Einleitung
Einleitung
Das maligne Melanom ist ein hochmaligner melanozytärer Tumor.
Für die Prognose sind die Tumordicke sowie das Vorhandensein von
Lymphknotenmetastasen bzw. Fernmetastasen entscheidend. Die Metastasierung
erfolgt zu 70 % primär lymphogen, zu 30 %
primär hämatogen [1]. Häufig kommt es
zunächst zur Ausbildung von Satellitenmetastasen, dann zu
In-Transit-Metastasen und schließlich zum Befall regionaler Lymphknoten.
Fernmetastasen können lymphogen oder/und hämatogen entstehen und
betreffen bevorzugt die Haut, die Lunge, Lymphknoten, Leber und Hirn sowie
Knochen und Nebennieren [1].
Das Stadium IV des malignen Melanoms ist nach der TNM-Klassifikation
folgendermaßen definiert: „Jede Dicke des Primärtumors und
jede Form der Lymphknotenmetastasierung in Kombination mit dem Auftreten von
Fernmetastasen”.
Die Prognose im Stadium IV des malignen Melanoms ist kritisch, der
Tumor führt in der Regel schnell zum Exitus letalis. Wichtigste
therapeutische Option ist die radikale Exzision des Primärtumors sowie
eventuell vorliegender Metastasen. Inoperable Metastasen oder Resttumoren nach
R1/R2-Resektion können stereotaktisch bestrahlt werden, bei
Lebermetastasierung ist beispielsweise eine CT-gesteuerte Chemoembolisation
eine Therapieoption. Eine adjuvante Immuntherapie mit Interferon kommt
häufig zur Anwendung. Als Chemotherapeutika werden bei Fernmetastasierung
insbesondere Dacarbazin, Temozolomid (hirngängiges
Vorläufer-Medikament des Dacarbazins), die Kombination Carboplatin und
Paclitaxel sowie Vindesine eingesetzt [2]. Trotz
vielfältiger Therapieoptionen ist die Prognose im Stadium IV schlecht und
die Therapie hat vor allem palliativen Charakter, d. h. sie soll die
Beschwerden mindern und allenfalls die Überlebenszeit verlängern.
In dieser Studie werden einige Kranke aus der Hautklinik Minden
beschrieben, die maligne Melanome mit Fernmetastasen hatten und mit
verschiedenen, auf die jeweiligen Patienten zugeschnittenen Therapieschemata
behandelt wurden. Es handelte sich um 11 Kranke, die innerhalb der letzten 10
Jahre wegen eines metastasierten Melanoms mit unterschiedlichen
Therapieprotokollen von uns langfristig betreut wurden. In einer retrospektiven
Aufarbeitung wurden diese elf Krankheitsverläufe mit den Daten der AJCC
2001 bezüglich des mittleren Überlebens von Patienten mit malignem
Melanom im Stadium IV ([Abb. 1]) verglichen.
Abb. 1 Vergleich mittleres
Überleben Hautklinik Minden vs. AJCC.
Ergebnisse
Ergebnisse
Die wichtigsten Daten der 11 ausgewählten Patienten mit
malignem Melanom im Stadium IV sind in [Tab. 1]
zusammengefasst. Es handelt sich um 7 männliche und 4 weibliche Patienten,
die bei Erstdiagnose 30 bis 65 Jahre alt waren (durchschnittlich 52,8 Jahre)
und bei denen 3 primär-noduläre Melanome, ein ulzeriertes NM, 2
amelanotische NM und ein amelanotisches malignes Melanom sowie ein superfiziell
spreitendes malignes Melanom, ein Schleimhautmelanom des Gaumens, ein
Ballonzell-Melanom und ein nicht spezifizierbares malignes Melanom vorlagen.
Die Tumordicke lag zwischen 1,1 und 10 mm und betrug im Durchschnitt
3,0 mm.
Tab. 1 Datenübersicht.
|
Melanomtyp
|
Lokalisation
|
Dicke
|
ED
|
Alter bei ED
|
Ü. n. ED in Mon.
|
OP
|
Pharmakotherapie
|
Metastasenzeitpunkt
|
Metastasenort
|
Ü. n. Filia in Mon.
|
1
|
NMM
|
Capillitium
|
1,92
|
9/96
|
50
|
120
|
09/96 Primarius
|
INF, DTIC,
Temozolomid, Vindesine, RTX
|
09/05
|
lymphogen
|
14
|
12/97 Intransitfilia
|
12/97, 02/05, 06/05
|
kutan
|
107
|
01/01 Lungenfilia
|
01/01, 12/01
|
pulmonal
|
70
|
01/02 Lungenfilia
|
01/06
|
zerebral
|
10
|
02/05 subkutane Filia re
Flanke
|
|
|
|
06/05 subkutane Filia li
Flanke
|
|
|
|
09/05 LAD ing re
|
|
|
|
2
|
Schleimhaut-Melanom
|
Gaumen
|
|
12/95
|
55
|
148
|
12/05 Primarius
|
INF, DTIC
|
01/00, 01/02
|
pulmonal
|
99
|
01/00 Lungenfilia
|
|
|
|
01/02 Lungenfilia
|
|
|
|
04/2008 metast.
