Stellen wir uns vor, Physiotherapeutin Hannah möchte den sektoralen Heilpraktiker
im Bereich der Physiotherapie (sHP) machen und sucht nach Informationen. Ihre Ausgangsfrage:
An wen muss ich mich wenden?
In jedem Bundesland ist ein anderes Amt für den neuen Bereich „sektoraler Heilpraktiker”
zuständig. Daher ist es ratsam, sich zunächst beim Landratsamt des ersten Wohnsitzes
zu wenden, um dort zu erfahren, welches Amt für die Prüfungsanmeldung zuständig ist.
Das kann unter anderem das Gesundheits- oder das Ordnungsamt sein.
Grundsätzlich soll man nach dem Urteil vom Bundesverwaltungsgericht in jedem Bundesland
die Prüfung zum sHP ablegen können. Die entscheidende Frage lautet allerdings: Wann
begannen die einzelnen Bundesländer beziehungsweise deren Gesundheitsämter mit der
Umsetzung des Urteils? Manche Länder handelten rasch. In Bayern zum Beispiel fanden
im Frühjahr 2010 erste Prüfungen statt. Auch in Nordrhein-Westfalen, Hessen, Berlin
und Baden-Württemberg ist eine Überprüfung möglich. In Niedersachsen sollen Physiotherapeuten
den sHP erhalten, wenn sie von einem fachkundigen Arzt 30 Stunden Unterricht im Fach
Differenzialdiagnostik erhalten haben und dies bestätigt bekommen. In anderen Bundesländern
ist die Prüfungsausarbeitung noch nicht abgeschlossen. In Sachsen ist nicht absehbar,
wann es entsprechende Prüfungsrichtlinien gibt – interessierte Physiotherapeuten sollen
sich frühestens 2011 melden. Physiotherapeuten in Sachsen-Anhalt sollen die Prüfung
in einem anderen Bundesland ablegen.
Gibt es Zulassungsvoraussetzungen für die Prüfung?
Selbstverständlich muss man für die Prüfung zum sHP im Bereich der Physiotherapie
eine abgeschlossene Berufsausbildung zum Physiotherapeuten vorweisen. Des Weiteren
gelten dieselben Zulassungsvoraussetzungen wie für den allgemeinen Heilpraktiker (Kasten „Zulassungsbeschränkungen”).
Zulassungsbeschränkungen
Die wichtigsten Zulassungsbeschränkungen für den sektoralen Heilpraktiker
Die Erlaubnis wird nicht erteilt,
-
wenn der Antragsteller das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat,
-
wenn er nicht die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt,
-
wenn er nicht mindestens eine abgeschlossene Volks- bzw. Hauptschulbildung nachweisen
kann,
-
wenn er sittlich nicht zuverlässig ist, insbesondere wenn schwere strafrechtliche
oder sittliche Verfehlungen vorliegen,
-
wenn ihm infolge eines körperlichen Leidens oder wegen Schwäche seiner geistigen oder
körperlichen Kräfte oder wegen einer Sucht die für die Berufsausübung erforderliche
Eignung fehlt,
-
wenn sich aus einer Überprüfung der Kenntnisse und Fähigkeiten des Antragstellers
durch das Gesundheitsamt ergibt, dass die Ausübung der Heilkunde durch den Betreffenden
eine Gefahr für die Volksgesundheit bedeuten würde.
Aus: 1. DV z. Heilpraktikergesetz
Wie werde ich geprüft? Wer prüft mich und was sind die Prüfungsthemen?
Da die Prüfungsdurchführung Ländersache ist, bietet jedes Bundesland eine andere Prüfung
an – vorausgesetzt die zuständigen Gesundheitsämter sind schon so weit. In manchen
Bundesländern wird nur mündlich geprüft, in anderen schriftlich und mündlich. In Bayern
muss der Prüfling zum Beispiel zuerst eine schriftliche Prüfung ablegen, die aus 28
Multiple-Choice-Fragen besteht. Innerhalb von 55 Minuten muss er mindestens 21 Fragen
richtig beantworten, damit er etwa drei Wochen später zur 30-minütigen mündlichen
Prüfung darf. In Baden-Württemberg wird man 30 Minuten abgefragt. In Hessen besteht
die mündliche Prüfung aus drei Fragen.
