Zusammenfassung: Die Anzahl der Menschen auf der Erde hat in den letzten Jahrzehnten
stark zugenommen, sodass man nicht selten von Bevölkerungsexplosion spricht. Zugleich
zeigen Prognosen aufgrund der verfügbaren Daten, dass die Menschheit vor einem beispiellosen
Schrumpfungsprozess, dem Populationscrash, steht. Betrachtet man einzelne Regionen
der Erde, so zeigt sich, dass beide Phänomene derzeit gleichzeitig ablaufen: In der
Südhälfte Afrikas läuft noch die Explosion, während in vielen Ländern Südostasiens
schon der Crash angekommen ist. Die westlichen Industrienationen liegen irgendwo in
der Mitte, bzw. wechseln von langsam Wachsen nach langsam Schrumpfen. Die Auswirkungen
der demografischen Änderungen können positiv sein (weniger Menschen verursachen weniger
Klimawandel), könnten aber auch die Sozialsysteme überfordern, da immer weniger junge
Menschen immer mehr alte Menschen versorgen müssen.
In den letzten 100 Jahren ist die Weltbevölkerung stark gewachsen. Während Mitte der
1920er-Jahren nur 2 Milliarden Menschen auf der Erde lebten, hatte sich die Bevölkerung
50 Jahre später auf 4 Milliarden verdoppelt. Und heute, weitere 50 Jahre später, hat
sie sich erneut verdoppelt: Am 15. November 2022 stieg die Zahl der Menschen auf der
Erde erstmals auf über 8 Milliarden ([
Abb. 1
]), wie die Vereinten Nationen (UN) an diesem Tag der Welt mitteilten [26]. Den genauen Tag, an dem dies geschah, kennt natürlich niemand, aber so etwa wird
er schon stimmen. Für mich persönlich ist es nach wie vor sehr beeindruckend, dass
allein während meines Lebens die Weltbevölkerung von 3 Milliarden um 5 Milliarden
Menschen zunahm.
Abb. 1 Entwicklung der Weltbevölkerung in den letzten 500 Jahren. Links bzw. über der Kurve
ist das Jahr, an dem die jeweils volle Milliarde erreicht wurde, rechts von bzw. unter
der Kurve ist der Zeitraum dazwischen angegeben (nach Daten aus [25]). Für das Jahr 2100 werden je nach Szenario der globalen Entwicklung 7 Milliarden
bis > 10 Milliarden Menschen prognostiziert.
Bevölkerungswachstum und Hungerkatastrophe
Nach heutigem Stand des Wissens kann die Erde nur etwa 3 Milliarden Menschen langfristig
ernähren. Die „neuen“ 5 Milliarden leben also „auf Pump“, d. h. verbrauchen Ressourcen,
die von der gegenwärtigen Agrarproduktion der Erde eigentlich gar nicht hergestellt
werden können. Wie eine internationale Gruppe von Wissenschaftlern im Jahr 2020 im
Fachblatt Nature Sustainability publizierte, wurden 4 „planetarische Grenzen“ (planetary boundaries) der globalen
Landwirtschaft überschritten [9]. Daher sei die künftige Ernährungssicherheit gefährdet, denn die Widerstandsfähigkeit
des Systems Erde sei durch diese Überschreitungen der Belastungsgrenzen beeinträchtigt.
Bei diesen 4 miteinander verknüpften planetarischen Grenzen handelt es sich um
-
die Integrität der Biosphäre,
-
die Fläche des verfügbaren Bodens,
-
die Süßwassernutzung und
-
die Menge des verfügbaren Stickstoffdüngers.
„Fast die Hälfte der derzeitigen globalen Nahrungsmittelproduktion [hängt] von planetarischen
Grenzüberschreitungen ab“, schreiben die Autoren, und fahren mit 2 bedeutsamen Aussagen
fort: „In Hotspot-Regionen, vor allem in Asien, werden sogar mehrere lokale Grenzen
gleichzeitig überschritten. Würden diese Grenzen strikt eingehalten, könnte das derzeitige
Nahrungsmittelsystem eine ausgewogene Ernährung (2355 kcal pro Kopf und Tag) für nur
3,4 Milliarden Menschen bieten“ [9]. Im Klartext bedeutet dies: Für knapp 5 Milliarden Menschen fehlt langfristig die
Nahrungsgrundlage. Ein im Herbst 2023 erschienenes Update aus der gleichen Arbeitsgruppe
stimmt nicht optimistisch: Alle 4 planetarischen Grenzen wurden mittlerweile noch
deutlicher überschritten und 2 weitere überschrittene planetarische Grenzen – Frischwasserverbrauch
und vom Menschen hergestellte oder freigesetzte nicht natürliche Stoffe (Plastik,
Plutonium, Gentechnik etc.) – kamen hinzu, sodass jetzt 6 von 9 überschritten sind
[18].
