Schlüsselwörter Physiotherapie - Arthrose - Schulung - Leitlinienkonforme Therapie
Einleitung
Die Arthrose der Hüft- und Kniegelenke ist eine weltweit verbreitete Erkrankung, von
der auch in Deutschland etwa 20 Prozent der über 60-Jährigen betroffen sind [1 ]. Ein Zusammenspiel mechanischer, entzündlicher und metabolischer Faktoren führt
zu strukturellen Veränderungen im gesamten Gelenk. Neben einer Schädigung des Knorpels
sind auch andere Strukturen wie die Muskulatur, die Bänder und die Knochen betroffen
[2 ]
[3 ]. Die Entwicklung einer Arthrose wird dabei durch eine Vielzahl von Risikofaktoren
begünstigt, darunter hohes Alter, weibliches Geschlecht, Übergewicht, Überlastung
und vorangegangene Gelenkverletzungen [2 ]
[4 ]. Patient*innen leiden vor allem unter Schmerzen und Funktionseinschränkungen, die
zu einer dauerhaften Beeinträchtigung der Lebensqualität führen [5 ].
Unabhängig vom Schweregrad der Erkrankung und vom Alter der Patient*innen wird in
nationalen [6 ]
[7 ] und internationalen [8 ]
[9 ]
[10 ] Leitlinien übereinstimmend eine konservative, nicht medikamentöse Therapie als Behandlung
erster Wahl empfohlen. Edukation, Bewegungstherapie und Maßnahmen zum Gewichtsmanagement
sollten demnach allen Patient*innen mit Hüft- und Kniegelenksarthrose zugänglich gemacht
werden. In diesem Kontext kommt der Physiotherapie eine zentrale Bedeutung zu. Eine
systematische Übersichtsarbeit, die Ergebnisse aus Befragungen von Physiotherapeut*innen
und Patient*innen aus verschiedenen Ländern zusammenfasst, legt jedoch nahe, dass
bei der Behandlung von muskuloskelettalen Erkrankungen häufig anstelle der ausdrücklich
empfohlenen Maßnahmen auf solche zurückgegriffen wird, deren Wirksamkeit nicht oder
nur unzureichend nachgewiesen ist [11 ]. Auch eine Befragung deutscher Physiotherapeut*innen zeigte, dass zwar vielen Patient*innen
mit Hüft- und Kniegelenksarthrose Edukation und Bewegungstherapie angeboten wird,
gleichzeitig aber häufig Therapiemaßnahmen mit zweifelhafter oder fehlender Evidenz
angewendet werden [12 ].
Mit dem Ziel, allen Patient*innen mit Hüft- und Kniegelenksarthrose eine einheitliche
und evidenzbasierte Versorgung zu gewährleisten, wurde im Jahr 2013 das Programm „Good
Life with osteoArthritis in Denmark“ (GLA:D) initiiert [13 ]. GLA:D basiert auf 3 standardisierten Kernelementen: 1) einem zweitägigen Kurs zur
Schulung der Physiotherapeut*innen, in dem die Inhalte der Patient*innenedukation
und das Übungsprogramm vermittelt werden, 2) der Teilnahme an einem achtwöchigen Edukations-
und Trainingsprogramm für Patient*innen sowie 3) einer standardisierten Erfassung
von Patient*innendaten zu Beginn, nach 3 und nach 12 Monaten zur Evaluation der Effektivität
[13 ]. Die Ergebnisse zahlreicher Studien belegen den Erfolg des Programms. So konnten
beispielsweise Verbesserungen hinsichtlich der Schmerzintensität und Funktion sowie
eine Reduktion des Schmerzmittelverbrauchs und der Arbeitsunfähigkeitstage nach 3
und 12 Monaten nachgewiesen werden [13 ]
[14 ]
[15 ]
[16 ]
[17 ]. Da diese Studien jedoch keine Kontrollgruppe umfassen, können alternative Einflussfaktoren
auf die beobachteten Effekte des Programms nicht ausgeschlossen werden.
Mittlerweile wurde GLA:D in vielen anderen Ländern weltweit erfolgreich eingeführt,
darunter Kanada, Australien, Neuseeland und Irland. Im November 2022 startete die
Implementierung von GLA:D in Deutschland, zunächst als Pilotprojekt in Nordrhein-Westfalen.
Während die Wirksamkeit des Programms für die Patient*innen vielfach belegt ist, wurde
ein möglicher Effekt auf die an der Schulung teilnehmenden Therapeut*innen bislang
wenig erforscht. Im Rahmen einer umfassenden Programmevaluation von GLA:D Australien
unter Verwendung eines Mixed-Methods-Ansatzes berichteten Barton et al. [17 ], dass die Teilnahme an der zweitägigen Schulung einen großen bis mittleren Effekt
auf den Anteil der Physiotherapeut*innen hatte, die sich zutrauen, Bewegungstherapie
und Edukation leitliniengerecht durchzuführen. Unklar ist, ob sich ähnliche Effekte
auch in Deutschland zeigen, wo im Gegensatz zu Australien kein Bachelor-Abschluss
als Eingangsqualifikation für die Physiotherapie erforderlich ist [18 ]. In Deutschland könnten nicht akademisierte Physiotherapeut*innen möglicherweise
sogar stärker von der Schulung profitieren, da Leitlinien im berufsfachschulischen
Unterricht kein fester Bestandteil des Lehrplans sind und vor der Schulung eventuell
weniger Wissen über leitliniengerechte Versorgung vorhanden ist. Daher war das Ziel
der vorliegenden Studie, den Effekt der zweitägigen Schulung auf das subjektiv wahrgenommene
Wissen und die empfundene Sicherheit von Physiotherapeut*innen bei der Versorgung
von Hüft- und Kniegelenksarthrose zu untersuchen.
