Zur Prävention erneuter schizophrener Erkrankungsphasen ist eine antipsychotische
Medikation zur Rezidivprophylaxe empirisch umfassend gesichert und klare Empfehlung
der Leitlinien. Die klinische Behandlungswirklichkeit ist jedoch eine andere.
Beinahe die Hälfte ersthospialisierter Patient*innen brechen nach Entlassung die
medikamentöse Behandlung ab [1], innerhalb der
ersten Jahre sind es bis 85 % [2].
Unter diesen Patient*innen gibt es eine Gruppe, die eindeutig von einer
antipsychotischen Medikation profitiert und bei der das Absetzen der Medikamente
nicht nur zur weiteren Chronifizierung mit negativen sozialen Folgen und Belastungen
des persönlichen Umfeldes führt, sondern auch die Gefahr erhöht, Delikte zu begehen.
Die Mehrzahl strafrechtlich Untergebrachter mit schizophrenen Psychosen wurde zuvor
über mehrere Jahre wiederholt akut psychiatrisch behandelt [3].
Vor diesem Hintergrund ist es dringend geboten, die Behandlungsadherence zu
verbessern – vor allem mit den Mitteln der Psychoedukation und des
Nebenwirkungsmanagements im Rahmen der partizipativen Entscheidungsfindung. Neben
der Vielzahl von Patient*innen, die gut von einem freiwilligen umfassenden
biopsychosozialen Behandlungsangebot profitieren können, bleibt eine kleine Gruppe
von Patient*innen mit Schizophrenien, denen es nicht gelingt, überdauernde
Krankheitseinsicht zu entwickeln.
Um diese Gruppe geht es als mögliche Zielgruppe für eine ambulante
Behandlungsweisung.
Die Debatte darüber ist nicht neu, Ende 2003 wurde durch den Gesetzentwurf des
Bundesrates (BR-Drs. 865/03) im Betreuungsrecht nach § 1906a BGB die Möglichkeit der
zwangsweisen Zuführung zur ärztlichen Heilbehandlung angeregt – und fand nach
kontroverser Debatte keine Mehrheit. So bleibt – entsprechend dem Beschluss des
Bundesgerichtshofes vom 11.10.2000 – die Rechtslage bestehen, dass eine zwangsweise
Zuführung eines Betreuten nicht genehmigungsfähig ist (BGH XII ZB 69/00) und für die
Maßnahmen z. B. nach PsychK(H)G die hohe Hürde einer akuten Fremdgefährdung
gilt.
International (z. B. Großbritannien, skandinavische Länder) gibt es jedoch die
Handlungsoption einer ambulanten Behandlungsweisung. Die empirischen Erkenntnisse
dazu lassen keine eindeutigen Schlüsse zu: Die im Lancet publizierte Studie von
Burns et al [4] zeigte keine Überlegenheit einer
solchen Behandlungsweisung, wobei methodische Einschränkungen eine abschließende
Schlussfolgerung nicht zulassen. Zugleich gibt es klare Hinweise, dass die
Beschränkung rechtlicher Eingriffsmöglichkeiten zur Behandlung von zur freien
Willensbildung nicht mehr ausreichend befähigter schizophren erkrankter Personen
deren Risiko für die Begehung schwerer Delikte, aber auch selbst Opfer einer
Gewalttat zu werden, erhöht [5].
Dem entspricht in Deutschland ein erheblicher Anstieg der Neuanordnungen für die
Unterbringung im Maßregelvollzug (MRV) gemäß § 63 StGB, die einen noch nie
dagewesenen Wert erreicht haben. Aus den Fallmerkmalen kann der Zuweisungsanstieg
nahezu vollständig auf eine Zunahme an „klassischen“ Patienten der
Allgemeinpsychiatrie mit Schuldunfähigkeit und eher mittelschweren Delikten
zurückgeführt werden [6]. Hinter diesen
zusätzlichen Unterbringungen stehen viele Geschädigte, Gewaltopfer, aber auch viele
psychisch Kranke, die in einen langjährigen Freiheitsentzug eingewiesen werden.
Neben diesem möglicherweise vermeidbaren Leid auf der Einzelfallebene riskieren wir,
dass es zu einer erheblichen Veränderung in der psychiatrischen Versorgung kommt:
Hochbelegung im MRV, Umschichtung von Raum- und Personalressourcen aus der
Allgemeinpsychiatrie, aber auch die erneute Stigmatisierung psychisch Erkrankter in
den Medien als gefährlich.
Für die kleine Gruppe von Personen, die bereits in nicht einwilligungsfähigem Zustand
aus Gefährdungsgründen öffentlich-rechtlich untergebracht wurden, dabei erfolgreich
zu behandeln waren und absehbar wieder in einen solchen krankheitsbedingten Zustand
gelangen werden, wäre eine ambulante Behandlungsweisung ein deutlich milderes Mittel
gegenüber weiterer Unterbringung nach PsychK(H)G oder gar langjährig im MRV und ein
wichtiger Beitrag zum Opferschutz.
Wie soll man sich diese „ambulante Zwangsbehandlung“ vorstellen? Nicht gedacht ist
daran, im häuslichen Rahmen etwa eine Medikation gegen den erklärten Willen unter
Ausübung von körperlichem Zwang zu verabreichen. Vielmehr soll die gerichtliche
Behandlungsweisung ermöglichen, dass bei Nichteinhaltung die Patient*innen auch
gegen ihren Willen in die Klinik zum Zweck der dortigen Behandlung eingewiesen
werden können, bevor eine Zunahme der schizophrenen Symptome zu einer akuten
Gefährdung führt. Damit sollen Selbst- und Fremdgefährdung im Vorfeld einer Aufnahme
und damit verbundene traumatische Erlebnisse für die Person selbst wie für ihr
Umfeld, sowie längere Freiheitsentzüge und letztlich auch eine forensische
Unterbringung erspart werden.
Die Erfahrung etwa auch aus der forensischen Nachsorgepraxis zeigt, dass die
Behandlung, die z. B. im Rahmen einer Weisung in der Führungsaufsicht angeordnet
ist, auch ohne unmittelbaren Zwang durchgeführt werden kann, auch unter Erhalt des
Vertrauensverhältnisses zwischen Patient*innen und Behandelnden. Unabdingbar ist es,
eine solche Weisung mit einem intensiven Betreuungs- und Behandlungsangebot im
ambulanten Rahmen zu verbinden.
Die Schaffung gesetzlicher Grundlagen für eine entsprechende ambulante Weisung ist
somit ausdrücklich angezeigt.