Klinisch auffällige Geburtsfehler betreffen 3–4 % aller Lebendgeburten und sind die
Ursache von 20 % der Todesfälle bei Säuglingen [1]. Außerdem können leichte strukturelle Anomalien des Zentralnervensystems (ZNS),
die bereits bei der Geburt vorhanden sind, erst nach mehreren Jahren zu einer erkennbaren
Verzögerung der neurologischen Entwicklung führen. Da angeborene Fehlbildungen auf
verschiedene genetische und nicht genetische Ursachen zurückgeführt werden können,
sind sowohl bildgebende Verfahren als auch genetische Analysemethoden für die pränatale
Diagnose wichtig. Die pränatale Neurosonografie stellt derzeit die Methode der Wahl
bei Verdacht auf Fehlbildungen des fetalen ZNS dar, während die MRT nur als sekundäre
Methode mit präziser Indikation eingesetzt wird [2]
[3]. Fortschritte in der Ultraschall-Technologie und insbesondere der transvaginale
Zugang haben die Bildauflösung erheblich verbessert und ermöglichen inzwischen eine
detaillierte Darstellung der fetalen Anatomie bereits im ersten Trimenon. Der 3 D/4D-Ultraschall
und – in jüngerer Zeit – integrierte Anwendungen von Künstlicher Intelligenz (KI)
wurden eingeführt, um die diagnostische Aussagekraft der fetalen Neurosonografie zu
verbessern [4]
[5]
[6]
[7]
[8]
[9]
[10]. Mittlerweile wird sogar die KI-gestützte sonografische Analyse des fetalen Verhaltens
zur Erkennung früher neurologischer Entwicklungsstörungen diskutiert [11]. In vielen Ländern der Welt haben schwangere Frauen ab dem ersten Trimenon Zugang
zur standardisierten Ultraschalldiagnostik, einschließlich der Beurteilung der fetalen
Gehirnentwicklung und der Erkennung von Anomalien [3]
[12]
[13]
[14]. Falls erforderlich, kann von spezialisierten Fachmedizinern eine gezielte fetale
Neurosonografie durchgeführt werden, die eine detailliertere Beurteilung anomaler
Befunde beinhaltet, z. B. die Suche nach Fehlbildungen der Großhirnrinde, die Diagnose
von Defekten des Corpus callosum und die eingehende Charakterisierung der offenen
spinalen Dysraphie [4]
[15]
[16]
[17]. Bei auffälligen Befunden ist es die Aufgabe des behandelnden Arztes, die Eltern
zu beraten. Dazu gehört häufig auch die Empfehlung einer MRT-Bildgebung bzw. einer
genetischen Untersuchung, um die Diagnose-Sicherheit zu erhöhen und bei Bedarf eine
geeignete Behandlung anzubieten [12]
[13]
[18]
[19].
In vielen europäischen Ländern ist der Schwangerschaftsabbruch nach dem ersten Trimenon
auf Fälle beschränkt, in denen schwere, nicht behandelbare Fehlbildungen/Krankheiten
des Fötus vorliegen, die zentrale Organe wie das Gehirn betreffen (z. B. eine Enzephalozele)
und die mit einer stark eingeschränkten Lebensfähigkeit oder extremem Leiden verbunden
sind. Dies unterstreicht die Bedeutung pränataler Ultraschall-Untersuchungen im ersten
Trimenon, da Schwangere in diesen Ländern ihre Schwangerschaft in diesem Zeitraum
gemäß der Rechtslage leichter abbrechen können. Die Zunahme der Anzahl und Qualität
pränataler Ultraschall-Untersuchungen in den letzten 2 Jahrzehnten hat allerdings
nicht zu einem Anstieg der Gesamtzahl der Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland
geführt [20]. Ein möglicher Anstieg selektiver Abtreibungen, beispielsweise aufgrund auffälliger
Befunde im fetalen Ultraschall, lässt sich jedoch in den amtlichen Statistiken nur
schwerlich erkennen. Eine neuere retrospektive österreichische Studie an einem tertiären
Referenzzentrum zwischen 2007 und 2020 ergab einen Anstieg der Zahl der Schwangerschaftsabbrüche,
mit und ohne Fetizid, aufgrund fetaler Struktur-Anomalien [18]. Die wichtigsten strukturellen Fehlbildungen, die zu einem Schwangerschaftsabbruch
führten, waren Hirnanomalien und spinale Dysraphien, die bei einem medianen Gestationsalter
von etwa 21 Wochen diagnostiziert wurden [18]
[21] und bis zu 43 % der legalen Schwangerschaftsabbrüche ausmachten [18]
[22]
[23]
[24]. Andererseits gibt es Berichte über Schwangerschaftsabbrüche selbst bei leichten
Anomalien wie isolierten Fehlbildungen der kortikalen Entwicklung (Malformations of
Cortical Development, MCD), partieller Agenesie des Corpus callosum oder isolierter
Kleinhirnwurm-Hypoplasie [25]
[26]
[27]
[28], was auf die Rolle der Ängste werdender Eltern hindeutet, dass bei ihrem Kind auch
nur leichte neurologische Entwicklungsstörungen auftreten könnten [29]. Außerdem muss in diesem Zusammenhang die Möglichkeit falsch-positiver oder überinterpretierter
Ultraschall-Befunde berücksichtigt werden [22]
[26]
[30], auch wenn diese in der Regel durch eine anschließende Neurosonografie und/oder
MRT-Untersuchung korrigiert werden können. Zukünftige Entwicklungen könnten einem
Trend zum Schwangerschaftsabbruch entgegenwirken, insbesondere in Fällen mit nur geringfügigen
anomalen neurosonografischen Befunden ([Tab. 1]) [25]
[26]
[27]
[28]
[31]
[32]
[33]
[34]
[35]
[36]
[37]
[38]
[39]
[40]
[41]
[42].
