Schlüsselwörter Long-COVID - Post-COVID-Syndrom - ambulante Versorgung - Gesundheitssystemforschung
- Umfrage
Keywords Long-Covid - post-Covid syndrome - outpatient care - health systems research - survey
1. Einleitung
Die COVID-19-Pandemie stellt weiterhin eine große Herausforderung für die Gesundheitssysteme
dar. Bis Januar 2023 hatten sich weltweit über 660 Millionen Menschen mit dem SARS-CoV-2 -Virus infiziert; zudem sind über 6 Millionen Todesfälle zu verzeichnen [1 ]. Obwohl etwa 80 % aller Infektionen ohne Komplikationen verlaufen [2 ], häuften sich nach Beginn der Pandemie Berichte über lang andauernde Symptome nach
einer SARS-CoV-2- Infektion [3 ]
[4 ], wobei die Ursachen für diese Symptome noch nicht abschließend geklärt werden konnten.
Symptome, die bis zu 4 Wochen nach der Infektion auftreten, werden als „akutes COVID-19“
(Acute COVID-19) bezeichnet, wohingegen Symptome mit einer Persistenz von 4 bis einschließlich
12 Wochen als anhaltende Symptomatik von COVID-19 (Ongoing symptomatic COVID-19) definiert
werden [5 ]. Symptome, die länger als 12 Wochen andauern und nicht durch eine andere Diagnose
erklärt werden können, werden als „Long- oder Post-COVID“ bezeichnet [5 ]. Zur diagnostischen Klassifikation hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO, World
Health Organization) im November den ICD-10-Code U09.9 eingeführt [6 ]. Im Oktober 2021 folgte eine Falldefinition mit der Einführung des Begriffes „Post
COVID condition“ (PCC) [7 ]. Die WHO definiert die PCC als Symptomkomplex, der 3 Monate nach einer bestätigten
SARS-CoV-2- Infektion auftritt, mindestens 2 Monate lang anhält, und dessen Symptome nicht durch
eine andere Diagnose erklärt werden können [8 ]. Eine abschließende Definition der PCC ist noch nicht gegeben. Ein 2022 erschienenes
Review weist darauf hin, dass Definitionen der PCC derzeit keine funktionellen Defizite
einschließen und keinerlei validierte Instrumente zur Diagnose fordern. Prävalenzberechnungen
und Aussagen über Therapie- und Rehabilitationsbedarf sind daher nur eingeschränkt
möglich [9 ]. Hinzu kommt, dass die Symptomatik bei PCC sehr variabel ist und unabhängig von
der Schwere des akuten Krankheitsverlaufes auftreten kann. Insgesamt werden derzeit
mit PCC bis zu 200 verschiedene Symptome assoziiert [10 ]
[11 ]. Die Auswirkungen der Symptome reichen von Störungen des Befindens bis zu starken
Einschränkungen des alltäglichen Lebens [12 ]
[13 ]. Daten aus einer amerikanischen Kohorte mit 958 Erwachsenen zeigten, dass bis zu
13 % der Patient*innen an mindestens einem Symptom litten [14 ]. Eine niederländische Kohortenstudie ergab, dass 12,7 % der Patient*innen 90 Tage
nach einer Infektion von Symptomen berichten, die auf eine Infektion mit SARS-CoV-2 zurückgeführt werden können [15 ]. Für Deutschland zeigte eine 2022 veröffentlichte retrospektive Kohortenstudie in
der ambulanten Pflege in Bayern, dass 14 % aller Patient*innen mit bestätigter SARS-CoV-2- Infektion die Diagnose „Post COVID-Syndrome“ erhielten [16 ]. Es ist anzunehmen, dass weltweit eine PCC-Symptomatik bei ca. 15–30 % der Personen
mit vorausgegangener Infektion mit SARS-CoV-2 besteht [8 ]
[11 ]
[17 ]
[18 ]
[19 ]
[20 ]. „Zum diagnostischen und therapeutischen Vorgehen wurde im August 2022 in Deutschland
die S1-Leitlinie Post-COVID/Long-COVID (AWMF-Register Nr. 020/027) als sogenannte
Living Guideline veröffentlicht
[11 ].“ Insgesamt sind die bestehenden Ansätze zur medizinischen Versorgung von Patient*innen
mit PCC multidisziplinär und unter Einbezug der Primärversorgung ausgerichtet [21 ]
[22 ]
[23 ]. Zur Versorgung von Patient*innen mit PCC in Deutschland wurden spezialisierte Ambulanzen
(PCC-Ambulanzen) eingerichtet. Die von Betroffenen gegründete Organisation „Bundesweite
Initiative für die Belange von Long-COVID-Betroffenen Long-COVID Deutschland“ führt
auf ihrer Internetpräsenz (https://longcoviddeutschland.org/ ) derzeit in Deutschland 91 dieser Ambulanzen für Erwachsene und 18 für Kinder und
Jugendliche auf (Stand 17.01.2024). Zum Zeitpunkt der Entstehung dieser Studie lagen
keine nationalen Versorgungspläne oder Strategien zum Aufbau und der Organisation
von PCC-Ambulanzen vor. Eine strukturierte Erfassung der PCC-Ambulanzen in Deutschland
und ihrer Versorgungsangebote liegt bisher nicht vor, ist jedoch für eine bedarfsgerechte
Versorgung unverzichtbar. Ziel der vorliegenden Studie war es, eine erste Bestandsanalyse
von PCC-Ambulanzen in Deutschland hinsichtlich struktureller und prozessbezogener
Versorgungsaspekte aus der Perspektive der Leiter*innen vorzunehmen.
