Bild: Thieme Verlagsgruppe (Karl H. Wesker)
Mehr als die Hälfte aller hierzulande lebenden Erwachsenen wird jedes Jahr von Rückenschmerzen
geplagt. Rund 20 % der Frauen und 15 % der Männer haben sogar chronische Rückenschmerzen,
die definitionsgemäß beinahe täglich auftreten und länger als 3 Monate anhalten. Am
häufigsten konsultieren die Betroffenen Orthopäden und Chirurgen. Doch auch bei Allgemeinärzten
und hausärztlich tätigen Internisten sind Rückenschmerzen immer ein Thema, sind sie
doch in der Hausarztpraxis der vierthäufigste Grund für eine Konsultation, berichtete
Prof. Thomas Kohlmann, Greifswald.
Enorme volkswirtschaftliche Kosten
Enorme volkswirtschaftliche Kosten
Laut Statistischem Bundesamt verursachten Dorsopathien im Jahr 2006 Therapiekosten
von 8,3 Milliarden Euro und kommen uns damit ebenso teuer wie die antihypertensive
Therapie. Insgesamt summieren sich die direkten und indirekten Kosten der "Volkskrankheit"
Rückenschmerzen pro Jahr auf bis zu 20 Milliarden Euro.
"Wir brauchen damit auch eine Deutsche Gesellschaft für Rückenschmerzen", forderte
Kohlmann. Besonders kostenträchtig sind laut Kohlmann und Christina Wenig, Greifswald,
neuropathische Schmerzen höherer Schweregrade. Solche Schmerzen mit neuropathischer
Komponente machen etwa ein Zehntel aller Dorsopathien aus. Werden sie entsprechend
den Leitlinien effektiv behandelt, lassen sich deutlich Kosten einsparen.
Wissenschaftliches Tool für die tägliche Praxis
Wissenschaftliches Tool für die tägliche Praxis
Dabei ist es für das therapeutische Prozedere entscheidend, ob ein nozizeptiver Schmerz
oder ein Schmerzsyndrom mit neuropathischer Komponente vorliegt - eine nicht immer
ganz einfachere Differenzierung. Einfacher kann man es sich machen, wenn man sich
zum Screening des mittlerweile weltweit verbreiteten painDETECT®-Fragebogens bedient.
Dieses internationale wissenschaftliche Tool ist auf die tägliche Praxis zugeschnitten
und hilft auch "fachfremden" Ärzten konkrete Indizien für mögliche Neuropathien schnell
zu identifizieren: Ergibt der Fragebogen, mit dem sich 4 verschiedene Schmerzmuster
spezifizieren lassen, einen Score von 19 Punkten und mehr, existiert bei Patienten
mit chronischen Rückenschmerzen mit mehr als 90 %iger Wahrscheinlichkeit eine neuropathische
Schmerzkomponente, erklärte PD Rainer Freynhagen, Tutzing.
Bereits seit 10 Jahren gibt es das painDETECT-Projekt, das initiiert wurde, um Informationen
über Häufigkeit und Schweregrad (neuropathischer) Schmerzen bei verschiedenen Erkrankungen
zu gewinnen. Weil er sich einfach und dennoch vielseitig einsetzen lässt, haben zahlreiche
Praxen und Kliniken den Fragebogen als Standardtool zur Datenerhebung und Qualitätssicherung
implementiert. Das Resultat ist eine der weltweit umfangreichsten epidemiologischen
Schmerzdatenbanken mit einer Vielzahl von Daten zu Schmerzlokalisation, Schmerzverlauf
sowie Komorbiditäten wie Depression, Angst- oder Schlafstörungen.
Wenn nozizeptive und neuropathische Schmerzen nebeneinander bestehen
Wenn nozizeptive und neuropathische Schmerzen nebeneinander bestehen
Lokalisierte Schmerzen im Rückenbereich werden zwar als nozizeptive Schmerzen eingestuft.
Strahlen die Schmerzen auch in die Extremitäten aus, ist jedoch vermutlich zusätzlich
eine neuropathische Komponente mit im Spiel. "Dieses Nebeneinander von nozizeptiven
und neuropathischen Schmerzanteilen bezeichnet man als Mixed-Pain-Syndrom", sagte
Prof. Ralf Baron, Kiel. In einer painDETECT-Studie ließ sich nachweisen, dass bei
mehr als einem Drittel der 8000 Teilnehmer mit Rückenschmerzen eine signifikante neuropathische
Komponente vorhanden war.
Verantwortlich gemacht für die radikuläre Ausstrahlung von Rückenschmerzen wird die
mechanische Kompression einer Nervenwurzel, etwa infolge eines Diskusprolapses oder
eines Postdiskektomiesyndroms. Dass es sich dabei um einen neuropathischen Schmerzanteil
handeln muss, zeigen die Erfolge der operativen Dekompression bei einem Großteil der
Patienten. Dennoch findet sich in der Bildgebung häufig kein strukturelles Korrelat,
das die Nervenwurzel komprimiert, obwohl der Patient sämtliche Symptome einer Radikulopathie
aufweist. Das trifft vor allem auf Patienten mit chronischen Lumboischialgien zu.
Außer der mechanischen Kompression tragen damit wohl noch andere neuropathische Schmerzmechanismen
zur Symptomatik einer Radikulopathie bei. Auch der Anteil neuropathischer Komponenten
am Schmerzgeschehen unterscheidet sich von Fall zu Fall. "Die quantitative Abschätzung
der beteiligten Schmerzmechanismen ist allerdings wesentlich, da die neuropathische
Schmerzkomponente im Gegensatz zu den nozizeptiven Schmerzen einer völlig anderen
Therapie bedarf", gab Baron zu bedenken.
Analgetika gezielt einsetzen
Analgetika gezielt einsetzen
So sind nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR), die beim nozizeptiven Schmerz zu den
First-line-Medikamenten zählen, beim neuropathischen Schmerz wenig hilfreich. Hier
kommen vielmehr die sogenannten Koanalgetika, wie Antidepressiva und Antikonvulsiva
wie Pregabalin (Lyrica®) sowie Opioide in Betracht. Den Effekt von Pregabalin in dieser
Situation zeigt beispielsweise eine Studie von Mallison et al. Hier wurden 4271 Patienten
mit neuropathischen Rückenschmerzen 6 Wochen lang mit dem Antikonvulsivum therapiert.
Dabei zeigte sich auf einer visuellen Analogskala eine Schmerzreduktion um 58 %.
Karl Filip, Landsberg am Lech
Quelle: Pressekonferenz "Schmerzen kosten nicht nur Nerven - Neueste Daten zur differenzierten
und ökonomischen Bewertung und Therapie von chronischen Schmerzpatienten" anlässlich
des Deutschen Kongresses für Orthopädie und Unfallchirurgie (DKOU) 2009; Veranstalter:
Pfizer Pharma GmbH, Berlin