Fragestellung
Fragestellung
In den drei sogenannten-CLOTS-Studien (Clots in Legs Or sTockings after Stroke) untersuchen
Forscher den Zusammenhang von Beinvenenthrombosen und Kompression. Die CLOTS I-Studie
geht der Frage nach, ob Kompressionsstrümpfe das Risiko senken, dass Patienten in
der Akutphase nach Schlaganfall an einer tiefen Beinvenenthrombose erkranken.
Hintergrund
Hintergrund
Nach einem Schlaganfall erleiden die Betroffenen häufig tiefe Beinvenenthrombosen
und Lungenembolien. In kleineren Studien konnten Wissenschaftler zeigen, dass Kompressionsstrümpfe
das Thromboserisiko der Patienten senken können. Aus diesem Grund gibt es in manchen
Leitlinien die Empfehlung, Patienten nach einem Schlaganfall Kompressionsstrümpfe
zu verordnen. Die Evidenz für diese Empfehlung ist nach Meinung einiger Forscher jedoch
unzureichend. Diese Studie untersuchte, ob es sinnvoll ist, Patienten nach Schlaganfall
routinemäßig mit Kompressionsstrümpfen zu versorgen.
Einschlusskriterien
Einschlusskriterien
In die Studie eingeschlossen waren Patienten, die einen ischämischen Schlaganfall
erlitten hatten. Die Probanden konnten nicht alleine zur Toilette gehen und hatten
eine Einwilligungserklärung unterschrieben. Die Aufnahme in die Studie erfolgte innerhalb
der ersten Woche im Krankenhaus. Insgesamt 64 Krankenhäuser in Großbritannien, Italien
und Australien nahmen an der Untersuchung teil.
Ausschlusskriterien
Ausschlusskriterien
Ausgeschlossen waren Patienten mit einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit
oder einer diabetischen bzw. sensorischen Neuropathie. Ein weiterer Ausschlussgrund
war, wenn die Betroffenen aufgrund ihres Hautzustandes keine Kompressionsstrümpfe
tragen konnten oder wenn sie eine Subarachnoidalblutung gehabt hatten.
Studiendesign
Studiendesign
Einfach verblindete, randomisierte und kontrollierte Studie
Intervention
Intervention
Die Kontrollgruppe (n = 1.256) erhielt die übliche Routineversorgung des Krankenhauses
bzw. die medizinische Standardbehandlung. Kompressionsstrümpfe bekamen diese Probanden
nur, wenn eine klare Indikation dafür vorlag.
Die Experimentalgruppe (n = 1.262) erhielt ebenfalls die übliche Routineversorgung.
Zusätzlich bekamen diese Probanden Kompressionsstrümpfe für beide Beine, die bis über
die Oberschenkel reichten. Nachdem sie der Studienteilnahme zugestimmt hatten, mussten
die Patienten die Strümpfe baldmöglichst anziehen und sie dann Tag und Nacht tragen.
Die Kompressionsstrümpfe wurden abgesetzt, wenn die Probanden selbstständig auf Stationsebene
gehen konnten, die Strümpfe nicht mehr tragen wollten oder wenn sie aus dem Krankenhaus
entlassen wurden. Auch bei beginnenden Hautulzerationen verzichtete man darauf.
Die Forscher dokumentierten täglich, wie lange die Patienten die Strümpfe getragen
hatten und wie die Compliance der Teilnehmer bezüglich dieser Intervention war. Falls
die Kompressionsstrümpfe abgesetzt wurden, notierten die Wissenschaftler das Datum
und die Gründe dafür. Außerdem protokollierte das Forscherteam, ob die Studienteilnehmer
blutverdünnende Medikamente einnahmen.
Zielparameter
Zielparameter
Sieben bis zehn Tage nach Studienbeginn untersuchte ein Mitarbeiter des jeweiligen
Studienzentrums beide Beine der Probanden mittels einer Doppler-Sonografie. Soweit
möglich, erfolgte nach 25–30 Tagen eine zweite Ultraschalluntersuchung. Der Untersucher
war gegenüber der Gruppenzugehörigkeit verblindet. Der primäre Zielparameter war,
ob die Probanden eine symptomatische oder asymptomatische tiefe Beinvenenthrombose
in den poplietalen und femoralen Venen entwickelten. Zudem dokumentierten die Wissenschaftler,
ob bei den Teilnehmern Hautschäden an den Beinen auftraten.
Ergebnisse
Ergebnisse
Die Daten der Studie werteten die Forscher nach dem Intention-to-treat-Prinzip aus.
Das bedeutet, dass sie alle 2.518 initial eingeschlossenen Patienten in die Auswertung
einbezogen und in ihrer eingangs zugewiesenen Gruppe auswerteten.
Eine tiefe Beinvenenthrombose trat bei 126 Patienten der Experimentalgruppe (10 %)
auf und bei 133 Patienten der Kontrollgruppe (10,5 %). Dieser Unterschied ist statistisch
nicht signifikant (Absolute Risikoreduktion = 0,5 %; 95 % CI -1,9 % – 2,9 %). Hautveränderungen
traten dagegen in der Experimentalgruppe mit 64 Fällen (5 %) signifikant häufiger
auf als in der Kontrollgruppe (16 Fälle; 1 %) (Odds Ratio 4,2; 95 % CI 2,4 % – 7,3
%).