Jedes Bundesland hat seine eigenen Regeln.
Einer der Prüfer muss die Prüfung selbst einmal abgelegt haben. Bisher war stellvertretend
immer ein allgemeiner Heilpraktiker anwesend. Wer sonst noch prüft und vor allem welcher
Facharzt anwesend ist, variiert von Prüfung zu Prüfung. Von den prüfenden Amtsärzten
hängen die abgefragten Themen ab. Ist der prüfende Arzt ein Orthopäde, wird orthopädisches
Wissen verlangt, während ein Chirurg eher auf sein Gebiet Wert legt. Daher ist prinzipiell
mit allen Krankheitsbildern zu rechnen.
Außer der Krankheitslehre sollte man sich mit der Berufs- und Gesetzeskunde der Heilpraktiker
auskennen. Da ein sHP entscheiden muss, wann seine eigene Arbeit aufhört und wann
die des Arztes beginnt (sogenannter Arztvorbehalt), spielt die Differenzialdiagnostik
bei der Prüfung eine große Rolle. Vor allem in Bezug auf bösartige Erkrankungen, Volksund
Infektionskrankheiten, die im Infektionsschutzgesetz genannt werden, sollte man differenzialdiagnostisches
Wissen beweisen.
Im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts heißt es, die Prüfung müsse sich auf solche
Kenntnisse beschränken, die zur eigenverantwortlichen Anwendung von Physiotherapie
erforderlich und nicht bereits durch die Berufsausbildung vermittelt worden seien.
Ist es nicht paradox, eine Prüfung auf diese Weise gestalten zu wollen?
Das ist der Grund, warum es so schwer ist, eine Prüfung zu gestalten, die rechtlich
einwandfrei ist. Einerseits sollen die Prüfungen keine billige Zulassung für den sHP
sein, denn es muss gewährleistet sein, dass keine Gefahr vom sHP ausgeht. Andererseits
will man sich aber auch keine Klagewelle wegen unzulässiger Fragen aufhalsen. Denn
die Prüfung darf von den Physiotherapeuten nichts verlangen, was ihnen nicht zugemutet
werden darf.
Ganz besonders schwierig ist es, in der Prüfung Themengebiete auszuklammern, „die
zur eigenverantwortlichen Anwendung von Physiotherapie” nicht gebraucht werden. Hier
verschwimmen die Grenzen zur Differenzialdiagnostik. Ein Prüfling darf beispielsweise
nicht nach genauen Blutwerten gefragt werden, da er dies für seine Berufsausübung
nicht benötigt. Wollen die Prüfer aber das differenzialdiagnostische Wissen testen,
sind Fragen zu den Blutwerten nahezu unumgänglich.
Wie hoch ist die Durchfallquote? Kann ich die Prüfung wiederholen? Wie kann ich mich
optimal vorbereiten?
Bisher gab es nur wenige Prüfungen. Bei diesen waren die Durchfallquoten sehr hoch.
In einer baden-württembergischen Prüfung sind beispielsweise zwei von drei Prüfungsteilnehmern
durchgefallen. Doch viele Prüflinge berichten, dass die Fragen an sich nicht schwer
waren, da sie aus dem Alltag eines Physiotherapeuten stammten. Viel schwieriger war
es für sie, einzuschätzen, was die Prüfer hören möchten. Manche Prüfer prüften das
gesamte Fachwissen ab. Andere Prüfer wollten herausfinden, ob der Prüfling seine Grenzen
kennt und weiß, was er darf und wann er einen Patienten weiter zum Arzt überweisen
muss.
Die Prüfung kann wiederholt werden, so oft man möchte. Es muss immer die gesamte Prüfung
wiederholt werden, auch wenn man einen Teil bestanden hat.
Bei den ersten Prüfungen war eine gezielte Vorbereitung nicht möglich, da die Fragestellungen
und Themengebiete nicht bekannt waren. Mittlerweile kann man auf ein paar Erfahrungswerte
zurückgreifen, sodass es nun verschiedene Kurse zur Prüfungsvorbereitung gibt. Die
Dauer und somit die Kursinhalte und -kosten variieren auch hier: Kurse über zwei Tage
bietet zum Beispiel die VPT Akademie in Fellbach (Baden-Württemberg) für 240,– € an.
