Die Pandemie 2009/2010
Somit waren im Frühsommer des Jahres 2009 die wesentlichen
Voraussetzungen für eine pandemische Ausbreitung des neuen Influenza-Virus
gegeben:
-
Antigen-Shift
-
Übertragung von Mensch zu Mensch mit hoher
Transmissionsrate
-
Eine weitgehende immunologische Naivität großer, vor
allem jüngerer Bevölkerungsgruppen.
Nach den Erfahrungen mit dem SARS-Virus und dem Auftreten hoch
pathogener aviärer Influenzastämme (Influenza A/H5N1) wurden in den
darauf folgenden Jahren weltweit Vorbereitungspläne für eine neue
Influenza-Pandemie entwickelt [24]. Nach den
Definitionen, die in diesem Rahmen von der WHO beschlossen wurden, galt das
Auftreten einer Pandemie dann für gegeben, wenn eine
Influenza-Shift-Variante zu Ausbrüchen von Influenza in 2 oder mehr
Ländern einer WHO-Region führt (Pandemiestufe 5). Die Pandemiestufe 6
enthielt die Definition, dass eine Influenza-Shift-Variante zusätzlich zu
einer epidemischen Situation in einer zweiten WHO-Region führt. Diese
Situation war bereits frühzeitig im Frühsommer 2009 gegeben
[25]. Man muss allerdings kritisch anmerken, dass die
2009 geltenden Definitionen lediglich die Ausbreitung eines neuen Virus
weltweit als Definitionsgrundlage benutzt haben und die Schwere des
Krankheitsverlaufes nicht mitberücksichtigt wurde. Hierzu ist allerdings
anzumerken, dass es selbstverständlich eher möglich ist, die
endemische Ausbreitung eines neuen Virustyps zu beobachten als die Schwere der
Erkrankung, die durch dieses Virus induziert wird, frühzeitig zu
beschreiben.
Epidemiologie der A(H1N1)v 2009-Pandemie 2009/2010
Am 29. April 2009 ist das endemische Auftreten des neuen
Influenza-Virus aus 9 Ländern, die WHO-Mitglied sind, berichtet worden, am
11. Juni 2009 bereits aus 74 Ländern und am 1. Juli 2009 aus 120
Ländern [25].
Während es sich bei dem frühen Auftreten von
Influenza-Infektionen in Europa und den USA zunächst um importierte
Infektionen, vermutlich aus Lateinamerika (Mexiko) gehandelt hat, trat eine
zweite Infektionswelle mit autochtonen, d. h. von Mensch zu Mensch
übertragenen Infektionen, im Spätsommer 2009 in den USA und im Herbst
2009 in Europa auf [18]
[23]
[25]
[26].
USA
Im April 2010 hat das CDC geschätzt, dass in den USA
zwischen April und November 2009 59 Millionen Personen an einer H1N1-Infektion
erkrankt sind. 90 % der Erkrankungen betrafen die Alterskohorten
0 – 64 Jahren und weniger als 10 % die
Alterskohorte 65 Jahre oder älter [23]. Im gleichen
Zeitraum sind in den USA ca. 265 000 Personen wegen einer H1N1-Infektion
hospitalisiert worden, wobei sich die gleiche Altersverteilung zeigte wie bei
den Erkrankungen. Nach diesen Schätzungen sind in den USA 12 000
Personen an einer H1N1-Infektion verstorben, von denen zirka 12 %
älter als 64 Jahre waren. Der Gipfel der Erkrankungen lag in den USA
zwischen der 40. und 50. Kalenderwoche [23].
Tab. 3 Die Neue Influenza
in den USA – Schätzung des CDC im Dezember 2009 (
www.cdc.gov/flu/weekly).
A (H1N1)v 2009
|
Mid-Level-Range
|
Fälle
0 – 17
Jahre 18 – 64 Jahre ≥ 65
Jahre alle Fälle
|
16
Millionen 27 Millionen 4 Millionen 47 Millionen
|
Hospitalisierungen
0 – 17
Jahre 18 – 64 Jahre ≥ 65
Jahre alle Hospitalisierungen
|
71 000 121 000 21 000 213 000
|
Todesfälle
0 – 17
Jahre 18 – 64 Jahre ≥ 65
Jahre alle Todesfälle
|
1090 7450 1280 9820
|
Noch bemerkenswerter sind Seroprevalenz-Untersuchungen, die
z. B. in Pittsburgh zeigen konnten, das 21 % der
Gesamtbevölkerung und 45 % der 10- bis 19-Jährigen sich
infiziert haben [27].
Deutschland
Nach der ersten schwachen Sommerwelle durch importierte
Infektionen über Urlaubsrückkehrer breitete sich das neue
Influenza-Virus auch in Deutschland zwischen der 42. und 47. Woche sehr rasch
aus, um dann bereits in der 50. Woche des Jahres 2009 einen Rückgang zu
zeigen.
Abb. 5 Meldedaten der Neuen
Influenza beim RKI 2009/2010.
Legt man den Praxisindex, d. h. die Zahl der
ärztlichen Konsultationen wegen akuter respiratorischer Erkrankungen, die
durch den Sentinental-Verbund der Arbeitsgemeinschaft Influenza erhoben werden,
zu Grunde, zeigt sich ebenfalls ein Gipfel um die 47. Woche. Besonders
betroffen waren Kinder im Alter von 0 – 4 Jahren und von
5 – 14 Jahren. Der Gipfel des Praxisindex für die
Altersgruppe der 15 – 59 Jahre alten Personen war deutlich
geringer ausgeprägt [18].
Insgesamt wurden dem Robert Koch-Institut bis zur 13.
Kalenderwoche des Jahres 2010 226.137 Fälle von pandemischer Influenza
übermittelt. Die Melderaten zeigen einen kleinen Sommergipfel zwischen der
29. und 35. Woche, gefolgt von einem Wiederanstieg zu einer massiven Welle
zwischen der 43. und 52. Woche. In Spitzenzeiten zwischen der 46. und 47. Woche
wurden wöchentlich mehr als 40 000 Neuerkrankungen gemeldet.