2. Methoden
2.1. Entwicklung des Fragebogens
Auf Grundlage einer Literaturrecherche in Google und PubMed nach relevanten Begriffen
(„Strukturqualität“, „Prozessqualität“, „Versorgungsaspekte“) und unter Einbezug vorhandener
vergleichbarer Arbeiten (z. B. [24 ]
[25 ]) wurde ein Fragebogen entwickelt, der Informationen zu strukturellen und prozessbezogenen
Merkmalen (Charakteristika der Ambulanzleiter*innen, personelle Ausstattung, Versorgungsangebote,
Beratungsleistungen und Informationsangebot) sowie Informationen über Kenntnis und
Anwendung der Leitlinie, Angaben zu Patient*innen und Vernetzung der Ambulanzen erfasst.
Nach Pilotierung mit 2 Testpersonen erfolgte eine Modifikation des Fragebogens, sodass
im Ergebnis ein 51 Items umfassender Fragebogen vorlag. Die Befragung wurde als Online-Befragung
konzipiert und mit der Software SoSci Survey [26 ] umgesetzt.
Die Studie orientiert sich an der CHERRIES-Checklist (Checklist for Reporting Results
of Internet E-Surveys) [27 ].
2.2. Rekrutierung der Studienpopulation
Zielgruppe der Befragung waren die Leiter*innen der PCC-Ambulanzen. Über die Organisation
„Long-COVID Deutschland“ und durch eine ergänzende Internetrecherche konnten insgesamt
95 PCC-Ambulanzen (Stand: Februar 2022) identifiziert und die Kontaktdaten der Leiter*innen
ermittelt werden. Die Befragung wurde zwischen Februar und Mai 2022 durchgeführt.
Die Ambulanzleiter*innen erhielten per E-Mail eine Einladung zur Teilnahme an der
Befragung und einen individualisierten Link zum Online-Fragebogen. Innerhalb des Befragungszeitraumes
wurden 3 Erinnerungen per E-Mail versendet. Für die Teilnahme war eine Zustimmung
zur Datenschutzerklärung obligat. Auf die pseudonymisierte Bearbeitung und die streng
vertrauliche Behandlung der erhobenen Daten sowie auf mögliche Publikationen der Ergebnisse
wurde im Anschreiben hingewiesen. Die Teilnehmer*innen erhielten keine Aufwandsentschädigung.
Für die Durchführung der Studie liegt ein positives Votum der Ethikkommission der
Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg vor (173/21).
2.3. Datenauswertung
In die Studie sollten nur vollständig ausgefüllte Fragebogen einfließen. Als vollständig
vorliegend wurde im Vorfeld definiert, wenn mehr als 80 % des Fragebogens beantwortet
wurde. In die Analyse konnten n = 28 (29 %) Fälle mit vollständigen Daten eingeschlossen
werden. Vor der Datenauswertung wurde der Datensatz hinsichtlich fehlender Werte überprüft.
Als fehlend wurde definiert, wenn keine Angabe gemacht oder die Option „weiß nicht“
ausgewählt wurde. Beim Vorliegen fehlender Werte wird darauf im Ergebnisteil hingewiesen.
Die Auswertung der Daten erfolgte mittels deskriptiver Statistik. Die Ergebnisse für
kontinuierliche Variablen sind als Mittelwerte und Standardabweichung (SD) und die
Ergebnisse für kategoriale Variablen als prozentuale und absolute Häufigkeiten dargestellt.
Die Analysen wurden mit der Software IBM SPSS (Statistical Package for Social Sciences;
Version 28.0) durchgeführt.
