Dtsch Med Wochenschr 2010; 135(16): 812
DOI: 10.1055/s-0030-1251938
Editorial
Prävention
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Check-up-Angebot für Manager: kommt die Früherkennung jetzt in Misskredit?

„Check-up“ offer to managers: Is screening for early recognition of disease being discredited?J. F. Riemann1
  • 1ehem. Direktor der Medizinischen Klinik C, Klinikum der Stadt Ludwigshafen gGmbH
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Publication Date:
13 April 2010 (online)

Früherkennung im besten Sinne bedeutet, Krankheiten in einem sehr frühen Stadium zu erfassen, wenn sie noch heilbar oder besser behandelbar sind und Vorstufen von Erkrankungen zu erkennen, deren Beseitigung die Erkrankung gar nicht entstehen lässt (z. B. Darmkrebs). Sie bedeutet auch, Risiken aufzuspüren, hinter denen sich die Entwicklung einer chronischen Erkrankung mit möglichen schweren Langzeitkomplikationen verbergen kann (z. B. Diabetes mellitus, Hypertonie). Der Check mit 35 Jahren ist eine von den gesetzlichen Krankenkassen angebotene Möglichkeit, durch eine ärztliche Untersuchung in Verbindung mit wenigen Zusatzleistungen den individuellen Gesundheitszustand zu erfassen und ggf. Konsequenzen zu ziehen. Besonders bei einigen wenigen malignen Erkrankungen haben sich spezielle Früherkennungsmaßnahmen zum Bevölkerungsscreening als segensreich erwiesen. Voraussetzungen sind, dass es sich um häufige Erkrankungen (z. B. Zervixkarzinom) oder um Früherkennungsuntersuchungen mit einfachen, wenig bis nicht-invasiven Testverfahren handelt. Diese sollten außerdem auch im ökonomischen Sinne preiswert sein. D. h. dass v. a. bei breit angelegtem Einsatz (z. B. FOBT als Massenscreening ) eine vertretbare Kosten-Nutzen-Relation besteht. Die klassischen Screening-Kriterien sind ja seit vielen Jahren bekannt.

Es überrascht nicht, dass bei technologisch besonders fortgeschrittenen bildgebenden radiologischen und nuklearmedizinischen Verfahren untersucht wurde und wird, inwieweit sie zur Früherkennung einsetzbar sind. Im nachfolgenden Beitrag geht es um das Ganzkörperkrebs-Screening durch Glukose-PET, CT oder MR sowie die Erfassung der asymptomatischen koronaren Herzkrankheit mittels hochauflösender CT. Die Datenlage in der internationalen Literatur ist bislang dünn. Aus Japan kommen prospektive Untersuchungen, die neben günstigen Ergebnissen die Probleme des Einsatzes solcher Verfahren aufzeigen: die hohe Zahl falsch-positiver Ergebnisse (Inzidentalome?) mit unnötiger Nachfolgediagnostik, die erhebliche Strahlenbelastung im Untersuchungszeitraum über Jahre sowie die Aufdeckung von Tumoren, deren Biologie im Langzeitverlauf unklar ist. Auch für die Einordnung der koronaren Herzerkrankung mit hochauflösender kardialer CT zeigt sich bisher kein Vorteil, v. a. gemessen an der Relation zu der ionisierenden Strahlung und dem Strahlenrisiko. Sie ersetzt nicht die bisher gültige Stufendiagnostik. Viele dieser „neuen” Leistungen werden inzwischen als „IGel-Leistungen” angeboten, die man individuell einkaufen kann, wie den Manager-Check-Up. Vor diesem Hintergrund ist die Beratung von besonderer Bedeutung, da der von allen geforderte „informierte Patient” nicht nur über die Vorteile, sondern v. a. über die Risiken aufgeklärt werden muss. Das gilt besonders für Untersuchungen, bei denen der Wert nicht in großen prospektiv randomisierten oder Kohortenstudien belegt ist und damit keine evidenzbasierte Datenlage existiert. V.a. für Untersuchungen, die mit einer Strahlenexposition einhergehen, gilt dies in besonderem Maße.

Check-up-Medizin wird in Zukunft wahrscheinlich einen immer größeren Stellenwert v. a. in speziellen Berufsgruppen und Bevölkerungsschichten einnehmen. Der Glaube an den technisierten Fortschritt weckt Hoffnungen, die nur begrenzt realisierbar sind. Für einige häufige und wichtige Erkrankungen gibt es evidenzbasierte und damit sinnvolle Früherkennungsmaßnahmen; das gilt nicht oder noch nicht für radiologische (einzige Ausnahme: Screening-Mammographie beim Mammakarzinom) oder nuklearmedizinische Verfahren, die mit einer erheblichen Strahlenexposition verbunden sind. Besonders deutlich wird dies am Beispiel der virtuellen Kolonographie zum Darmkrebs-Screening, die speziell in Deutschland aus Gründen des Strahlenschutzes keinen Einzug in das Screening-Programm halten wird. Auch die Bereitschaft zur Eigenfinanzierung einer solchen Leistung rechtfertigt sie noch lange nicht. Wohlgemerkt: Es geht nicht darum, die unbestreitbar großen Fortschritte in der radiologischen und nuklearmedizinischen Bildgebung klein zu reden; es geht darum, ihren Einsatz zur Früherkennung bei asymptomatischen Personen im Verhältnis zu vielen Nachteilen, die mit ihrem Einsatz verbunden sind, zu diskutieren.

Früherkennung hat einen wichtigen Stellenwert in der präventiven Medizin. Medizin ist nicht nur ein Heilberuf, sondern muss ihre Erweiterung auch auf die Vorbeugung von Erkrankungen, gerade im Hinblick auf unsere veränderte Lebenswelt, neu definieren. Das darf nicht um den Preis vieler damit möglicherweise verbundener Risiken geschehen: unverhältnismäßig viele unnötige Zusatzuntersuchungen infolge Aufdeckung nicht relevanter Befunde, damit verbundene psychische Belastungen, Strahlenexposition, Absenz eines möglichen Überlebensvorteils bei fehlenden evidenzbasierten Daten.

Den Autoren ist nicht nur zuzustimmen, sondern auch großer Respekt zu zollen, dass sie diese Problematik in ihrem Artikel klar und deutlich aufzeigen und besonders auf die fehlende wissenschaftliche Grundlage hinweisen. Sie liefern Argumentationshilfen für die warnenden Stimmen, die sich gegen diese Art einer „individuellen Früherkennung” einerseits, aber auch für ein breites Screening mit solchen Methoden andererseits erheben.

Prof. Dr. J. F. Riemann

c/o Stiftung LebensBlicke, Klinikum Ludwigshafen

Bremserstr. 79

67063 Ludwigshafen

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