Zeitschrift für Klassische Homöopathie 2011; 55(1): 19-27
DOI: 10.1055/s-0029-1242607
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Paradigmenkrise in der Homöopathie (II): Wissenschaftsbegriff der Homöopathie und neue Strömungen

Wolfgang Würger
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Publication Date:
31 March 2011 (online)

Zusammenfassung

Die Herausforderung, die durch die Neuen Strömungen an die Homöopathie ergeht, zwingt sie, sich auf ihre wissenschaftlichen Grundlagen zu besinnen. Die wissenschaftstheoretische Klärung leitender Begriffe wird ihr gleichzeitig helfen, ihre Position gegenüber der naturwissenschaftlichen Medizin deutlicher zu markieren.

Summary

Challenged by New Trends we enface the necessity to reflect on the rational fundaments of our science. This will strengthen us to assert our scientific position against the absolute claims of natural science medicine.

Literatur

  • 01 Friedrich U. Editorial.  ZKH. 2007;  50 (3) 99
  • 02 Habich K, Kösters C, Rohwer J. Magie oder Wissenschaft? Eine Debatte um die Grundlagen der Homöopathie.  AHZ. 2003;  248 73-86
  • 03 Hering C. [Medizinische Schriften] Herings medizinische Schiften. 3 Bde, hrsg. von K-H Gypser. Göttingen: Burgdorf: Verlag für Homöopathische Literatur; 1988
  • 04 Jeutter R. Rationalität und Homöopathie – Bestandsaufnahme in stürmischen Zeiten.  Homöopathie Konkret. 2009;  2 (1) 53-61
  • 05 Kuhn T S. Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen. Frankfurt a. M.: Suhrkamp; 1988
  • 06 Nager F. Intuition in der Medizin.  AHZ. 2007;  252 161-168
  • 07 Naumann J, Walach H. Entwicklung ist nötig – Antwort auf ein Manifest.  AHZ. 2003;  248 93-94
  • 08 Popper K. Logik der Forschung. 9 verb. Auflage Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck); 1989
  • 09 Saine A. Homöopathie oder nicht Homöopathie – wo ziehen wir die Trennlinie?.  AHZ. 2003;  248 57-72
  • 10 Sankaran R. The Spirit of Homoeopathy. Bombay: Homoeopathic Medical Publishers; 1994
  • 11 Sankaran R. The Substance of Homoeopathy. Bombay: Homoeopathic Medical Publishers; 1997
  • 12 Sankaran R. Die Empfindung in der Homöopathie. Mumbai: Homoeopathic Medical Publishers; 2006
  • 13 Scholten J. Homöopathie und Minerale. Utrecht: Stichting Alonnissos; 1993
  • 14 Scholten J. Homöopathie und die Elemente. Utrecht: Stichting Alonnissos; 1997
  • 15 Seghal M L. Wiederentdeckung der Homöopathie. 3 Bde. Worpswede: Eva Lang Verlag; 2004
  • 16 Seiffert H. Einführung in die Wissenschaftstheorie. Bd. 1. München: C. H. Beck; 1975
  • 17 Vithoulkas G. Sind die jüngsten Angriffe der Medien auf die Homöopathie gerechtfertigt? Eine Streitschrift.  ZKH. 2009;  53 (1) 4-8
  • 18 Weber M. Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre. Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck); 1988
  • 19 Wichmann J. Homöopathie – Wissenschaft und Magie.  AHZ. 2003;  248 95-100
  • 20 Wittgenstein L. Über Gewißheit. Werkausgabe. Bd. 8. Frankfurt a. M.: Suhrkamp; 1990
  • 21 Würger-[Donitza] W. Rationalitätsmodelle und ihr Zusammenhang mit Leben und Tod. Würzburg: Königshausen & Neumann; 1996
  • 22 Würger-[Donitza] W. Paradigmata in der wissenschaftlichen Medizin. Wissenschaftstheoretische und philosophische Überlegungen.  Würzburger medizinhistorische Mitteilungen. 1999;  18 511-524
  • 23 Würger W. Bemerkungen zu Homöopathie, Miasmen und Krebs.  ZKH. 2008;  52 (3) 116-121
  • 24 Würger W. Paradigmenkrise in der Homöopathie (I): Homöopathische Medizin und naturwissenschaftliche Rationalität.  ZKH. 2009;  53 (3) 143-149
  • 25 Würger W. Zum wissenschaftlichen Status der Homöopathie. [Manuskript]

Anmerkungen

01 Die Neuen Strömungen in der Homöopathie zeigen ein diversifiziertes Bild und bilden noch kein fest gefügtes, gemeinsames Paradigma, weshalb man bei ihnen eher von gemeinsamen paradigmatischen Vorstellungen oder Überzeugungen sprechen sollte. Aufgrund wesentlicher Gemeinsamkeiten in diesen Vorstellungen mag es erlaubt sein, sie, ohne die Unterschiede zwischen ihnen nivellieren zu wollen, summarisch unter einem Allgemeinbegriff zusammenzufassen.

02 Vgl. den Bericht von Ralf Jeutter [4: 54] über die Situation in England.

03 Der noch immer in der Homöopathie kursierende Begriff der apriorischen Heilungsgewissheit ist in diesem Zusammenhang dringend revisionsbedürftig. Als polemischer Begriff in der Auseinandersetzung Hahnemanns mit der zeitgenössischen Schulmedizin mochte er seine Berechtigung gehabt haben. Als wissenschaftlicher Begriff unserer Tage ist er nicht aufrechtzuerhalten. Mir ist keine wissenschaftstheoretische Strömung bekannt, die in den letzten sechzig Jahren noch erfolgreich versucht hätte, einen epistemologischen Gewissheitsbegriff zu konstruieren, für den man die Möglichkeit einer Letztbegründung unterstellen muss, die wissenschaftstheoretisch als schlüssig widerlegt zu betrachten ist. Ganz zum Gegenteil müssen sich diejenigen bemühen, denen man zeitweise ein solches Ansinnen unterstellt hat – wie etwa der konstruktiven Wissenschaftstheorie –, derlei Verdachtsmomente zu zerstreuen.

04 Meine Kritik an Hering ist hier als historische zu verstehen. Man muss seine Äußerungen im Rahmen der Wissenschaftsgeschichte seiner Zeit sehen, einer Zeit, als die naturwissenschaftliche Sichtweise noch unbestreitbare Autorität beanspruchen durfte. Und die Äußerungen Herings, die die Homöopathie als Naturwissenschaft sehen wollen, atmen ganz den Geist der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die Selbstreflexion der Wissenschaften in der Wissenschaftstheorie war damals noch nicht so weit gediehen, um diese irrtümliche Zuordnung, die Verwechslung der Begriffe von induktiv und empirisch, die im naturwissenschaftlichen Verständnis der Zeit mehr oder weniger zusammenfielen, auflösen zu können.

05 Zur Diskussion dieser Problematik s. auch [23]. Weitere Literatur zur Thematik ist dort aufgeführt.

06 Der gleiche Fehler unterläuft, nebenbei bemerkt, auch Frank Nager [6] in seinem Artikel zum Intuitionsbegriff.

07 Wie so etwas geht, demonstriert uns Georg Ivanovas, indem er in naturwissenschaftlicher Absicht die Hand an das tragende Hahnemann'sche Konzept der Lebenskraft legt und es durch systemtheoretische Konstruktionen ersetzen möchte; vgl. dazu meine Kritik [25].

Dr. Wolfgang Würger

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