Methode
Studiendesign
Die vorliegende Analyse im Prä-Post-Design basiert auf Fragebogendaten, die im Rahmen
einer fortlaufenden Mixed-Methods-Studie zur begleitenden Evaluation der Implementierung
von GLA:D Deutschland erhoben wurden. Die Untersuchung sieht eine longitudinale Befragung
unmittelbar vor sowie 2 Wochen und 12 Monate nach der Schulung zur GLA:D-Therapeut*in
vor. Da zum dritten Befragungszeitpunkt noch keine ausreichenden Daten vorlagen, wurden
in der vorliegenden Studie nur die Ergebnisse der ersten und zweiten Befragungsrunde
berücksichtigt. Die Hauptstudie wurde im Deutschen Register Klinischer Studien (DRKS00 032 853)
registriert und von der Ethikkommission der Brandenburgischen Technischen Universität
Cottbus-Senftenberg geprüft und befürwortet (EK2022–9). Die Befragung erfolgte in
Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Deklaration von Helsinki [19 ]. Alle Teilnehmenden gaben ihr informiertes Einverständnis zur Teilnahme an der Befragung.
Die Berichterstattung der vorliegenden Studie folgt den Empfehlungen der STROBE-Leitlinie
(Strengthening the Reporting of Observational Studies in Epidemiology) für Beobachtungsstudien
[20 ] sowie der CROSS-Checkliste (Checklist for Reporting of Survey Studies) [21 ].
Datenerhebung
Die Erstellung der Befragung erfolgte unter Verwendung des webbasierten Umfrage-Tools
LimeSurvey (Hamburg, Deutschland). Der Fragebogen (siehe Zusatzmaterial ) wurde auf Basis früherer Forschungsarbeiten zur Evaluierung von GLA:D Australien
[17 ]
[22 ] entwickelt und erfasste Informationen zu 3 Themenkomplexen:
Demografische und berufliche Merkmale (Alter, Geschlecht, Abschluss, Berufserfahrung,
Arbeitsumfeld)
Einschätzungen und Überzeugungen in Bezug auf die Versorgung von Personen mit Hüft-
und Kniegelenksarthrose
Bekanntheit von Leitlinien
Der Fragebogen umfasste insgesamt 14 Items, die auf 9 Screens präsentiert wurden.
Wurde zu einem Item keine Eingabe getätigt, erhielten die Teilnehmenden beim Fortfahren
einen entsprechenden Hinweis. Es bestand die Möglichkeit, diesen zu ignorieren und
die Frage nicht zu beantworten oder die Option, „keine Angabe“ zu wählen. Die Teilnehmenden
konnten jederzeit zur vorherigen Seite des Fragebogens zurückkehren und ihre Antworten
ändern. Die geschätzte Bearbeitungszeit betrug etwa 10 Minuten. Der Fragebogen wurde
bereits vom australischen Autor*innenteam getestet. Daher wurde im deutschen Setting
lediglich ein Pilottest im Rahmen des Projektteams durchgeführt, da der Fragebogen
in enger inhaltlicher Abstimmung mit dem australischen Team entwickelt worden war.
Vor Beginn der Befragung wurden die Teilnehmenden auf einer separaten Seite umfassend
über die Ziele und Inhalte sowie über ihre Rechte im Zusammenhang mit der Teilnahme
informiert. Durch das Ankreuzen eines entsprechenden Kästchens bestätigten sie, dass
sie die Informationen zur Studie gelesen und verstanden haben und mit der Teilnahme
einverstanden sind. Die Teilnahme an der Befragung war freiwillig und anonym. Es wurden
keine Cookies- oder automatische Überprüfungen der IP-Adressen eingerichtet, die durch
Speicherung von Nutzer*innendaten beabsichtigte oder unbeabsichtigte Mehrfachteilnahmen
verhindern können.
Der Fragebogen der ersten (T0 ) und zweiten (T1 ) Befragungsrunde war identisch, mit Ausnahme der Erhebung soziodemografischer Daten,
die im zweiten Durchgang nicht erforderlich war. Die Teilnehmenden wurden gebeten,
eine E-Mail-Adresse und einen individuell generierten Code aus Zahlen und Buchstaben
anzugeben, um an der zweiten Befragung teilnehmen zu können und eine spätere Zuordnung
der beiden Fragebögen zueinander zu gewährleisten.
Teilnehmende und Rekrutierung
Die Befragung richtete sich an alle Physiotherapeut*innen, die zwischen November 2022
und Mai 2024 an einem GLA:D-Kurs in Essen (Deutschland) teilnahmen. Der Fragebogen
wurde über einen QR-Code zur Verfügung gestellt und sollte unmittelbar vor Beginn
der Schulung ausgefüllt werden. Den Teilnehmenden stand es frei, den Link zur Befragung
nicht zu öffnen, wenn sie nicht an der Umfrage teilnehmen wollten. Aus der Teilnahme
oder Nichtteilnahme ergaben sich weder Vor- noch Nachteile und es wurden keine Anreize
(Incentives) zur Teilnahme angeboten. Die Einladung zur erneuten Befragung erfolgte
2 Wochen nach der Erstbefragung ausschließlich an diejenigen Personen, die den ersten
Fragebogen unter Angabe einer E-Mail-Adresse und des individuell generierten Codes
vollständig ausgefüllt hatten. Eine Fallzahlberechnung wurde nicht vorgenommen. Alle
Teilnehmenden der GLA:D-Schulungen wurden zur Umfrage eingeladen.
Intervention
Die Schulungen zur GLA:D-Therapeut*in fanden an 2 aufeinanderfolgenden Tagen mit einem
zeitlichen Umfang von jeweils 8 Stunden pro Tag statt. Die Zahl der Teilnehmenden
war auf maximal 20 Personen pro Kurs begrenzt. Die Durchführung erfolgte durch 2 zertifizierte
GLA:D-Instruktor*innen, die von den dänischen Initiator*innen des Programms entsprechend
ausgebildet worden waren. Die Schulung gliederte sich in einen theoretischen und einen
praktischen Teil. Im theoretischen Teil wurden die Hintergründe des GLA:D-Programms,
Ergebnisse aus der Versorgungsforschung zu Arthrose sowie die Inhalte der Patient*innenedukation
als Teil des GLA:D-Programms präsentiert. Ein besonderer Fokus lag dabei auf der Vermittlung
der aktuellen Evidenz verschiedener medizinischer Maßnahmen zur Versorgung von Hüft-
und Kniegelenksarthrose. Der praktische Teil umfasste die Einführung in die motorischen
Tests (40-Meter-Gehtest, 30-Sekunden-Aufstehtest, Einbein-Sprungtest), die standardisiert
zur Erfolgskontrolle von GLA:D eingesetzt werden, sowie die Durchführung des Übungsprogramms.
