„Primum non nocere“
Dieses Zitat aus der antiken Medizin, ergänzt durch die gleichfalls aus dieser Zeit
stammende Maxime „Salus aegroti suprema lex“ kennzeichnet Handlungsgrundsätze und
Imperative gerade auch chirurgischen Handelns, deren Bedeutung L. Koslowski in seinem
Aufsatz zum Thema „Maximen und Reflexionen eines Chirurgen – das chirurgische Ethos“
im Hinblick auf die Indikationsstellung zu operativen Eingriffen sowie deren Durchführung
herausstellte [4]. Der diesjährige Deutsche Kongress für Orthopädie und Unfallchirurgie (DKOU) stand
unter dem Motto „Sicherheit – Zuverlässigkeit – Innovation“, mit welchem die 3 Kongresspräsidenten
D. Frank, N. Südkamp und H. Mälzer unter anderem auf die im Fokus der Patienten wie
auch der Medien stehende, im täglichen ärztlichen Handeln so bedeutsame Sicherheit
in der Medizin hingewiesen haben [2]. Sichere Medizin, so ihr Credo, sei eine gute Therapie und verschaffe den Ärzten
Anerkennung für ihren täglichen Einsatz. Diagnostik und Therapie müssten hinsichtlich
der angewandten Verfahren und der erreichten Ergebnisse zuverlässig sein. In ihrem
Editorial zu Heft 5/2010 dieser Zeitschrift [2] geben sie der Erwartung Ausdruck, dass die zu dieser Thematik eingeladenen Referenten
ihre jeweilige Position hinsichtlich der Sicherheit und Zuverlässigkeit eingesetzter
diagnostischer und therapeutischer Verfahren darstellen werden. In mehreren Sitzungen
auf dem DKOU wurden diesbezüglich Themen wie „Patientensicherheit in O und U: Konkret“,
„Patienten- und Implantatsicherheit in der Endoprothetik“, „Vermeiden von und Lernen
aus Schadensfällen“ sowie das „HOTT-Schockraum-Simulationstraining“ abgehandelt. Im
Vorwort des Kongressprogramms schreiben die 3 Präsidenten, dass Arbeitsverdichtung
und steigende Fallzahlen in Facharztpraxen bei Verkürzung der Liegezeiten in den Kliniken
sowie die aus wirtschaftlichen Zwängen erwachsende stetige Steigerung der Leistungszahlen
zu einer möglichen Zunahme der Fehlerquote führen könnten und dass es gelte, dies
durch vorausschauende und nachhaltige Präventionsmaßnahmen zu vermeiden. Dazu könne
die aktive Unterstützung von Aktionen zur Patientensicherheit durch die Fachgesellschaften
einen wichtigen Beitrag leisten.
Auch die Politik hat sich mittlerweile dieser Thematik gewidmet. Der Beauftragte der
Bundesregierung für die Belange von Patientinnen und Patienten, MdB Wolfgang Zöller,
weist mit seinem Beitrag in der Zeitschrift „Chefarzt aktuell Nr. 2/10“ [8] darauf hin, dass sich die Bürger im bestehenden Gesundheitssystem zunehmend ohnmächtig
und hilflos fühlten. Sein Ziel sei es, dass das Patientenrechtegesetz für Klarheit
dahingehend sorgt, auf welche Rechte und Pflichten die Beteiligten treffen. Ein wichtiges
Thema seien Behandlungsfehler; Diskussionen zu dieser Thematik lösten unterschiedlichste,
fast immer heftige Reaktionen aus. Patienten und Patientinnen hätten Angst vor unnötigem
Leid, Ärzte und Ärztinnen hätten Angst davor, Leid zu verursachen und dafür an den
Pranger gestellt zu werden.
Diese Einschätzung beinhaltet allerdings nichts gänzlich Neues. Bereits in der 2.
Hälfte des 19. Jahrhunderts schreibt der amerikanische Arzt F. H. Hamilton in seinem
Buch über „A practical treatise on fractures and dislocations“ Folgendes: „Der unglückliche Patient versucht sein Unglück wettzumachen, indem er sich an dem
hart arbeitenden Chirurgen schadlos halten will, ohne Risiko und ohne Interesse zu
prüfen, ob das, was er beklagt, sich als grundlos erweisen könnte. Der Prozess entleert
die Brieftasche des Arztes und ruiniert seinen Beruf. Zahlen ist ruinös, prozessieren
ist ruinös und unter ständiger Bedrohung zu leben ist ebenfalls ruinös. Der Kläger
schleppt sein geschädigtes Bein herum, das von des Doktors Geld gestützt werden soll
und der Doktor schleppt seinen geschädigten Ruf herum, der von niemandem gestützt
wird.“
Man erkennt, die Problematik des Behandlungsfehlers ist keine gänzlich neue, geeignete
Maßnahmen zu dessen Prävention und eine entsprechende Fehlerkultur sind jedoch eher
Aktivitäten aus der jüngeren Vergangenheit entsprungen.
