Einleitung
Einleitung
Isocyanate zählen weltweit zu den häufigsten Ursachen des berufsbedingten Asthma bronchiale
und anderer Atemwegserkrankungen [1]
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[4]. In Deutschland werden unter der Berufskrankheit Nummer 1315, die bis auf Hautaffektionen
alle Isocyanat-bedingten Berufskrankheiten zusammenfasst, jährlich etwa 50 Fälle neu
anerkannt. Die Diagnostik ist oft schwierig, da in lediglich etwa 20 % der Fälle spezifische
IgE-Antikörper nachweisbar sind und Arbeitsplatzsimulationsteste aufgrund ihres großen
Aufwands nur in wenigen Zentren erfolgen [5]. Die geringe Sensitivität allergologischer Verfahren kann nur z. T. durch deren
unzureichende Sensitivität mit nicht optimalen Isocyanat-Konjugaten erklärt werden.
Es ist davon auszugehen, dass nicht-allergische Pathomechanismen dominieren.
Arbeitsbedingte Expositionen
Arbeitsbedingte Expositionen
Isocyanate sind moderne Syntheseausgangsstoffe für die Herstellung von Weich-, Hart-,
Integral-, Isolier-Schaumstoffen und anderen Kunststoffen, Lacken und sonstigen Oberflächen-Beschichtungen,
Vergussmassen, Elastomeren, Klebern, Härtern, Pharmazeutika, Pestiziden und weiteren
Erzeugnissen der chemischen Industrie. Anwendungsbereiche sind vor allem die Kraftfahrzeug-,
Flugzeug-, Metall-, Möbel-, Textil-, Bekleidungs- und holzverarbeitende Industrie,
das Baugewerbe, der Bergbau (Gebirgsverfestigung), Gießereien und der Sportbahnbau.
Gelegentlich werden Isocyanate mit anderen Systemen kombiniert, z. B. mit Epoxid-haltigen
und Alkydharz-Bindemitteln.
Von gesundheitsrelevanter Bedeutung sind in erster Linie Isocyanat-haltige Dämpfe
und Aerosole. Letztere entstehen vornehmlich beim Spritzlackieren von Lacken mit Isocyanathärtern.
Da der Dampfdruck stark temperaturabhängig ist, können auch im Rahmen der exotherm
ablaufenden Polyurethan(PUR)-Schaumstoffherstellung hohe Luftkonzentrationen auftreten.
Mit einer Gesundheitsgefährdung muss sowohl bei der Anwendung von Isocyanat-haltigen
2-Komponenten-Reaktionssystemen (Reaktionspartner sind hier meist mehrwertige Alkohole,
z. T. auch Amine und Wasser) als auch von 1-Komponenten-Produkten (diese härten mit
dem Wasserdampf der Luft aus) gerechnet werden. Großflächig aufgetragen können Isocyanate
durch verdunstende Lösemittel mitgerissen werden.
Beim Erhitzen, Verschwelen und Verbrennen von ausgehärteten Polyurethanen (PUR) werden
neben anderen, großteils toxisch wirkenden Produkten verschiedene Isocyanate gebildet
und freigesetzt. Dies gilt v. a. für das Schweißen von PUR-lackierten oder -beschichteten
Metallen, für das Ein- oder Abbrennen von PUR-Lackschichten, das Stahl- und Aluminiumgießen
in MDI-gefestigten Sandkernen und anderen Formen, das Schneiden von Hartschaumplatten,
die mechanische Bearbeitung unter Hitzeentwicklung von Isocyanat-verleimten Spanplatten,
das Anschleifen von PUR-Anstrichen, Wohnungs- und Autobrände. Auch starkes Erhitzen
und Verbrennen von stickstoffhaltigen Materialien, wie Phenol-Formaldehyd-Harnstoff-Harz
(Bakelite, u. a. Chip-Platinen) und beschichteter Steinwolle, können zur Bildung und
Freisetzung von Isocyanaten führen [6]
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[8]. In der Regel entstehen bei den vorgenannten Prozessen unter hohen Temperaturen
(über 350 ° C) niedermolekulare Monoisocyanatverbindungen wie Isocyansäure (HNCO;
ICA) und Methylisocyanat (CH2NCO; MIC).