Tab. 1
Neue Entwicklungen und Erfordernisse zur Verringerung der Häufigkeit von Schwangerschaftsabbrüchen
bei anomalen fetalen neurosonografischen Befunden.
|
Entwicklungen/Erfordernisse
|
Exemplarische US-Befunde
|
Referenzen
|
|
Verbessertes Wissen über die langfristige neurologische Prognose bei bestimmten anomalen
Befunden
|
Isolierte Kleinhirnwurm-Hypoplasie
|
[27]
|
|
Isolierte Fehlbildung der kortikalen Entwicklung
|
[26]
|
|
Partielle Agenesie des Corpus callosum
|
[25]
|
|
Fokale Hirnläsion/Dysgenesie
|
[31]
|
|
Intrakranielle Hämorrhagie
|
[32]
[33]
|
|
Verbesserte pränatale chirurgische Therapie
|
Spinale Dysraphie
|
[34]
|
|
Hydrozephalus1
|
[35]
|
|
Besseres Verständnis des Zusammenhangs zwischen Exom-/Genom-Sequenzierungsergebnissen
und neurologischer Entwicklung
|
Ventrikulomegalie
|
[36]
|
|
Fehlbildung der kortikalen Entwicklung
|
[28]
|
|
Agenesie des Corpus callosum
|
[37]
|
|
Neuartige Gentherapien2
|
Tuberöse Sklerose
|
[38]
[39]
[40]
|
|
Optimale Früh-Rehabilitation, Unterstützung, Inklusion, und Betreuung durch spezialisierte
Einrichtungen
|
Spinale Dysraphie mit oder ohne Hirnveränderungen
|
[41]
[42]
|
1 Direkte Fetalchirurgie, die speziell auf einen isolierten Hydrozephalus abzielt,
wird derzeit aufgrund der begrenzten Evidenz und möglicher Verfahrensrisiken nicht
empfohlen (im Gegensatz zur Fetalchirurgie bei spinalen Dysraphien).
2 Bei Erkrankungen des zentralen Nervensystems sind derzeit keine pränatalen Gentherapien
verfügbar.
Eine fundierte Datenbasis zur Langzeitprognose definierter fetaler ZNS-Anomalien,
entweder isoliert oder in Kombination mit anderen Organveränderungen und genetischen
Befunden, ist für eine optimale Beratung der werdenden Eltern von entscheidender Bedeutung.
