Via medici 2010; 15(2): 3
DOI: 10.1055/s-0030-1251943
editorial

Vorbilder – verzweifelt gesucht?

Dieter Schmid
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
06. April 2010 (online)

Inhaltsübersicht

    Bin ich beliebt? Die Frage quält viele Menschen. Als junger Mediziner könnten Sie sich da eigentlich ganz beruhigt zurücklehnen. Ärzte rangieren in Umfragen nach der Beliebtheit von Berufen regelmäßig weit vor allen anderen Professionen. Nicht einmal Pfarrern wird eine solche moralische Integrität zugebilligt. Ärzte gelten als engagiert, kompetent und ehrlich. Doch was bringt der schöne Schein, wenn man die Realität völlig anders erlebt? Tübinger Forscher haben kürzlich in einer Studie mit knapp 700 Medizinstudenten untersucht, welches Idealbild Nachwuchsmediziner von ihrem Berufsstand haben – und wie sie sich und ihre approbierten Kollegen tatsächlich wahrnehmen [1]. Demnach empfinden Studenten Ärzte als weit weniger sympathisch, feinfühlig, verständnisvoll, offen und zuverlässig, als sie sich ihre künftigen Kollegen wünschen würden. Dies ist vor allem deswegen bedauerlich – so die Autoren –, weil positive Vorbilder für die berufliche Sozialisation enorm wichtig sind. Finden sich diese nicht, besteht die Gefahr, dass sich die Nachwuchskräfte von ihrem Idealbild abwenden und sich der als enttäuschend empfundenen Realität anpassen.

    Um solchen Enttäuschungen entgegenzuwirken, stellen wir Ihnen in dieser Via medici einige Mediziner vor, die außergewöhnliches leisten und möglicherweise als Vorbilder taugen: Da ist die junge Ärztin, die nach dem Examen nach Afrika geht, um in einer abgelegenen Klinik ihre Arbeitskraft denen zur Verfügung zu stellen, die sie am dringendsten brauchen. Da ist der Chirurg, der irgendwann begriffen hat, dass eine Beschränkung auf die technischen Aspekte der Medizin nur ein verkümmertes Arztsein erlaubt und seither für eine ganzheitliche, „integrierte” Medizin kämpft. Da ist die Oberärztin, die sich als Palliativmedizinerin darum kümmert, dass Sterbende noch Freude am Leben empfinden können. Und da ist die Chefärztin, die sich an ihrer Klinik dafür einsetzt, dass junge Ärztinnen mit Kindern ihre Familie und Karriere unter einen Hut bekommen.

    Doch Vorsicht! Natürlich kann das blinde Nacheifern von Vorbildern auch Gefahren bergen. Allzu hehre Ideale lassen Leistungsbereitschaft zu Verausgabungsbereitschaft mutieren. Aus hohen Erwartungen werden Überlastung, Depressionen und Burnout. Die Tübinger Studie zeigt auch: Junge Mediziner sehen sich selbst als eher unsicher, machtlos und wenig selbstbewusst – möglicherweise, weil sie dazu tendieren, empfundene Defizite überzubewerten. Deswegen: Vorbilder sind schön und gut. Sie können inspirieren und motivieren. Sie sollten aber nicht blind machen für die eigenen Stärken. Versuchen Sie also nicht ausschließlich Ärzten nachzueifern, die Sie mögen. Schauen Sie vor allem darauf, dass Sie selbst zu einem Arzt werden, den Sie mögen!

    [1] M. Schrauth et al. Selbstbild, Arztbild und Arztideal: Ein Vergleich Medizinstudierender 1981 und 2006. Psychother. Psych. Med. 2009; 59: 446–453

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    Dr. med. Dieter Schmid, Redaktionsleitung

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