ergopraxis 2025; 18(02): 44-46
DOI: 10.1055/a-2451-0662
Perspektiven

Den inneren Kompass erkennen – Wertearbeit

Isabel Arens
 

Warum es lohnend ist, sich im Team mit den unterschiedlichen Lebensprinzipien der einzelnen Personen auseinanderzusetzen: Wer Konflikte bespricht, entwickelt mehr Verständnis füreinander.


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Quelle: © S. Schaaf/Thieme

Mut. Vertrauen. Dankbarkeit. Optimismus. Fürsorge. Ordnung. Freundlichkeit. Lebendigkeit. Empathie. Abenteuer. Sorgfalt. Teamgeist. Verlässlichkeit. Verzeihen. Freiheit. Das alles sind Werte, und es gibt noch viele mehr. Doch was versteht man eigentlich unter diesem Begriff?

Werte sind eine wichtige Basis unseres Handelns. Sie bilden Moralvorstellungen, Ideale und Überzeugungen ab. Sie werden in unserer Kindheit geprägt durch vielfältige Kontextfaktoren, sie sind veränderbar, und es gibt auch Annahmen darüber, dass wir bereits mit Werten geboren werden. Werte sind eine Art Kompass durch das Leben.

Es gibt viele Vorteile, sich mit diesem individuellen Kompass auseinanderzusetzen:

  • Das Wissen um die eigenen Werte trägt zum Verständnis für sich selbst bei.

  • Die Kommunikation darüber eröffnet eine neue Perspektive auf sich und die Mitmenschen.

  • Konflikte und Missverständnisse können unter dem Aspekt „Werte“ betrachtet werden und führen zu einem neuen Verständnis für das Gegenüber.

  • Wertebewusstsein kann in Entscheidungssituationen zu eindeutigeren Lösungen führen.

Konfliktpotenzial: Wenn die Werte nicht bewusst sind

Es gibt Verhaltensweisen unserer Mitmenschen (und das kennen Sie in Ihrem Team vielleicht auch), die bringen uns auf die Palme. Treffen da möglicherweise unterschiedliche Lebensprinzipien aufeinander? Lassen Sie uns einen Blick auf folgende Situation werfen: Ein Kollege, Johannes*, räumt in der Praxis nicht nur seine Kaffeetassen, Akten und Materialien, sondern auch die seiner Kolleg*innen ungefragt weg. Außerdem zeigt Johannes wenig Verständnis, wenn der eingeplante Therapieraum nicht pünktlich frei ist, er mit seinen Klient*innen warten muss und Materialien nicht an ihrem Platz sind.

Johannes’ Kolleg*innen sind über diese Verhaltensweisen häufig verärgert, da sie ihre Akten und Materialien, die sie sich für die nächsten Klient*innen schon bereitgelegt haben, nicht mehr finden können. Außerdem fühlen sie sich gestresst, da Johannes wenig Spielraum und Verständnis für das Überziehen von Behandlungseinheiten zeigt. Sie wünschen sich von Johannes mehr Flexibilität und Verständnis, auch für ihr „kreatives Chaos“.

Johannes benötigt für sein Wohlbefinden einen planbaren Tagesablauf. Sein Ideal: Nach dem Verlassen des Behandlungsraums sollten die Dinge an ihren herkömmlichen Platz gelegt werden. Außerdem möchte er pünktlich mit seinen Behandlungen beginnen und die Klient*innen nicht warten lassen. Eine Verzögerung im Behandlungsablauf führt bei ihm zu erheblichem Stress. Betrachten wir diese Situation, wird deutlich, dass jeweils das Verhalten der einen Seite als Ärgernis oder Stressor von der Gegenseite wahrgenommen werden kann.

Gespräche über gewünschte Verhaltensänderungen waren bisher ohne Erfolg.

Weder Johannes noch den Kolleg*innen ist bewusst, dass sie jeweils sehr unterschiedliche und sich widersprechende Werte haben und es darum immer wieder zu schwierigen Situationen kommt. Dabei versucht keine Seite, das Gegenüber bewusst zu schädigen. Sie haben sogar alle ein gemeinsames Ziel: Sie möchten für ihre Klient*innen richtig gute Therapien. Statt auf Verhaltensänderung zu hoffen, kann es hier sinnvoll sein, sich die verschiedenen Ideale aller Teammitglieder genauer anzusehen.


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Wertebewusstsein im Team fördern: Konflikte besprechen

1. Festlegen des Bereichs

Das Team um Johannes hat sich für einen Workshop entschieden, um die konfliktbehafteten Situationen genauer zu betrachten. Alle waren sich einig, dass sie eine Lösung wünschen, aber momentan nicht aus ihrer Haut können. Allgemein geht es um den Lebensbereich „Arbeit“, etwas spezifischer um „das Miteinander im Team während der Arbeit und Planung der Therapie“.