Ösophaguskarzinom
|
|
|
|
3
|
Ballonzell-Melanom
|
Schulter
links
|
|
99
|
69
|
72
|
99 Primarius
|
INF, DTIC,
Temozolomid
|
10/04
|
lymphogen
|
9
|
12/02 kutane
In-loco-Filia
|
12/02, 02/05
|
kutan
|
31
|
05/02 kutane thorakale
Filia
|
10/04
|
pulmonal
|
9
|
10/04 pulmo.+ lymph.
(Axilla re) Filia
|
05/05, 07/05
|
zerebral
|
2
|
05/05 zerebrale Filia
|
|
|
|
4
|
amelanot.
Melanom
|
unbek.
Primarius
|
|
03/04
|
30
|
57 lebt noch
|
03/04 neck-dissection
|
INF,
Temozolomid, RTX
|
03/04
|
lymphogen
|
57
|
08/04 zervikales Rezidiv
|
08/04
|
kutan
|
52
|
01/05 zerebelläre
R1-Resektion
|
01/05
|
zerebral
|
47
|
5
|
nicht
spezifizierbar
|
OS links
|
1,1
|
5/98
|
30
|
115
|
05/98 Primarius
|
INF,
Polychemo-Immunth., RTX
|
12/98
|
lymphogen
|
115
|
12/98 LAD
|
12/98, 09/03, 09/04
|
kutan
|
115
|
12/98 zerebrale Filia
|
12/98
|
zerebral
|
115
|
09/03 kutane Filia li OS
|
03/07
|
zerebral
|
16
|
09/04 kutan Abdomen
|
11/07
|
hepatogen
|
8
|
6
|
SSM
|
Knie rechts
|
3,0
|
02/01
|
58
|
59
|
02/01 Primarius
|
INF, DTIC,
Temozolomid
|
05/03
|
lymphogen
|
31
|
05/03 LAD
|
03/05
|
pulmonal
|
9
|
03/05 Lungenfilia
|
08/05
|
zerebral
|
4
|
7
|
amelanot. NMM
|
parieto-temporal li
|
1,6
|
12/02
|
65
|
28
|
12/02 Primarius, SLND
|
INF,
Temozolomid, BHD, RTX
|
02/05
|
pulmonal
|
2
|
09/04 zerebrale
R0-Resektion
|
09/04, 02/05
|
zerebral
|
7
|
8
|
amelanot. NMM
|
OA rechts
|
10,0
|
11/01
|
60
|
85 lebt noch
|
11/01 Primarius, SLND
|
INF,
Temozolomid
|
02/06, 06/06
|
pulmonal
|
34
|
06/06 Lungenfilia
|
06/06
|
kutan
|
30
|
06/06 kutane Filia
temporal
|
|
|
|
9
|
NMM
|
US rechts
|
1,7
|
06/98
|
61
|
126 lebt noch
|
06/98 Primarius
|
INF, DTIC,
Eldesine
|
01/06
|
lymphogen
|
35
|
06/00 intransit Filia re
US
|
06/00
|
kutan
|
102
|
01/06 LAD
|
08/06
|
pulmonal
|
28
|
08/06 Lungenfilia
|
|
|
|
10
|
exulc. NMM
|
Scapula rechts
|
2,7
|
01/04
|
65
|
38 lebt noch
|
01/04 Primarius
|
INF, Temozolomid
|
08/05
|
pulmonal
|
19
|
11
|
NMM
|
Rücken
|
1,8
|
07/96
|
38
|
149 lebt noch
|
07/96 Primarius
|
BHD-,
Legha-Schema
|
01/06
|
pulmonal
|
35
|
12/03 zerebrale Filia
|
02/99
|
zerebral
|
60
|
01/06 pulmonale Filia
|
|
|
|
Der Primärtumor war in je drei Fällen an den unteren
Extremitäten (Oberschenkel links, Knie rechts, Unterschenkel rechts) und
am Stamm (Schulter links, Scapula rechts, Rücken) lokalisiert. Das
Capillitium war zweimal betroffen, jeweils einmal die obere Extremität
(Oberarm rechts) und die Mundschleimhaut (Gaumen). Bei einem Probanden blieb
die Lokalisation des Primärtumors unbekannt. Die Metastasierung war bei 6
Patienten lymphogen, bei 6 Probanden fanden sich kutane Metastasen, bei 9
Patienten pulmonale, in sieben Fällen zerebrale und in einem Fall
Lebermetastasen.
Alle Patienten wurden radikal operiert, d. h. Exzision des
Primärtumors (sofern bekannt) sowie Exzisionen von einzelnen Metastasen
(kutane, subkutane, pulmonale, zerebrale und Lymphknoten-Filiae) mit
entsprechendem Sicherheitsabstand. Ferner erhielten alle Patienten eine
Immuntherapie mit Interferon sowie ein bis drei Chemotherapien (DTIC,
Temozolomid, Eldesine, Carboplatin und Paclitaxel u. a.). Primär
wurde DTIC oder Temodal als Standard-Chemotherapie eingesetzt. Eine
zusätzliche Bestrahlung erfolgte bei 4 Patienten.