Dabei waren wir längst vorgewarnt: Kein anderer als der weltweit erste Professor für
politische Ökonomie, der Brite Thomas Robert Malthus, hatte das Problem klar erkannt
und mathematisch beschrieben: Wenn das Wachstum der Bevölkerung in einer immer steiler
nach oben zeigenden Kurve verläuft, der Ertrag der Landwirtschaft aber nur (wie anhand
der vorhandenen Daten damals bereits zu vermuten war) nur linear wächst ([
Abb. 2
]), dann muss es irgendwann zwangsläufig zu Knappheit von Nahrungsmitteln mit Hunger,
Unruhen, Chaos und Krieg kommen [32].
Abb. 2 Die Einsicht von Malthus. Jedes lineare Wachstum muss irgendwann gegenüber einem
geometrischen (die Zeit im Quadrat) Wachstum ins Hintertreffen geraten. Malthus kannte
das exponentielle Wachstum (die Zeit im Exponenten) noch nicht, das heute dem linearen
Wachstum gegenübergestellt wird (nach Daten aus [32])
Wie jedoch in [
Abb. 1
] schon dargestellt, nimmt die Weltbevölkerung seit 1987 alle 12 Jahre um etwa eine
Milliarde Menschen zu, sie wächst also linear und nicht mehr exponentiell. Hierbei
spielen eine Reihe von Entwicklungen eine Rolle: Der „Pillenknick“ (d. h. der markante
Abfall der Geburtenraten in vielen Industrienationen ab der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre);
die Ein-Kind-Politik in China in den Jahren 1979–2016; das zunehmende durchschnittliche
Alter der Mütter (Gebäralter) in entwickelten Ländern; und nicht zuletzt in den Entwicklungsländern
der zunehmende Zugang zu Bildung für junge Frauen in Kombination mit der Verfügbarkeit
von Kontrazeptiva. Dort beobachtet man überall, dass mit zunehmender Bildung der jungen
Frauen die Geburtenrate sinkt. Dennoch wächst die Bevölkerung noch immer, denn die
Menschen, die (schon) geboren sind, werden immer älter.
Mittlerweile wächst die Weltbevölkerung so langsam wie seit 1950 nicht mehr. Das Wachstum
lag im Jahr 2020 bei unter 1 % und die Prognosen werden mittlerweile regelmäßig nach
unten korrigiert: Im Jahr 2019 publizierten die UN (Population Division of the Department
of Economics and Social Affairs of the United Nations Secretariat; UNDP) die Prognose,
dass die Weltbevölkerung bis zum Jahr 2100 auf 10,9 Milliarden Menschen ansteigen
werde [24]. Nur ein Jahr später wurde im Fachblatt Lancet eine große Studie publiziert, der zufolge die Weltbevölkerung im Jahr 2064 mit 9,7
Milliarden einen Höhepunkt erreichen und danach bis zum Jahr 2100 auf 8,8 Milliarden
abnehmen werde [29].
Peak Mensch
Die Autoren kommentieren dies wie folgt: „Unsere Referenzprognose für die Weltbevölkerung
im Jahr 2100 war […] viel niedriger als die Prognose des UNPD. Fortschritte beim Bildungsniveau
von Frauen und beim Zugang zu Verhütungsmitteln führen nach unseren Ergebnissen zu
sinkenden Fruchtbarkeitsraten, was ein anhaltendes globales Bevölkerungswachstum im
Laufe dieses Jahrhunderts unwahrscheinlich macht. Im Gegensatz dazu könnte die Weltbevölkerung
kurz nach der Jahrhundertmitte ihren Höhepunkt erreichen und bis 2100 deutlich zurückgehen“[
1
]
[29]. In dieser Arbeit sprechen die Autoren also vom Maximum der Erdbevölkerung – „Peak
Mensch“ – zu einem Zeitpunkt „kurz nach der Jahrhundertmitte“. Sie verwenden diese
Wendung analog zu „peak oil“, dem Zeitpunkt des Maximums des weltweit geförderten
Erdöls.[
2
] Die Bedeutung des Gedankens „peak oil“ für den Ölpreis und die Zukunft des Öls als
Primärenergieträger wird ebenso kontrovers diskutiert wie dessen Zeitpunkt. Meinen
die einen, er sei schon vorbei, so entgegnen die anderen, er liege noch weit in der
Zukunft.
