Pro
Kürzlich erschien ein Fortbildungsaufsatz über den „schwierigen” Patienten in der
psychiatrischen Versorgung [1], in dessen Überschrift die Gänsefüßchen zu finden waren, die letztlich zu der zugegebenermaßen
provozierenden These führten, die hier diskutiert werden soll.
Wörter in Anführungszeichen zu setzen, bedeutet häufig, dass man sich ironisch oder
durch die Unterlegung eines anderen Sinns von ihnen distanzieren möchte. Im Falle
des „schwierigen” Patienten geschieht dies regelhaft – und dies schon seit einigen
Jahrzehnten und nicht nur in deutschen Veröffentlichungen [2]
[3]
[4]
[5].
„Schwierige” Patienten gibt es in allen Fachgebieten, nicht nur in der Psychiatrie.
In einer Studie bezeichneten Internisten und Chirurgen dreier Kliniken 22 % ihrer
Patienten als „severely or extremely difficult to help” [2]. Patienten, die besonders krank oder unzufrieden mit der Behandlung waren oder häufig
wiederkehrten, wurden signifikant häufiger als „difficult to help” eingeschätzt. Psychosoziale
Faktoren erachteten diese Nichtpsychiater bei den „schwierigen Patienten” als besonders
relevant. Insbesondere „schwierig” galten ihnen unerklärliche Symptome, begleitende
soziale Probleme und gravierende unbehandelbare Krankheiten.
Die wiederkehrenden Anführungszeichen legen nahe, dass sich viele Autoren mit dem
Begriff unwohl fühlen – kein Wunder, denn es existiert keine einheitliche Definition
für den „schwierigen” Patienten [1]. Der Begriff ist interpretationsbedürftig. Wie die referierte Studie illustriert,
beschreibt er eine komplexe soziale Situation – auf Kosten des so etikettierten Patienten.
Und so plädiere ich dafür, den Begriff „schwieriger Patient” fallen zu lassen. Dafür
sprechen sozialpsychologische, klinische und ethische Gründe.
Sozialpsychologisch greift der Begriff „schwieriger Patient” zu kurz, wenn damit eine
Eigenschaft gemeint ist, die ein Patient hat. Denn, wenn in der aktuellen Fortbildung [1] als allererste Charakterisierung steht „Der Patient gilt als schwierig bzw. macht
Schwierigkeiten aus der Sicht der in der Psychiatrie tätigen Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter” (S. 848), dann wird deutlich, dass es hier um ein Merkmal einer z. B.
konflikthaften oder für die Beteiligten enttäuschenden sozialen Beziehung geht. Umgekehrt
könnte genauso der Patient die Mitarbeiter als „schwierig” titulieren, wenn er mit
ihnen z. B. um etwas streiten muss. Letztlich ist „Schwierigkeit” also ein Merkmal
der Beziehung und nicht der Akteure, hervorgerufen etwa durch Unterschiede in Sozialisation,
Werten oder Bedürfnissen. Mit der Etikettierung eines Patienten als „schwierig” verbaut
sich das psychiatrische Team den Zugang zu einem Verständnis dieser Unterschiedlichkeit.
Die Eigenschaftszuschreibung an den Patienten macht sie zu seinem Problem statt zu
einem gemeinsamen.
Der Begriff „schwieriger Patient” ist aus einem weiteren Grund wenig hilfreich: Ausgehend
von der definitorischen Schwammigkeit bildet er ein Sammelbecken für die verschiedensten
Problemstellungen, die sich aus unterschiedlichsten klinischen, soziodemografischen
und diagnostischen Merkmalen ergeben. Die genannte Fortbildung fasst zwar für den
typischen „schwierigen Patienten” die Merkmale jung, männlich, an Schizophrenie, Persönlichkeitsstörung
des Clusters B, Substanzmissbrauch und / oder hirnorganischer Beeinträchtigung leidend,
impulskontrollgestört, aggressiv und noncompliant zusammen (was an sich schon eine
recht bunte Mischung darstellt), verkennt aber, dass therapeutische Beziehungen im
klinischen Alltag noch sehr viel vielfältiger als „schwierig” erlebt werden – und
teilweise von unterschiedlichen Behandlern und verschiedenen Teams wiederum ganz unterschiedlich.