Bei der Auswertung der Patientendaten wurde ein Gesamtüberleben
von 38 – 149 Monaten (im Mittel 91,27 Monate) nach
Erstdiagnose ermittelt.
Das mittlere Überleben unseres Patientenkollektivs mit
Lymphknoten-Metastasen betrug 43,5 Monate
(9 – 115 Monate), bei kutaner Metastasierung
72,83 Monate (30 – 115 Monate),
nach pulmonaler Metastasierung überlebten die Patienten im Mittel
33,44 Monate (2 – 99 Monate), und
nach zerebraler Metastasierung zeigte sich ein mittleres Überleben von
35 Monaten (2 – 115 Monate). Die
eine Patientin mit Lebermetastasen überlebte nach Diagnosestellung fast 8
Monate.
Überlebenskurven nach Kaplan-Meier bezogen auf die Erstdiagnose
und nach Feststellung einer Metastasierung finden sich in den
[Abb. 2] und [3].
Abb. 2 Überleben nach
Erstdiagnose im Stadium IV.
Abb. 3 Überleben nach
Metastasierung im Stadium IV.
Diskussion
Diskussion
Das mittlere Überleben von Patienten mit kutanen und
Lymphknoten-Metastasen soll nach der AJCC 2001 7,2 Monate betragen, Patienten
mit Lungen-Metastasen überleben im Mittel 11,4 Monate, Patienten mit
zerebralen Metastasen 5,0 Monate. Eine vergleichende Darstellung dieser mit
unseren Daten wird in [Abb. 1] gezeigt. Wir weisen
darauf hin, dass hier Einzelfälle präsentiert werden und unser
Patientenkollektiv nicht alle von uns behandelten Patienten
einschließt.
Zu diskutieren bleibt, aus welchem Grund gerade die hier
beschriebenen Patienten überdurchschnittlich lange überlebten. Eine
Interferontherapie wurde in 10 von 11 Fällen eingesetzt
(90,9 %), wobei bei allen Patienten ein schrittweises Vorgehen
gewählt wurde: Zunächst wurde die Metastasenchirurgie eingesetzt und
erst in zweiter Linie eine Chemo- oder Radiotherapie durchgeführt, wenn
eine Operation nicht möglich war, oder als Ergänzung zu den
chirurgischen Maßnahmen. Auch wenn die Leitlinie für Melanome im
Stadium I und II eine bildgebende Diagnostik nicht zwingend empfiehlt, setzen
wir zum Staging unserer Patienten frühzeitig derartige diagnostische
Verfahren ein wie CT (Hals-Becken) und MRT (Hirnschädel)
[4]. In neuester Zeit, wovon jedoch die hier
dargestellten Patienten noch nicht profitieren konnten, kommt auch vermehrt die
PET-CT bei Hochrisikopatienten oder unklarer CT/MRT zum Einsatz. Der hierdurch
bedingte frühe Nachweis von Metastasen mit der Möglichkeit zum
kurativen Therapieansatz stellt möglicherweise einen
Überlebensvorteil für die Kranken dar, im Vergleich zu den Daten der
AJCC.
Ein guter Ansatz, das Überleben von inoperablen Patienten im
Stadium IV weiter zu verlängern, könnte die
Chemosensitivitätstestung sein [5]. In einer
Phase-II-Studie konnte zwischen chemosensiblen und chemoresistenten Patienten
ein Unterschied festgestellt werden, wobei bei den chemosensiblen ein deutlich
verlängertes Gesamtüberleben vorlag (14,6 vs. 7,4 Monaten). Auch
konnte in einigen Fällen gezeigt werden, dass eine Mutationsanalyse und
der gezielte Einsatz von Kinase-Inhibitoren zu einer Stabilisierung der
Tumorkrankheit im Stadium IV führen kann [6].
Vermutlich wird es in Zukunft eine Kombination aus verschiedenen
therapeutischen Möglichkeiten sein, die zwecks langfristiger
Stabilisierung des Melanoms im Stadium IV eingesetzt werden. Ein solitärer
Weg wird vermutlich nicht ausreichen.
Um das therapeutische chirurgische Vorgehen im Stadium III bei
Vorliegen einer Mikro- oder Makrometastasierung prospektiv zu untersuchen und
zukünftig die Entscheidung für oder gegen eine komplette
Lymphadenektomie objektiv zu treffen, wird derzeit eine von der deutschen
Krebshilfe finanzierte Wächterlymphknotenstudie unter der Leitung der
Hautkliniken Tübingen und Minden durchgeführt.
Nach dem Einsatz neuer, heute schon zur Verfügung stehender
diagnostischer und therapeutischer Möglichkeiten und der Auswertung
weiterer Studien, werden in Zukunft die Überlebensdaten von Patienten mit
malignem Melanom im Stadium IV neu bewertet werden müssen.