Keywords
gadolinium - MR-imaging - abdomen
Einleitung
Durch die Ehefrau des Schauspieler Chuck Norris publik gemacht, steht das sogenannte
Gadolinium-Depositionssyndrom (Gadolinium Deposition Disease, GDD) seit der Erstbeschreibung
im Jahr 2016 [1] im Zentrum kontroverser Diskussionen und beschreibt eine Erkrankung, bei der Patienten
trotz normaler Nierenfunktion nach Gabe gadoliniumhaltiger Kontrastmittel (GBCA) teils
persistierende Symptome wie Fatigue, brennende Schmerzen der Extremitäten, Muskelfaszikulationen
und Hautveränderungen entwickeln [2]. Pathophysiologisch vermutet man eine chronische oder schubartige Entzündungsreaktion
durch im Gewebe retinierte Gadolinium-Ionen, insbesondere nach Verwendung linearer
GBCA [3]. Zwar ist die Ablagerung von Gadolinium in Geweben wie Gehirn, Haut oder Knochen
belegt, doch die klinische Relevanz bleibt fraglich und ist weiterhin Gegenstand intensiver
Forschung. Besonders selten wurden bislang Fälle nach Verabreichung leberspezifischer
linearer GBCA wie Gadoxetat (Primovist) beschrieben. Der vorliegende Fall schildert
daher einen ungewöhnlichen Verlauf wiederholter Gadoxetat-Gaben und trägt zur laufenden
Debatte um Existenz und klinische Bedeutung des GDD bei.
Fallbeschreibung
Wir schildern den Fall einer 32-jährigen Patientin, die sich zur Abklärung eines Mamma-Tastbefundes
vorstellte. Als Vorerkrankungen waren eine operativ versorgte zervikale Bandscheibenextrusion
und ein Heuschnupfen bekannt. Der Gesamtverlauf ist tabellarisch in [Tab. 1] aufgelistet.
Tab. 1 Zeitliche Auflistung des onkologischen Verlaufs, der Kontrastmittelmengen und der
Symptome, die auf GDD zurückgeführt werden. M1: Gadotersäure, M2: Gadobutrol.
Q
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Jahr
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Onkologie
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Gadoxetat
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M1
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M2
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Symptome
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3
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1
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Einleitung Systemtherapie mit Paclitaxel, Trastuzumab / Pertuzumab und Denusomab
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10,0ml
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Leichte Polyneuropathie der Finger
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4
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10,0ml
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16ml
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1
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2
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Umstellung auf Erhaltungstherapie mit Trastuzumab, Pertuzumab, Denusomab und Tamoxifen
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10,0ml
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Nächtliche Unruhe, krampfartige Muskelschmerzen in der Wade
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2
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10,0ml
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3
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10,0ml
|
4
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10,0ml
|
1
|
3
|
|
2
|
10,0ml
|
3
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|
Etwas Besserung der Beschwerden
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4
|
10,0ml
|
1
|
4
|
|
2
|
10,0ml
|
3
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Neue cerebrale Metastasen
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Wieder zunehmende Beschwerden, brennende Schmerzen am Fußrücken, Berührungsempfindlichkeit
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4
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Tiefe Beinvenenthrombose
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10,0ml
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15ml
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22,2ml
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1
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5
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10,0ml
|
|
7,7ml
|
2
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Rezidiv cerebrale Metastasen
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10,0ml
|
32ml
|
|
3
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Therapiewechsel auf T-DM1
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10,0ml
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16ml
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16,4ml
|
4
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Neurologische Vorstellung
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10,0ml
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|
|
Etwas Besserung unter Physiotherapie und Pregabalin
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1
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6
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Weiter gutes Ansprechen auf T-DM1 mit bildgebender Remission
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10,0ml
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7,9ml
|
2
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7,5ml
|
15,7ml
|
3
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8,0ml
|
15,8ml
|
4
|
8,0ml
|
16ml
|
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Zeitlicher Zusammenhang zu MRT-Untersuchungen wird klar;
Hautverfärbungen werden abgeklärt
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1
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7
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Wechsel auf Capecitabine, Tucatinib, Trastuzumab bei cerebralem Progress
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7,0ml
|
32ml
|
2
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8,0ml
|
|
7,4ml
|
3
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Umstellung auf T-DXd bei erneutem Progress
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|
Deutliche Besserung der Symptome
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4
|
32ml
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Weitgehende Beschwerdefreiheit
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1
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8
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Remission unter T-DXd
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8,3ml
|
2
|
8,3ml
|
3
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8,0ml
|
4
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Onkologische Aspekte
In der Initialdiagnostik ergab sich ein primär hepatisch und ossär metastasiertes
Mammakarzinom mit einer Her2neu Überexpression und positiv für Östrogen- (100%) und
Progesteronrezeptoren (90%). Es wurde eine Systemtherapie mit Paclitaxel, Trastuzumab
und Pertuzumab analog der Cleopatra-Studie sowie eine Osteoprotektion mit Denosumab
begonnen [4]. Nach gutem Ansprechen und bildgebender Komplettremission wurde 6 Monate nach Erstvorstellung
auf eine Erhaltungstherapie mit Tamoxifen in Kombination mit den beiden Antikörpern
Trastuzumab und Pertuzumab umgestellt.