Die Schulungsinhalte sind standardisiert und werden in allen teilnehmenden Ländern
in identischer Form vermittelt. Dabei wird in allen Ländern das gleiche, entsprechend
übersetzte Präsentationsmaterial verwendet, welches regelmäßig aktualisiert wird und
an die jeweiligen kulturellen Gegebenheiten adaptiert wurde.
Datenauswertung
Die Auswertung der Daten erfolgte mit der Statistiksoftware R (Version 2022.07.2,
The R Project for Statistical Computing, Wien, Österreich). In die Auswertung wurden
nur abgeschlossene Fragebögen einbezogen.
Die deskriptive Auswertung aller Daten erfolgte unter Angabe absoluter und relativer
Häufigkeiten. Für metrische, normalverteilte Variablen wurden Mittelwert, Standardabweichung
und der Wertebereich (Range) berechnet. Die demografischen Merkmale aller Teilnehmenden
der Erstbefragung (T0total ) wurden mit denen derjenigen verglichen, die auch an der zweiten Befragung teilnahmen
(T0sub ), um mögliche Unterschiede und Verzerrungen zwischen den beiden Gruppen zu identifizieren.
Um die Effektivität der Schulung im Vorher-Nachher-Vergleich zu untersuchen, wurden
bivariate Analysen unter Verwendung des McNemar-Tests für gepaarte Stichproben durchgeführt.
Das Signifikanzniveau wurde auf p < 0,05 festgelegt. Die Effektstärke (ES) wurde mithilfe
von Cohen’s g bestimmt, da dieses Maß besonders für dichotome Variablen geeignet ist und eine Quantifizierung
von Veränderungen in gepaarten Stichproben ermöglicht. Ein Effekt wurde als vernachlässigbar
(< 0,05), klein (0,05–0,15), moderat (0,15–0,25) oder groß (> 0,25) eingestuft [23 ]. Der Vorher-Nachher-Vergleich wurde ausschließlich für die Teilnehmenden durchgeführt,
deren Fragebögen anhand des individuell generierten Codes zur Erstbefragung (T0sub ) und Zweitbefragung (T1 ) eindeutig zugeordnet werden konnten. Die Daten wurden wie folgt dichotomisiert:
Die Antwortkategorien „stimme voll und ganz zu“ und „stimme zu“ wurden als Zustimmung
zu Aussagen zur Arthroseversorgung zusammengefasst, während die übrigen Antwortmöglichkeiten
(„weder noch“, „stimme nicht zu“, „stimme gar nicht zu“) einer separaten Kategorie
zugeordnet wurden. Fehlende Werte wurden fallweise aus den Berechnungen ausgeschlossen.
Ergebnisse
Teilnahmerate
Von den 290 Physiotherapeut*innen, die an einer der 19 GLA:D-Schulungen teilnahmen,
füllten insgesamt 254 Personen den Fragebogen unmittelbar vor Kursbeginn aus (Rücklaufquote:
87,6 %). 85 Befragte beantworteten den gleichen Fragebogen nach einem Zeitraum von
2 Wochen erneut (Rücklaufquote: 29,3 %). Die Daten von 81 Personen wurden in die Auswertung
zur Überprüfung der Wirksamkeit einbezogen ([Abb. 1 ]).
Abb. 1 Flowchart Teilnahmerate.
Teilnehmende
Von den 254 Physiotherapeut*innen der Erstbefragung waren 114 Frauen (44,9 %) und
140 Männer (55,1 %). Das Durchschnittsalter lag bei 35 Jahren (± 10,7), die Berufserfahrung
betrug 10,7 Jahre (± 9,8) Jahre. Insgesamt 83 Personen (32,7 %) verfügten neben dem
Staatsexamen über einen akademischen Abschluss. Mit 90,9 Prozent (231/254) arbeitete
die Mehrheit der Physiotherapeut*innen in einer ambulanten Praxis. Zwischen den Teilnehmenden
der ersten Befragung (T0total ) und den Teilnehmenden, die auch den zweiten Fragebogen vollständig ausfüllten (T0sub ), konnten hinsichtlich der demografischen und beruflichen Angaben keine erkennbaren
Unterschiede festgestellt werden. Eine vollständige Beschreibung der Merkmale findet
sich in [Tab. 1 ].
Tab. 1
Charakteristika der Teilnehmenden.
T0total (n = 254)
T0sub (n = 81)
Alter in Jahren
35 ± 10,7 (22–68)
34,6 ± 11,1 (22–63)
Geschlecht
Weiblich
114 (44,9)
41 (50,6)
männlich
140 (55,1)
40 (49,4)
Höchster Ausbildungsgrad
Staatsexamen
167 (65,7)
53 (65,4)
Diplom
4 (1,6)
1 (1,2)
Bachelor
64 (25,2)
23 (28,4)
Master
14 (5,5)
4 (4,9)
Promotion
1 (0,4)
0 (0,0)
Keine Angabe
4 (1,6)
0 (0,0)
Berufserfahrung in Jahren
10,7 ± 9,8 (0–40)
10,4 ± 10,5 (0–40)
Primäres Arbeitssetting
Praxis
231 (90,9)
76 (93,8)
Krankenhaus
6 (2,4)
2 (2,5)
Rehabilitationsklinik
10 (3,9)
1 (1,2)
Sonstiges
6 (2,4)
2 (2,5)
Keine Angabe
1 (0,4)
0 (0,0)
N = Anzahl, T0total : Grundgesamtheit bei Erstbefragung, T0sub : Subgruppe bei Erstbefragung, Werte sind in Mittelwert ± Standardabweichung (Range)
oder Anzahl (n (%)) angegeben.