3. Ergebnisse
3.1. Charakteristika der Studienpopulation
In [Abb. 1 ] ist die Anzahl der insgesamt pro Bundesland kontaktierten Ambulanzen und deren Verteilung
zum Zeitpunkt der Befragung dargestellt. Insgesamt konnten Rückläufe aus 9 Bundesländern
(N = 27) verzeichnet werden (Baden-Württemberg: n = 7, Hessen: n = 5, Bayern: n = 4,
Sachsen und Nordrhein-Westfalen: je n = 3, Thüringen: n = 2, Mecklenburg-Vorpommern,
Bremen und Berlin: je n = 1, fehlender Wert: n = 1).
Abb. 1 Anzahl der identifizierten und kontaktierten PCC-Ambulanzen nach Bundesland (N = 95),
Stand Februar 2022.
Die Teilnehmer*innen waren zwischen 32 und 66 Jahre alt; das Durchschnittsalter lag
bei 47,8 Jahren (SD = 9,2). Von den Befragten waren 61 % (n = ִ 7) männlich. Weiterhin
waren von den Befragten 16 (57 %) an Universitätskliniken, jeweils 4 (14 %) an Fachkliniken
und Allgemeinkrankenhäusern und 3 (11 %) an berufsgenossenschaftlichen Kliniken tätig.
Eine Person (4 %) notierte eine sonstige Einrichtung.
Die Befragten gaben an, am häufigsten in den Fachbereichen Innere Medizin (n = 12;
43 %), Pneumologie (n = 7; 25 %) sowie Neurologie (n = 6; 21 %) tätig zu sein. Weiter
wurden die Fachbereiche Kardiologie und Psychiatrie (je n = 3; 11 %), Gastroenterologie
und Intensivmedizin (je n = 2; 7 %), Rheumatologie und Schmerzmedizin (je n = 1; 4 %)
genannt. Mehrfachantworten waren möglich. Die durchschnittliche Wochenarbeitszeit
der Befragten in der Ambulanz lag bei 8,4 Stunden (SD = 5,8; Min: 0,5–Max: 25). Die
Mehrheit der Befragten gab an, seit Anfang bis Mitte 2021 in den Ambulanzen (n = 17;
61 %) tätig zu sein. Die frühesten Angaben bezogen sich auf Januar und August 2020
(je n = 1; 4 %) sowie Mai und September 2020 (je n = 3; 11 %) und entfielen auf die
Bundesländer Niedersachsen (n = 4), Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Brandenburg
und Mecklenburg-Vorpommern (jeweils n = 1).
3.2. Strukturelle und prozessbezogene Merkmale der PCC-Ambulanzen
Die PCC-Ambulanzen waren nach Angabe der Ambulanzleiter*innen am häufigsten an Kliniken
für Pneumologie (n = 10; 36 %) sowie für Psychiatrie/Psychosomatische Medizin, Neurologie
oder Innere Medizin (jeweils n = 8; 29 %) angegliedert ([Abb. 2 ]). Weitere Nennungen entfielen auf Kardiologie und Gastroenterologie (jeweils n = 4; 14 %),
Rheumatologie (n = 2; 7 %) Nephrologie, Endokrinologie, Intensiv-, Schmerz-, und Arbeitsmedizin
sowie HNO-Heilkunde (jeweils n = 1; 4 %). Mehrfachantworten waren möglich.
Abb. 2 Von den Ambulanzleitungen genannte Angliederung der PCC-Ambulanzen an Fachbereiche,
Mehrfachnennungen möglich (N = 28 ), Häufigkeit in %, Angabe der absoluten Häufigkeiten jeweils neben den Balken.
Nach Aussage der Ambulanzleiter*innen wurden durchschnittlich 48,7 Patient*innen (SD = 43,2;
Min = 3, Max = 200) im Monat in den PCC-Ambulanzen behandelt. Während der gesamten
Behandlungszeit fanden durchschnittlich 5 Kontakte (SD = 6,0; Min = 1, Max = 30) mit
den Patient*innen statt. Vier (14 %) Befragte gaben an, dass in ihren Ambulanzen auch
Kinder behandelt werden. Dabei wurden Kinder bis zum vollendeten 12. Lebensjahr in
2 Ambulanzen und Kinder ab Beginn des 13. Lebensjahres bis zum vollendeten 18. Lebensjahr
in allen 4 Ambulanzen behandelt. Die Wartezeit auf einen Termin betrug nach Angaben
der Ambulanzleiter*innen in 64 % der Fälle mehr als einen Monat; innerhalb von 2–4
Wochen erhielten 21 % und innerhalb einer Woche 7 % der Patient*innen einen Termin
in der PCC-Ambulanz. In je einer Ambulanz in Baden-Württemberg und Berlin erhielten
die Patient*innen gemäß den Angaben der Leiter*innen ihre Termine innerhalb einer
Woche. Angaben zum Bedarf an weiteren PCC-Ambulanzen, zur Terminnachfrage und Auslastung
der Ambulanzen sind in [Abb. 3 ] dargestellt.
