Ein bedeutsames und unter den Teilnehmern intensiv diskutiertes Thema auf dem "World
Congress of Nephrology" (WCN) 2009 Ende Mai in Mailand war die selektive VDR-Aktivierung
(VDR: Vitamin-D-Rezeptor) und ihre positiven Effekte, insbesondere hinsichtlich der
Kardio- und Renoprotektion. Drei international renommierte Experten, Prof. Eduardo
Slatopolsky (USA), Prof. Illka Pörsti (Finnland) und Prof. Bruce Hendry (Großbritannien),
gaben im Rahmen eines Symposiums der Firma Abbott auf dem WCN ein Update.
Das gesamte therapeutische Spektrum der VDR-Aktivierung nutzen
Das gesamte therapeutische Spektrum der VDR-Aktivierung nutzen
Wie Prof. Eduardo Slatopolsky (USA) ausführte, spielt das endokrine System eine gewichtige
Rolle für den Mineralstoffmetabolismus, und zwar über die Aktivierung des Vitamin-D-Rezeptors.
Doch neben diesem "klassischen" Effekt der VDR-Aktivierung, der sich vor allem in
der Kontrolle der Nebenschilddrüsenfunktion und somit des Knochenstoffwechsels äußert,
hat die VDR-Aktivierung auch "nicht klassische" Effekte, wie etwa auf Zellwachstum
und -differenzierung, auf die Immunmodulation, auf entzündliche Fibrosierungsprozesse
sowie auch auf das kardiovaskuläre System.
Daher werden VDR-Aktivatoren nicht allein zur Therapie des sHPT (sekundärer Hyperparathyreoidismus)
eingesetzt, sondern zunehmend auch als therapeutische Möglichkeiten bei verschiedenen
Immunerkrankungen, bei kardiorenaler Dysfunktion, bei Störungen der Proliferation
sowie sogar bei malignen Neoplasien erwogen. Für Menschen mit chronischer Nierenerkrankung
ist der kardiorenale Effekt der VDR-Aktivierung bedeutsam, allerdings konnte er bis
dato nur unzureichend ausgeschöpft werden. Therapeutisch effektive Dosen von Vitamin-D-Präparaten
wie Calcitriol erhöhen die intestinale Kalzium- und Phosphatabsorption und können
so gefährliche Hyperkalzämien und -phosphatämien verursachen. Mit Paricalcitol als
selektivem VDR-Aktivator kann jedoch das gesamte therapeutische Spektrum der VDR-Aktivierung
ausgenutzt werden, da es bei stärkerer Wirksamkeit die Kalzium- und Phosphatspiegel
nur in einem sehr geringen Maße beeinflusst (Abb. [1]).
Abb. 1 Strukturformel von Paricalcitol.
Zellmolekulare Mechanismen der VDR-Aktivierung
Zellmolekulare Mechanismen der VDR-Aktivierung
Generell funktioniert die VDR-Aktivierung durch Vitamin D und Paricalcitol auf molekularer
Ebene unterschiedlich: Die Selektivität von Paricalcitol resultiert aus seiner Art
der Interaktionen mit dem Vitamin-D-Rezeptor im Zellkern. Die Bindungsaffinität eines
VDRA (Vitamin-D-Rezeptor-Aktivator) zum Rezeptor per se gestattet jedoch keine Vorhersage
darüber, in welchem Ausmaß dieser Ligand-Rezeptor-Komplex (VDRA-VDR) die Transkriptionsaktivität
im Zellkern beeinflusst.
Neue Erkenntnisse über Interaktionen des VDR mit Zellkernmolekülen, die als Koregulatoren
funktionieren, geben erste Einblicke in positive und negative Modulationsprozesse,
welchen die VDR-vermittelte Transkription unterliegt. Zwei Domänen des VDR dienen
als Ankopplungsareal für bestimmte Zellkernproteine, die in der Interaktion des VDR
mit seinen Koregulatoren benötigt werden. Eine davon entsteht durch die Heterodimerisierung
des VDR mit dem RXR (= Retinoid-X-Rezeptor), die zweite ist die sogenannte AF-2-Domäne,
die sich am C-terminalen Ende des VDR-Proteins befindet.