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2. Wertekarten

Jedes Teammitglied erhält ein Wertekartenset und eine Anleitung, zum Beispiel mithilfe der Anregungen aus der Infobox auf S. 44.


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3. Eigene Werte

Jedes Teammitglied beschäftigt sich jetzt mit den eigenen Werten. Anhand der „hilfreichen Fragen“ (S. 44) lassen sich die Teammitglieder die verschiedenen herausfordernden Situationen durch Kopf und Bauch gehen. Jedes Teammitglied bildet drei Stapel: sehr wichtige, mittelmäßig wichtige, nicht wichtige Werte. Der erste Stapel mit den sehr wichtigen Werten wird für die weitere Arbeit benötigt, die übrigen Stapel werden zur Seite gelegt.


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4. Priorisierung

Wenn möglich, findet hier eine Reduzierung auf drei bis fünf Nennungen statt, die dann in eine Rangfolge gebracht werden können.


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5. Beschreiben der Werte

Was bedeuten diese Werte für jedes einzelne Teammitglied? Wie genau macht sich jeder genannte Begriff bemerkbar? Was bedeutet er im oben genannten Lebensbereich „Arbeit“? Das Team tauscht sich nun über die individuellen Lebensprinzipien aus, die Mitglieder beschreiben einzeln, was ihnen wichtig daran ist und wie sich das im Alltag zeigt.

Im Team um Johannes kann es interessant werden, zu betrachten, ob und wie die verschiedenen persönlichen Leitbilder auseinander liegen – Johannes’ Werte sind Ordnung, Pünktlichkeit und Struktur, die der anderen Teammitglieder sind Flexibilität, Freiheit und Kooperation.

Wo Johannes für sich und seine Klient*innen den pünktlichen Wechsel eines aufgeräumten Therapieraums einfordert, berührt er in seinem Verhalten die Flexibilität und Freiheit seiner Kolleg*innen.


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6. Verständnis für die Werte der anderen

Durch das Besprechen der Werte kann es gelingen, ein größeres Verständnis für die anderen zu erlangen. Es gilt zu verstehen, dass das Gegenüber nicht mutwillig immer die gleichen Verhaltensweisen an den Tag legt, die die anderen stören, sondern dass diese zum inneren Kompass, zu den eigenen Idealen gehören. Diese lassen sich nicht bewusst verändern, aber im besten Fall entwickelt sich nun Spielraum für Austausch, Verständnis und neue Lösungswege.

Die Werte der anderen zu kennen, schafft Raum für Verständnis und neue Lösungen


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7. Der weitere Umgang

Nachdem die verschiedenen Werte aller herausgearbeitet wurden, kann das Team nun mit dem Wissen und dem Verständnis für die Ideale der anderen und für sich die herausfordernden Situationen neu gestalten, mit dem Ziel, in Zukunft entspannter miteinander zu arbeiten.

Folgende Ideen erarbeitete das Team um Johannes:

  • Wenn möglich, soll es weniger Raumwechsel zwischen den Klient*innen geben, Therapeut*innen sollen mehr an einen Raum gebunden werden, falls möglich.

  • Es sollen Pufferzeiten für Wechsel eingeplant werden.

  • Es werden Materialkisten angeschafft, in denen Kolleg*innen ihre geplanten Materialien lagern können.

  • Das Team nutzt Formulierungen wie „Mein Wert ist Ordnung, ich brauche gerade von euch ...“

Werte der Teammitglieder kennenlernen – Verständnis füreinander entwickeln

Checkliste

Wertebewusstsein im Team fördern

• Lebensbereich festlegen, für den Werte herausgearbeitet werden sollen, z. B. Arbeitsleben, Umgang im Team

• 1 Wertekartenset pro Person und „hilfreiche Fragen“ besprechen (siehe unten: „Werte finden“)

• Einzelarbeit: die Karten in 3 Stapel sortieren (sehr wichtig, mittelmäßig wichtig, unwichtig)

• Priorisierung: Falls möglich, bleiben 3–5 Nennungen aus dem Stapel „sehr wichtige Werte“ übrig. Festlegung einer Rangfolge, wenn möglich

• Beschreibung/Definition: Was bedeuten die Werte für mich? Plus: Austausch im Team

• Verständnis für die Ideale des Gegenübers entwickeln

• Den weiteren Umgang im oben genannten Lebensbereich planen

Werte finden: hilfreiche Fragen

Einsatz von Wertekarten (selbst gestaltet – gibt es auch zu kaufen): Die Werte können selbst gelesen und dann sortiert werden oder Sie lassen sich die Begriffe vorlesen mit kurzen Pausen, um hineinzuspüren, bei welchen Sie eine Resonanz spüren.