Neben der inhalativen Aufnahme kann Hautkontakt zu einer Isocyanat-Inkorporation führen.
Hierdurch werden nach tierexperimentellen Befunden sowohl lokale Reizerscheinungen
als auch respiratorische Überempfindlichkeitsreaktionen ausgelöst [9]
[10].
Peroral ist eine Isocyanat-Aufnahme beim Rauchen oder beim Essen im Arbeitsbereich
möglich.
Was wissen wir über die heutigen Arbeitsplatzkonzentrationen?
Was wissen wir über die heutigen Arbeitsplatzkonzentrationen?
In der heutigen Arbeitswelt werden ganz überwiegend oligo- und polymere Isocyanate
eingesetzt. Ihre Luftkonzentration hängt von den jeweiligen Arbeitsbedingungen, der
Temperatur und den verarbeiteten Mengen ab. Woskie et al. [11] wiesen NCO-Konzentrationen zwischen 0,02 und 3120 µg/m3 Luft in Lackierereien nach. Ähnliche Ergebnisse fanden Pronk et al. [12]. Auch Untersuchungen in England ergaben in Lackierereien und in der Elastomeren-Herstellung
teilweise erhöhte Isocyanat-Luftkonzentrationen [13]
[14] s. auch [Abb. 1]. Entsprechende Aussagen lieferten neuere Biomonitoringuntersuchungen bei verschiedenen
Isocyanatanwendungen [13]
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[20]. Dabei konnte Jones [21] belegen, dass die Aufklärung der Beschäftigten zu einer beachtlichen Verbesserung
der Arbeitshygiene und zur Reduktion der inneren Belastung führte.
Abb. 1 55 Mitarbeiter einer Lackierhalle wurden wegen vermuteter gesundheitsgefährdender
Belastung durch das Isocyanat MDI einer Biomonitoring-Diagnostik unterzogen. Urinproben
wurden unmittelbar nach der Arbeitsschicht gesammelt und mittels GC-MS ermittelt.
Anstelle des in den Datenblättern des Lackhärters angegebenen Isocyanats MDI fanden
sich in den Proben mehrerer Beschäftigter Zeichen einer hohen Belastung mit den Isocyanaten
TDI und HDI (gemessen wurden die entsprechenden Diaminderivate TDA und HDA).
Arbeitsplatzregularien
Arbeitsplatzregularien
Einen Biologischen Grenzwert (BGW; TRGS 903) [22] gibt es lediglich für das Diisocyanat MDI (10 µg/g Kreatinin für den im Urin nachweisbaren
Metaboliten 4,4'-Diaminodiphenylmethan, MDA).
Anlage 1 gibt die aktuellen rechtsverbindlichen Arbeitsplatzgrenzwerte (AGW) der Isocyanate
wieder, die sich ausschließlich auf Di- und zwei Monoisocyanate beziehen und im Allgemeinen
bei 5 ppb liegen. Für die industriell ganz im Vordergrund stehenden oligo- und polymeren
Isocyanate wurden in Deutschland bisher keine Arbeitsplatzgrenzwerte festgesetzt.
Die American Conference of Governmental Industrial Hygienists [23] schlug kürzlich für TDI einen deutlich niedrigeren Arbeitsplatzgrenzwert (TWA, 8-Stunden-Mittelwert),
nämlich von 0,007 mg/m3 (1 ppb), und einen 15-Minuten-Kurzzeitwert von 0,021 mg/m3 (3 ppb) vor.
Die Technischen Regeln für Gefahrstoffe (TRGS) 430 „Isocyanate – Exposition und Überwachung”
[24], aktualisiert im März 2009, beinhalten eine umfassende Darstellung der Isocyanatanwendungen
in den verschiedensten Industriezweigen. Diese ist hilfreich für die vom Arbeitgeber
zu erstellende Gefährdungsbeurteilung, die die Gesamt-Isocyanatexposition anhand eines
Bewertungsindex berücksichtigen soll, also auch die in Aerosolen befindlichen Isocyanatanteile.