Drei Jahre und einen Monat nach Erstvorstellung traten Hirnmetastasen auf, die operativ
reseziert und nachbestrahlt wurden. Unter wiederholten Rezidiven wurde auf die Systemtherapie
auf Trastuzumab-Emtansin (T-DM1), dann Capecitabine, Tucatinib und Trastuzumab sowie
schließlich auf Trastuzumab-Deruxtecan (T-DXd) umgestellt, die bis zum Erscheinen
des Artikels eine bildgebende Komplettremission erhält.
Radiologische Aspekte
Es wurde sich initial für ein Stagingkonzept mit Gadoxetat-gestützter Leber-MRT in
Kombination mit einer nativen Thorax-CT entschieden. Die Bildgebungsintervalle waren
auf drei Monate ausgelegt; in Phasen guten Therapieansprechens wurden sie auf sechs
Monate ausgedehnt. Im Verlauf konnte unter der T-DM1- und T-DXd-Therapie eine abnehmende
Hepatozytenaufnahme von Gadoxetat beobachtet werden ([Abb. 1]). Daher erfolgte im sechsten Jahr die Umstellung auf ein makrozyklisches Gadolinium-haltiges
Kontrastmittel (Gadoterat bzw. Gadobutrol). Insgesamt waren in den sechs Jahren 40
MRT-Untersuchungen erfolgt, wobei 20 Untersuchungen mit einer kumulativen Gesamtmenge
von 188,5 ml Gadoxetat (entsprechend 0,59 mmol/kg Körpergewicht), 8 Untersuchungen
mit insgesamt 127 ml Gadotersäure (0,79 mmol/kg) und 12 Untersuchungen mit insgesamt
93,1 ml Gadobultrol (1,16 mmol/kg) durchgeführt wurden. Nach vollständigem Abklingen
der neurologischen Symptomatik wurden in den folgenden drei Jahren 3 Untersuchungen
mit insgesamt 49 ml Gadotersäure und 7 Untersuchungen mit insgesamt 58.6 ml Gadobutrol
durchgeführt, ohne dass es zu neuerlichen Beschwerden kam.
Abb. 1 Verlauf der Bildgebung in der Leber-MRT. Nach dem Initialbefund eines primär hepatisch
(und ossär, nicht abgebildet) metastasierten Mamma-Ca im Jahr 2016 zeigten die Verlaufs-MRTs
in den Jahren 2018 und 2020 ein komplettes Ansprechen. Im Verlauf seit 2020 zeigt
sich ein zügiger Verlust der hepatozellulären Aufnahme von Gadoxetat in den Jahren
2021 und 2022, sodass schließlich auf makrozyklische Kontrastmittel gewechselt wurde.
Symptome
Mit Einleitung der Paclitaxel Chemotherapie stellte sich eine geringgradige Polyneuropathie
der Finger ein, die sich nach Umstellung auf die Erhaltungstherapie langsam besserte.
