Einleitung
Unter dem Leitthema „Psychisch kranke Straftäter im Bermudadreieck zwischen
Allgemeinpsychiatrie, Gefängnispsychiatrie und Forensik“ fand vom 15. bis 16. Mai
2025 die Frühjahrstagung der Bundesdirektorenkonferenz, des Verbandes leitender
Ärztinnen und Ärzte der Kliniken für Psychiatrie und Psychotherapie (BDK) e.V. im
Stadtmuseum Ingolstadt statt. Die Veranstaltung brachte Expertinnen und Experten aus
Medizin und Justiz zusammen, um aktuelle Herausforderungen in der Versorgung
psychisch kranker Patienten mit Aggressionspotenzial sowie psychisch kranke
Straftäter vor dem Hintergrund aktueller Messerattacken in Deutschland zu
diskutieren und praxisnahe, gewaltpräventive Lösungsansätze zu entwickeln.
Wissenschaftliches Programm
Wissenschaftliches Programm
Nach der Begrüßung durch Dr. Andreas Tiete, Geschäftsführer Medizin, Pflege und
Informationstechnologie und Ärztlicher Direktor des Klinikums Ingolstadt, Prof. Dr.
Thomas Pollmächer, Direktor des Zentrums für psychische Gesundheit, sowie der
BDK-Vorsitzenden Dr. Sylvia Claus, Ärztliche Direktorin des Pfalzklinikums, wurde
das wissenschaftliche Programm mit einem interdisziplinären Blick auf das
„Bermudadreieck“ der psychiatrisch-psychotherapeutischen und forensischen Versorgung
von psychisch kranken Straftätern eröffnet.
Allgemeinpsychiatrische Perspektive
Allgemeinpsychiatrische Perspektive
Prof. Dr. E. Gouzoulis-Mayfrank, Ärztliche Direktorin der LVR-Klinik Köln und
derzeitige Präsidentin der DGPPN (Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie,
Psychotherapie und Nervenheilkunde e.V.), betonte die Relevanz psychiatrischer
Erkrankungen als Risikofaktor für Gewalt insbesondere bei den Diagnosen
Schizophrenie, Substanzgebrauchsstörungen und schwere Persönlichkeitsstörungen. Das
Risiko hierfür steigt bei zusätzlichem Substanzkonsum, Nicht-Behandlung und
psychiatrischer Ko-Morbidität. Die meisten schweren Straftaten werden jedoch immer
noch verübt von Menschen ohne schwere psychische Erkrankung, die voll strafmündig
sind.
In der allgemeinen Diskussion wurde nochmals herausgestellt, dass keine Diagnose für
sich alleine kausal ist, sondern dass bestimmte Risikofaktoren zusammenkommen
müssen, Erforderlich sei eine intensivere und länger anhaltende Behandlung, vor
allem im ambulanten Bereich einschließlich einer Vernetzung und Steuerung der
Therapie über die Sektoren- und Sozialgesetzbuch-Grenzen hinweg.
Gefängnispsychiatrische Perspektive
Gefängnispsychiatrische Perspektive
Dr. Gregor Groß, Leitender Arzt der Psychiatrischen Abteilung der JVA Straubing,
zeigte auf, dass lediglich 8 % der Inhaftierten psychiatrisch behandelt werden,
obwohl der Bedarf bei ca. 50 % liegt. Dies verweist auf eine massive Unterversorgung
und die Notwendigkeit struktureller Verbesserungen innerhalb der JVA-Systeme.
Forensisch-psychiatrische Perspektive
Forensisch-psychiatrische Perspektive
Jutta Muysers erläuterte, dass forensische Kliniken zunehmend überbelegt seien (2/3
der Einrichtungen), insbesondere durch Patientinnen und Patienten mit Schizophrenie
und häufigen Voraufenthalten (durchschnittlich zehn) in der Allgemeinpsychiatrie.
Ein signifikanter Anteil hat einen Migrationshintergrund, viele Patienten bleiben
über zehn Jahre untergebracht im Maßregelvollzug.
Juristische Perspektive
Vorsitzender Richter a.D. am Landgericht Göttingen Matthias Koller stellte den
Zusammenhang zwischen Schuldprinzip und Therapiebedarf dar und betonte die
historische Herkunft des geltenden Schuldstrafrechts (StGB von 1871). Reformen
müssten insbesondere das Verhältnis zwischen Therapie und strafrechtlicher
Verantwortung neu denken.
Podiumsdiskussion und Lösungsansätze
Podiumsdiskussion und Lösungsansätze
In einer lebhaften Podiumsdiskussion wurde gefragt, was die einzelnen Disziplinen
nun
zu einer besseren Gewaltprävention in der Versorgung von schwer psychisch kranken
Menschen jeweils beitragen können.