Diese AF-2-Domäne erfährt durch die Bindung des Liganden (VDRA) an den Rezeptor (VDR)
eine extreme stereochemische Konformationsänderung, wodurch weitere, mit dem VDR interagierende
Proteine in den Vorgang einbezogen werden. Unter diesen befinden sich auch solche
Transkriptions-Koaktivatoren, welche die Gentranskription modulieren, wie Slatopolsky
erklärte. Somit bestimmt die Struktur des Liganden (Paricalcitol oder Vitamin D),
welche Gene abgelesen werden.
Kardio- und renoprotektive Effekte von Paricalcitol
Kardio- und renoprotektive Effekte von Paricalcitol
Als Resultat dieser unterschiedlichen zellmolekularen Prozesse ist mit dem selektivem
VDRA (Paricalcitol) im Gegensatz zu Vitamin D eine signifikante sHPT-Kontrolle bei
lediglich insignifikanten Veränderungen im Serum-Kalziumphosphat möglich, wie bereits
Brown et al. [1] 2002 tierexperimentell gezeigt haben. Generell wird die erhöhte Kalziumabsorption
unter VDRA der vermehrten Expression des Kalziumtransporters CaT1, des kalziumbindenden
Proteins Calbindin D9k und schließlich der "Kalziumpumpe" PMCA1 zugeschrieben.
Die Autoren beschreiben jedoch unter Paricalcitol eine geringere Expression dieser
3 Proteine als unter Vitamin-D-Therapie. Slatopolsky vermutet darin den Grund für
die verschiedenen positiven Effekte von Paricalcitol. Denn nach Cardús et al. [2] schreitet die Verkalkung der glatten Gefäßmuskelzellen (VSMCs: "vascular smooth
muscle cells") unter Therapie mit Paricalcitol kaum voran, wohl aber unter Vitamin-D-Therapie.
Darüber hinaus hat Paricalcitol offensichtlich auch kardioprotektive Eigenschaften.
Bodyak et al. [3] dokumentierten im Tiermodell eine signifikante Abnahme der diastolischen Dysfunktion
sowie der linksventrikulären Hypertrophie unter Therapie mit Paricalcitol. Laut Slatopolsky
liegt die Ursache dafür in der Verminderung von myokardialem oxidativem Stress unter
Paricalcitol-Therapie. Auch ist ein renoprotektiver Effekt von Paricalcitol bekannt:
Agarwal et al. [4] beschrieben eine Abnahme der Proteinurie durch die Therapie mit Paricalcitol Kapseln
in den chronisch Niereninsuffizienz Stadien 3 und 4 (CKD: "chronic kidney disease").
Diese Ergebnisse wurden kürzlich in einer prospektiven, randomisierten Pilotstudie
bestätigt [5]. Tan et al. [6] zeigten im Tiermodell unter Therapie mit Paricalcitol eine Verminderung der renalen
intestinalen Fibrose durch Suppression der TGF-beta1-Expression (TGF: "tumor growth
factor").
Diese kardio- und renoprotektiven Effekte von Paricalcitol können durch die zusätzliche
Gabe von Enalapril noch verstärkt werden, wie die Arbeitsgruppe um Slatopolsky in
einer jüngst veröffentlichten Studie [7] darlegte. Sowohl Paricalcitol als auch der ACE-Hemmer (ACE: "angiotensin converting
enzyme") schützten in Monotherapie gegen den oxidativen Stress bei Urämie, noch effektiver
ist jedoch die Kombinationstherapie. Slatopolsky schlussfolgerte daher, dass die Gabe
von Paricalcitol in Kombination mit ACE-Hemmern oder Angiotensin-Rezeptorblockern
eine effektive therapeutische Strategie in der nahen Zukunft sein könnte, um die Progression
der chronischen Nierenerkrankung zu hemmen.
Besonders sinnvoll bei kardiorenalem Syndrom und diabetischer Nephropathie
Besonders sinnvoll bei kardiorenalem Syndrom und diabetischer Nephropathie
Laut Prof. Illka Pörsti (Finnland) ist der kardio- und renoprotektive Effekt von Paricalcitol
besonders für Patienten mit kardiorenalem Syndrom (CRS: "cardiorenal syndrome") Typ
4 von Bedeutung. Das sind die Patienten, die in Folge der chronischen Nierenerkrankung
ein deutlich erhöhtes kardiovaskuläres Risikoprofil entwickelt haben (Typeneinteilung
bei CRS siehe [8]) und daher besonders von einer RAAS-Suppression (RAAS: Renin-Angiotensin-Aldosteron-System)
profitieren.