Abb. 3 Von den Ambulanzleitungen eingeschätzter Bedarf an weiteren PCC-Ambulanzen, Terminnachfrage
und Auslastung (N = 28 ), Häufigkeit in %, Angabe der absoluten Häufigkeiten jeweils neben den Balken.
In keiner der Ambulanzen wurden laut den Leiter*innen Hausbesuche durchgeführt. Hinsichtlich
der Finanzierung zeigte sich, dass die PCC-Ambulanzen nach Angabe der Befragten am
häufigsten aus Mitteln der Klinik finanziert wurden, an die sie strukturell angegliedert
sind (n = 18; 64 %). Die zweithäufigste Finanzierungsquelle waren die gesetzlichen
(n = 10; 36 %) und privaten (n = 7; 25 %) Krankenkassen, gefolgt von der Finanzierung
über Drittmittel (n = 5; 18 %). Mehrfachantworten waren möglich.
Von den Ambulanzleiter*innen gaben 22 (79 %) an, dass in ihren Ambulanzen begleitend
Forschungsprojekte zu PCC durchgeführt wurden.
3.2.1. Personelle Ausstattung
Ärztliche Mitarbeiter*innen
In 50 % (n = 14) der Fälle waren Chefärzt*innen und in 93 % (n = 26) der Fälle ein
oder mehrere Oberärzt*innen in den Ambulanzen tätig. In 17 (61 %) Fällen waren ein
oder mehrere Fachärzt*innen und in 14 Fällen (50 %) ein oder mehrere Assistenzärzt*innen
beschäftigt. Von den Befragten schätzten 61 % die Zahl der ärztlichen Mitarbeiter*innen
als unzureichend ein.
Nicht ärztliche Mitarbeiter*Innen
Laut den Befragten verfügten 46 % (n = 13) der Ambulanzen über eine(n) Medizinische(n)
Fachangestellte(n) (MFA), in 39 % der Fälle (n = 11) war mehr als ein/e MFA in den
Ambulanzen tätig. In 16 Fällen (57 %) waren ein oder mehrere Psycholog*innen, in 7
Fällen (25 %, N = 26) ein oder mehrere Physiotherapeut*innen und in 5 Fällen (18 %,
N = 27) ein oder mehrere Ergotherapeut*innen an den Ambulanzen beschäftigt. In 8 Fällen
(29 %, N = 25) verfügten die Ambulanzen über mindestens eine/n Medizinisch-Technische/n
Assistenten/Assistentin (MTA). Von den Befragten schätzten 71 % die Zahl der nicht
ärztlichen Mitarbeiter*innen als unzureichend ein. Hier lagen bei insgesamt 3 Items
fehlende Werte vor (keine Angabe): Anzahl der MTAs (n = 3), Anzahl der Physiotherapeut*innen
(n = 2), Anzahl der Ergotherapeut*innen (n = 1).
3.2.2. Versorgungsangebote
Diagnostische Maßnahmen
Die laut den Befragten am häufigsten angebotenen Basisuntersuchungen waren das ärztliche
Anamnesegespräch (n = 27; 96 %) sowie Laboruntersuchungen von Blut und Urin (n = 24;
86 %) ([Tab. 1 ]).
Tab. 1
Angebotene basisdiagnostische Verfahren (N = 28). Mehrfachantworten möglich.
n
%
Ärztliches Anamnesegespräch
27
96
Laboruntersuchungen (Blut und Urin)
24
86
Messung des Blutdrucks und der Herzfrequenz
22
79
Messung der Sauerstoffsättigung
21
75
Messung der Körpertemperatur
18
64
Sonstige (neuropsychiatrische Assessments, Lungenfunktionsprüfungen, mikrobiologische
Untersuchungen [SARS-CoV2-Antikörper] und 6-minütiger Geh-Test)
4
14
Bei den bildgebenden Verfahren wurden am häufigsten Ultraschall (n = 16; 57 %), Magnetresonanztomografie
(MRT) und Röntgenuntersuchung (je n = 15; 54 %) genannt ([Tab. 2 ]).