Im Hinblick auf „Peak Mensch“ ist man sich dagegen mittlerweile recht sicher, dass
der Zeitpunkt innerhalb dieses Jahrhunderts erreicht wird. Die Meinungen darüber,
wann genau dies geschehen wird, gehen zwar auseinander, interessant ist jedoch die
Tatsache, dass der Zeitpunkt mit jeder neuen Prognose früher kommt ([
Abb. 3
]; [
Tab. 1
]): Nahm die UN noch 2019 ein Wachstum bis 2100 an (mit dann 10,9 Milliarden Menschen),
erreicht dem österreichischen Wittgenstein-Zentrum[
3
] zufolge die Weltbevölkerung etwa im Jahr 2065 10 Milliarden [18]. Die erwähnte Studie aus dem Jahr 2020 [29] prognostiziert für 2064 einen Höhepunkt bei 9,7 Milliarden, und nach den neuesten
Berechnungen des Club of Rome besteht die Möglichkeit, dass „Peak Mensch“ bereits
etwa 2040 mit maximal 8,5 Milliarden Menschen auftreten wird.
Abb. 3 Prognosen der Weltbevölkerung im Vergleich: UN-Prognose (2019; schwarz), Wittgenstein-Prognose
(2020; rot), Lancet-Prognose (2020, grün) und die optimistische Prognose des Club
of Rome (2023; gelb) (nach Daten aus [1])
Tab. 1
Publikationsdatum und Prognosen von Zeitpunkt und Höhe des Maximums der Weltbevölkerung
(„Peak Mensch“). Der Trend geht dahin, dass jüngere Prognosen zu geringeren Maximalwerten
neigen, die zudem früher auftreten werden.
Quelle
|
Datum Publikation
|
Zeitpunkt
|
Maximum
|
UN
|
2015
|
2100
|
11,2
|
UN
|
2019
|
2100
|
10,9
|
Wittgenstein-Center
|
2024
|
2065
|
10,0
|
Lancet
|
2020
|
2064
|
9,7
|
UN
|
2022
|
2080
|
10,4
|
Club of Rome
|
2023
|
2040
|
8,5
|
Lancet
|
2024
|
2050
|
9,7
|
Betrachtet man die Anzahl der Geburten weltweit, dann haben wir „Peak Geburten“ mit
144,19 Millionen Geburten im Jahr 2012 wahrscheinlich schon überschritten ([
Abb. 4
]). Die globalen Mittelwerte über den Zeitraum von 100 Jahren dürfen allerdings nicht
darüber hinwegtäuschen, dass die Geburten, die Geburtenraten und die Bevölkerungszahlen
sehr ungleich über den Globus verteilt sind: Mehr als die Hälfte des prognostizierten
Anstiegs der Weltbevölkerung bis 2050 wird sich auf wenige Länder mit einer relativ
großen Bevölkerung und einer zudem hohen Fertilität konzentrieren (Gesamtfertilitätsraten
in Klammern): Demokratische Republik Kongo (6,82), Ägypten (2,92), Äthiopien (4,16),
Nigeria (5,24), Pakistan (3,47), die Philippinen (2,75) und Tansania (4,73). Der Rest
geht auf das Konto von Ländern mit einer großen Bevölkerung und einer Fertilität unterhalb
des Ersatzniveaus (2,1), insbesondere in China (1,16) und Indien (2,03).
