Es war natürlich alles längst geplant – nach
jahrelanger Vorbereitung das internationale Jahr der Lunge, und
selbstverständlich im Gedenken an den 100. Geburtstag der Deutschen
Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin, der
DGP … Stimmt nicht – klar, aber ein schöner
Zufall ist es schon.
Die Diskussion um die Probleme und Herausforderungen der Pneumologie
in Deutschland begleiten viele von uns seit dem Berufsanfang, wobei es nie so
richtig klar war, inwiefern es sich um ein nationales Problem handelt oder um
die Reflektion einer allgemeinen Misere. Von daher ist es bemerkenswert und
aufschlussreich, dass die 40. Jahrestagung der World Conference of Lung Health,
die in Cancún in Mexiko stattfand, im Dezember 2009 die „Year of
the Lung Declaration 2010” verabschiedete. An sich vielleicht nichts so
Besonderes, mag man denken im Hinblick auf die Probleme der Welt, wäre da
nicht unsere oben zitierte Diskussion und vor allem der Inhalt der
Erklärung, die deutlich macht, dass auch die Deutsche Pneumologie
internationale Probleme teilt. Die Deklaration erklärt
unmissverständlich, dass weltweit hunderte von Millionen Menschen an im
Prinzip behandelbaren und vermeidbaren Lungenerkrankungen leiden und
versterben. Die Deklaration prangert die Vernachlässigung von
Lungenerkrankungen weltweit an und ruft alle großen wissenschaftlichen
Fachgesellschaften (und damit auch alle [!] nationalen Gesellschaften
Europäischer Länder) auf, sich öffentlich zu äußern
und die Kräfte politisch und innerhalb ihrer Gemeinschaften zu
bündeln. Ist das sinnvoll? Nach den vielen Deklarationen zu allen
erdenklichen Erkrankungen weltweit? Ich denke ja, und unser Jubiläum gibt
uns hierzu weiter Gelegenheit, Missstände bewusst zu machen, die nicht
unbekannt sein sollten!
Die wichtige globale Botschaft der jetzt vorliegenden „Year
of the Lung”-Erklärung ist einerseits die Größe des
Problems Lungenerkrankungen mit mehreren hundert Millionen Erkrankten weltweit
als auch die Breite des Erkrankungsspektrums (z. B. Tuberkulose, Asthma,
Pneumonie, Grippe, COPD, Lungenkrebs). Ein weiteres Argument im Ruf nach mehr
öffentlicher Aufmerksamkeit ist natürlich die erhebliche
Mortalität einer ganzen Reihe dieser Erkrankungen, die mit jährlich
über 10 Millionen beziffert wird, das sind fast 20 % der
globalen Todesfälle. Lungenerkrankungen betreffen Menschen weltweit und in
allen Einkommensschichten und die bisherige Annahme, dass Schwellenländer
vornehmlich von Infektionserkrankungen betroffen sind, ist zunehmend falsch.
Während Asthma, COPD und das Lungenkarzinom zwar bisher häufiger in
industrialisierten Ländern angetroffen wurden, sind diese Erkrankungen
inzwischen eine große Herausforderung in Ländern mit mittleren und
niedrigen Einkommen. Dieser Trend ist bei vielen chronischen Erkrankungen,
z. B. auch beim Diabetes mellitus und kardiovaskulären
Erkrankungen, zu beobachten und hat bereits zu einem merklichen Umdenken in der
Weltgesundheitorganisation WHO im Umgang mit non-communicable diseases (NCD)
geführt. Neben den erheblichen individuellen Folgen und unermesslichem
Leid bedingen Lungenerkrankungen einen erheblichen Teil steigender
Gesundheitskosten und ökonomischer Konsequenzen. Überraschenderweise
artikulieren sich bisher jedoch weder die globale Öffentlichkeit noch die
Politik in bemerkenswerter Weise.
Die jetzige Initiative des „Year of the Lung”, an der
sich alle großen internationalen pneumologischen Gesellschaften
beteiligen, hat eine Reihe spezifischer Themen aufgegriffen, welche sicherlich
in großen Teilen auch für uns relevant sind. Der globale Umgang mit
Tabak und die Verlagerung des Konsums in Länder mit mittleren und
niedrigen Einkommen ist eine weltweite Herausforderung. Während
Tabakkonsum einerseits legal ist, fordert er andererseits geschätzte 5
Millionen Tote pro Jahr, einschließlich der 1,3 Millionen
Lungenkrebsopfer, wenn man lediglich die direkten Folgen des aktiven Rauchens
zugrunde legt. Zur Behandlung der Tuberkulose sind seit Jahrzehnten keine
wirklich neuen Medikamente entwickelt worden und der einzige Ansatz einer
Vakzination ist nahezu 100 Jahre alt und fällt damit in die Anfangszeit
der DGP! Dennoch gab es über 9 Millionen Tuberkulose-Neuerkrankungen im
Jahre 2008 und diese im Prinzip behandelbare Erkrankung fordert 1,7 Millionen
Todesopfer im Jahr. Pneumonien sind Todesursache von jährlich mehr als 2
Millionen Kindern im Alter unter 5 Jahren, oder auch alle 15 Sekunden, obwohl
Pneumonien effektiv und preiswert behandelt werden könnten. Von den
250 000 Asthma-Todesfällen weltweit pro Jahr können viele auf
inadäquate Behandlung zurückgeführt werden; und obwohl die COPD
nach Schätzungen bis zum Jahre 2020 weltweit die dritthäufigste
Todesursache ist, wird die Erkrankung immer noch häufig zu spät oder
nicht erkannt. Schließlich führt die Deklaration an, dass beinahe
die Hälfte der Weltbevölkerung in Gebieten mit schlechter
Luftqualität lebt, die eine direkte Ursache einer Vielzahl von chronischen
Lungererkrankungen darstellt. Bemerkenswerterweise sind weltweit circa 1
Milliarde Menschen Zigarettenrauch-exponiert, dem stehen jedoch 4 Milliarden
Menschen mit chronischer Exposition an sogenannter Biomasse gegenüber, in
der Regel durch den häuslichen Gebrauch fossiler Brennstoffe.