  • In welchen Situationen gehen Sie so richtig auf die Palme? Welchem Ihrer Werte widerspricht das?

  • In welchen Situationen können Sie nicht anders als … – Welcher Wert zeigt sich da?

  • Welcher der genannten Begriffe entfacht ein richtiges Feuer in Ihnen? Für welche Werte stehen Sie ein?

  • Wenn Sie an zurückliegende Entscheidungen, Konflikte oder besondere Ereignisse denken, gibt es da ein Muster oder einen roten Faden? Welche Ideale tauchen rückblickend auf, die Sie geleitet haben?

Beim Sprechen über Werte kann sich das Team ganz neu erleben


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Weitere Möglichkeiten, mit Werten zu arbeiten

1. Werte des Unternehmens

Welche Grundsätze sind Ihnen als Praxisinhaber*in oder Führungskraft besonders wichtig? Die eigenen Werte und die, die Sie mit der Praxis zum Ausdruck bringen wollen, können den Kurs, mit dem Sie die Praxis leiten, noch mal klarer machen, vor allem in unruhigen Zeiten oder in Entscheidungssituationen.


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2. Werte des Teams

Auch unabhängig von Konflikten ist es für Teams eine gute verbindende und kommunikationsfördernde Möglichkeit, sich mit den gemeinsamen Lebensprinzipien zu beschäftigen. Gemeinsam im Team können die Wertekarten in die oben genannten Stapel sortiert werden. Während des Sortierens und Abwägens entstehen meist ausführliche Gespräche und Plädoyers, worüber sich die Teammitglieder ganz neu erleben und viel über die eigenen Leitbilder erfahren. Es wird um Abgrenzungen zu anderen Werten, eigene Priorisierung und unterschiedliche Definitionen gerungen, mit dem Ziel, als Team später die Werte, die herausgearbeitet wurden, gemeinsam mitzutragen und im Praxisgeschehen mitzuleben.


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3. Öffentlichkeitsarbeit

Ganz gleich, ob Sie nun als Praxisinhaber*in die Werte allein erarbeitet haben oder im Team – es ist eine gute Möglichkeit, das Ergebnis beispielsweise auf der Homepage oder im Wartebereich zu veröffentlichen. Auch hier entscheiden Sie sich am besten für die drei bis fünf wichtigsten Begriffe. Versuchen Sie, die Werte dann noch kurz zu beschreiben, damit die Personen, die das lesen, wissen, was Sie damit verbinden.


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Fazit

Sich der eigenen Werte bewusst zu sein, birgt ein großes Potenzial für Selbstwahrnehmung, denn ein Erkennen des eigenen inneren Kompasses, also dessen, was uns durchs Leben lenkt, hilft dabei, uns selbst, aber auch das Gegenüber besser zu verstehen. Im Team kann es so zu mehr Verständnis für Verhaltensweisen kommen, die sonst als Störung wahrgenommen worden wären.

Viel Freude beim Erweitern des Wertebewusstseins.

Isabel Arens

*Name von der Redaktion geändert

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Isabel Arens
ist Ergotherapeutin, Qualitätsbeauftragte, Fachwirtin, Systemischer Coach und Veränderungsmanagerin. Sie arbeitet mit Führungskräften und Teams aus Therapieberufen und verbindet das Systemische Coaching und Veränderungsmanagement mit dem Qualitätsmanagement. Die Einbindung der Ressourcen des Teams in nachhaltige Veränderungsprozesse ist ihr ein Herzensanliegen.Ressource – Isabel Arens: Workshops, Seminare, Coaching für Führungskräfte und Teams in Therapieberufen und Kita. www.arensressource.de

Publication History

Article published online:
06 February 2025

© 2025. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany

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Isabel Arens
ist Ergotherapeutin, Qualitätsbeauftragte, Fachwirtin, Systemischer Coach und Veränderungsmanagerin. Sie arbeitet mit Führungskräften und Teams aus Therapieberufen und verbindet das Systemische Coaching und Veränderungsmanagement mit dem Qualitätsmanagement. Die Einbindung der Ressourcen des Teams in nachhaltige Veränderungsprozesse ist ihr ein Herzensanliegen.Ressource – Isabel Arens: Workshops, Seminare, Coaching für Führungskräfte und Teams in Therapieberufen und Kita. www.arensressource.de
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Quelle: © S. Schaaf/Thieme