneut impfen.
Über alle Impfkohorten hinweg nahmen die Impfquoten mit zunehmendem Alter zu.
Es zeigten sich regionale Unterschiede im Impfschutz der Populationen: Die Versichertengruppen
in den östlichen Bundesländern wiesen tendenziell höhere Impfquoten im Vergleich zu
denen in den westlichen Bundesländern auf.
Die Empfehlung der Ständigen Impfkommission für die Pneumokokken-Impfung Erwachsene
wurde nach Annahme des Manuskripts und vor Druck aktualisiert. Die STIKO empfiehlt
nun den Pneumokokken-Impfstoff PCV20 für Erwachsene. Die neue Empfehlung und Wissenschaftliche
Begründung sind im Epidemiologischen Bulletin 39/2023 veröffentlicht. An den definierten
Indikationsgruppen für eine Pneumokokken-Impfung wurden keine Änderungen vorgenommen.