Interessant ist auch ein Blick auf die Gesamt-Inzidenzraten ab der 18.
Kalenderwoche des Jahres 2009 bis zum März 2010. Danach betrug die
Gesamtinzidenz in der Altersgruppe 0 – 1 234 pro
100 000, in der Altersgruppe 2 – 4 Jahre 377 pro
100 000, in der Altersgruppe 5 – 14 Jahre 839 pro
100 000, in der Altersgruppe 15 – 34 Jahre 310 pro
100 000, in der Altersgruppe der 35- bis 59-Jährigen 100 pro
100 000 und in der Altersgruppe der 60-Jährigen und älteren
lediglich 12 pro 100 000. Die Gesamtinzidenz der Bevölkerung
errechnet sich somit bei 205 pro 100 000 [18].
Die höchste Positivrate des Virusnachweis fand sich
zwischen der 48. und 51. Kalenderwoche. Dies entspricht auch dem Verlauf der
Todesfälle in Deutschland. Bis zur 13. Kalenderwoche 2010 wurden 253
Todesfälle gemeldet, von denen 86 % einen Risikofaktor
(Grundkrankheit oder Schwangerschaft) aufgewiesen haben.
Abb. 6 Todesfälle
durch die Neue Influenza in Deutschland 2009/2010.
Das Maximum der Verstorbenen findet sich zwischen der 46. und
50. Woche mit einem zweiten kleineren Gipfel zwischen der 51. Woche 2009 und
der 3. Woche 2010. Die Inzidenz der Todesfälle zeigte für Deutschland
ein Maximum für die 0- bis 1-Jährigen mit 0,44 pro 100 000,
gefolgt von 0,31 pro 100 000 in der Gruppe der 35- bis 59-Jährigen.
Für die übrigen Altersgruppen lag die Inzidenz der Todesfälle
bei ca. 0,2 pro 100 000 [18]. Nach bisher
vorliegenden Daten verstarb der größte Teil dieser Patienten nach
der Hospitalisierung innerhalb von 14 Tagen.
Die weltweite Ausbreitung der Neuen Influenza ist durch die WHO
gut dokumentiert [25]. Während im August 2009 eine
hohe Influenza-Aktivität lediglich aus Amerika, Südamerika und
Australien gemeldet wurde, fand sich im November 2009 nahezu weltweit eine hohe
oder regional deutlich erhöhte Influenza-Aktivität, auch in Europa
und Asien.
Abb. 7 Weltweite
Epidemiologie der Neuen Influenza im November 2009 (Quelle:
www.who.int/crs/2010_04_01/en/index.html).
Hierbei muss allerdings bedacht werden, dass Daten aus Afrika
und der Volksrepublik China nur in sehr geringem Umfang zur Verfügung
standen. Im Dezember 2009 war die stark erhöhte Influenza-Aktivität
in Europa bereits weitgehend rückläufig, blieb jedoch in Nordamerika
und Kanada sowie Teilen Südamerikas auf einem hohen Niveau
[25].
Entwicklung des Influenzavirus A(H1N1)v 2009 in der Saison
2009/10
In der Saison 2009/2010 sind im Nationalen Referenzzentrum
für Influenza im Robert Koch-Institut in Berlin insgesamt 2.190
pandemische A(H1N1)v 2009-Viren hinsichtlich ihrer Antigen- und/oder
genetischen Eigenschaften untersucht worden [18]. Die
seit Oktober 2009 isolierten 1.730 A(H1N1)v 2009-Viren reagieren sehr gut mit
dem Immunserum gegen den im pandemischen Impfstoff enthaltenen Stamm
A/California/7/2009, womit eine enge Verwandtschaft mit dem Impfstamm belegt
ist [18]. Die molekulare Analyse des
Hämagglutinin-Gens hat gezeigt, dass sich die Viren weltweit zwei
großen Gruppen zuordnen lassen, die wiederum in verschiedene Subgruppen
unterteilt werden können. Eine dieser zwei weltweit zirkulierenden Gruppen
ist durch eine Aminosäuren-Substitution im Bereich S203 T gekennzeichnet.
Seit Oktober 2009 wurden in Deutschland ausschließlich A(H1N1)v
2009-Viren mit dieser Substitution isoliert [18].
G. Neumann konnte zeigen, dass das neue Influenza-Virus
molekularbiologisch gesehen eine deutlich höhere Verwandtschaft zu niedrig
pathogenen Influenza-Viren aufweist als zu hoch pathogenen Influenza-Viren
[28].
Tab. 4 Genetik und
Pathogenität von Influenza-Viren [28].
Protein
|
Position
|
Pathogenität niedrig
|
Pathogenität hoch
|
A (H1N1) v2009
|
PB2
|
627
|
Glu
|
Lys
|
Glu
|
PB2
|
701
|
Asp
|
Asn
|
Asp
|
PB1-F2
|
66
|
Asn
|
Ser
|
Truncated (11aa)
|
HA
|
Cleavage site
|
Single basic AA
|
Multiple basic AA
|
Single basis AA
|
NS1
|
92
|
Asp
|
Glu
|
Asp
|
|
C-Terminus
|
Arg-Ser-Glu-Val Deletion
|
Glu-Ser-Glu-Val
|
11 C-terminal AA
truncated
|
Insgesamt 1.546 pandemische Influenza-Viren sind im Nationalen
Referenzzentrum hinsichtlich ihrer Sensitivität gegenüber den
Neuraminidase-Inhibitoren Zanamivir und Oseltamivir entweder genotypisch
und/oder phänotypisch untersucht worden [18]. Bei
99,5 % der Viren waren keine bekannten Resistenzmutationen
nachweisbar. Ein sensitiver Phänotyp konnte bei allen untersuchten
Virusisolaten nachgewiesen werden. Lediglich bei acht A(H1N1)v 2009-Viren wurde
eine Resistenz gegenüber Oseltamivir nachgewiesen, alle Viren waren jedoch
gegenüber Zanamivir sensibel. Hingegen waren alle 984 analysierten Viren
des neuen Influenza-Stammes gegenüber Amantadin resistent
[18].