Tab. 2
Angebotene bildgebende Verfahren (N = 28). Mehrfachantworten möglich.
n
%
Ultraschall
16
57
Magnetresonanztomografie
15
54
Röntgenuntersuchung
15
54
Computertomografie
14
50
Echokardiografie
13
46
Elektroenzephalografie
6
21
Sonstige (Elektrokardiogramme, Beinvenensonografie und Szintigrafie)
4
14
Im Bereich der Funktionsdiagnostik wurden am häufigsten die Messung der kognitiven
Leistungsfähigkeit (n = 21; 75 %) sowie die Spirometrie (n = 17; 61 %) genannt ([Tab. 3 ]).
Tab. 3
Angebotene funktionsdiagnostische Verfahren (N = 28). Mehrfachantworten möglich.
n
%
Messung der kognitiven Leistungsfähigkeit
21
75
Spirometrie
17
61
Spiroergometrie
13
46
Riechtest (z. B. Sniffin’ Sticks Test)
10
36
Schlafmedizinische Untersuchung
10
36
Sonstige (Elektrophysiologie, retinale Dysfunktion, Handgriffkraft, Belastungstest,
Orthostasetest sowie das Montreal Cognitive Assessment1 und das Würzburger Erschöpfungsinventar bei Multipler Sklerose2
4
14
1 MoCa
2 WEIMuS (Freitextangaben)
Am häufigsten durchgeführte weitere diagnostischen Maßnahmen waren nach Angaben der
Ambulanzleiter*innen die Messung von Fatigue (71 %, n = 20) sowie die Messung psychischer
Störungen, z. B. Depressionsdiagnostik, (68 %, n = 19). In 6 Fällen (21 %) gaben die
Befragten an, dass in den PCC-Ambulanzen eine stationäre Aufnahme (zur intensiveren
Diagnostik bzw. für therapeutische Maßnahmen) möglich war.
Beratungsleistungen und Informationsangebot
Die am häufigsten in den PCC-Ambulanzen angebotenen Beratungsleistungen waren die
Vermittlung medizinischer Basisinformationen (Vermittlung grundlegender Informationen
zum Krankheitsbild PCC bzw. der Krankheitsentität, wie z. B. Symptome, unterschiedliche
Ausprägungen der Erkrankung oder grundlegende Informationen zum aktuellen Forschungsstand,
Dauer und Heilungschancen) sowie die Vermittlung der Patient*innen an andere Behandlungseinrichtungen
(jeweils n = 26; 93 %), Informationsveranstaltungen zu PCC (n = 14; 50 %) und psychosoziale
Gespräche (n = 19; 68 %).
3.3. Kenntnis und Anwendung der Leitlinie
Die derzeit gültige S1-Leitlinie [11 ] war allen 28 Befragten bekannt. Der Aussage, die Leitlinie sei nützlich, stimmten
20 (71 %) Befragte zu. In 22 Ambulanzen (79 %) wurden laut den Befragten Inhalte der
Leitlinie in den Ambulanzen angewendet.
3.4. Angaben zu den behandelten Patient*innen
Die Symptome, mit denen sich die Patient*innen laut Angaben der Ambulanzleiter*innen
in den Einrichtungen vorstellten, sind in [Abb. 4 ] dargestellt.
Abb. 4 Von den Ambulenzleitungen berichtete Symptome der Patient*innen, Mehrfachnennung
möglich (N = 28 ); Häufigkeit in %, Angabe der absoluten Häufigkeiten jeweils neben den Balken.
3.5. Vernetzung der Ambulanzen
Die Ambulanzen arbeiteten laut den Befragten am häufigsten mit klinikinternen Einrichtungen
(n = 27; 96 %) sowie mit niedergelassenen Fach- und Hausärzt*innen (jeweils n = 21;
75 %) zusammen. Weiterhin bestanden Kooperationen mit Reha-Einrichtungen (n = 20;
71 %), Leistungserbringern im nicht ärztlichen Bereich (n = 17; 61 %), anderen PCC-Ambulanzen
in Deutschland (n = 15; 54 %) sowie mit Selbsthilfegruppen (n = 14; 5 %).
4. Diskussion
PCC ist eine im Zuge der COVID-19-Pandemie zusätzlich entstandene Herausforderung
für das Gesundheitssystem. Ein Ansatz zur zielgerichteten Versorgung von Patient*innen
mit Post-COVID in Deutschland sind die PCC-Ambulanzen. Im Rahmen der vorliegenden
Studie wurde erstmalig eine Bestandsaufnahme bestehender PCC-Ambulanzen sowie eine
Befragung der Leiter*innen hinsichtlich struktureller und prozessbezogener Merkmale
und Symptome der Patient*innen vorgenommen.