Schlussfolgerung
Schlussfolgerung
Die CLOTS-Forschungsgruppe leitet aus den Ergebnissen ab, dass Kompressionsstrümpfe
tiefe Beinvenenthrombosen nach einem Schlaganfall nicht verhindern können. Stattdessen
erhöhen die Strümpfe das Risiko, dass Patienten Komplikationen wie Hautreizungen entwickeln.
Die Autoren empfehlen daher, die in Schlaganfallleitlinien ausgesprochene Empfehlung
für Thrombosestrümpfe zu überprüfen.
-
The CLOTS Trials Collaboration, Dennis M, Sandercock PA et al. Effectiveness of thighlength
graduated compression stockings to reduce the risk of deep vein thrombosis after stroke
(CLOTS trial 1): a multicentre, randomised controlled trial. Lancet 2009; 373: 1958–1965
Kommentar
Das Design der Studie vereinfacht einen Vergleich beider Gruppen, da sich die klinische
Versorgung der Patienten lediglich durch den Einsatz der Kompressionsstrümpfe unterschied.
Randomisierung und Verblindung
Randomisierung und Verblindung
Das Vorgehen bei der Randomisierung und der Verblindung ist adäquat: Die Zuweisung
zu den Gruppen erfolgte verborgen über eine zentrale Stelle, und der Untersucher,
der die Ultraschalldiagnostik durchführte, war hinsichtlich der Gruppenzuteilung verblindet.
Patientencharakteristika
Patientencharakteristika
Die Größe der in dieser Studie untersuchten Population ist angemessen. Außerdem entspricht
ihre Charakteristik durchaus der von Patienten nach Schlaganfall, die in deutschen
Akuthäusern liegen. Die Basischarakteristika der Probanden dokumentierte die CLOTS-Forschungsgruppe
ebenso ausführlich wie die wichtigsten prognostischen Faktoren der Patienten. Durch
die große Teilnehmerzahl und die Randomisierung traten die Faktoren, die einen Einfluss
auf die Entstehung einer tiefen Beinvenenthrombose haben, in beiden Patientengruppen
gleichmäßig auf.
Drop-outs, Loss to Follow-up und Einhaltung des Intention-to-treat-Prinzips
Drop-outs, Loss to Follow-up und Einhaltung des Intention-to-treat-Prinzips
Lediglich bei drei Patienten der Experimentalgruppe (0,2 %) und bei zwei Patienten
der Kontrollgruppe (ebenfalls 0,2 %) fehlten Aufzeichnungen in der Krankenakte. Bei
nur 41 Probanden in der Experimentalgruppe (3,3 %) und 28 in der Kontrollgruppe (2,2
%) erfolgte keine Doppler-Sonografie, weil die Patienten nicht erschienen waren. Bei
24 Patienten der Experimentalgruppe (1,9 %) und bei 35 Patienten der Kontrollgruppe
(2,8 %) war die initiale Diagnose „ischämischer Schlaganfall” falsch. Alle falsch
klassifizierten Patienten werteten die Forscher dennoch unter Einhaltung des Intention-to-treat-Prinzips
aus. Darüber hinaus führten die Wissenschaftler weitere sekundäre statistische Analysen
durch.
Der Gesamteffekt änderte sich auch dann nicht, wenn man die Ergebnisse mit Adjustierung
(also ohne Auswertung der fehlenden bzw. gestorbenen Probanden) mit denen ohne Adjustierung
vergleicht (Intention-to-treat-Prinzip): Odds Ratio = 0,97 (95 % CI 0,75 % – 1,26
%, Adjustierung) gegenüber Odds Ratio = 0,98; (95 % CI 0,76% – 1,27 %, Intention-to-treat-Prinzip).
Fazit
Fazit
Die CLOTS I-Studie zeigt, dass Kompressionsstrümpfe tiefe Beinvenenthrombosen in der
Akutphase nach Schlaganfall nicht verhindern können. Dagegen treten beim Tragen der
Kompressionsstrümpfe häufiger Komplikationen wie Hautveränderungen auf.
Die Ergebnisse dieser Studie sind aufgrund des guten Designs klinisch relevant. Zukünftige
Untersuchungen sollten zwar auch Risikopatienten einschließen, zum Beispiel die mit
einem postthrombotischen Syndrom. Insgesamt scheint der Effekt von Kompressionstrümpfen
jedoch sehr gering zu sein. Demnach ist es fraglich, ob das Tragen der Strümpfe für
bestimmte Subgruppen von Patienten in der Akutphase nach Schlaganfall sinnvoll ist.
Eine routinemäßige Verordnung dieser Strümpfe sollten die Verantwortlichen auf jeden
Fall überdenken.
Die Ergebnisse von CLOTS II werden die Wissenschaftler im Mai auf einem internationalen
Schlaganfallkongress in Barcelona präsentieren. In CLOTS III prüfen die Forscher den
Effekt von maschineller intermittierender pneumatischer Kompression. Diese Studie
ist noch nicht abgeschlossen.