Selbst wenn diese internationalen Brennpunkte natürlich nicht
immer auf die Situation in Deutschland zutreffen, so kommen sie in Aspekten
unserer Realität in Deutschland doch recht nahe, so wie dies das
Weißbuch Lunge der DGP und auch die kürzlich erschienene wunderbare
Chronik zu 100 Jahren DGP ausweist.
Unter den unbestreitbaren klinischen und wissenschaftlichen
Herausforderungen in der Pneumologie ist jedoch vielleicht die zukünftige
Ausbildung und Förderung von jungen Menschen in Deutschland und anderen
europäischen Ländern die größte. Hierzu gehört
einerseits die Vermittlung unserer eigenen Begeisterung für das Fach
Lungenheilkunde, aber auch die strukturierte Weiterbildung in der Pneumologie
mit allen Facetten inklusive der Beatmungs- und Intensivmedizin, aber auch der
pneumologischen Onkologie und der Infektiologie, neben der dringend notwendigen
wissenschaftlichen Schulung. Die nach wie vor lückenhafte Vertretung der
Pneumologie in den deutschen Universitäten verstärkt diesen Missstand
und ist entgegen früherer Prognosen bislang kaum verbessert. Darüber
hinaus ist eine Harmonisierung der Weiterbildung im Europäischen Kontext
sicher wünschenswert und die HERMES-Examen der European Respiratory
Society (ERS) werden uns auf diesem Weg helfen. Neben der fachlichen,
klinischen und wissenschaftlichen Bildung haben wir allerdings das gemeinsame
Problem der Generierung von Führungskräften für die Pneumologie.
Hier steht Deutschland sicher nicht alleine dar, sondern dies ist ein erkanntes
Europäisches und sehr wahrscheinlich globales Problem. Junge talentierte
Pneumologinnen und Pneumologen haben häufig nicht (mehr) das Streben nach
Führungspositionen mit allen Unsicherheiten und Belastungen, wobei man
über die Gründe einer solchen Entwicklung nur spekulieren kann. Die
Berufungsverfahren, z. B. auf Lehrstühle im Europäischen
Ausland, machen es allerdings deutlich, dass sowohl die Mobilität als auch
das personelle Angebot mangelhaft sind.
Die internationale Initiative des Year of the Lung setzt
natürlich auf internationale Partnerschaften und unterstützt unter
anderem die erste echte Internationale Public Health Initiative: die
WHO-Deklaration zur Kontrolle des Tabakkonsums, inklusive der 160 Länder,
die diese Deklaration bisher unterzeichnet haben. Ebenfalls fordert sie
adäquate Forschungsförderung und die Entwicklung neuer Instrumente
und Methoden zur Diagnostik und Behandlung, von Vakzinen und innovativen
Medikamenten sowie die Unterstützung der Gesundheitssysteme zur
Ermöglichung einer ausgewogenen und gerechten Krankheitsversorgung
für alle. Darüber hinaus wird die politische Forderung zur
gesetzlichen Regelung des Rechts auf saubere Luft zum Atmen angemahnt.
Schließlich will die Initiative nachhaltig dazu beitragen, dass jeder
– Laien, Politiker, Gesetzesmacher, Ausbilder und Lehrer, auch
religiöse Führer – sich der Risiken und Zeichen von
Lungenerkrankungen bewusst ist und dass damit der automatische Aufruf verbunden
sein sollte, die Lunge gesund zu halten, das essenzielle Organ für die
Atmung und das Leben.
Es gibt neben dieser Initiative natürlich auch andere gute
Nachrichten für unser Fach. Die Initiative der WHO, chronische
Lungenerkrankungen mit GARD ins globale Bewusstsein zu rücken, und die
zunehmenden Initiativen der Europäischen Gemeinschaft und ganz aktuell
auch der Vereinten Nationen sind Zeichen des Aufbruchs und haben unser Fach in
der letzten Zeit unerwartet deutlich unterstützt. In diesem Zusammenhang
ist auch die nationale und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung
(BMBF) geförderte Initiative, die Schaffung eines Deutschen Lungenzentrums
nachdrücklich als gute Nachricht zu nennen und mit Dank zu
begrüßen!
Initiativen wie das Jahr der Lunge sind vorwiegend politische
Instrumente, mit denen die großen Fachgesellschaften und insbesondere die
ERS versuchen, Europäische Politik zu beeinflussen im Sinne unseres
Faches. Diesem Ziel kommt man natürlich in einem Jahr nur bedingt
näher, aber auch die DGP hat (100) Jahre gebraucht, um zu dem
heranzuwachsen, was sie heute ist. Die ERS und alle anderen aktiven Partner des
„Year of the Lung” brauchen allerdings die Unterstützung und
Hilfe aller nationalen Gesellschaften in der Umsetzung ihrer unmittelbaren
Ziele und bei der Bewältigung langfristiger Aufgaben – wer ist
hierbei ein besserer Partner als eine Gesellschaft mit so langer
Tradition?
Herzlichen Glückwunsch DGP von den Partnern der
ERS.
Klaus F. Rabe
Vize-Präsident
der European Respiratory Society (ERS).