Überzeugungen zu Fähigkeiten bei der Durchführung leitliniengerechter Therapie
Die Teilnahme an der zweitägigen Schulung führte durchweg zu positiven Veränderungen
beim subjektiv wahrgenommenen Wissen und bei der empfundenen Sicherheit zur Durchführung
einer leitliniengerechten Therapie für Patient*innen mit Hüft- und Kniegelenksarthrose
([Tab. 2 ]). Über 98 Prozent (T1 : 80/81) der Teilnehmenden gaben nach der Schulung an, dass sie sich dahingehend geschult
und in der Lage fühlen, Trainingstherapie und Edukation gemäß den aktuellen Leitlinien
zu erbringen. Die größte Unsicherheit bestand sowohl vor (T0total : 116/254, 45,7 %; T0sub : 35/81, 43,2 %) als auch nach der Schulung (T1 : 64/81, 79 %) hinsichtlich der Überzeugung, auch bei unmotivierten Patient*innen
eine leitliniengerechte Versorgung erbringen zu können. Die Verbesserungen waren im
Vorher-Nachher-Vergleich bei fast allen Items signifikant und die Schulung hatte überwiegend
mittlere bis große Effekte (ES > 0,18) auf das subjektiv wahrgenommene Wissen und
die empfundene Sicherheit bei der Durchführung leitliniengerechter Therapie (siehe Zusatzmaterial ).
Tab. 2
Überzeugungen zu Fähigkeiten bei der Durchführung leitliniengerechter Therapie bei
Hüft- und Kniegelenksarthrose.
Stimme voll und ganz zu (n (%))
Stimme zu (n (%))
Weder noch (n (%))
Stimme nicht zu (n (%))
Stimme gar nicht zu (n (%))
Keine Angabe (n (%))
Ich weiß, wie ich bei Personen mit Hüft- und/oder Kniegelenksarthrose Trainingstherapie
und Edukation gemäß den aktuellen Leitlinienempfehlungen erbringen kann.
T0total (n = 254)
37 (14,6)
156 (61,4)
39 (15,4)
15 (5,9)
0 (0,0)
7 (2,8)
T0sub (n = 81)
7 (8,6)
57 (70,4)
12 (14,8)
4 (4,9)
0 (0,0)
1 (1,2)
T1 (n = 81)
49 (60,5)
30 (37,0)
2 (2,5)
0 (0,0)
0 (0,0)
0 (0,0)
∆T1 –T0sub
+ 42 (51,9)
−27 (33,3)
−10 (12,3)
−4 (4,9)
0 (0,0)
−1 (1,2)
Ich wurde dahingehend geschult, bei Personen mit Hüft- und/oder Kniegelenksarthrose
Trainingstherapie und Edukation gemäß den aktuellen Leitlinienempfehlungen zu erbringen.
T0total (n = 254)
27 (10,6)
118 (46,5)
66 (26,0)
29 (11,4)
8 (3,1)
6 (2,4)
T0sub (n = 81)
6 (7,4)
40 (49,4)
22 (27,2)
12 (14,8)
0 (0,0)
1 (1,2)
T1 (n = 81)
55 (67,9)
25 (30,9)
0 (0,0)
1 (1,2)
0 (0,0)
0 (0,0)
∆T1 –T0sub
+ 49 (60,5)
−15 (18,5)
−22 (27,2)
−11 (13,6)
0 (0,0)
−1 (1,2)
Ich bin in der Lage, bei Personen mit Hüft- und/oder Kniegelenksarthrose Trainingstherapie
und Edukation gemäß den aktuellen Leitlinienempfehlungen zu erbringen.
T0total (n = 254)
30 (11,8)
144 (56,7)
58 (22,8)
13 (5,1)
3 (1,2)
6 (2,4)
T0sub (n = 81)
4 (4,9)
53 (65,4)
19 (23,5)
4 (4,9)
0 (0,0)
1 (1,2)
T1 (n = 81)
48 (59,3)
32 (39,5)
1 (1,2)
0 (0,0)
0 (0,0)
0 (0,0)
∆T1 –T0sub
+ 44 (54,3)
−21 (25,9)
−18 (22,2)
−4 (4,9)
0 (0,0)
−1 (1,2)
Im Rahmen meiner Tätigkeit ist es meine Aufgabe, bei Personen mit Hüft- und/oder Kniegelenksarthrose
Trainingstherapie und Edukation gemäß den aktuellen Leitlinienempfehlungen zu erbringen.
T0total (n = 254)
80 (31,5)
128 (50,4)
25 (9,8)
11 (4,3)
3 (1,2)
7 (2,8)
T0sub (n = 81)
26 (32,1)
38 (46,9)
11 (13,6)
5 (6,2)
0 (0,0)
1 (1,2)
T1 (n = 81)
56 (69,1)
22 (27,2)
1 (1,2)
0 (0,0)
0 (0,0)
2 (2,5)
∆T1 –T0sub
+ 30 (37,0)
−16 (19,8)
−10 (12,3)
−5 (6,2)
0 (0,0)
0 (0,0)
Ich bin sicher, dass ich bei Personen mit Hüft- und/oder Kniegelenksarthrose Trainingstherapie
und Edukation gemäß den aktuellen Leitlinienempfehlungen erbringen kann.
T0total (n = 254)
41 (16,1)
138 (54,3)
55 (21,7)
12 (4,7)
0 (0,0)
8 (3,1)
T0sub (n = 81)
10 (12,3)
50 (61,7)
18 (22,2)
2 (2,5)
0 (0,0)
1 (1,2)
T1 (n = 81)
43 (53,1)
36 (44,4)
1 (1,2)
0 (0,0)
0 (0,0)
1 (1,2)
∆T1 –T0sub
+ 33 (40,7)
−14 (17,3)
−17 (21,0)
−2 (2,5)
0 (0,0)
0 (0,0)
Ich bin sicher, dass ich bei Personen mit Hüft- und/oder Kniegelenksarthrose Trainingstherapie
und Edukation gemäß den aktuellen Leitlinienempfehlungen erbringen kann, obwohl die
Person nicht motiviert ist.
