Sehr geehrte Leserinnen und Leser, liebe Kolleginnen und Kollegen,
Sehr geehrte Leserinnen und Leser, liebe Kolleginnen und Kollegen,
Honorarärzte, Kopfpauschalen, Nachwuchsmangel und andere Schlagworte aus dem berufspolitischen
Umfeld prägen derzeit viele Diskussionen im gemeinsamen Fach. Darüber droht die Auseinandersetzung
mit wissenschaftlichen Themen in den Hintergrund zu geraten. Die Förderung von Wissenschaft
und Forschung ist jedoch die herausragende Aufgabe unserer wissenschaftlichen Gesellschaften.
Als diesjährige Präsidenten nutzen wir die Einladung zu diesem Editorial deshalb gerne
dazu, anlässlich des aktuellen Jahreskongresses aus unserer Sicht die Perspektiven
der Forschung in Orthopädie und Unfallchirurgie zu skizzieren. Um künftige Handlungsfelder
identifizieren zu können, ist es jedoch notwendig, zunächst kurz die bisherige Entwicklung
und aktuelle Rahmenbedingungen zu beleuchten.
Woher kommen wir?
Woher kommen wir?
Im weiten Feld der Erkrankungen und Verletzungen von Bewegungsorganen gehen viele
zum Teil bahnbrechende Entwicklungen auf hervorragende Persönlichkeiten aus der deutschsprachigen
Orthopädie und Unfallchirurgie zurück: Über beinahe 2 Jahrhunderte haben sie von den
ersten Anfängen der Deformitätenbehandlung über die Einführung neuartiger Diagnoseverfahren
und Behandlungstechniken bis hin zur modernen Implantatentwicklung in Osteosynthese
und Endoprothetik unsere Wahrnehmung vom Fach geprägt. Die Einführung gelenkerhaltender
Umstellungsosteotomien, prinzipienorientierter operativer Frakturbehandlung, der Hüftsonografie,
manueller Behandlungstechniken sowie der computerassistierten Navigation bei Osteosynthese
und Gelenkersatz sind nur wenige Beispiele dafür, womit forschende Ärzte aus Deutschland,
Österreich und der Schweiz heute international gültige Standards setzten. Trotz aller
politischen Verwerfungen gerade im 20. Jahrhundert waren wichtige Voraussetzungen
dafür gegeben: Eine exzellente Ausbildung in Medizin und Gesundheitswissenschaften,
einigermaßen intakte Gesundheits-Sicherungssysteme und eine wirtschaftliche Entwicklung,
die die gesundheitsökonomischen Rahmenbedingungen zunächst positiv beeinflusste. Damit
standen jungen, enthusiastischen und neugierigen Medizinern alle Wege in der Wissenschaft
offen und sie wurden auch oft genug erfolgreich gegangen, was die historisch hohe
Reputation unserer Forschungsleistung weltweit belegt. Möglicherweise war eine günstige
Voraussetzung dafür auch die mittlerweile wieder überkommene Trennung in 2 strukturell
voneinander unabhängige Bereiche, d. h. dem Fach „Orthopädie“ und dem Schwerpunkt
„Unfallchirurgie“. Die ausschließliche Konzentration auf Themen, die für jeden der
beiden Bereiche spezifisch und charakteristisch sind, hat sicher zur Erreichung der
jeweiligen Spitzenleistungen in Forschung und Entwicklung beigetragen.
Wo stehen wir?
Wo stehen wir?
„Neurowissenschaften“, „Diabetesforschung“, „Comprehensive Cancer Centers“ – wer die
Schlagzeilen von Wissenschaftsressorts und die Wahrnehmung von Forschung in den Medien
kritisch betrachtet, dem fällt oft eine nachgeordnete Bedeutung von Themen aus dem
Bereich der Bewegungsorgane auf. Wir selbst und auch unsere Patienten wissen um den
vergleichsweise großen Einfluss der Erkrankungen und Verletzungen auf Gesundheit und
Ökonomie gleichermaßen. Dennoch besteht ein Missverhältnis zwischen der Bedeutung
dieser Problematik und ihrer Wahrnehmung in Medien, organisierter Öffentlichkeit und
damit auch der Forschungs- und Gesundheitspolitik. Wir müssen uns deshalb offen die
Frage stellen, ob neben einem sicher besseren Lobbying anderer Fächer auch eine Ursache
darin liegen kann, dass unsere Forschungsaktivitäten hinsichtlich inhaltlicher Ausrichtung,
Qualität und Umfang sowie externer Kommunikation noch optimierbar sind.