Derzeit ist die Evidenzbasis für die Prognose begrenzt, insbesondere bei leichten
bis mittelschweren Veränderungen des fetalen ZNS, und die den Eltern mitgeteilte Prognose
wird hauptsächlich aus postnatalen Kohorten extrapoliert. Die Ergebnisse einer neueren
systematischen Analyse der derzeit kleinen Datenbasis zeigen jedoch, dass etwa ⅓ der
lebend geborenen Kinder, bei denen eine fetale MCD diagnostiziert wurde, eine normale
neurologische Entwicklung oder eine nur leichte neurologische Entwicklungsverzögerung
durchliefen [26]. Das Risiko und der Schweregrad einer assoziierten Epilepsie hängen vom Ausmaß der
Fehlbildung ab: Isolierte fokale MCDs können bei Jugendlichen, die ansonsten eine
altersgerechte Entwicklung zeigen, eine gut behandelbare fokale Epilepsie verursachen,
im Gegensatz zu multifokalen oder diffusen MCDs, die häufiger mit einer refraktären
Epilepsie ab dem Säuglingsalter einhergehen [43]. In einer kleinen Studie zu isolierten Kleinhirnwurm-Hypoplasien waren die Ergebnisse
tendenziell gut – mit normaler, altersgemäßer neurologischer Entwicklung oder minimalen
Defiziten bei der Mehrheit der Patienten, insbesondere wenn keine genetischen Anomalien
festgestellt wurden [27]. Auch zur fetalen leichten Ventrikulomegalie gibt es nur wenige Langzeituntersuchungen
mit Fokus auf geringfügige neurologische Entwicklungsstörungen wie Aufmerksamkeitsstörungen,
Verhaltensprobleme und Lernschwächen. Eine Metaanalyse veröffentlichter Studien ergab,
dass in der Mehrzahl der Fälle normale neurologische Entwicklungsergebnisse zu verzeichnen
waren, während sich bei etwa 10 % der Fälle eine leichte oder schwere Form der neurologischen
Entwicklungsstörung entwickelte [44]. Bei Fällen mit isolierter leichter Ventrikulomegalie in einer gründlichen Ultraschall-Untersuchung
scheint die Häufigkeit von Chromosomen-Anomalien oder anderen genetischen Anomalien
sehr gering zu sein (< 5 %). Selbst unter den überlebenden Kindern mit einer pränatalen
Diagnose einer anscheinend isolierten schweren Ventrikulomegalie ergab eine Metaanalyse,
dass in 40 % der Fälle keine Behinderung auffiel; allerdings stehen längerfristige
Nachuntersuchungen aus, um subtile Anomalien und die Prävalenz von Entwicklungsverzögerungen
zu ermitteln [45]. Bei isolierten periventrikulären Pseudozysten (PVPC) wurde ein normaler neurologischer
Verlauf in fast allen Fällen berichtet [46]. Um mit PVPC assoziierte intrakranielle Anomalien zu erkennen, die einer speziellen
Neurosonografie entgehen können, wird eine MRT-Untersuchung empfohlen; Anomalien der
weißen Substanz machen in MRT-Aufnahmen die Mehrheit der zusätzlichen Anomalien aus
und die Prognose der neurologischen Entwicklung von Föten mit nicht isolierten PVPC
hängt von der begleitenden Anomalie ab [46]. In ähnlicher Weise besteht für Föten mit isolierter Corpus-callosum-Agenesie (CCA)
eine bessere Prognose als für Föten mit weiteren Anomalien. Gemäß einer neueren Analyse
von Studien an 217 Föten mit isolierter CCA, bei denen während der pränatalen Untersuchung
keine anderen Anomalien festgestellt wurden, verlief die neurologische Entwicklung
in zwei Dritteln der Fälle günstig, bei einer Minderheit traten jedoch Behinderungen
auf [47]. Insbesondere wurde erörtert, dass Behinderungen auch noch bei Kindern im Schulalter
auftreten können und das Risiko schwerer kognitiver Beeinträchtigungen gering bleibt
[47].
Auch die Feststellung fetaler Hirnanomalien infolge intrakranieller Hämorrhagien (ICH)
führt in einem relevanten Anteil der Fälle zum Schwangerschaftsabbruch [32]
[48]. Föten mit ICH, die lebend geboren werden, weisen in etwa einem Drittel der Fälle
eine Zerebralparese auf, und in fast einem Drittel der Fälle liegt auch eine schwere
neurologische Entwicklungsverzögerung vor, während bei 54 % der Föten eine normale
neurologische Entwicklung festgestellt wurde [32]. Neuere Übersichtsarbeiten bestätigen die derzeitige Auffassung, dass die Häufigkeit
von Zerebralparesen und schweren neurologischen Entwicklungsverzögerungen von der
Lokalisation und Größe der Blutung abhängt, wobei ungünstige Verläufe vergleichsweise
am häufigsten bei supratentoriellen intraparenchymalen Hämorrhagien und komplizierten
intraventrikulären Hämorrhagien (IVH) auftreten [32]
[48]. Im Gegenzug wurde in einer Metaanalyse [32] in 100 % der Fälle mit einer kleinen supratentoriellen IVH (Grad I oder II) ein
unauffälliger (kurzfristiger) Verlauf berichtet, und in einer prospektiven, monozentrischen
Beobachtungsstudie mit einer medianen Nachbeobachtungszeit von 3 Jahren und 8 Monaten
[48] wurde in 100 % der Fälle mit einer kleinen supratentoriellen IVH (Grad I oder II)
ein günstiges Outcome, gemäß dem Pediatric Stroke Outcome Measure (keine oder mäßige
Defizite, aber kein Funktionsverlust), festgestellt. Es ist jedoch zu beachten, dass
die Zahl der Fälle in diesen Studien sehr gering ist und dass groß angelegte, idealerweise
multizentrische Studien erforderlich sind, um den prädiktiven Wert der neurosonografischen
Befunde (und MRT-Befunde) weiter zu untersuchen. Die Beurteilung des Schweregrads
und der Lokalisation der ICH, wenn möglich mithilfe der ergänzenden fetalen MRT, ist
wichtig für das Schwangerschaftsmanagement, insbesondere in Ländern, in denen Schwangerschaftsabbrüche
auch noch später als in der 24. Gestationswoche erlaubt sind [32]. Eine genetische Analyse kann ebenfalls in Betracht gezogen werden. Andererseits
ist eine weitere Validierung der Indikatoren für ein wahrscheinlich günstiges Outcome
erforderlich.