Weltweit sind bis zum 1. April 2010 insgesamt 268
Oseltamivir-resistente pandemische Influenza-Viren erfasst worden
[25]
[29]. Zur weiteren
Übertragung von Mensch zu Mensch ist es jedoch nur in Einzelfällen
gekommen [30]. Alle weltweit bisher nachgewiesenen
Oseltamivir-resistenten Viren zeigten sich sensitiv gegenüber Zanamivir
[31].
Saisonale Influenza-Viren in der Saison 2009/2010
In der Saison 2009/2010 hat das neue Influenza-Virus die
saisonalen Viren nahezu komplett verdrängt. Mit Ausnahme von China
(Influenza B) lag die Rate saisonal nachgewiesener Influenza-Viren bei
1 – 5 % [25].
Diagnostik
Wie bei der saisonalen Influenza kann in der laufenden Epidemie
bei einer typischen klinischen Präsentation insbesondere zu Zeiten mit
einer hohen Nachweisrate von Viren in der laufenden Surveillance die Diagnose
einer A(H1N1)v 2009-Infektion klinisch gestellt werden [32].
Bereits sehr frühzeitig wurde deutlich, dass die kommerziell
verfügbaren „Influenza-Schnellteste”, die auf einem
Influenza A-Antigen-Nachweis beruhen, nicht ausreichend sensitiv
(11 – 70 %) waren [13]. Zum Goldstandard des Virusnachweises wurde daher die
konventionelle oder „real-time”
Reverse-Transkriptase-Polymerase-Kettenreaktion (RT-PCR) und zwar sowohl
für das durch einen Nasen-Rachenabstrich gewonnene Material als auch
für Sekrete aus dem tiefen Respirationstrakt [33].
Die Überlegenheit der RT-PCR besteht auch gegenüber der direkten oder
indirekten Immunofluoreszenz-Technik. Viruskulturen dienen überwiegend der
Surveillance und sind nur unter sehr ausgewählten Fragestellungen
z. B. bei massiv immunsupprimierten Patienten (HIV-Infektion,
Z. n. Transplantation) hilfreich [13].
Klinik der Neuen Influenza
Die Inkubationszeit nach der Infektion wird für A(H1N1)v 2009
mit 1,5 – 3 Tagen angenommen, in Einzelfällen mit bis
zu 7 Tagen [6]
[7]
[34]. Die Dauer der Virusausscheidung betrug bei
unkompliziertem Krankheitsverlauf bis zu 8 Tage [35]
[36], bei kompliziertem Krankheitsverlauf bis zu 3 Wochen
[37]. Bei der Masse der Erkrankten war der Verlauf
ausgesprochen kurz und milde und ging mit leichten Halsschmerzen,
Muskelschmerzen, leichtem Fieber und Rhinitis über
3 – 5 Tage einher [19]
[38]. Auch scheint der Anteil asymptomatischer Infektionen
insgesamt groß gewesen zu sein, obwohl hierüber noch kaum Daten
vorliegen [13]. Reinfektionen können offenbar
vorkommen, ihre genaue Anzahl ist jedoch noch nicht bekannt [39].
Die klinische Präsentation der Influenza-Erkrankung bei der
Neuen Influenza hat sich bei schwereren Erkrankungsverläufen in
vielfältiger Weise von dem Krankheitsbild der saisonalen Influenza
unterschieden [40].
Hervorstechendes Merkmal war zunächst die ungleich
größere Betroffenheit von Kindern, Jugendlichen und jungen
Erwachsenen im Vergleich zu Patienten, die älter als 65 Jahre waren.
Eine Besonderheit aus klinischer Sicht ergibt sich für die
Neue Influenza durch den relativ hohen Anteil von Personen, der neben
Atemwegsbeschwerden an Erbrechen und Übelkeit bzw. Durchfällen
gelitten hat. Nach den publizierten klinischen Daten litten von den
hospitalisierten Influenzapatienten 35 % an Übelkeit und
Erbrechen und 20 % an Durchfällen [19]
[20]
[41].
Tab. 5 Klinische Symptome
bei einer Infektion mit A(H1N1)v 2009 [19].
Symptom
|
%
|
Fieber
|
96 %
|
Husten
|
95 %
|
Kopfschmerzen
|
61 %
|
allgemeines
Krankheitsgefühl
|
61 %
|
Pharyngitis
|
60 %
|
Rhinitis
|
59 %
|
Myalgie
|
59 %
|
Diarrhö
|
28 %
|
Dyspnoe
|
26 %
|
Erbrechen
|
13 %
|
Ebenfalls auffällig war die hohe Rate von pulmonalen
Infiltraten, die bei hospitalisierten Patienten mit einer neuen
Influenza-Infektion gesehen worden sind [10]
[16]
[20]
[42]
[43]
[44]
[45]. In der Publikation von S.
Jain lag die Rate von Infiltraten bei Patienten, die nicht auf eine
Intensivstation aufgenommen worden sind und die Krankheit überlebt haben,
bei 28 %, wohingegen die Rate von pneumonischen Infiltraten bei
Personen, die auf eine Intensivstation aufgenommen werden mussten oder
verstorben sind, bei 73 % lag [19].
Bereits nach den ersten Publikationen wurde deutlich, dass bei ca.
26 – 38 % der Erkrankten Anhalt für eine
bakterielle pulmonale Superinfektion bestand, wobei Streptococcus pneumoniae
der bei weitem dominierende bakterielle Erreger war [17]
[42]
[44].
Das führende klinische Syndrom, das zur Hospitalisierung auf
Intensivstationen geführt hat, war eine virale Pneumonitis mit schwerer
Hypoxämie, ARDS und Multiorganversagen [13]
[41]. Dieses Syndrom entwickelte sich in der Regel
4 – 5 Tage nach dem Beginn der klinischen Symptomatik der
Grippe. Radiologisch imponierten im Röntgenbild des Thorax
unregelmäßige weiche Infiltrate von mäßiger Ausdehnung.
Das Ausmaß der Lungenerkrankung wurde häufig erst im CT-Thorax
deutlich, das ausgedehnte Milchglas-Infiltrate und alveoläre Infiltrate
zeigte [13]
[41].
Vereinzelt wurde auch über neurologische Komplikationen
(Konfusion, Koma, Enzephalitis, Paresen), Myokarditiden und Myositiden,
z. T. mit letalem Ausgang, berichtet [13].
Laborbefunde
Im Blutbild wurden Lymphopenien beobachtet. Die
Entzündungsparameter LDH und CRP waren deutlich erhöht
[19]
[20]. Pathologische
Leberwerte, d. h. erhöhte Serum-Transaminasen, fanden sich nach
Daten aus den USA bei wegen Influenza hospitalisierten Patienten bei
45 % [19]
[20]. Aus
der eigenen Erfahrung und nach den bisher publizierten Daten kann darüber
hinaus aufgeführt werden, dass eine zum Teil massive Erhöhung der
CK-Werte (Kreatininkinase) ebenfalls häufig (bis zu 30 % der
hospitalisierten Influenza-Patienten) beobachtet worden sind
[13]
[41].
Risiko-Population für schwere Verläufe bei einer
A(H1N1)v 2009-Infektion
Wie oben bereits ausführlich ausgeführt, waren von
hospitalpflichtigen oder tödlich verlaufenden Influenza-Infektionen
insbesondere Menschen unterhalb des 65. Lebensjahres betroffen. Die am meisten
betroffene Altersgruppe war diejenige zwischen dem 18. und 49. Lebensjahr
[19]
[22]
[23]. Aus den USA ist darüber hinaus von einer stark
erhöhten Rate pädiatrischer Todesfälle (< 5 Jahre)
berichtet worden. Während die Anzahl pädiatrischer Todesfälle in
der Influenza-Saison 2006/2007 78, in der Saison 2007/2008 88 und in der Saison
2008/2009 130 pädiatrische Todesfälle gezeigt hat, fand sich in der
Influenza-Saison 2009/2010 eine Anzahl von 221 an Influenza verstorbenen
Kindern [23].
Schwere Verläufe und Todesfälle sind vor allem bei
Patienten mit Grunderkrankungen berichtet worden, lediglich
25 – 50 % aller dieser Patienten wiesen keine
Grunderkrankung auf [13]
[18]
[22]
[23]
[25]
[41]. Hervorzuheben sind hier
insbesondere die Folgenden:
Asthma bronchiale, chronisch-obstruktive Atemwegserkrankung,
Diabetes mellitus, iatrogene Immunsuppression, chronische kardio-vaskuläre
Erkrankungen, chronische renale Erkrankungen, chronische neurologische
Erkrankungen und Übergewicht (BMI > 30).
Bisher nicht gut erklärt ist, warum von den schweren
Verläufen einer Infektion mit A(H1N1)v 2009 besonders auch Schwangere
betroffen waren. In den USA und in Deutschland sind die Hospitalisierungsraten
bei Schwangeren 4 – 6 × höher gewesen als
bei nicht Schwangeren [18]
[46]
[47]
[48]
[49]
[50]. Betroffen waren dabei
insbesondere Schwangere im 2. und 3. Trimenon sowie auch Wöchnerinnen.
Eventuell trägt die Verschiebung der Immunantwort bei Schwangeren von
einer zellvermittelten hin zu einer humoralen Immunität und der damit
verminderten Aktivität zytotoxischer T-Lymphozyten etwas zu dem
erhöhten Risiko gegenüber Virusinfektionen bei [51].
Patienten, die auf einer Intensivstation behandelt werden
mussten, zeigten häufig neben dem Bild eines akuten respiratorischen
Versagens Krankheitszeichen, die für eine Multiorganbeteiligung der
Infektion oder für eine, durch die Virusinfektion induzierte,
überschießende Abwehrreaktion (cytokine storm) sprachen
[52]
[53]
[54]
[55]
[56].
Auch wenn letztlich nur wenige Patienten intensivmedizinisch behandelt werden
mussten, kamen durch den raschen Anstieg der Fallzahlen die Intensivstationen
auf der Süd- und Nord-Hemisphäre ebenso schnell an ihre
Kapazitätsgrenzen [52]
[53]
[54]
[55]
[56], wie dies auch in
Deutschland der Fall war (persönliche Mitteilung Prof. Dr. T. Welte, MH
Hannover).
Therapie
nAH1/N1 ist empfindlich gegenüber den
Neuraminidase-Inhibitoren Oseltamivir (Tamiflu) und Zanamivir (Relenza) und
resistent gegenüber Amantadin und Rimantadin. Die wenigen weltweit
beobachteten Oseltamivir-resistenten Stämme waren Zanamivir-empfindlich
[30]. Wegen seiner systemischen Verfügbarkeit und
Wirksamkeit ist das orale Präparat Oseltamivir gegenüber dem mehr
topisch wirksamen, inhalativ anzuwendenden Zanamivir weltweit bevorzugt
eingesetzt worden. Je früher die Neuraminidase-Inhibitoren eingesetzt
werden, desto sicherer ist ihre Wirksamkeit. Jedoch scheint bei schweren
Verlaufsformen auch ein späterer Therapiebeginn (> 48 Stunden
nach Beginn der Symptomatik) einen positiven Effekt hinsichtlich der
Krankheitsschwere und dem Überleben zu haben [30]
[57]. Bei milden bis
mäßig schweren Erkrankungen wurde die Standard-Dosis von Oseltamivir
mit 2 × 150 mg/Tag eingesetzt, bei schweren
Verlaufsformen sind jedoch auch erfolgreich hohe Dosen
(2 × 150 mg –
2 × 450 mg/Tag) angewendet worden
[13]
[30]. Bei schwerkranken
Intensivpatienten fand sich allerdings, vermutlich durch eine verminderte
Resorption nach oraler Applikation, teilweise eine unzureichende klinische
Wirksamkeit der Oseltamivir-Therapie. In einigen solcher Fälle ist
erfolgreich parenterales Zanamivir zum Einsatz gekommen (Off-Label-Use der
nicht zugelassenen Substanz) [31].
Grippeschutzimpfung
Für die jährliche Herstellung von saisonalen
Grippeschutzimpfstoffen werden als Saatviren Antigen-Drift-Varianten verwendet,
die nach Meinung einer von der WHO koordinierten Expertengruppe in der
kommenden Saison ein epidemiologisches Problem darstellen können.
Grundsätzlich handelt es sich bei der saisonalen Grippeschutzimpfung um
eine Auffrischungsimpfung, da eine Grundimmunität durch vorherige
Impfungen oder abgelaufene Infektionen mit saisonalen Influenza-Stämmen
vorhanden ist [58].
Das Risiko für schwere Verläufe oder Tod liegt bei der
saisonalen Influenza insbesondere bei Personen, die 60 Jahre oder älter
sind, und bei Personen mit schweren Grunderkrankungen. Für diese beiden
Patientengruppen besteht daher eine vorrangige Impfindikation
[59].
Die am weitesten verbreiteten saisonalen Influenza-Impfstoffe
sind trivalente Spaltvirus-Vakzine. Diese werden überwiegend im
Brutei-Herstellungsverfahren produziert. Ein kleinerer Teil der trivalenten
Spalt-Vakzine wird in Hundenierenzellen oder in Affennierenzellen hergestellt.
Neben den nicht adjuvantierten trivalenten Spalt-Vakzinen gibt es eine
adjuvantierte trivalente Spalt-Vakzine der Firma Novartis (Fluad), bei der das
Adjuvanz MF59.1 zum Einsatz kommt. Bisher nur in den USA bei Kindern eingesetzt
wird eine saisonale Ganzvirus-Vakzine, bei der es sich um ein
Kälte-attenuiertes rekombinant hergestelltes, vermehrungsfähiges
Influenza-Virus handelt [58]
[60].
Über die Schutzwirkung der saisonalen Influenza-Vakzine ist
ausreichend Information vorhanden. Im Jahre 2007 wurde in einer
Cochrane-Analyse festgestellt, dass die Untersuchung von 25 Studien mit
insgesamt 59.566 Personen eine Effektivität der inaktivierten trivalenten
Spalt-Vakzine von 70 % ergeben hat, wobei der Vertrauensbereich
zwischen 56 und 80 % lag [61]. Allerdings
ist seit längerem bekannt, dass insbesondere bei Personen oberhalb des 65.
Lebensjahres die Effektivität der saisonalen Influenza-Vakzine lediglich
bei 52 – 60 % anzusiedeln ist und einen
großen Vertrauensbereich aufweist
(29 – 67 %) [59].
Zurzeit werden von den großen Impfstoff-Herstellern verschiedene
Strategien verfolgt, die Effektivität der saisonalen Influenza-Vakzine
insbesondere bei älteren Personen zu steigern. Eine aktuelle Strategie
basiert auf der intradermalen Gabe des Impfstoffes unter Ausnutzung der
intradermal hohen Dichte Antigen-präsentierender dentritischer Zellen
[58]
[62]. Die zweite Strategie
beinhaltet die Adjuvantierung der trivalenten Spaltvirus-Vakzine
[58]. Dieser Weg ist von der Firma Novartis bereits vor
einigen Jahren begonnen worden. Mit dem durch MF59.1 adjuvantierten saisonalen
Impfstoff (Fluad) waren vor der Pandemie bisher ca. 40 Millionen weltweit
geimpft worden. Effektivitätsdaten liegen hierzu jedoch nicht vor. Die
Firma GSK führt seit 2008/2009 eine große Effektivitätsstudie
mit mehr als 40 000 Personen im Alter von über 65 Jahren mit einer
trivalenten Spaltvirus-Vakzine durch, die mit dem Adjuvanz AS 03 kombiniert
ist
[63]
[64].
Adjuvanzien dienen, vereinfacht ausgedrückt, dazu, am Ort
der Injektion des Impfstoffes eine intensivierte lokale Entzündung zu
induzieren. Hierdurch werden mehr immunkompetente Zellen am Ort der Antigengabe
akkumuliert, und es kommt zu einer intensivierten immunologischen Verarbeitung
der Antigene [58].
Bei der Entwicklung eines Impfstoffes gegen die Neue Influenza
A(H1N1)v 2009 war die Ausgangssituation im Vergleich zur Entwicklung saisonaler
Grippeschutzimpfstoffe vollkommen unterschiedlich. Es handelte sich um ein
Antigen-Shift-Virus, bei dem davon ausgegangen werden musste, dass bei
Personen, die jünger als 60 Jahre alt sind, keine Grundimmunität
vorhanden ist. Ziel der Impfung war hier also nicht eine Auffrischung
vorhandener Grundimmunität, sondern die Induktion einer
Grundimmunität [58]. Diese Situation war
vergleichbar mit der Entwicklung eines Impfstoffes gegen ein potenziell
humanpathogenes aviäres Influenza-Virus wie zum Beispiel A/H5N1.
Bei Beginn der Krankheitswelle durch die Neue Influenza A(H1N1)v
2009 im April 2009 lagen bereits Erfahrungen aus der zweijährigen
Entwicklung von Musterimpfstoffen gegenüber A/H5N1 vor [58]. Da man bei der Entwicklung eines Impfstoffes gegen ein
hoch pathogenes aviäres Influenza-Virus davon ausgehen musste, dass das
Brutei-Herstellungsverfahren sich durch die aviäre Pathogenität des
Saatvirus gegenüber den Hühnerembryonen als schwierig erweisen
könnte und somit nur eine geringe Antigen-Produktionskapazität
erwartet werden konnte, musste nach einem Ausweg aus dieser Situation gesucht
werden. Aus der Entwicklung von Musterimpfstoffen gegenüber A/H5N1 wusste
man, dass die für eine Grundimmunisierung notwendige Antigenmenge in der
Größenordnung von 15 – 30 µg
Antigen lag [58]. Insbesondere im weltweiten
Maßstab war jedoch auch unter der hypothetisch angenommenen
günstigen Voraussetzung, dass sich das Saatvirus nicht als
Hühnerembryonen-pathogen erweisen würde, keine ausreichend hohe
Herstellerkapazität für die Produktion derart hoher Antigenmengen
vorhanden.
Die Entwicklung eines Vogelgrippe-Impfstoffes konzentrierte sich
daher auf die Entwicklung von entweder adjuvantierten Impfstoffen zur
Einsparung der notwendigen Antigenmenge oder die Herstellung von
Ganzvirus-Impfstoffen [58]. Bereits frühzeitig in
dieser Entwicklung zeigte sich, dass ein häufig eingesetztes Adjuvanz,
nämlich Aluminium-Hydroxid, bei nicht vorhandener Grundimmunität
keine wirksame Adjuvanzstrategie darstellte. Hingegen konnte gezeigt werden,
dass sowohl das von der Firma Novartis entwickelte Adjuvanz MF59.1 als auch
das
von der Firma GSK entwickelte Adjuvanz AS 03 wirksam waren [58]. Aus der Musterzulassung pandemischer Impfstoffe
gegenüber A/H5N1 war bekannt, dass die Serumprotektionsrate, d. h. der
Anteil der Personen mit einem Hämagglutinin-Inhibitionstiter von
> 1 : 40 nach zweimaliger Impfung am Tag 21 für
7,5 µg Antigen plus MF59.1 bei 86 %, für
3,75 µg Antigen plus AS 03 bei 94,3 % und für
7,5 µg Ganzvirus-Antigen bei 65 % lag
[58]. Auf der Basis dieser Musterzulassung von
Pandemie-Impfstoffen gegenüber dem Vogelgrippe-Virus sind dann die
Pandemie-Impfstoffe gegenüber A(H1N1)v 2009 entwickelt worden.
Bei den Adjuvanzsystemen MF59 und AS 03 handelt es sich um
Öl-in-Wasser-Emulsionen aus Squalen (einem Zwischenprodukt der
Cholesterin-Biosynthese, gewonnen z. B. aus Haifischleber) als
Ölphase und einer Wasserphase (MF 59 Zitratpuffer; AS 03: PBS). AS 03
enthält zusätzlich Alpha-Tocopherol (11,6 µg Vitamin E)
[58].
Da Squalen ein Zwischenprodukt der endogenen humanen
Cholesterin-Biosynthese ist, ist Squalen bei entsprechend sensiblen Verfahren
im Blut des Menschen nachweisbar. Die tägliche Aufnahme durch
Nahrungsmittel, insbesondere durch Fische und Olivenöl, liegt bei ca.
10 µg. Im Gegensatz zu in den Medien vielfältig
geäußerten Befürchtungen fanden sich bei mit Squalen-haltigen
Impfstoffen geimpften US-amerikanischen Soldaten, die am ersten Golfkrieg
teilgenommen hatten, keine vermehrten Erkrankungen oder schwerwiegenden
unerwünschten Wirkungen [65]. Darüber hinaus
lagen vor der Infektion gegen das neue Influenza-Virus mit dem Adjuvanzsystem
MF59.1 der Firma Novartis Erfahrungen aus 40 Millionen Impfungen mit saisonalen
Grippevirus-Antigenen vor [66]
[67] und aus den klinischen Studien im Rahmen der
Musterzulassung für einen Vogelgrippe-Impfstoff mit dem Adjuvanzsystem AS
03 der Firma GSK Erkenntnisse über mehr als 40 000 im Rahmen der
Entwicklung dieses Impfstoffes untersuchten Probanden vor [64].
Das Paul-Ehrlich-Institut in Deutschland und die
europäischen Arzneimittel-Zulassungsbehörden sehen eine Wirksamkeit
einer Influenza-Vakzine dann als gegeben an, wenn der Sero-Konversionsfaktor,
also der mittlere Anstieg der HAI-Antikörpertiter, > 2,5 ist,
die Serum-Konversionsrate, also der Anteil der Personen mit einem HAI-Titer
von
< 40 vor und > 40 nach der Impfung oder 4-fachem
Titeranstieg, wenn der HAI-Titer vor der Impfung
> 1 : 40 war, bei 40 % der Impflinge
erreicht wird und die Serum-Protektionsrate, d. h. der Anteil der
Personen mit einem HAI-Titer von > 40 nach der Impfung über
70 % liegt [58].
Nach Auswertungen der ersten Resultate der Impfung mit dem
Impfstoff Pandemrix® der Firma GSK (3,75 µg Antigen
A(H1N1)V 2009 plus AS 03) zeigte sich, dass in der Altersgruppe der 18- bis
60-Jährigen die folgenden Wirksamkeitswerte erreicht worden sind:
Serum-Konversionsfaktor 42, Serumkonversionsrate 95 %,
Serumprotektionsrate 98 %.
Tab. 6 Surogatparameter
der Impfwirksamkeit für Pandemrix® bei Erwachsenen
[65].
|
Ziel
|
Altersgruppe
18 – 60 Jahre
|
Serumkonversionsfaktor
(mittlerer Anstieg HAI-AK)
|
≥ 2,5
|
≥ 42
|
Serokonversionsrate
(%) (% HAI-Titer < 1 : 40 vor
und > 1 : 40 nach Impfung)
|
≥ 40
|
95
|
Seroprotektionsrate
(%) (% mit HAI-Titer > 1 : 40
nach Impfung)
|
≥ 70
|
> 98
|
Im Verlauf zeigte sich auch für Kinder, d. h.
Personen unterhalb des 18. Lebensjahres, dass ähnliche
Wirksamkeitskriterien bereits mit einer einzigen Impfung erreichbar waren
[65].
Ähnlich hohe Wirksamkeitsnachweise hat der Impfstoff
Focetria der Firma Novartis (7,5 µg Antigen plus MF59.1) ergeben
[65]. Etwas schlechter waren die Wirksamkeitsnachweise
für den Ganzvirusimpfstoff Celvapan der Firma Baxter [65]. In ähnlicher Größenordnung wie die
adjuvantierten Impfstoffe waren auch die nicht adjuvantierten Impfstoffe
wirksam, die 15 µg A(H1N1)v 2009-Antigen enthielten. Diese
Impfstoffe sind insbesondere in den USA, Canada und Australien zum Einsatz
gekommen [68].
Aus globaler Sicht muss allerdings klar festgestellt werden,
dass die Strategie, einen Impfschutz mit möglichst wenig Antigen zu
induzieren, nicht nur eine günstige Strategie für den Fall einer
möglichen aviären Toxizität des Saatvirus war, sondern auch die
Möglichkeit bot, weltweit bedeutend mehr Impfstoff zur Verfügung zu
stellen als beim Einsatz hoher Antigenmengen. Daher bieten die adjuvantierten
Impfstoffe auch die Möglichkeit, im weltweiten Maßstab bedeutend
mehr (2 – 4 × mehr) Menschen zu impfen als
beim Einsatz höherer Antigenmengen.
Neben der Kritik an den Adjuvanzsystemen galt ein Teil der
öffentlichen Kritik an dem in Deutschland eingesetzten Impfstoff
Pandemrix® die Tatsache, dass der Impfstoff in
Mehrdosis-Behältern zur Verfügung gestellt worden ist. Diese
Mehrdosis-Behälter enthielten das antibakteriell wirksame Quecksilbersalz
Thiomersal. Die in einer Impfdosis enthaltene Tiomersalmenge betrug
5 µg, die resorbierbare Quecksilbermenge 2,5 µg.
Hierbei ist zu bedenken, dass die erlaubte wöchentliche
Quecksilberaufnahme innerhalb der Europäischen Gemeinschaft durch die
Nahrung als oberen Grenzwert 0,7 µg/kg Körpergewicht pro
Woche erlaubt, dies entspricht bei einem 70 kg schweren Menschen ca.
50 µg pro Woche, also das 20-Fache dessen, was bei der Impfung
verabreicht worden ist [69].
Unerwünschte Wirkungen des Impfstoffes
Pandemrix®
Dem Paul-Ehrlich-Institut sind bis zum 19. 1. 2010
nach der Verimpfung von ca. 6 – 7 Millionen Dosen
unerwünschte Arzneimittelwirkungen bei 1.377 Personen gemeldet worden
[65]. Insgesamt wurden bei diesen Personen 3.518
Ereignisse gemeldet (Mehrfachnennungen möglich). Überwiegend handelt
es sich hierbei um eine deutlich verstärkte Lokalreaktion, kurzfristige
subfebrile Temperaturen oder kurzfristiges Fieber, Kopfschmerzen, Übelkeit
und allgemeine Mattigkeit. Die Rate der Meldungen schwerer unerwünschter
Arzneimittelwirkungen unterscheidet sich bis zum oben genannten Datum nicht
von
der Meldungsrate, wie sie zwischen den Jahren 2000 und 2008 über die
saisonalen Impfstoffe berichtet worden ist. Auch im europäischen
Maßstab kann festgestellt werden, dass möglicherweise durch den
Impfstoff induzierte schwere, unerwünschte Arzneimittelwirkungen oder
Todesfälle das statistisch erwartbare Risiko für das Eintreten
solcher Erkrankungen oder den Tod nicht überschreiten, d. h. bisher
gibt es für Impfstoff-bezogene, schwere unerwünschte Wirkungen oder
Impfstoff-bezogene Todesfälle keine statistisch nachweisbare Häufung
[70].
Rückblick auf die Saison 2009/2010
Die Entwicklung der A(H1N1)v 2009-Pandemie war, wie oben
beschrieben, sehr rasch. Das neue Antigen-Shift-Virus traf auf eine zum
großen Teil immunologisch naive Bevölkerung (Personen < 64
Lebensjahre). Verglichen mit vorausgehenden Pandemien war jedoch die
Pathogenität des neuen Virus weniger stark ausgeprägt. Somit war
trotz hoher Übertragungsfähigkeit und Ansteckungsfähigkeit des
Virus häufig ein milder Krankheitsverlauf zu beobachten. Bei einem kleinen
Teil der Erkrankten hat sich jedoch ein schwerwiegendes Krankheitsbild
entwickelt, wobei insbesondere vermutlich primäre virale Pneumonien zu
einer Vielzahl von auf Intensivstationen zu versorgenden Patienten führte.
Zusätzlich zeigten schwere Verläufe häufig die Entwicklung einer
sekundären bakteriellen Pneumonie. Betroffen waren weltweit
überwiegend jüngere Menschen und vor allem Kinder, Jugendliche und
junge Erwachsene.
Das neue A(H1N1)v 2009-Virus hat sich als relativ stabil
erwiesen. Eine wesentliche Resistenzentwicklung ist bisher nicht eingetreten.
Ebenso ist bisher keine Virulenzsteigerung beobachtet worden. Allerdings war
das Virus in der Lage, die saisonalen Influenza-Viren nahezu komplett weltweit
zu verdrängen. Die Pandemie 2009/2010 traf die Welt nicht unvorbereitet.
Bedingt durch die SARS-Epidemie und die Entwicklung hoch pathogener
aviärer Influenza-Viren (H5N1) war die Entwicklung von
Managementplänen des öffentlichen Gesundheitswesens, die Entwicklung
von raschen diagnostischen Instrumenten (PCR) und die Entwicklung von
Impfstoffen bereits vor Beginn der Pandemie gut vorangeschritten. Ein nach
Analyse aller bisher vorliegenden Daten hoch wirksamer und gut
verträglicher Impfstoff stand rasch, wenn auch etwas verspätet
(Höhepunkt der Impfstoffproduktion und Auslieferung bzw.
Verfügbarkeit zum Verimpfen im Höhepunkt der 2. Krankheitswelle im
November 2009) zur Verfügung.
Insofern ist der Erkenntnisgewinn, den die Öffentlichkeit
und die Wissenschaft durch die Epidemie 2009/2010 gehabt hat, nicht zu
unterschätzen. Man kann davon ausgehen, dass die Welt nach der Erfahrung
des vergangenen Jahres besser auch für eine deutlich schwerer verlaufende
pandemische Situation gerüstet ist.
Kritisch anmerken muss man, dass es bei der Kommunikation
zwischen Wissenschaft, öffentlichem Gesundheitswesen und staatlichen
Instanzen eine Reihe von Problemen gegeben hat. Dies fängt mit der
Namensgebung des Virus in den Medien (Schweinegrippe) an. Diese Namensgebung
induzierte bei vielen Menschen die Vorstellung, dass es sich bei A(H1N1)v 2009
um ein tierpathogenes und nicht humanpathogenes Virus gehandelt hat. Im
weiteren Verlauf wurde die Deklaration der Pandemiestufe 6 durch die WHO
dahingehend missverstanden, dass hohe Erwartungen an exorbitante Raten schwerer
Erkrankter und eine sehr hohe Letalität verknüpft wurden, ohne dass
die Grundlage der Definition, nämlich die weltweite Verbreitung eines
neuen Virustyps, hierbei gebührend gewürdigt wurde. Selbstkritisch
muss darüber hinausgehend festgestellt werden, dass sich insbesondere zu
Beginn der Pandemie und in der Vorbereitung der Impfkampagne viele Kolleginnen
und Kollegen in den Medien geäußert haben, ohne über eine
erkennbare Expertise hinsichtlich der Influenza zu verfügen. Dies hat
insbesondere hinsichtlich des zur Verfügung stehenden Impfstoffes zu einer
tiefen Verunsicherung der Bevölkerung und daraus resultierender mangelnder
Akzeptanz der Impfung geführt. Schließlich war auch das Agieren des
Staates, insbesondere hinsichtlich der Beschaffung der Impfstoffe,
unglücklich. Die Bevorratung eines anders gearteten Impfstoffes für
bestimmte Teile staatlicher Organe als für die gesamte Bevölkerung
hat in der Öffentlichkeit zu großen Irritationen geführt und
gleichzeitig den Eindruck erweckt, bei dem für die Öffentlichkeit zur
Verfügung stehenden pandemischen Impfstoff handelte es sich um ein
Präparat 2. Klasse. Angesichts der unzureichenden Durchimpfungsrate der
Bevölkerung ist dieses besonders zu bedauern. Wir gehen zurzeit davon aus,
dass in Deutschland etwas weniger als 10 % der Bevölkerung
gegen A(H1N1)v 2009 geimpft sind [65]. In Schweden hat
die Durchimpfungsrate der Bevölkerung hingegen mehr als 50 %
erreicht. Somit besteht hier in einem deutlich höheren Ausmaß eine
Grundimmunität gegenüber dem neuen Influenza-Virus
[71].
Ausblick auf die Saison 2010/2011
Nach Abklingen der pandemischen Welle in den USA und Europa ist
es auf der Südhemisphäre nicht zur Entwicklung einer neuen
Frühjahrs-Epidemie gekommen. Somit wird zurzeit auch für die
Nordhemisphäre nicht mit einer Sommerwelle, verursacht durch A(H1N1)v
2009, gerechnet. Es wird interessant zu beobachten, wie sich die Situation im
Winterhalbjahr der Südhemisphäre entwickelt. Hieraus können
vermutlich Rückschlüsse auf die Entwicklung der Influenza-Epidemie im
Winter 2010/2011 auf der Nordhemisphäre gezogen werden. Da sich nAH1/N1
jedoch in der Saison 2009/2010 weltweit verbreitet und eine große Zahl
von Menschen sich infiziert hat, ist das pandemische Potenzial des Virus
vermutlich erschöpft. Nach Modellberechnungen des RKI ist davon
auszugehen, dass zurzeit durch abgelaufene Infektionen, Impfungen und
Kreuzimmunität (bei den > 60-Jährigen)
26 – 44 % der Bevölkerung
schützende Antikörperspiegel gegen A(H1N1)v 2009 aufweisen
[22]. Zu rechnen ist allerdings damit, dass sich dieses
Virus als saisonales Influenza-Virus etabliert. Hinsichtlich der
Zusammensetzung eines Impfstoffes für die Saison 2010/2011 wäre es
daher wünschenswert, neben A(H1N1)v 2009 eine Impfstoffkomponente zu
A/H3N2 und Influenza B hinzuzunehmen. Eine solche Vakzine wird voraussichtlich
gemäß Empfehlungen der WHO als trivalente, nicht-adjuvantierte
Spaltvakzine angeboten werden. Die STIKO berät derzeit nach den
Erfahrungen des vergangenen Jahres über etwaige Erweiterung der
Standard-Indikationsgruppen; hier könnten Schwangere oder Personen mit
Grunderkrankungen einbezogen werden.