Manche Therapeuten können histrionische Patienten gut aushalten, andere überhaupt
nicht, kommen dafür aber mit chronischen Schmerzpatienten oder wiederholt rückfälligen
Alkoholpatienten besser zurecht. Chronische Suizidalität oder therapieresistente Depression
sind weitere schwierige Problemstellungen, die bei fehlender Bewusstheit für die eigene
Gegenübertragung und die eigenen Wertvorstellungen als Merkmal „schwierig” dem Patienten
zugeschrieben werden.
Auf den Begriff „schwieriger” Patient sollte auch verzichtet werden, weil er in der
Regel als Etikett haften bleibt, die eigene Haltung rigide werden lässt und der Dynamik
in der Behandlungsbeziehung nicht gerecht wird. So wurden z. B. Patienten mit Borderline-Persönlichkeitsstörung
mancherorts lange pauschal als „schwierig” etikettiert – bis für diese Gruppe Behandlungsstrategien
zur Verfügung standen. Umgekehrt bedeutet die Etikettierung eines Patienten als „schwierig”,
dass man eben (noch) keine Konzepte für seine Behandlung hat. Mit Etikettierung vermeidet
man, die eigenen Grenzen und langwierige, evtl. nicht „heilbare” Krankheitsbilder
zu akzeptieren. Dies aber würde beispielsweise die notwendige Diskussion um die „Chronizität”
psychischer Erkrankungen [6] befördern.
Unter „schwierig” wird in einer zweiten Dimension verstanden, dass ein Patient „Schwierigkeiten
im Sinne ungünstiger Prognose, schlechter Lebensqualität und hoher Komplikationsrate
hat” [1]. Hier benötigt man allerdings den Begriff „schwierig” nun überhaupt nicht. Vielmehr
sollte man die Risikofaktoren, psychosozialen Belastungen usw. konkret benennen. Sie
erschweren zweifellos die Behandlung und sollten zu bescheidenen Therapiezielen veranlassen,
charakterisieren aber wiederum nicht den Patienten selbst, sondern sein Krankheitsbild
bzw. seine Situation.
In einer dritten Dimension werden Patienten als „schwierig” bezeichnet, wenn sie hohe
Kosten verursachen (z. B. als „high utilizer” oder „heavy user”) oder wenn sie Sicherheit
und Ordnung beeinträchtigen [1]. Auch hier scheint es sinnvoller und bringt therapeutisch weiter, wenn man das konkrete
Behandlungsproblem benennt (z. B. hohe Rückfallgefahr, dissoziales Verhalten), als
es hinter einem inhaltsarmen aber stigmatisierenden Begriff von „schwierig” als Eigenschaft
des Patienten zu verwischen.
Realistischerweise müssen wir zugeben, dass wir bei manchen Patienten Schwierigkeiten
mit der Behandlung haben. Die Zementierung des Begriffs „schwieriger” Patient wirft
uns in der Diskussion aber um Jahrzehnte zurück. Schon in den 50er- und 60er-Jahren
wurde zur Reflexion über schwierige Behandlungsbeziehungen aufgerufen [3]. Solange es bei der Etikettierung „schwieriger Patient” bleibt, bleibt die Auseinandersetzung
mit der Gegenübertragung ein Lippenbekenntnis. Balint-Arbeit aber auch empirische
Forschung werden negiert, wie sie z. B. der „Difficult Doctor-Patient Relationship
Questionnaire” [4] im angloamerikanischen Raum erlaubt. Mit diesem Instrument zeigte z. B. eine große
empirische Untersuchung in einer allgemeinmedizinischen Ambulanz [5], dass Ärzte mit einer gering ausgeprägten psychosozialen Haltung 3-mal so viele
Patientenbegegnungen als „schwierig” erlebten als Kollegen mit einer stärkeren psychosozialen
Orientierung. Wir brauchen auch hierzulande mehr derartige Forschung. Damit können
u. a. auch neue praktische Lösungen für typische Probleme „schwieriger” Patienten
wie mangelnde Compliance untersucht werden [7].
Kontra
Wie auch immer bezeichnet: „Schwierige” Patienten existieren!