Heutzutage besteht ein Konsens darüber, dass die VDR-Aktivierung als ein negativer
endokriner Regulator des RAAS-Systems anzusehen ist. Resnick et al. [9] zeigten bereits 1986, dass niedrige endogene Calcitriolspiegel mit einer hohen Plasma-Renin-Aktivität
korrelieren. Durch die Therapie mit Paricalcitol wird das RAAS-System hingegen supprimiert.
Wie Freundlich et al. [10] am 5/6-Nephrektomiemodell nachwiesen, kommt es unter Paricalcitol bereits nach 7
Wochen zu einer deutlichen Senkung (um 30-50 %) von Angiotensinogen, Renin und Reninrezeptordichte,
AT-1 (Angiotensin-II-Rezeptor-Subtyp-1), sowie VEGF ("vascular endothelial growth
factor"). Ähnlich verbesserten sich glomeruläre und tubulointerstitielle Schäden,
Hypertonus, Proteinurie und Nierenfunktion.
Zhang et al. [11] zeigten eindrucksvolle Ergebnisse bei diabetischer Nephropathie (im "Streptozotocin-Modell"):
Durch die Kombination von Losartan und Paricalcitol ist die Effektivität der RAS-Blockade
(RAS: Renin-Angiotensin-System) derart gesteigert, dass die fortschreitende diabetische
Nierenschädigung wirksam aufgehalten werden konnte. Die Forscher erklären dies durch
das Ausbleiben des kompensatorischen Reninanstiegs, zu dem es unter alleiniger RAS-Blockade
ohne gleichzeitige VDR-Aktivierung kommt. Die Kombination von Losartan und Paricalcitol
verhinderte die Albuminurie vollständig und reduzierte die Glomerulosklerose deutlich.
Fibronektin, TGF-beta, MCP-1 und die Angiotensin-II-Bildung gingen zurück und Proteine
der glomerulären Schlitzmembran (Nephrin, Neph-1, ZO-1, alpha-Aktinin-4) wurden wieder
verstärkt gebildet, was zur Wiederherstellung der Barrierefunktion der glomerulären
Basalmembran führte.
Paricalcitol: zwar VDR-aktivierend, aber kein Vitamin-D-Analogon
Paricalcitol: zwar VDR-aktivierend, aber kein Vitamin-D-Analogon
Pörsti verwies außerdem darauf, dass Paricalcitol kein Vitamin-D-Analogon ist, denn
im Gegensatz zu Calcitriol ist Paricalcitol weder ein 1,25-Vitamin-D3, noch wird es wie beispielsweise Alfacalcidol oder Doxercalciferol zu 1,25-Vitamin
D3 umgewandelt. Stattdessen zeigte sich in Studien - präklinisch [12] wie auch klinisch [13] - eine signifikante Senkung der endogenen 1,25-Vitamin-D-Spiegel unter Paricalcitol.
Deshalb hat die Kommission der WHO ("World Health Organization"), die sich für die
Einordnung und Kategorisierung von Medikamenten verantwortlich zeichnet ("WHO International
Working Group for Drug Statistics Methodology"), im Oktober letzten Jahres eine Neueinordnung
des Präparates veranlasst.
Nunmehr findet man Paricalcitol nicht in der Gruppe "Vitamin D und Analoga" sondern
in der Gruppe "Andere Agenzien zur PTH-Kontrolle ("other anti-parathyroid agents")".
So werden beispielsweise auch durch die VDR-Aktivierung mit Paricalcitol ganz andere
Gene in glatten Gefäßmuskelzellen aktiviert und deaktiviert als mit Calcitriol [14], wie Pörsti ausführte. Mit dem unterschiedlichen Genaktivierungsprofil sei letztendlich
auch erklärbar, warum beide Präparate in der retrospektiven Outcomestudie von Teng
[15] hinsichtlich der Mortalität unterschiedlich abschnitten (2-Jahres-Überleben von
73 versus 64 %), zumal der Überlebensbenefit von Paricalcitol unabhängig von Serumkalzium-
und Serumphosphatwerten sowie dem PTH-Spiegel (PTH: Parathormon) nachgewiesen wurde.