Die Mehrzahl der Patient*innen stellte sich laut der Befragten mit Symptomen wie Müdigkeit,
Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen, Kopfschmerzen und Schlafstörungen vor, was
zukünftig gegen eine weitere starke Angliederung an die Fachbereiche Pneumologie und
für eine stärkere Anbindung an den psychosomatischen Bereich spricht.
Gemessen an Einwohnerdichte und Strukturstärke zeigt sich eine sehr heterogene Verteilung
der identifizierten PCC-Ambulanzen in Deutschland. Im bevölkerungsreichsten Bundesland
Berlin (4127 Einwohner/km²) konnten 6 Ambulanzen identifiziert werden, in Hamburg,
das am zweitstärksten besiedelten Bundesland (2455 Einwohner/km²) dagegen nur 4, während
in bevölkerungsärmeren Bundesländern wie Bayern (187 Einwohner/km²) oder Thüringen
(130 Einwohner/km², Stand jeweils 31.12.2021) [28 ] 20 bzw. ebenfalls 4 Ambulanzen kontaktiert werden konnten [28 ]. Vielmehr scheint sich die Verteilung der Ambulanzen an der Strukturstärke der Länder
zu orientieren: In den Bundesländern mit dem geringsten Bruttoinlandsprodukt (BIP)
[29 ] Bremen, dem Saarland (jeweils eine Ambulanz) und Mecklenburg-Vorpommern (4 Ambulanzen)
konnten nur wenige Ambulanzen identifiziert werden. Bundesländer mit höherem BIP [29 ] verfügen über mehr Ambulanzen (Nordrhein-Westfalen: 23, Bayern: 20, Baden-Württemberg:
11). Ein weiterer Erklärungsansatz für die ungleiche Verteilung der PCC-Ambulanzen
könnte außerdem die Verteilung der Universitätskliniken innerhalb von Deutschland
sein. Die Befragung ergab, dass ein Großteil der Ambulanzen an Universitätskliniken
angesiedelt ist. Bundesländer mit mehreren Universitätskliniken wie Bayern und Nordrhein-Westfalen
verfügen diesbezüglich über Vorteile gegenüber Bundesländern mit weniger Universitätskliniken
wie Rheinland-Pfalz und Brandenburg. Die Verteilung der PCC-Ambulanzen lässt insgesamt
weite Anfahrtswege für Patient*innen vermuten. Besonders Patient*innen mit Symptomen
aus dem Fatigue-Spektrum, welche Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit haben, könnten
lange Anfahrtswege vor Herausforderungen stellen. Zum einen kann die Option von Hausbesuchen
zur umfassenden Versorgung dieser Patient*innen beitragen. Aber auch telemedizinische
Konzepte können eine Möglichkeit bieten, Fatigue-Patient*innen den Zugang zu medizinischer
Versorgung zu erleichtern [30 ]
[31 ]
[32 ]. Die befragten Ambulanzleitungen berichteten zudem von einer starken Auslastung
und einem hohen Bedarf an weiteren PCC-Ambulanzen. Die Nachfrage nach Terminen ist
laut Angabe der Ambulanzleiter*innen sehr hoch, verbunden mit langen Wartezeiten für
die Patient*innen. Eine Barriere in der Versorgung stellen die langen Wartezeiten
auf einen Termin dar [21 ]. Den Bedarf nach einer verbesserten Organisationsstruktur zeigte auch eine Studie
aus Italien, in der die Versorgungssituation in 124 Post-COVID-Zentren erhoben wurde
[33 ]. Im Gegensatz zu den Daten aus der vorliegenden Studie fand in der Studie aus Italien
in fast allen befragten Zentren ein Austausch mit Hausärzt*innen statt (93,5 %); zudem
lag der Schwerpunkt der Versorgung bei Fachärzt*innen für Atemwegserkrankungen, Infektionskrankheiten
und Innere Medizin. Die durchschnittliche Patient*innenzahl von 40 pro Monat deckt
sich mit den Ergebnissen der vorliegenden Studie [33 ]. Als weitere Barriere für die Versorgung wurde laut Angaben der Ambulanzleiter*innen
die nicht ausreichende Zahl der ärztlichen und nicht ärztlichen Mitarbeiter*innen
identifiziert. Diese Ergebnisse weisen auf die Notwendigkeit eines Ausbaus des Versorgungsangebotes
sowie auf die Notwendigkeit hin, die personellen und finanziellen Ressourcen der bestehenden
Ambulanzen auszuweiten.