Erstmals im Jahr nach Therapiebeginn beschreibt die Patientin nächtliche Unruhe ähnlich
einem Restless-Legs-Syndrom. Es traten Muskelkrämpfe auf, die die Patientin selbst
mit oralem Magnesium und Calcium therapierte. Anderthalb Jahre später nahmen die Beschwerden
etwas ab, verschwanden aber nie vollständig. Insgesamt wurde die Symptomatik auf die
anhaltende Therapie und Belastung zurückgeführt. Im vierten Therapiejahr nahmen die
Beschwerden wieder zu und wurden durch brennende Schmerzen und Berührungsempfindlichkeit
im Bereich beider Fußrücken ergänzt. Eine Ultraschall-Untersuchung im Rahmen der Umfelddiagnostik
bei zerebralem Rezidiv entdeckte eine Unterschenkelvenenthrombose, die mit Antikoagulation
behandelt wurde – eine Besserung der Beschwerden stellte sich unter dieser Behandlung
nicht ein.
Im fünften Jahr erfolgte eine erste Zuweisung zur neurologischen Spezialsprechstunde
bei exazerbierter schmerzhafter Dysästhesie beider Fußrücken und Zehen, welche die
Patientin in einen zeitlichen Zusammenhang mit der letzten T-DXd-Gabe brachte.
Die neurologische Untersuchung ergab:
-
Keine Störungen der Motorik oder Koordination, sicherer Stand
-
Geringe Hypästhesie, Hypalgesie und Hypthermästhesie der Fingerspitzen und des Fußrückens
Insgesamt wurde der Verdacht auf ein geringes polyneuropathisches Schmerzsyndrom vom
distal-symmetrischen Typ, ggf. bei Paclitaxel- und T-DM1-induzierter Polyneuropathie,
gestellt. Mittels lokaler Ultraschalluntersuchung konnte ein Entzündungsgeschehen
und mittels MRT eine differenzialdiagnostisch diskutierte Läsion der Nervenwurzel
L5 ausgeschlossen werden. Auf Basis der Befunde wurden eine Therapie mit Pregabalin
(75mg; 1–0-1), lokalen Lidocain-Pflastern und eine Physiotherapie mit 2-Zellenbad
eingeleitet, worunter sich eine leichte Besserung der Beschwerden ergab. In der folgenden
neurografischen Verlaufskontrolle bestätigte sich ein Grenzbefund für eine (sehr geringe),
nicht progrediente axonal-sensible Polyneuropathie, vereinbar mit einer Chemotherapie-induzierten
Polyneuropathie; allerdings wurde die Symptomatik als untypisch eingeschätzt.
Im sechsten Jahr nahmen die Beschwerden wieder zu. Erstmals wurde ein deutlicher zeitlicher
Zusammenhang zwischen den schubförmig auftretenden Schmerzen und den regelmäßig durchgeführten
MRT-Untersuchungen durch die Patientin bemerkt. Eine Zunahme der Beschwerden trat
regelhaft einige Tage nach intravenöser Gabe des hepatozytenspezifischen, linearen
Gadolinium-Kontrastmittels (Gadoxetat) und unabhängig von den Zyklen der Systemtherapie
und der Art der Medikation auf; die Symptome klangen dann langsam über mehrere Wochen,
wenn auch unvollständig, wieder ab. Dabei standen nächtliche Bewegungsstörung, brennende
Schmerzen der Fußrücken und Muskelkrämpfe und -faszikulationen im Vordergrund. Zeitgleich
wurde der Verdacht auf einen Morbus Addison endokrinologisch ausgeschlossen, welcher
bei dunkler Hautverfärbung der Hände, geäußert wurde.
Nach der Umstellung auf ein makrozyklisches Kontrastmittel sistierten alle Beschwerden
vollständig und traten während der 10 folgenden Untersuchungen nicht mehr auf, was
eine mögliche chronische Gadolinium-Toxizität nahelegt.
Diskussion
Das Krankheitskonzept GDD ist hoch umstritten; Überlappungen mit Fibromyalgie oder
ähnlichen Konditionen werden beschrieben. Wir berichten hier einen Fall, bei dem Beschwerden
in zeitlichem Zusammenhang zu häufiger Applikation von linearem leberspezifischem
Kontrastmittel (Gadoxetat) aufgetreten sind und nach Umstellung auf makrozyklische
Präparate sistierten.
