Verantwortlich für diese Rubrik: Manfred Wolfersdorf, Bayreuth; Iris Hauth, Berlin
Im Mai 1998 wurde in Riga/Lettland ein Kooperationsvertrag zwischen dem Bezirk Oberfranken
und dem damaligen Zentrum für psychiatrische Gesundheitsfürsorge, jetzt Mental Health
Agency geschlossen. Diese Kooperation, die bis zum heutigen Tag andauert, hat das
Ziel, "die Psychiatrie in Lettland, die sich im Umbruch befindet, bei der Bewältigung
der sozialistischen Erblast zu unterstützen und an den westeuropäischen Standard heranzuführen"
(Kooperationsvertrag vom Mai 1998 [Präambel]).
Nach Angaben im statistischen Jahrbuch "Mental Health Care in Latvia 1991–2000" leiden
2,5–3% der Menschen in Lettland (Gesamtbevölkerung ca. 2,7 Mio.) an psychischen Erkrankungen.
Die Zahl der Krankenhäuser in Lettland lag 1991 bei 187, davon gab es 11 (4963 Betten)
stationäre psychiatrische Einrichtungen. Im Jahr 2000 war die Zahl der Krankenhäuser
auf 142 gesunken mit 9 psychiatrischen Krankenhäusern. Die durchschnittliche Verweildauer
betrug 2000 über alle psychiatrischen Einrichtungen im Mittel 65,3 Tage. Die Anzahl
der Psychiater nahm von 1991–2000 von n=280 auf n=238 ab.
In der 3. Ausgabe des Statistischen Jahr.buches "Mental Health Care in Latvia 2002"
wird eine Prävalenz n=92657 für das Jahr 2002 (inkl. Suchtkrankheiten n=29771) angegeben.
Erste Eindrücke der psychiatrischen Versorgungssituation in Lettland aus dem Jahr
1998 lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:
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"Geschlossene Psychiatrie"
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wenig Kommunikation zwischen Behandlern und Patienten
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kaum psychotherapeutische Behandlung
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keine komplementäre Vernetzung
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vornehmlich "duales System" – kaum Psychologen, keine Ergotherapie, keine Sozialpädagogen
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"schizophrenielastige Diagnostik"
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selten tagestrukturierende Maßnahmen
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keine Psychoedukation und kognitive Therapieelemente
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kein Trialog
In den Jahren 1998–2001 stand der Aufbau der Forensischen Klinik in Riga im Vordergrund.
Organisation und Konzep.tion einer forensischen Klinik, interdisziplinäre Zusammenarbeit,
Behandlungsmöglichkeiten- und Ziele, Deeskalationsmaßnahmen, pharmakologische und
psychotherapeutische Behandlungsmethoden, Aufbau einer Ergotherapie sowie ethische
Überlegungen waren Hauptbestandteile des Fort- und Weiterbildungskonzepts.
In den folgenden Jahren stand die Öffnung der Psychiatrie – gemeindenahe Psychiatrie
– sowie die Einführung und Verstärkung der Psychotherapie im Vordergrund. Themen wie
z.B. Therapie von Depressionen, Essstörungen, bipolaren Störungen, Persönlichkeitsstörungen
wurden im Laufe der Jahre in das Fort- und Weiterbildungsprogramm integriert.
Gesundheitsökonomische Themenbereiche, Epidemiologie sowie Ablauf- und Organisationsstrukturen
im Gesundheitswesen und Qualitätsmanagement vervollständigten das Angebot.
Im Jahr 2005 wurde nach großen, teils auch finanziellen Schwierigkeiten eine Tagesstätte
mit integrierter psychiatrischer Ambulanz eröffnet. Diesem Projekt wurde auch seitens
der WHO große Be-deutung zugemessen. Mit der Implementierung dieser Tagesstätte wurde
ein wesentlicher Teil der psychiatrischen Rehabilitation eingeleitet. Tagesstrukturierende
Maßnahmen, arbeitsrehabilitative und arbeitsdiagnostische Überlegungen einerseits
und Integration und Teilhabe am sozialen und Arbeitsleben andererseits sind nach wie
vor laufende Projekte der lettischen psychiatrischen Versorgung.
Für diesen Bereich der psychiatrischen Versorgung, der Wiedereingliederung von psychisch
erkrankten Menschen in den Arbeitsmarkt sowie die Konzeption eines "Lettischen Psychiatrieplans"
hat sich das Mental Health Agency am EQUAL-Programm der EU beteiligt. Die Unterzeichner
waren in diesem EU-Programm "Overseas Expert for the European Community Initiative
Project".
Weitere Schwerpunkte der Arbeit waren Unterstützung der zunehmenden Orientierung der
lettischen Psychiatrie in Richtung europäische Psychiatrie, Unterstützung der Entwicklung
in Richtung einer sozialpsychiatrisch-psychotherapeutisch orientierten Psychiatrie.
Zitat aus einer "Würdigung über die Zusammenarbeit im Rahmen des Vertrages zwischen
Bezirk von Oberfranken und Psychiatrie-Zentrum in Riga, Lettland" aus dem Jahr 2002:
"Das wichtigste Ergebnis der Zusammenarbeit besteht in den ausgezeichneten angebotenen
Fortbildungsmöglichkeiten für alle Berufsgruppen sowohl im stationären als auch im
ambulanten Bereich, wobei auf der Basis selbstloser Hilfe von den deutschen Kollegen
Im Zeitraum von 1996–2001 hospitierten in Bayreuth 27 Arbeitenden in der Psychiatrie.
Alle Veranstaltungen im Zeitraum von 6 Jahren ist ein erheblicher Beitrag zur Fortbildung
und Überwindung unserer Kenntnislücken sowie zum Annähern des westlichen Psychiatrieniveaus"...
Im April 2007 wurde Herr Prof. Dr. M. Wolfersdorf mit der Ehrendoktorwürde der Stradins
Universität Riga ausgezeichnet. Die Ökonomisierung der psychiatrischen Versorgung
in Lettland, nicht zuletzt wegen der Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise, ist spürbar
und ein wichtiger Bestandteil der Treffen in den letzten Jahren. Eine Bettenreduzierung
um 50% ist gefordert, ein Klinikneubau sowie ein weiteres Ambulatorium in Riga sind
geplant. Diese Thematik, aber auch Psychotherapie, Einbeziehung von Angehörigen und
Teilhabe am sozialen- und Arbeitsleben sind weiterhin Inhalte einer erfolgreichen
Kooperation.
W. Rätzel-Kürzdörfer, M. Wolfersdorf, Bayreuth
Termine
7./8. April 2011 BDK-Frühjahrstagung in Ingolstadt
20./21. Okt. 2011 BDK-Herbsttagung in Brandenburg