Die 6-Tages-Kurse der Naturheilkundeschule Rolf Schneider Seminare können bundesweit
belegt werden und kosten 690,– €. In Regensburg (Bayern) kann man bei der Campus Heilpraktikerschule
einen Vorbereitungskurs über acht Wochenenden für 1.740,– € belegen. Inwieweit die
einzelnen Kurse auf die bundeslandspezifischen Prüfungen und Themen eingehen, ist
unklar und sollte vorher geklärt werden. Letztendlich muss jeder Prüfling für sich
entscheiden, ob er sich die relevanten Themen alleine oder in einem Kurs aneignet.
In manchen Bundesländern kann man die Erlaubnis zum sHP ohne Prüfung bekommen. Wie
ist das möglich?
Das Urteil vom Bundesverwaltungsgericht sieht eine Überprüfung durch die Gesundheitsämter
vor.
Doch es liegt im Ermessen der einzelnen Ämter, im Einzelfall darauf zu verzichten,
wenn die antragstellende Person Aus-, Fort- oder Weiterbildungen erfolgreich abgeschlossen
hat, die eine Prüfung überflüssig werden lassen. In jedem Fall ist es sinnvoll, alle
Fort- und Weiterbildungsunterlagen einzureichen, damit überprüft werden kann, ob eine
Prüfung überhaupt notwendig ist.
Ist mein sHP in allen Bundesländern gültig und wie darf ich mich nach bestandener
Prüfung nennen?
Die Prüfung zum sHP ist zwar in jedem Bundesland anders, doch deutschlandweit anerkannt.
Ein einheitlicher Titel existiert noch nicht, aber es liegen verschiedene Vorschläge
aus den Bundesländern vor. In Bayern erhält man nach bestandener Prüfung beispielsweise
den Titel „Physiotherapeut (Heilpraktiker auf dem Gebiet der Physiotherapie)”.
Was kostet mich die Prüfung?
Da nicht jedes Bundesland gleich prüft, sind auch die Gebühren nicht einheitlich.
In Bayern kostet die schriftliche Prüfung beispielsweise zwischen 200,– und 250,–
€, die mündliche noch einmal 200,– €. Für die Urkunde muss man zwischen 30,– und 40,–
€ zahlen.
Als weiteres Beispiel kann Baden-Württemberg genannt werden: Hier zahlt man für die
mündliche Prüfung etwa 260,– €. Dafür muss man für die Urkunde tiefer in die Tasche
greifen – sie kostet 160,– €.
Was darf ich als sHP alles behandeln, was ich vorher als Physiotherapeut nicht durfte?
Im Gegensatz zum Physiotherapeuten hat der sHP das Recht zum Erstkontakt – das heißt,
er darf auch Patienten ohne ärztliches Rezept befunden, diagnostizieren und behandeln.
Er darf alle Krankheitsbilder annehmen, muss aber im Gebiet der Physiotherapie bleiben
– sowohl beim Befund als auch in der Therapie, denn „eine heilkundliche Betätigung
außerhalb der Physiotherapie ist unzulässig” und somit strafbar. Der HP muss seine
Grenzen ganz genau kennen, sodass er den Patienten gegebenenfalls zum Arzt überweist.
Zu diesen Grenzen gehören unter anderem bestimmte Tätigkeitsverbote, die dem Heilpraktikergesetz
und dem Heilmittelwerbegesetz entstammen.
Ein sektoraler Heilpraktiker muss seine Grenzen kennen.
Reicht der sHP in der Physiotherapie aus, damit ich auch osteopathisch tätig sein
darf?
Hier sind die Länder bisher zu keiner Regelung vorgedrungen.
Wie ist die Rechtslage? Was ist mit der Prüfung zum sHP anders als vorher?