Abb. 4 Anzahl der weltweiten Geburten von 1960–2060 (bis 2022 Messungen, ab 2023 Prognosen)
(nach Daten aus [17])
In den genannten Ländern stehen je nach den wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen
komplexe Wechselwirkungen zwischen Bevölkerungswachstum und nachhaltiger Entwicklung
und damit gewaltige Umbrüche bevor: „Das rasche Bevölkerungswachstum erschwert [einerseits]
die Überwindung der Armut, die Bekämpfung von Hunger und Unterernährung und die Ausweitung
der Gesundheits- und Bildungssysteme. [Andererseits ist] in den meisten Ländern Afrikas
südlich der Sahara sowie in Teilen Asiens, Lateinamerikas und der Karibik […] der
Anteil der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter (zwischen 25 und 64 Jahren) wegen des
jüngsten Rückgangs der Geburtenrate gestiegen. Diese Verschiebung in der Altersverteilung
bietet eine zeitlich begrenzte Chance für ein beschleunigtes Wirtschaftswachstum pro
Kopf, das als demografische Dividende bekannt ist. Um die potenziellen Vorteile einer
günstigen Altersverteilung zu maximieren, sollten die Länder in die Weiterentwicklung
ihres Humankapitals investieren, indem sie den Zugang zu Gesundheitsversorgung und
hochwertiger Bildung in allen Altersgruppen sicherstellen und Möglichkeiten für produktive
Beschäftigung und menschenwürdige Arbeit fördern“ wird Liu Zhenmin, UN-Untergeneralsekretär
für wirtschaftliche und soziale Angelegenheiten in der Zusammenfassung des UN-Reports
zitiert [24].
Die jüngsten Prognosen zur Entwicklung der Weltbevölkerung wurden im Fachblatt Lancet am 19. März 2024 von einer Gruppe von 1405 Autoren, die sich „GBD[
4
] 2021 Fertility and Forecasting Collaborators“ nennt. Den Autoren geht es hierbei
nicht um die Gesamtzahl der Menschen, sondern um die Zahl der Nachkommen. Sie verwenden
2 Maße der Fruchtbarkeit, die Total Fertility Rate (TFR) und den leichter zu bestimmenden
Fruchtbarkeits-Index CCF50 (completed cohort fertility at age 50 years). Auch hier
geht man davon aus, dass die Weltbevölkerung bis zum Jahr 2050 (oder davor) noch auf
9,7 Milliarden Menschen ansteigen und danach wieder sinken wird. Im Hinblick auf den
erwähnten Verbrauch von Ressourcen, den Klimawandel und weitere planetarische Grenzen
könnte diese Entwicklung durchaus einen positiven Einfluss haben, wie die Autoren
diskutieren: „Obwohl eine dauerhaft unter dem Reproduktionsniveau liegende Fruchtbarkeit
für einen Großteil der Welt im Laufe des Jahrhunderts ernsthafte Herausforderungen
mit sich bringen wird, bietet sie auch Chancen für den ökologischen Fortschritt. In
Verbindung mit strengen Umweltschutzvorschriften könnte eine kleinere Weltbevölkerung
in der Zukunft die Belastung der globalen Nahrungsmittelsysteme, der empfindlichen
Umwelt und anderer endlicher Ressourcen verringern und auch die Kohlenstoffemissionen
reduzieren“[
5
]
[8]. So zeigt eine (März 2024) Studie die Zusammenhänge zwischen Weltbevölkerung einerseits
und Umweltschäden sowie gesundheitlichen Problemen andererseits auf [20]. Die Autoren nutzen medizinische bzw. wissenschaftliche Datenbanken (PubMed, GoogleScholar
und Web of Science), um Literatur zu den Auswirkungen des Bevölkerungswachstums auf
die Biosphäre zu finden und auszuwerten. Als Ergebnis halten sie fest, dass globale
Risiken wie Treibhausgasemissionen, der Klimawandel, die Umweltverschmutzung, der
Verlust der biologischen Vielfalt und die Ausbreitung von Krankheiten durch das Bevölkerungswachstum
verstärkt werden. Dies alles wird sich negativ auf den Lebensstandard, die Gesundheit
und das allgemeine Wohlbefinden der Menschen auswirken. Wie andere Autoren vor ihnen,
halten die Autoren Investitionen in die Bildung junger Frauen neben dem Zugang zu
Familienplanung und Kontrazeptiva für die wirksamste und dringlichste Maßnahme.