Es ist zu berücksichtigen, dass bei dieser Erhebung keine Details zu beispielsweise
spezifischen therapeutischen Angeboten erhoben wurden. Folglich lässt dies keine Rückschlüsse
auf die tatsächlichen Angebote der Ambulanzen zu. Ziel der Studie war die Erfassung
der personellen Ausstattung als Strukturaspekt und nicht die Erfassung der genauen
Aufgaben dieser Mitarbeiter*innen. Beispielsweise wurde bei Mitarbeiter*innen aus
nicht ärztlichen Bereichen daher nicht berücksichtigt, dass Therapeut*innen an Ambulanzen
nur dann eingesetzt werden können, wenn entsprechende Abrechnungsmöglichkeiten bestehen.
Die Ambulanzen verfügen laut den Befragten über keine eigene Finanzierung. Dies lässt
darauf schließen, dass die PCC-Ambulanzen finanziell abhängig sind von den Kliniken,
an die sie strukturell angegliedert sind, was auch als Erklärungsansatz für den Personalmangel
herangezogen werden kann. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass die Ambulanzen kein
prioritäres Betätigungsfeld darstellen und Untersuchungen möglicherweise nicht in
vollem Umfang angeboten bzw. durchgeführt werden können. Bei gleichbleibend hoher
und perspektivisch steigender Patient*innenzahl erscheint somit eine eigenständige
Finanzierung der PCC-Ambulanzen notwendig.
Mit 75 % war die zum Zeitpunkt der Befragung am stärksten ausgebaute Vernetzung mit
Hausärzt*innen gegeben. Hausärzt*innen sind bei erstmals auftretenden PCC-Symptomen
bei Erwachsenen in der Regel die primären Ansprechpartner*innen [21 ]
[34 ]. Barrieren für eine noch stärkere Vernetzung könnten derzeit mangelndes Wissen der
Hausärzt*innen zu bestehenden Ambulanzen bzw. zur Diagnose von PCC sein. Wissen über
die vielfältigen Krankheitsbilder von Post-COVID erscheint an dieser Stelle für Hausärzt*innen
als primäre Ansprechpartner*innen bei entsprechenden Symptomen unabdingbar [34 ]. Ein weiterer Ausbau dieser bestehenden Vernetzung, eine Rückkopplung der Ergebnisse
der in den PCC-Ambulanzen durchgeführten diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen,
eine Koordination der weiterführenden Therapie durch die Hausärzt*innen sowie eine
umfassende Informationsstruktur und Netzwerkbildung zwischen Haus-, Fachärzt*innen
und PCC-Ambulanzen erscheint sinnvoll.
Die Ergebnisse der vorliegenden Studie zeigen, dass die S1-Leitlinie zu Long/Post-COVID
allen Ambulanzleiter*innen bekannt war und von einem Großteil der Befragten als nützlich
erachtet wurde, jedoch nicht in allen Ambulanzen zur Anwendung kam. Als Gründe für
mögliche Hürden in der Anwendung der Leitlinie sind Diagnostik- und Therapiemethoden
anzunehmen, welche in den Ambulanzen aufgrund ihrer Angliederung und Ausstattung nicht
angeboten werden können. Nach neuen Erkenntnissen scheint ein interdisziplinärer Ansatz
in der Behandlung von PCC-Patient*innen sinnvoll. Eine Studie aus Deutschland stellt
ein multimodales, internistisch-psychosomatisches Behandlungskonzept dar, welches
von Patient*innen gut angenommen wurde und zu moderaten Verbesserungen in der psychischen
Symptomatik funktionaler Parameter führte [35 ].
Zum Zeitpunkt der Befragung lagen keine Informationen über die Verteilung und Ausstattung
von PCC-Ambulanzen in Deutschland vor. Diese Befragung bietet eine erste Bestandsaufnahme
und beschreibt Struktur- und Prozessmerkmale aus Sicht der Leiter*innen mit Einbezug
versorgungsrelevanter Aspekte der personellen Ausstattung, Vernetzung der Versorgung
und der Symptome der Patient*innen. Anhand fundierter Bestandsaufnahmen wie dieser
können Stärken, aber auch Defizite und Herausforderungen in der Versorgung von Patient*innen
mit Post-Covid identifiziert und für die zukünftige Versorgung adressiert werden.
Bezüglich der Versorgung von Patient*innen mit Post-COVID zeigt eine deutsche Studie
den Bedarf nach einem strukturierten Gesamtkonzept mit kompetenten Anlaufstellen und
einer Koordination der medizinischen Versorgung und stellte dabei folgende Aspekte
heraus: kompetente Ansprechpartner*innen, Koordination der Versorgung, Therapieangebote
sowie Fortbildungen im Gesundheitswesen und Informationen für Patient*innen [21 ].
Stärken und Schwächen
Die vorliegende Studie ist die erste ihrer Art, welche eine Bestandsaufnahme und Charakterisierung
von Versorgungsaspekten aus Sicht der Leitungsebene von PCC-Ambulanzen präsentiert.