Semelka und Ramalho [5] schlagen für die Diagnose nach Ausschluss anderer Erklärungen vor, dass die Symptome
nach Applikation des Kontrastmittels auftreten, in einem zeitlichen Zusammenhang stehen
und zuvor nicht vorhanden sein dürfen. Zusätzlich sollen akute Schübe unter Gabe hochwirksamer
Chelatoren induzierbar sein. Letzteres wurde in dem hier beschriebenen Fall nicht
getestet. Ebenso wenig wurde der Versuch unternommen, Gadolinium in Gewebe oder Urin
nachzuweisen, sodass trotz der engen zeitlichen Korrelation eine Unsicherheit ob der
richtigen Einschätzung bleibt.
GDD wird gegenwärtig nicht mehr primär als toxischer Effekt des Gadoliniums, sondern
als komplexe zytokinvermittelte Reaktion verstanden, die ein anderes Muster als bei
nephrogener systemischer Fibrose oder asymptomatischen Gadoliniumablagerungen aufweist
[6]. Ein mitochondrialer Schaden, wie auch die Wirkung auf Ionenkanäle wie TRPC6, der
bei der Entstehung von Juckreiz eine Rolle spielt, sind zudem plausibel, gegenwärtig
aber kaum erforscht [7].
Besonders betroffen sind Frauen mitteleuropäischer Abstammung (wie die berichtete
Patientin). Ein weiterer passender Risikofaktor sind allergische Konstellationen.
Andere beschriebene Risikofaktoren sind autoimmune und genetische Konstellationen,
besonders solche, die mit Eisenspeichererkrankungen einhergehen. Als Symptome werden
Fatigue, „Brain Fog“, Schmerzen in Kopf, Muskulatur, Gelenken und Knochen beschrieben,
brennende Schmerzen der Haut und Muskelfaszikulationen, gastrointestinale Symptome
und Hautveränderungen. Damit bestehen klinische Ähnlichkeiten zu der akuten Kontrastmittelreaktion
genauso wie zur nephrogenen systemischen Fibrose. Zumindest einige dieser Symptome
waren in diesem Fall zu finden, auch wenn sie in Teilen auf die Systemtherapie zurückgeführt
werden könnten.
Als ursächliche Therapie für das GDD werden Chelatoren eingesetzt und symptomatisch
behandelt. Wichtigster Faktor ist allerdings die Vermeidung der Exposition mit gadolinium-haltigen
Kontrastmitteln oder – wie in diesem Fall – der Wechsel des Kontrastmittels auf ein
stabileres Präparat.
Schlussfolgerung
Der vorgestellte Fall verdeutlicht, dass gadoliniumhaltige Kontrastmittel – trotz
ihrer hohen diagnostischen Relevanz – bei wiederholter Anwendung mit der gebotenen
Sorgfalt und unter kritischer Indikationsstellung appliziert werden sollten. Die hier
geschilderte Symptomatik entwickelte sich über Jahre, wurde jedoch erst spät mit der
Kontrastmittelgabe in Verbindung gebracht. Dies spricht für eine mögliche hohe Dunkelziffer
milder, bislang unerkannter Verläufe, insbesondere bei komplex vorbehandelten Tumorpatienten.
Vor der Gabe insbesondere linearer Präparate wie Gadoxetat sollten Patienten über
die seltene Möglichkeit eines GDD informiert und bei wiederholter Anwendung gezielt
zu etwaigen Beschwerden befragt werden.
Treten neuartige Sensibilitätsstörungen oder unspezifische Beschwerden in zeitlicher
Nähe zur Kontrastmittelgabe auf, sollten diese ernst genommen, systematisch dokumentiert
und differenzialdiagnostisch abgeklärt werden. Die Sensibilisierung der Radiologie
für das noch wenig verstandene Krankheitsbild ist dabei essenziell – nicht nur zur
frühzeitigen Identifikation potenzieller GDD-Fälle, sondern auch, um das Vertrauen
betroffener Patienten zu erhalten. Letztlich wird sich die Existenz und Häufigkeit
des GDD nur durch kontinuierliche ärztliche Wachsamkeit, offene Kommunikation und
wissenschaftlich fundierte Fallanalysen verlässlich beurteilen lassen.