Diese Beispiele verdeutlichen den Bedarf an umfangreichen Datenbanken mit detaillierten
Informationen zu Langzeitverläufen. Dies könnte nicht nur die Beratung werdender Eltern
verbessern, sondern auch das gezielte Angebot von Frühförderung, Rehabilitation und
spezialisierter Betreuung ermöglichen. Ein solcher erweiterter Ansatz könnte werdenden
Eltern die Entscheidung erleichtern, die Schwangerschaft fortzusetzen, auch wenn ihr
Kind wahrscheinlich leichte bis moderate neurologische Entwicklungsverzögerungen aufweisen
wird.
Die aktuelle Ausgabe von Ultraschall in der Medizin enthält Artikel, die zum erweiterten Verständnis in diesem Feld beitragen. Gottschalk
et al. (diese Ausgabe) geben in ihrem CME-Artikel einen umfassenden Überblick über
intrauterine Therapien, die sich aus der fetalen Ultraschall-Diagnostik ergeben [49]. In diesem Artikel werden auch die Eckpfeiler der Ultraschall-Diagnostik und der
pränatalen Chirurgie bei offener spinaler Dysraphie erläutert. Die pränatale Diagnose
und Chirurgie bei Föten mit Myelomeningozele ist ein hervorragendes Beispiel für die
Fortschritte in der Pränatalmedizin, die zu einer erheblichen Verbesserung der neurologischen
Prognose bei diesen Kindern führen [41]
[50]. Chen et al. (diese Ausgabe) berichten über den Zusammenhang zwischen pränataler
Neurosonografie und genetischen Befunden, die mit chromosomalem Mikroarray und (fetaler
und parentaler) Trio-Exom-Sequenzierung bei fetaler MCD gewonnen wurden [28]. Sie konnten insbesondere zeigen, dass die wichtigsten Ultraschallbefunde, die auf
eine genetische Ursache hinweisen, ein verfrühtes oder abweichendes Auftreten der
Hirnfurchung, eine anormale Entwicklung der Sylvischen Fissur, ein verzögertes Erreichen
der kortikalen Entwicklungsstadien und intraparenchymale echogene Knötchen sind. Sgayer
et al. (diese Ausgabe) führten eine systematische Analyse von Studien zum Verlauf
bei fetaler zerebraler Seitenventrikel-Asymmetrie ohne Dilatation durch [51]. In der Übersichtsarbeit wird hervorgehoben, dass in etwa 40 % dieser Fälle bei
der Nachuntersuchung eine Progression zur Ventrikulomegalie festgestellt wird. Die
betroffenen Kinder wiesen im ersten Lebensjahr keine offensichtlichen Entwicklungsverzögerungen
auf, in den folgenden Lebensjahren wurde jedoch eine geringere Geschwindigkeit beim
Schreiben beobachtet. Rüegg et al. (diese Ausgabe) schlagen das systolische M-Zeichen
im Doppler-Sonogramm der Arteria cerebri media als neuen, zusätzlichen Marker für
ein kardiovaskuläres Ungleichgewicht vor, das auf ein fetofetales Transfusionssyndrom
hinweist [52]. Bronshtein et al. (diese Ausgabe) berichten über die Erkennung einer vorzeitigen
fetalen linearen Wirbelkalzifikation im Ultraschall; dieser Befund muss von einer
kongenitalen Wirbel-Fehlbildung abgegrenzt werden [53].
In Anbetracht der biologischen Sicherheit der fetalen Ultraschalldiagnostik, sofern
diese gemäß den Leitlinien [54]
[55]
[56] eingesetzt wird, wird sie weiterhin die tragende Säule der pränatalen Bildgebung
sein. Es ist zu erwarten, dass das zunehmende Wissen über die komplexen Beziehungen
zwischen dem fetalen Genom, der im Ultraschall dargestellten Struktur des ZNS, der
Plastizität des ZNS und der neurologischen Prognose in naher Zukunft eine KI-gestützte
individualisierte Beratung ermöglichen wird.