Glücklicherweise zeichnet sich in den letzten Jahren an vielen orthopädischen und
unfallchirurgischen Kliniken eine Entwicklung ab, die wesentliche Voraussetzungen
für den Erhalt international konkurrenzfähiger Forschung schafft: Die Bedeutung einer
Gründung von Professuren und Forschungszentren mit vollzeitbeschäftigten Wissenschaftlern
ist an vielen Orten erkannt und wird zunehmend umgesetzt. Eine direkte Folge ist beispielsweise
die steigende Zahl an bewilligten DFG-Einzelanträgen und die erfolgreiche Beteiligung
an koordinierten DFG-Programmen (klinische Forschergruppen, Sonderforschungsbereiche,
Transregios etc.). Dazu haben auch unsere Fachgesellschaften einen wichtigen Beitrag
geleistet: Die substanzielle Förderung einer Gründung von kooperierenden Forschungsstrukturen
(Netzwerk experimentelle Unfallchirurgie, Netzwerk muskuloskelettale Biomechanik,
Netzwerk regenerative Orthopädie) hat wesentlich dazu beigetragen, die Qualität der
methodischen Ausbildung junger Forscher durch einen systematischen Austausch zu verbessern
und damit ihre Chancen auf erfolgreiche Drittmittelförderung zu verbessern. Leitende
Wissenschaftler aus orthopädischen und unfallchirurgischen Kliniken waren an der Benennung
von besonders wichtigen Themen für die Gesundheitsforschung im Rahmen der „BMBF-roadmap“
beteiligt und konnten damit sicherstellen, dass „Muskuloskeletale Erkrankungen“ einer
von 6 ausgewählten Themenschwerpunkten zukünftig geförderter Forschungsaktivitäten
sein wird. Dies hat beispielsweise dazu geführt, dass vor Kurzem eine umfangreiche
Fördermaßnahme des BMBF zur Einrichtung von Forschungsverbünden zu muskuloskeletalen
Erkrankungen ausgeschrieben wurde, woran sich eine erfreulich hohe Zahl unserer Kliniken
und Labors beteiligt. Dies alles ist nur möglich, weil das ausgezeichnete Engagement
von Einzelpersonen und unterstützende Initiativen unserer Gesellschaften zu einer
spürbar verbesserten Wahrnehmung der muskuloskeletalen Forschungsaktivitäten bei allen
öffentlichen und auch nichtöffentlichen Trägern der Forschungsförderung in Deutschland
geführt hat. Dennoch ist es dringend notwendig, diese Aktivitäten weiter auszuweiten
und direkte Maßnahmen zu ergreifen, um bei perspektivisch begrenzten Ressourcen in
Forschungs- und Gesundheitspolitik sowie zunehmend erwartbaren Verteilungskämpfen
zwischen einzelnen Fachdisziplinen in der Zukunft noch besser aufgestellt zu sein.
Wo gehen wir hin?
Wo gehen wir hin?
National und international konkurrenzfähige Forschung in Orthopädie und Unfallchirurgie
kann nur dann gehalten und weiter ausgebaut werden, wenn es uns gelingt, die beschriebenen
Ansätze einer erfolgreichen Wissenschaftsinitiative zu intensivieren und von einzelnen
Zentren in die Breite zu tragen.
Dazu ist es insbesondere notwendig,
-
Forschungsarbeiten an zukunftsträchtigen Wissensgebieten zu orientieren und neue innovative
Forschungsfelder zu erschließen. Dies betrifft die in der Roadmap bereits skizzierte
Forschung zu molekularen Mechanismen von Entzündung und Regeneration sowie zur Heilung
von Knochenbrüchen, Knochendefekten und Osteoporose. Neben experimentellen Forschungsansätzen
ist es aber gerade in unserem Bereich von besonderer Bedeutung, die Translationsforschung
zu fördern und klinische Anwendungen zu unterstützen. Deshalb hatte einer der von
uns in diesem Jahr gestalteten DGOU-Expertenworkshops das Ziel, zusammen mit Vertretern
von Genehmigungsbehörden die Rahmenbedingungen klinischer Studien zur stammzellbasierten
Therapie muskuloskeletaler Erkrankungen zu verbessern. Um auch die dringend notwendige
Implementierung von Versorgungsforschung in unserem Fach zu stimulieren, ist analog
zur letztendlich erfolgreichen Anschubfinanzierung von experimentellen Netzwerken
eine initiale Förderung entsprechender Kooperationsstrukturen auch in diesem Bereich
durch die wissenschaftlichen Gesellschaften zu prüfen,
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noch intensiver als bisher starre Strukturen aufzubrechen und interdisziplinäre, aber
vor allem auch einrichtungsübergreifende Formen der Wissenserzeugung und ‐vermittlung
zu entwickeln. Dies gilt in ganz besonderer Weise für die zukünftige Gestaltung des