Von der Explosion zum Crash
Die durchschnittliche Anzahl der Kinder pro Frau – deren Fruchtbarkeit – ist global
betrachtet in den letzten Jahrzehnten deutlich zurückgegangen ([
Abb. 5
]). Mit 2,3 (Stand: 2022) liegt sie nur noch knapp über dem Wert 2,1, bei dem langfristig
ein Nullwachstum der Bevölkerung herrscht (Erhaltungsniveau), sofern eine niedrige
Sterblichkeit vorliegt. Anders ausgedrückt: Liegt die Fruchtbarkeit der Frauen weltweit
unter 2,1, nimmt die Weltbevölkerung langfristig ab.
Abb. 5 Globale Fertilitätsrate („Gesamtfertilitätsrate“ oder „Fruchtbarkeitsziffer“) (nach
Daten aus [26]). Es handelt sich um eine standardisierte demografische Kennzahl mit der „Einheit“
„Kinder pro Gesamtlebenszeit der Frau“. Sie ist zu unterscheiden von der Geburtenrate,
die als „Kinder pro Einwohner“ definiert ist. Wie man sieht, nähert sich die globale
Fertilitätsrate der Erhaltungsrate von 2,1 an und wird sie gegen Ende dieses oder
am Anfang des nächsten Jahrzehnts unterschreiten.
Bereits heute leben zwei Drittel der Weltbevölkerung in Ländern oder Gebieten, in
denen die Fertilitätsrate unter 2,1 Geburten pro Frau liegt. Wie aus [
Abb. 6
] hervorgeht, lag vor einigen Jahren bei den Industriestaaten die Gesamtfertilitätsrate
nur in Frankreich und Israel (2,9) über 2, was jedoch für Frankreich (1,75; Stand:
2024) schon nicht mehr gilt. Auch in China, bis vor Kurzem das bevölkerungsreichste
Land der Erde, hat das Bevölkerungswachstum längst aufgehört. Und selbst in Indien,
das China als bevölkerungsreichstes Land abgelöst hat, liegt die Fertilitätsrate mittlerweile
(Stand: 2024) unter 2,1. In Bangladesch (1,90) und Indonesien (1,97) liegt sie sogar
bei unter 2.
Abb. 6 Weltkarte mit den farbkodierten Fertilitätsraten (Anzahl der Kinder) der Länder (Stand:
2018; eigene Darstellung des Autors, modifiziert nach Daten aus Wikipediaartikel Fertilitätsrate
https://de.wikipedia.org/wiki/Fertilitätsrate)
Wenn die Geburten so dramatisch abnehmen, wie kann dann die Weltbevölkerung noch so
lange weiter ansteigen? – Dies liegt derzeit am sehr deutlichen Anstieg der Lebenserwartung,
die weltweit bei der Geburt im Jahr 2019 bei 72,8 Jahren lag.[
6
] Seit dem Jahr 1990 ist die Lebenserwartung der Menschen im globalen Mittel damit
um nahezu 9 Jahre gestiegen! Bei einem weiteren Rückgang der Sterblichkeit wird für
das Jahr 2050 eine durchschnittliche Lebenserwartung von 77,2 Jahren prognostiziert.
Obgleich also weniger Menschen nachkommen, gibt es immer mehr, weil immer mehr Menschen
immer länger leben. Weltweit gibt es allerdings große Unterschiede: So lag im Jahr
2021 die Lebenserwartung in den am wenigsten entwickelten Ländern 7 Jahre unter dem
globalen Durchschnitt. Und in diesen, von denen viele in Afrika liegen, ist die Geburtenrate
weiterhin hoch. Umgekehrt ist es in Europa, wo die Geburtenrate in den meisten Ländern
unter 2,1 liegt und die Lebenserwartung vergleichsweise hoch ist. Global betrachtet
wird in 61 Ländern oder Gebieten im Zeitraum zwischen 2022 und 2050 die Bevölkerung
um 1 % oder mehr abnehmen.
Selbst innerhalb Deutschlands gibt es beachtliche regionale Unterschiede in der demografischen
Entwicklung. Insgesamt wird die Bevölkerung Deutschlands nach einer Pressemitteilung
der Bertelsmann Stiftung vom 9. April 2024 bis zum Jahr 2040 zwar um 0,6 % zunehmen.