Die Anführungszeichen im Titel lassen erkennen: Schon der Begriff ist schwierig, möglicherweise
missverständlich – ein besserer wurde bisher nicht gefunden – so bleibt es vorerst
dabei. Im Fortbildungsbeitrag für den „Nervenarzt” [1] ist die Mehrdeutigkeit, auf die es entscheidend ankommt, ausgeführt. Der Patient
„ist” nicht etwa schwierig im Sinne einer ihm zukommenden Eigenschaft, er hat vielmehr
Schwierigkeiten mit seiner Situation, macht Schwierigkeiten im sozialen Umgang und
wird durch unangemessene Wahrnehmung als schwierig empfunden, im schlimmsten Fall
durch unangemessene Reaktion schwierig und schwieriger gemacht. Es handelt sich bei
der Beschreibung also um die Darstellung einer vielfältigen Interaktion zwischen der
betroffenen Person, Krankheit, mikro- und makrosozialen Bedingungen und Reaktionen
des Hilfesystems.
Eine Gruppe, die unter den beschriebenen Bedingungen als „schwierig” zu bezeichnen
ist, lässt sich mit hinreichender Deutlichkeit hinsichtlich Psychopathologie, Verhaltensmerkmalen
und Inanspruchnahme psychiatrischer und allgemeiner sozialer Hilfen sowie deren Erfolgsprognose
beschreiben [8]
[9].
Die Anerkennung und Beschreibung schwieriger Verhältnisse von und mit einzelnen Patientinnen
und Patienten trägt zur Ehrlichkeit der Kommunikation und zur Entlastung der psychiatrisch
Tätigen bei: Misserfolge in der Behandlung und „besondere Vorkommnisse” sind nicht
immer auf Unvermögen und Versagen des Hilfesystems zurückzuführen, sondern haben möglicherweise
beschreibbare Gründe, die zu innovativen Lösungen herausfordern.
Zielrichtung des Beitrages und der dahinter liegenden Überlegungen ist im Wesentlichen
zweierlei: Die Schärfung des Blickes der für die psychiatrische Versorgung Verantwortlichen
und der dort Tätigen für die Probleme derjenigen Nutzer des Systems, die mit dem Routinebetrieb
kaum oder nicht erreichbar sind und deshalb gerne und in Zeiten zunehmender Ökonomisierung
zunehmend als nicht therapierbar ausgestoßen und vernachlässigt werden, mit der Folge
der Verschlimmerung des Problems und ggf. der Forensifizierung. Das Konzept weist
„schwierige Patienten” auf die Verantwortung des Hilfesystems für diese Gruppe und
auf die Notwendigkeit der Bereithaltung geeigneter Strukturen hin. Unter diesem Motto
stand die für den Beitrag namengebende Veranstaltung der Bundesdirektorenkonferenz
1997 [10].
Andererseits fordert die Anerkennung von Schwierigkeiten mit und durch Patienten,
die mit den gängigen Standards der Behandlung nicht angemessen erreicht werden können,
zum Querdenken, zu neuer Betrachtung des Problems und zu innovativen Lösungen heraus.
Forschungsbedarf wird deutlich. Gewohnte Denkstrukturen und Umgangsmuster werden aufgebrochen.
Sollen auch „schwierige” Patienten in das normale Lebensfeld integriert werden, bedarf
dies besonderer Anstrengungen und aufwendiger, aber auch flexibler Lösungen. Die Beschreibung
von Schwierigkeiten kann dazu eher beitragen als deren Negierung.
Nicht beabsichtigt mit der Zuschreibung von Schwierigkeiten sind das Aufkommen von
Fatalismus und Hoffnungslosigkeit oder eine neue Stigmatisierung. Gerade der alltagssprachliche
Begriff des „Schwierigen” ist aber deutlich weniger stigmaträchtig, als dies vorurteilsbeladene
diagnostische Zuordnungen häufig in der öffentlichen Wahrnehmung sind.
Schwierigkeiten sind dazu da, um überwunden zu werden. Die Beschreibung schwieriger
Patienten und schwieriger Verhältnisse, in denen sie leben, setzt Anreize zur Lösung.
Die gegenwärtige Versorgungssituation ist dadurch gekennzeichnet, dass leicht erkrankten,
gut angepassten und in keiner Weise schwierigen Patienten tendenziell weit größere
Ressourcen zur Verfügung stehen, als gerade den am stärksten Hilfebedürftigen. Es
müssen Anreize geschaffen werden – ideologisch wie ökonomisch – damit die psychiatrisch
Tätigen sich gerade den Schwierigsten gezielt zuwenden.