Dabei werden ein sog. Aerosol-Penetrationsfaktor (basiert auf dem Durchmesser der
Aerosole) und bei oligomeren und polymeren Isocyanaten ein Expositionsbeurteilungswert
(EBW; erfasst ausschließlich die lokale Reizwirkung und ist vom Hersteller anzugeben)
zugrunde gelegt. Die Intensität der Exposition wird im Einzelnen unter Berücksichtigung
folgender Parameter beurteilt:
-
der klinischen Natur des Isocyanates,
-
dem Arbeitsplatzgrenzwert für Diisocyanate nach TRGS 900 [25] „Luftgrenzwerte in der Luft am Arbeitsplatz” und Arbeitsmedizinischer Vorsorgeverordnung
(2009),
-
der Dampfbildung (durch Aerosole aus dem Kondensat),
-
der Aerosolbildung (durch Aerosole aus dem Applikationsverfahren); bei Oligo- und
Polymeren s. Beurteilungswert,
-
dem Eindringvermögen in die Lunge (Aerosol-Penetrationsfaktor, APF),
-
dem Ausmaß des Hautkontaktes.
Der Beurteilungsindex (BI) für den jeweiligen Arbeitsplatz leitet sich aus der Summe
der Verhältniszahlen a) der Konzentration (C) der monomeren Isocyanate (i)/AGW und
b) der Konzentration der oligo- und polymeren Isocyanate (Poly) × APF/EBW ab:
BI = Σ(Ci/AGWi + CPoly × APF/EBW)
Neu ist die in der TRGS 430 [24] vorgenommene Festlegung eines Expositionsleitwertes, der alle Isocyanate in der
Raumluft berücksichtigt und 0,018 mg/m3 beträgt.
Arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchung [26]
Arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchung [26]
Isocyanat-exponierte Beschäftigte sind einer speziellen arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchung
[27] zu unterziehen, wenn die Luftkonzentration 0,05 µg/m3 überschreitet oder wenn regelmäßiger oder ständiger Hautkontakt gegeben ist [28]. Unverständlicherweise wurde in dieser neuen rechtsverbindlichen Verordnung die
bisherige Verpflichtung des Arbeitgebers zu einer Angebotsuntersuchung bei geringerer
Exposition nicht übernommen.
Zu Recht wird in der Arbeitsmedizinischen Vorsorge G 27 [27] auf das erhöhte Gesundheitsrisiko von Personen mit vorbestehenden Atemwegserkrankungen
und bronchialer Hyperreagibilität hingewiesen. Nicht richtig ist allerdings, dass
Personen mit umweltbedingten Allergien ein erhöhtes Gesundheitsrisiko haben. Das Gegenteil
ist der Fall [29].
Notwendigkeit einer verbesserten Prävention
Notwendigkeit einer verbesserten Prävention
Eine Vielzahl von Untersuchungen belegt, dass die gesundheitsadversen Effekte der
Isocyanate konzentrationsabhängig sind [4]
[30]
[31]. Durch geeignete primärpräventive Maßnahmen (geschlossene Systeme, verbesserte Luftabsaugungen,
elektrostatisch arbeitende Spritzverfahren etc.) und durch Sekundärprävention (Atemmasken,
Schutzanzüge, Handschuhe) lässt sich die Exposition in praktisch allen Arbeitsbereichen
in gesundheitlich unbedenkliche Bereiche absenken.
Die in Deutschland nach wie vor ausschließlich für Di- und Monoisocyanate geltenden
Arbeitsplatzgrenzwerte erfuhren, wie dargestellt, nun eine Ergänzung in der TRGS 430
mit Berücksichtigung der Gesamt-Isocyanat-Belastung. Allerdings geht in den dort aufgeführten,
eher einem sicherheitstechnischen Standard entsprechenden Bewertungsindex nur die
lokale, tierexperimentell ermittelte Atemwegsirritation ein, anzunehmende verzögerte
Reizwirkungen, Allergenität und evtl. Kanzerogenität bleiben hierbei unberücksichtigt.
Es bleibt zu hoffen, dass der Arbeitsschutz beim Umgang mit Isocyanaten (Probleme
bestehen vorwiegend in Klein- und Mittelbetrieben) durch Umsetzung dieser TRGS und
durch Schaffung einer besseren Datenbasis bezüglich der nach wie vor nicht befriedigenden
Risikoabschätzung der oligo- und polymeren Isocyanate optimiert wird.
Interessenkonflikte
Interessenkonflikte
Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.