Regional jedoch wird die Bevölkerung in den östlichen Bundesländern und im Saarland
abnehmen, in den anderen Bundesländern hingegen zunehmen. Wie aus [
Tab. 2
] ersichtlich, liegt die Bevölkerungsentwicklung in den 13 Flächenländern zwischen
+ 4,6 % (Baden-Württemberg) und –12,3 % (Sachsen-Anhalt) [3].
Tab. 2
Änderung der Bevölkerung, des Anteiles der Personen im Rentenalter (> 65 Jahre) und
im erwerbsfähigen Alter (25–64 Jahre) im Jahr 2040 gegenüber dem Jahr 2020 (nach Daten
aus [3])
Bundesland
|
Bevölkerung (%)
|
Personen > 65 (%)
|
Erwerbspersonen zwischen 25 und 65 Jahren (%)
|
Baden-Württemberg
|
+ 4,6
|
+ 6
|
–7
|
Bayern
|
+ 4,4
|
+ 7
|
–7,6
|
Berlin
|
+ 5,8
|
+ 3
|
–5,9
|
Brandenburg
|
–2,4
|
+ 7
|
–16
|
Bremen
|
+ 1,1
|
+ 4
|
–8
|
Hamburg
|
+ 3,5
|
+ 3,7
|
–4,9
|
Hessen
|
+ 1,7
|
+ 6
|
–10
|
Mecklenburg-Vorpommern
|
–7,3
|
+ 7,2
|
–20
|
Niedersachsen
|
+ 0,1
|
+ 6,3
|
–12,3
|
Nordrhein-Westfalen
|
+ 0,1
|
+ 6
|
+ 13
|
Rheinland-Pfalz
|
–0,3
|
+ 6,7
|
+ 16
|
Saarland
|
–5,3
|
+ 6,7
|
–17,5
|
Sachsen
|
–5,7
|
+ 3
|
–13,5
|
Sachsen-Anhalt
|
–12,3
|
+ 6
|
–23,6
|
Schleswig-Holstein
|
+ 0,5
|
+ 6,3
|
–11,9
|
Thüringen
|
–10,9
|
+ 6
|
–22
|
Deutschland gesamt
|
+ 0,6
|
+ 6
|
–6,1
|
Auch die neueste Bevölkerungsprognose im Rahmen der Raumordnungsprognose 2045 (Stand:
18.6.2024) aus dem Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung [4] zeigt dieses Bild: Bis zum Jahr 2045 wird die Bevölkerung auf 85,5 Millionen Menschen
anwachsen, womit 0,8 Millionen Menschen mehr als Ende 2023 (also knapp 1 %) in Deutschland
leben werden. Auch nach dieser Prognose sind die Veränderungen regional sehr verschieden,
d. h. mehr als ein Drittel aller kreisfreien Städte und Landkreise (vor allem im Osten
und in der Mitte Deutschlands mit Ausnahme von Berlin und Umland) muss sich auf zum
Teil stark sinkende Bevölkerungszahlen einstellen ([
Abb.7
]). Wachstum und Schrumpfung der Bevölkerung finden also nicht nur global, sondern
auch in Deutschland, nebeneinander zugleich statt.
Abb. 7 Prozentuale Veränderung (farbkodiert; Grüntöne: Zunahme, Rottöne: Abnahme; Gelb:
etwa gleichbleibend) der Bevölkerungszahl der Landkreise im Zeitraum von 2021–2045
(nach Daten aus [4])
Was bedeutet das alles? Das ist schwer vorherzusagen, aber wir brauchen es nicht wirklich
vorherzusagen: Wir können uns das schon jetzt ansehen, weil man in Ostasien schon
soweit ist. Dort hat gerade der Bevölkerungsrückgang begonnen ([
Abb. 8
]), der zwischen 2020 und 2050 von den UN für China mit 8 % und für Japan mit 18 %
vorhergesagt wurde, für Südkorea mit 12% und für Taiwan mit 8 % [7]. Demgegenüber wird die Einwohnerzahl in diesem Zeitraum in den USA um 12 % wachsen
[7] und in Europa nur um 0,8 % sinken [23].