Die Allgemeinpsychiatrie ist gefordert, betroffene Patientengruppen intensiver und
länger zu behandeln. Es braucht v. a. eine intensivere ambulante (auch aufsuchende)
Behandlung, notfalls auch gegen den Patientenwillen, außerdem bessere
zivilrechtliche Möglichkeiten einer Zwangsbehandlung, die Nutzung von ambulanten
Auflagen i.R. der PsychK(H)Gs (der Unterbringungsgesetzte der Länder), mehr
Versorgungsverpflichtung über die Sozialgesetzbücher hinweg, verankert letztlich in
der Gemeindepsychiatrie.
Die Forensik könnte zu einer Risikoanalyse beitragen, ambulante Nachsorge bieten
(Präventions- und Nachsorge-Ambulanzen) und die Patienten dort zwingen, sich
behandeln zu lassen. Gemäß einem Züricher Modell könnte ein forensischer
Konsildienst für die Allgemeinpsychiatrie geschaffen werden, der mit der Polizei
zusammenarbeitet.
Die Gefängnis-Psychiatrie könnte mehr die SPDIs informieren, einbinden, und sich
vernetzen, insbesondere um eine ambulante Verzahnung nach der Entlassung
anzubahnen.
Die Juristen sollten den Weg ebnen für eine ambulante Zwangsbehandlung für einzelne
Fälle von nicht-selbstbestimmungsfähigen, einwilligungsunfähigen Patienten – und
dabei helfen wie eine Harmonisierung der Ausgestaltung und Umsetzung bei den
Länder-PsychK(H)Gs aussehen könnte. Die Länder könnten über PsychKHGs Veränderungen
anbahnen, sie stehen aufgrund der öffentlichen Diskussion unter massivem Druck.
Der Höhepunkt der Diskussion war die plötzlich entstandene Idee, gemeinsam einen
Musterentwurf für ein einheitliches PsychKHG in Deutschland – mit allen „Risiken und
Nebenwirkungen“ – zu erstellen. Es wurde die Frage aufgeworfen, ob evtl. innerhalb
der Fachgesellschaft DGPPN hierfür eine eigene Taskforce gegründet werden
könnte?
Zusammenfassung und Ausblick
Zusammenfassung und Ausblick
Die Tagung machte deutlich, dass psychisch kranke Straftäter keine homogene Gruppe
darstellen, insbesondere dürfen psychisch Kranke nicht unter Generalverdacht
gestellt werden, ein Zentral-Register erscheint kontraproduktiv, weil es die Angst
vor Therapie und die Stigmatisierung erhöht. Stattdessen ist eine differenzierte,
multiprofessionelle, sektorübergreifende Versorgung notwendig. Die Verschränkung von
Allgemeinpsychiatrie, Forensik und Justizsystem muss neu gedacht werden –
juristisch, medizinisch und sozialpsychiatrisch.
Die sehr konstruktive, ideenreiche Tagung endete mit einem ambitionierten Aufruf zur
Verbesserung der (insbesondere ambulanten) Versorgung von gewaltbereiten psychisch
erkrankten Menschen mit den Forderungen nach:
-
einem bundes-einheitlichen PsychKHG,
-
einer Ausweitung zivilrechtlicher Möglichkeiten zur ambulanten
Zwangsbehandlung,
-
intensiven, strukturierten Behandlungsangeboten auch außerhalb stationärer
Settings,
-
einer Stärkung der Gemeindepsychiatrie mit Verpflichtungsstrukturen über das
SGB IX hinaus.
Das Fazit der Tagung könnte lauten: Die Prävention von Straftaten betrifft nicht nur
die psychisch Kranken, die Möglichkeiten der ambulanten Zwangsbehandlung und
Surveillance werden unterschätzt. Eine gute Versorgung reduziert die Gefahr, die
möglicherweise von unbehandelten Patienten mit schweren psychischen Erkrankungen
ausgeht.
Begleitprogramm und Veranstaltungshinweis
Begleitprogramm und Veranstaltungshinweis
Neben dem intensiven Austausch im Stadtmuseum bot die Tagung eine Führung im
Deutschen Medizinhistorischen Museum und einen stimmungsvollen Festabend. Die BDK
kündigte an, ihre zentralen Themen der Krankenhausversorgung in künftigen
Veranstaltungen weiter zu vertiefen – u. a. beim NFEP (Nationales Forum für
Entwicklungen in der Psychiatrie, 30.06.–01.07.25), beim DGPPN-Kongress
(26.–28.11.25) und bei der BDK-Herbsttagung in Bernburg (18.–19.09.25).