Clara Schlaich, Hamburg
Bernd-Fred Schepers, Hamburg
Aus Anlass des 20-jährigen Bestehens der Deutschen Gesellschaft für Maritime Medizin
fand am 9. Oktober 2010 in Hamburg an der Wasserkante mit Blick auf die Elbe eine
Fachtagung statt, die sich dem auch in Deutschland stark expandierenden Segment der
Kreuzfahrttouristik widmete. Auch wenn derzeit nur noch ein Kreuzfahrtschiff unter
deutscher Flagge die Meere befährt, gibt es inzwischen doch zahlreiche Neubauten,
die auf das deutsch sprechende Publikum zielen und dementsprechend einen Bedarf an
deutschen Schiffsärzten entstehen lassen. Deshalb konnte sich die DGMM über ein sehr
reges Interesse an der Veranstaltung freuen.
Einführungsvortrag zu den medizinischen Herausforderungen auf Kreuzfahrtschiffen
Einführungsvortrag zu den medizinischen Herausforderungen auf Kreuzfahrtschiffen
Prof. Eilif Dahl
Für die Einführung konnten wir einen der weltweit renommiertesten Experten der praktischen
Medizin zur See und Inhaber eines der wenigen Lehrstühle dieses Faches, Prof. Eilif
Dahl aus Bergen, Norwegen, gewinnen. Mit gewohnter Eloquenz und überraschenden Formulierungen
wie: "Es gibt keine Probleme, nur Herausforderungen in der Kreuzfahrtmedizin" stellte
er die "Medical Challenges on Board of Cruise Ships" vor.
Die spezifische Patientenklientel an Bord ist mit keiner anderen Population zu vergleichen
und stellt deshalb besondere Anforderungen an die Fähigkeiten der eingeschifften Mediziner.
Mit diesem Komplex beschäftigte sich in der Vormittagssitzung zunächst Dr. Klaus G.
Gerdts aus Cuxhaven, der einen fundierten und reich illustrierten Rückblick auf die
schiffsärztliche Versorgung von Passagieren und Mannschaften in der Vergangenheit
bot. Wie sich zeigte, haben viele Erfahrungen und Erkenntnisse der früheren Zeiten
nichts an Aktualität verloren.
Die Ausführungen des Vorsitzenden der DGMM, Dr. Bernd-Fred Schepers, über die aktuell
gültigen Qualifikationsanforderungen an Schiffsärzte in Deutschland trafen naturgemäß
auf großes Interesse der anwesenden Kollegen, die "immer schon mal als Arzt zur See
fahren" wollten.
Einzelheiten über "Modelle schiffsärztlicher Tätigkeit" stellte dann Dr. Tim Lammerding
aus Rostock, der Vertreter einer dort beheimateten bedeutenden Kreuzfahrtreederei
mit vielen musikalischen Schiffsnamen, vor. Die ganze Vielfalt der neuzeitlichen Beschäftigungsverhältnisse
unserer modernen Weltwirtschaft spiegelt sich auch an Bord wider, wobei das besondere
Interesse der Zuhörer weniger dem zu erwartenden Entgelt als der Frage nach Haftungs-
und Versicherungsaspekten, besonders unter fremden Flaggen, galt.
Weitere Themen: Medizinische Notfälle - Apothekenausstattung - Infektionsausbrüche
- Trinkwassersicherheit
Weitere Themen: Medizinische Notfälle - Apothekenausstattung - Infektionsausbrüche
- Trinkwassersicherheit
Mit packenden Kasuistiken konnte Dr. Joachim von Pritzbuer aus seiner derzeitigen
Tätigkeit als Schiffsarzt einer Reederei aufwarten, als er über das "Management medizinischer
Notfälle in See" sprach. Dabei wurde jedem klar, warum das festgelegte Weiterbildungsprofil
für Schiffsärzte so umfassend ausgelegt ist: Bei den inzwischen erreichten Passagierzahlen
im hohen 4-stelligen Bereich und angesichts der immer noch typischen Alterszusammensetzung
muss das medizinische Personal an Bord auf alle auch an Land zu erwartenden Zwischenfälle
und Notfälle vorbereitet und auf unverzügliches Eingreifen eingestellt sein.
Am Nachmittag wurden Einzelfragen angesprochen: Apotheker Friedhelm Engelke stellte
die Standards zur Apothekenausstattung auf Kreuzfahrtschiffen vor; die Hamburger Hafenärztin
Dr. Clara Schlaich gab Empfehlungen, wie bei Ausbruch einer Infektionskrankheit an
Bord vorzugehen sei und Dipl.-Ing. Christoph Sevenich äußerte sich eindringlich zur
Frage der Trinkwassersicherheit auf Kreuzfahrtschiffen.