T0total (n = 254)
16 (6,3)
100 (39,4)
77 (30,3)
48 (18,9)
4 (1,6)
9 (3,5)
T0sub (n = 81)
4 (4,9)
31 (38,3)
26 (32,1)
18 (22,2)
0 (0,0)
2 (2,5)
T1 (n = 81)
20 (24,7)
44 (54,3)
12 (14,8)
5 (6,2)
0 (0,0)
0 (0,0)
∆T1 –T0sub
+ 16 (19,8)
+ 13 (16,0)
−24 (29,6)
−13 (16,0)
0 (0,0)
−2 (2,5)
Wenn ich bei Personen mit Hüft- und/oder Kniegelenksarthrose Trainingstherapie und
Edukation gemäß den aktuellen Leitlinienempfehlungen erbringe, wird sich der Gesundheitszustand
dieser Person verbessern.
T0total (n = 254)
53 (20,9)
150 (59,1)
34 (13,4)
5 (2,0)
0 (0,0)
12 (4,7)
T0sub (n = 81)
18 (22,2)
47 (58,0)
11 (13,6)
1 (1,2)
0 (0,0)
4 (4,9)
T1 (n = 81)
25 (30,9)
50 (61,7)
2 (2,5)
0 (0,0)
0 (0,0)
4 (4,9)
∆T1 –T0sub
+ 7 (8,6)
+ 3 (3,7)
−9 (11,1)
−1 (1,2)
0 (0,0)
0 (0,0)
Wenn ich bei Personen mit Hüft- und/oder Kniegelenksarthrose Trainingstherapie und
Edukation gemäß den aktuellen Leitlinienempfehlungen erbringe, werden die Personen
aktiver sein.
T0total (n = 254)
36 (14,2)
159 (62,6)
46 (18,1)
5 (2,0)
0 (0,0)
8 (3,1)
T0sub (n = 81)
11 (13,6)
51 (63,0)
16 (19,8)
2 (2,5)
0 (0,0)
1 (1,2)
T1 (n = 81)
23 (28,4)
45 (55,6)
6 (7,4)
5 (6,2)
0 (0,0)
2 (2,5)
∆T1 –T0sub
+ 12 (14,8)
−6 (7,4)
−10 (12,3)
+ 3 (3,7)
0 (0,0)
+ 1 (1,2)
In der Einrichtung, in der ich arbeite, stehen alle notwendigen Ressourcen zur Verfügung,
um bei Personen mit Hüft- und/oder Kniegelenksarthrose Trainingstherapie und Edukation
gemäß den aktuellen Leitlinienempfehlungen zu erbringen.
T0total (n = 254)
108 (42,5)
115 (45,3)
13 (5,1)
11 (4,3)
1 (0,4)
6 (2,4)
T0sub (n = 81)
25 (30,9)
46 (56,8)
4 (4,9)
4 (4,9)
0 (0,0)
2 (2,5)
T1 (n = 81)
48 (59,3)
27 (33,3)
0 (0,0)
5 (6,2)
0 (0,0)
1 (1,2)
∆T1 –T0sub
+ 23 (28,4)
−19 (23,5)
−4 (4,9)
+ 1 (1,2)
0 (0,0)
−1 (1,2)
n = Anzahl, T0total = Grundgesamtheit bei Erstbefragung, T0sub = Subgruppe bei Erstbefragung, T1 = zweite Befragungsrunde, ∆ = Differenz.
Empfundene Sicherheit bei der Durchführung therapeutischer Maßnahmen
Der Großteil der befragten Physiotherapeut*innen gab vor Teilnahme an der Schulung
an, sich bei der Durchführung von Trainingstherapie zur Behandlung von Personen mit
Hüft- und Kniegelenksarthrose sicher zu fühlen (T0total : 113/254, 44,5 %; T0sub : 40/81, 49,4 %). Nur etwas mehr als ein Viertel der Befragten fühlte sich hingegen
sehr sicher (T0total : 71/254, 28 %; T0sub : 22/81, 27,2 %). 2 Wochen nach der zweitägigen Schulung stieg der Anteil derer, die
sich sehr sicher fühlten, um 45,7 auf insgesamt 72,8 Prozent (T1 : 59/81). Auch bei der Edukation zeigte sich eine positive Entwicklung: Der Anteil
derer, die sich sicher fühlten, stieg um 13 Prozent, der Anteil derer, die sich sehr
sicher fühlten, nahm um 17 Prozent zu. Während sich mindestens die Hälfte der Befragten
vor der Schulung bei der Edukation zu physiotherapeutischen Themen (z. B. körperliche
Aktivität) sicher oder sehr sicher fühlten, traf dies in Bezug auf die Edukation über
Nutzen und Risiken der oralen Einnahme von Schmerzmitteln (T0total : 47/254, 18,5 %; T0sub : 15/81, 18,5 %), Injektionen (T0total : 44/254, 17,3 %; T0sub : 7/81, 8,6 %) und arthroskopischen Eingriffen (T0total : 75/245, 29,5 %; T0sub : 19/81, 23,5 %) für weniger als ein Drittel der Therapeut*innen zu.
