In jedem Medizinerleben gibt es Schlüsselsituationen, die ihn prägen. Der Moment,
wenn erstmals ein Patient stirbt, gehört sicher dazu. Für mich war das in meinem PJ-Tertial
in der Pneumologie. Die Patientin litt an einem Bronchialkarzinom. Ein Lungenflügel
war schon entfernt, im anderen drückte eine Metastase kräftig auf den Hauptbronchus.
Sie war kurzatmig, ihre Finger waren lehrbuchartig zu Trommelschlegeln verformt. Doch
sie lachte, war guter Dinge und hoffte auf die Bestrahlungen. Als ich tags darauf
die Station betrat, war sie tot: Ich war fassungslos. Wie konnte das passieren? Doch
mein Stationsarzt Christoph schüttelte nur müde den Kopf, als ich ihn drauf ansprach.
Nie vergesse ich seine Worte: „Glaub mir: Medizin kann viel. Aber sie kann sehr viel
weniger, als sie selbst manchmal glaubt.”
In diesem Heft geben wir Ihnen zahlreiche Beispiele für die Macht der Medizin – aber
auch für ihre Ohnmacht: Plastische Chirurgen können Männern, die als Frau geboren
werden, heutzutage das ersehnte miktions- und erektionsfähige „Organ” formen (S. 40). Auf der anderen Seite sind Transplanteure zur Untätigkeit verdammt, wenn ihnen
keine Spenderorgane zur Verfügung stehen (S. 28). In den Kühlschränken der toxikologischen Institute in Deutschland liegen Antivena
gegen jede nur denkbare Giftschlange – doch wenn jemand mit einem infizierten Katzenbiss
zu spät zum Arzt geht, kann ihm unter Umständen alle Hightechmedizin dieser Welt nicht
mehr helfen (S. 30). Neonatologen können extremen Frühchen heute sehr gut den Weg ins Leben ebnen. An
einer naturgegebenen Grenze können aber auch sie nicht rütteln: Babys, die vor der
22. Schwangerschaftswoche auf die Welt kommen, sterben – außerhalb des Mutterbauchs
können sie nicht überleben (S. 44).
Besonders häufig stößt man an Grenzen, wenn man in der Not- oder Entwicklungshilfe
arbeitet. In unserem Titelthema „Traumjob oder Albtraum” erzählen sechs Mediziner,
die bei Hilfsorganisationen wie „Ärzte ohne Grenzen” arbeiten, was sie motiviert –
aber auch wie sie damit umgehen, angesichts mangelnder Ressourcen häufig machtlos
zu sein (S. 8). Unsere Interviewpartnerin Dr. Monika Hauser, Trägerin des Alternativen Nobelpreises
und Gründerin der Frauenhilfsorganisation medica mondiale, rät: „Man braucht Improvisationstalent, Frustrationstoleranz – und die Fähigkeit,
abschalten zu können.” Ein kluger Tipp! Vor allem die dritte Eigenschaft. Ab und zu
mal abschalten, die Berufung vergessen und einfach „nur Mensch” sein, ist für Mediziner
geradezu überlebenswichtig – nicht nur in der Entwicklungshilfe. Auch im heimischen
Klinikum. Auch im Studium!
In diesem Sinne: Ich wünsche Ihnen einen guten Sommer!
Ihr
Dr. med. Dieter Schmid, Redaktionsleitung