Es müssen also substanzeigene Effekte zum Tragen kommen, die über die PTH-Senkung
unter Beibehaltung von stabilen Kalzium- und Phosphatspiegeln hinausgehen.
Große Humanstudien zur renokardialen Protektion bereits begonnen
Große Humanstudien zur renokardialen Protektion bereits begonnen
Wie Prof. Bruce Hendry (UK) betonte, gilt es nun vor dem Hintergrund der vorliegenden
vielversprechenden, zumeist jedoch tierexperimentellen Ergebnisse, die Therapien klinisch
zu validieren. So werden die im Juli 2008 bzw. Februar 2007 begonnenen PRIMO- und
VITAL-Studien mit größtem Interesse erwartet. Die PRIMO-Studie ist eine prospektive,
randomisierte, doppelblinde, placebokontrollierte Interventionsstudie in Phase II,
die als primären Endpunkt die linksventrikuläre Hypertrophie (kernspintomografische
Änderung des "left ventricular mass index") hat. Sekundäre Endpunkte sind die diastolische
Herzfunktion und die Inflammationsparameter IL-6 (IL: Interleukin), hsCRP (hochsensitives
C-reaktives Protein), Troponin-T, BNP ("B-type natriuretic peptide") und T3 (Trijodthyronin).
Es sollen 220 Patienten aus 75 Zentren weltweit mit einer eGFR (glomeruläre Filtrationsrate)
von 15-60 ml/min/1,73 m2 eingeschlossen werden. Sie erhalten entweder 2 mg Paricalcitol täglich oder ein Placebo
und werden über 48 Wochen beobachtet.
In der Interventionsstudie VITAL wird der Effekt von Paricalcitol auf renale Parameter
bei diabetischer Nephropathie prospektiv, randomisiert, doppelblind und placebokontrolliert
untersucht (Abb. [2]; [16]). Auch sie befindet sich in Phase II und besitzt Paralleldesign. Primärer Endpunkt
ist die prozentuale Änderung der Albuminurie (UACR: "urine albumin-to-creatinine-ratio")
vom Studienbeginn bis 24 Wochen danach. Eingeschlossen werden 281 Typ-2-Diabetiker
aus 60 Zentren weltweit mit einer eGFR von 15-90 ml/min/1,73 m2, initialer UACR von 100-3 000 mg/g und einen PTH von 35-500 pg/ml, alle erhalten
eine AT-1-/ACE-Hemmung. Randomisiert wird in 3 Gruppen: Placebo, 1 µg oder 2 µg Paricalcitol
pro Tag. Sekundäre Endpunkte sind das Serumalbumin, die Insulinresistenz, Aldosteron,
BNP, Inflammationsmarker, HbA1c, der Nüchternblutzucker und der Lipidstatus.
Abb. 2 Design der VIAL-Studie.
Diese beiden Studien werden den Stellenwert der VDR-Aktivierung mit Paricalcitol abschließend
klären und zeigen, bei welchen Patientengruppen diese Therapie standardmäßig zum Einsatz
kommen sollte. Bestätigen sich die bisherigen Ergebnisse, wird Paricalcitol aufgrund
seiner kardio- und renoprotektiven Eigenschaften besonders in der Therapie von Patienten
mit kardiorenalem Syndrom sowie von Patienten der chronische Niereninsuffizienz Stadien
3 und 4 eine wichtige Rolle spielen.
Dr. Bettina Albers, Weimar
Dieser Beitrag entstand mit freundlicher Unterstützung der Abbott GmbH, Ludwigshafen
Die Beitragsinhalte stammen vom Symposium "Changing the paradigm: selective VDR activation
& the cardio-renal syndrome" im Rahmen des "World Congress of Nephrology" in Mailand,
veranstaltet von der Abbott GmbH, Ludwigshafen, und wurden von Frau Dr. Albers (Medizinjournalistin)
zusammengestellt
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