Nach der Schulung konnte eine Zunahme der empfundenen Sicherheit in allen Bereichen
um 20–50 Prozent beobachtet werden, doch blieb insbesondere beim Gewichtsmanagement
sowie bei der Edukation zu Maßnahmen, die über das übliche Tätigkeitsgebiet der Physiotherapie
hinausgehen, eine gewisse Unsicherheit bestehen. Bei weiteren physiotherapeutischen
Maßnahmen wie Manueller Therapie, Elektrotherapie und Taping waren hingegen weniger
starke Veränderungen festzustellen. Auffällig war zudem, dass diese passiven Maßnahmen
– mit Ausnahme der Manuellen Therapie – insgesamt seltener angewendet wurden. So gaben
über 40 Prozent der Teilnehmenden bereits vor der Schulung an, keine Elektrotherapie
zur Behandlung von Hüft- und Kniegelenksarthrose zu nutzen (T0total : 113/254, 44,5 %; T0sub : 35/81, 43,2 %). Auch nach der Schulung zeigte sich keine deutliche Veränderung (T1 : 34/81, 42,0 %). Ebenso gaben viele Therapeut*innen an, auf den Einsatz von Bandagen/Orthesen
(T0total : 98/254, 38,6 %; T0sub : 29/81, 35,8 %) und Taping (T0total : 81/254, 31,9 %; T0sub : 26/81, 32,1 %) zu verzichten. Nach der Schulung ging dieser Anteil nur geringfügig
zurück auf 25,9 (T1 : 21/81) bzw. 23,5 Prozent (T1 : 19/81). Eine vollständige Übersicht der einzelnen Maßnahmen ist im Zusatzmaterial dargestellt.
Empfehlungsgrad von Behandlungsmaßnahmen
Mit über 90 Prozent schätzten nahezu alle befragten Physiotherapeut*innen bereits
vor der Schulung Trainingstherapie, Edukation und Gewichtsmanagement als sehr empfohlen
oder empfohlen zur Behandlung von Personen mit Hüft- und Kniegelenksarthrose ein.
Bei anderen physiotherapeutischen Interventionen zeigte sich ein weniger eindeutiges
Bild, das sich auch nach der Schulung kaum veränderte. Die meisten Teilnehmenden stuften
den Empfehlungsgrad für Manuelle Therapie, Elektrotherapie, Taping und Bandagen als
unklar ein, wobei Manuelle Therapie und Bandagen tendenziell eher als empfohlen, Elektrotherapie
und Taping hingegen als nicht empfohlen betrachtet wurden.
Deutlichere Veränderungen durch die Schulung zeigten sich bei den nicht physiotherapeutischen
Interventionen. Während vor der Schulung der Anteil derer, die keine Antwort geben
wollten, deutlich höher war, trauten sich nach der Schulung mehr Teilnehmende zu,
eine klare Entscheidung zu treffen. Während zuvor viele die Evidenzlage als unklar
einschätzten, stieg nach der Schulung der Anteil derjenigen, die Paracetamol, Opioide,
Kortikosteroidinjektionen, Stammzelltherapie und Arthroskopie als nicht empfohlen
einstuften, um mehr als 25 Prozent. Eine vollständige Übersicht über die Einschätzung
des Empfehlungsgrades der einzelnen Interventionen findet sich im Zusatzmaterial .
Bekanntheit von Leitlinien
Vor der Teilnahme an der Schulung gaben etwa 15 Prozent (T0total : 38/254, 14,6 %; T0sub : 12/81, 14,8 %) der Befragten an, dass ihnen eine Leitlinie zur Versorgung von Hüft-
und Kniegelenksarthrose bekannt ist (siehe Zusatzmaterial ). Die Mehrheit dieser Therapeut*innen war dazu in der Lage, mindestens eine spezifische
Leitlinie zu benennen. Am häufigsten wurden dabei die deutschen Leitlinien für Hüft-
bzw. Kniegelenksarthrose der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie
(DGOU) genannt, gefolgt von der niederländischen Leitlinie der Koninklijk Nederlands
Genootschap voor Fysiotherapie (KNGF). Im Vergleich der Antworten vor und nach der
Schulung hat sich die Anzahl derjenigen, die angaben, eine Leitlinie zu kennen, verdoppelt.
Der Anteil der Physiotherapeut*innen, die sich zu dieser Frage nicht äußern wollten,
war jedoch zu beiden Zeitpunkten recht hoch (T0total : 104/254, 40,9 %; T0sub : 29/81, 35,8 %; T1 : 33/81, 40,7 %).
Diskussion
Die Teilnahme an der zweitägigen GLA:D-Schulung führte zu einer Steigerung des subjektiv
wahrgenommenen Wissens und der empfundenen Sicherheit von Physiotherapeut*innen in
Bezug auf die Umsetzung leitliniengerechter Therapie für Patient*innen mit Hüft- und
Kniegelenksarthrose. Die Teilnehmenden fühlten sich besser in der Lage, Trainingstherapie
und Edukation gemäß den geltenden Empfehlungen zu erbringen. Insbesondere konnten
auch Unsicherheiten bei der Einschätzung des Empfehlungsgrades und der Edukation zu
medikamentösen und nicht konservativen Interventionen abgebaut werden. Der Anteil
der Therapeut*innen, der nach der Schulung eine Leitlinie zur Versorgung von Arthrose
kannte, blieb jedoch insgesamt gering. Die Ergebnisse beziehen sich aufgrund eines
erheblichen Lost-to-Follow-up nur auf ein Drittel der ursprünglich befragten Teilnehmenden
und sollten daher mit entsprechender Vorsicht interpretiert werden.
Trotz struktureller Unterschiede bei der physiotherapeutischen Ausbildung zwischen
Deutschland und Australien waren der subjektive Zuwachs an Wissen und Sicherheit in
der vorliegenden Studie mit den Ergebnissen von Barton et al. [17 ] vergleichbar. Die standardisierte Durchführung der GLA:D-Schulung scheint somit
ein einheitliches Wissensniveau zu schaffen und potenzielle Unterschiede in der Leitlinienkenntnis
auszugleichen. Dies hebt die Relevanz einheitlicher Schulungsprogramme für eine evidenzbasierte
Versorgung hervor.