Rechtliche Fragen zur Aufgabenteilung zwischen Kapitän und Schiffsarzt
Rechtliche Fragen zur Aufgabenteilung zwischen Kapitän und Schiffsarzt
Der langjährige Geschäftsführer des Verbandes Deutscher Reeder, Rechtsanwalt Dr. Dierk
Lindemann, beleuchtete die Aufgabenteilung zwischen Kapitän und Schiffsarzt für die
Gesundheit von Passagieren und Besatzung. Die Fürsorgepflicht des Reeders erstreckt
sich auch auf den Schiffsarzt, der aber seinerseits eine Bringeschuld hat, weil er
integrierter Teil der Besatzung ist und durch seinen Offiziersrang, auch ohne nautische
Ausbildung, zu den Verantwortungsträgern an Bord gehört. Dies kann zum Beispiel im
Seenotfall von entscheidender Bedeutung sein und ist unabhängig von der Art des Beschäftigungsverhältnisses:
Jeder, der an Bord einer Tätigkeit nachgeht, gehört zur Besatzung; so wird es auch
im neuen "Seearbeitsgesetz" festgeschrieben.
"Seafarer's Lounge" der Seemannsmission
"Seafarer's Lounge" der Seemannsmission
Danach lenkte Pastorin Heike Spiegelberg aus Hamburg den Blick auf die Arbeitnehmer,
ohne deren Funktionieren die Kreuzfahrttouristik nicht denkbar ist, aber von denen
stets zu wenig Notiz genommen wird: die multinational zusammengewürfelten Besatzungsangehörigen
sind während der Seetage enormen physischen und psychischen Belastungen ausgesetzt,
und während der wenigen Hafentage finden sie auch keine Ruhe. Hier hat nun in Hamburg
die Seemannsmission am Kreuzfahrtterminal eine "Seafarer's Lounge" eingerichtet, die
im kleinen Maßstab die Möglichkeiten des lang etablierten Hamburger Seemannsclubs
"Duckdalben" bietet, ohne dass die Besatzungen dafür den Liegeplatz verlassen müssen.
Auch hier steht das Leitmotiv "Support of Seafarer's Dignity" im Mittelpunkt, und
die Einrichtung wird zunehmend angenommen, auch wenn sie von den Verantwortlichen
an Bord eher kritisch betrachtet wird.
Extreme Situationen: Schiffbruch und Piratenüberfall
Extreme Situationen: Schiffbruch und Piratenüberfall
Die Verantwortung und Aufgaben des Schiffsarztes bei schwerwiegenden Havarien auf
See stellte der langjährige Arzt der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger
Dr. Jens Kohfahl aus Cuxhaven vor: Er präsentierte aktuelle Forschungsergebnisse zum
Thema "Überleben bei Schiffbruch" und bot Anregungen für die schiffsärztliche Vorbereitung
und Bewältigung der dabei zu erwartenden Aufgaben. Dazu zitierte er eine Fülle von
Gefahrensituationen, bei denen sich aus einem kleinen Anlass schnell eine Katastrophe
entwickeln kann.
Die Rolle des Schiffsarztes bei Piratenüberfällen auf Kreuzfahrtschiffe ist bisher
selten betrachtet worden. Der stellvertretende DGMM-Vorsitzende Dr. Klaus-H. Seidenstücker
übernahm daher die Aufgabe, die medizinischen Aspekte solcher Angriffe auf Menschenansammlungen,
die sich in einem beschränkten Lebensraum befinden, aufzuzeigen. Er stellte die Möglichkeiten
dar, die sich dem Schiffsarzt bei der Bewältigung eines derart traumatischen Ereignisses
bieten.
Diese Veranstaltung stellte nicht nur ein aktuelles Thema zur Diskussion, sondern
zeigte auch, dass die DGMM sich im 20. Jahr ihres Bestehens endgültig als deutsches
Sprachrohr der wissenschaftlichen Schifffahrtsmedizin etabliert hat und als solches
international zur Kenntnis genommen wird. Diese Stellung ist unabhängig von einer
akademischen Verankerung dieses Faches, das in Deutschland immer noch nicht den Stellenwert
besitzt, der der Bedeutung der Schifffahrt für die Wirtschaft dieses Landes zukommt.
Dr. Karl-P. Faesecke, Hamburg