MdB Zöller möchte ein flächendeckendes Risikomanagement- und Fehlermeldesystem sowohl
im ambulanten als auch stationären Sektor implementieren und sieht, wie auch die chirurgischen
Fachgesellschaften, in der Fehlerprävention ein vorrangiges Ziel erkennen [3], [5]. Fehler müsse man nicht selbst machen, um aus ihnen zu lernen. Man benötige mehr
Informationen über Schwachstellen in Behandlungsabläufen, was dazu beitragen könne,
die Wiederholung von Fehlern zukünftig zu vermeiden.
Es ist noch in lebhafter Erinnerung, welches Medienecho im April 2005 die Ausführungen
des damaligen Präsidenten der DGCH, M. Rothmund, zu Behandlungsfehlern in der Chirurgie
ausgelöst hat. Zur gleichen Zeit wurde bereits das Aktionsbündnis Patientensicherheit
e. V. gegründet, welches seitdem in diversen Arbeitsgruppen Ziele zu unterschiedlichen
Problemkreisen formulierte und entsprechende Maßnahmen empfahl. Diese Arbeitsgruppen
waren bzw. sind mit den Themen „Eingriffsverwechslung“, „Patientenidentifikation“,
„CIRS im Krankenhaus“, „Behandlungsfehlerregister“, „Arzneimitteltherapiesicherheit“,
„belassene Fremdkörper im Operationsgebiet“, „Medizinprodukt-assoziierte Risiken“,
„Bildung und Training“ sowie einigen anderen mehr befasst. Seit 2006 haben jährliche
Tagungen zu unterschiedlichen Schwerpunktthemen stattgefunden [1].
Im April 2008 wurde die Task Force/AG Patientensicherheit der Deutschen Gesellschaft
für Unfallchirurgie (DGU) gegründet, als deren erste Ziele das Erstellen von Konzepten
für die Umsetzung konkreter Projekte zur Patientensicherheit in den Kliniken, die
Einrichtung einer Online-Bibliothek sowie die Veröffentlichung von Arbeiten zu dieser
Thematik formuliert worden sind. Darüber hinaus wurde die schrittweise Implementierung
von Trainingsformaten zur Patientensicherheit (Beispiel: „Safe-trac“ u. a.) beschlossen.
In Heft 62 der „Mitteilungen und Nachrichten der DGU“ veröffentlicht der Generalsekretär
der DGU, Prof. Dr. H. Siebert, eine Checkliste zur perioperativen Förderung der Patientensicherheit,
die als gemeinsame Aktion aller chirurgischen Disziplinen im Interesse der perioperativen
Sicherheit jedes einzelnen Patienten verwendet werden soll [5]. In der nämlichen Zeitschrift wird über die am 2. 10. 2009 erfolgte Gründung des
Instituts für Patientensicherheit berichtet.
Heft 5/2010 der Zeitschrift für Orthopädie und Unfallchirurgie enthält 2 Arbeiten,
wovon eine sich mit dem Thema „Patientensicherheit in der Orthopädie“ auseinandersetzt
[7], die andere unter dem Titel „Ein transparentes, abteilungsinternes Konzept des Komplikationsmanagements“
[6] Ergebnisse und Konsequenzen einer prospektiven lückenlosen Erfassung von Problemen
und Risiken zur Erarbeitung therapierelevanter Konsequenzen benennt, wodurch kontinuierliche
Verbesserungen in der Qualitätssicherung erzielt werden konnten.
Im Vorwort der Informationsbroschüre des Aktionsbündnisses Patientensicherheit [1] steht der Satz, dass dieses Thema in Deutschland mittlerweile kein Tabuthema mehr
darstellt, sondern vielmehr ein solches, über das zu reden und für welches aktiv zu
werden hohe Anerkennung fände. Die vielfältigen Aktivitäten der Deutschen Gesellschaft
für Orthopädie und Unfallchirurgie bzw. der beiden Fachgesellschaften DGU und DGOOC
auf diesem Gebiet geben beredtes Zeugnis dafür ab, dass diese Aussage keine hohle
Phrase darstellt, sondern in diversen Projekten, Publikationen und Kursen beispielsweise
als Simulationstraining in vielfältiger Art und Weise umgesetzt worden ist. Das durch
erhöhte Transparenz und geordnete Abläufe gewachsene Vertrauen der uns anvertrauten
Patienten geht einher mit erhöhter Sicherheit in unserem chirurgischen Handeln und
damit einer kontinuierlichen Verringerung bzw. Beseitigung problembehafteter Situationen
und Schnittstellen. Auf diese Art und Weise werden wir dem primären Ziel unserer Tätigkeit,
nämlich dem Patienten nicht zu schaden, weil der Erhalt bzw. die Wiederherstellung
von dessen Gesundheit und Wohlbefinden unsere oberste Maxime sein muss, am besten
gerecht.
K. Weise
Tübingen
F. U. Niethard
Aachen