Obwohl die teilnehmenden Physiotherapeut*innen es als ihre Aufgabe ansahen und über
75 Prozent vor der Schulung angaben, zu wissen, wie Trainingstherapie und Edukation
bei Patient*innen mit Hüft- und Kniegelenksarthrose gemäß aktuellen Leitlinienempfehlungen
erbracht werden sollten, fühlten sich viele Therapeut*innen insbesondere bei der Umsetzung
der Edukation nicht ganz sicher. Dieses Ergebnis unterstreicht die Notwendigkeit gezielter
Schulungsprogramme. Vor allem aber in Bezug auf nicht physiotherapeutische Maßnahmen,
wie z. B. Injektionen, Medikation und operative Verfahren, scheint eine deutliche
Unsicherheit zu bestehen. Diese zeigte sich sowohl in der großen Streuung bei der
Einschätzung des Empfehlungsgrades als auch in der geringen Sicherheit bei der Edukation
über Nutzen und Risiken dieser Maßnahmen. Die Teilnahme an der Schulung führte vor
allem in diesen Bereichen zu Verbesserungen, wenngleich nicht alle Unsicherheiten
vollständig beseitigt wurden. Die Unsicherheiten könnten darauf zurückzuführen sein,
dass Physiotherapeut*innen nicht befugt sind, Medikamente zu verschreiben und in ihrer
Ausbildung nur wenig Kenntnisse über medikamentöse und operative Verfahren erhalten.
Zudem sehen Physiotherapeut*innen es nicht als ihre Aufgabe an, über solche Maßnahmen
zu informieren [24 ], und auch Patient*innen erwarten diese Informationen eher von Ärzt*innen, die sie
als kompetentere Ansprechpartner*innen betrachten [25 ]. Dennoch wird ein fundiertes Wissen über die verschiedenen Behandlungsoptionen als
eine wesentliche Kernkompetenz für Angehörige der Gesundheitsberufe beschrieben, die
in der Versorgung von Patient*innen mit Arthrose tätig sind [26 ]
[27 ]. Physiotherapeut*innen sollten demnach in der Lage sein, den potenziellen Nutzen
und die Risiken gängiger Medikamente, Injektionen und chirurgischer Eingriffe erklären
zu können, um sicherzustellen, dass Patient*innen umfassend über ihre Behandlungsoptionen
informiert sind [26 ]
[27 ]. Physiotherapeut*innen verbringen oft mehr Zeit mit Patient*innen als Ärzt*innen
und können diese Zeit nutzen, um umfassender aufzuklären. Vor allem im Hinblick auf
den in Deutschland verstärkt geforderten Direktzugang gewinnt die Kompetenz, auch
über nicht physiotherapeutische Maßnahmen beraten zu können, zunehmend an Bedeutung.
Auffällig ist auch die geringe Zahl an Physiotherapeut*innen, die angaben, eine Leitlinie
zur Versorgung von Arthrose zu kennen. Vor der Teilnahme an der GLA:D-Schulung waren
es gut 15 Prozent der Teilnehmenden. Dieser Wert liegt sogar noch weit unter den ohnehin
niedrigen Ergebnissen bundesweiter Online-Befragungen zu Kreuzschmerz (29,4 %) [28 ], Schlaganfall (47,1 %) [29 ] sowie Hüft- und Kniegelenksarthrose (49,3 %) [12 ]. Gleichzeitig ist die Zahl derer, die bei dieser Frage keine Angaben machte, mit
35–40 Prozent relativ hoch. Es ist jedoch davon auszugehen, dass auch diese eher zu
der Gruppe gehören, die keine Leitlinien kennen. Zwar verdoppelte sich nach der Schulung
die Anzahl der Personen, die eine Leitlinie kannte, blieb jedoch mit einem Wert von
29,6 Prozent weiterhin niedrig. Im Rahmen der GLA:D- Schulung werden zwar die Inhalte
und Evidenz einzelner Maßnahmen aus Leitlinien besprochen, die Leitlinien selbst bleiben
jedoch vor dem Hintergrund der international standardisiert eingesetzten GLA:D-Lehrmaterialien
weitgehend unberücksichtigt. Es erscheint daher sinnvoll, in Schulungen zukünftig
auch Kompetenzen im Suchen und Verstehen von Leitlinien zu vermitteln und einen Überblick
über bestehende Leitlinien sowie deren Vor- und Nachteile zu geben, um deren Nutzung
zu fördern.
Die vorliegenden Ergebnisse spiegeln kurzfristige Effekte wider, die 2 Wochen nach
Abschluss der Schulung erhoben wurden. Ob und in welchem Maße sich diese positiven
Effekte über einen längeren Zeitraum hinweg halten, sollte weiterhin untersucht werden.
Die registrierte Studie sieht eine erneute Erhebung nach einem Jahr vor, allerdings
lagen zum Zeitpunkt der aktuellen Auswertung noch zu wenige Rückmeldungen vor. Langfristige
Untersuchungen dieser Art sind entscheidend, um die nachhaltige Effektivität von Schulungsprogrammen
wie GLA:D zu bewerten und gegebenenfalls Anpassungen vorzunehmen, um die langfristige
Kompetenzentwicklung der Teilnehmenden sicherzustellen.
Limitationen
Aufgrund der vergleichsweisen geringen Zahl an Teilnehmenden, ist die Aussagekraft
der Ergebnisse eingeschränkt, sodass die Generalisierbarkeit auf eine größere Population
nur bedingt möglich ist. Die Rücklaufquote der zweiten Befragung fiel mit 29,3 Prozent
sehr gering aus. Eine Verzerrung der Ergebnisse kann daher nicht ausgeschlossen werden.
Die Merkmale der Teilnehmenden beider Befragungen unterscheiden sich jedoch kaum hinsichtlich
Alter, Berufsabschluss, Berufserfahrung und Arbeitsumfeld, sodass dennoch von einer
angemessenen Repräsentativität der Stichprobe ausgegangen werden kann. Der geringe
Rücklauf ist mit der Quote der Studie von Barton et al. [17 ] vergleichbar. Auch hier konnten die Gründe für die geringe Teilnahmerate nicht eindeutig
geklärt werden. Als Ursachen wurden u. a. mangelndes Interesse und Zeitmangel vermutet.
Um die Rücklaufquote bei Online-Befragungen zu erhöhen, haben sich verschiedene Maßnahmen
als wirksam erwiesen, darunter gezielte Erinnerungsschreiben sowie finanzielle oder
nicht finanzielle Anreize [30 ]. Da es sich um eine laufende Studie handelt, werden in Zukunft eine Woche nach Versand
des zweiten Fragebogens Erinnerungs-E-Mails verschickt, um die Teilnahmequote zu erhöhen.
