Die Arbeitsgemeinschaft Wissenschaftlicher Fachgesellschaften (AWMF) hat Empfehlungen
aufgelegt, wie Fachgesellschaften mit Interessenkonflikten umgehen sollen.
Kein Kongress auch hierzulande, der nicht eine Firmenpräsentation beinhaltet. Und
kaum ein Experte, der nicht schon mal gegen Salär einen Vortrag auf dem Satellitensymposium
einer Firma gehalten hätte und später womöglich bei einer neuen Leitlinie mitwirken
soll, die just das Produkt dieser Firma berücksichtigen muss.
Verhaltensregeln für Fachgesellschaften
Ende April legte die AWMF neue Spielregeln zum Umgang mit solchen Interessenkonflikten
fest (siehe Kasten). Das Papier, verabschiedet vom Präsidium der AWMF, richtet sich
ausdrücklich an Fachgesellschaften. Es legt Verhaltensregeln für 3 große Bereiche
fest, in denen Fachgesellschaften eine zentrale Rolle im Medizinbetrieb spielen: Publikationen,
Veranstaltung von Kongressen und die Entwicklung von Leitlinien. Und stützt sich auf
4 Prinzipien:
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Strikte Trennung. Zuwendungen, ob finanziell oder nicht finanziell, sollen unabhängig
von Entscheidungen erfolgen.
-
Transparenz. Wer eine Zuwendung bekommt, legt das offen.
-
Äquivalenz. Wenn Geld fließt, müssen Leistung und Gegenleistung im Verhältnis stehen.
-
Dokumentation. Alle Leistungen und Zuwendungen sollen schriftlich festgehalten werden.
Manches davon ist bereits hie und da Praxis. Doch mit dem Empfehlungspapier erhält
das alles nun eine feste Struktur. Für die Autoren ist klar, dass Interessenkonflikte
unvermeidbar sind. "Jeder hat Interessen, es gibt keine Altruisten", weiß Professor
Hans-Konrad Selbmann, Vorsitzender der Ständigen Kommission Leitlinien der AWMF und
einer der Autoren des Papiers. Das Problem sei v. a. Intransparenz.
Transparenz ist eines der wichtigen Prinzipien, auf denen die neuen Spielregeln der
AWMF beruhen (Bild: Creativ Collection).
Publication Bias als vermeintliche Ojektivität
Ein Beispiel bleibt die nur vermeintlich objektive Darstellung von medizinischen Forschungsdaten.
So dokumentierten Anfang 2010 Experten der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft
(AkdÄ) erneut einen verzerrenden und verdeckten Einfluss mancher Arznei-Hersteller
auf die Publikation der Daten von ihnen gesponsorter Studien (siehe Kasten). Solche
"Bias" droht auch, wenn Hersteller über ausgewählte Experten oder Selbsthilfegruppen
Einfluss auf Leitlinien nehmen – Praktiken, von denen sich viele Firmen heute allerdings
mit eigenen Codices distanzieren.
Die neuen Empfehlungen der AWMF setzen auf Regelungen im Detail: Experten, die bei
einer Leitlinie mitarbeiten, sollen Erklärungen zu Interessenkonflikten abgeben, auf
einem Fragebogen dezidiert Angaben machen, wann und wo man von wem Zuwendungen bekommen
hat. Obendrein wird jeder potenzielle Gutachter am Ende um eine Selbsteinschätzung
gebeten, ob er für seine Person "bedeutende" Konflikte im Rahmen der Arbeit an einer
Leitlinie sieht. Diese Erklärungen sollen die Koordinatoren einer Leitlinie prüfen,
bei schweren Konflikten fachlich womöglich unverzichtbare Experten nur als externe,
aber nicht stimmberechtigte Experten hören.
Oder das Thema Kongresse: Es bleibe keine Frage, dass Hersteller auf Fachtagungen
ihre Produkte präsentieren sollen, meint der Generalsekretär der DGCH, Professor Hartwig
Bauer, ebenfalls einer der Autoren des AWMF-Papiers. Aber es gelte das Äquivalenzprinzip.
Bauer: "Seltsam überhöhte Mieten für Ausstellungsflächen, die eine Firma an die Fachgesellschaft
zahlt, schließen unsere neuen Empfehlungen dezidiert aus." Auch die Bewirtung auf
Tagungen soll nur in dem Umfang erfolgen, damit die Teilnehmer "den fachlichen Inhalten
der Veranstaltung weiter folgen können". Kein Tauchgang auf den Seychellen, getarnt
als Fachkongress.
Anders als in den USA, wo der Generalstaatsanwalt von Connecticut 2008 eine Leitlinie
zur Lyme-Borreliose wegen Interessenkonflikten anging, steckt kein Skandal als Auslöser
hinter den neuen Empfehlungen. Vor allem Paper von Allan D. Sniderman und Curt D.
Furberg im Januar, sowie einer Gruppe um den US-Mediziner David J. Rothman im April
2009 im US-Ärzteblatt JAMA brachten die Führungsgremien der AWMF dazu, Verhaltenscodices
festzuschreiben.
"Uns wurde klar, dass wir speziell für Fachgesellschaften auch hierzulande etwas tun
mussten", meint Selbmann. Die sollen sich des Themas aktiv annehmen. Selbmann: "Zum
Beispiel nach dem Vier-Augen-Prinzip bereits im Vorfeld schauen, wen sie für die Arbeit
an einer neuen Leitlinie entsenden und wen vielleicht eher nicht."
Dr. Bernhard Epping