Bisher herrschte eine rechtliche Grauzone, wenn es um die physiotherapeutische Behandlung
eines Patienten ohne ärztliches Rezept ging. Die rechtliche Sicherheit des Physiotherapeuten
war diesbezüglich nie eindeutig geklärt, doch mit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts
ist die Rechtslage klar: Wer Patienten auf Selbstzahlerbasis ohne Rezept physiotherapeutisch
behandeln möchte, braucht den sHP – andernfalls macht er sich strafbar. Ohne sektoralen
Heilpraktiker sind Physiotherapeuten weisungsgebunden und benötigen eine ärztliche
Verordnung, welche ihre therapeutische Intervention bestimmt.
Auch in Bezug auf die haftende Versicherung ist Klarheit eingetreten. Der sHP sollte
seine Teilheilpraktikererlaubnis der Berufshaftpflichtversicherung vorlegen, um die
Versicherungspolice auf eine Tätigkeit ohne ärztliche Verordnung zu erweitern.
Darf ich mit meinem neu erworbenen Titel werben?
Physiotherapeuten dürfen mit ihrem neuen Titel werben. Allerdings müssen sie die Vorschriften
des Heilmittelwerbegesetzes beachten. Teilweise finden sich diese in den Tätigkeitsverboten.
Des Weiteren muss im Wesentlichen auf vier Wettbewerbsstrategien verzichtet werden:
-
Werbung mit Abbildungen, die den Therapeuten beispielsweise in Berufskleidung oder
bei der beruflichen Betätigung zeigen,
-
Werbung, die Zuwendungen versprechen oder gewähren, zum Beispiel „Zahlen Sie 6 Massagen
und erhalten 7”, oder Weihnachtspräsente verschenken,
-
Werbung mit fremd- oder fachsprachlichen Begriffen wie Osteopathie oder TCM in Zeitungsannoncen
oder Telefonbucheinträgen,
-
Werbung, die gleichzeitig die Krankheit und das therapeutische Mittel nennt, zum Beispiel:
„Haben Sie ein Phlebödem? Dann kommen Sie zur Manuellen Lymphdrainage zu mir.”
Ersetzt der sHP den Direktzugang?
Ein Physiotherapeut, der die Prüfung zum sHP abgelegt hat, darf Patienten ohne ärztliche
Verordnung behandeln, doch die Patienten bezahlen die Therapie selbst. Die Berufsverbände
setzen sich weiter für den Direktzugang ein, damit eine Versorgung innerhalb des Krankenkassensystems
bestehen bleibt. Manche sehen im sHP allenfalls einen Schritt in die richtige Richtung,
aber keinen Ersatz für das eigentliche Ziel – den Direktzugang.
Lohnt sich der sHP für mich?
Die Leistungen der Krankenkassen werden immer weiter zurückgehen, sodass selbst zahlende
Patienten für den Physiotherapeuten mehr und mehr an Bedeutung gewinnen. Um dabei
rechtlich abgesichert behandeln zu können, ist der sHP in der Physiotherapie notwendig.
Doch bevor man entscheidet, ob sich ein sHP lohnt, sollte man sich folgende Frage
stellen: Wie viele selbst zahlende Patienten erwarte ich in meiner Praxis?
Auch Hannah muss sich zunächst überlegen, ob ihre Klientel die „neuen” Leistungen
in ihrer Praxis in Anspruch nehmen würde, damit sie von einem sHP profitiert. Vieles
spricht dafür, doch auf der anderen Seite herrscht noch ein zu großes Chaos. Hannah
wartet vielleicht auch erst einmal ab…
Danksagung
Wir bedanken uns bei unseren Interviewpartnern für die freundliche Unterstützung und
die vielen hilfreichen Informationen:
Dr. jur. Ernst Boxberg (Rechtsanwalt/Fachanwalt für Medizinrecht)
Karlheinz Hagmeyer (selbstständiger Physiotherapeut und sektoraler Heilpraktiker in der Physiotherapie)
Eva Maria Reichart (selbstständige Physiotherapeutin und allgemeine Heilpraktikerin im Gesundheitshaus
Reichart, Mitglied im Vorstand/Schatzmeisterin des ZVK LV Bayern)
Rolf Schneider (Medizinpädagoge und allgemeiner Heilpraktiker, Gründer der staatlichen Naturheilkundeschulen
Rolf Schneider Seminare)
Peter Stojanoff (Landesvorsitzender der VPT Landesgruppe BW)