Abb. 8 Entwicklung der Bevölkerung von Ostasien (blaue Kurve, Daten zu China, einschließlich
Hongkong und Macau, Japan, Mongolei, Nord- und Südkorea sowie Taiwan) und von den
USA (grüne Kurve, zum Vergleich) von 1950–2100, ab 2024 geschätzt. Da die Mongolei
und Nordkorea zusammen nur 2 % der Wirtschaftskraft ausmachen, werden sie im Text
nicht diskutiert (nach Daten aus [7])
In Ostasien vollzog sich nach dem Zweiten Weltkrieg eine enorme gesellschaftliche
und ökonomische Entwicklung: Von 1950–1980 stieg die Bevölkerung von unter 700 Millionen
um 80 % und bis 2020 auf das 2,5-Fache auf fast 1,7 Milliarden Menschen. Bereits seit
Anfang der 1970er-Jahre jedoch lag die Fertilitätsrate in Japan unter 2,1 %. Dies
geschah in den 1980er-Jahren auch in Südkorea und Taiwan, und in China in den 1990er-Jahren.
Mittlerweile ist Japan sogar unter den ostasiatischen Ländern wieder das fruchtbarste
– mit einer Fertilität, die aber weiterhin um 40 % unter dem Erhaltungsniveau liegt.
In den übrigen Ländern dieser Region ist die Entwicklung noch dramatischer, wie in
dem sehr lesenswerten Aufsatz mit dem Titel „East Asia’s Coming Population Collapse“
wie folgt beschrieben wird: „Chinas Fertilitätsrate liegt fast 50 % unter dem Erhaltungsniveau;
wenn sich dieser Trend fortsetzt, wird jede heranwachsende chinesische Generation
kaum halb so groß sein wie die vorherige. Ähnliches gilt für Taiwan. Südkoreas Fertilitätsrate
lag im Jahr 2023 erstaunliche 65 % unter dem Erhaltungsniveau – die niedrigste, die
jemals für die Bevölkerung eines Landes in Friedenszeiten verzeichnet wurde. Wenn
sich das nicht ändert, wird es in 2 Generationen in Südkorea nur noch 12 Frauen im
gebärfähigen Alter auf 100 Frauen im Land geben“ [7]. Zwar gab es in der Geschichte immer wieder Rückgänge in der Bevölkerung, meist
durch Hungersnöte, Katastrophen oder Kriege bedingt. Erstmals in der Geschichte gibt
es nun hingegen einen freiwilligen Bevölkerungsrückgang bei gleichzeitigem Fortschritt,
der Verbesserung der Gesundheit und steigendem Wohlstand. Und genau hier liegt das
Problem!
Im Jahr 2050 wird es in Taiwan mehr Menschen über 75 geben als Menschen unter 25 Jahren,
und in Südkorea mehr über 80 Jahren als unter 20 [7]. So etwas gab es auf der Welt noch nie! Bedenkt man zudem, dass zu diesem Zeitpunkt
in Südkorea und Japan das Verhältnis der Arbeitenden zur berenteten Bevölkerung bei
etwa 1 liegen wird, kann man sich ausmalen, was auf die Sozialsysteme dieser Länder
zukommt.[
7
] Besonders drastisch zeigt sich die Überalterung der Gesellschaft in der Häufigkeit
der über 80-Jährigen ([
Abb. 9
]). Da Südasien von allen Regionen der Welt den höchsten Anteil an Kinderlosigkeit
hat, wird es sehr viele sehr alte Menschen geben, um die sich niemand wird kümmern
können.
Abb. 9 Der gemessene bzw. prognostizierte Anteil der über 80-Jährigen in ostasiatischen
Ländern und der gesamten Region Südasien von 1990–2050. Da die betroffenen Menschen
zum gegenwärtigen Zeitpunkt am Leben sind und die Sterblichkeit bekannt ist, lassen
sich hierzu recht verlässliche Prognosen erstellen (nach Daten aus [25])
Die sich drastisch verändernde Altersstruktur in Südasien wird auch Auswirkungen auf
den gesamten Globus haben. Wenn überhaupt, dann dürfte China nur für kurze Zeit Wirtschaftsmacht
Nummer 1 sein, denn der relativ geringe Anteil an jungen, arbeitsfähigen Menschen
wird sich negativ auf dessen Wirtschaft auswirken. Die USA dagegen können mit ihrer
völlig anderen Demografie (von Migration gar nicht zu reden) weiterwachsen. Auch wird
die Regierung eines Landes, das über vergleichsweise wenige junge Männer verfügt,
das Risiko eines Krieges eher scheuen, zumal die Sozialausgaben die Mittel für das
Militär begrenzen. Weniger junge, arbeitsfähige Menschen bedeuten immer auch weniger
Wirtschaftskraft und damit auch weniger Macht. Mit globalem Blick auf die beiden ganz
großen Blöcke hat man also Grund zur Annahme, dass die USA in den kommenden Jahrzehnten
an Bedeutung und Einfluss gewinnen werden und China diesbezüglich einen Verlust erleiden
wird.