Insgesamt konnten Daten aus 9 Bundesländern bei 28 befragten Ambulanzen erhoben werden.
Trotz der bereits im Vorfeld vermuteten starken Auslastung der Ambulanzleitungen wurden
diese bewusst für die Befragung herangezogen, da von ihnen ein besserer Überblick
über die Ambulanzen zu erwarten ist. Individuelle Erfahrungen der Patient*innen oder
Daten zur Patientenzufriedenheit wurden nicht explizit erfasst, da die vorliegende
Studie die Ambulanzleiter*innen bzw. die Erfassung von Versorgungsaspekten fokussiert.
Eine explizite Erhebung der Patientenzufriedenheit wäre für weitere Studien essenziell,
um den Mehrwert und Effekte darstellen zu können, welche PCC-Ambulanzen in der Versorgung
erzielen. Auch Daten zu Umfang und Art der Behandlungseinrichtungen, an welche Patient*innen
weitervermittelt wurden, wurden nicht erfasst. Für zukünftige Erhebungen im Rahmen
von PCC-Ambulanzen ist zu empfehlen, diese Vermittlungen (z. B. an Rehakliniken, Therapiepraxen
oder Tageskliniken) spezifischer darzustellen.
Da die über die Internetseiten der PCC-Ambulanzen identifizierten Emailadressen nicht
immer personalisiert waren, kann nicht nachvollzogen werden, ob bei allen kontaktierten
Ambulanzen die Ambulanzleiter*innen direkt erreicht wurden. Es ist zudem zu vermuten,
dass selektiv nur Ambulanzleiter*innen mit Forschungsinteresse an der Befragung teilgenommen
haben. Eine besonders positive Darstellung der Ambulanzen ist seitens der Leitungen
nicht auszuschließen, was zu einer Verzerrung der Ergebnisse führen könnte.
Fazit
Die vorliegende Studie hat strukturelle und prozessbezogene Versorgungsaspekte von
28 PCC-Ambulanzen in Deutschland erfasst. Die Ergebnisse der Studie weisen darauf
hin, dass ein erhöhter Bedarf an weiteren Ambulanzen, einer flächenmäßig gleichmäßigen
Verteilung dieser sowie einer Erhöhung der personellen und finanziellen Ressourcen
der schon existierenden Ambulanzen besteht. Zur Verbesserung der Versorgung, aber
auch für die Nutzung im Rahmen zukünftiger Forschungsprojekte, ist ein umfassendes
und aktuelles Verzeichnis aller Ambulanzen, Kontaktinformationen und Behandlungsschwerpunkte
erstrebenswert. Ein solches Verzeichnis kann dazu beitragen, die Diagnostik und zielgerichtete
Überweisung von Patient*innen, aber auch den Einbezug von PCC-Ambulanzen in Forschungsvorhaben
zu verbessern. Um ein optimiertes Versorgungsmanagement zu gewährleisten, empfiehlt
sich eine noch engere Zusammenarbeit mit den primärversorgenden Hausärzt*innen zusätzlich
zu regionalen Netzwerken [36 ]. Für eine schnellere Überweisung der Patient*innen an entsprechende Fachkliniken
sollten Hausärzt*innen zudem mit dem Versorgungsangebot und den jeweiligen Behandlungsschwerpunkten
der PCC-Ambulanzen vertraut sein.
Der Schwerpunkt der Versorgung liegt im Bereich der Pneumologie, sowie im weiteren
zu gleichen Teilen in der Inneren Medizin, Psychiatrie/Psychosomatik und der Neurologie.
Die Ambulanzleiter*innen berichten von einer starken Auslastung der Ambulanzen, von
langen Wartezeiten für die Patient*innen und schätzen den Bedarf an weiteren Ambulanzen
als hoch ein.
Es besteht eine große Notwendigkeit des Ausbaus dieses Versorgungsangebotes.
Finanzierung
Die Studie wurde im Rahmen des BMBF-geförderten Projekts „egePan Unimed“ des Netzwerks
Universitätsmedizin (NUM) durchgeführt. EgePan Unimed wird im Rahmen des Netzwerks
Universitätsmedizin (NUM) gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung
(BMBF) (Förderkennzeichen: 01KX2021) und steht unter der Gesamtprojektleitung von
Prof. Dr. Jochen Schmitt und Dr. Michael von Wagner.
Ethik
Das Vorhaben wurde am 19.11.2021 von der Ethikkommission der Otto-von-Guericke-Universität
an der Medizinischen Fakultät mit zustimmender Bewertung geprüft (Kennzeichen 173/21).