Eine Verzerrung der Ergebnisse ist zudem wahrscheinlich, da vor allem Physiotherapeut*innen
an der Studie teilnahmen, die großes Interesse an der Behandlung von Arthrose zeigten
und möglicherweise bereits vor der Schulung überdurchschnittlich gut informiert waren.
Darüber hinaus lag der Anteil der Teilnehmenden mit Hochschulabschluss mit gut 30
Prozent deutlich über dem angenommenen Anteil akademisierter Physiotherapeut*innen
(3 %) in Deutschland [31 ]. Das könnte die tatsächliche Effektivität der Schulung im breiteren Kontext unterschätzen.
Gleichzeitig kann eine Verzerrung durch sozial erwünschtes Antwortverhalten nicht
ausgeschlossen werden. Positives Antwortverhalten bei der Erstbefragung könnte zu
einer Unterschätzung, bei der Zweitbefragung hingegen eher zu einer Überschätzung
des tatsächlichen Effekts geführt haben.
Da der Zugang zur ersten Befragung über einen QR-Code erfolgte, könnten insbesondere
Physiotherapeut*innen ohne endsprechendes Endgerät ausgeschlossen worden sein. Dadurch
könnten Personengruppen, die möglicherweise eine andere Perspektive und einen anderen
Wissensstand in Bezug auf die Behandlung von Arthrose haben, in den Ergebnissen unterrepräsentiert
sein.
Viele Teilnehmende wählten bei einzelnen Fragen die Antwortoption „Keine Angabe“ aus,
was auf Verständnisprobleme der Fragen oder auf ein mangelndes Interesse an bestimmten
Themenbereichen deuten kann. Als mögliche Erklärungen könnten eine unzureichende kulturelle
Anpassung des aus dem australischen Kontext übernommenen Fragebogens sowie der Verzicht
auf eine Pilotierung innerhalb der Zielgruppe angeführt werden. Dadurch konnten mögliche
Verständnisschwierigkeiten oder kulturelle Unterschiede nicht erkannt und behoben
werden, was die Validität der erhobenen Daten und damit die Aussagekraft der Ergebnisse
beeinträchtigen könnte.
Die Wirksamkeit der Schulung wurde hauptsächlich durch den subjektiv wahrgenommenen
Wissenszuwachs und die empfundene Sicherheit bei der Anwendung leitliniengerechter
Therapie erfasst. Um jedoch den objektiven Kompetenzzuwachs zu messen und die tatsächliche
Übertragung des erlernten Wissens in die klinische Praxis besser bewerten zu können,
sollten zukünftige Studien neben subjektiven Einschätzungen beispielsweise auch standardisierte
Kompetenztests einbeziehen. Darüber hinaus könnte der Einsatz etablierter Theoriemodelle
zur Evaluation von Schulungsmaßnahmen, wie dem Kirkpatrick-Modell [32 ] oder dem Learning Transfer Evaluation Model (LTEM) [33 ], wertvolle zusätzliche Erkenntnisse liefern.
Schlussfolgerungen
Die Teilnahme an der zweitägigen GLA:D-Schulung führte zu positiven Veränderungen
beim subjektiv wahrgenommenen Wissen und der empfundenen Sicherheit von Physiotherapeut*innen
bei der Behandlung von Personen mit Hüft- und Kniegelenksarthrose, insbesondere in
Bezug auf nicht physiotherapeutische Interventionen. Diese Ergebnisse unterstreichen
die Bedeutung gezielter Schulungsmaßnahmen, um eine umfassende Implementierung evidenzbasierter
Versorgung in die klinische Praxis zu gewährleisten. Die geringe Bekanntheit spezifischer
Leitlinien sowohl vor als auch nach der Schulung legt jedoch nahe, dass Schulungsprogramme
zusätzlich darauf abzielen sollten, die Kompetenzen beim Suchen, Verstehen und Anwenden
von Leitlinien zu fördern. Langfristige Untersuchungen sind notwendig, um die Nachhaltigkeit
der erlernten Kompetenzen zu bewerten und gegebenenfalls Anpassungen im Schulungsprogramm
vorzunehmen.
Ethische Aspekte: Die Studie wurde von der Ethikkommission der Brandenburgischen Technischen Universität
Cottbus-Senftenberg geprüft und bewilligt (EK2022–9).
Zustimmung zur Veröffentlichung: Nicht zutreffend
Verfügbarkeit von Daten und Materialien: Die in dieser Studie generierten und/oder analysierten Datensätze sind im OSF-Repository
(DOI: 10.17 605/OSF.IO/DNPGT) verfügbar.
Registrierung: Diese klinische Studie wurde retrospektiv am 23.10.2023 im Deutschen Register Klinischer
Studien registriert (DRKS00 032 853).
Finanzielle Unterstützung: Diese Forschung erhielt keine spezifische Finanzierung von öffentlichen, kommerziellen
oder gemeinnützigen Stellen.
Beiträge von Autor*innen: Konzeption der Arbeit: CB, CK. Erhebung der Daten: CB, CK. Durchführung der Intervention:
SNK, JH, CJS, AG. Analyse der Daten: CB. Interpretation der Daten: CB, CK. Entwurf
des Manuskripts: CB. Kritische Überarbeitung des Manuskripts hinsichtlich wichtiger
geistiger Inhalte: CK, SNK, JH, CJS, AG. Alle Autor*innen haben die finale Version
gelesen und genehmigt. Alle Autor*innen erklären, dass sie für alle Aspekte verantwortlich
sind und gewährleisten, dass Fragen im Zusammenhang mit der Richtigkeit oder Integrität
eines jeden Teils der Arbeit angemessen untersucht und gelöst wurden.
Danksagung: Die Autor*innen danken Ass.-Prof. Dr. Christian Barton für Informationen zur Gestaltung
des Fragebogens.