Wir Europäer liegen – geografisch wie demografisch – irgendwo dazwischen. Wir werden
sehr klug handeln müssen, dürfen keine Zeit und vor allem uns nicht in nationalistischen
Engstirnigkeiten verlieren. Dann hätten wir verloren. Denn eines ist klar: Was wir
seit einem oder 2 Jahren erleben, ist unumkehrbar und quantitativ durchaus gut in
die Zukunft projizierbar. Was dies jedoch für unser Leben und dessen Qualität bedeutet,
weiß niemand. Die nächsten 2 Jahrzehnte werden für die Menschen, und für die Menschheit
insgesamt, entscheidend sein. Wir können weder umkehren noch uns einfach auf unseren
Errungenschaften ausruhen. Und um noch einmal Marion King Hubbert zu zitieren [10]: „Vielmehr haben wir keine andere Wahl, als in eine Zukunft zu gehen, die sich von
allem, was wir bisher erlebt haben, deutlich unterscheiden wird.“
Einfacher wird es jedenfalls nicht werden, wie es der Autor der Arbeit über den asiatischen
Populationskollaps im folgenden Zitat andeutet [7]: „Die Frage, wie die Altersversorgung in einer Gesellschaft ohne Nachkommen funktionieren
könnte, wurde bisher nur in dystopischen Science-Fiction-Büchern behandelt. Mittlerweile
sehen diese Geschichten allerdings weniger fantastisch aus [wie das folgende Beispiel
zeigt]. In dem japanischen Film Plan 75 aus dem Jahr 2022 hat Tokio damit begonnen, ältere Menschen dafür zu bezahlen, sich
das Leben zu nehmen, um die von ihnen verursachte wirtschaftliche Belastung für die
Gesellschaft zu verringern. Als die Regisseurin des Films, Chie Hayakawa, die Hauptfigur
entwickelte, befragte sie 15 ältere Frauen, von denen alle meinten, dass sie einen
solchen Plan im wirklichen Leben begrüßen würden. ,Es ist zu real, um Science-Fiction
zu sein‘, sagte Hayakawa über den Film [und fügt hinzu]. ,Ich habe diesen Film eigens
gemacht, um zu verhindern, dass ein solches Programm Realität wird‘.“
Die Zunahme des Durchschnittsalters einer Gesellschaft hat keineswegs nur Nachteile:
So nimmt die Wahrscheinlichkeit von inneren Unruhen und Aufständen mit zunehmendem
Alter der Menschen (vor allem der Männer) ab und die Wahrscheinlichkeit der Entwicklung
einer Demokratie zu: In weniger als 20 % der Länder mit einem Durchschnittsalter der
Bevölkerung von unter 25 Jahren herrscht eine Demokratie, wohingegen über 80 % der
Länder mit einem Durchschnittsalter über 35 Jahre Demokratien sind [6]. Länder mit einem Durchschnittsalter dazwischen (von 25–35 Jahren) liegen mit etwa
50 % Demokratien entsprechend dazwischen ([
Abb. 10
]). Ab einem Durchschnittalter von 45 spricht man daher auch von „geriatrischem Frieden“
[27]. Bei allem Tumult, der aufgrund der demografischen Umbrüche auf uns zu kommt, kann
einem das Mut machen, denn wir haben eine Chance auf friedliche Übergänge, wenn wir
uns nur Mühe geben.
Abb. 10 Prozentualer Anteil freier Demokratien in Abhängigkeit vom Durchschnittsalter der
Bevölkerung (nach Daten aus [24]). Unabhängig vom Beobachtungsjahr sind junge Gesellschaften mit unter 20 % deutlich
seltener demokratisch als ältere mit über 80 %.