Faches Orthopädie und Unfallchirurgie an den Universitäten. Eine generelle Forderung
nach 2 inhaltlich voneinander abgegrenzten Lehrstühlen traditioneller Ausrichtung
ist hier kontraproduktiv und muss ersetzt werden durch innovative Modelle einer an
standortspezifischen Profillinien und ausbaufähigen Stärken orientierten Strategie
der wissenschaftlichen Weiterentwicklung. Dies ist zwar in der bereits mehrfach kommunizierten
Forderung nach „2 W3 + x W2-Lehrstühlen“ an unseren medizinischen Fakultäten enthalten,
droht aber in Einzelfällen immer noch kurzsichtigen Profilierungsbemühungen geopfert
zu werden. Wer darüber hinaus heute noch die engstmögliche Zusammenarbeit ehemals
orthopädischer und unfallchirurgischer Forschergruppen untereinander, aber auch mit
Wissenschaftlern aus benachbarten Bereichen (Rheumatologie, Immunologie, etc.) aufgrund
imaginärer berufspolitischer Grenzen behindert, schließt seine Mitarbeiter von zukunftsfähigen
Entwicklungen aus,
-
eine optimale Ausbildung für den wissenschaftlichen Nachwuchs sicherzustellen. Es
liegt auf der Hand, dass die erfolgreichste Form des Wissenstransfers die Ausbildung
von hervorragend qualifizierten Nachwuchskräften ist, die leitende Funktionen in Wissenschaft
und Klinik übernehmen können. Diese Aufgabe obliegt in erster Linie den Kliniken und
Forschungseinrichtungen, doch können auch hier die Fachgesellschaften substanzielle
Unterstützung leisten. Beispielhaft seien hier die von den Gesellschaften vergebenen
Stipendien und Förderprogramme genannt, das Angebot einer DFG-Beratungsbörse sowie
vieler anderer am Nachwuchswissenschaftler orientierter Sitzungen beim diesjährigen
DKOU und schließlich der mit großem Erfolg erstmals durchgeführte Prüfarztkurs zur
Zertifizierung orthopädisch-unfallchirurgischer Prüfärzte. Das in diesem Jahr beim
Kongress eingeführte Stipendienprogramm „Tag der Studierenden“ hat darüber hinaus
bereits den wissenschaftlichen Nachwuchs im Blick, der unsere Kliniken künftig wissenschaftlich
verstärken soll. Es bleibt zu hoffen, dass weiterhin eine verstärkte Ausrichtung des
Kongresses an der wissenschaftlichen Qualifikation junger Ärzte und Nachwuchsforscher
aufrecht erhalten bleibt.
Neben diesen inhaltlich ausgerichteten Aktivitäten ist es schließlich zunehmend wichtig,
die Ergebnisse unserer Forschungsarbeit stärker als bisher in die Öffentlichkeit zu
tragen. Dies zielt nicht nur auf eine notwendige Darstellung in den öffentlichen Medien,
die – ob wir es wollen oder nicht – als Gradmesser der Popularität und damit letztlich
auch für die Erreichbarkeit von Entscheidungsträgern gelten, sondern auch ganz besonders
auf eine verbesserte Umsetzung erarbeiteter Forschungsergebnisse in die tägliche Versorgung,
was oft noch lückenhaft ist. Aus diesem Grund haben die diesjährigen Präsidenten beispielsweise
einen 2. DGOU-Expertenworkshop mit dem Thema „Umsetzung der Osteoporose-Leitlinien
in Orthopädie und Unfallchirurgie“ initiiert, dessen Ergebnisse nicht nur für Experten
auf den folgenden Seiten dargestellt sind, sondern auch in der Laienpresse veröffentlicht
werden.
Mit weiteren Aktivitäten in dieser Richtung – wie der Zukunftswerkstatt 2009 mit dem
Thema „Innovation und Versorgungssicherheit in Orthopädie und Unfallchirurgie“ sowie
einer in diesen Tagen startenden bundesweiten „Imagekampagne O & U“ – soll einer möglichst
breiten Öffentlichkeit die fundamentale Bedeutung qualifizierter Forschungsleistung
verdeutlicht werden.
Ein Dreh- und Angelpunkt im eigentlichen Sinne für Wissensvermittlung und Kommunikation
untereinander wie auch mit der Öffentlichkeit ist der Deutsche Kongress für Orthopädie
und Unfallchirurgie. Er findet in diesem Jahr vom 21.–24. Oktober 2009 im ICC Berlin
statt und wir möchten Sie als engagierte Ärzte und Wissenschaftler dazu einladen,
mit Ihrem Besuch erneut ein deutlich sichtbares Zeichen für die große Bedeutung wissenschaftlichen
Engagements in unserem Fach zu setzen.
Prof. Dr. med. Klaus-Peter Günther
Präsident der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und orthopädische Chirurgie
Prof. Dr. med. Hans Zwipp
Präsident der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie