Dr. med. Michael Lukas Geiges
In dieser Ausgabe veröffentlich die „Aktuelle
Dermatologie” fünf Beiträge zur Geschichte unseres Faches. Es
handelt sich um Vorträge, welche anlässlich des Arbeitstreffens der
Arbeitsgemeinschaft für Geschichte der Dermatologie und Venerologie, kurz
AGDV, anlässlich der 22. Fortbildungswoche im Juli 2010 in
München gehalten wurden.
Historische Beiträge in der „Aktuellen
Dermatologie” – ein Widerspruch? Vielleicht weist auch die stetig
wachsende Mitgliederzahl der AGDV – und zwar aus allen Altersgruppen
– darauf hin, dass die Beschäftigung mit der Geschichte unseres
Faches auch eine Bedeutung für den alltäglichen Umgang mit unseren
Patienten hat und auch im Rahmen der aktuellen Dermatologie eine Beachtung
verdient.
Es gibt viele Gründe, sich mit der Vergangenheit eines
medizinischen Fachgebietes auseinander zu setzen. Es kann die Faszination an
dermatologischen Geschichten sein, die das Leben schrieb. Es kann die Frage
nach Bedeutung und Entwicklung von Erkenntnissen sein, welche unmittelbar oder
auf Umwegen zu „der Dermatologie”, wie wir sie heute wahrnehmen
und praktizieren, geführt hat. Es muss aber auch die kritische
Auseinandersetzung mit historischen Entwicklungen und Ereignissen sein, welche
manchmal offenkundig, aber manchmal auch indirekt oder absichtlich verdeckt
Entwicklungen der dermatologischen Wissenschaft und Praxis beeinflusst und
gelenkt haben.
Was kann der Gewinn einer Auseinandersetzung mit der
Medizingeschichte sein? Aus Sicht des Historikers scheinen mir besonders drei
Konsequenzen wichtig, welche sich aus der Beschäftigung mit der
Medizingeschichte ergeben: das Bewusstsein über die Historizität der
aktuellen Medizin und der eigenen Position in der Wissenschaft und Praxis; die
Möglichkeit über eine historische Distanz gängige Leitbilder und
Leitideen kritisch zu hinterfragen (was nicht als fachfremde Be- oder Abwertung
missverstanden werden darf); und die Möglichkeit, Erfahrungen aus einer
Kritik historischer Quellen auch in den Umgang mit aktuellen
Wissensbeständen und Erkenntnissen einfließen zu lassen.
Die Medizingeschichte bietet eine Vielzahl von Zugängen und
lebt von der Interdisziplinarität. Medizinhistoriker rekrutieren sich aus
den unterschiedlichsten Bereichen: Historiker, Kulturanthropologen,
Sprachwissenschaftler, Ärzte, Pflegefachpersonen …
(selbstverständlich sind überall beide Geschlechter gemeint). Umso
bedeutsamer ist die interdisziplinäre Kommunikation und der Austausch
hinsichtlich Methoden und Forschungsstand. Die AGDV versteht sich als
Arbeitsgemeinschaft, die das Interesse Einzelner an der Geschichte unseres
Faches bündeln und fördern möchte. Es wird zunehmend eine
Aufgabe der AGDV sein, interessierten Dermatologinnen und Dermatologen
Unterstützung für eine professionelle Annäherung an die
Medizingeschichte zu ermöglichen, über medizinhistorische Methodik
und aktuelle Forschung zu informieren und Verbindungen zu professionellen
medizinhistorischen Forschungsinstitutionen zu vermitteln.
Die oben angedeutete Vielseitigkeit des Faches Medizingeschichte
widerspiegelt sich auch in den hier publizierten Beiträgen zur
Dermatologiegeschichte. Bellmann und Scholz weisen auf tiefgreifende
Veränderungen für die Dermato-Urologie durch Emigration und
Deportation im Nationalsozialismus hin, deren Erforschung erst begonnen hat.
Bendick berichtet über Säureanschläge in Kambodscha, ein in
unserem deutschsprachigen Kulturraum kaum bekanntes dermatologisches Problem.
Plewig erinnert mit Verweisen auf ein medizinisches Netzwerk und auf
staatspolitisch um 1800 bedeutsame medizinische Probleme an den Pionier der
Sozialmedizin Johann Peter Frank, wertvoll ergänzt mit Hinweisen zu
Biografien und Denkmälern. Je weiter man in der Zeit zurückgeht,
desto schwieriger wird die Quellenlage und desto größer auch die
Gefahr der anachronistischen Interpretation aus heutiger Sicht. Umso spannender
ist der Überblick von Hannelore Mittag über die medizinische
Wahrnehmung von Hautkrankheiten aus der Zeit vor der
„Dermatologie”. Geiges untersucht den populären Begriff
„Muttermal” und verweist auf die Theorie des Versehens und den
Wandel der Interpretation von Naevi entsprechend den jeweils vorherrschenden
medizinischen Konzepten im Laufe der Zeit.
Hoffentlich wecken diese Beiträge bei den Lesern die Lust, noch
mehr über die Geschichte unseres Faches zu erfahren. Vielleicht
möchten Sie über Themen und Bereiche aus unserer Fachgeschichte
mitdiskutieren oder Aspekte aus der Geschichte selbst genauer anzuschauen oder
bearbeiten. In diesem Falle laden wir Sie herzlich ein der AGDV als Mitglied
beizutreten (siehe www.agdv.org) und hoffen, Sie an einem der nächsten
Treffen begrüßen zu dürfen.
Ihr
Michael L. Geiges